Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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Erster Teil

I

Georg Duroy wechselte bei der Kassiererin ein Fünffrankenstück, zahlte und verließ das Restaurant.

Von Haus aus ein hübscher Kerl, sah er besonders gut aus in der militärischen Haltung, nach der er sich als ehemaliger Unteroffizier trug. Er warf sich in die Brust, wirbelte schneidig seinen Schnurrbart und ließ über die Verspäteten rings an den Tischen einen schnellen, aber umfassenden Blick gleiten, dem nichts entging.

Die Frauen hatten ihm nachgeschaut, drei kleine Arbeiterinnen, eine Musiklehrerin von mittlerem Alter, die schlecht frisiert war, etwas vernachlässigt aussah, einen immer staubigen Hut auf hatte, und deren Kleid schief saß; und dann zwei Bürgerfrauen mit ihren Männern, die für gewöhnlich hier ihr Mittagsessen im Abonnement einzunehmen pflegten.

Als er hinausgetreten war, blieb er einen Augenblick auf dem Trottoir stehen und überlegte sich, was er thun sollte. Es war der achtundzwanzigste Juni und er besaß gerade noch drei Franken vierzig, womit er den Monat auskommen mußte. Das bedeutete soviel, wie zwei Mittagessen ohne Abendbrot oder zwei Abendessen ohne Mittag, je nach Wahl. Er überlegte, daß, da das Mittagessen ihm zweiundzwanzig Sous kosten würde, während er dreißig für sein Abendbrot anlegen mußte, ihm ein Frank zwanzig Überschuß bliebe, wenn er sich mit zweimal Mittagessen allein begnügte. Der Überschuß reichte noch für zwei Portionen Brot und Wurst und zwei Glas Bier, die er irgendwo auf dem Boulevard zu sich nehmen könnte. Das war seine einzige Ausgabe und sein einziges Amüsement. So bummelte er denn die Straße Notre Dame de Lorette hinab.

Er ging genau so, wie er früher einst das Pflaster getreten in seiner Husarenuniform, die Brust herausgedrückt, die Kniee ein wenig nach außen, als ob er eben vom Pferde gestiegen wäre. Und rücksichtslos schritt er in die Menschenmenge hinein, streifte die Schultern, rempelte hier und da einmal jemanden an und machte nicht einen Zoll breit Platz. Den Cylinder, der etwas ramponiert war, hatte er schief auf's Ohr gesetzt, und seine Schritte klangen laut auf dem Pflaster. Er sah aus, als blickte er alles herausfordernd an, die Vorübergehenden, die Häuser, die ganze Stadt, wie's eben ein schöner Husar thut, der zu seinem Leidwesen den Civilrock tragen muß.

Obgleich er nur einen Anzug für sechzig Franken trug, hatte er doch eine gewisse, etwas aufdringliche Eleganz an sich, die zwar ein wenig ordinär war, doch thatsächlich bestand. Er war groß, gut gewachsen, blond, von einem kastanienfarbenen leicht rötlichen Blond, mit aufgedrehtem Schnurrbart, der sich auf seiner Oberlippe zu kräuseln schien. Er hatte blaue, klare Augen und eine ganz kleine Pupille, natürlich-gelocktes Haar, das in die Mitte gescheitelt war und sah so ein wenig aus wie die Schwerennöter in den Schundromanen.

Es war einer jener Sommerabende, wo man das Gefühl hat, als wäre nicht genug Luft in Paris. Die Stadt war glühend heiß und schien zu schwitzen bei der erstickenden Hitze. Die Schleußen strömten durch ihren granitnen Mund ihre verpesteten Dünste aus und die Küchen im Untergeschoß hauchten auf die Straße durch ihre niedrigen Fenster die gräßlichen Gerüche von Aufwaschwasser und alten Saucen hinaus.

Die Portiers saßen in Hemdsärmeln rittlings auf ihren Rohrstühlen und rauchten unter dem Hofeingang ihre Pfeife. Und die Vorübergehenden gingen mit müden Schritten barhäuptig, den Hut in der Hand.

Als Georg Duroy an den Boulevard kam, blieb er noch einmal stehen, unschlüssig, was er thun sollte. Er hatte jetzt eigentlich Lust, in die Champs-Elysées und in die Avenue du bois de Boulogne zu gehen, um unter den Bäumen ein Wenig frische Luft zu schöpfen. Aber es quälte ihn auch ein anderer Wunsch: irgend ein Liebesabenteuer zu erleben.

Wie das kommen sollte, wußte er noch nicht. Aber er wartete seit drei Monaten darauf, jeden Tag, jeden Abend.

Dank seines guten Aussehens und seines galanten Wesens, stahl er wohl hier und da ein bißchen Liebe, aber er hoffte doch immer noch auf mehr und Besseres,

Mit seinem leeren Portemonnaie und heißen Blut regte er sich auf, wenn die Mädchen vorüberstrichen und an der Straßenecke zu ihm sagten:

– Komm mit, Kleiner!

Aber er wagte nicht, ihnen zu folgen, denn er konnte sie nicht zahlen. Und dann hoffte er doch auch auf etwas anderes, auf eine andere, weniger gemeine Liebe.

Und doch liebte er die Orte, wo die öffentlichen Mädchen herumwimmelten, ihre Ballokale, Cafés, ihre Straßen. Er traf sie gern, und es machte ihm Spaß, mit ihnen zu schwatzen, sie zu duzen, ihr starkes Parfüm zu riechen, ihre Nähe zu fühlen. Es waren doch immerhin Frauen, Frauen, die Liebe geben konnten, und er verachtete sie nicht mit jenem Gefühl, das dem in der Familie aufgewachsenen Manne angeboren ist.

Er wandte sich zur Madeleine-Kirche und folgte dem Menschenstrom, der, von der Hitze bedrückt, dahin flutete. Die großen Cafés waren Menschen-überfüllt. Die Leute faßen bis auf das Trottoir, beim hellen scharfen Licht, das durch die erleuchteten Spiegelscheiben fiel. Auf kleinen viereckigen Tischen standen Gläser mit roter, gelber, grüner, brauner Flüssigkeit, alle Farbenspiele waren vertreten. Und in den Karaffen glänzten die großen, durchsichtigen Eiskrystalle, die das schöne klare Wasser abkühlen sollten.

Duroy hatte seinen Gang verlangsamt, seine Kehle war wie ausgetrocknet und das dringende Bedürfnis etwas zu trinken quälte ihn.

Ein brennender Durst, wie er sich an heißen Sommerabenden einstellt, hielt ihn gefangen, und er dachte immer wie wundervoll erquickend es doch wäre, wenn ihm das kalte Getränk durch die Kehle laufen würde. Aber wenn er an diesem Abend auch nur zwei Glas Bier trank, mußte er auf sein mageres Abendbrot morgen verzichten. Und die Hungerqualen der letzten Tage des Monats kannte er zu genau.

Er sagte sich: bis zehne muß ich mich hinschleppen, dann trinke ich im Americain mein Bier. Gott verdamm mich noch mal, hab' ich einen Durst!

Und er betrachtete all die Menschen, die dort an den Tischen saßen und tranken, all diese Menschen, die ihren Durst löschen konnten, soviel sie nur mochten. Wenn er an den Cafés vorüberkam, nahm er eine renommistische kecke Haltung an, und mit einem Blick taxierte er nach Aussehen und Kleidung die einzelnen Leute, die da ruhig saßen. Wenn man ihnen die Taschen leerte, würde man schon Gold finden, Silber und Kupfer; durchschnittlich hatte wohl jeder gewiß zwei Zwanzig-Frankenstücke bei sich. In dem Café saßen mindestens hundert, hundert mal zwei Zwanzig-Frankenstücke das gab viertausend Franken. Er brummte in sich hinein: Schweinebande! und wiegte sich in den Hüften. Wenn er nur an der Straßenecke im Dunkeln einen von den Kerls hätte anhalten können, dem hätte er den Hals umgedreht, weiß der Teufel, ohne irgendwelche Gewissensbisse, wie er's früher im Manöver mit den Hühnern beim Bauer gethan.

Und er dachte an die beiden Jahre, die er in Afrika gestanden, wie er damals in den kleinen Garnisonen im Süden die Araber ausgeplündert. Ein grausam-lustiges Lächeln lief über seine Züge, als er sich eines tollen Streiches erinnerte, der drei Mann des Stammes der Ouled-Alane das Leben gekostet und ihm wie seinen Kameraden zwanzig Hühner, zwei Schafe und eine Menge Gold eingebracht hatte, sowie Lachstoff auf mindestens ein halbes Jahr.

Die Thäter hatte man nie entdeckt, die man übrigens auch weiter nicht gesucht hatte, denn der Araber wurde mehr oder weniger als selbstverständliche Beute des Soldaten angesehen.

In Paris war das ganz was anderes. Dort konnte man nicht den Säbel an der Seite, den Revolver in der Hand, weit von jeder bürgerlichen Gerichtsbarkeit, frei wie man war, auf Plünderung ausgehen. Er fühlte sich wie ein Unteroffizier im eroberten Lande. Ach, er dachte doch mit Bedauern an die zwei Jahre zurück, die er in der Wüste zugebracht. Es war eigentlich schade, daß er nicht dort geblieben war. Aber er hatte gehofft, sich verbessern zu können, wenn er zurückkehrte. Und nun? Na, das war eine schöne Bescheerung!

Er wälzte die Zunge im Munde herum und schnalzte, als ob er die Trockenheit seines Gaumens feststellen wollte.

Die Menge bewegte sich um ihn herum, matt und langsam, und er dachte immer: elendes Pack, diese ganzen Rindviecher da, haben nu Geld in der Tasche.

Er stieß die Leute beim Gehen mit der Schulter an und pfiff sich eine lustige Weise. Ein paar Herren, die er angerempelt, drehten sich schimpfend um und ein paar Frauen riefen:

– So ein Flegel!

Da kam er am Vaudeville vorbei und blieb vor dem Café Americain stehen. Er fragte sich, ob er nicht doch ein Glas Bier trinken sollte, der Durst quälte ihn zu schauderhaft. Ehe er zu einem Entschluß kam, blickte er noch einmal nach dem erleuchteten Zifferblatt der Uhren auf der Straße. Es war ein viertel auf zehn Uhr. Er kannte sich genau: wenn einmal das Glas Bier vor ihm stand, hatte er es auch schon 'runtergeschüttet, und was sollte er dann bis elf Uhr anfangen?

Er ging weiter und sagte sich: ach, ich gehe lieber bis zur Madeleine und dann bummele ich ganz sachte zurück.

Als er an die Ecke des Opernplatzes kam, begegnete ihm ein dicker, junger Mann, dessen Gesicht er meinte schon einmal irgendwo gesehen zu haben.

Er folgte ihm und suchte in seinem Gedächtnis, indem er halblaut zu sich sagte: Teufel noch mal, wo bin ich nur dem Kerl schon mal begegnet?

Er suchte hin und her, aber es fiel ihm nicht ein. Dann plötzlich durch ein eigentümliches Spiel des Gedächtnisses stand derselbe Mann vor ihm, weniger dick, jünger, in Husarenuniform und er rief ganz laut:

– Herr Gott, Forestier!

Er verlängerte seine Schritte und klopfte dem Herrn, der vor ihm ging, auf die Schulter. Der andere drehte sich um, blickte ihn an und fragte:

– Bitte, was wünschen Sie?

Duroy fing an zu lachen:

– Was, Du kennst mich nicht mehr?

– Nein.

– Georg Duroy. Sechster Husar.

Forestier streckte ihm beide Hände entgegen:

– Alter Kerl! Wie geht Dir's denn?

– Ausgezeichnet! Und Dir?

– Na, nicht besonders. Weißt Du, ich bin nicht ganz taktfest auf der Brust. Sechs Monate im Jahr huste ich. Das kommt von einem Bronchialkatarrh, den ich mir in Bougival jetzt vor vier Jahren, als ich nach Paris zurückkam, geholt habe.

– Aber Du siehst doch ganz gesund aus!

Und Forestier nahm den Arm seines Kameraden und erzählte ihm von seiner Krankheit, von den Konsultationen, den verschiedenen Meinungen und Reden der Ärzte. Er sagte, wie schwierig es sei in seiner Stellung ihren Verordnungen zu folgen. Er sollte den Winter im Süden zubringen, aber das könnte er doch nicht. Er war nämlich verheiratet, Journalist und hatte eine vorzügliche Stellung.

– Ich redigiere den politischen Teil der ›Vie française‹, besorge beim ›Salut‹ den Artikel Senat und schreibe ab und zu literarische Feuilletons für den ›Planeten‹. Ja! ja! Ich habe meinen Weg gemacht.

Duroy blickte ihn erstaunt an. Er fand ihn sehr verändert, sehr viel fertiger geworden. Er hatte eine Art und Weise, Haltung und Anzug wie ein Mann in guter Stellung, der seiner selbst sicher ist und war wohlbeleibt wie jemand, der gut zu essen pflegt. Früher war er mager, dürr, gelenkig, ein Leichtfuß, ein Lärm- und Radaumacher, der immer in der Fahrt war. Und ein dreijähriger Aufenthalt in Paris hatte aus ihm einen ganz anderen Menschen gemacht, einen wohlbeleibten, gesetzten Herrn mit einigen grauen Haaren an der Schläfe, obgleich er erst siebenundzwanzig Jahre zählte.

Forestier fragte:

– Wo gehst Du hin?

Duroy antwortete:

– Nirgends. Ich bummle bloß noch einmal herum, ehe ich nach Hause gehe.

– Schön. Weißt Du was, komm' doch mit zur ›Vie française‹. Ich habe nämlich Korrekturen durchzusehen und dann trinken wir ein Glas Bier zusammen.

– Gern!

Und sie gingen Arm in Arm davon, mit jener leichten Familiarität, wie sie zwischen Schulfreunden und Regimentskameraden besteht.

– Was machst Du denn so in Paris? fragte Forestier.

Duroy zuckte die Achseln:

– Nu, ich krepiere einfach vor Hunger. Als ich meine Zeit abgerissen hatte, wollte ich hierher kommen, um – na Gott, um mein Glück zu machen oder vielmehr um eben Pariser Pflaster zu treten. Und jetzt bin ich seit anderthalb Jahren bei der Nordbahn im Bureau angestellt und kriege fünfzehn hundert Franken jährlich, keinen Deut mehr.

Forestier brummte:

– Verflucht, das ist nicht gerade viel!

– Ja, das finde ich auch. Aber was soll ich machen. Ich stehe allein, kenne niemanden, und kann mich bei niemandem in die Wolle bringen. Am Willen fehlt's nicht, aber es geht eben nicht.

Sein Kamerad sah ihn von Fuß bis zu Kopf an, als praktischer Mann, der jemanden sofort beurteilt, und sagte dann in überzeugtem Ton:

– Weißt Du, Alter, hier hängt alles vom Auftreten ab. Ein Kerl, der ein bißchen gerissen ist, wird hier eher Minister als Büreauchef. Man muß sich einfach den Leuten aufdrängen und nicht erst groß fragen. Aber Teufel noch einmal, hättest Du nichts Besseres finden können, als eine Beamtenstelle an der Nordbahn?

Duroy antwortete:

– Ich habe mich überall umgethan, aber nichts gefunden. Allerdings jetzt grade habe ich was in Aussicht, ich soll nämlich als Bereiter in den Tattersall von Pellerin eintreten. Dort kriege ich wenigstens dreitausend Franken.

Forestier blieb stehen:

– Thu bloß das nicht! Das wäre zu dumm. Und wenn Du zehntausend Franken verdientest! Aber damit riegelst Du Dir die Zukunft zu. In Deinem Bureau bist Du wenigstens verborgen. Kein Mensch kennt Dich und wenn Du sonst das Geschick hast, Deinen Weg zu machen, gehst Du eben eines Tages einfach fort; aber bist Du einmal Stallmeister, dann ist's aus, das ist genau so, als ob Du Diener werden wolltest in irgend einem Haus, wo Ganz-Paris verkehrt; wenn Du erst mal den Herren aus der Gesellschaft oder ihren Söhnen Reitstunden gegeben hast, sehen sie Dich niemals mehr als ihresgleichen an.

Er schwieg, dachte ein paar Augenblicke nach, dann fragte er:

– Hast Du eigentlich das Abiturientenexamen gemacht?

– Nein, ich bin zweimal durchgefallen.

– Das macht nichts, wenn Du nur so weit gekommen bist; wenn man von Cicero spricht oder Tiberius, so wirst Du doch so etwa wissen, wer das ist?

– O ja, so ziemlich.

– Also gut, eigentlich weiß doch niemand mehr von ihnen, höchstens so zwei Dutzend Kamele, die doch nicht imstande sind, sich aus der dümmsten Sache herauszusitzen. Ach, weißt Du, schwer ist das weiter nicht, für einen riesig klugen Kerl zu gelten. Man muß sich nur nicht gerade mit Dummheit klappen lassen. Man redet so 'rum, vermeidet die Schwierigkeiten, umgeht jedes Hindernis und macht kolossalen Eindruck, indem man das Thema, über welches man quasseln will, vorher genau im Konversationslexikon nachliest. Die Männer sind alle dumm wie die Gänse und unwissend wie Karpfen.

Er redete wie ein ruhiger vernünftiger Mensch, der das Leben kennt wie es eben ist. Und wie die Menge so an ihm vorüberflutete, lächelte er. Aber plötzlich fing er an zu husten, blieb stehen, um den Anfall vorübergehen zu lassen und sagte dann mutlos:

– Ist das nicht zum Verzweifeln, daß ich diesen verfluchten Katarrh nicht los werden kann und dabei ist's jetzt Sommer. O, diesen Winter gehe ich unbedingt nach Mentone. Der Teufel soll den ganzen Kram holen, die Gesundheit geht mir vor.

Sie kamen auf dem Boulevard Poissonnière an eine große Glasthür, hinter der eine auseinandergefaltete Zeitung angeklebt war. Drei Leute standen davor und lasen.

Ueber der Thür stand, wie ein Aufruf an das Volk, in großen feurigen Buchstaben, durch Gasflammen gebildet, die Inschrift: La vie française. Und die Vorübergehenden, die unvermutet in den Lichtkreis traten, den die drei leuchtenden Worte warfen, erschienen plötzlich hell bestrahlt, scharf und deutlich wie am lichten Tage, um dann wieder in das Dunkel zurückzutauchen.

Forestier öffnete die Thür und sagte:

– Komm!

Duroy trat ein, ging eine schmutzige Treppe hinauf, die man von der Straße aus sehen konnte und kam in ein Vorzimmer, wo sich zwei Büreaudiener befanden, die seinen Begleiter begrüßten. Dann machten sie Halt in einer Art von Wartezimmer, staubig und schlecht gehalten, das mit unechtem, gelblich grünem Sammt tapeziert war, voller Flecke, hier und da abgestoßen, als ob die Mäuse daran herumgeknabbert hätten,

– Setz Dich, sagte Forestier, ich komme in fünf Minuten wieder.

Und er verschwand durch eine der drei Thüren, die in den Raum führten.

Ein seltsamer eigentümlich-unerklärlicher Geruch, der Geruch der Redaktionszimmer, lag hier in der Luft. Duroy blieb unbeweglich, ein wenig eingeschüchtert, vor allem aber erstaunt stehen. Ab und zu kamen Leute, die eilig durch eine Thür eintraten und durch die andere, ehe er sie recht betrachten konnte, den Raum wieder verließen.

Es waren bald sehr junge Leute, die thaten, als ob sie sehr beschäftigt wären und in der Hand ein Blatt Papier hielten, das beim Gehen im Luftzug flatterte. Bald kamen Setzer vorbei, aus deren Druckschwärze-bespritzten Blousen ein leuchtend weißer Hemdkragen herausschaute und unten eine Hose, wie sie nur ein Herr trägt. Vorsichtig hielten sie Papierstreifen in der Hand, frische Korrekturen, die noch ganz naß waren. Ab und zu trat ein kleiner Herr ein, elegant aber zu auffallend gekleidet, die Taille eng im Gehrock zusammengeschnürt, die Hose zu prall sitzend, die Stiefel zu spitz – irgend ein Reporter für die feine Welt, der die Neuigkeiten des Abends überbrachte.

Dann kamen noch andere, ernst, mit wichtiger Miene, einen Cylinder mit flacher Krempe auf dem Kopf, als ob diese Form des Hutrandes sie von der ganzen übrigen Menschheit unterschieden hätte.

Forestier erschien wieder. Arm in Arm mit einem großen hageren Herrn zwischen dreißig und vierzig in Frack und weißer Kravatte, von dunkler Hautfarbe, den Schnurrbart spitz gedreht und mit ungezogener selbstzufriedener Miene.

Forestier sagte zu ihm:

– Adieu, lieber Meister.

Der andere drückte ihm die Hand:

– Auf Wiedersehen, lieber Freund!

Und vor sich hinpfeifend, den Stock unter den Arm geklemmt, ging er die Treppe hinab.

Duroy fragte: – Wer ist denn das?

– O, das ist Jacques Rival, weißt Du, der ausgezeichnete Plauderer, der immer so viele Duelle hat. Er hat eben die Korrektur durchgesehen. Garin, Montel und er sind die drei einzigen Feuilletonisten in Paris, die wirklich Geist haben. Er verdient bei uns dreißig tausend Franken jährlich für zwei Artikel die Woche.

Wie sie fortgingen, begegneten sie noch einem kleinen Mann mit langen Haaren, dick, etwas unsauber, der keuchend die Treppe heraufkam.

Forestier zog tief den Hut und erklärte:

– Norbert von Varenne, der Dichter, der Verfasser der ›erloschenen Sonnen‹. Das ist auch so einer, der viel Geld verdient! Jede kleine Erzählung, die er uns giebt, kostet drei hundert Franken und die längsten sind noch nicht zwei hundert Zeilen lang. Aber wir wollen doch in den Neapolitaner gehen, ich verdurste bald.

Sobald sie im Café am Tisch saßen, rief Forestier:

– Zwei Bier!

Und er schüttete auf einen Zug das seine hinunter, wahrend Duroy das Bier langsam in kleinen Schlückchen kostete und schlürfte, wie etwas Köstliches, Seltenes.

Sein Begleiter schwieg, er schien nachzudenken, dann sagte er plötzlich:

– Wie wärs, wenn Du's mal mit dem Journalismus versuchtest?

Der andere blickte ihn erstaunt an:

– Ja aber hör' mal, ich habe noch nie eine Zeile geschrieben.

– Ach was, das versucht man eben, man muß eben anfangen. Ich könnte Dich vielleicht verwenden, Du müßest mir Nachrichten holen, allerlei notwendige Gänge und Besuche machen. Für den Anfang könntest Du zweihundertfünfzig Franken monatlich bekommen, außerdem kriegst Du die Auslagen für Wagen ersetzt. Was meinst Du, soll ich mal mit dem Chefredakteur sprechen?

– Ja, gewiß, mir ist's schon recht.

– Dann will ich Dir einen Vorschlag machen. Komm morgen zu mir zu Tisch. Wir haben fünf oder sechs Personen zum Diner: den Besitzer des Blattes, Herrn Walter, seine Frau, dann Jacques Rival und Norbert von Varenne, die Du eben gesehen hast, endlich eine Freundin meiner Frau. Einverstanden?

Duroy zögerte und ward rot. Schließlich sagte er:

– Ja weißt Du, ich habe keinen anständigen Anzug. Forestier war sehr erstaunt:

– Du hast keinen Frack? Verflucht! Das ist allerdings durchaus nötig. Weißt Du, in Paris braucht man lieber kein Bett zu haben, als keinen Frack.

Dann suchte er in der Westentasche, holte eine Anzahl Goldstücke hervor, nahm zwei Zwanzig-Frankenstücke, legte sie auf den Tisch vor seinen alten Kameraden und sagte herzlich und familiär:

– Weißt Du was, Du giebst mir's mal wieder wenn Du's kannst. Jetzt pumpe Dir oder kaufe Dir gegen monatliche Abzahlung den Anzug, den Du brauchst. Kurz, Du mußt dich eben so einrichten, daß Du morgen zu mir zum Diner kommst, ein halb acht Uhr, Rue Fontaine 17.

Duroy war verlegen. Er steckte das Geld ein und stammelte:

– Du bist ja aber zu liebenswürdig, ich danke Dir tausend Mal, ich werde es gewiß nicht vergessen.

Der andere unterbrach ihn:

– Ach, laß doch gut sein. Du trinkst doch noch ein Glas Bier, was?

Und er rief sofort:

– Kellner, zwei Bier!

Als sie dann ihr Bier getrunken hatten, fragte der Journalist:

– Wollen wir ein bißchen herumbummeln, vielleicht noch ein Stündchen!

– Gewiß, sehr gern.

Und sie gingen der Madeleine zu.

– Was sollen wir loslassen? fragte Forestier. Man behauptet, in Paris kann sich ein Bummler stets unterhalten, aber das ist nicht wahr, wenn ich herumbummle abends, weiß ich nie, wo ich hingehen soll. Ins Bois de Boulogne fahren, hat doch nur einen Zweck mit Frauenzimmern und man hat doch nicht immer gleich eine bei der Hand. Tingeltangel, ist doch bloß was für den Bierphilister und seine Frau, aber nicht für mich. Also was soll ich machen? Nichts. Es müßte hier irgend einen Sommergarten geben wie den Park Monceau . . . . der die ganze Nacht offen ist und da müßte man gute Musik hören, bei irgend einem guten Getränk im Freien. Es dürfte kein eigentliches Vergnügungslokal sein, sondern ein Ort um herumzubummeln. Der Eintritt müßte natürlich hoch sein, damit die hübschen Damen kämen, dann könnte man sich dort auf Kies-bestreuten Wegen ergehen, die das elektrische Licht bestrahlen, sich irgendwo hinsetzen, wenn man die Musik hören will, weit oder nah. Weißt Du, das gabs früher so ungefähr bei Musard. Aber es hatte doch ein bißchen einen Kneipenanstrich und war mehr Tanzlokal und dann war's auch nicht groß genug, nicht genug Schatten und Dunkelheit! Es müßte ein sehr schöner, sehr großer Garten sein, das wäre doch reizend. Sag mal, wo möchtest Du denn hingehen?

Duroy wußte nicht, was er antworten sollte. Endlich entschied er sich:

– Ich kenne die Folies-Bergère nicht. Da ginge ich ganz gern einmal hin.

Sein Begleiter rief:

– Die Folies-Bergère, verflucht noch einmal, da schwitzen wir aber wie im Backofen. Na, aber meinetwegen, dort ist's immer ganz ulkig!

Und sie wandten sich auf dem Absatz herum, um nach der Straße des Faubourg-Montmartre zu gehen.

Die erleuchtete Front des Etablissements warf einen breiten Lichtschein auf die vier Straßen, die dort zusammenstoßen. Und eine ganze Reihe Droschken wartete am Ausgang.

Forestier trat ein. Duroy wollte ihn zurückhalten:

– Wir müssen doch erst an die Kasse.

Der andere antwortete wichtig:

– Wer mit mir geht, zahlt nicht.

Als er an den Eingang kam, grüßten die drei Kontrolleure und der in der Mitte streckte ihm die Hand entgegen. Der Journalist fragte:

– Haben Sie noch eine gute Loge?

– Natürlich, Herr Forestier.

Er nahm den Coupon, den man ihm hinhielt und stieß die gepolsterte Thür mit den zwei Leder-bezogenen Flügeln auf. Dann standen sie im Saal.

Tabakrauch verschleierte wie feiner Nebel die entfernter liegenden Gegenstände, die Bühne und die andere Seite des Theaters. Von all den Cigarren und Cigaretten, die all die Menschen rauchten, stieg er in feinen, weißlichen Wolken hinauf, immer höher, sammelte sich an der Decke und bildete unter der großen Kuppel rings um den Kronleuchter über der Galerie des ersten Ranges, die vollgepfropft von Menschen war, einen Wolkenhimmel.

Im weiten Eingangs-Korridor, der an den rund umlaufenden Promenadengang führte, wo die geputzte Horde der Mädchen herumstrich, mitten zwischen den dunkel gekleideten Männern, warteten ein Paar Frauenzimmer auf die Ankommenden vor einem der drei Ladentische, hinter denen drei geschminkte und verlebte Verkäuferinnen von Liebe und Getränken thronten. Die hohen Spiegel hinter ihnen warfen ihre Rückansichten und die Gesichter der Vorübergehenden zurück.

Forestier drängte sich schnell durch die Menge, wie ein Mann, der Rücksicht beanspruchen kann.

Er trat zu den Logenschließern:

– Loge Nummer siebzehn!

– Hier, mein Herr!

Und man schloß sie in einen kleinen offenen Holzkasten ein, der rot tapeziert war und vier Stühle von derselben Farbe enthielt, die so nahe beieinander standen, daß man kaum dazwischen vorbei konnte.

Rechts wie links lag eine lange Reihe ähnlicher kleiner Abteilungen, die sich von einem Ende der Bühne bis zum andern im Bogen herumzogen und wo ebenfalls Menschen saßen, von denen man nur Kopf und Schultern sah.

Auf der Bühne arbeiteten drei junge Leute in enganliegendem Trikot, ein großer, ein mittlerer und ein kleiner am Trapez.

Zuerst trat der große vor, kurzen schnellen Schrittes, lächelnd mit einer Handbewegung die Menge grüßend, als wollte er einen Kuß hinüberschicken.

Unter dem Trikot sah man die Muskeln der Arme und Beine sich abzeichnen. Er blies die Brust auf, um den zu starken Leib zu verbergen. Dabei sah er wie ein Friseur aus, denn ein sorgfältig gezogener Scheitel teilte oben auf der Mitte des Kopfes sein Haar in zwei gleiche Hälften. Mit einem graziösen Sprung schwang er sich ans Trapez und an den Händen hängend drehte er sich im Kreise herum wie ein Rad, oder hing unbeweglich mit steifen Armen und gradeaus gestrecktem Leibe, horizontal im leeren Raum am Trapez, nur durch die Kraft der Fäuste gehalten.

Dann sprang er zur Erde, grüßte noch einmal lächelnd unter dem Beifall des Publikums, und blieb seitwärts an der Coulisse stehen, indem er bei jeder Bewegung möglichst die Muskulatur seines Beines zeigte.

Nun ging der zweite, der untersetzt und kleiner war, seinerseits vor und machte dieselbe Übung, die dann auch der letzte wiederholte unter immer größerem Klatschen des Publikums.

Aber Duroy kümmerte sich nicht weiter um das Schauspiel. Er wandte den Kopf ab und blickte unausgesetzt hinter sich auf die große Wandelbahn, wo lauter Herren und Halbweltdamen auf und niedergingen.

Forestier sagte zu ihm:

– Sieh mal, das Parquet. Alles brave Bürgersleute mit Kind und Kegel, die herkommen, um etwas zu sehen. In den Logen dagegen sitzen nur Boulevardbummler, ein paar Künstler und ein paar Mädchen so zweiter Güte und hinter uns siehst Du die sonderbarste Mischung von Menschen, die man in Paris finden kann. Wer mögen die Männer wohl sein? Sieh sie Dir mal genau an. Da ist alles vertreten, alle Berufe und Klassen, obgleich allerdings die meisten mehr oder weniger Gesindel sind; da giebt's Commis, Bankbeamte, Ladenschwengel, Leute aus den Ministerien, Reporter, Zuhälter, Offiziere in Civil, Dandies im Frack, die eben im Restaurant gegessen haben oder aus der Oper kommen, und dann noch eine ganze Menge zweifelhafter Existenzen, die man nicht recht unterbringen kann. Die Frauenzimmer dagegen sind zweifellos nur von einer Klasse, die, die vom Souper im Americain kommt, das Mädchen für ein oder zwei Zwanzig-Frankenstücke, das dem Fremden fünf abluchst und es seine regelmäßigen Kunden wissen läßt, wenn es gerade frei ist. Die kennt man alle schon seit zehn Jahren. Jeden Abend sieht man sie das ganze Jahr hindurch am selben Ort, sie fehlen höchstens mal, wenn sie in Saint-Lazare oder Lourcine im Lazaret liegen.

Duroy hörte nicht mehr zu. Eins jener Frauenzimmer hatte sich an ihre Loge gelehnt und fixierte ihn. Es war eine dicke Brünette, mit weißgeschminkter Haut, schwarzen länglichen Augen, einem Kohlestrich darunter und mächtigen falschen Augenbrauen darüber. Der zu starke Busen spannte die dunkle Seide ihres Kleides, und ihre gemalten Lippen, rot wie eine blutende Wunde, gaben ihr etwas Viehisches, Glühendes, Uebertriebenes, das aber dennoch reizte.

Durch ein Zeichen mit dem Kopfe rief sie eine ihrer Freundinnen, die gerade vorüberkam, herbei, eine Blonde mit roten Haaren, dick wie sie, und sagte ihr laut genug, um verstanden zu werden:

– Sieh mal, der Kleine da, ist ein hübscher Junge. Für zehn Louis ginge ich gleich mit.

Forestier drehte sich herum, lächelte und schlug Duroy auf den Schenkel:

– Das gilt Dir, Du hast aber Ankratz, mein Alter, ich gratuliere!

Der ehemalige Unteroffizier war rot geworden und tastete mechanisch mit den Fingerspitzen nach den beiden Goldstücken in der Westentasche.

Der Vorhang hatte sich gesenkt und die Musik spielte einen Walzer.

Duroy schlug vor:

– Wir wollen doch mal 'n bißchen 'rumbummeln.

– Wie Du willst.

Sie traten aus der Loge und wurden sofort von der flutenden Menge mit fortgerissen, gestoßen, geschubst, gedrückt, hin und her geworfen, ließen sich treiben, immer vor Augen einen ganzen Wald von Cylindern. Und unter dieser Herrenmenge liefen die Mädchen zu zwei und zwei hin und her, schoben sich mit Leichtigkeit hindurch, glitten zwischen den Ellbogen, den Vorder- und Rückseiten hin, als wären sie ganz zu Haus, als fühlten sie sich sehr behaglich, wie der Fisch im Wasser, mitten in dieser Flut von Männern.

Duroy war entzückt, ließ sich gehen und sog mit Wonne die schlechte Luft ein, die Tabak, allerlei menschliche Ausdünstung und die Parfüms der Mädchen verdorben hatten. Aber Forestier war in Schweiß geraten, atmete schwer und hustete.

– Wir wollen doch in den Garten gehen, sagte er.

Sie wandten sich nach links und kamen in eine Art bedeckten Garten, wo zwei große ordinäre Springbrunnen die Luft verbesserten. Dort standen Lebensbäume und Taxus in großen Töpfen und in ihrem Schatten saßen Männer und Frauen an Tischen und tranken.

– Willst Du noch ein Glas Bier? fragte Forestier.

– Ja gern.

Sie setzten sich und sahen die Leute vorübergehen.

Ab und zu blieb ein Mädchen stehen und fragte mit albernem Lächeln:

– Wollen Sie mich nicht auf was stoßen?

Und als Forestier antwortete:

– Gewiß, ein Glas Wasser frisch vom Brunnen! lief sie davon und brummte:

– Alberner Fatzke!

Aber die große Braune, die sich vorhin an die Loge der beiden Freunde gelehnt, tauchte wieder auf und ging, den Arm in den der dicken Blonden geschoben, in unverschämter Haltung vorbei. Die beiden sahen wirklich nicht übel aus und paßten gut zu einander.

Als sie Duroy sah, lachte sie, als ob ihre Blicke sich bereits süße Heimlichkeiten gesagt hätten. Sie nahm einen Stuhl und setzte sich ganz ruhig ihm gegenüber, ließ auch ihre Freundin Platz nehmen, und befahl dann mit lauter Stimme:

– Kellner, zwei Syrup.

Forestier sagte erstaunt:

– Na, Du genierst Dich wirklich nicht!

Sie antwortete:

– Dein Freund hat mirs angethan. Der ist weiß Gott ein hübscher Mann, ich glaube um den könnte ich schon 'ne Dummheit machen.

Duroy war verlegen und wußte nicht, was er antworten sollte. Er drehte den Schnurrbart und lachte nichtssagend. Der Kellner brachte die Syrupliköre, die Mädchen leerten sie auf einen Zug. Dann standen sie auf und die Braune sagte zu Duroy mit kleinem freundschaftlichen Gruß und einem leichten Schlag mit dem Fächer auf den Arm:

– Na Kleiner, wie ein Wasserfall redest Du gerade nicht.

Und sie gingen davon und wiegten sich in den Hüften.

– Sag mal, Alter, weißt Du, daß Du wahrhaftig Riesenankratz bei den Weibern hast. So was muß man pflegen! Damit kannst Du weit kommen!

Er schwieg eine Sekunde, dann fuhr er fort in einer Art träumerischem Ton wie Leute, die laut denken:

– Durch die Frauen kommt man doch am weitsten.

Und als Duroy noch immer lächelte ohne zu antworten, fragte er:

– Willst Du noch hier bleiben? Weißt Du, ich gehe nach Haus, ich habe weiß Gott genug davon.

Der andere murmelte:

– Ja, ich bleibe noch ein bißchen hier, es ist noch nicht spät.

Forestier stand auf:

– Also gut. Dann sage ich Dir Lebewohl. Morgen auf Wiedersehen. Vergiß nicht Rue Fontaine Nummer siebenzehn um halb acht.

– Abgemacht. Auf Wiedersehen morgen. Danke schön.

Sie gaben sich die Hand und der Journalist ging.

Sobald er verschwunden war, fühlte sich Duroy frei und nun tastete er noch einmal glückselig nach seinen beiden Goldstücken in der Tasche. Dann stand er auf und stürzte sich in den Menschenstrom, indem er ihn mit den Blicken durchsuchte.

Bald entdeckte er die beiden Weiber, die Blonde und die Braune, die immer noch mit ihrem Bettelstolz durch den Haufen Männer dahin steuerten.

Er ging gerade auf sie zu, aber als er ganz nahe war, wagte er nicht zu sprechen.

Die Braune fragte:

– Na, hast De denn die Sprache wieder gefunden?

Er stammelte nur:

– Bei Gott, ja.

Mehr brachte er nicht heraus.

Nun blieben sie alle drei stehen, den Vorüberschreitenden im Weg, sodaß eine Stockung um sie herum eintrat.

Da fragte sie plötzlich:

– Kommst Du mit?

Er zitterte vor Begier und antwortete brutal:

– Ja. Aber ich habe nur einen Louis bei mir.

Sie lächelte gleichgiltig:

– Das schadet nichts.

Und sie nahm seinen Arm zum Zeichen der Besitzergreifung.

Als sie hinaus gingen, überlegte er sich, daß er mit den ihm verbleibenden zwanzig Franken sich leicht einen Frackanzug für den folgenden Abend würde borgen können.

 


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