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7. Eine Schurkentat

Als Cortejo den Paseo de la Viga zurückritt, kam ihm ein Reiter entgegen, der den Sitz auf dem Pferd nicht gewöhnt zu sein schien; er trug eine leichte Sommerkleidung und auf dem Kopf einen wahrhaft riesigen Sombrero. Überrascht hielt Cortejo sein Pferd an. Diesen Mann kannte er, hatte ihn hier aber nicht erwartet: es war Kapitän Henrico Landola.

Die fest geschlossenen Lippen mit den etwas verächtlich herabgezognen Mundwinkeln, die scharf gebogene Nase, der durchdringende, stechende Blick seiner grauen Augen mußte jeden zu der Vermutung bringen, daß er es mit keinem Durchschnittsmenschen zu tun habe.

Kapitän Landola war auch wirklich kein gewöhnlicher Seemann; das wußten alle, die ihn kannten. Und diese sagten einstimmig, daß er trotz seines spanischen Namens ein echter Yankee sei, der sich vor dem Teufel nicht fürchte, und wenn es sein müsse, vorn zur Hölle hinein- und hinten wieder hinaussegeln werde, ohne eine Spiere oder Stenge zu beschädigen. Er kannte alle Meere und alle Häfen und galt für einen Mann, dem jede Fracht recht sei, wenn er nur Geld verdiene. Ja, man munkelte sogar, daß er auch eine Ladung Neger nicht verschmähe, obgleich die Sklaverei, auf dem Papier wenigstens, abgeschafft war, und man sich vor den »Kreuzern« sehr in acht zu nehmen hatte.

»Ists möglich! Seid Ihrs, oder seid Ihrs nicht, Señor Henrico Landola?« fragte er.

»Ja, ich bins«, antwortete der Gefragte.

»Aber, was tut Ihr hier auf dem Paseo?«

»Ich reite Euch entgegen.«

»Mir?« fragte Cortejo erstaunt.

»Ja. Wißt Ihr denn nicht, daß ich in Veracruz gelandet bin? Habt Ihr den Brief Eures Bruders nicht erhalten?«

»Ich habe ihn erhalten.«

»Nun, so ist ja alles richtig. Ich bin durch das verdammte Räuber- und Fieberland geritten, um das Geschäft mündlich mit Euch zu besprechen. Ich suchte Euch auf, fand aber nur Eure Tochter, die mir sagte, daß ich Euch auf dem Paseo sicher begegnen würde. Das ist nun auch geschehn.«

»Wie unvorsichtig!«

»Unvorsichtig? Inwiefern?«

»Insofern, als man Euch nicht sehn darf. Es kennt Euch hier zwar niemand, aber der Teufel treibt sein Spiel oft wunderbar. Zwei Männer, die ein Geschäft wie das unsrige abzumachen haben, dürfen von keinem Menschen beisammen gesehn werden.«

»Gut! Mir auch recht!«

»Reitet jetzt spazieren, wohin es Euch beliebt, und kommt heut abend um zehn Uhr zu Fuß an dieselbe Stelle, an der wir uns hier getroffen haben!«

»Schön; werde mich einfinden.«

Landola ritt weiter, und der Sekretär trabte seiner Wohnung zu. Als er zu Haus ankam, empfing ihn seine Tochter mit Spannung:

»Hast du ihn getroffen und das Mittel erhalten?«

»Allerdings. Aber verteufelt teuer ist es!«

»Erzähle!«

Der Sekretär berichtete Josefa nun von seinem Besuch bei Basilio, dem Giftdoktor, und sagte dann:

»Aber wie kannst du den Fehler machen, mir den Kapitän entgegenzuschicken!«

»Einen Fehler? Inwiefern?«

»Es darf mich kein Mensch hier mit ihm sehn.«

»Ein größerer Fehler wäre es gewesen, wenn ich ihm erlaubt hätte, hier auf dich zu warten.«

»Wollte er das? Unvorsichtiger Mensch! Sprach er von unserm Geschäft?«

»Nein, kein Wort.«

»Und auch du nicht?«

Josefa wurde ein wenig verlegen und erwiderte: »Ich fing davon an, aber er ging nicht drauf ein.«

»Das glaube ich. Ein Mann wie Henrico Landola, spricht über solche Dinge nicht mit Frauen. Sagtest du ihm, wo ich war?«

»Nein. Ich sagte ihm nur, daß er dich auf dem Paseo treffen könne. – Also du hast das Mittel? Was ist es? Ein Pulver oder eine Flüssigkeit?«

»Ein Pulver.«

»Zeige es!«

Der Sekretär öffnete das Tütchen und zeigte seiner Tochter den Inhalt.

»Wann wirst du es anwenden? Noch heut?«

»Ich muß warten. Alfonso ist noch nicht da.«

»Der braucht nicht notwendigerweise dabeizusein.«

»So muß ich wenigstens vorher mit Kapitän Landola sprechen.«

»Dann kann Don Fernando das Pulver also morgen bekommen?«

»Möglicherweise.«

»Aber wie? Diese alte Marie läßt keinen Menschen zu ihm. Sie wacht über ihn wie ein Drache.«

»Es muß sich aber irgendein Weg finden lassen.«

»Wie wirkt das Mittel?«

»Es wirkt innerhalb einer Nacht, und die Wirkung hält eine volle Woche an.«

»So wird er vielleicht sterben, weil er verwundet ist.«

»Das ist dann meine Schuld nicht. Ich will ihn scheintot machen; stirbt er, so ist mein Gewissen frei von einem Vorwurf.« –

Als es dunkel geworden war, machte sich Cortejo zum Stelldichein auf und ging langsam dem Paseo zu. Reiten wollte er nicht, weil dies bei einer Unterredung mit Landola zu unbequem gewesen wäre. Er traf den Kapitän bereits an.

»Ah, pünktlich!« sagte dieser, als er ihn erkannte. »Das ist recht; ich liebe das!«

»Ich ebenso. Wo habt Ihr Eure Zeit verbracht, Señor Landola?«

»Ah, es gibt verschiedne Spelunken, in denen man sich wohlbefinden kann; man spricht aber nicht davon«, lautete die Antwort. »Gebt mir Euern Arm, wir wollen zur Sache kommen!«

Sie schritten, Arm in Arm, dabei leise flüsternd, weiter.

»Also Ihr habt den Brief Eures Bruders Gasparino erhalten?« begann der Seekapitän.

»Ja. Und Ihr Eure Anweisung, Señor?«

»Nein.«

»Ah, ich dachte doch.«

»Hm, Ihr drücktet Euch nur falsch aus, Señor«, sagte Landola mit einem kurzen Lachen. »Kapitän Henrico Landola ist sein eigner Herr und Meister. Er läßt sich von einem andern keinen Befehl oder eine Anweisung erteilen.«

»So verzeiht! Ich hatte das Wort nicht im Sinn einer Unterordnung gemeint.«

»Dann ist es gut. So will ich Euch also sagen, daß Euer Bruder mich gebeten hat, Euch in einer geheimen Angelegenheit zu unterstützen.«

»Inwiefern?«

»Hm, vielleicht einen Menschen zu beseitigen!« entgegnete der Kapitän leichthin.

»Tot oder lebendig?«

»Nach dem Wunsch Eures Bruders tot!«

»Wenn ich nun aber anders dächte als mein Bruder!?«

»Das hängt von der Bezahlung ab«, grinste Landola. »Wieviel bietet Ihr?«

»Sind Euch 1 000 Duros willkommen?«

»Einverstanden. Was soll ich mit dem Burschen tun?«

»Ihn verschwinden lassen.«

»Wo?«

»Das steht in Euerm Belieben.«

»Gut. Wann kann ich die ›Fracht‹ erhalten?«

»Wie lange liegt Ihr im Hafen?«

»Bis die Sache in Ordnung ist. Doch hoffe ich, daß Ihr mich in dem verdammten Fiebernest nicht auf die Folter spannen werdet, sonst segle ich auf und davon. Ich habe keine Lust zu sterben.«

»Ich werde mich beeilen. Wißt Ihr, um wen es sich handelt?«

»Nein. Ich nehme meine Fracht auf und bekümmre mich den Teufel darum, wer es ist.«

Wenn es hell gewesen wäre, so hätte Cortejo an der Miene des Kapitäns sehn können, daß er log. Landola durchschaute sämtliche Pläne der beiden Brüder Cortejo und hatte sich längst im stillen vorgenommen, seinen Vorteil dabei zu wahren.

»Aber er wird Euch seinen Namen sagen«, bemerkte der Sekretär.

»Ich werde es ihm nicht glauben.«

»Eure Matrosen werden es hören.«

»Es wird kein einziger ihn zu sehn bekommen.«

»Werden wir später erfahren, wohin Ihr ihn schafftet?«

»Vielleicht. Das kann ich jetzt noch nicht wissen.«

»Gut. Ich nehme an, der Mann stirbt morgen –«

»Wann wird er da begraben?«

»In zwei Tagen eigentlich, aber sein Neffe ist nicht da ...«.

»So begräbt man ihn in dessen Abwesenheit.«

»Das geht nicht gut an.«

»Ah, dann ist es ein vornehmer Mann! Alle Teufel, so wird am Ende gar der Arzt sagen, daß er ihn einbalsamieren wolle.«

»Das werde ich nicht zugeben. Man kann ja vorschützen, daß dies in der Familie nie gebräuchlich gewesen sei, oder daß der Verstorbene irgendein Vorurteil gegen dergleichen gehabt habe.«

»Richtig. Wie aber bringen wir ihn nach dem Hafen?«

»Hm. Im Sarg doch nicht.«

»Nein. Das wäre zu auffällig.«

»In einem Kasten?«

»Da erstickt er.«

»Man bohrt Löcher.«

»Ist erst recht auffällig.«

»So wird ein leichter Korb das beste sein.«

»Jedenfalls. Aber wie bringt Ihr diesen zur Küste?«

»Auf Maultieren.«

»Und auf das Schiff?«

»Das Einschiffen des Korbes wird Eure Sache sein, Señor Landola.«

»Hm, das ist mir nicht lieb! Aber meinetwegen, ich werde Euch den Gefallen tun. Seht nur zu, daß Euch der Korb unterwegs nicht abhanden kommt!«

»Das macht mir allerdings Sorge. Der Weg von hier zur Küste ist keineswegs sicher. Es treiben da allerhand rote und weiße Kerle ihr Wesen, denen nicht zu trauen ist.«

»Ihr müßt für eine gute Bedeckung sorgen.«

»Das ist schwierig. Man müßte die Leute einweihn.«

»Nicht nötig. Geht doch selber mit!«

»Ich kann eigentlich nicht, werde es mir aber überlegen. Wie aber merkt Ihr, daß wir angekommen sind, Señor Capitano?«

»Sehr einfach: Ihr sendet mir einen Boten auf das Schiff.«

»Ihr kommt dann selbst?«

»Das weiß ich noch nicht! Ihr schafft den Korb doch nicht etwa bis in die Stadt hinein?«

»Fällt mir nicht ein.«

»So sucht Euch einen recht einsamen Platz an der Küste aus, wo ein Boot gut landen kann! Sobald ich höre, daß Ihr dort seid, komme ich des Nachts und hole den Korb ab.«

»Recht so. Nun aber sind wir wohl einig.«

»So wollen wir uns verabschieden.«

»Habt Ihr solche Eile?«

»Ich habe noch eine kleine Zerstreuung vor, Señor Cortejo. Ihr wißt, das Leben zur See ist verdammt langweilig; kommt man dann einmal an Land, so wird man doch kein Esel sein.«

»Ich verstehe. Also gute Nacht, Señor.«

»Gute Nacht. Beeilt Euch mit dem Begräbnis!«

»Es soll rasch genug gehn.«

Die beiden Biedermänner gingen auseinander. –

Graf Fernando, der verwundet auf seinem Ruhebett lag, hatte keine Ahnung davon, daß bereits über sein Begräbnis verfügt war.

Das Glück, oder vielmehr der Teufel, war Cortejo günstig gesinnt. Nämlich als er den Palast seines Herrn erreichte und nach seiner Wohnung gehn wollte, traf er auf die alte Marie Hermoyes, die vom Brunnen kam und ein volles Wasserglas in der Hand trug.

»Wie geht es Don Fernando?« fragte er.

»Er klagt nicht«, entgegnete sie.

»Hat sich das Wundfieber bereits eingestellt?«

»Nein; aber einen schrecklichen Durst hat er. Ich muß ihm fast viertelstündlich ein Glas kaltes Wasser vom Brunnen holen.«

»War der Arzt wieder hier?«

»Zweimal. Er sagte, daß keine edlen Teile verletzt sind; es ist daher nichts zu befürchten, wenn nicht etwas Unerwartetes dazwischen kommt.«

»Wünschen wir, daß der Graf bald gesund wird! In so heißen Gegenden kann die kleinste Verletzung lebensgefährlich werden.«

»Das ist wahr. Aber ich habe keine Zeit, Señor. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Sie hatten vor der Tür zu der Wohnung Maries gestanden. Jedenfalls hatte die Alte in dieser etwas zu holen. Sie setzte deshalb das Glas einstweilen in eine nahe Mauernische und trat ins Zimmer.

Cortejo hatte sich kaum von der Stelle gerührt. Das Pulver steckte in seiner Tasche. Ein rascher Blick überzeugte ihn, daß er allein und unbemerkt sei. In fieberhafter, zitternder Elle zog er das Tütchen hervor, öffnete es und schüttete den Inhalt ins Glas. Dann entfernte er sich mit schnellen Schritten. –

Cortejos Tochter war noch nicht zur Ruhe gegangen, sondern erwartete ihren Vater. Er erzählte ihr freudig, wie ihm sein verbrecherischer Streich geglückt war. Sie hörte ihm staunend zu und schlug, als er geendet hatte, in hellem Entzücken die Hände zusammen.

»Ah, herrlich!« sagte sie. »Nun haben wir gewonnen; nun ist alle Ungewißheit vorüber; nun weiß ich gewiß, daß ich Gräfin werde! Wann kann Alfonso hier sein?«

»In einigen Tagen. Hat er sich aber gesputet, so könnte er bereits am morgenden Tag eintreffen.«

»So werde ich diese Nacht vor Freude und Erwartung nicht schlafen.«

»Du wirst aber dennoch wohl tun, dein Schlafzimmer aufzusuchen. Wenn mit dem Grafen etwas Ungewöhnliches geschieht, wird man natürlich alle wecken. Jedermann wird notdürftig angezogen erscheinen, und dann könnte es auffallen, wenn du völlig angekleidet bist. Wir müssen auch im Kleinsten vorsichtig sein.«

»Du hast recht. Ich setze nun den Fall, der Graf verfällt in Starrkrampf. Wirst du dann dieser Marie die Herrschaft im Krankenzimmer überlassen?«

»Das fällt mir gar nicht ein!«

»Ich wollte es dir auch raten und dich zugleich warnen. Der Graf scheint ein andres Testament gemacht zu haben.«

»Donnerwetter!« fluchte Cortejo überrascht.

»Ja, ich vermute es wenigstens. Nicht wahr, man pflegt vor einem Duell stets erst seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen?«

»Allerdings. Jedenfalls hat dies Don Fernando auch nicht versäumt.«

»Er hat sehr lange geschrieben, wie der Diener sagte.«

»Das ist aber noch kein Grund zu der Vermutung, daß er ein neues Testament angefertigt habe.«

»Ich habe noch andre Gründe. Warum hält er das, was er schrieb, so geheim? Warum verschließt er es nicht in seinem Schreibtisch, wo er doch Ähnliches aufzubewahren pflegt?«

»Er hat es anderswo aufbewahrt?«

»Ja. In den Händen dieser alten Marie Hermoyes.«

»Alle Teufel!« rief Cortejo bestürzt. »Weißt du das genau?«

»Ja. Sie ist mit einem großen, fünffach versiegelten Umschlag aus seinen Gemächern gekommen, und als sie nach dem Duell zu ihm gerufen wurde, hat sie diesen Umschlag wieder mitgebracht.«

»Wer sagte dies?«

»Der Kammerdiener.«

»Das ist allerdings auffällig! Mir hat er gestern ein so großes Mißtrauen gezeigt und ihr ein ebenso großes Vertrauen. Er hat sicherlich eine Änderung seines Testaments vorgenommen. Aber was sollte er verändern? Alfonso bleibt doch der Erbe!«

»Oder auch nicht«, meinte Josefa. »Don Fernando ist mit ihm nicht zufrieden; er kann ihn enterben, da Alfonso nur der Neffe ist. Anders verhält es sich mit Don Manuels Gütern in Spanien. Diese sind Majorat (Familiengut) und gehn unter allen Umständen auf Alfonso über.«

»Das ist richtig. Auffällig bleibt, daß Don Fernando grade dieser Amme sein Vertrauen schenkt.«

»Ja, sie hat Alfonso einst herübergebracht und kann vielleicht etwas ahnen.«

»Sollte sie diese Ahnung dem Grafen mitgeteilt haben?«

»Wir müssen sie unschädlich machen, Vater! Was denkst du, wo der Graf den Umschlag aufbewahrt hat?«

»Jedenfalls im mittelsten Fach des Schreibtisches, wo alles Wichtige zu liegen pflegt.«

»So ist das erste, was du tun mußt, dieses Fach zu öffnen, sobald das Pulver wirkt.«

»Ich werde es möglich zu machen suchen. Jetzt aber gute Nacht!«

Cortejo ging zur Ruhe. Auch seine Tochter suchte ihr Schlafzimmer auf, doch fand sie, wie sie vorausgesagt hatte, den Schlummer nicht, sondern sie lag mit wachen Augen auf dem Bett und träumte von zukünftiger Herrlichkeit und von einem glänzenden Leben. Daß dieses Leben nur mit schweren Verbrechen erkauft worden sei, das machte ihr nicht das mindeste Bedenken.

So verging eine Stunde nach der andern, und Cortejo lag bereits im tiefsten Schlaf, da klopfte es hastig an seine Tür. Er erwachte und fragte, wer draußen sei.

»Arnoldo, der Diener«, lautete die Antwort. »Oh, bitte, Señor, öffnet mir! Es muß mit Don Fernando etwas geschehn sein!«

»Gleich.«

Cortejo sprang jäh aus dem Bett, fuhr in den Schlafrock und brannte schnell ein Licht an; dann öffnete er die Tür, und der Diener trat ein.

»Was ist denn mit dem Grafen?« fragte der Sekretär.

»Ich weiß es nicht. Ich hatte heute die Wache. Ich saß auf dem Stuhl im Vorzimmer und schlummerte ein wenig; da hörte ich einen Schrei. Er kam aus der Krankenstube, die von innen verschlossen ist. Ich fragte, was es gebe, erhielt aber keine Antwort. Die alte Marie klagte und jammerte darauf zum Erbarmen, öffnete aber nicht. Da bin ich denn fortgelaufen, um es Euch zu melden, Señor.«

»Daran hast du recht getan. Wir müssen die Sache sofort untersuchen.«

Cortejo folgte dem Diener nach dem Vorzimmer, wo sie allerdings die Amme klagen hörten. Sie klopften, aber es erfolgte keine Antwort.

»Aufgemacht!« rief da Cortejo gebieterisch und stieß mit dem Fuß gegen die Tür.

Dies brachte die fast sinnlose Alte zu sich. Sie kam herbei und öffnete.

»Was ist geschehn?« fragte der Sekretär.

»Oh, der liebe, gute, gnädige Herr!« jammerte sie. »Er ist tot – tot!«

Cortejo trat ans Lager des Grafen und blickte diesen an. Don Fernando lag bleich und mit eingefallnem Gesicht da wie eine Leiche,

»Wann ist es geschehn?« fragte er die Amme.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie.

»Du mußt es wissen, du hast ja bei ihm gewacht!«

»Ich schlummerte, und als ich aufwachte, war er tot. Ich weiß nicht, wie lang ich nachher geweint habe.«

»Unglückliche, du bist vielleicht schuld an seinem Tod!« fuhr er sie an. »Warum hast du nicht geöffnet, als der Diener herein wollte? Es wäre wohl noch Rettung möglich gewesen.«

»Nein; er war bereits tot«, entschuldigte sich die Alte.

Der Blick Cortejos war gleich beim Eintreten nach dem Schreibtisch geglitten, wobei er bemerkte, daß der Schlüssel im Schloß steckte.

»Geht, weckt die Leute und holt den Arzt herbei! Schnell, schnell!« gebot er.

Auf diesen Befehl eilte der Diener fort, und auch die Amme verließ händeringend das Zimmer. Mit raschen Schritten stand Cortejo nun am Schreibtisch, öffnete das Fach, fand den Umschlag, steckte ihn in seine Tasche und verschloß das Fach wieder. Dann eilte er den beiden nach.

Dies war so schnell gegangen, daß die Amme eben erst die Tür des Vorzimmers erreicht hatte. Hier faßte Cortejo ihren Arm und sagte:

»Halt, Marie! Nicht wahr, Don Fernando hatte Vertrauen zu dir?«

»Oh, mehr als zu jedem andern«, antwortete sie schluchzend.

»Gut, du sollst auch jetzt bei ihm bleiben, bis das Gericht eintrifft. Du sollst darüber wachen, daß nichts abhanden kommt! Geh wieder hinein; ich werde die Leute selbst wecken.«

Das war der Alten recht. Sie kehrte ins Krankenzimmer zurück und begann ihr Wehklagen von neuem.

Auf Cortejos Ruf erwachten alle Bewohner des Palastes und eilten herbei, um sich von dem unerwarteten Tod ihres Gebieters zu überzeugen. Es erhob sich ein großes Klagen, das erst endete, als der Arzt erschien.

Dieser war im höchsten Grad bestürzt über das unerwartete Ereignis und jagte zunächst die heulenden Weiber und Diener fort. Nur Cortejo nebst dem Kammerdiener und der Amme erlaubte er zu bleiben.

Darauf untersuchte er die Leiche, schüttelte den Kopf und sagte: »Tetanus, Starrkrampf. Er ist noch warm. Wir müssen noch warten.«

Cortejo fürchtete, daß er auf den Gedanken verfallen werde, eine Ader zu schlagen; das war aber nicht der Fall. Der Arzt erklärte nur, bis zum Morgen selber bei der Leiche bleiben zu wollen, und so zog sich denn der Sekretär mit dem Diener zurück. Nur Marie, die Amme, blieb bei dem Doktor.

Als Cortejo in sein Zimmer zurückkehrte, fand er Josefa seiner wartend. Sie war, wie auch die andern, notdürftig bekleidet zu der Leiche geeilt, hatte sich aber jetzt angezogen.

»Hast du den Brief?« war ihre erste Frage.

»Ja, ich fand ihn im mittlern Fach. Es steht keine Anschrift drauf. Laß uns sehn!«

Cortejo erbrach die Siegel, zog die Bogen aus dem Umschlag, entfaltete sie und las. Er wurde blaß.

»Was ists?« fragte Josefa besorgt.

»Da, lies selbst!« entgegnete er, als er fertig war.

Seine Tochter folgte der Aufforderung; auch sie entfärbte sich. Als sie zu Ende war, warf sie den Bogen zur Erde.

»Dachte ich es mir doch!« rief sie. »Enterbt!«

»Keinen Heller hätten wir bekommen!«

»Dieser Marie hat er einen förmlichen Reichtum ausgesetzt«, zürnte das ergrimmte Mädchen.

»Und wir sollten in eine Untersuchung verwickelt werden. Es sollte nachgeprüft werden, ob Alfonso wirklich Graf von Rodriganda sei.«

»Wie gut, daß wir diesen Wisch haben!«

»Verbrenne ihn!«

»Es ist doch nicht bemerkt worden, daß du beim Schreibtisch warst? Auch die Amme hat nichts gesehn?«

»Nein. Es ist so schnell gegangen, daß sie ganz sicher glaubt, ich habe hinter ihr sogleich das Zimmer verlassen.«

»So steht nichts zu befürchten. Gut! Der Brief wird verbrannt, und damit ist alle Besorgnis verschwunden. Nun fehlt nur noch Alfonso.«

»Ich werde in seiner Vertretung handeln. Die Behörde wird sich zunächst in allem an mich, als den Sekretär des Verstorbenen, wenden müssen.«

»Wie steht es mit den Verwesungsflecken?«

»Es wird sich eine Gelegenheit finden, sie anzubringen.«

»Für dich oder für mich?«

»Für mich. Ich verstehe das besser.«

»Bleibt der Graf im Zimmer liegen?«

»Nein; das wird gerichtlich verschlossen, bis das Testament eröffnet ist.«

»Wann wird dies geschehn?«

»Nach hiesigen Gesetzen noch heut, um zu sehn, wer der Erbe ist und hier zu gebieten hat.«

»Aber wohin kommt die Leiche?«

»Auf ein Prunkbett im großen Saal. Bereite alles Nötige dazu vor! Er wird schwarz ausgeschlagen.«

»Oh, was gibt es da für mich zu tun!«

»Für mich ebenso. Ich habe für den Sarg zu sorgen und alles übrige zu leiten. Der Tag graut bereits. Ich werde die Arbeit sogleich beginnen.«

»Ich ebenso, und zwar mit diesem Papier.« Damit ergriff Josefa den Umschlag samt Inhalt und ging zum Kamin. Hell loderte das Feuer auf. –

Nach einigen Stunden wurde Cortejo zum Arzt gerufen.

»Ihr seid der Sekretär von Don Fernando?« fragte dieser. »Ihr habt alle seine Angelegenheiten geleitet?«

»Allerdings.«

»So erkläre ich Euch, daß der Graf wirklich tot ist.«

Cortejo machte ein sehr erschüttertes Gesicht. »Ists möglich!« klagte er.

»Auch ich hielt es für unmöglich, mußte aber doch endlich dran glauben.«

»Ihr sagtet, es sei Tetanus?«

»Ja. In unserm südlichen Klima kann die kleinste Verletzung zum Tod durch Starrkrampf führen.«

»Schrecklich! Señor, Ihr werdet mir gestatten, die Leiche von hier zu entfernen? In einer halben Stunde werden die Vertreter der Behörde erscheinen, um die Nachlaßangelegenheit zu ordnen.«

»Wer wird der Erbe sein?«

»Don Alfonso, wie ich vermute.«

»Ihr wart als Zeuge zugegen, als der jetzt verstorbene Graf sein Testament abfaßte?«

»Ja.«

»So kann ich Eure Vermutung als Gewißheit nehmen. Wollt Ihr die Gewogenheit haben, mich Don Alfonso zu empfehlen? Ich habe stets das Vertrauen Don Fernandos besessen.«

»Ich werde mein möglichstes tun, Señor!« erwiderte Cortejo bejahend.

»So werde ich Euch für die Herren von der Behörde den Totenschein ausstellen, behalte mir aber eine nochmalige Untersuchung der Leiche vor, ehe sie beerdigt wird.«

»Ich bitte sogar darum, Señor.«

Somit war die Hauptsache in Ordnung gebracht.

Man hatte den Toten noch nicht fortgeschafft, als die Gerichtspersonen erschienen. Die alte Amme mußte sich entfernen, und nur Cortejo durfte bleiben als derjenige, der zu Lebzeiten des Grafen diesen zu vertreten gehabt hatte.

Don Fernando hatte sein erstes Testament bei der Behörde hinterlegt; dieses wurde jetzt geöffnet. Es stellte sich heraus, daß Alfonso der einzige Erbe sei. Ferner war hervorzuheben, daß dem Erben anempfohlen wurde, den Sekretär, dem überdies ein höchst beträchtliches Vermächtnis zufiel, in seinem Dienst zu behalten. Auch sämtliche Bedienstete waren bedacht, doch sollten sie dies erst nach dem Begräbnis erfahren.

»Und wo befindet sich Graf Alfonso?« fragte der Testamentseröffner.

»Auf einer fernen Hazienda.«

»Wann kehrt er zurück?«

»Vielleicht heute, spätestens in einigen Tagen.«

»Laßt mich sein Eintreffen sofort wissen, Señor! Ich werde ihn besuchen, um das Nötige mit ihm zu bereden. Für jetzt aber erteile ich Euch Vollmacht, im Sinn des Testaments für die Beerdigung zu sorgen und das übrige zu leiten. Wo befinden sich die Papiere des Verstorbenen?«

»In der Bücherei und hier.«

»Und die Gelder, Wertsachen und dergleichen?«

»In diesem Schreibtisch.«

»So sehe ich mich genötigt, die ganze Wohnung Don Fernandos bis auf weiteres unter Siegel zu legen. Ihr haftet dafür, daß die Siegel beachtet werden!«

Cortejo nickte und erwiderte:

»Ich ersuche Euch, mir zuvor eine Summe zum Zweck der Beerdigung auszuhändigen. Ich werde darüber Rechnung ablegen.«

»Die sollt Ihr haben.«

Somit war alles geordnet, und die Zimmer des Grafen wurden versiegelt, nachdem die Leiche in den Saal geschafft worden war.


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