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9. Der deutsche Arzt

Seit den geschilderten Ereignissen war ein halbes Jahr vergangen.

Von den südlichen Ausläufern der Pyrenäen kommend, trabte ein Reiter auf die altberühmte spanische Stadt Manresa (Provinz Barcelona) zu. Er ritt ein ungewöhnlich starkes Maultier, und dies hatte seinen guten Grund, denn er selber war von hoher, mächtiger Gestalt. Wer einen Blick auf ihn warf, der sah sofort, daß dieser riesige Reitersmann eine ganz ungewöhnliche Körperkraft besitzen mußte. Und wie die Erfahrung lehrt, daß grad solche Kraftgestalten das friedfertigste Gemüt besitzen, so lag auch auf dem offnen und vertrauenerweckenden Gesicht dieses Mannes ein Ausdruck, der keinen Glauben an den Mißbrauch solch außergewöhnlicher Körperstärke aufkommen ließ.

Sein blondes Haar und seine Züge berechtigten zu der Vermutung, daß er kein Südländer sei; doch war sein Gesicht von der Sonne tief gebräunt, und sein Auge hatte den scharfen, umfassenden und durchdringenden Blick, den man nur an Seeleuten, Präriejägern oder weitgereisten Männern zu beobachten pflegt.

Er mochte vielleicht dreißig Jahre zählen, aber sein ganzes Wesen atmete jene Ruhe, Erfahrung und Gewißheit, die den Menschen älter erscheinen lassen als er ist. Seine nach französischem Schnitt gefertigte Kleidung war aus seinen Stoffen, aber bequem gearbeitet, und hinter dem Sattel war ein Reitfelleisen befestigt, das Dinge zu enthalten schien, die dem Reiter wertvoll waren, denn wie unwillkürlich griff er zuweilen danach, um sich zu überzeugen, ob es noch vorhanden sei.

Als er Manresa erreichte, war es bereits am späten Nachmittag. Er ritt durch die alten Mauern und engen Straßen, bis er die Plaza Marktplatz erreichte, wo er ein neugebautes, hohes Haus bemerkte, über dessen Tür in goldnen Lettern zu lesen war »Hotel Rodriganda«. Der Schärfe seines Ritts nach war zu vermuten, daß er nicht beabsichtigt hatte, in Manresa Einkehr zu halten; sobald er aber dieses Schild gelesen, lenkte er sein Tier in kurzem Trab nach dem Tor des Gasthofs und stieg ab.

Jetzt erst, als sein Fuß die Erde berührte, konnte man seine Erscheinung voll bewundern. Wenn im ersten Augenblick das Herkulische seiner Figur außergewöhnlich erscheinen mußte, so war es doch zugleich die Ebenmäßigkeit seines Gliederbaus, die jenen Eindruck milderte und neben der Bewunderung und Achtung eine freundliche Zuneigung erweckte.

Einige dienstbare Geister eilten herbei, um ihm behilflich zu sein. Er überließ ihnen sein Maultier und trat in den Raum, der für vornehme Gäste bereitgestellt zu sein schien. Dort befand sich nur ein einziger Mann, der sich bei seinem Eintritt höflich erhob.

» Buenas tardes – guten Abend!« grüßte der Fremde.

» Buenas tardes!« antwortete der Mann. »Ich bin der Wirt. Befehlen Euer Gnaden vielleicht eine Wohnung?«

»Nein, gebt einen Imbiß und eine Flasche Vino regio!«

Der Wirt erteilte die betreffenden Befehle und fragte dann:

»So wollt Ihr heut nicht in Manresa bleiben?«

»Ich reite noch bis Rodriganda. Wie weit ist es bis dahin?«

»Ihr werdet es in einer Stunde erreichen, Señor. Es sah aus, als ob Ihr erst die Absicht hättet, an meinem Gasthof vorüberzureiten.«

»Allerdings«, antwortete der Fremde. »Der Name Eures Hotels hielt mich zurück. Warum nennt Ihr Euer Haus Rodriganda?«

»Weil ich längere Jahre Diener des Grafen war und es seiner Güte verdanke, daß ich mir dieses Einkehrhaus bauen konnte.«

»So kennt Ihr die Verhältnisse des Grafen genau?«

»Sehr genau.«

»Ich bin Arzt und stehe im Begriff, mich ihm vorzustellen. Es wäre mir lieb, mich erkundigen zu können. Wer sind die Personen, die man auf Schloß Rodriganda antrifft?«

Dem Wirt schien es lieb, in der einsamen Nachmittagsstunde eine Unterhaltung zu finden. Redselig erwiderte er:

»Ich bin gern bereit, Euch jede Auskunft zu geben, Señor. An Eurer Aussprache des Spanischen, höre ich, daß Ihr ein Ausländer seid. Jedenfalls seid Ihr von dem kranken Grafen herbeigerufen worden?«

Der Fremde wiegte den Kopf leise hin und her, als sei er zweifelhaft, welche Antwort er geben solle, dann meinte er:

»Es ist so ähnlich, wie Ihr meint. Ich bin ein Deutscher und heiße Sternau, war jedoch längere Zeit erster Assistenzarzt beim Professor Letourbier in Paris und wurde dort vor kurzem gebeten, schleunigst nach Rodriganda zu kommen.«

»Ah so! Vielleicht findet Ihr den Grafen gar nicht mehr am Leben. Er ist seit einiger Zeit blind, unheilbar blind, wie die Ärzte sagen, und neuerdings hat sich auch ein arges Steinleiden bei ihm entwickelt, das neben seiner außerordentlichen Schmerzhaftigkeit schließlich lebensgefährlich wurde. Nur eine Operation kann ihm helfen. Er war bereit, sie vornehmen zu lassen, und rief zu diesem Zweck zwei der berühmtesten Chirurgen an sein Krankenbett, fand aber ganz unerwarteten Widerstand bei seiner einzigen Tochter, Condesa Rosa. Die Ärzte konnten jedoch nicht warten, und gestern hörte ich, daß heute der Schnitt vorgenommen werden sollte.«

»O weh, so komme ich zu spät!« rief der Fremde, indem er emporsprang. »Ich muß schleunigst fort. Vielleicht ist es noch Zeit.«

»Schwerlich, Señor. Einen solchen Schnitt führt kein Arzt in der Stunde der Dämmerung aus. Übrigens ist es doch möglich, daß man noch gewartet hat, da die gnädige Condesa die Operation von Tag zu Tag verschieben ließ, obgleich die Ärzte, und besonders der Sohn des Grafen, keinen Aufschub gelten lassen wollten.«

»Der Graf Manuel de Rodriganda y Sevilla hat einen Sohn?«

»Ja, einen einzigen; es ist Graf Alfonso, der eine lange Reihe von Jahren in Mexiko gewesen ist, wo sein Onkel ausgedehnte Besitzungen hat. Er wurde vor kurzer Zeit nach Haus gerufen, als sich die Augenkrankheit seines Vaters als unheilbar herausstellte.«

»Kennt Ihr den Namen Mindrello?«

»Oh, den kennt jedes Kind. Mindrello ist ein armer, ehrlicher Teufel, den man in Verdacht hat, daß er zuweilen ein wenig Pascherei treibt; darum nennt man ihn gewöhnlich Mindrello, den Schmuggler. Aber Ihr könnt ihm volles Vertrauen schenken. Er ist besser als mancher andre, der ihn verachtet.«

»Ich danke, Señor. Nach dem, was ich vernommen habe, darf ich mich nicht länger hier verweilen. Buenas noches – gute Nacht!«

» Buenas noches, Señor! Ich wünsche, daß Ihr nicht zu spät kommt.«

Doktor Sternau bezahlte das Verzehrte, ließ sich sein Maultier vorführen, schwang sich hinaus und ritt im Galopp davon.

Der Tag neigte sich bereits zu Ende, so daß Rodriganda vor Einbruch der Dunkelheit schwerlich zu erreichen war. Während das Maultier leicht und flüchtig auf der Straße dahinjagte, griff der Reiter in die Tasche und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor. Dessen Zustand ließ vermuten, daß Sternau die darauf enthaltenen Zeilen bereits oft gelesen habe. Dennoch faltete er es jetzt während des Reitens wieder auseinander und las zum hundertstenmal die von geschmeidiger Frauenhand geschriebnen Worte:

»Herrn Doktor Sternau, Paris, Rue Vaugirard 24.

Mein Freund!

Wir nahmen voneinander Abschied fürs ganze Leben; aber es sind Umstände eingetreten, die mich dringend wünschen lassen, Euch hier zu sehn. Ihr sollt dem Grafen Rodriganda das Leben retten! Kommt schnell, schnell und bringt Eure Instrumente mit! Kehrt bei Mindrello, dem Contrebandier, ein und fragt nach mir! Aber ich flehe Euch an, sehr eilig zu erscheinen.

Eure
Roseta.«

Nachdem Sternau das Schreiben gelesen hatte, faltete er es zusammen und barg es wieder in der Tasche. Er ritt jetzt durch einen dichten Eichenwald; aber er sah nicht die Eichen und nicht den Weg, den sie besäumten. Er dachte zurück an Paris und an die Stunde, in der er die Schreiberin des Briefs zum erstenmal gesehn hatte.

Das war im Jardin des Plantes gewesen, als er, um ein Wäldchen schreitend, sie daselbst auf einer Bank sitzen sah. Erstaunt und verwirrt vom Liebreiz der jungen Dame, die er in ihrer Einsamkeit gestört hatte, war er zurückgewichen. Auch sie erhob sich, und nun sah er sich einer Schönheit gegenüber, wie er sie in dieser Vollendung kaum für möglich gehalten hatte. Er, der erfahrne Arzt, fühlte, daß seine Pulse stehnblieben, um ihm dann mit zehnfacher Geschwindigkeit das Blut aus dem Herzen nach den Schläfen und in die Wangen zu treiben. Jene Stunde entschied über ihn und auch – über sie. Sie liebten einander, wenn auch unglücklich. Er durfte sie nur in jenem Garten treffen und sehn. Sie war, wie sie ihm mitteilte, Gesellschafterin der Condesa Rosa de Rodriganda y Sevilla, die mit ihrem blinden Vater in Paris verweilte, und hatte aus Ursachen, die sie ihm nicht nennen konnte, das Gelübde getan, unverheiratet zu bleiben. Er fühlte sich hochbeglückt über ihre Gegenliebe, doch ebenso schmerzte ihn ihr unerschütterlicher Entschluß, den er nicht zu begreifen vermochte. Er bat und beschwor sie; sie weinte und blieb dennoch fest. Dann reiste sie ab, und er mußte ihr versprechen, sich niemals nach ihr zu erkundigen. Seit jener Zeit hatte er mit dem Leid gerungen, das sein Innerstes durchwühlte.

Da plötzlich erhielt er ihren Brief. Er las ihn und fühlte alle seine Nerven beben. Ohne zu fragen und zu zagen, packte er sofort das Nötige ein und folgte dem Ruf der Teuren. Er flog durch ganz Frankreich; er eilte über die Pyrenäen, und nun näherte er sich dem Ziel, wo er sie wiedersehn sollte, der er zu eigen war mit Seele und Leben. –

Der Galopp des Maultiers war ihm noch zu langsam; er trieb es zu vermehrter Eile, und als die Sonne hinter den westlichen Höhen niedertauchte, ritt er in das Dorf Rodriganda ein.

Es hatte ein weit besseres und freundlicheres Aussehn, als es gewöhnlich bei spanischen Dörfern der Fall zu sein pflegt. Die Straße war breit und sauber gehalten, und die Häuser des Orts lugten mit ihren funkelnden Fensterscheiben einladend aus den wohlgepflegten Blumengärten hervor. Dies war ein Zeichen, daß Graf Manuel de Rodriganda y Sevilla nicht nur ein Herr, sondern vielmehr auch ein Vater seiner Untertanen sei, der alles tat, um ihr Glück und Wohl zu fördern.

Sternau fragte einen ihm Begegnenden nach der Wohnung Mindrellos und wurde nach dem letzten Häuschen des Dorfs gewiesen. Dort sprang er vom Tier und trat ein. Die Familie des Gesuchten befand sich soeben bei einer einfachen Abendmahlzeit.

»Wohnt hier Mindrello?« fragte Sternau

»Ja, Señor, ich bin es«, antwortete der Mann, indem er sich vom Stuhl erhob.

Er war eine kräftige, untersetzte Gestalt, die jeder Strapaze gewachsen zu sein schien, und sein offnes Gesicht konnte ihm als die beste und zuverlässigste Empfehlung dienen.

»Kennt Ihr die Gesellschafterin der Condesa de Rodriganda?«

»Wie heißt sie?« forschte der Spanier mit gespannter Miene.

»Roseta.«

»Heilige Madonna von Cordoba, so seid Ihr wohl Señor Sternau aus Paris?«

»Der bin ich.«

Da erhoben sich sämtliche Mitglieder der Familie und streckten Sternau mit einem freudigen Willkommen die Hände entgegen. Sogar die Kleinen wagten sich herbei, um mit lachenden Gesichtern dem Beispiel der Erwachsenen zu folgen.

»Willkommen, herzlich willkommen!« rief Mindrello. »Ihr kommt grad noch zur rechten Zeit. Die gnädige Condesa, wollte sagen, die gute Señorita Roseta ist in großer Angst gewesen. Ich werde sogleich nach ihr senden.«

»Wurde der Graf heut operiert?«

»Nein, noch nicht; die Condesa hat so lange gebeten und gefleht, bis man es noch einmal verschoben hat; aber morgen wird es sicher geschehn. Die Condesa ist überzeugt, daß Ihr kommen werdet, Señor.«

»So weiß sie von dem Brief, den mir die Gesellschafterin, Señorita Roseta, geschrieben hat?«

»Ja, hm, natürlich weiß sie es«, antwortete der Spanier mit einiger Verlegenheit. »Aber, Señor, wir haben Euch für heut ein kleines Zimmerchen fertiggemacht, da oben im Giebel, wo die Blumen vor dem Fenster stehn. Ich werde Euch hinaufführen und Euch zugleich ein Abendbrot geben, bevor die Señorita kommt.«

»Und mein Maultier?«

»Das wird beim Nachbar einen Platz und auch Futter finden, bis Ihr mit ihm ins Schloß zieht. Wollt Ihr mir folgen, Señor?«

Mindrello führte Sternau darauf eine kleine Treppe empor in ein niedriges, aber höchst sauber gehaltenes Gemach, dessen Decke der Arzt mit dem Kopf erreichte. Bald wurde das Mahl gebracht, und währenddessen konnte Sternau durch das Fenster die herrlichste Aussicht auf das Schloß genießen.

Noch aus der Zeit der Mauren stammend, bildete es ein gewaltiges, durch malerisches Kuppelwerk gekröntes Viereck, das trotz der Massenhaftigkeit seiner hoch und lang gestreckten Fronten so leicht und zierlich gegliedert zum Himmel strebte, als sei es aus leuchtenden Minaretts, mit Rosenblättern verziert, gebildet. Von diesem weithin schimmernden Bau stachen die ihn umgebenden dunklen Korkeichenwaldungen wirkungsvoll ab. Wer ihn jetzt betrachtete, als das verglimmende Abendrot seine zauberischen Tinten über ihn warf, der konnte sich in jene Gegenden des Morgenlands versetzt fühlen, wo aus dem ewigen Pflanzengrün die Bauwerke der Kalifen so weiß, rein und unbefleckt emporragen, als ob sie von den Händen der Engel errichtet wären.

Der Tag schied aus dem Tal; die Dämmerung verschwand, und der Abend warf seine Schatten über Schloß und Dorf. Sternau brannte das Licht an und prüfte die Instrumente, die ihm Mindrello heraufgebracht hatte, eh er das Maultier zum Nachbar schaffte. Da hörte er die Stiege leise knarren, und dann klopfte es.

»Herein«, rief er.

Die Tür wurde geöffnet, und – da stand sie, vom Licht hell bestrahlt, sie, nach der er sich gesehnt hatte mit jedem Schlag seines Herzens.

»Roseta –«

Dieses eine Wort war alles, was er zu sagen vermochte. Ihre Stimme zitterte, als sie fragte:

»Señor Carlos, Ihr habt mich noch immer nicht vergessen?«

»Vergessen?« erwiderte er. »Verlangt von mir alles, aber verlangt nicht, daß ich Euch jemals vergessen soll!«

»Und dennoch muß es sein. Heut aber dürfen wir uns noch sehn, und so will ich Euch danken, daß Ihr gekommen seid. Laßt uns gleich von dem sprechen, was mich veranlaßte, Euch hierherzurufen!«

»Eure Zeilen waren unbestimmt. Sie ließen mich vermuten, daß der Graf sich in einer Gefahr befindet. Ich habe dann in Manresa gehört, daß er eine Operation erleiden soll.«

»Allerdings, aber es gibt noch andre Gründe, die mir Besorgnis einflößen, Gründe, die ich nur gegen Euch erwähnen kann, da ich zu Euch ein unendliches Vertrauen besitze. Ich weiß nicht, sondern ich ahne nur, daß der Graf sich auch noch in einer andern Gefahr befindet, als diejenige ist, die seine Krankheit befürchten läßt; aber nun ich Euch hier bei uns weiß, bin ich ruhig.«

Bei diesem Bekenntnis leuchtete sein Auge auf; er streckte ihr beide Hände entgegen:

»So groß ist Euer Vertrauen, Roseta? Oh, dann ist es ja sicher, daß Ihr mich noch liebt.«

Sie legte die Hände in die seinigen und antwortete:

»Ja, ich liebe Euch, Carlos, ich liebe Euch noch so innig, wie ich Euch bei unserm Scheiden liebte, und ich werde Euch weiter lieben. Ich bin Euch bisher ein Rätsel gewesen, aber morgen werdet Ihr imstande sein, dieses Rätsel zu lösen, und dann werdet Ihr begreifen, daß die Trennung unser einziges Schicksal ist.«

»Warum erst morgen? Warum nicht jetzt?«

»Weil meinem Mund das Wort zu schwer wird, das Ihr morgen erfahren sollt. Carlos, grollen wir dem Schicksal nicht, sondern suchen wir unser Glück in der reinen Freude darüber, daß unsre Herzen einander gehören, obgleich uns die Verhältnisse trennen! Laßt uns ohne Leidenschaft sprechen und zu der Angelegenheit übergehn, die mich zu Euch führt!«

Er zwang sich, ruhig zu sein, und führte sie zu einem Sessel.

»Ihr sollt hören, was ich von Euch wünsche.« begann sie. »Ihr wißt, daß der Graf unheilbar blind ist. Zu diesem Leiden ist ein neues und höchst schmerzhaftes getreten; er leidet an einer ausgebildeten Steinkrankheit, und die Ärzte, die wir zu Rate zogen, behaupteten, daß nur die Operation sein Leben retten könne. Er hat sich für diese Operation entschieden. Die Condesa liebt den Vater; er war ihr einziger Freund bisher, und sie war seine Hand, die ihn, den Erblindeten, durchs Leben leitete. Sie betet Tag und Nacht zu Gott, daß er gerettet werde, denn sie hegt die fürchterliche Angst, man habe den falschen Weg eingeschlagen. Die Ärzte sind kaltherzige Männer, denen sie kein Vertrauen schenkt. Der Notar Cortejo und Señora Clarissa, die den Grafen fast keinen Augenblick verlassen, gleichen unheilvollen Dämonen, die nach des Kranken Blut lechzen, und Graf Alfonso, der Sohn – ach, wie unglücklich, wie sehr unglücklich ist die Condesa!«

Roseta legte das bleiche Gesicht in die Hände und weinte. Sternau zog ihr die Hände von den Augen und bat: »Weint nicht, Señorita! Erleichtert Euer Herz, indem Ihr mir alles mitteilt!«

»Ich werde es tun«, entgegnete sie, indem sie sich faßte und ihre Tränen trocknete. »Die Condesa war ein sehr kleines Mädchen, als sie den fortgehenden Bruder zum letztenmal sah. Es vergingen fast achtzehn Jahre, und nun freute sie sich aus vollstem Herzen über seine Wiederkehr. Er kam, und sie eilte ihm entgegen, um an seine Brust zu fliegen; aber nur einen einzigen Schritt, dann blieb sie halten und vermochte es nicht, ihm ihre Arme entgegenzustrecken. Der vor ihr stand, den durfte sie nicht berühren; sie wußte nicht warum, aber eine innere Scheu sagte es ihr. Das war nicht das Auge oder die Stimme eines Bruders, sein Angesicht war hart, und seine Worte klangen herzlos. Und dann, als sie ihn von Tag zu Tag beobachtete, gewahrte sie die Blicke, die er auf seinen Vater warf. Ein jeder dieser Blicke sagte: ›Ich laure nur auf deinen Tod!‹ Da wurde ihr angst, sie ahnte ein böses Geheimnis, und in dieser Not schrieb sie – bat sie mich, an Euch zu schreiben, damit Ihr kommen und helfen möchtet.«

»Was ich tun kann, soll geschehn«, versicherte Sternau. »Die Operation wird morgen stattfinden?«

»Ja. Man will sie auf keinen Fall länger hinausschieben. Ich hörte, daß sie um elf Uhr vorgenommen werden soll.«

»Werde ich vorher den Grafen sehn und sprechen dürfen?«

»Ja, wenn Ihr Euch bei der Condesa meldet. Kommt zu ihr um neun Uhr! – Habt Ihr bereits einmal eine Blasensteinoperation ausgeführt?«

Sternau lächelte ein wenig. »Sehr oft, Señorita. Ich glaube sogar, daß ich grad auf diesem Feld etwas leiste.«

»Ist die Operation sehr gefährlich?«

»Um dies sagen zu können, muß man den Fall untersucht haben. Warten wir, bis dies geschehn ist!«

»Ja, warten wir! Ich habe zu Euch ein unerschütterliches Vertrauen. Nur Ihr allein werdet Rettung bringen, wenn solche überhaupt möglich ist.«

Sie erhob sich.

»Ihr wollt gehn, Señorita?«

»Ja; ich werde sonst vermißt. Also um neun Uhr kommt Ihr?«

»Ich komme! Darf ich Euch nicht begleiten, Señorita?«

»Es ist dunkel, und man wird uns nicht sehn. Ja, kommt bis zum Schloß mit!«

Sie verließen das Häuschen, und er reichte ihr den Arm. Als sie endlich vor dem Parktor standen, um Abschied zu nehmen, da zog er ihre Hand an seine Lippen.

»Gute Nacht, Carlos«, sagte sie. »Ruht Euch aus von Eurer Reise!«

»Gute Nacht, Señorita!«

Er wollte gehn, sie aber faßte ihn abermals bei der Hand, trat nah an ihn heran, und er hörte ihre leise gesprochne Bitte:

»Mein Carlos, vergib mir und sei nicht unglücklich!«

Darauf trat sie von ihm zurück und schlüpfte in den Park.


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