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5. Der »schwarze Hirsch«

Am andern Morgen ging der Häuptling mit dem Grafen und dem Führer durch den Wald, um das Gelände zu erkunden. Sie kamen dabei auch an den Rand des Bergrückens, von dem aus man in die Ebene hinabblicken konnte. Da ertönte unter ihnen ein dumpfer Knall.

»Was war das?« fragte der schwarze Hirsch.

»Ein Schuß«, meinte der Führer.

»Aber kein Büchsen-, sondern ein Sprengschuß«, erklärte Alfonso, der sogleich vermutete, was da unten vorgegangen war.

Sie traten so weit als möglich an den Felsenabhang heran und blickten zu dem Bach hinab. Da sahn sie Büffelstirn mit seinen Indianern davonreiten. Alfonso gewahrte das Lastpferd und die Decken, die es trug, und ahnte, daß drinnen ein Teil der Schätze verborgen sei.

»Was für Männer sind dies?« erkundigte sich der Häuptling.

»Es sind Mixtekas«, antwortete der Graf.

»Mixtekas, die sterben und verdorren werden«, sagte der andre verächtlich.

»Oh, sie haben noch Kraft genug. Sieh einmal ihren Anführer! Es ist Büffelstirn!«

»Uff! Das – das ist Büffelstirn!« rief Arika-tugh, indem er den Mixteka da unten mit finsterm Auge betrachtete. »Es wird nicht lange währen, so stirbt er am Marterpfahl im Lager der Komantschen.«

Als sie nach der Ruine zurückkehrten, wurde der Kundschafter abgesandt. Er trug die Kleidung eines zivilisierten Indianers, erhielt eine alte Flinte und das schlechteste Pferd, das vorhanden war, und hatte den Befehl, einen Umweg zu machen, um der Hazienda von Süden zu nahen.

Büffelstirn stand mit dem Haziendero und Bärenherz am Fenster, als er in den Hof ritt. »Uff!« rief der Apatsche mit höhnischem Lächeln.

»Wie?« fragte Arbellez verwundert.

»Unser Freund will sagen, daß dies der erwartete Kundschafter ist«, erläuterte Büffelstirn den Ausruf des Apatschen.

»Oh, das ist kein Komantsche!« meinte da Arbellez.

»Nein, es ist ein Majo oder Opato, aber jedenfalls ein Überläufer.«

»Wie soll ich ihn behandeln?«

»Freundlich. Er darf nicht ahnen, daß wir an Kampf und Feindseligkeit denken.«

Der Haziendero ging nun in den Hof hinab. Der Indianer, der grad im Begriff stand, nach der Gesindestube zu gehn, grüßte höflich.

»Das ist die Hazienda del Erina,« fragte er, »wo Señor Arbellez gebietet?«

»Ja.«

»Wo ist der Señor?«

»Ich bin es selber.«

»Oh, Verzeihung, Don Arbellez! Darf ich bei Euch einkehren?«

»Tut dies in Gottes Namen! Es ist mir ein jeder Gast willkommen. Wo kommt Ihr her?«

»Ich komme von Durango über die Berge herüber.«

»Das ist weit.«

»Ja. Ich war einige Jahre dort, aber das Fieber hat mich vertrieben. Hier scheint es besser zu sein. Braucht Ihr keinen Vaquero, Señor?«

»Nein.«

»Auch keinen Cibolero?«

»Auch nicht.«

»Ist Euch nicht sonst ein Mann nötig?«

»Ich habe jetzt Leute genug, aber Ihr könnt trotzdem bleiben und Euch ausruhn, so lange es Euch gefällt.«

»Ich danke. Da Ihr niemand braucht und Eure Hazienda die beste ist gegen die Grenze hin, so werde ich sehn, wie es sich als Gambusino leben läßt. Wenn nur die Wilden nicht wären!«

»Fürchtet Ihr Euch vor einem Indianer?«

»Vor einem nicht, aber vor fünf oder zehn. Man hört, daß die Komantschen Lust haben, über die Grenze zu kommen.«

»Da hat man Euch falsch berichtet. Sie werden sich hüten, herüberzukommen, denn sie wissen, daß sie eine tüchtige Lehre erhalten würden. Also bleibt, ruht Euch aus und eßt und trinkt in der Leutestube, so viel wie Ihr wollt!«

Der Haziendero ging weiter und ließ den Indianer mit der festen Gewißheit zurück, daß auf der Hazienda del Erina kein Mensch daran denke, daß Indianer in der Nähe sein könnten. Der Kundschafter schien der Ruhe nicht sehr zu bedürfen, denn er schweifte auf der Hazienda und in ihrer nächsten Umgebung unermüdlich herum und setzte sich am Nachmittag auf sein Pferd, um weiterzureiten.

Natürlich wandte er sich nicht nach der Grenze hin, sondern kehrte auf einem Umweg zu den Komantschen zurück, wo sein Bericht mit Spannung erwartet wurde. Als er dem Häuptling erzählte, was er gesehn hatte, nickte dieser mit einem blutdürstigen Lächeln und sagte:

»Die Hazienda wird schrecklich aus dem Schlaf erwachen. Die Söhne der Komantschen werden mit Beute und vielen Skalpen in ihre Wigwams heimkehren.«

Er ließ sich darauf von dem Grafen und dem Kundschafter die Lage und Beschaffenheit des Gebäudes beschreiben, dann wurde großer Kriegsrat gehalten.

Das Ergebnis war, daß man mit Einbruch der Dunkelheit aufbrechen wolle. Um Mitternacht langte man in der Nähe der Hazienda an. Diese sollte von allen vier Seiten umschlossen werden, dann sollten die Komantschen auf ein Zeichen ihres Häuptlings über die Umpfahlung steigen und innerhalb des Hofs das Haus umzingelt halten, während fünfzig Mann durch eins der Fenster eindrangen, um sich durch die Gänge zu verbreiten. Dann könne das Morden losgehn. –

Während dies in den Ruinen des Tempels besprochen wurde, hielt man auch auf der Hazienda Kriegsrat.

»Ist Feuerwerk da?« fragte Büffelstirn.

»Ja, genug. Die Vaqueros können sich keinen Festtag ohne Feuerwerk denken«, entgegnete der Haziendero. »Warum fragst du?«

»Die Hauptsache ist, den Komantschen die Pferde zu nehmen, damit sie nicht so schnell entkommen können. Man muß sehn, wo sie ihre Tiere lassen, und im geeigneten Augenblick Feuerwerk unter diese werfen.«

»Das soll besorgt werden.«

»Aber es gehören kühne und vorsichtige Leute dazu.«

»Die habe ich. Wann fangen wir an, die Schanzen zu bauen?«

»Eigentlich war bestimmt, die Dunkelheit abzuwarten. Da aber der Kundschafter so sehr befriedigt davongeritten ist, so glaube ich nicht, daß wir noch weiter beobachtet werden. Wir können also beginnen.«

Nun setzte eine rege Geschäftigkeit ein. Es befand sich bei Anbruch des Abends kein Vaquero auf der Weide, wie zu andrer Zeit, sondern alle waren innerhalb der Umzäunung bemüht, die Verteidigung des Hauses vorzubereiten.

So verging der Abend in lebhafter Erwartung, und eine Stunde vor Mitternacht brach der Apatsche auf, um auf Kundschaft zu gehn. Er nahm zwei wohlbewaffnete Knechte mit, die genug Feuerwerkskörper trugen, um eine Pferdeherde von tausend Stück in alle Winde zu zersprengen.

Der Häuptling kam bald zurück, aber allein.

»Hast du sie gesehn?« fragte der Haziendero.

»Ja.«

»Wo sind sie?«

»Abgestiegen. Sie umzingeln die Umzäunung, die Pferde stehn draußen am Bach.«

»Sind viele Wächter bei ihnen?« fragte Büffelstirn.

»Nur drei.«

»Uff! Unsre beiden Männer werden ihre Schuldigkeit tun.«

Jetzt begab sich der Haziendero nach der Krankenstube, wo die beiden Mädchen wie gewöhnlich bei dem Leidenden saßen. Sie waren bleich, aber gefaßt.

»Kommen sie?« fragte Emma

»Ja. Schläft der Kranke?«

»Fest.«

»So könnt ihr auf euren Posten gehn. Nehmt die Lunten!«

Die Mädchen brannten sich Lunten an und eilten hinauf auf die Plattform des Hauses, wo an jeder Ecke ein großer, mit Öl getränkter Holzhaufen lag. Auch mächtige Steine und einige geladene Gewehre gab es da, um den Frauen Gelegenheit zu bieten, bei der Verteidigung mitzuwirken.

Die Nacht war still. Nur das Murmeln des Baches ließ sich vernehmen, oder das Schnaufen eines Pferds drang von der Weide herüber. Dennoch gab es viele Herzen, die in der Erwartung des Kampfes schneller schlugen.

Da erklang der volle, grunzende Ton eines Ochsenfrosches. Er war so täuschend nachgemacht, daß er unter andern Umständen sicherlich nicht beachtet worden wäre; jetzt aber wußten sämtliche Bewohner der Hazienda sofort, daß er das Zeichen des Angriffs sei.

Der alte Vaquero Francisco hatte sich die Bedienung derjenigen Kanone auserbeten, die die vordere Front des Hauses zu verteidigen hatte. Er hatte sie mit Glas, Nägeln und gehacktem Eisen geladen, und unter der Serape Decke, die er übergeworfen hatte, glimmte die Lunte, mit der der Schuß gelöst werden sollte. So kauerte er hinter der kleinen Verschanzung und lauschte auf das leiseste Geräusch.

Am Erdgeschoßfenster rechts vom Eingang stand der Apatsche, und an demjenigen links der Mixteka. Beide hatten ihre Büchsen in der Hand und durchforschten die Finsternis mit ihren scharfen Augen. Da erschallte abermals die Stimme des Ochsenfrosches, und in demselben Augenblick wurde es auf der Umpfahlung lebendig. Zweihundert Köpfe erschienen über dem Zaun und zweihundert dunkle, behende Gestalten sprangen von ihm in den Hof herab. Eben traten die fünfzig, die durch die Fenster eindringen sollten, eng zusammen, da streckte der Apatsche seine Doppelbüchse heraus und rief:

» Ankhuan sèlki no-khi – gebt Feuer!«

Seine Büchse krachte, und dieses Zeichen hatte eine wunderbare Wirkung. Kaum erscholl nämlich seine Stimme, so steckten die Mädchen oben auf der Plattform ihre Lunten in das Pulver, und im Nu lohten vier hohe Feuer auf, die den ganzen Umkreis mit Tageshelle beleuchteten. Die Indianer standen erschrocken still.

Beim Schein der Feuer erblickte der alte Francisco die fünfzig beisammenstehenden Komantschen; sie befanden sich kaum fünfzehn Meter entfernt. Sein Schuß ging los und war bei dieser Nähe von fürchterlicher Wirkung. Der ganze Haufen schien zusammenzubrechen. Es entstand ein wirrer Knäuel von am Boden ringenden Gestalten, dessen Auflösung so lange dauerte, daß Francisco Zeit erhielt, wieder zu laden. Sein zweiter Schuß hatte dieselbe Wirkung. Auch die andern Kanonen krachten, aus jedem Fenster des Hauses und von der Plattform herab blitzten Schüsse, und da – von oben aus konnte man es deutlich sehn – da prasselte draußen plötzlich ein leuchtendes Feuerwerk empor. Dazwischen hinein erscholl das hundertstimmige Wiehern und Schnauben der erschreckten Pferde, die sich losrissen und davonflohn, daß unter dem Stampfen ihrer Hufe die Erde zitterte.

Die Angreifer stimmten ein furchtbares Wutgeheul an. Sie alle waren hell beleuchtet und boten ein sicheres Ziel; die Zimmer aber waren dunkel, so daß die Komantschen keinen zuverlässigen Schuß bekommen konnten, selbst wenn sie bei dem allgemeinen Wirrwarr, von dem sie überfallen worden waren, sich zu einem ruhigen Zielen Zeit genommen hätten. Sie hatten einen solchen Empfang nicht erwartet; in den ersten Minuten war bereits die Hälfte ihrer Leute verloren, und jetzt begannen sie zu fliehn.

Nur einer stand fest, nämlich der schwarze Hirsch. Er feuerte die Seinigen an, auszuhalten; aber es half nichts. Er hatte sich bisher an der Seite des Hauses befunden, jetzt eilte er nach vorn, um zu sehn, wie der Kampf dort stehe. Doch die Lage war hier noch schlimmer; Francisco hatte mit seinen gut gezielten Schüssen den Platz rein gefegt; Indianerleiche lag an Indianerleiche. Der Häuptling erkannte, daß alles verloren sei, und sprang über die Umzäunung hinaus.

In dem Augenblick, als er auf dem Zaun hing, erblickte ihn der Apatsche und rief:

»Arika-tugh, der schwarze Hirsch!«

Er hatte den Komantschen sofort erkannt, konnte ihn aber nicht töten, da er seine Büchse abgeschossen hatte.

»Der schwarze Hirsch!« rief er abermals, indem er die Büchse fortwarf und den Tomahawk aus dem Gürtel zog. »Wendet der schwarze Hirsch dem Feind den Rücken?«

Dann sprang er aus dem Fenster, stürzte über den Hof hinüber und schwang sich über die Umpfahlung hinweg.

»Der schwarze Hirsch halte an!« rief er dem Fliehenden nach. »Hier kommt Bärenherz, der Häuptling der Apatschen. Will der Häuptling der Komantschen vor ihm flüchten?«

Als der Komantsche diesen Namen hörte, stand er still.

»Du bist Bärenherz?« rief er. »Nun, so komm heran, ich werde deine Eingeweide den Geiern zu fressen geben!«

Die beiden Häuptlinge gerieten aneinander; sie nahmen nur den Tomahawk zur Waffe. Bärenherz war dem Komantschen überlegen; das zeigte sich bald; aber da schnellte sich, mit der Büchse in der Hand, eine Gestalt heran: Alfonso!

Er war klug gewesen und zunächst nicht mit über den Zaun gestiegen; er hatte recht wenig Lust, sein Leben und seine Glieder den feindlichen Schüssen preiszugeben. So hockte er hinter der Umzäunung und wartete den Erfolg des Angriffs ab. Als nun die Komantschen flohn und er sah, daß Bärenherz dem schwarzen Hirsch nachsprang, folgte er ihm, eilte hinzu und schlug mit dem Kolben seines Gewehrs den Apatschen von hinten so an den Kopf, daß dieser niederstürzte. Der Komantsche zog sofort sein Messer, um den Betäubten vollends zu töten und ihm den Skalp zu nehmen; aber Alfonso wehrte ab.

»Halt!« sagte er. »Er verdient einen andern Tod.«

»Du hast recht!« entgegnete der schwarze Hirsch. »Schnell mit ihm zu den Pferden!«

»Zu den Pferden? Die sind ja fort!«

»Fort?« fragte der Häuptling erschrocken.

»Ja. Man hat sie mit Feuerwerk erschreckt.«

»Uff! Komm, komm, sonst wird es zu spät!«

Sie faßten den Apatschen an beiden Armen an und sprangen, ihn an der Erde schleifend, davon.

Es war die höchste Zeit für sie. Büffelstirn hatte vom Fenster bemerkt, daß der Apatsche dem feindlichen Anführer nacheilte, und erkannte, daß jener sich in die größte Gefahr begab. Rasch holte er die Besatzung des Hauses zusammen, um einen Ausfall zu machen, und stürmte mit ihr, da der Hof bereits von den Feinden verlassen war, durch die geöffneten Tore hinaus ins Freie. Dort entspann sich noch an vielen Stellen ein heißer Einzelkampf, bei dem die Komantschen meist unterlagen. Hierauf eilte Büffelstirn, so weit die Feuer leuchteten, rund um die Hazienda herum, aber er fand den Apatschen nicht. –

Stunden waren vergangen, als der Häuptling Bärenherz aus einer tiefen Ohnmacht erwachte. Er öffnete die Augen, erblickte zunächst ein Feuer und sodann eine Anzahl wilder, roter Gestalten, die um dieses saßen. Er selber war gefesselt; zu seiner Rechten saß der schwarze Hirsch und zu seiner Linken Graf Alfonso.

Alfonso hatte bemerkt, daß er die Augen aufschlug.

»Er erwacht!« sagte er.

Sofort richteten sich die Blicke sämtlicher Komantschen auf den Gefangnen. Sie alle hatten von ihm gehört; sie alle kannten seinen Ruhm, aber die wenigsten hatten ihn schon einmal gesehn. Er nahm seine Gefangenschaft mit der eisernen Ruhe auf, die dem Indianer eigen ist. Sein Kopf schmerzte von dem Hieb; aber er besann sich doch sofort auf alles, was geschehn war.

»Der furchtsame Frosch der Apatschen ist gefangen«, sagte der schwarze Hirsch.

Bärenherz lachte verächtlich; er sah ein, daß ein stolzes Schweigen hier nicht das Richtige sei.

»Der Held der Komantschen lief doch vor diesem Frosch davon!« sagte er.

»Hund! Bärenherz, der Häuptling, ließ sich besiegen vom schwarzen Hirsch!«

»Du lügst! Nicht du besiegtest mich und auch nicht ein andrer. Ich wurde heimtückisch niedergeschlagen. Das ist es, was ich sage, und weiter hört ihr kein Wort. Bärenherz verachtet die Krieger, die wie Flöhe davonspringen, wenn der Tapfere sich zeigt.«

»Du wirst schon sprechen, wenn die Marter beginnt.«

Der Apatsche antwortete nicht. Er hatte seine Meinung ausgesprochen, und nun war er der eisenfeste Mann, der sich nicht beschämen ließ. Das sahen die andern ein, und darum sagte der Häuptling der Komantschen:

»Der Tag beginnt. Unsers Bleibens ist hier nicht. Laßt uns zu Gericht sitzen über diesen Mann, der sich einen Häuptling nennt.«

Es wurde schweigend ein Kreis gebildet, und dann erhob sich der schwarze Hirsch, um in einer längern Rede die Verbrechen des Apatschen aufzuzählen. »Er hat den Tod verdient«, sagte er am Schluß.

Die andern stimmten bei.

»Wollen wir ihn mit in die Wigwams der Komantschen nehmen?« fragte er.

Auch hierüber wurde beraten, und das Ergebnis war, daß Bärenherz hier getötet werden solle, da man unterwegs noch mannigfaltigen Zufälligkeiten ausgesetzt sein konnte.

»Aber welchen Tod soll er sterben?« fragte der Häuptling.

Man verhandelte weiter, aber man kam hier nicht so schnell zu einem Entschluß, da ein so seltener Gefangner auch ungewöhnliche Martern erleiden sollte. Da erhob sich Graf Alfonso, der bisher noch nichts dazu gesagt hatte, und fragte:

»Darf ich mit meinen roten Brüdern sprechen?«

»Ja«, erwiderte der schwarze Hirsch.

»Habe ich Anteil an diesem Apatschen oder nicht?«

»Nein. Du hast ihn uns versprochen.«

»Wer hat ihn niedergeschlagen?«

»Du.«

»Habt ihr erfüllt, was ihr mir verspracht?«

»Nein. Wir konnten nicht.«

»Nun, so sind also die gegenseitigen Versprechungen aufgehoben, und der Gefangne gehört nur dem, der ihn niedergeschlagen hat. Er soll dasselbe Schicksal haben, das ich erdulden sollte. Wir binden ihn an diesen Baum und lassen ihn von den Krokodilen fressen. So wird er die gleichen Höllenqualen erleiden, die ich durchgekostet habe.«

Auf diese Worte erhob sich ringsum ein beistimmendes Jubelgeschrei, und aller Augen richteten sich nach dem Apatschen, um den Eindruck dieses Entschlusses in seinem Gesicht zu lesen. Aber dieses Gesicht war wie aus Erz gegossen; keine Wimper zuckte.

»Haben wir Lassos genug?« fragte der Graf.

»Ja. Hier liegen noch dieselben, an denen du hingst. Und wer von den Komantschen ein Pferd eingefangen hat, besitzt auch einen Lasso.«

Es war nämlich den Indianern inzwischen gelungen, einige ihrer herumirrenden Pferde einzufangen.

»Gut, so binden wir ihn gradeso, wie er mich gebunden hat«, sagte Alfonso.

Dies geschah; dann höhnte der schwarze Hirsch:

»Hat der Häuptling der Apatschen noch eine Bitte?«

Bärenherz blickte die Männer der Reihe nach an; es waren nur ihrer sechzehn, die sich hier zusammengefunden hatten. Gleich als er, aus seiner Betäubung erwachend, bemerkt hatte, daß er an dem Teich auf dem Berge El Reparo liege, hatte er gewußt, welches Schicksal seiner harre; darum war er auch nicht erschrocken, als er sein Urteil vernahm. Jetzt blickte er im Kreis umher, als ob er sich die Züge eines jeden eingraben wolle, und sagte:

»Der Häuptling der Apatschen bittet nicht. Das Messer wird alle fressen, die hier versammelt sind. Bärenherz hat gesprochen; er wird nicht heulen und schreien, wie es der Graf der Bleichgesichter getan hat. Howgh!«

Jetzt kletterte ein kräftiger Komantsche am Baum empor; Bärenherz wurde nachgeschoben und schwebte nach zwei Minuten über dem Wasser, wo die Krokodile dasselbe gräßliche Schauspiel boten, wie es bereits beschrieben worden ist.

Die Komantschen blickten eine Zeitlang zu, wie der Apatsche mit dem kältesten Gleichmut sich bestrebte, seine Füße vor dem Rachen der Ungeheuer zu bewahren, dann wandten sie sich ihren Angelegenheiten wieder zu.

»Kehren meine Brüder in ihre Jagdgründe zurück?« fragte Alfonso.

»Erst müssen sie sich rächen«, antwortete der Häuptling finster.

»Wollen sie mir folgen, wenn ich sie zur Rache führe?«

»Wohin?«

»Das werde ich später sagen, wenn wir gesehn haben, ob wir die einzigen sind, die übrigblieben.«

»Wir müssen es jetzt bereits hören,« behauptete der Anführer, »denn wir haben mit unserm weißen Bruder kein Glück.«

»Und ich mit meinen roten Brüdern auch nicht. Sie mögen sich zerstreuen und die Ihrigen suchen, die noch umherirren. Dann, wenn sie versammelt sind, werde ich ihnen sagen, wie sie Rache nehmen können.«

»Wo versammeln wir uns?«

»Hier, an dieser Stelle.«

»Gut, wir wollen tun, was mein Bruder sagt. Vielleicht bringt uns sein zweites Wort mehr Glück als sein erstes.«

Die Komantschen gingen fort, um nach den Überresten ihrer Truppe zu suchen. Der Graf blieb zurück, weidete sich eine Zeitlang an dem Anblick, den die nach dem Apatschen schnappenden Krokodile boten, und ging dann auch. Er wollte vor allen Dingen einmal hinunter nach dem Bach schleichen, um zu sehn, was Büffelstirn gestern mit seinen Indianern dort vorgenommen hatte. Dies war auch der Hauptgrund, weshalb er die Komantschen veranlaßt hatte, sich zu entfernen.

Kaum war der Schall seiner Schritte verklungen, so zuckte es freudig über das Gesicht des Apatschen, und ein leises Uff! ertönte von seinen Lippen. Da ihm nämlich der Lasso unter den Armen hindurchgezogen war, wurde es ihm möglich, einen Aufschwung zu machen, grad wie beim Turnen am Reck, am Trapez oder an den Schwingen. Dadurch konnte er seine Beine emporbringen, so daß er nun mit dem Kopf nach unten hing und ihn die Krokodile nicht mehr erreichen konnten. Doch damit ließ er es nicht genug sein.

Es gelang Bärenherz schließlich, den Lasso zu ergreifen und auch, einen halben Meter weiter oben, mit den Knien zu erfassen. Nun bog er den Körper zusammen und griff sich abwechselnd mit den Händen und Knien weiter, wozu allerdings eine ungewöhnliche Stärke gehörte. So turnte er am Lasso empor, bis er, vor Anstrengung schwitzend, oben beim Ast anlangte. Nun ruhte er, sich quer drüberlegend, eine Minute lang aus, denn er hatte während der ganzen Zeit mit dem Kopf nach unten gehangen und war schwindlig geworden.

Für den Augenblick war er den Krokodilen entgangen, aber seine Lage war immer noch höchst gefährlich. Kam jetzt einer der Komantschen, oder gelang es ihm nicht, die Fesseln zu lösen, so war er trotzdem verloren.

Er lag mit dem Rücken quer auf dem Ast, gradeso, wie man sich auf das Reck legt, um die Rückenwelle zu machen. Jetzt bog er die Knie soweit als möglich und brachte es dadurch fertig, mit den herabhängenden Händen hinten den Riemen zu erreichen, der seine Füße zusammenhielt. Endlich fand er auch den Knoten und versuchte ihn zu lösen. Dies dauerte zwar lang, aber endlich gelang es ihm doch. Nun waren die Beine frei, so daß er das eine seitwärts über den Ast heraufbiegen und den Oberkörper erheben konnte. Dadurch kam er auf den Ast zu sitzen, und zwar so, daß er mit den über dem Rücken gefesselten Händen die Stelle zu erreichen vermochte, wo das obere Lassoende am Ast befestigt war. Nach langer Anstrengung, wobei ihm die Fingerspitzen zu bluten begannen, kam er endlich damit zustande, den Riemen zu lösen, und nun galt es nur noch, mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen am Baum hinabzuklettern. Dies wäre sicher unmöglich gewesen, wenn der Baum grad emporgestanden hätte, aber zum Glück war er schief über das Wasser gewachsen.

Der Apatsche ritt also auf dem Ast hin, bis er den Stamm erreichte. Hier schlang er die Beine um diesen, ließ den Oberkörper fallen und hing nun mit dem Kopf niederwärts am Baum. Darauf lockerte er die Schenkel, preßte sie dann schnell wieder um den Stamm und rutschte so in einzelnen kurzen Rucken abwärts, bis er glücklich den Boden erreichte. Er war aufs äußerste abgespannt, aber gerettet!

»Uff!«

Nur dieses eine Wort stieß er hervor. Noch einen Blick warf er auf die Krokodile, die am Uferrand im Wasser lagen und ihn unter dem Auf- und Zusammenklappen ihrer Kinnbacken begierig betrachteten. Dann eilte er zwischen die Bäume, um im Wald Sicherheit zu finden.

Nun galt es nur noch die Hände frei zu bekommen. Bald hatte er, während sein Auge forschend zwischen Busch und Fels dahinglitt, gefunden, was er suchte: ein Felsstück, dessen Kante scharf genug war, um den Riemen zu zerschneiden. Er lehnte sich jetzt mit dem Rücken gegen die Kante und scheuerte an ihr die Fessel so lang auf und nieder, bis das Leder zersägt war. Jetzt war er frei. –

Der Kampf, der zuerst innerhalb der Umzäunung der Hazienda gewütet hatte, war dann außerhalb davon im freien Feld fortgesetzt worden. Dort hatte er sich schließlich zum Einzelkampf gestaltet, der sich weit von der Wohnung fortzog und über eine Stunde in Anspruch nahm.

Dann hatte Büffelstirn die Besatzung der Hazienda zusammengerufen. Die getöteten Indianer lagen in weitem Bogen um die Hazienda zerstreut umher, und es war bereits jetzt, während der Dunkelheit, anzunehmen, daß ihrer weit über hundert gefallen seien.

»Sie haben eine fürchterliche Lehre erhalten und werden nicht so leicht wiederkommen«, meinte Arbellez, der sich seines Sieges freute. Der alte Francisco, der auf die vor dem Eingang übereinanderliegenden Indianer deutete, sagte:

»Seht diesen Haufen, Señor, das ist das Werk meiner Kanone. Dieses zerhackte Eisen und Blei und diese Glassplitter wirken schrecklich. Die Körper sind förmlich zerrissen.«

»Trotzdem sind wir noch nicht fertig«, erklärte Büffelstirn. »Wir müssen auch den Rest der Komantschen vertilgen.«

»Wo sind sie denn zu finden?«

»Hast du nicht bemerkt, daß keine der Leichen jenseits des Baches liegt?«

»Ja, sie liegen alle diesseits.«

»Nun, daraus läßt sich schließen, daß sie bei der Flucht eine bestimmte Richtung eingehalten haben. Es ist anzunehmen, daß die Komantschen den Befehl hatten, auf dem El Reparo, wo sie sich vor dem Überfall befunden haben, wieder zusammenzutreffen. Wir müssen sie also dort aufsuchen. Vertraust du mir zwanzig von deinen Vaqueros an?« wandte er sich an Arbellez.

»Gern.«

»Wo aber mag der Apatsche sein?« fragte Francisco.

»Er ist gefangen«, antwortete der Häuptling der Mixtekas.

»Nicht doch«, rief der Haziendero erschrocken. »Warum glaubst du das?«

»Weil er nicht da ist.«

»Er wird noch auf der Verfolgung sein.«

»Nein. Er weiß, daß er die Komantschen am Tag sichrer hat als jetzt.«

»So ist er tot oder verwundet.«

»Nein. Wir hätten ihn dann sicher gefunden. Er eilte dem schwarzen Hirsch nach. Die Komantschen, die ihren Häuptling in Gefahr sahen, werden sich auf den Apatschen geworfen haben, und da ihrer zu viele waren, wurde er sicherlich überwältigt.«

»So müssen wir ihn befreien«, rief Francisco.

»Ja, wir werden ihn befreien«, sagte Büffelstirn zuversichtlich. »Ich nehme ihm seine Büchse mit, damit er sogleich bewaffnet ist. Steigt zu Pferd!«

Im nächsten Augenblick saßen zwanzig Männer auf und ritten im Galopp davon. Sie machten, um von keinem der auf der Flucht befindlichen Komantschen bemerkt zu werden, einen Umweg, indem sie in einem Bogen den südlichen Abhang des Berges zu erreichen suchten. Dort kamen sie an, als der Morgen dämmerte.

»Absteigen!« befahl jetzt Büffelstirn.

»Warum?« fragte Francisco.

»Weil uns die Pferde hindern, die Feinde unbemerkt zu beschleichen. Sanchez mag bei ihnen hier zurückbleiben.«

So geschah es. Der genannte Vaquero blieb als Wache bei den Tieren zurück, während die andern den Berg unter dem Schutz der Bäume bestiegen. Als sie dessen Rücken erreichten, war es völlig hell geworden. Sie gingen daher mit möglichster Vorsicht gegen die Ruinen vor. Eben glitten sie über eine kleine, freie Lichtung hinweg, als seitwärts von ihnen ein Ruf erscholl:

»Uff!«

Sie blickten nach dieser Richtung hin und gewahrten einen unbewaffneten Indianer, der auf sie zueilte.

»Bärenherz!« rief einer der Vaqueros.

»Ja, er ists! Es ist der Apatsche!« sagte Büffelstirn freudig.

»So war er also nicht gefangen!«

»Er war es«, behauptete Büffelstirn. »Seht ihr nicht, daß er keine Waffen trägt? Er war gefangen und ist wieder entkommen.«

Der Apatsche kam wie ein Pfeil über die Lichtung herübergeglitten und blieb vor ihnen halten.

»Uff!« begrüßte ihn der Mixteka. »Mein Bruder Bärenherz war gefangen?«

»Ja«, nickte der Gefragte.

»Es waren der Feinde zu viel, die ihn bewältigten?«

»Nein. Ich kämpfte mit dem schwarzen Hirsch. Da ward ich plötzlich von hinten niedergeschlagen. Als ich erwachte, sah ich das verräterische Bleichgesicht bei den Komantschen.«

»Welches Bleichgesicht?«

»Den Grafen.«

»Uff! Er lebt! Die Krokodile haben ihn nicht verzehrt?« fragte der Mixteka erstaunt.

»Er lebt. Die Hunde der Komantschen haben ihn gefunden und errettet. Er hat sie nach der Hazienda geführt und an ihrer Seite gegen uns gekämpft.«

»Gegen seine eigne Besitzung! Gegen seine eignen Leute! Wir werden seine Kopfhaut nehmen. Wo ist er?«

»Er ist in den Bergen. Er wird wieder zum Teich der Krokodile kommen, um die Komantschen dort zu treffen.«

»Uff! So habe ich recht gedacht! Sie versammeln sich beim Teich?«

»Sie waren bereits dort. Sie sind in die Ebene gegangen, um ihre zerstreuten Krieger zu suchen; aber sie werden wiederkommen.«

»Weiß mein Bruder dies genau?«

»Ich weiß es genau, denn ich habe es gehört, als ich am Baum hing.«

»An welchem Baum?«

»Am Baum der Krokodile.«

Büffelstirn machte eine Bewegung des Schreckens.

»Bärenherz hat über den Krokodilen gehangen?« fragte er. »Gradeso wie der Graf?«

»Gradeso. Der Graf sprach das Urteil, und ich wurde an die Lassos geknüpft.«

»Aber wie ist mein Bruder wieder frei gekommen?«

Bärenherz antwortete im geringschätzigsten Ton:

»Der Häuptling der Apatschen fürchtet sich nicht vor den Komantschen und nicht vor den Krokodilen. Er wartete, bis die Feinde fort waren, und machte sich dann frei.«

»Bärenherz ist ein Liebling des großen Manitou«, sagte Büffelstirn. »Er ist ein starker und kluger Krieger. Ein andrer hätte sich nicht befreien können. Wann kommen die Komantschen an den Teich zurück?«

»Sie haben es nicht gesagt. Wir werden uns dort verstecken und sie erwarten.«

»So dürfen wir unsre Spuren nicht bemerken lassen. Hier ist das Gewehr meines Bruders. Ich habe es ihm mitgebracht.«

»Die andern Waffen hat der schwarze Hirsch genommen!« grollte der Apatsche. »Er wird sie mir wiedergeben und die seinigen dazu. Meine Brüder mögen mir Pulver und Kugeln aushändigen, und dann werde ich sie führen.«

Er erhielt das Verlangte, und nun glitten die Männer lautlos durch den Wald, immer ihre Spuren sorgfältig hinter sich verbergend, bis sie den Saum des Forstes erreichten, der den Teich umkränzte. Sie sahen nun, daß keiner der Komantschen zurückgekehrt war, und versteckten sich so gut, daß sie den Platz beherrschten, ohne bemerkt zu werden.

Als ein jeder seine Anweisung erhalten hatte, wie er zu schießen habe, ohne daß zwei Kugeln auf einen Feind kamen, trafen beide Häuptlinge wieder zusammen.

»Aber was tun wir jetzt?« fragte Büffelstirn. »Die Komantschen werden sehn, daß der Häuptling der Apatschen entronnen ist. Sie werden ahnen, daß er Hilfe herbeiholen wird.«

»Sie werden nichts sehn«, antwortete der Apatsche.

Mit diesen Worten verließ er das Gebüsch, trat hinaus zu der Zeder, an der er gehangen hatte, und wo in der Nähe des Stammes noch die Lassos lagen. Nun nahm er einen scharfen Stein und schlitzte mit ihm die untern Enden der Riemen so auf, daß es den Anschein hatte, als ob sie zerrissen worden seien. Dann kletterte er empor und schlang die obern Enden genau so wieder um den Ast, wie vorher, so daß es aussah, als sei der daran Hängende von den Krokodilen herabgerissen worden.

Als er von dieser kurzen Arbeit zurückkehrte, sagte Büffelstirn:

»Mein Bruder hat sehr gut gehandelt. Nun werden die Komantschen glauben, daß er den Tieren nicht entkommen ist.«

Sie lagen darauf still in dem Versteck und warteten, bis sie nach einer geraumen Weile den Hufschlag zweier Pferde vernahmen. Es erschienen zwei Komantschen.

»Uff!« rief der eine, als er sah, daß der Apatsche nicht mehr am Baum hing.

»Er ist fort!« rief der andre. »Er ist entflohn!«

»Nein! Der Lasso ist zerrissen. Die Krokodile haben ihn.«

»Er wird nicht in die ewigen Jagdgründe kommen, denn er wurde von den Tieren gefressen«, stimmte der andre bei. »Seine Seele wird bei den unglücklichen Schatten wandeln, die sich vor Kummer und Unmut verzehren. Der Apatsche ist verflucht in diesem und im andern Leben.«

»Wir sind die ersten. Steigen wir ab, um auf die Brüder zu warten!«

Die Komantschen sprangen darauf von ihren Pferden und machten Anstalt, diese anzupflocken.

»Wollen wir sie nehmen?« fragte der Apatsche leise.

»Ja. Aber mein Bruder hat kein Messer.«

» Pshaw!« entgegnete der Apatsche. »Ich werde mir das Messer dieses Komantschen holen.«

Damit lehnte er sein Gewehr an den Baum und glitt vorwärts. Büffelstirn folgte ihm. Als sie den Rand des Gebüsches erreicht hatten, schnellten sie wie zwei Tiger mit wilden Sätzen auf die beiden Komantschen zu, die einen Angriff nicht vermuteten. Dann ergriff Bärenherz den einen von hinten bei der Kehle, riß ihm das Messer aus dem Gürtel und stieß es ihm ins Herz. Zwei Minuten später hatte er ihm den Skalp genommen. Büffelstirn hatte dasselbe mit dem andern getan. Die beiden Komantschen waren nicht dazu gekommen, auch nur einen Laut auszustoßen.

»Was tun wir mit den Leichen?« fragte der Mixteka.

»Wir geben sie den Krokodilen.«

Die Tiere hatten das Nahen von Menschen bemerkt. Sie waren aus dem Grund emporgetaucht und lagen nun in der Nähe des Ufers, halb im Wasser und halb auf der Erde. Offenbar warteten sie, ob ihnen etwas zufallen werde. Als jetzt die beiden Häuptlinge die Waffen der Besiegten und ihre Skalpe zu sich nahmen und die Leichen den Alligatoren zuwarfen, hei, wie diese da mit offenem Rachen auf die Beute stürzten! In weniger als einer Minute waren die Erstochenen zerrissen und verschlungen. Nichts blieb von ihnen übrig als das Stück einer Hand mit zwei Fingern, das die von den Tieren gepeitschten Wellen ans Ufer geworfen hatten, wo es liegenblieb, übrigens hatten die Häuptlinge dafür gesorgt, daß kein Blut auf dem Rasen vergossen wurde, und dann auch ihre eignen Fußtapfen sorgfältig verwischt.

Jetzt kehrten sie wieder in ihr Versteck zurück.

Sie hatten da noch nicht lang gewartet; so hörten sie wieder den Hufschlag von Pferden. Es kam ein Trupp von wohl dreißig Kriegern, an ihrer Spitze der schwarze Hirsch. Als dieser sah, daß Bärenherz verschwunden war, hegte er zunächst Mißtrauen und rief:

»Uff! Der Apatsche ist fort!«

Dann ritt er bis hart an das Wasser heran und gewahrte die dort liegende Hälfte der Hand. Im Nu war er abgestiegen, nahm sie empor und betrachtete sie.

»Uff! Sie haben ihn gefressen. Das ist ein Stück seiner linken Hand. Betrachtet die Lassos!«

Man gehorchte seinem Befehl und fand, daß der Apatsche von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

»Er ist ins Reich der Finsternis gegangen. Es wird ihn keiner seiner erschlagenen Feinde bedienen«, sagte der Häuptling und warf die Hand ins Wasser, wo sie von einem der Alligatoren sofort verschlungen wurde.

Nun stiegen auf seinen Wink auch die andern von den Pferden und lagerten sich am Wasser.

Es kamen noch mehrere Nachzügler, so daß der Trupp fast auf fünfzig Männer anwuchs. Man gab sich gar nicht die Mühe, den benachbarten Teil des Waldes zu durchsuchen, und das war ein sicheres Zeichen, daß der schwarze Hirsch nicht die Absicht hatte, hier lang zu verweilen. Er hatte während dieser Zeit in würdevollem Schweigen dagesessen. Jetzt aber hörte man seine Stimme:

»Wer hat das Bleichgesicht gesehn?«

Es stellte sich heraus, daß keiner der Indianer den Grafen bemerkt hatte.

»Man suche seine Spur!«

Sie erhoben sich, um zu suchen.

»Das wird gefährlich!« flüsterte der Apatsche.

Büffelstirn nickte zustimmend und entgegnete: »Hier haben wir unsre Fährte verwischt, aber wenn sie weiter fortgehn, so werden sie sie finden. Wir müssen beginnen. Ich gebe das Zeichen.«

Dann hustete er laut. Dies war nicht etwa eine Unvorsichtigkeit, sondern es hatte zwei gute Gründe. Erstens sollten die Vaqueros bemerken, daß es jetzt losgehe, und zweitens sollten die Feinde dadurch in eine Stellung gebracht werden, in der sie ein gutes, sicheres Ziel darboten.

Es gelang, denn kaum war der scharfe Laut erklungen, so streckten sich die Läufe der zwanzig Büchsen der Vaqueros durch die Büsche, und sämtliche Komantschen richteten sich in eine horchende Stellung empor, wobei sie sich nach den Büschen herumdrehten.

»Feuer!«

Auf dieses Wort des Mixteka krachten zweiundzwanzig Schüsse; dann noch zwei aus den Doppelbüchsen der Häuptlinge, und ebensoviele Komantschen stürzten. Die übrigen sprangen von ihren Sitzen empor und eilten zu ihren Pferden. Es entstand ein Augenblick der größten Verwirrung, währenddessen die Vaqueros rasch wieder luden.

Als die Komantschen über zwanzig der ihrigen fallen sahen, mußten sie annehmen, daß eine noch größere Anzahl Weißer in den Büschen stecke. Darum versuchten sie gar keinen Angriff, sondern warfen sich auf ihre Pferde und jagten davon. Viele von ihnen hatten in der Eile das erste beste Pferd besteigen wollen. Dadurch entstand, da der eigentliche Besitzer es ihnen streitig machte, ein Aufenthalt, der ihnen verderblich wurde. Gleich darauf ertönte ein zweites Reihenfeuer aus den Büschen der Vaqueros, das beinahe den gleichen Erfolg hatte, wie das erste.

Bärenherz hatte sich den Häuptling, den schwarzen Hirsch, vorbehalten. Darum war von den andern nicht auf ihn gezielt worden. Jetzt sprengte dieser mit den Übriggebliebenen davon. Da aber trat der Apatsche aus den Büschen heraus, erhob seine Büchse und zielte, weil er den Komantschen lebendig haben wollte, nur auf dessen Pferd. Der Schuß knallte, und das Tier ward zu Tod getroffen. Es überschlug sich und warf seinen Reiter ab. Sofort schnellte der Apatsche in weiten Sätzen hinzu und stand bei dem Gestürzten, ehe dieser sich emporgerafft hatte.

Keiner der Komantschen hatte einen Schuß getan, deshalb war auch das Gewehr ihres Häuptlings noch geladen. Dieser sprang jetzt vollends auf, riß seine Büchse von der Schulter und legte auf den Apatschen an.

»Hund!« rief er. »Du lebst? Stirb!«

Doch Bärenherz schlug ihm den Lauf des Gewehrs zur Seite, so daß der Schuß fehl ging.

»Der Häuptling der Apatschen stirbt nicht von der Hand eines feigen Komantschen«, antwortete er. »Ich aber werde deine Seele von dir nehmen, damit sie in den ewigen Jagdgründen mich bedienen soll!«

Mit diesen Worten versetzte er dem Komantschen einen Kolbenschlag, der diesen betäubte. Dann faßte er ihn, um ihn zurückzutragen nach dem Ort, wo die Indianer vorher gesessen hatten. Dort wartete er ruhig, bis jenem die Besinnung wiederkehren werde.

Die Vaqueros, die die wenigen Komantschen nicht verfolgt hatten, weil sie diese nun für unschädlich hielten, machten sich jetzt über die Gefallenen her, um ihnen Waffen und Schießbedarf abzunehmen. Die beiden Häuptlinge aber saßen neben dem schwarzen Hirsch und bekümmerten sich nicht um die Beute.

Als der Komantsche gefesselt wurde, kehrte ihm die Besinnung wieder.

»Will der schwarze Hirsch seinen Todesgesang anstimmen?« fragte Bärenherz. »Er soll diese Gnade haben, eh er stirbt.«

Der Gefragte entgegnete nichts.

»Die Komantschen singen wie die Krähen und Frösche, darum lassen sie sich nicht gern hören«, spottete Büffelstirn.

Auch jetzt erwiderte der Gefragte nichts.

»So wird der Häuptling der Komantschen ohne Todesgesang sterben«, erklärte der Apatsche.

Jetzt erst sprach der Gefangne: »Ihr wollt mich an den Baum hängen?«

»Nein«, antwortete Bärenherz. »Ich will dich nicht martern, aber die Krokodile sollen dich dennoch fressen, weil du mich ihnen zum Fraß vorgehangen hast. Zuvor aber werde ich dir den Skalp nehmen, um den tapfern Söhnen der Apatschen bei meiner Rückkehr zu zeigen, welch ein Feigling der schwarze Hirsch gewesen ist. Gib mir das Messer und den Tomahawk, die du mir genommen hast!«

Er nahm die beiden Gegenstände aus dem Gürtel des Gefangnen.

»Du willst mich wirklich skalpieren?« fragte dieser voller Angst.

»Ja. Deine Haut gehört mir.«

»Bei lebendigem Leibe?«

»Wie anders! Soll ich mir den Skalp aus dem Magen eines Krokodils holen, nachdem es dich verschlungen hat?«

»Töte mich erst!« bat der Gefangne.

»Ah, der Komantsche hat Furcht. Nun soll er keine Gnade finden!«

Bärenherz ergriff sein Messer, faßte mit der Linken den Haarschopf des Gefangenen, tat mit der Rechten die drei kunstgerechten Skalpschnitte und zog dann den Schopf mit einem kräftigen Ruck vom Kopf. Er hatte den Skalp in der Hand.

Der schwarze Hirsch stieß ein Gebrüll des Schmerzes aus.

»Uff! Der Komantsche ist ein Feigling! Er schreit!« sagte Bärenherz.

»Wirf ihn ins Wasser!« meinte Büffelstirn. »Aber nimm den Fuß dazu, denn er ist es nicht wert, daß deine Hand ihn berührt!«

»Mein Bruder hat recht. Ich werde ihn den Krokodilen hinwälzen, wie ein verfaultes Aas, das man nicht mit der Hand angreift. Der tapfere Häuptling der Komantschen hat geheult wie ein altes Weib. Er soll kein Grabmal haben, weder auf der Spitze eines Bergs noch in der Tiefe eines Tals. Die Seinen sollen nicht zu ihm pilgern können, um seine Taten zu rühmen, sondern er soll begraben sein im Magen der Alligatoren.«

Es ist die größte Ehrensache eines Indianers und zumal eines Häuptlings, weder Furcht und Angst zu zeigen, noch selbst beim größten Schmerz einen Laut auszustoßen. Der Komantsche hatte also höchst verächtlich gehandelt. Bärenherz stieß ihn jetzt mit dem Fuß ins Wasser, wo die Alligatoren sofort über ihn herfielen.

Dann kehrten sie zu den Pferden zurück, die sie nach der Hazienda tragen sollten. Der Apatsche hatte sich mit einem der Pferde der Komantschen beritten gemacht. –

Als Graf Alfonso den Teich der Krokodile verlassen hatte, war er den Berg hinabgestiegen, um zur Höhle des Königsschatzes zu gelangen. Doch als er den Ort erreichte, fand er nur einen wüsten Trümmerhaufen, in dem er mehrere Stunden lang in fieberhafter Aufregung vergebens umhersuchte. Es war unmöglich, eine Spur der Schätze zu finden, und er nahm zuletzt an, daß sie sämtlich fortgeschafft worden seien.

Mit einem wilden Fluch auf den Lippen verließ er die Trümmer, um die Komantschen nicht auf sich warten zu lassen. Soeben wollte er den östlichen Abhang des Berges hinansteigen, als er den Hufschlag von Pferden hörte und dann acht Komantschen erblickte, die an dem Ort, wo er sich schnell versteckt hatte, vorüber wollten. Er trat hervor.

»Wohin wollt ihr?« fragte er.

»Uff! Das Bleichgesicht!« sagte einer. »Wir reiten nach dem Tal.«

»Warum? Die Eurigen sind doch oben!«

»Sie sind tot!« knirschte der Sprecher.

»Tot?« staunte Alfonso. »Wie ist das möglich?«

»Die Bleichgesichter haben uns überfallen und viermal zehn Komantschen getötet.«

»Alle Teufel!«

»Und den Häuptling haben die Krokodile gefressen, nachdem der Apatsche seinen Skalp genommen hat.«

»Der Apatsche? Welcher?«

»Bärenherz.«

»Donnerwetter! Der hing ja am Baum!«

»Er ist wieder los. Die Bleichgesichter, die sich Vaqueros nennen, werden ihn befreit haben. Wärst du bei ihm geblieben, so hätte es wohl nicht geschehn können.«

»Habt ihr das alles wirklich beobachtet?«

»Wir mußten fliehn; da sie uns aber nicht verfolgten, so kehrten zwei von uns heimlich wieder zurück, um sie zu belauschen.«

»Alle Teufel! Nun ist alles aus.«

»Alles! Nur die Rache nicht!«

»Ja, die Rache«, sagte Alfonso nachdenklich. »Was werdet ihr jetzt tun?«

»Wir kehren in die Jagdgründe der Komantschen zurück, um neue Krieger zu holen.«

»Ohne den Skalp eines einzigen Feindes mitzubringen?«

»Der große Geist hat uns gezürnt.«

»Und ohne ein Stück der Beute gefunden zu haben?«

»Wir werden später Skalpe und Beute genug bekommen.«

»Wie nun, wenn ich dafür sorge, daß ihr bereits jetzt viele nützliche und schöne Sachen von mir erhaltet, um sie mitzunehmen?«

»Von dir? Du hast ja selbst nichts, nicht einmal ein Pferd!«

»Ein Pferd werde ich mir auf den Weideplätzen der Hazienda fangen; dann kehre ich nach der Hauptstadt Mexiko zurück, und ihr sollt mich begleiten.«

»Nach Mexiko? Warum?«

»Ihr sollt mich beschützen! Es ist für einen einzelnen nicht leicht, eine solche Reise zu machen. Begleitet ihr mich und bringt ihr mich glücklich hin, so sollt ihr große Geschenke erkalten!«

»Was für Geschenke meinst du?«

»Wählt sie euch selber! Ich bin ein Graf, ein großer Häuptling und habe alles, was ihr begehrt.«

»Hast du Waffen, Pulver und Blei?«

»So viel ihr wollt, könnt ihr bekommen.«

»Perlen und Schmuck für unsre Squaws?«

»Auch das.«

Das schien die Indianer zu locken.

»So begleiten und beschützen wir dich«, sagte einer von ihnen. »Willst du jedem von uns ein Gewehr geben, ferner einen Tomahawk und zwei Messer sowie so viel Kugeln und Blei, als in unsre Taschen geht?«

»Ihr sollt dies alles haben.«

»Und ebenso viel Schmuck?«

»Ihr sollt so viele Ketten, Ringe und Nadeln und Perlen erhalten, daß ihr zufrieden seid.«

»Howgh! Wir gehn mit dir. Bedenke, daß du sterben mußt, wenn du uns belogen hast! Aber zwei müssen sich von uns trennen. Sie müssen nach unsern Weidegründen gehn, um die Rächer der Komantschen zu holen.«

»Dazu ist später Zeit!«

»Nein. Die Rache darf nicht schlafen.«

»So wählt zwei aus! Sechs sind auch genug für mich.«

Es wurden zwei ausgeschieden, und zwar durchs Los, da sich keiner freiwillig erbot. Es war jedenfalls angenehmer, nach Mexiko zu reiten, um sich reiche Geschenke zu holen, als mit Schande beladen zu den Komantschen zurückzukehren. Die übrigen sechs wählten einen Anführer unter sich; dann trennten sie sich von ihren Gefährten, um zunächst ein Pferd für den Grafen einzufangen.

Die zwei wollten es recht klug machen. Anstatt gradewegs nach dem Norden zu reiten, wo sie dem unglücklichen Kampfplatz nahe gekommen wären, beschlossen sie, zu ihrer Sicherheit einen Umweg einzuschlagen. Sie bogen also nach dem südlichen Abhang des Bergs El Reparo ein, um diesen zu umreiten und dadurch jede feindliche Begegnung zu vermeiden. Dadurch erreichten sie jedoch grade das, was sie vermeiden wollten.

Inzwischen hatten die Vaqueros die Leichen der getöteten Komantschen ihrer Waffen beraubt und sie in den Krokodilteich geworfen, so daß die Alligatoren eine so reichliche Beute erhielten, wie seit Jahren nicht. Darauf holten sie ihre Pferde und machten sich nun unter Anführung der beiden Häuptlinge auf den Weg nach der Hazienda. Sie ritten den Kamm entlang nach Süden, um den Wald von den entkommenen Komantschen zu säubern.

Als sie den Wald verließen und in die Ebene einbiegen wollten, hielt der Apatsche sein Pferd an.

»Uff!« sagte er, nach vorwärts deutend.

Sie sahen zwei Indianer auf sich zukommen und kehrten schnell unter die Bäume zurück.

»Es sind Komantschen«, sagte Büffelstirn.

»Sie werden unser!« fügte der Apatsche hinzu.

»Und zwar lebendig. Nehmt eure Lassos zur Hand!«

Als die Komantschen nahe herangekommen waren, brachen die Vaqueros aus dem Wald hervor. Die Roten stutzten einen Augenblick, warfen dann aber schnell ihre Pferde herum, um zu fliehn. Es half ihnen aber nichts. Die Verfolger bildeten einen Halbkreis um sie, der nach und nach zu einem ganzen Kreis wurde, so daß sie vollständig eingeschlossen wurden.

Nun griffen sie zu ihren Waffen, um ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen. Sie verwundeten auch einen der Vaqueros, dann aber schlangen sich die Lassos um ihre Leiber, und sie wurden von den Pferden gerissen.

Der Apatsche trat jetzt vor sie hin und sagte:

»Die Zahl der Komantschen ist sehr klein geworden. Sie werden von den Krokodilen gefressen. Auch euch werden diese lebendig verschlingen, nachdem wir euch die Skalpe genommen haben, wenn ihr nicht unsre Fragen beantwortet.«

Sie schauderten vor dem Tod, den ihr Häuptling erlitten hatte, und der eine fragte:

»Was willst du wissen?«

»Wie viele sind von euch übriggeblieben?«

»Acht.«

»Wo sind die andern sechs?«

»Bei dem Grafen.«

»Wo befindet sich dieser?«

»Wir wissen es nicht.«

Da zog der Apatsche sein Skalpmesser hervor und drohte:

»Wenn ihr nicht die Wahrheit redet, so nehme ich euch den Skalp bei lebendigem Leib.«

»Und wenn wir bekennen?«

»So sollt ihr eines schnellen Todes sterben.«

»Wirst du uns den Skalp lassen und uns mit unsern Waffen begraben?«

»Ich werde es tun, obgleich die Hunde der Komantschen es nicht verdienen.«

»So frage weiter!«

Die Roten haben den Glauben, daß, wer ohne Skalp, ohne Waffen und richtiges Begräbnis aus diesem Leben geht, nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen kann.

»Also wo ist der Graf?«

»Er ist nach den Weiden der Bleichgesichter, um dort ein Pferd zu stehlen. Dann will er nach Mexiko, wohin ihn die sechs Komantschen begleiten sollen, um ihn zu beschützen.«

»Was hat er ihnen dafür geboten?«

»Flinten, Messer, Blei, Pulver und Schmuck für die Squaws.«

Da schüttelte der Mixteka den Kopf.

»Er braucht keinen solchen Schutz«, sagte er. »Er könnte Weiße finden, die ihn begleiten. Entweder ist er noch feiger als ich dachte, oder er führt heimlich etwas im Schild. Sagt ihr die Wahrheit?«

»Wir lügen nicht.«

»Welche Richtung hat er nach den Weiden eingeschlagen?«

»Grade nach Osten.«

»Wo habt ihr euch von ihm getrennt?«

»Da wo im Osten der Berg das Tal berührt.«

»Ihr traft ihn, als ihr vor uns die Flucht ergrifft, und er vom Tal kam?«

»Ja.«

»So weiß ich, wo er gewesen ist. Ich werde seine Spur finden. Ihr habt uns geantwortet und sollt einen raschen Tod haben.«

Mit diesen Worten erhob der Cibolero seine Doppelbüchse und schoß die beiden Indianer durch den Kopf; sie hatten nicht mit der Wimper gezuckt, als sie die todbringenden Mündungen auf sich gerichtet sahen; sie waren aber doch als Verräter gestorben.

»Sanchez und Juanito bleiben hier, um diese Komantschen mit Steinen zu bedecken, denn wir werden das Wort halten, das wir ihnen gegeben haben«, sagte er. »Wir andern aber folgen der Spur des Grafen, um ihn vielleicht doch noch zu erwischen.«

Sie setzten sich unter Zurücklassung der beiden Genannten in Bewegung.

Es gelang den scharfen Augen Büffelstirns und Bärenherzens sehr leicht, die Spuren des Grafen nebst denen seiner sechs Begleiter aufzufinden und zu verfolgen. Sie führten allerdings auf die Weideplätze zu, die sich jetzt nicht unter Aufsicht befanden, da sämtliche Vaqueros auf der Hazienda waren. Es stellte sich heraus, daß man ein Pferd gefangen und dann einen graden südlichen Weg eingeschlagen habe. Man folgte der Fährte noch eine ganze Stunde, dann aber gebot Büffelstirn halt.

»Jetzt nicht weiter!« sagte er. »Wir werden auf der Hazienda gebraucht, und es steht nun wirklich fest, daß der Graf nach Mexiko geht; denn die Spur geht diese Richtung. Er wird uns nicht entgehn; denn wir werden ihn dort aufsuchen.«

Sie kehrten darauf nach der Hazienda zurück, die sie rasch erreichten, da sie jetzt nicht mehr auf Spuren aufzumerken hatten.

Sie fanden dort alles noch in demselben Zustand, in dem sie es verlassen hatten. Die zum Schutz zurückgebliebenen Vaqueros waren eben dabei, die Leichen der Komantschen und die Verschanzungen mit den Kanonen hinwegzuschaffen. Der Haziendero kam ihnen mit freudigem Gesicht entgegen.

»Gott sei Dank, daß ihr kommt!« sagte er. »Wir befanden uns bereits in großer Sorge um euch. Wie ist es gegangen?«

»Der schwarze Hirsch ist tot«, antwortete Büffelstirn. »Mein Bruder Bärenherz hat ihm den Skalp genommen.«

»Und die andern?«

»Auch sie sind tot. Von allen Komantschen sind wohl nur sechs entkommen.«

»Wohin sind diese?«

»Nach Mexiko. Sie begleiten den Grafen. Er hat die Gegend der Hazienda verlassen, aber er wird uns nicht entrinnen.«

»Ihr glaubt also, daß wir jetzt sicher sind?« fragte Arbellez. »So können wir zu unserm friedlichen Leben zurückkehren. Wo aber begraben wir die Leichen?«

Über das Angesicht des Mixteka glitt ein unbeschreiblicher Zug.

»Soll die Hazienda mit diesen Leichen verpestet werden? Am besten schaffen wir sie in die Nähe des Berges Reparo und begraben sie dort. Kann ich meine zwanzig Vaqueros für heut behalten? Sie sollen diese toten Komantschen mit dorthin bringen.«

»Behalte sie, wenn es sicher ist, daß wir nicht überfallen werden!«

»Wie steht es mit unserm Bruder Donnerpfeil?«

»Er liegt noch ohne Besinnung.«

»So werden wir einmal nach ihm sehn.«

Die beiden Häuptlinge traten ins Haus. Der Mixteka führte den Apatschen in das Zimmer seiner Schwester, wo er das Gold und Geschmeide untergebracht hatte, das für Unger bestimmt war. Dort fanden sie Karja. Sie lag in einer Hängematte und stierte still vor sich hin. Als sie die beiden Eintretenden bemerkte, sprang sie empor und fragte:

»Ihr kommt! Ihr seid Sieger? Und er? Haben ihn die Krokodile?«

»Nein«, entgegnete Büffelstirn, sie scharf beobachtend.

»Nicht?« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »So habt ihr ihn entkommen lassen, ihn, der meiner Rache verfallen ist?«

Büffelstirn war befriedigt. Er sah, daß sie keine Liebe mehr hegte, sondern nur an Rache dachte. Er erwiderte:

»Die Hunde der Komantschen haben ihn befreit und meinen Bruder, den Häuptling der Apatschen, an seine Stelle gebunden, damit er von den Krokodilen gefressen werde.«

Die Indianerin blickte den Apatschen erstaunt an. Sie sah mehrere neue Skalpe an seinem Gürtel; sie hatte jetzt zum erstenmal ein Auge für die kriegerisch schöne Erscheinung Bärenherzens, und bei dem Gedanken, daß er von den Krokodilen hätte zerrissen werden können, überkam sie ein Gefühl, wie sie es bisher noch nie empfunden hatte. Sie erbleichte.

»Den Häuptling der Apatschen? Aber er steht doch unversehrt hier!« sagte sie.

»Er hat sich selbst befreit und dann die Komantschen besiegt.«

Was in diesen Worten lag, das begriff sie als Indianerin nur zu gut.

»Er ist ein Held!« sagte sie, indem ihr Blick unwillkürlich voll Bewunderung auf den Apatschen fiel. »Und dieser Graf ist also entkommen?«

»Er ist nach Mexiko zu seinem Oheim. Es sind sechs Komantschen bei ihm, um ihn zu geleiten.«

Da reckte sie sich empor und fragte:

»Und du läßt ihn unbelästigt reiten? Gib mir ein Pferd; ich werde ihm folgen und ihn töten!«

Büffelstirn lächelte. So gefiel ihm die Schwester.

»Bleib!« sagte er. »Er entkommt uns nicht. Ich werde ihm folgen.«

»Du tötest ihn, wo du ihn triffst?«

»Ja. Er hat die Tochter der Mixtekas beschimpft und soll von meiner Hand fallen.«

»Oder von der meinigen«, sagte der Apatsche ernst.

»Uff! Mein Bruder will mich nach Mexiko begleiten?« fragte der Cibolero.

Bärenherz blickte in das Gesicht der Indianerin und sah, mit welchem Licht der Blick ihres Auges aus ihm ruhte. Er antwortete:

»Karja ist die Schwester des Apatschen; sie soll gerächt werden!«

Er hielt den beiden zur Beteuerung die Hände entgegen; sie ergriffen diese und drückten sie.

»Bärenherz ist wirklich der Bruder und Freund des Häuptlings der Mixtekas; er mag mit mir zehn, sobald ich hier fertig bin«, sagte Büffelstirn. »Jetzt aber komme er mit zu unserm weißen Freund, den ich besuchen will!«

Er nahm die Decken, in die die Kostbarkeiten geschlagen waren, und der Apatsche hals ihm in Gesellschaft der Indianerin dabei. Als sie ins Krankenzimmer eintraten, saß Emma bei dem Leidenden. Ihre Züge waren blaß, und ihre Augen standen voll Tränen.

»Weint nicht, Señorita!« bat der Mixteka, indem er das Bündel niederlegte. »Ich werde den Freund untersuchen.«

Dann nahm er Unger den Verband ab, erneuerte ihn und fuhr fort:

»Er wird nicht sterben.«

Da hellte sich das Gesicht des schönen Mädchens auf. »Ists wahr?« rief sie. »Wirklich?«

»Gewiß!« nickte er.

»Wie lang wird es währen, bis er gesund ist?«

Bei dieser Frage machte Büffelstirn ein ernstes Gesicht. »Das kann ich nicht sagen, aber sterben wird er nicht.«

»Oh, was an der Pflege liegt, das soll sicher geschehn«!«

»Ich glaube es, Señorita. Darf ich Euch um etwas fragen?«

»Fragt nur, Büffelstirn!«

»Señor Unger hat zu Euch vom Schatz der Mixtekas gesprochen? Ihr wißt auch, daß ich ihn mit in die Höhle des Schatzes genommen habe?«

»Ja. Der Graf wollte ihn ja dort töten!«

»Der Schatz ist wieder verschwunden; aber die Kinder der Mixtekas haben beschlossen, ihrem Bruder Donnerpfeil ein Andenken an diesen Schatz zu geben. Er liegt krank. Wollt Ihr es an seiner Stelle nehmen und für ihn aufbewahren?«

»Gern«, antwortete sie. »Was ist es denn, was Ihr bringt?«

»Seht es selbst!«

Büffelstirn breitete bei diesen Worten die Decken so auseinander, daß die Goldbrocken und das Geschmeide im hellen Strahl der Sonne am Boden lagen. Da vergaß Emma einen Augenblick lang den kranken Verlobten und alle ihre Betrübnis; sie schlug die Hände zusammen und rief:

» O Dios, welche Pracht, welcher Reichtum! Und das soll Señor Unger gehören?«

»Es ist sein«, erwiderte der Mixteka gelassen.

»Oh, Madonna, so ist er ja viel reicher als ich und als mein Vater!«

Der Häuptling warf einen ernsten Blick auf den Kranken.

»Nicht wahr, Señorita, Donnerpfeil wird Euer Gemahl werden?« fragte er.

»Ja«, erwiderte sie, doch ein wenig errötend.

»Und Ihr werdet ihn nie verlassen?«

»Niemals!« beteuerte sie. »Warum fragt Ihr so?«

»Weil er es vielleicht sehr bedürfen wird, daß Ihr ihn nicht verlaßt. Hat er nicht von seiner Heimat zu Euch gesprochen? Woher stammt er?«

»Aus der Gegend von Mainz, in Deutschland.«

»Hat er Verwandte?«

»Einen Bruder, der Steuermann ist.«

»Uff! Wenn Donnerpfeil dieses Goldes nicht bedarf, so wünsche ich, daß sein Bruder es bekommt. Wollt Ihr dies besorgen?«

»Gern. Es ist ein großer Reichtum, aber er blendet mich nicht. Mein Vater ist reich genug, um mich und Señor Unger glücklich und sorgenlos zu machen; der Bruder in Deutschland wird den Schatz erhalten. Übrigens wird auch mein Verlobter sich nicht sträuben, diese Sachen nach Deutschland zu schicken.«

Büffelstirn warf abermals einen Blick auf den Kranken und erwiderte:

»Nein, er wird sich sicherlich nicht sträuben ... Ist der Arzt noch nicht angekommen, nach dem Ihr gesandt habt?«

»Nein.«

»Ich bin begierig, zu wissen, was er sagen wird.«

Der Indianer trat abermals zu dem Kranken, um ihn zu betrachten. Emma aber bückte sich nieder und ließ die funkelnden Ketten und Ringe durch ihre Finger gleiten. Dadurch entstand ein leiser, golden-metallischer Klang, der einen eigentümlichen Eindruck auf den Kranken hervorbrachte. Sobald dieser Klang sich hören ließ, öffnete Unger die Augen und schaute im Kreis umher. Sein Blick hatte nichts Gestörtes an sich; er war nur unendlich traurig; der Leidende schien die Anwesenden zwar zu sehn, aber nicht zu erkennen.

»Ich bin erschlagen!« flüsterte er.

» O Dios, er redet«, rief da Emma und eilte mit raschen Schritten zum Bett. »Was sagtest du, mein Lieber?« fragte sie mit zitternder Stimme.

Der Kranke blickte sie an und antwortete: »Ich bin erschlagen worden.«

»Ah, er phantasiert!« rief jetzt das Mädchen ängstlich. »Antonio, kennst du mich denn nicht?«

»Ich kenne dich«, flüsterte er.

»So sage meinen Namen!« bat sie.

»Ich weiß ihn nicht.«

»O Madonna, er weiß ihn nicht. Kennst du denn deine Emma nicht?«

»Ich kenne sie; aber ich bin erschlagen worden.«

Da strömte ihr das Wasser aus den Augen, und sie fragte unter Tränen: »Und diese beiden Häuptlinge?«

»Auch sie kenne ich, weiß aber nicht, wer sie sind.«

»Oh, Büffelstirn und Bärenherz sind dir doch bekannt?«

»Ja, ich kenne sie; aber ich bin erschlagen worden.«

»Er redet irr; er hält sich für tot!« jammerte Emma.

Da trat Büffelstirn zu ihr heran, legte ihr die Hand auf den Arm und fragte:

»Señorita, wollt Ihr mir eine Frage beantworten, und so wahr, als ob Euch der große Geist selber fragte?«

»Ja.«

»Was werdet Ihr tun, wenn unser Freund Donnerpfeil stets so bleibt, wie er jetzt ist?«

»Oh, ich werde ihn nicht verlassen, nie, nie! Aber er wird wieder zu sich kommen.«

»Es ist möglich, daß er wieder gesund wird, aber sein Gehirn ist erschüttert. Gebt uns die Hand darauf, daß Ihr ihn nicht verlassen wollt!«

Das schöne Mädchen zerfloß fast in Tränen. Sie reichte den beiden Indianern die Hand und sagte mit ruhiger Bestimmtheit:

»Ich bin seine Verlobte; ich werde sein Weib sein, mag er nun so bleiben oder nicht. Aber ich wünsche, daß der gestraft werde, der ihn erschlagen wollte!«

»Er wird gestraft; ich habe es geschworen«, versicherte der Mixteka, und der Apatsche nickte zustimmend.

Da hörte man das Getrab von Pferden im Hof. Emma trat ans Fenster.

»Der Arzt!« sagte sie. »Oh, nun werden wir sogleich hören, was wir zu hoffen und zu befürchten haben.«

Es dauerte nicht lang, so brachte der Haziendero den Arzt ins Zimmer. Dieser ließ sich alles genau erzählen und trat dann ans Bett, um Unger zu untersuchen. Der Kranke verzog zwar während der Untersuchung das Gesicht höchst schmerzlich, gab aber keinen Laut von sich. Er hielt selbst in der geistigen Gestörtheit den Grundsatz fest, daß man den Schmerz beherrschen müsse.

Als der Arzt ihn fragte: »Wer seid Ihr, Señor?« antwortete er mit unendlicher Trauer: »Ich weiß es.«

»Und wie heißt Ihr?«

»Das ist mir unbekannt.«

»Kennt Ihr nicht den Señor Unger?«

»Ich kenne ihn; aber ich bin erschlagen worden.«

»Wo befindet er sich jetzt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wer hat Euch denn erschlagen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und wo wurdet Ihr erschlagen? Wißt Ihr auch das nicht?«

»O ja; aber ich bin erschlagen worden.«

So beantwortete der Kranke jede an ihn gerichtete Frage. Er behauptete, alle zu kennen und alles zu wissen, aber er kannte niemand und wußte nichts weiter, als daß er erschlagen worden sei. Der Arzt schüttelte den Kopf.

»Es ist ein Schädelbruch vorhanden,« versetzte er, »aber ich kann nichts zu seiner Heilung tun. Das Wundkraut, das Ihr aufgelegt habt, ist das einzige, was helfen kann. Wenn der Bruch zuheilt, kommt ihm vielleicht die Erinnerung wieder. Darum darf man nicht denken, daß alles verloren sei.«

Als er mit den andern das Zimmer verlassen hatte, warf sich Emma neben dem Kranken auf die Knie, erfaßte seine Hände und fragte:

»Kennst du mich wirklich nicht, Antonio?«

»Ich kenne dich«, flüsterte er.

»So nenne mich beim Namen, oh, nur ein einziges Mal!«

»Ich weiß den Namen nicht.«

»Hast du mich lieb?«

»Ich habe dich lieb!« beteuerte er mit dem Ausdruck der Trauer im Angesicht.

»Oh, ich werde dich nicht verlassen, auch wenn du immer krank bleibst.«

»Ich bin nicht krank; ich bin erschlagen worden!« –

Drunten im Hof und draußen im Feld wurden jetzt die Leichen der Komantschen zusammengetragen, um auf Pferde gebunden und nach dem El Reparo geschafft zu werden. Alles was sie bei sich getragen hatten, überließ der Haziendero seinem Gesinde. Als die für die Beförderung nötigen Pferde eingefangen, aneinandergebunden und mit ihrer toten Menschenlast beladen worden waren, bildeten sie einen langen Zug.

Von der großen Zahl der Komantschen lebten nur noch sechs, und diese waren fernab von ihren Jagdgründen, auf dem Weg zur Landeshauptstadt Mexiko. Die Alligatoren aber hatten nach langer Fastenzeit einen gräßlichen Überfluß. Der wilde Mixteka hatte dem christlich denkenden Farmer wohlweislich nichts Näheres über die Art des »Begräbnisses« am El Reparo mitgeteilt: das Grab, das er für die toten Komantschen auserwählt hatte, war der Teich der Krokodile.


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