Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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VII

Karls Abwesenheit verlieh Duroy große Wichtigkeit in der Redaktion der ›Vie française‹. Er durfte ein paar Leitartikel schreiben, während er jedoch beim lokalen Teil blieb, denn der Chef wollte, daß jeder für seine Arbeit verantwortlich sei. Duroy hatte ein paar Zeitungspolemiken, aus denen er sich geistreich zu ziehen wußte, und seine fortdauernden Beziehungen zu Staatsmännern bereiteten ihn allmählich darauf vor, ein geschickter und umsichtiger politischer Redakteur zu werden.

Er sah nur einen dunklen Punkt am Horizont. Der kam von einem kleinen Revolverblatt, das ihn fortwährend angriff, oder vielmehr, das in ihm den Chef des lokalen Teiles der ›Vie française‹ angriff. »Der Chef von Herrn Walters Lokalen Erfindungen« wie der anonyme Redakteur dieses Blattes sagte, das die »Feder« hieß.

Jeden Tag standen Niederträchtigkeiten, Sticheleien und allerhand Verunglimpfungen darin.

Jacques Rival sagte eines Tages zu Duroy:

– Sie haben aber Geduld.

Der andere stammelte:

– Ja, es sind aber doch keine direkten Angriffe.

Da hielt ihm eines Tages, als er in das Redaktionszimmer trat, Boisrenard eine Nummer der »Feder« entgegen:

– Da steht wieder was recht Angenehmes für Sie drin.

– In welcher Beziehung?

– Wegen nichts, weil eine gewisse Aubert durch einen Sittenpolizisten festgenommen worden ist.

Georg nahm das Blatt, das jener ihm hinhielt und las unter dem Titel: »Duroys kleine Scherze.«

»Der berühmte Reporter der ›Vie française‹ weiß uns heute mitzuteilen, daß die Festnahme der Aubert durch einen Beamten jener verwerflichen Sittenpolizei nur in unserer Einbildung stattgefunden habe. Nun, die in Frage stehende Person wohnt im Stadtviertel Montmartre, Rue de l'Ecureuil Nummer achtzehn. Wir verstehen übrigens sehr wohl, welches Interesse, oder welche Interessen die Kulis der Walterbank daran haben, die Sache des Polizei-Präfekten, der sie duldet, zu unterstützen. Der Reporter dagegen, um den es sich handelt, sollte uns doch lieber eine jener sensationellen Nachrichten auftischen, die seine Spezialität sind: Todesmeldungen, die am nächsten Tage widerrufen werden, Berichte von Schlachten, die garnicht stattgefunden haben, wichtige Aussprüche die irgend ein Herrscher gethan haben soll, der keinen Ton geredet hat, kurz alle die Nachrichten, die Walters Profit dienen; oder irgend eine jener Indiskretionen über eine Soirée bei einer vielgenannten Dame, oder über die Güte irgend welcher Fabrikate, die für gewisse Kollegen eine Goldgrube werden.«

Der junge Mann war mehr erstaunt als wütend, er begriff nur, daß darin etwas lag, was für ihn sehr unangenehm war.

Boisrenard begann vom neuen:

– Wer hat Ihnen denn diese Nachricht gebracht?

Duroy überlegte, aber er wußte es nicht mehr. Plötzlich fiel es ihm ein:

– Ach ja, Saint-Potin, – dann las er den Absatz der »Feder« noch einmal und ward plötzlich rot, so brachte ihn der Vorwurf, daß er käuflich sei, in Wut. Er rief:

– Was, die behaupten, ich würde bezahlt?

Boisrenard unterbrach ihn:

– Allerdings, und das ist sehr fatal für Sie. Bei so etwas ist unser Chef höllisch hinterher, das könnte sonst in den lokalen Nachrichten öfter vorkommen.

Da trat gerade Saint-Potin ein. Duroy ging auf ihn zu:

– Haben Sie die Notiz der »Feder« gelesen?

– Ja, und ich komme eben von der Aubert. Sie existiert tatsächlich, aber ist nicht festgenommen worden. Daran ist kein wahres Wort.

Da ging Duroy zum Chef. Er fand ihn etwas kühl, und Herr Walter blickte ihn argwöhnisch an. Dann antwortete er, nachdem er die Sache gehört, um die es sich handelte:

– Gehen Sie selbst zu dieser Frau Aubert, und dann widerrufen Sie auf eine Art, daß man nicht wieder solche Sachen über Sie schreiben kann. Ich meine das, was da noch steht, es ist für die Zeitung sehr unangenehm, für mich und für Sie. Der Ruf eines Journalisten muß ebenso unantastbar sein, wie der einer Dame.

Duroy nahm eine Droschke; Saint-Potin fuhr mit ihm als Führer und rief dem Kutscher zu: – Rue de l'Ecureuil 18, Montmartre.

Das Haus war riesig. Sie mußten sechs Stock hinaufklettern. Ein altes Weib in wollener Blouse öffnete:

– Na, wat woll'n Se denn schon wieder? sagte sie, als sie Saint-Potin gewahrte.

Er antwortete:

– Ich bringe Ihnen hier einen Herrn, der Polizei-Inspektor ist, er möchte gern die Geschichte mal hören.

Da ließ sie sie eintreten und erzählte:

– 'sind nämlich eben wieder Herren dagewesen, für eine Zeitung, ich weiß nich für welche.

Dann wandte sie sich zu Duroy:

– Also Sie wollen 's gern hören?

– Ja. Sind Sie durch einen Sittenpolizisten festgenommen worden?

Sie hob die Arme:

– Aber kein Bein, kein Bein! Die Jeschichte war nämlich die. Mein Fleischer hat gute Ware, aber er wiegt manchmal knapp. Ick hab's oft schon jemerkt, aber habe nie wat jesagt. Aber neulich verlange ick zwei Pfund Koteletten, weil doch meine Tochter und mein Schwiegersohn zum Besuch kommen, und da sehe ick, daß er mir so'n paar Abfälle mit zuwiegt. Sie waren zwar von Koteletten, dat stimmt, aber nich von meinen. Ick hätte ja Ragout draus machen kennen, aber wenn ick Koteletten haben will, da mag ich doch nich haben, wat von andern übrig bleibt.

Aber dat wollte er mir nich jeben, und schimpft mich alte Hexe; ick schimpfe und sage, er ist 'n oller Betrüger, kurz, ein Wort jiebt's andere und wir sind so aneinanderjekommen, daß wohl hundert Menschen vor'm Laden standen, und lachten; Jotte, haben die jelacht! Dat brachte eenen Schutzmann in die Nähe und der nahm uns mit auf die Revierpolizei, dat wir uns vor'n Polizeileutnant sollten auseinandersetzen. Wir jingen hin und jingen verzankt wieder fort. Ick koofe seitdem wo anders, und jehe auch jar nich mehr vorbei, weil ick nämlich keenen Skandal haben will.

Sie schwieg und Duroy fragte:

– Ist das alles?

– Dat ist die reene Wahrheit lieber Herr!

Und nachdem die Alte ihm ein Glas Schnaps angeboten, das er abschlug, bestand sie darauf, im Polizeibericht müßte von den Betrügereien des Fleischers die Rede sein.

Als Duroy wieder in der Redaktion war, setzte er folgende Antwort auf:

»Ein anonymer Zeilenschinder der ›Feder‹ hat sich eine ausgerissen um mich anzurempeln, wegen einer alten Frau, von der er behauptet, sie wäre von einem Sittenpolizisten arretiert worden. Das leugne ich. Ich habe selbst Frau Aubert aufgesucht, die wenigstens sechzig Jahre alt ist, und sie hat mir haarklein ihren Streit mit einem Fleischer erzählt, wegen des Abwiegens von Koteletten und das darauf folgende Verhör vor dem Polizeileutnant.

Das ist die ganze Wahrheit.

Was die übrigen Anrempeleien des Redakteurs der ›Feder‹ betrifft, so verachte ich sie. Auf solche Angriffe antwortet man auch nicht, wenn sie anonym gemacht werden.

Georg Duroy.«

Herr Walter und Jacques Rival, die eben gekommen waren, fanden die Entgegnung ausreichend, und es ward beschlossen, daß sie am selben Tage noch unter den lokalen Nachrichten erscheinen sollte.

Duroy ging zeitig nach Haus, ein wenig erregt, und beunruhigt. Was würde der andere antworten? Wer war es? Wozu diese brutalen Angriffe? Bei den heftigen Gewohnheiten der Journalisten konnte der Unsinn noch zu Gott weiß was führen. Und er schlief unruhig.

Als er am andern Morgen seine Notiz in der Zeitung las, fand er sie gedruckt schärfer klingend, als geschrieben. Er meinte, er hätte doch ein paar Worte mildern können.

Er war den ganzen Tag fieberhaft erregt und schlief auch die folgende Nacht schlecht. Sobald es Tag geworden war, stand er auf, um sich die Nummer der ›Feder‹ zu holen, die die Antwort auf seine Notiz enthalten mußte.

Es war wieder kalt geworden, es fror. Das Wasser in den Rinnsteinen war beim hineinfließen erstarrt, und zog sich nun längs der Trottoirs in zwei Eisbändern dahin.

Die Zeitungen waren bei den Verkäufern noch nicht angelangt, und Duroy dachte an den Tag, als er seinen ersten Artikel geschrieben: »Erinnerungen eines Chasseur d'Afrique.« Hand und Fuß erstarrten ihm und begannen zu schmerzen, besonders seine Fingerspitzen, und er fing an rund um den gläsernen Zeitungskiosk herumzulaufen, in dem die Verkäuferin hockte, die Füße auf ihrem Wärmeapparat. Man sah durch das kleine Fenster nur ihre Nase und ihre beiden roten Wangen aus der Wollkapuze ragen.

Endlich erschien der Mann mit den Zeitungen und steckte das erwartete Bündel der Tagesblätter durch die Öffnung in der Scheibe, und die brave Frau hielt Duroy die ›Feder‹ auseinander gefaltet entgegen.

Er suchte mit einem Blick seinen Namen, aber sah zuerst nichts. Schon atmete er auf, da entdeckte er doch die Antwort, auffällig zwischen zwei Strichen gesetzt:

»Der Duroy von der ›Vie française‹ dementiert uns, und indem er uns Lügen strafen will, lügt er. Er räumt aber ein, daß es allerdings eine gewisse Aubert giebt, und daß ein Polizist sie auf die Wache gebracht hat. Man braucht also nur noch daß Wort ›Sitten‹ vor Polizist zu setzen, und es stimmt eben.

Aber die Wahrheitsliebe gewisser Journalisten, steht mit ihrem Talent auf gleicher Höhe.

Damit unterzeichne ich

Ludwig Langremont.«

Da bekam Georg plötzlich heftiges Herzklopfen. Er ging nach Hause um sich umzuziehen, aber er wußte eigentlich nicht recht, was er that. Man hatte ihn also beleidigt und zwar so beleidigt, daß es kein Zögern mehr gab. Und warum? Um nichts! Wegen eines alten Weibes, das sich mit dem Fleischer gezankt hatte.

Er kleidete sich schnell an und lief zu Herrn Walter, obgleich es kaum acht Uhr morgens war. Herr Walter war schon auf und las die ›Feder‹.

– Nun, sagte er mit ernstem Ausdruck, als er Duroy erblickte – da können Sie nicht mehr zurück.

Der junge Mann antwortete nichts, und der Chef fuhr fort:

– Gehen Sie mal gleich zu Rival, der wird die Sache schon in die Hand nehmen.

Duroy stammelte ein paar unbestimmte Worte und ging, um den Feuilletonisten aufzusuchen, der noch schlief. Beim Klang der Glocke war er aus dem Bett gesprungen, und als er dann den Artikel gelesen, sagte er:

– Verflucht, da muß ich hin. Wer soll Ihr anderer Zeuge sein?

– Ja, das weiß ich nicht.

– Boisrenard, was meinen Sie?

– Ja Boisrenard!

– Sind Sie ein guter Fechter?

– Nein, garnicht.

– Teufel nochmal, wie steht's mit der Pistole?

– Ich versteh' mich ein wenig auf's Schießen.

– Gut, üben Sie sich ein, während ich die anderen Sachen besorge. Warten Sie eine Minute.

Er ging in sein Toilettenzimmer und erschien bald wieder, gewaschen, rasiert, fertig angezogen.

– Kommen Sie mit, sagte er.

Rival wohnte im Erdgeschoß eines kleinen herrschaftlichen Hauses und führte nun Duroy in den Keller, einen riesigen Keller, der in einen Fechtboden und Schießstand umgewandelt worden, in dem man alle nach der Straße gehenden Öffnungen geschlossen hatte.

Nachdem er eine Reihe von Gasflammen angezündet hatte, die bis in einen zweiten Kellerraum hinterführten, wo eine rot und blau gestrichene eiserne Scheibe stand in Gestalt eines Mannes, legte er ein paar Pistolen auf den Tisch. Es waren Hinterlader nach neuem System und er fing kurz an zu kommandieren, als ob sie auf dem Kampfplatz wären.

– Fertig? – Feuer! Eins, zwei, drei.

Duroy gehorchte ganz zerknirscht, hob den Arm, zielte, schoß, und da er mehrmals die Puppe mitten in die Brust traf – denn als Junge hatte er oft mit einer alten Pistole seines Vaters im Hofe Spatzen geschossen – erklärte sich Jacques Rival zufrieden gestellt:

– Gut, sehr gut, sehr gut, es wird schon gehen, es wird schon gehen!

– Schießen Sie so bis Mittag weiter. Hier ist Munition, Sie können sie ruhig verbrauchen; ich werde Sie zum Frühstück abholen und Ihnen berichten, wie die Sache steht. – Damit ging er fort und ließ ihn allein:

Duroy schoß noch ein paar Mal.

Dann setzte er sich hin und fing an nachzudenken.

Es war doch zu dumm, alle diese Geschichten. Was sollte schließlich damit bewiesen werden? War ein Lump weniger ein Lump, wenn er sich geschlagen hatte? Was war es für ein Vorteil für einen anständigen Menschen, den man beleidigt hatte, sein Leben gegen einen Schuft einzusetzen? Und wie er sich so seinen Gedanken überließ, dachte er an all das, was Norbert von Varenne gesagt über die Erbärmlichkeit des menschlichen Geistes, über seinen geringen Horizont, über sein zwerghaftes Thun, über seine Vorurteile, über seine falschen Moralbegriffe, und er rief laut:

– Verflucht, der hat so recht!

Dann fühlte er Durst, und da er hinter sich Tropfen fallen hörte, bemerkte er einen Doucheapparat und trank am Wasserhahn.

Dann fing er wieder an nachzudenken. Es war traurig in diesem Keller, traurig wie in einem Grabe. Das dumpfe, ferne Rollen der Wagen machte den Eindruck eines entfernten Gewitters. Wieviel Uhr mochte es sein? Hier verfloß die Zeit wie wohl im Gefängnis, nichts deutet sie an, nichts bezeichnet den Lauf der Stunden, als das regelmäßige Erscheinen des Wärters, der das Essen bringt. Er wartete lange, lange Zeit.

Dann hörte er plötzlich Schritte, Stimmen, und Jacques Rival erschien mit Boisrenard. Sobald er Duroy sah, rief er:

– Es ist alles in Ordnung.

Georg meinte, die Geschichte sei etwa durch einen entschuldigenden Brief beigelegt. Er war glückselig und stammelte einen Dank. Der Feuilletonist sagte aber:

– Dieser Langremont war wirklich sehr entgegenkommend. Er hat alle unsere Bedingungen angenommen. Fünfundzwanzig Schritt, einmaliger Kugelwechsel auf Kommando beim Heben der Pistole. Man kann nämlich dabei viel sicherer zielen, als wenn man den Arm senkt. Sehen Sie, Herr Boisrenard, was ich Ihnen gesagt habe.

Er nahm eine Pistole und begann zu schießen, indem er zeigte, wie man in der That viel sicherer zielen könne, wenn man von unten herauf in das Ziel ging.

Dann sagte er:

– So, nun wollen wir frühstücken gehen, es ist schon zwölf vorbei.

Und sie begaben sich in ein benachbartes Restaurant. Duroy sprach kaum mehr ein Wort. Er aß, damit es nicht den Anschein haben sollte, als hätte er Angst. Später begleitete er Boisrenard in die Redaktion und erledigte zerstreut, mechanisch seine Arbeit. Man fand ihn riesig schneidig.

Nachmittag kam Jacques Rival ihm die Hand zu drücken, und es ward verabredet, daß ihn am andern Morgen seine Zeugen um sieben Uhr mit einem Mietwagen abholen sollten, um nach dem Gehölz von Vosinet zu fahren, wo der Kampf stattfinden sollte.

Das war alles so unvermutet gekommen, ohne daß er Teil daran genommen, ohne daß er ein Wort gesagt, ohne daß er seine Ansicht geäußert, ohne daß er irgend etwas angenommen oder abgelehnt, so schnell, daß er ganz überrumpelt, betäubt war, indem er kaum begriff, was eigentlich vor sich ging.

Gegen neun Uhr abends kehrte er nach Hause zurück, nachdem er mit Boisrenard gegessen hatte, der ihn aus Freundschaft den ganzen Tag nicht verlassen.

Sobald er sich allein befand, ging er einige Minuten mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. Er war zu erregt, um irgend einen Gedanken fassen zu können, nur eins erfüllte ihn: er hatte morgen ein Duell. Diese Idee erweckte in ihm eine unbestimmte starke Nervenspannung. Er war Soldat gewesen, er hatte auf die Araber geschossen, übrigens ohne daß das gerade sehr gefährlich gewesen wäre, wie man etwa bei der Jagd einen Keiler schießt.

Im ganzen hatte er sich richtig benommen, sich gezeigt wie es sich gehörte. Man würde davon reden, ihm Beifall zollen, ihn beglückwünschen. Dann sagte er laut, wie man es manchmal thut, wenn einen etwas sehr bewegt:

– So ein Luder, dieser Kerl.

Er setzte sich und fing an nachzudenken. Auf den kleinen Tisch vor sich hatte er die Karte seines Gegners gelegt, die ihm Rival gegeben, damit er seine Adresse besäße. Er las sie wieder, wie er sie heute schon zwanzigmal gelesen, dort stand nur: »Ludwig Langremont Rue Montmartre 176.«

Er betrachtete die Buchstaben vor sich, die ihm ganz eigen erschienen, als läge irgend etwas Beunruhigendes darin. – Ludwig Langremont! Wer war das? Wie alt war er? Wie sah er aus? War es eigentlich nicht empörend, daß ein Fremder, ein Unbekannter, einem plötzlich ohne jeden Grund, aus einfacher Laune, wegen eines alten Weibes, das sich mit seinem Fleischer gezankt, so ins Leben griff?

Er sagte noch einmal laut:

– Luder, verdammtes.

Er blieb unbeweglich und dachte nach, indem er die Karte betrachtete. Eine innere Wut stieg in ihm auf gegen dieses Stück Papier, ein Haß, in den sich ein seltsames Gefühl des Unbehagens mischte. Die Geschichte war doch zu dumm. Er nahm eine Nagelscheere, die auf dem Tisch lag, und durchstach mit ihr den Namen, als ob er jemanden erdolchte.

Er sollte sich also schlagen, sich schießen. Weshalb hatte er nicht den Degen gewählt. Da wäre man mit einem Stich in den Arm, oder in die Hand davongekommen, während man bei der Pistole nie die Folgen voraussehen konnte.

Aber er sagte sich:

– Ach was, jetzt heißt es schneidig sein.

Er zitterte bei dem Ton seiner Stimme und blickte um sich. Er war doch sehr nervös. Er trank ein Glas Wasser und ging zu Bett.

Sobald er lag, blies er das Licht aus und schloß die Augen.

Ihm war fürchterlich heiß unter der Decke, obgleich es kalt war im Zimmer. Er konnte nicht einschlafen, warf sich hin und her, blieb einmal fünf Minuten auf dem Rücken liegen, legte sich auf die linke Seite und wälzte sich dann auf die rechte.

Er hatte wieder Durst. Er stand auf um zu trinken, dann packte ihn die Unruhe:

– Ich habe doch nicht etwa Angst?

Warum klopfte sein Herz wie verrückt, wenn nur irgendwo im Zimmer ein Möbel krachte? Wenn seine Kuckucksuhr aushob, fuhr er beim Klang des Einschnappens der Feder in die Höhe. Und dann mußte er den Mund öffnen um ein paar Sekunden tief Luft zu holen, so bedrückt fühlte er sich.

Er fing an philosophisch über die Möglichkeit nachzudenken, ob er Angst hätte.

Nein, er konnte nicht Angst haben, denn er war doch entschlossen die Konsequenzen zu ziehen, sich zu schlagen und nicht zu zittern.

Aber er war so bewegt, daß er sich fragte: Kann man trotzdem Angst haben? Und ein Zweifel überkam ihn, Unruhe, Entsetzen darüber. Wenn eine stärkere Gewalt als sein Wille ihn beherrschte und unwiderstehlich bezwang, was würde da wohl geschehen?

Auf den Kampfplatz würde er unbedingt gehen, da er es nun mal wollte, aber wenn er nun zitterte, wenn er das Bewußtsein verlor? Er dachte an seine Stellung, an seinen Ruf, an seine Zukunft, und ein eigentümliches Bedürfnis packte ihn plötzlich, aufzustehen, in den Spiegel zu sehen.

Er steckte sein Licht wieder an, und als ihm das glänzende Glas sein Gesicht zurückwarf, erkannte er sich kaum, und ihm war es, als hätte er sich nie gesehen. Die Augen schienen ihm riesig und er war bleich, unbedingt bleich, sehr blaß.

Plötzlich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf. Morgen um diese Zeit bin ich vielleicht nicht mehr! Und sein Herz fing wieder an gewaltig zu klopfen.

Er wandte sich wieder zum Bett, und es war ihm, als sähe er sich ganz deutlich dort im Bett, das er eben verlassen, auf dem Rücken liegen. Er hatte jenes eingefallene Gesicht der Toten und jene wachsbleiche Farbe der Hände, die sich nicht mehr bewegen können.

Da fürchtete er sich vor seinem Lager und um es nicht mehr zu sehen, öffnete er das Fenster und blickte hinaus.

Eisig kalt traf es ihn vom Kopf bis zu den Füßen und er wich zurück.

Er verfiel auf die Idee Feuer zu machen und er schürte es langsam, ohne sich umzublicken. Seine Hand zitterte ein wenig nervös, wenn er etwas berührte. Er verlor die Gedanken, sie verwirrten sich, brachen ab, entflohen ihm, sein Kopf schmerzte und eine Art Trunkenheit kam über ihn, als ob er Spirituosen zu sich genommen hätte.

Ununterbrochen fragte er sich: Was soll ich thun? Was wird aus mir?

Er fing wieder an, auf- und abzugehen, indem er immerfort mechanisch wiederholte: Mut! Mut! Mut!

Da sagte er sich: Ich werde auf alle Fälle an meine Eltern schreiben.

Er setzte sich wieder, nahm einen Bogen Papier und schrieb:

Lieber Papa und liebe Mama!

Dann fand er diesen Anfang zu familiär bei einem so tragischen Anlaß. Er zerriß das erste Blatt und begann von neuem:

Mein lieber Vater, meine liebe Mutter!

Wenn der Morgen graut, werde ich mich schießen, und da es geschehen könnte . . . . .

Mehr wagte er nicht zu schreiben und stand mit einem Ruck auf.

Der Gedanke erdrückte ihn jetzt; er mußte sich duellieren, es war nicht mehr zu vermeiden; was ging nur in ihm vor? Er sollte sich schlagen. Er hatte die Absicht, die bestimmte Absicht, und es schien ihm trotz aller Anstrengung seines Willens, daß er nicht einmal soviel Kraft zusammenraffen könnte, um bis zum Kampfplatz zu gehen.

Ab und zu schlugen seine Zähne aufeinander mit einen kleinen knirschenden Ton, und er fragte sich: Ob mein Gegner wohl schon mal ein Duell gehabt hat? Ob er gut schießt? Ob er etwa dafür bekannt ist? Er hatte seinen Namen nie gehört, und doch, würde dieser Mann wohl so ohne weiteres, und ohne zu zucken diese gefährliche Waffe angenommen haben, wenn er nicht ein vorzüglicher Schütze war?

Da stellte sich Duroy ihre Begegnung vor, wie er sich benehmen würde und wie sein Gegner. Er zerquälte seine Phantasie, um sich die geringsten Einzelheiten des Kampfes auszumalen. Und plötzlich sah er vor sich das kleine, schwarze, tiefe Loch des Laufs, aus dem die Kugel ihm entgegenfliegen sollte.

Da packte ihn fürchterliches Entsetzen. Er zitterte am ganzen Leibe, er biß die Zähne aufeinander, um nicht zu schreien. Und es packte ihn eine tolle Lust, sich am Boden zu wälzen, irgend etwas zu zerreißen, zu zerbeißen.

Aber da sah er auf dem Kaminsims plötzlich ein Glas, und es fiel ihm ein, daß er ja noch eine volle Flasche Cognac im Schranke stehen hatte; denn er hatte von der Soldatenzeit her noch die Gewohnheit, jeden Morgen ein Gläschen hinter die Binde zu gießen.

Er nahm die Flasche und trank, indem er diese an den Mund setzte, gierig mit langen Zügen; erst als ihm der Atem ausging, stellte er sie wieder hin. Sie war ein drittel geleert. Bald fühlte er eine Hitze im Magen, sie ging in seine Glieder über, und indem sie ihn berauschte, gab sie ihm Mut.

Er sagte sich: So nun habe ich ein gutes Mittel! Und da ihm nun die Haut brannte, öffnete er das Fenster. Ruhig, eisig brach der Tag an. Dort oben am hellen Firmament schienen die Sterne zu sterben, und an den tiefen Einschnitten der Eisenbahn erblaßten die grünen, roten und weißen Signallichter.

Aus dem Lokomotivenhaus kamen die ersten Maschinen und fuhren pfeifend davon, um die ersten Züge abzuholen, andere pfiffen in der Ferne kurz, scharf, wie die Hähne auf dem Lande bei Tagesanbruch krähen.

Duroy dachte: Das alles sehe ich vielleicht nicht wieder! Aber da er fühlte, wie er wieder schlapp zu werden begann, gab er sich einen Ruck. Ach was, bis es losgeht, muß ich an so was gar nicht denken, nur so kann ich wirklich schneidig sein!

Und er begann sich anzuziehen. Während er sich rasierte hatte er nochmal eine Anwandlung von Schwäche, als er daran dachte, daß es vielleicht das letzte Mal wäre, daß er sein Gesicht vor sich sähe.

Aber er nahm noch einen Schluck Cognac und zog sich fertig an.

Die nächste Stunde ward ihm sauer zu überwinden. Er ging immer auf und ab und mühte sich, seine Seele zu beruhigen. Als es an der Thür klopfte, wäre er beinahe hinten über gefallen, so groß war seine Erregung. Es waren seine Zeugen. – Schon?

Sie waren in Pelze gehüllt. Rival sagte, nachdem er seines Mandanten Hand gedrückt:

– Es ist eine Kälte, rein wie in Sibirien.

Dann fragte er:

– Nun, wie geht es?

– Gut!

– Sind Sie ruhig?

– Ganz ruhig!

– Na, es wird schon alles gut ablaufen! Haben Sie schon etwas gegessen und getrunken?

– Ja, danke, ich brauche nichts.

Boisrenard hatte zu dieser Gelegenheit einen ausländischen Orden mit grün und gelbem Bande angelegt, den Duroy noch nie bei ihm gesehen.

Sie gingen die Treppe hinab. Ein Herr erwartete sie im Wagen. Rival stellte vor: – Doktor Le Brument. Duroy gab ihm die Hand und stotterte etwas wie: – Ich danke Ihnen.

Dann wollte er auf dem Rücksitz Platz nehmen und setzte sich auf etwas Hartes, sodaß er empor fuhr wie von einer Feder geschnellt. Es war der Pistolenkasten gewesen.

Rival sprach: – Nein, bitte in den Fond. Der Duellant und der Arzt im Fond.

Duroy begriff endlich und ließ sich an der Seite des Doktors nieder.

Die beiden Zeugen stiegen nun auch ein, und der Kutscher fuhr fort. Er wußte wohin.

Aber der Pistolenkasten war allen im Wege, am meisten Duroy, der ihn am liebsten gar nicht gesehen hätte. Man versuchte ihn sich in den Rücken auf den Sitz zu legen, aber er war unbequem beim Anlehnen. Dann stellte man ihn zwischen Rival und Boisrenard aufrecht, aber er kippte immer um. Endlich legte man ihn auf den Boden des Wagens.

Die Unterhaltung war nicht sehr lebhaft, obgleich der Arzt Anekdoten erzählte. Nur Rival antwortete. Duroy hätte gern seine Geistesgegenwart bewiesen, aber er fürchtete, wenn er spräche, den Faden zu verlieren und die Erregung seiner Seele zu verraten. Dabei überfiel ihn fortwährend die Furcht, er möchte etwa zittern.

Der Wagen fuhr bald in die freie Ebene hinaus. Es war etwa neun Uhr, einer jener Wintermorgen, wo alles glitzert, und zerbrechlich und hart aussieht, wie Kristall.

Die bereiften Bäume machen den Eindruck, als hätten sie Eis geschwitzt, die Erde klingt bei den Tritten, die trockene Luft trägt jedes Geräusch weit hinaus. Der blaue Himmel sieht aus wie ein Spiegel und ihn durchzieht die Sonne leuchtend und auch kalt, die auf die erstarrte Welt Strahlen niedersendet, die doch nicht wärmen.

Rival sagte zu Duroy: – Ich habe die Pistolen bei Gastine Renette geholt. Er hat selbst geladen. Der Kasten ist versiegelt, übrigens werden wir losen, ob wir unsere oder die des Gegners nehmen.

Duroy antwortete mechanisch: – Danke sehr.

Dann schärfte ihm Rival allerlei Dinge nochmals ein, denn ihm lag daran, daß sein Mandant nicht etwa irgend einen Fehler beginge. Er wiederholte alles mehrere Male.

– Wenn gefragt wird: Meine Herren, sind Sie fertig? So müssen Sie laut und kräftig antworten: Jawohl! und kommt das Kommando: Feuer! so heben Sie schnell den Arm und schießen, ehe bis drei gezählt ist.

Und Duroy wiederholte sich im stillen: Und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm . . . und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm . . . und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm und schieße.

Er lernte das auswendig, wie die Kinder ihre Lektion im Überdruß hersagen, um sie sich recht einzuprägen: Und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm . . .

Der Wagen bog in ein Gehölz ein und wandte sich in eine Allee rechts und dann links und nochmals rechts.

Plötzlich öffnete Rival die Thür und rief dem Kutscher zu: – Da in den kleinen Weg hinein.

Der Wagen folgte ein paar Räderspuren zwischen Unterholz rechts und links, wo welkes Laub bereift am Boden zitterte.

Duroy wiederholte sich fortwährend: Und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm . . .

Und er dachte, die ganze Geschichte würde vielleicht erledigt werden durch irgend ein Unglück mit dem Wagen. Ach wenn sie doch umschmeißen möchten, das wäre mal ein Glück! Wenn er sich doch ein Bein bräche!

Aber da sah er am Ende einer Lichtung einen andern Wagen halten, und dort standen vier Herren, die hin und her traten um sich zu erwärmen! Er mußte den Mund aufmachen, so schwer ward ihm das Atmen.

Zuerst stiegen die Zeugen aus, dann der Arzt, dann Duroy.

Rival hatte den Pistolenkasten genommen und ging mit Boisrenard voraus immer den fremden Herren entgegen, die auf sie zukamen. Duroy sah, wie sie sich förmlich grüßten und dann zusammen auf die Lichtung schritten, indem sie ab und zu auf den Boden, und ab und zu nach den Bäumen blickten, als suchten sie etwas, das hingefallen oder fortgeflogen sein könnte. Dann zählten sie die Schritte ab und bohrten mit großer Mühe zwei Spazierstöcke in den gefrorenen Boden, darauf bildeten sie eine Gruppe und man sah wie sie ›Kopf oder Wappen‹ ausrieten wie spielende Kinder.

Doktor Le Brument fragte Duroy:

– Fühlen Sie sich wohl, brauchen Sie etwas?

– Nein, danke sehr, nichts!

Ihm war zu Mut, als wäre er verrückt geworden, als schliefe, als träumte er, als ob ihm irgend etwas Unnatürliches zugestoßen sei. Fürchtete er sich vielleicht? Aber er wußte es nicht recht, jedenfalls schien ihm alles verändert.

Jacques Rival kam zurück und meldete mit Befriedigung:

– Alles ist bereit. Das Loos hat für unsere Pistolen entschieden.

Das war Duroy ganz gleichgiltig.

Man half ihm den Überzieher ausziehen, er ließ alles geschehen. Man befühlte die Taschen seines Rockes um sich zu vergewissern, daß er keine Briefschaften, oder eine Brieftasche bei sich hatte, die ihn hätte schützen können.

Und innerlich sagte er sich wieder, als spräche er ein Gebet:

– Und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm . . .

Dann führte man ihn bis zu dem einen Spazierstock, der im Boden steckte, und gab ihm seine Pistole.

Da sah er vor sich einen Herrn stehen, gerade sich gegenüber, der zum Kampf bereit war, einen kleinen, dicken Mann mit Glatze und Brillengläsern. Das war sein Gegner.

Er sah ihn wohl, aber er dachte nichts anderes als: Und kommt das Kommando: Feuer! so hebe ich schnell den Arm.

Eine Stimme tönte in der großen Stille, es war als käme sie unendlich weit her und fragte:

– Meine Herren, sind Sie bereit?

Georg rief:

– Jawohl!

Da befahl dieselbe Stimme: – Feuer!

Er hörte nichts mehr, er sah nichts mehr, er fühlte nur, daß er den Arm hob und mit aller Kraft auf den Abzug drückte.

Er hörte nichts.

Aber er sah eine ganz kleine Rauchwolke aus der Mündung seiner Pistole steigen.

Und da der Herr ihm gegenüber ruhig stehen blieb, genau in derselben Stellung, so gewahrte er auch drüben eine kleine weiße Wolke über dem Kopf seines Gegners emporsteigen.

Sie hatten beide geschossen. Es war aus!

Seine Zeugen und der Arzt untersuchten ihn, öffnete seine Kleidung und fragten ängstlich:

– Sie sind doch nicht verwundet?

Er antwortete auf gut Glück:

– Nein, ich glaube nicht!

Übrigens war Langremont ebensowenig verwundet, wie sein Gegner, und Jacques Rival brummte mißvergnügt:

– Mit den verfluchten Pistolen geht es immer so, entweder fehlt man, oder man schießt sich tot. Eine ekelhafte Waffe.

Duroy bewegte sich nicht. Er war wie gelähmt vor Überraschung und Freude. Es war aus! Man mußte ihm seine Waffe abnehmen, die er immer noch in der Hand hielt. Er hatte jetzt ein Gefühl, als würde er es mit der ganzen Welt aufnehmen. Es war aus! Gott, war er glücklich! Jetzt fühlte er sich tapfer genug, um jeden Menschen herauszufordern.

Die Zeugen sprachen ein paar Minuten miteinander und verabredeten ein Stelldichein im Laufe des Tages, um das Protokoll festzustellen. Dann stieg man wieder in den Wagen, und der Kutscher, der grinsend auf dem Bocke saß, fuhr mit der Peitsche knallend davon.

Sie frühstückten alle vier auf dem Boulevard und sprachen von dem großen Ereignis.

Duroy erzählte seine Eindrücke:

– Mir war die Geschichte ganz wurscht, aber auch ganz wurscht. Sie haben es ja auch bemerkt?

Rival antwortete:

– Ja, Sie haben sich riesig gut benommen.

Als das Protokoll aufgesetzt war, ward es Duroy übergeben, daß es unter die Lokalnachrichten aufgenommen werden sollte.

Er wunderte sich zu lesen, daß er mit Herrn Ludwig Langremont zwei Kugeln gewechselt haben sollte und fragte Rival, ein wenig dadurch beunruhigt:

– Aber wir haben doch bloß einmal Kugeln gewechselt?

Der andere lächelte:

– Nun ja, jeder eine Kugel – macht zwei.

Duroy fand die Erklärung genügend und beruhigte sich dabei.

Der alte Walter umarmte ihn gerührt und sagte:

– Brav, brav, Sie haben die Fahne der ›Vie française‹ verteidigt.

Georg zeigte sich diesen Abend auf den Redaktionen der großen Blätter und in den bedeutendsten, großen Cafés der Boulevards. Dabei begegnete er zweimal seinem Gegner, der sich ebenfalls zeigte.

Sie grüßten sich nicht. Wäre einer von ihnen verwundet worden, so hätten sie sich die Hand gegeben. Übrigens schwuren beide hoch und heilig, daß sie die Kugel des Gegners hätten pfeifen hören.

Am nächsten Morgen bekam Duroy gegen elf Uhr ein Stadttelegramm:

»Gott habe ich Angst gehabt. Komm heute nachmittag Rue de Constantinople, daß ich Dich umarmen kann lieber Schatz. Du bist so tapfer, ich liebe Dich.

Clo.

Er ging zum Stelldichein. Sie stürzte ihm in die Arme und bedeckte ihn mit Küssen:

– Du lieber, lieber Mann, wenn Du wüßtest, wie mich das erschreckt hat, als ich heute früh die Zeitung las. Aber Du mußt mir alles erzählen, alles, ich muß alles wissen.

Er mußte jede Einzelheit berichten.

Da sagte sie:

– Aber die Nacht vor dem Duell muß schrecklich gewesen sein.

– Durchaus nicht, ich habe fest geschlafen!

– Ich hätte kein Auge zugethan. Und sag' mal, wie ging es denn draußen zu?

Da erzählte er ganz dramatisch gefärbt:

– Als wir uns gegenüberstanden, zwanzig Schritt, nur etwa viermal so weit, wie dies Zimmer, fragte Jacques, ob wir bereit wären, und kommandierte Feuer! Ich hab' sofort den Arm gehoben, scharf gezielt, aber dummer Weise wollte ich auf seinen Kopf abkommen – meine Waffe hatte einen sehr schweren Abzug – ich bin aber Pistolen gewöhnt, die leicht gehen – und so habe ich leider, durch den Widerstand beim Abdrücken, die Mündung in die Höhe gehoben. Aber weit wird die Kugel wohl nicht bei ihm vorbeigegangen sein. Und der Lump schießt auch gut. Seine Kugel hat mir fast die Schläfe gestreift. Ich habe sogar den Luftdruck genau gefühlt.

Sie saß auf seinen Knieen und hielt ihn fest umschlungen, als wollte sie teilnehmen an seinen Gefahren, und sie stammelte:

– O du armer Schatz, o du armer Schatz!

Als er fertig erzählt hatte, sagte sie:

– Weißt Du, ich kann gar nicht mehr ohne Dich sein. Ich muß Dich sehen. Aber wenn mein Mann in Paris ist, geht es schlecht. Ich hätte wohl mal ab und zu früh ehe Du aufgestanden bist, eine Stunde Zeit und könnte kommen, um Dir einen Kuß zu geben. Aber ich mag nicht wieder in das gräßliche Haus gehen. Was sollen wir thun?

Er hatte eine Idee und fragte:

– Was zahlst Du hier?

– Hundert Franken monatlich.

– Nun, so werde ich diese Wohnung nehmen und ganz hier wohnen. Meine Wohnung paßt überhaupt für meine neue Stellung nicht mehr.

Sie überlegte einige Augenblicke, dann antwortete sie:

– Nein, das will ich nicht.

Er fragte verwundert:

– Warum?

– Weil ich nicht will.

– Das ist kein Grund, die Wohnung paßt sehr gut für mich. Ich bin nun mal hier und bleibe hier.

Er lächelte.

– Übrigens ist sie ja auf meinen Namen gemietet.

Aber sie wollte noch immer nichts davon wissen:

– Nein, nein, das will ich nicht!

– Aber warum denn nicht?

Da flüsterte sie ihm ganz leise zärtlich ins Ohr:

– Weil Du andere Frauen hierherbringen würdest, und das will ich nicht!

Er ward böse:

– Fällt mir gar nicht ein.

– Nein, Du bringst doch andere her!

– Ich schwöre es Dir!

– Ist es auch wahr?

– Die reine Wahrheit. Ehrenwort, es soll unsere Wohnung sein, nur unsere.

Sie umarmte ihn plötzlich überglücklich:

– Gut, Schatz! Dann bin ich einverstanden, aber wenn Du mich einmal hintergehst, nur einmal, dann ist es aus!

Er verschwor sich nochmals mit Entrüstung. Dann kamen sie überein, daß er am selben Tage einziehen sollte, damit sie ihn sehen könne, wenn sie vorbeiginge.

Darauf sagte sie:

– Du mußt jedenfalls Sonntag zu uns zum Essen kommen. Mein Mann findet Dich reizend.

Das schmeichelte ihm:

– Wirklich?

– Ja, Du hast ihn ganz gewonnen. Und dann höre mal, Du hast mir doch gesagt, daß Du in einem Schlosse auf dem Lande erzogen worden bist, nicht wahr?

– Ja, warum denn?

– Da mußt du doch so ein bißchen was von Landwirtschaft verstehen.

– Ja!

– Weißt Du, da sprich doch mit ihm von Landbestellung und Saaten, das liebt er sehr!

– Gut, ich will dran denken.

Sie verließ ihn, nachdem sie ihn stürmisch umarmt, denn dieses Duell hatte sie ganz rasend gemacht.

Und Duroy dachte, als er in die Redaktion ging:

– Sie ist doch ein wunderliches Ding. Was will sie nun eigentlich? Was liebt sie? Wie hat bloß dieser würdige Eisenbahnbeamte so ein Studentenmädel heiraten können! Es ist wirklich ein Wunder. Aber, wer weiß, vielleicht war es doch die Liebe?

Und der Schluß seines Gedankenganges war: – Jedenfalls ist sie ein reizendes kleines Verhältnis, und ich müßte schön dumm sein, sie nicht zu behalten!

 


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