Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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V

Es war Herbst geworden. Die Du Roys waren den ganzen Sommer in Paris geblieben und hatten in der ›Vie française‹, während der kurzen Ferien des Abgeordnetenhauses einen energischen Feldzug zu Gunsten des neuen Kabinets geführt.

Obgleich eben erst der Oktober angebrochen war, sollte doch die Kammer wieder zusammentreten, denn die Angelegenheiten in Marokko nahmen einen drohenden Charakter an.

Eigentlich glaubte niemand an eine Expedition nach Tanger. Obgleich an dem Tag, als das Parlament sich gespalten, ein Abgeordneter der Rechten, Graf von Lambert-Sarrazin in einer geistvollen Rede, die sogar beim Zentrum Beifall gefunden, seinen Schnurrbart, wie einst ein berühmter Vize-König von Indien, gegen den Backenbart des Minister-Präsidenten hatte einsetzen wollen, daß das neue Kabinet nichts anderes würde thun können, als eine Armee nach Tanger zu schicken, ein Gegenstück zu der in Tunis, nur der Symmetrie wegen, wie man auf den Kamin zwei Vasen stellt.

Er hatte hinzugefügt: »Meine Herren, der afrikanische Boden ist in der That für Frankreich ein Kamin, der unser bestes Holz verbrennt, ein Kamin mit mächtigem Zuge, den man mit Banknoten heizt. Sie haben sich die künstlerische Laune geleistet, die linke Ecke mit einem tunesischen Kunstwerk zu verzieren, das Ihnen teuer kommt, und Sie werden sehen, daß Herr Marrot seinen Vorgänger nachahmen und auf der rechten Ecke ein marokkanisches Kunstwerk aufstellen wird.«

Diese Rede, die gewissermaßen berühmt geworden war, hatte Du Roy die Unterlage gegeben zu zehn Artikeln über die Kolonie Algerien, für eine ganze Reihenfolge von Artikeln, die er damals, nach seinem ersten Auftreten in der Zeitung, unterbrochen hatte. Er hatte energisch den Gedanken einer militärischen Expedition verfochten, obgleich er überzeugt war, daß sie nie stattfinden würde, und er hatte die patriotische Saite erklingen lassen und Spanien mit allen niederziehenden Gemeinheiten bedacht, die man gegen Völker anwendet, deren Interessen den unsern entgegen stehen.

Die ›Vie française‹ hatte wegen ihrer bekannten Beziehungen zu den Machthabern großen Einfluß gewonnen. Sie brachte die politischen Neuigkeiten vor den ernstesten Blättern und ließ die Ansichten der ihr befreundeten Minister durchblicken, und die meisten Blätter von Paris wie auch die Provinzzeitungen suchten bei ihr Neuigkeiten zu erfahren. Sie wurde fortwährend zitiert, man fürchtete sie und begann sie zu achten.

Jetzt war sie nicht mehr das zweifelhafte Organ einer Gruppe von politischen Ränkeschmieden, sondern das erklärte Organ der Regierung.

Laroche-Mathieu war die Seele des Blattes und Du Roy sein Sprachrohr. Der alte Walter wußte zu verschwinden. Er blieb der stumme Abgeordnete, der verschmitzte Herausgeber und betrieb im stillen, hieß es, eine riesige Kupferminen-Spekulation in Marokko.

Magdalenes Salon war ein einflußreicher Mittelpunkt geworden, wo sich jede Woche mehrere Mitglieder des Kabinets trafen. Sogar der Minister-Präsident hatte zweimal bei ihr gegessen, und die Frauen der Staatsmänner, die früher gezögert ihre Schwelle zu betreten, rühmten sich nun ihre Freundinnen zu sein, und besuchten sie öfter, als Magdalene sie aufsuchte.

Der Minister des Aeußeren war fast Herr im Hause. Zu allen möglichen Stunden kam er, brachte Telegramme, Auskünfte, Nachrichten, die er entweder dem Mann oder der Frau diktierte, als wären sie seine Sekretäre.

Wenn dann Du Roy, nachdem der Minister fortgegangen war, mit Magdalene allein blieb, ward er wütend und schleuderte Drohungen und Verdächtigungen gegen diesen mittelmäßigen Emporkömmling.

Aber sie zuckte verachtungsvoll die Achseln und meinte:

– Thu es ihm doch nach! Werde doch Minister und dann kannst Du reden, aber bis dahin sei ganz still!

Er drehte den Schnurrbart und blickte sie von der Seite an:

– Wer weiß, was ich noch mal werde. Das wird sich schon eines Tages zeigen!

Sie antwortete philosophisch:

– Kommt Zeit, kommt Rat!

Am Morgen der Eröffnung der Kammer lag die junge Frau noch im Bett und gab ihrem Mann noch allerlei Aufträge, während er sich anzog, um bei Laroche zu frühstücken, wobei er vor der Sitzung noch die Unterlagen bekommen sollte für den Leitartikel des andern Tages in der ›Vie française‹; denn dieser Leitartikel sollte eine Art offiziöses Programm des neuen Kabinets werden.

Magdalene sagte:

– Vor allem vergiß nicht ihn zu fragen, ob General Belloncle, wie zuerst behauptet wurde, nach Oran geschickt wird. Das wäre natürlich sehr wichtig!

Georg antwortete nervös:

– Ich weiß doch eben so gut wie Du, was ich zu thun und zu lassen habe. Laß mich doch mal in Ruhe! Immer dieselbe Leier!

Sie antwortete ruhig:

– Lieber Freund, Du vergißt immer die Hälfte aller Aufträge, die ich für den Minister habe.

Er brummte:

– Ach, Dein Minister fängt an langweilig zu werden! Der Kerl ist ein Gimpel!

Sie sagte ganz ruhig:

– Er ist ebensogut Dein Minister, wie meiner; jedenfalls ist er Dir nützlicher als mir.

Er hatte sich zu ihr umgewendet und lächelte:

– Bitte, er macht mir nicht den Hof.

Sie erklärte langsam:

– Mir übrigens auch nicht! Aber unser Glück macht er.

Er schwieg, dann sagte er nach einem Augenblick:

– Weißt Du, wenn ich zwischen Deinen Anbetern zu wählen habe, ist mir das alte Rindvieh der Vaudrec doch noch lieber. Was macht er denn eigentlich? Ich habe ihn seit acht Tagen nicht gesehen.

Sie antwortete ohne Erregung:

– Er hat mir geschrieben, er wäre bettlägerig. Er hat einen Gichtanfall gehabt. Du könntest Dich eigentlich nach ihm erkundigen. Du weißt doch, daß er Dich sehr gern hat. Es würde ihm Freude machen.

Georg antwortete:

– Gewiß, ich gehe nachher hin.

Er hatte sich fertig angezogen, den Hut aufgesetzt und überlegte, ob er nicht etwas vergessen hätte.

Er fand nichts, trat an das Bett und küßte seine Frau auf die Stirn:

– Auf Wiedersehen, liebes Kind, ich kann vor frühestens sieben Uhr nicht zurück sein. – Und er ging davon.

Herr Laroche-Mathieu erwartete ihn. An diesem Tage frühstückte er schon um zehn Uhr. Der Ministerrat sollte um zwölf Uhr zusammen treten, ehe das Parlament eröffnet würde.

Sobald sie bei Tisch saßen – es war nur noch der Privatsekretär des Ministers da, weil Frau Laroche ihre Frühstücksstunde nicht hatte verlegen wollen – sprach Du Roy von seinem Artikel. Er gab den Gedankengang an, nach den Notizen, die er sich auf einer Visitenkarte gemacht. Als er fertig war, fragte er:

– Ist irgend etwas zu ändern, Herr Minister?

– Sehr wenig, lieber Freund. Vielleicht sind Sie in der marokkanischen Angelegenheit zu positiv. Sie können von der Expedition sprechen, als würde sie unternommen; aber es muß doch herausklingen, daß sie nicht stattfinden wird, und daß Sie absolut nicht daran glauben. Richten Sie es so ein, daß die Leute zwischen den Zeilen lesen, daß wir uns auf das Abenteuer nicht einlassen.

– Ich verstehe schon, und ich werde es schon machen. Übrigens hat mir meine Frau aufgetragen, bei dieser Gelegenheit zu fragen, ob General Belloncle eigentlich nach Oran geschickt wird? Nach dem was Sie da sagen, denke ich wohl, nein.

Der Staatsmann antwortete: – Nein!

Dann sprach man von der Kammereröffnung. Laroche-Mathieu fing an, eine lange Rede zu halten, indem er sich auf wirksame Redewendungen vorbereitete, mit denen er ein paar Stunden später seine Kollegen überschütten wollte. Er gestikulierte mit der rechten Hand, hob ab und zu die Gabel oder das Messer oder ein Stück Brot und wendete sich, ohne jemanden dabei anzublicken, an die unsichtbare Versammlung. So entlud sich seine süßliche Beredsamkeit. Sein winziger gedrehter Schnurrbart endete in zwei Spitzchen, gleich ein paar Skorpionenstacheln, und sein pomadisiertes Haar, das in der Mitte gescheitelt war, kräuselte sich an den Schläfen in zwei großen Bogen, wie bei einem Provinzdandy. Er war ein wenig zu dick, etwas aufgeschwemmt, trotz seiner Jugend; die Weste spannte sich über seinem Bäuchlein.

Der Privatsekretär aß und trank ganz ruhig weiter, er war wohl diese Ströme von Beredsamkeit gewöhnt. Aber Georg, dem der Erfolg jenes am Herzen fraß, dachte:

»Rede nur immerzu. Was seid ihr Politiker doch für Idioten.«

Und indem er seinen eignen Wert mit der geschwätzigen Wichtigkeit dieses Ministers verglich, sagte er sich:

»Verflucht, wenn ich nur hunderttausend Franken hätte, um mich in meiner schönen Heimat Rouen als Abgeordneter aufstellen zu lassen und meine braven, gerissenen, schwerfälligen normannischen Landsleute trotz ihrer Schlauheit reinzulegen! Was für ein Staatsmann würde ich werden, im Vergleich zu diesem impotenten Gesindel!«

Bis zum Kaffee schwatzte Laroche-Mathieu. Als er dann sah, daß es spät geworden war, klingelte er nach dem Wagen und streckte dem Journalisten die Hand entgegen:

– Lieber Freund, wir sind einig! Nicht wahr?

– Vollkommen, liebe Exzellenz, zählen Sie auf mich!

Und Du Roy ging langsam zur Redaktion, um seinen Artikel zu beginnen, denn bis vier Uhr hatte er nichts vor. Zu dieser Stunde sollte er in der Rue de Constantinople Frau von Marelle treffen, die er regelmäßig, zweimal wöchentlich, Montag und Freitag, sah.

Aber als er auf die Redaktion kam, wurde ihm ein Telegramm überreicht. Es war von Frau Walter und lautete:

»Ich muß Dich durchaus heute sprechen. Etwas sehr, sehr Wichtiges. Erwarte mich um zwei Uhr Rue de Constantinople. Ich kann Dir einen großen Dienst leisten. Bis in den Tod getreu Virginie.«

Er fluchte:

– Gott verdamm mich! So eine Klette! –

Und von einem Anfall schlechter Laune gepackt, ging er sofort aus, denn er war zu wütend, als daß er hätte arbeiten können.

Seit sechs Wochen versuchte er mit ihr zu brechen, ohne daß es ihm gelungen wäre, ihre zähe Zuneigung zum Wanken zu bringen. Nach jenem Tage hatte sie einen fürchterlichen Reueanfall gehabt und die drei nächsten Male, wo sie sich trafen, ihren Geliebten mit Vorwürfen und Verwünschungen überschüttet. Diese Scenen ärgerten ihn, und er hatte längst genug von dieser reifen, alles gleich tragisch nehmenden Frau. So hatte er sich einfach nicht mehr gezeigt und hoffte, daß dies kleine Verhältnis damit zu Ende sei.

Aber da hatte sie sich an ihn gehängt mit der Kraft der Verzweiflung, indem sie sich in dieses Liebesabenteuer stürzte, wie man sich ins Wasser stürzt, einen Stein um den Hals. Aus Schwäche, aus Liebenswürdigkeit, aus Rücksicht hatte er sich immer wieder einfangen lassen, und nun bestürmte sie ihn mit maßlosen, ermüdenden Zärtlichkeiten und verfolgte ihn mit ihrer Liebe.

Sie wollte ihn täglich sehen, bestellte ihn alle Augenblicke durch ein Telegramm, um ihn flüchtig an einer Straßenecke zu treffen, in einem Laden oder in den Anlagen.

Da wiederholte sie immer mit denselben Worten, daß sie ihn anbete und verehre, und verließ ihn, indem sie schwur, sie wäre »glückselig gewesen ihn nur gesehen zu haben.«

Sie zeigte sich ganz anders, als er sie gedacht, sie versuchte ihn mit allerlei kindischen und für ihr Alter lächerlichen Liebkosungen an sich zu fesseln. Bis dahin war sie durchaus rein gewesen, jungfräulichen Herzens, keinem Gefühl, keiner Sinnlichkeit zugänglich, und nun brach es bei dieser vernünftigen Frau – deren ruhige Vierzig wie ein blasser Herbst nach kühlem Sommer erschienen – hervor, gleich einem welken Frühling voll kleiner verkümmerter Blumen, verkrüppelter Johannistriebe: das seltsame Erblühen einer mädchenhaften Liebe, zögernd, glühend und harmlos zugleich, bald stürmisch, bald thränenreich wie bei einer Sechzehnjährigen, von lästiger Zärtlichkeit und einer Anmut, die alt war ohne jung gewesen zu sein.

Sie schrieb ihm zehn Briefe täglich, albern und verrückt, in poetischem und lächerlichem Stil, voll Tier- und Vogelnamen, in der bilderreichen Sprache der Indianer.

Sobald sie allein waren, küßte sie ihn mit einem Gethue wie ein großes Kind, einer lächerlichen Art die Lippen zu spitzen und indem sie umher sprang, wobei ihr zu starker Busen unter dem Kleide auf und nieder wogte. Am meisten brachte es ihn zur Verzweiflung, wenn sie ihn »mein Hundel,« »mein Katzerl,« »meine kleine Maus,« »mein Kleinod,« »mein Schatz,« »mein Vögelchen« nannte, was jedesmal begleitet war von kindischem Zieren und kleinen Bewegungen der Aengstlichkeit, die sie offenbar für sehr nett hielt, und mit allerlei spielerigen Manieren eines verdorbenen Pensionsmädchens.

Sie fragte: – Wessen Mund ist das? – Und wenn er nicht sofort antwortete: – Meiner! – wiederholte sie die Frage, bis er vor Nervosität rasend ward.

Er meinte, sie müsse fühlen, daß die Liebe Takt, Geschicklichkeit, Klugheit und äußerste Richtigkeit im Benehmen verlange; sie, die ältere Frau, die Dame der Gesellschaft, die Mutter, müsse sich ihm hingeben mit würdigem Ernst, mit einer Art gehaltener Leidenschaft, streng, auch mit Thränen, ja, aber mit denen einer Dido, nicht einer Julia.

Sie wiederholte unausgesetzt:

– Ich habe Dich so lieb, Herzchen! Liebst Du mich eben so sehr, mein Kindel?

»Herzchen« konnte er schon gar nicht mehr hören, noch »mein Kindel«, ohne daß ihn die Lust anwandelte, sie »liebe Alte« zu nennen.

Sie sprach zu ihm:

– Ich bin ja verrückt, Dir anzugehören, aber ich bereue es nicht. Die Liebe ist doch so süß.

Alles dies klang aus diesem Munde so, daß Georg jedesmal wütend ward. Sie sagte: »Die Liebe ist so süß,« etwa im Ton, wie eine Naive auf dem Theater.

Und dann brachte ihn ihre Ungeschicklichkeit in der Liebe zur Verzweiflung. Sie, in der plötzlich die Sinnlichkeit erwacht war unter dem Kuß dieses schönen Kerls, der ihr Blut entflammte, zeigte in ihrer Hingabe eine kraftlose Glut, einen eifervollen Ernst, bei dem Du Roy einfach lachen und an Leute denken mußte, die im Greisenalter anfangen wollen, lesen zu lernen.

Und statt ihn zu ersticken in ihrer Umarmung, statt ihn zu durchflammen mit jenem tiefen, fürchterlichen Blick, den gewisse Frauen haben, die, im Verblühen noch von stolzer Schönheit sind in ihrer letzten Liebe, – statt ihn mit stummem, zuckendem Munde zu beißen, während ihr üppiger, glühender Leib, erschlafft aber unersättlich, ihn umklammerte – hopste sie umher wie ein Gassenmädel und lallte gleich einen kleinen Kinde, um sich niedlich zu machen:

– Is hab' Dis lieb, mein Kindel. Is hab' Dis so lieb. Gieb ein ßönes Tüßchen Deiner kleinen Frau!

Da packte ihn eine tolle Wut zu fluchen, seinen Hut zu nehmen, fort zu laufen, und hinter sich die Thür zuzuschmeißen.

In der ersten Zeit hatten sie sich Rue de Constantinople gesehen. Aber Du Roy fürchtete ein Zusammentreffen mit Frau von Marelle und fand jetzt tausend Vorwände, um ein solches Stelldichein zu hintertreiben.

Dafür mußte er nun beinahe täglich zu ihr kommen, sei es zum Frühstück, sei es zum Mittagessen. Unter dem Tisch drückte sie ihm die Hand und hinter der Thür wollte sie ihn küssen. Aber ihm machte es vor allem Spaß, mit Susanne zu spielen, die ihn erheiterte durch ihr nettes Wesen. In ihrem Puppenleib steckte ein lebhafter schlauer Geist, der unvermutet aus seinem Versteck hervorbrach, wie der Bajazzo im Kasperletheater auf dem Jahrmarkte. Sie machte sich über alles und alle lustig, und Georg trieb sie noch mehr dazu an, und sie verstanden sich ausgezeichnet.

Alle Augenblicke rief sie ihn:

– Hören Sie mal, Liebling! Liebling, kommen Sie mal her!

Dann verließ er die Mutter um zur Tochter zu laufen, die ihm irgend eine Bosheit ins Ohr flüsterte, über die er herzlich lachen mußte.

Allmählich ekelte ihn die Liebe der Mutter geradezu und führte ihn zu unüberwindlichem Abscheu. Er konnte sie gar nicht mehr sehen, sie nicht hören, an sie nicht denken, ohne wütend zu werden. Er besuchte sie also nicht mehr, antwortete nicht mehr auf ihre Briefe und kam nicht mehr, wenn sie ihn bestellte.

Endlich begriff sie, daß er sie nicht mehr liebte, und sie litt darunter fürchterlich. Aber sie war auf ihn versessen, lauerte ihm auf, folgte ihm, erwartete ihn in einer Droschke mit herabgelassenen Vorhängen, vor der Redaktion, an der Thür seines Hauses, in den Straßen, durch die er gehen mußte, wie sie hoffte.

Er hatte Lust, sie zu mißhandeln, sie zu beschimpfen, sie zu schlagen und ihr ins Gesicht zu rufen:

– Mach, daß Du fort kommst, ich kann Dich nicht mehr sehen.

Aber er beherrschte sich noch immer in Rücksicht auf die ›Vie française‹ und versuchte durch Kälte, durch Härte unter dem Mantel äußerer Höflichkeit, ab und zu sogar durch grobe Worte ihr begreiflich zu machen, daß das aufhören müsse.

Vor allen Dingen war sie nicht davon abzubringen, ihn in der Rue de Constantinople treffen zu wollen, und er zitterte unaufhörlich davor, daß sich die beiden Frauen eines Tages dort Auge in Auge gegenüberstünden.

Seine Zuneigung zu Frau von Marelle war, im Gegensatz dazu, während des Sommers nur gewachsen. Er nannte sie: »Mein Bubi!« und sie gefiel ihm. Ihre Naturen paßten zueinander, sie waren aus demselben Holz geschnitzt und gehörten zu dem Abenteuerer-Geschlecht der Vagabunden des Lebens, jener Zigeuner der Gesellschaft, die, ohne es zu ahnen, den Zigeunern der Landstraße so ähnlich sind.

Sie hatten einen wundervollen Liebessommer zusammen verlebt, die lustige Semesterehe eines Studenten mit seinem Mädel.

Ab und zu kniffen sie aus und fuhren in die Umgebung von Paris, nach Argenteuil, Bougival, Maisons, Poissy zum Mittag- oder Abendbrot, zu stundenlangem Bootfahren und Blumenpflücken an den Ufern. Sie liebte die gebackenen Seinefische, die Kaninchenragouts und Fischgerichte, die es dort gab, die kleinen Lauben in den Kneipen, das Geschrei der Ruderer, über die Maßen. Ihm machte es Spaß an einem schönen Tage mit ihr oben auf dem Verdeck eines Vorstadtzuges hinaus zu fahren und unter Scherzen das häßliche Vorortgebiet von Paris zu durchfahren, wo die gräßlichen Landhäuser der Spießbürger liegen.

Und wenn er heimkehren mußte, um bei Frau Walter zu essen, haßte er die hartnäckige alte Geliebte, indem er an die junge dachte, die er eben verlassen und die seine Begierde befriedigt, seine Glut gekühlt im hohen Ufergras des Flusses.

Endlich meinte er, er sei die Frau des Chefs so ziemlich los; er hatte ihr ganz offen, beinah roh, seinen Entschluß, mit ihr zu brechen, mitgeteilt, und gerade da bekam er auf der Redaktion dieses Telegramm, das ihn nach der Rue de Constantinople rief.

Als er auf der Straße dahin ging, las er es noch einmal:

»Ich muß Dich durchaus heute sprechen. Ich kann Dir einen großen Dienst leisten. Bis in den Tod getreu

Virginie.«

Er dachte: »Was will denn nun wieder diese alte Nachteule von mir? Ich will doch wetten, sie hat mir gar nichts zu sagen. Sie will mir nur wiederholen, wie sie mich liebt, aber jedenfalls muß ich sie sehen. Sie spricht von einer wichtigen Sache, von einem großen Dienst, es könnte doch wahr sein. Aber Clotilde kommt um vier Uhr, spätestens um drei muß ich also die Alte rausschmeißen. Verflucht nochmal, wenn sie sich bloß nicht treffen. Verdammte Frauenzimmer-Wirtschaft!«

Und er dachte daran, daß seine Frau eigentlich die einzige war, die ihn nie quälte. Sie lebte für sich, und scheinbar liebte sie ihn sehr, zu den der Liebe bestimmten Stunden, denn man durfte bei ihr niemals die Ordnung der gewöhnlichen Lebensverrichtungen stören.

Mit langsamem Schritt ging er zum Stelldichein, indem er innerlich über die Frau des Chefs schimpfte:

»Wenn sie mir aber nichts zu sagen hat, werde ich sie schön anlaufen lassen. Ein Bauerngeschimpf soll zahm sein gegen das, was ich ihr sage, vor allen Dingen werde ich ihr sagen, daß ich nie wieder einen Fuß zu ihr setze.«

Und er betrat die Wohnung, um Frau Walter zu erwarten.

Sie kam beinahe sofort, und sobald sie ihn sah, sagte sie:

– Gott sei Dank, Du hast mein Telegramm bekommen!

Er hatte einen bösen Ausdruck angenommen:

– Ja, ich habe es auf der Redaktion gefunden, als ich gerade in die Kammer wollte. Was willst Du noch von mir?

Sie hatte ihren Schleier in die Höhe geschlagen, um ihn zu küssen und näherte sich ihm mit furchtsamer, verschüchterter Miene, wie ein geprügelter Hund:

– Du bist so hart gegen mich . . . wie Du zu mir sprichst! . . . Was habe ich Dir denn gethan? . . . Du glaubst es nicht, wie ich durch Dich leide!

– Geht es schon wieder los? – brummte er.

Sie stand dicht neben ihm, nur ein Lächeln erwartend, um sich an seinen Hals zu werfen.

Sie flüsterte:

– Du hättest nicht mit mir anfangen sollen, Du hättest mich tugendhaft und glücklich lassen sollen, wie ich war. Weißt Du noch, was Du mir in der Kirche sagtest, wie Du mich hierher geschleppt hast? Und nun redest du so! Mein Gott! Wie thust Du mir weh!

Er stampfte mit dem Fuße auf und sagte heftig:

– Ach, ich habe genug davon! Wenn ich Dich eine Minute sehe, geht immer das alte Lied wieder los! Das ist ja wirklich, als hätte ich dich mit zwölf Jahren verführt und als wärest Du unschuldig gewesen wie ein Engel. Nein, meine Liebe, wir wollen mal bei den Thatsachen bleiben. Ich habe keine Minderjährige verführt. Du bist zu mir gekommen, als Du alt und vernünftig genug warst. Ich danke Dir, ich bin Dir äußerst dankbar, aber ich kann Dir doch nicht bis zu meinem Ende am Unterrock hängen. Du bist verheiratet und ich auch, wir sind beide nicht frei, wir haben zusammen einen Scherz gemacht und nun ist es eben alle.

Sie sagte:

– Aber bist Du roh! Bist Du grob und unglaublich gemein! Nein, ein junges Mädchen war ich nicht mehr, aber ich hatte noch nie geliebt, nie einen Fehltritt gethan . . .

Er schnitt ihr das Wort ab:

– Das hast Du mir schon zwanzig Mal gesagt, und ich weiß es. Aber Du hattest doch schon zwei Kinder, also bin ich doch wohl nicht der erste gewesen.

Sie wich zurück:

– Georg, das ist schamlos!

Sie preßte beide Hände auf die Brust, begann nach Atem zu ringen, und schließlich stiegen ihr die Thränen herauf.

Als er die Thränen kommen sah, nahm er seinen Hut von der Kaminecke:

– Ach so, Du willst heulen, na dann adieu! Zu so 'ner Komödie hast Du mich kommen lassen?

Sie trat ihm in den Weg, zog schnell ihr Taschentuch hervor und wischte sich mit kräftiger Bewegung die Augen. Sie zwang sich, ihrer Stimme Festigkeit zu geben und sagte, nur einmal von einem Schmerzensausbruch unterbrochen:

– Nein . . . ich bin gekommen um Dir . . . eine Nachricht zu bringen . . . eine politische Nachricht! Um es Dir möglich zu machen fünfzigtausend Franken zu verdienen, oder wenn Du willst noch viel mehr.

Er fragte plötzlich weicher geworden:

– Wieso denn? Was meinst Du damit?

– Ich habe gestern abend zufällig ein paar Worte meines Mannes gehört, die er mit Laroche wechselte; übrigens nahmen sie sich vor mir nicht sehr in Acht. Aber Walter legte dem Minister ans Herz, Dich nicht ins Vertrauen zu ziehen, weil Du alles enthüllen würdest.

Du Roy hatte seinen Hut auf einen Stuhl gesetzt und wartete mit gespannter Aufmerksamkeit:

– Also, um was handelt es sich?

– Sie wollen Marokko nehmen!

– Ach, ist nicht möglich! Ich habe mit Laroche gefrühstückt und da hat er mir die Absichten des Kabinets beinah in die Feder diktiert!

– Nein, lieber Georg, sie haben Dich an der Nase herum geführt, weil sie Angst haben, daß ihr Coup bekannt würde.

– Setze Dich, – sagte Georg.

Und er setzte sich selbst in einen Stuhl.

Da zog sie einen kleinen Schemel heran, ließ sich darauf nieder, zwischen den Knieen des jungen Mannes und begann schmeichelnd:

– Da ich immer an Dich denke, achte ich jetzt auf alles, was um mich herum geflüstert wird.

Und sie begann, ganz leise ihm auseinander zu setzen, wie sie seit einiger Zeit erraten hätte, daß man hinter seinem Rücken etwas plane und sich zwar seiner bedienen wolle, aber sich vor seiner Konkurrenz fürchte.

Sie sagte:

– Weißt Du, wenn man liebt wird man gerissen.

Endlich gestern hatte sie die Sache verstanden. Es handelte sich um ein großes Geschäft, ein Riesengeschäft, das im stillen vorbereitet ward.

Sie lächelte jetzt glückselig über ihre Geschicklichkeit, sie ward ganz aufgeregt und sprach wie die Frau eines Geldmannes, die gewöhnt ist Börsencoups anbahnen zu sehen, Schwankungen in den Werten, Hausse und Baisse, die binnen zwei Stunden tausende von kleinen Bürgersleuten und kleinen Rentnern ruinieren und um ihre Ersparnisse bringen, die sie in Papieren angelegt haben, deren Bonität von geehrten angesehenen Leuten, Politikern und Bankiers, garantiert ist.

Nun fuhr sie fort:

– O sie haben ein Riesengeschäft vor, Walter hat alles ausgeheckt und der versteht es. Es ist wirklich eine große Sache.

Er wurde ungeduldig durch die lange Vorrede:

– Sag doch.

– Also, es handelt sich um folgendes: Die Expedition nach Tanger war zwischen ihnen beschlossene Sache vom Tage an, da Laroche das Auswärtige übernahm, und allmählich haben sie die ganze marokkanische Anleihe, die auf vierundsechzig oder fünfundsechzig Franken gefallen war, aufgekauft. Sie haben es sehr geschickt gemacht durch kleine Pfuschmakler, sodaß kein Mensch Verdacht schöpfen konnte. Sie haben sogar Rothschilds reingelegt, die sich wunderten, daß immer Marrokkaner gefragt wurden. Man hat sie beruhigt, indem man ihnen die kaufenden Makler namhaft machte, alles verkommene Subjekte oder outsiders. Damit hat sich die große Bank zufrieden gegeben. Aber nun wird man die Expedition abschicken, und sobald unsre Truppen einmal dort sind, wird der französische Staat die Garantie für die marokkanische Schuld übernehmen. Dann haben unsre Freunde fünfzig oder sechszig Millionen gewonnen. Verstehst Du die Geschichte jetzt? Nun kannst Du auch begreifen wie man sich vor jedem Mitwisser fürchtet, wegen der Gefahr einer Indiskretion.

Sie hatte den Kopf an die Brust des jungen Mannes gelehnt, und ihre Arme ruhten auf seinen Knieen, sie preßte und schmiegte sich an ihn, sie fühlte, daß sie ihm jetzt interessant war, und war bereit alles zu thun, alles zu begehen um einen Kuß, um ein Lächeln:

Er fragte:

– Bist Du auch Deiner Sache sicher?

Sie antwortete bestimmt:

– Ganz sicher:

Da meinte er:

– Das ist allerdings ein kolossaler Coup. Aber diesem Schmierfinken dem Laroche, dem werde ich eins auswischen. Der Lump, soll sich vor mir in Acht nehmen. Er soll sich bloß in Acht nehmen, den Ministerrock reiße ich ihm 'runter!

Dann begann er nachzudenken und brummte:

– Aber die Gelegenheit muß man benutzen.

– Du kannst noch von den Papieren kaufen, sie stehen zweiundsiebzig.

Er antwortete:

– Ja, ich habe aber kein Geld zur Verfügung!

Sie blickte ihn flehend an:

– Daran habe ich gedacht, und wenn Du sehr, sehr nett zu mir bist, wenn Du mich nur ein bißchen lieb hast, da erlaubst Du mir, daß ich Dir etwas borge.

Er antwortete ernst, fast hart:

– Nein, das auf keinen Fall!

Sie sagte mit flehender Stimme:

– Höre, es giebt ja einen Ausweg etwas zu machen, ohne das Geld zu borgen. Ich wollte von den Papieren für zehntausend Franken kaufen um mir Nadelgeld zu schaffen. Nun so kaufe ich eben für zwanzigtausend Franken und Du beteiligst Dich zur Hälfte. Weißt Du, das bekommt natürlich Walter nicht. Wenn die Geschichte glückt, gewinnst Du siebenzigtausend Franken, wenn sie nicht glückt, bist Du mir zehntausend Franken schuldig, die Du mir wiedergeben kannst, wann es Dir paßt.

Er sagte noch einmal:

– Nein, solche Geschäfte liebe ich nicht!

Da setzte sie ihm, um ihn zu überreden, allerlei auseinander, bewies ihm, daß es sich in Wirklichkeit nur um zehntausend Franken auf sein Wort handele, daß er infolgedessen auch Gefahr liefe es zu verlieren, und daß sie ihm persönlich nichts borge, denn das Bankhaus Walter lege doch die Summe aus!

Unter anderem erklärte sie ihm, daß er es doch gewesen, der in der ›Vie française‹ die ganze politische Campagne geführt habe, die dieses Geschäft überhaupt bloß möglich mache und daß er zu naiv wäre, wenn er keinen Vorteil daraus ziehen wolle. Als er noch zögerte, schloß sie:

– Aber überlege doch nur, daß Dir eigentlich Walter die zehntausend Franken borgt und daß Du ihm Dienste geleistet hast, die viel mehr wert sind, als das.

– Gut, einverstanden! Ich mache Halbpart mit Dir. Verlieren wir, zahl ich Dir zehntausend Franken!

Sie war so glücklich, daß sie aufsprang, seinen Kopf in beide Hände nahm und ihn glühend küßte. Zuerst wehrte er sich nicht, aber als sie zärtlicher ward, ihn an sich zog, ihn mit Liebkosungen bedeckte, dachte er daran, daß die andere nachher kommen würde, er Zeit verlor, wenn er schwach wurde und zugleich in den Armen der Alten eine Glut ließ, die er besser der Jungen aufhob.

Darum stieß er sie leise von sich und sagte:

– Ach was, sei vernünftig!

Sie blickte ihn verzweifelt an:

– Ach Georg, ich darf Dich nicht einmal mehr küssen?

Er antwortete:

– Nein, heute nicht. Ich habe Kopfschmerzen und dadurch wird's schlimmer!

Da setzte sie sich wieder hin, ganz folgsam zwischen seine Kniee und fragte:

– Willst Du morgen bei uns essen? Du würdest mich dadurch so glücklich machen!

Er zögerte, aber er wagte nicht ›nein‹ zu sagen, und sagte zu:

– Gut, ich komme!

– Ich danke Dir, Du lieber Mann.

Sie rieb zärtlich ihre Wange in regelmäßiger Bewegung an der Brust des jungen Mannes und eines ihrer langen, schwarzen Haare verfing sich dabei an seiner Weste. Sie bemerkte es und plötzlich kam sie auf eine tolle Idee, eine jener abergläubischen Ideen, die oft alles bei der Frau bedeuten. Ganz langsam begann sie dieses Haar um einen der Knöpfe zu wickeln, den nächsten Knopf umschlang sie mit einem zweiten, ein drittes Haar befestigte sie an einem andern Knopf und endlich an jedem Knopf eins.

Wenn er nachher aufstand, würde er sie abreißen, er würde ihr weh thun, o welches Glück! Und ohne es zu wissen nähme er etwas von ihr mit sich, eine kleine Locke ihres Haars, um die er sie nie gebeten. Sie fesselte ihn durch ein geheimes, unsichtbares Band an sich, sie ließ einen Talisman an ihm zurück: ohne es zu wollen, müßte er an sie denken, von ihr träumen und sie vielleicht in den nächsten Tagen etwas mehr lieb haben.

Da sagte er plötzlich:

– Ich muß Dich jetzt verlassen, denn man erwartet mich in der Kammer für das Ende der Sitzung. Heute darf ich nicht fehlen.«

Sie seufzte:

– Ach, schon?«

Dann sagte sie mit Ergebung:

– Geh mein Liebling, aber Du kommst morgen zu Tisch.«

Und plötzlich beugte sie sich zurück. Sie spürte auf dem Kopf einen heftigen Schmerz, als ob man sie mit hundert Nadeln gestochen. Ihr Herz schlug, sie war glücklich, durch ihn gelitten zu haben. – Adieu! sagte sie.

Er schloß sie lächelnd in die Arme und küßte sie kalt auf die Augen.

Aber sie, die durch diese Berührung wieder ganz erregt worden war, murmelte:

– Schon? – Und ihr flehender Blick suchte das Nebenzimmer, dessen Thür offenstand.«

Er schob sie von sich und sagte eilig:

– Ich muß fort, ich komme sonst zu spät.«

Da hielt sie ihm die Lippen hin, die er kaum berührte, und nachdem er ihr ihren Sonnenschirm gegeben, den sie vergessen, sagte er:

– Nun, vorwärts! Schnell, es ist schon drei vorbei!«

Sie ging vor ihm hinaus, indem sie nochmals sagte:

– Morgen um sieben!

Er antwortete:

– Gut, ich werde kommen! – Sie trennten sich, sie wandte sich rechts, er links.

Du Roy ging bis zum äußeren Boulevard, dann bummelte er langsam den Boulevard Malesherbes zurück.

Als er bei einem Zuckerbäcker vorüber kam, sah er glasierte Maronen in einer Kristallschale und dachte: »Ich bringe Clotilde ein paar mit.« Und er kaufte eine Düte voll dieser gezuckerten Früchte, die sie so sehr liebte.

Um vier Uhr kehrte er zurück, um die junge Geliebte zu erwarten.

Sie traf etwas zu spät ein, weil ihr Mann eben auf acht Tage angekommen war. Sie fragte:

– Kannst Du morgen bei uns essen? Mein Mann würde sich freuen.

– Nein, ich muß beim Chef essen. Wir haben eine Menge politischer und finanzieller Geschäfte, die uns in Anspruch nehmen. – Sie hatte ihren Hut abgenommen und zog nun die Taille aus, die sie beengte. Er deutete auf die Düte auf dem Kamin:

– Ich habe Dir glasierte Maronen mitgebracht!

Sie klatschte in die Hände:

– Das ist schön! Du bist nett!

Sie nahm sie, kostete eine und sagte:

– Ach, sie schmecken zu schön! Ich weiß schon, daß keine übrig bleiben wird!

Dann fügte sie hinzu, indem sie lächelnd Georg sinnlich betrachtete:

– Du leistest allen meinen Lastern Vorschub!

Sie aß langsam die Maronen, blickte immerfort in die Düte, als wollte sie sehen, ob noch welche übrig blieben und sagte:

– Da, setz Dich mal hier in diesen Stuhl, ich kauere mich zwischen Deine Kniee um meine Maronen zu knabbern. Das macht mir Spaß!

Er lächelte, setzte sich und nahm sie zwischen die geöffneten Kniee, wie vorhin Frau Walter.

Sie hob den Kopf zu ihm und, den ganzen Mund noch voll, sagte sie:

– Denke Dir mal, ich habe von Dir geträumt. Ich träumte wir machten eine große Reise zusammen auf einem Kamel, das zwei Höcker hatte. Wir saßen jedes auf einem Höcker und so ging es durch die Wüste. Wir hatten in einem Stück Papier Butterbrote mit und Wein in einer Flasche. So frühstückten wir auf unserem Kamel, aber es paßte mir nicht, weil wir uns nicht nähern konnten. Wir waren zu weit von einander, und ich wollte von meinen Höcker herunter.

Er antwortete:

– Ich will auch herunter!

Er lachte. Die Geschichte machte ihm Spaß, und er brachte sie dazu, allerlei Unsinn zu reden, zu schwatzen, all die Kindereien von Stapel zu lassen und all den Unsinn zu reden, womit Verliebte aufwarten können. Dieser Unsinn, der ihm reizend klang aus dem Munde der Frau von Marelle, hätte ihn rasend gemacht, wenn ihn Frau Walter gesprochen.

Auch Clotilde nannte ihn: »Kleiner,« »Herzl,« »Mäuschen.« Aber diese Worte waren ihm wie eine Liebkosung, aus dem Munde der anderen vorhin hatten sie ihn wütend gemacht und ihm weh gethan; denn die Liebesworte nehmen den Geschmack der Lippen an, die sie aussprechen.

Aber während er sich über ihre Scherze amüsierte, dachte er immer an die siebzigtausend Franken, die er gewinnen sollte, und plötzlich unterbrach er das Geschwätz seiner Freundin, indem er ihr zweimal auf den Kopf tippte:

– Hör mal, Kleine, ich will Dir einen Auftrag für Deinen Mann geben. Sag ihm mal, ich ließe ihm sagen, er solle für zehntausend Franken marokkanische Rente kaufen. Sie steht auf zweiundsiebzig, ich verspreche ihm, daß er vor Ablauf eines Vierteljahres sechszig- bis achtzigtausend Franken daran verdient hat. Aber er muß absolut stillschweigen. Sag ihm, ich ließe ihm sagen, daß die Expedition nach Tanger beschlossene Sache ist, und daß der französische Staat die marokkanische Schuld übernimmt, aber verplappere Dich nicht mit andern, ich vertraue Dir da ein Staatsgeheimnis an.

Sie hörte ihm ernsthaft zu und flüsterte:

– Ich danke Dir, ich werde es gleich heute abend meinem Manne sagen. Du kannst auf ihn zählen, der schwatzt nicht. Er ist sehr zuverlässig, bei dem brauchst Du keine Angst zu haben!

Sie hatte sämtliche Maronen gegessen, zerdrückte nun die Düte zwischen den Fingern und warf sie in den Kamin, dann sagte sie: – Nun wollen wir zu Bett gehen. Sie begann, ohne aufzustehen, Georgs Weste aufzuknöpfen.

Plötzlich hielt sie inne und hielt mit zwei Fingern ein langes Haar hoch, das an einem Knopfe hängen geblieben war. Sie fing an zu lachen:

– Da, sieh mal, Du hast ein Haar von Magdalene mitgeschleppt, das ist aber ein treuer Ehegatte. – Aber da ward sie ernst und betrachtete lange den dünnen Faden in ihrer Hand, den sie gefunden und sagte darauf:

– Das Haar ist aber nicht von Magdalene, das Haar ist brünett.

Er lächelte:

– Wahrscheinlich von der Jungfer.

Aber sie betrachtete die Weste mit der Aufmerksamkeit eines Polizisten und zog ein zweites Haar heraus, das sich um einen Knopf gewickelt, dann bemerkte sie ein drittes, ward bleich, erregt und rief:

– Hör mal, Du bist mit einer Frau zusammen gewesen, die Dir ihre Haare an die Knöpfe gebunden hat.

Er war erstaunt und stotterte:

– Ach, Unsinn, Du bist verrückt!

Plötzlich kam ihm die Erinnerung. Er begriff, war zuerst verlegen, leugnete dann lächelnd, eigentlich gar nicht böse, daß sie meinte, er habe Glück bei den Frauen.

Sie suchte und fand noch immer Haare, riß sie mit einem Ruck ab, und warf sie auf den Teppich.

Mit weiblicher Schlauheit hatte sie alles erraten und stammelte nun wütend den Thränen nahe:

– Die liebt Dich . . . Du solltest etwas von ihr bei Dir behalten . . . O Du alter Betrüger!

Aber plötzlich stieß sie einen gellenden Schrei nervöser Freude aus:

– Nein, so was! Das ist eine Alte, da ein Weißes Haar. Jetzt nimmst Du schon alte Weiber! Sie bezahlten Dich wohl? Na, wenn Du schon auf die alten Weiber gekommen bist, da brauchst Du mich ja nicht mehr! Bei denen kannst Du bleiben!

Sie erhob sich, lief zu ihrer Taille, die auf einem Stuhl lag und zog sie schnell an.

Er wollte sie zurückhalten und stammelte beschämt:

– Aber nein Clotilde, Du bist ja dumm. Ich weiß nicht, wo das Haar herkommt. Hör doch mal zu! Sei doch vernünftig! Bleib doch!

Sie wiederholte: – Behalte doch Dein altes Weib! Du kannst Dir einen Ring aus ihren Haaren machen lassen, aus ihren weißen Haaren, die hier liegen, die reichen gerade . . .

Ruckweise, mit schnellen Bewegungen hatte sie sich angezogen, ihr Haar geordnet und den Schleier umgebunden.

Als er sie zurückhalten wollte, gab sie ihm plötzlich mit aller Kraft eine Ohrfeige und während er noch ganz verdutzt dastand, öffnete sie die Thür und lief davon.

Sobald er sich allein fand, packte ihn eine rasende Wut gegen die alte Kracke, die Frau Walter. Der wollte er es aber heimzahlen! Aber feste!

Er badete seine rote Backe in der Waschschale, dann ging er auf Rache sinnend davon. Diesmal verzieh er ihr nicht! Jetzt war es aus!

Er ging bis zum Boulevard, bummelte herum, blieb vor dem Laden eines Juweliers stehen, um einen Chronometer anzusehen, den er längst schon gern gekauft hätte, der aber achtzehnhundert Franken kostete.

Plötzlich schwellte die Freude sein Herz als er dachte: »Wenn ich die siebzigtausend Franken gewinne, kann ich mir ihn kaufen« – und er überlegte sich, was er alles mit den siebzigtausend Franken anfangen konnte.

Zuerst würde er sich zum Abgeordneten wählen lassen, dann den Chronometer kaufen, darauf an der Börse spielen und endlich . . .

Er wollte nicht in die Redaktion zurückkehren und lieber ehe er Walter sah und seinen Artikel schrieb, mit Magdalene Rücksprache nehmen. Und er machte sich auf den Heimweg.

Als er schon bis zur Rue Drouot gekommen war, blieb er plötzlich stehen. Er hatte vergessen, sich nach dem Befinden des Grafen Vaudrec zu erkundigen, der Chaussée d'Antin wohnte. Er kehrte also bummelnd um, dachte in glücklichen Träumen an tausend süße Dinge, an zukünftiges Glück, und auch an diesen Schleicher Laroche und diese alte Klette, die Walter. Übrigens regte er sich über Clotildens Wut nicht weiter auf. Er wußte, sie verzieh ihm schnell.

Als er den Portier des Hauses, das der Graf bewohnte, fragte er:

– Wie geht es Graf Vaudrec? Ich habe gehört, daß er in den letzten Tagen leidend war. – Da antwortete der Mann:

– Es geht dem Herrn Grafen sehr schlecht. Die Gicht ist aufs Herz gefallen. Die Nacht überlebt er kaum.

Du Roy war so erschrocken, daß er nicht wußte, was er thun sollte. Vaudrec sterben? Allerlei Dinge, die er sich selbst nicht einzugestehen wagte, kamen ihm in den Sinn und verwirrten ihn.

Er sagte:

– Danke schön! Ich komme wieder. – Ohne eigentlich zu wissen, was er sprach.

Dann sprang er in eine Droschke und ließ sich nach Haus fahren.

Seine Frau war heimgekehrt. Er trat außer Atem ins Zimmer und teilte ihr sofort mit:

– Weißt Du, daß Graf Vaudrec im Sterben liegt?

Sie saß und las einen Brief. Sie blickte auf und sagte dreimal hinter einander:

– Was? Was ist los? Was ist los?

– Ich sage Dir, daß Graf Vaudrec im Sterben liegt, da die Gicht das Herz angegriffen hat.

Dann fügte er hinzu: – Was gedenkst Du zu thun?

Sie war totenbleich geworden, ihre Füße zitterten nervös. Sie hatte sich erhoben und fing nun fürchterlich an zu weinen, indem sie ihr Gesicht in den Händen verbarg.

So blieb sie schluchzend stehen; aber plötzlich überwand sie den Schmerz und wischte sich die Augen:

– Ich gehe hin. Ich gehe hin. Sei nicht besorgt um mich. Ich weiß nicht wann ich wieder komme. Du brauchst mich nicht zu erwarten.

Er antwortete:

– Gut, geh.

Sie drückten sich die Hände, und sie lief so schnell davon, daß sie ihre Handschuh mitzunehmen vergaß.

Nachdem Georg allein gegessen hatte, machte er sich an seinen Artikel. Er verfaßte ihn genau nach den Absichten des Ministers, indem er durchfühlen ließ, daß die Expedition nach Marokko nicht stattfinden würde. Dann brachte er ihn auf die Redaktion, sprach ein paar Augenblicke mit dem Chef und ging rauchend davon, erleichterten Herzens, ohne daß er eigentlich wußte warum.

Seine Frau war nicht heimgekehrt. Er legte sich zu Bett und schlief ein.

Gegen Mittemacht kehrte Magdalene zurück. Georg war plötzlich erwacht und richtete sich im Bett auf. Er fragte:

– Nun?

Er hatte sie noch nie so bleich und bewegt gesehen. Sie sprach vor sich hin:

– Er ist tot.

– Ach, hat er nicht mehr mit Dir gesprochen?

– Nein! Als ich kam, hatte er schon die Besinnung verloren.

Georg überlegte, allerlei Fragen kamen ihm in den Sinn, die er aber nicht auszusprechen wagte.

– Geh zu Bett, sagte er.

Sie zog sich schnell aus und glitt an seine Seite. Er fragte:

– Waren Verwandte an seinem Krankenbett?

– Nur ein Neffe.

– Ah, besuchte ihn dieser Neffe häufig?

– Nein, sie hatten sich seit zehn Jahren nicht gesehen.

– Hatte er noch andere Verwandte?

– Nein, ich glaube nicht.

– Ist Vaudrec sehr reich?

– Ja, sehr reich.

– Was wird er denn so gehabt haben?

– Ich weiß nicht recht, vielleicht ein, zwei Millionen.

Er sagte nichts weiter. Sie blies das Licht aus, und sie blieben beide schweigend wach, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt Seite an Seite im Dunklen liegen.

Er hatte keine Lust mehr zu schlafen. Jetzt fand er die siebzigtausend Franken die ihm Frau Walter versprochen, armselig. Plötzlich war es ihm, als weinte Magdalene, er fragte, um Gewißheit zu haben:

– Schläfst Du?

– Nein!

Ihre Stimme zitterte thränenerstickt, und er sprach:

– Ich habe Dir vorhin vergessen zu sagen, daß uns Dein Minister reingelegt hat.

– Wieso denn?

Und er erzählte ihr genau mit allen Einzelheiten den Coup, den Laroche und Walter vorbereiteten.

Als er geendet hatte, fragte sie:

– Woher weißt Du das?

Er antwortete:

– Wenn Du erlaubst, sage ich es Dir nicht. Du hast Mittel und Wege, Dich zu informieren, nach denen ich nicht frage, ich habe die meinen und möchte sie für mich behalten. Jedenfalls stehe ich für die Richtigkeit ein.

Da flüsterte sie:

– Ja, es ist schon möglich, ich ahnte, daß sie etwas im Schilde führen ohne uns.

Aber Georg, der nicht schlafen konnte, hatte sich seiner Frau genähert und küßte sie leise aufs Ohr. Sie stieß ihn lebhaft zurück:

– Bitte laß mich in Ruhe. Ich bin nicht in der Stimmung zu schäkern.

Er ergab sich darein, wandte sich zur Wand, schloß die Augen und schlief endlich ein.

 


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