Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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III

Als Georg Duroy wieder auf der Straße stand, war er unschlüssig, was er thun sollte. Er hatte Lust zu laufen, zu träumen, seines Weges zu gehen, indem er an die Zukunft dachte und die milde Luft der Nacht einsog. Aber der Gedanke an die Reihe von Artikeln, die der alte Walter haben wollte, ließ ihm keine Ruhe. Und er entschloß sich, sofort nach Haus zu gehen, um sich an die Arbeit zu setzen.

Mit langen Schritten ging er nach dem äußeren Boulevard und verfolgte ihn bis zur Rue Boursault, wo er wohnte. Sein Haus war sechs Stock hoch und ward bewohnt von zwanzig kleinen Parteien, lauter Arbeiter und Bürgersleute, und er empfand, als er mit einem Fünf-Minutenbrenner in der Hand die schmutzigen Stufen hinanstieg, auf denen Papierwische herumlagen, Cigarettenstummel, Küchenabfälle, ein fürchterliches Gefühl des Ekels und das drängende Bedürfnis, hier fort ziehen zu können, zu wohnen wie ein reicher Mann in einem reinlichen Hause mit Treppenläufern. Ein dicker Essensduft, Klosetgestank und ein dumpfiger Geruch von Schmutz und altem Gemäuer, den kein Luftzug hätte hinaustreiben können, erfüllte das Haus von oben bis unten.

Das Zimmer des jungen Mannes im fünften Stock ging, wie auf einen tiefen Abgrund, hinaus auf den mächtigen Einschnitt der Ostbahn grade über dem Tunnelausgang beim Bahnhof von Batignolles. Duroy öffnete sein Fenster und stützte sich auf das rostige Gitter.

Unter ihm, tief unten, in dem dunklen Loch sahen drei rote, unbewegliche Signallaternen aus wie die Augen eines mächtigen Tieres, und weiterhin erblickte man noch andere und immer wieder andere ganz weit draußen. Jeden Augenblick klangen Lokomotivpfiffe lang oder kurz durch die Nacht, die einen näher, die anderen kaum mehr zu vernehmen. Die von da drüben kamen von der Seite von Asnières. Sie hatten verschiedenen Ausdruck wie Menschenstimmen, einer kam immer näher wie ein schmerzensvoller Schrei, der von Sekunde zu Sekunde wuchs, und bald erschien ein großes, gelbes Licht, das mit mächtigem Lärm dahin schoß. Und Duroy sah die lange Reihe der Eisenbahnwagen im Tunnel verschwinden.

Dann sagte er sich: also nun los, an die Arbeit! Er stellte seine Lampe auf den Tisch. Aber als er sich zum Schreiben niedersetzen wollte, bemerkte er, daß er nur im Besitze von Briefpapier war.

Ach was, er wollte einfach ein Blatt ganz auseinander schlagen und es so benutzen. Er tauchte die Feder in die Tinte und schrieb oben darüber mit seiner schönsten Schrift:

›Erinnerungen eines Chasseur d'Afrique.‹

Dann suchte er nach einem Anfang, die Stirn in die Hand gepreßt, starr die Augen auf das weiße, auseinandergefaltete Papier vor sich gerichtet.

Was sollte er sagen. Nun konnte er durchaus nichts mehr von dem wieder finden, was er noch eben erzählt. Keine Anekdote kam ihm wieder ins Gedächtnis, nichts, nichts. Plötzlich dachte er: ich muß mit meiner Abreise anfangen. Und er schrieb:

»Es war im Jahre 1874 gegen Mitte Mai, als das erschöpfte Frankreich sich erholte von dem Zusammenbruch des furchtbaren Jahres . . . .«

Er hielt inne, denn er wußte nicht, wie er nun das Folgende, seine Einschiffung, seine Reise, seine ersten Eindrücke daran knüpfen sollte.

Nachdem er zehn Minuten nachgedacht, entschloß er sich, die Einleitung morgen zu machen und jetzt gleich mit einer Beschreibung von Algier zu beginnen.

Und er schrieb:

»Algier ist eine ganz weiße Stadt.«

Aber wieder wußte er nicht weiter. Er sah in Gedanken die hübsche, hellglänzende Stadt, die Häuser mit den platten Dächern, die sich, wie ein Wasserfall von der Höhe der Berge zum Meere herabzogen. Aber er fand keine Worte, um auszudrücken, was er gesehen und gefühlt.

Nach einem mächtigen Anlaufe setzte er endlich noch hinzu:

»Sie wird teilweise von Arabern bewohnt.«

Dann warf er die Feder auf den Tisch und stand auf.

Auf dem kleinen eisernen Bett, wo sich an der Stelle, an der sein Körper immer ruhte, eine Vertiefung gebildet hatte, sah er seinen Anzug liegen, den er täglich trug, leer, müde, schlaff, wie ein Bündel alte Lumpen aus dem Leichenschauhaus. Und auf einem Strohsessel stand sein Cylinder, sein einziger Hut, mit der Öffnung nach oben, als wollte er um Almosen bitten.

An den grauen, blaugeblümten Wänden waren soviel Flecke wie Blumen, alte, verdächtige Flecken, deren Ursprung, man nicht mehr hätte feststellen können, totgedrückte Wanzen oder Ölklexe, Abdrücke von fettigen Händen oder Seifenschaum, der beim Waschen aus der Waschschale gespritzt war. Alles machte den Eindruck von gräßlichem Elend, dem Elend der Pariser chambres garnies, und plötzlich ergriff ihn eine Verzweiflung über sein armseliges Leben. Er sagte sich, das müßte ein Ende haben und zwar sofort: von morgen ab mußte er mit seinem dürftigen Dasein abschließen!

Da ihn plötzlich wieder die Arbeitswut gepackt hatte, setzte er sich an den Tisch und fing an, ein paar Redensarten zu suchen, um den seltsamen und reizenden Eindruck festzuhalten, den Algier macht, Algier, dieses Vorzimmer des mysteriösen, tiefen Afrika, des Afrika der herumziehenden Araber und unbekannten Negerstämme, des unerforschten, lockenden Afrika, dessen seltsame märchenhafte Tierwelt, Strauße, wunderliche Hühner, Gazellen, prachtvolle Ziegen, groteske und staunenerweckende Giraffen, würdevolle Kamele, riesenhafte Flußpferde, unförmliche Rhinozerosse und diese schrecklichen menschenähnlichen Gorillas, die man uns in den Zoologischen Gärten vorführt.

Er fühlte verschwommene Gedanken kommen; er hätte sie vielleicht aussprechen können, aber vermochte nicht, sie zu Papier zu bringen. Seine Unfähigkeit machte ihn rasend. Er stand wieder auf mit vor Schweiß nassen Händen, während ihm das Blut in den Schläfen hämmerte.

Und als seine Augen auf die Rechnung der Wäscherin fielen, die an demselben Abend der Portier heraufgebracht, packte ihn plötzlich eine fürchterliche Verzweiflung. In einer Sekunde war all seine Freudigkeit vorbei und dazu sein Glauben an sich selbst und an die Zukunft. Es war aus, alles aus, er würde nichts fertig kriegen, nichts werden, er fühlte sich leer, unfähig, unnütz, klein und völlig niedergeschmettert.

Er lehnte sich wieder ans Fenster gerade in dem Augenblick, als mit heftigem Getöse ein Zug aus dem Tunnel fuhr. Der strebte dort hinaus durch die Felder und Ebenen dem Meere zu. Und der Gedanke an seine Eltern schlich sich in Duroys Herz.

Der Zug mußte in ihrer Nähe vorbeifahren. Ein Paar Meilen nur von ihrem Haus. Und er sah das Haus wieder, das kleine Haus, hoch über Rouen und dem mächtigen Seinethal, am Eingang des Dorfes Cantelen.

Seine Eltern hatten ein kleines Wirtshaus, eine Schänke »Zur schönen Aussicht«, wohin die Leute aus den Vororten Sonntags frühstücken gingen. Sie hatten aus ihrem Sohne einen großen Herrn machen wollen und ihn aufs Gymnasium geschickt. Als seine Schulzeit vorüber und er im Abiturientenexamen durchgefallen war, trat er in die Armee mit der Absicht, Offizier, Oberst, General zu werden. Aber ehe seine fünf Jahre um waren, hatte er den Kommiß über und träumte davon in Paris sein Glück zu machen.

Er war nach der Hauptstadt gekommen, nachdem er seine Zeit abgedient hatte, trotz aller Bitten seiner Eltern, die den Sohn jetzt wenigstens bei sich behalten wollten, nachdem ihre Pläne nicht in Erfüllung gegangen waren. Er aber hoffte auf eine Zukunft. Er sah seinen Triumph durch irgend welche Ereignisse, über die er sich noch nicht klar geworden, aber die er bestimmt herbeiführen würde und die ihn schon vorwärts bringen sollten, voraus.

Beim Regiment hatte er Glück in der Garnison gehabt, allerlei gewöhnliche Liebschaften, die nicht viel wert waren, aber auch ein Abenteuer aus einer etwas höheren Sphäre, denn er hatte die Tochter eines Einnehmers verführt, die alles im Stich lassen wollte, um sein zu werden, und darauf die Frau eines Rechtsanwalts, die sich aus Verzweiflung, daß er sie verlassen, zu ertränken versucht hatte.

Seine Kameraden sagten von ihm: er ist ein Luder, ein gerissener Hund, der sich schon herausfitzen wird. Und er hatte sich vorgenommen, in der That ein Luder und gerissener Hund zu sein.

Angefressen durch die tägliche Praxis des Garnisonlebens, durchlöchert durch die vielfachen Beispiele von Plündereien in Afrika, durch allerlei unerlaubte Vorteile, verdächtige Durchstechereien, überspannt durch den militärischen Ehrbegriff, durch soldatischen Übermut, patriotisches Gefühl, durch Geschichten von Mut und Seelengröße, womit die Unteroffiziere renommierten, sowie durch den Nimbus seines Standes, war sein angeborenes normannisches Gewissen eine Art von Kiste mit doppeltem Boden geworden, in der man alles nebeneinander fand.

Aber der Wunsch, etwas zu werden, beherrschte alles andere.

Ohne es selbst zu merken, war er in Träumereien versunken, wie jeden Abend. Er erfand sich eine wunderbare Liebesgeschichte, die mit einem Schlage alle seine Hoffnungen verwirklichte. Er heiratete die Tochter eines reichen Bankiers oder irgend eines großen Herrn, die er auf der Straße getroffen und auf den ersten Blick erobert hatte.

Der durchdringende Pfiff einer Lokomotive, die allein aus dem Tunnel gekommen war, wie ein großes Kaninchen aus dem Bau, und die nun mit vollem Dampf auf den Schienen dahinjagte, um zum Maschinenhaus zu fahren, wo sie eingestellt werden sollte, störte ihn aus seinen Träumen auf.

Da packte ihn wieder die unbestimmte freudige Hoffnung, die immer seinen Geist umfing. Und er warf ins Blaue hinein eine Kußhand in die Nacht, einen Kuß der Liebe, dem Bilde der ersehnten Frau zu, einen Sehnsuchtskuß nach dem Glück. Dann schloß er das Fenster und fing an sich auszuziehen, indem er brummte:

– Ach was, morgen geht mir's besser von der Hand. Ich habe heute Abend keinen freien Kopf und dann habe ich vielleicht etwas zuviel getrunken. Da soll der Teufel arbeiten!

Und er legte sich zu Bett, löschte die Lampe und schlief fast sofort ein.

Zeitig schon erwachte er, wie man an Tagen erwacht, wo einen irgend ein Glück oder Unglück erwartet. Er sprang aus dem Bett und öffnete sein Fenster, um eine »volle Tasse« frischer Luft zu schlürfen, wie er es nannte.

Die Häuser der Rue de Rome, grade ihm gegenüber auf der andern Seite des breiten Bahnkörpers, glänzten im Lichte der aufgehenden Sonne und sahen aus, als wären sie mit leuchtendem Weiß bemalt. Rechts in der Ferne erblickte man die Hügel von Argenteuil, die Höhenzüge von Sannois und die Mühlen von Orgemont in bläulichem, leichten Duft wie durch einen schwebenden, durchsichtigen Schleier, den man über den Horizont gebreitet.

Duroy blieb ein paar Minuten in den Anblick der Landschuft versunken und brummte:

– An so einem Tag wie heute muß es verdammt schön da draußen sein!

Dann dachte er daran, daß er arbeiten mußte und zwar sofort, und zu gleicher Zeit für zehn Sous Botenlohn den Sohn der Portiersfrau nach seinem Bureau schicken, um sich krank melden zu lassen.

Er setzte sich an den Tisch, tauchte die Feder ins Tintenfaß, stützte die Stirn in die Hand und dachte nach. Es war umsonst, er konnte auf keinen Gedanken kommen.

Aber trotzdem verlor er nicht den Mut; er dachte:

– Ach was, ich bin's eben nicht gewöhnt. Das ist ein Beruf, den man lernen muß wie jeden andern. Die ersten Male muß ich mir helfen lassen. Ich werde zu Forestier gehen, der stutzt mir in zehn Minuten meinen Artikel zurecht.

Und er zog sich an.

Als er auf der Straße stand, dachte er, es wäre doch noch zu zeitig, um bei seinem Freunde vorzusprechen, der wahrscheinlich lange schlief. Er bummelte also noch ganz langsam ein wenig unter den Bäumen des äußeren Boulevards hin und her.

Es war noch nicht neun Uhr und er ging in den Park Monceau, der ganz frisch war, noch feucht vom Sprengen.

Er hatte sich auf eine Bank gesetzt und fing an zu träumen. Ein junger Mann schritt vor ihm auf und ab, sehr elegant angezogen; wahrscheinlich erwartete er eine Dame.

Sie erschien auch, tief verschleiert, in großer Hast. Nach kurzer Begrüßung nahm sie seinen Arm und sie gingen davon.

Da zog in Duroys Herz ein stürmisches Liebesbedürfnis, ein Bedürfnis nach vornehmer, zärtlicher, parfümierter Liebe. Er stand auf und setzte sich wieder in Gang, indem er an Forestier dachte. Hatte der Kerl ein Glück!

Er kam gerade an dessen Thür, als sein Freund ausgehen wollte.

– Du? So zeitig! Was willst Du denn?

Duroy war verlegen, ihn gerade beim Ausgehen zu treffen, und stammelte:

– Ja weißt Du – weißt Du – ich kann meinen Artikel nicht fertig kriegen. Weißt Du – den Artikel, den Herr Walter von mir über Algerien verlangt hat. 's ist nicht weiter wunderbar, ich habe doch nie etwas geschrieben! So was muß man eben lernen wie alles in der Welt! Ich werd' schon bald dahinter kommen, das weiß ich bestimmt. Aber nur der Anfang – weißt Du, ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll, ich habe wohl Gedanken, ich weiß alles, was ich schreiben will, aber ich kann's nicht ausdrücken.

Er blieb stehen und zögerte ein wenig. Forestier lächelte boshaft:

– Kennen wir.

Duroy begann von neuem:

– Ja, das wird wohl jedem so gehen, der anfängt, Nun – ich bin gekommen . . . . ich bin gekommen, um . . . . von Dir . . . . eine kleine Hilfe zu erbitten . . . . In zehn Minuten renkst Du mir die Geschichte ein. Weißt Du, Du mußt mir bloß zeigen, wie man's anfängt. Du könntest mich ein bißchen belehren über den Stil, ich krieg sonst ohne Dich die Geschichte nicht fertig.

Der andere lächelte immer noch, klopfte seinen ehemaligen Kameraden auf die Schulter und sagte:

– Weißt Du was, geh mal zu meiner Frau, die hilft Dir ebenso gut wie ich. Ich habe sie schon darauf eingefuchst. Ich habe heute morgen keine Zeit, sonst thäte ich's gern selbst.

Duroy war plötzlich verlegen, zögerte und wagte es nicht:

– Ja aber so früh kann ich mich doch nicht bei ihr melden lassen?

– Aber natürlich! Sie ist schon auf. Du wirst sie in meinem Arbeitszimmer finden, sie stellt eben ein paar Notizen für mich zusammen.

Der andere wollte nicht hinaufgehen:

– Nein, das geht nicht.

Forestier nahm ihn bei den Schultern, drehte ihn auf den Absätzen herum, stieß ihn zur Treppe und rief:

– Aber so geh doch, Du Dümmlack! Du kannst doch gehen, wenn ich Dir's sage. Du wirst doch nicht verlangen, daß ich, um Dich vorzustellen und die Geschichte auseinanderzusetzen, wieder die drei Treppen hinaufklettere.

Da war Duroy entschlossen:

– Danke, ich gehe. Ich werde ihr sagen, daß Du mich gezwungen hast, einfach gezwungen, sie aufzusuchen.

– Gewiß, sie wird dich schon nicht auffressen, sei nur ganz ruhig. Vor allen Dingen vergiß nicht heute nachmittag um drei.

– Nein, keine Bange!

Und Forestier ging in seinem eiligen Schritt davon, während Duroy langsam Stufe um Stufe die Treppe hinaufstieg, indem er sich überlegte, was er wohl sagen sollte. Er war doch etwas in Unruhe über die Aufnahme, die er finden würde.

Der Diener machte auf, eine blaue Schürze vorgebunden und einen Besen in der Hand:

– Der gnädige Herr ist aus, sagte er, ohne die Frage abzuwarten.

Duroy ließ sich nicht abweisen:

– Fragen Sie die gnädige Fran, ob sie mich nicht annehmen kann und sagen Sie ihr, daß mich ihr Herr Gemahl schickt, den ich eben auf der Straße getroffen habe.

Dann wartete er. Der Mann kam wieder, öffnete eine Thür rechts und sagte:

– Die gnädige Frau läßt bitten.

Sie saß in einem Schreibtischstuhl, in einem kleinen Zimmer, dessen Wände gänzlich versteckt waren unter ganzen Reihen von Büchern auf schwarzen Holzgestellen. Die Einbände, in verschiedenen Farben, rot, gelb, grün, violett und blau, brachten Farbe in den Raum und etwas Abwechselung in die monotonen Reihen der Bücher.

Sie drehte sich lächelnd um, in ihrem weißen, spitzenbesetzten Morgenrock und reichte ihm die Hand, wobei ihr nackter Arm sich aus den weiten Ärmeln vorschob.

– Schon? – fragte sie. Dann fuhr sie fort:

– Das soll kein Vorwurf sein, nur eine Frage.

– O gnädige Frau, ich wollte nicht heraufkommen, aber Ihr Herr Gemahl, den ich unten traf, hat mich dazu gezwungen. Es ist mir so peinlich, daß ich gar nicht wage, Ihnen zu sagen, was mich herführt.

Sie bot ihm einen Stuhl an:

– Bitte, nehmen Sie Platz und reden Sie.

Zwischen den Fingern drehte sie einen Gänsekiel und vor ihr lag ein großes Blatt Papier, schon halb beschrieben: beim Eintritt des jungen Mannes hatte sie aufgehört.

Sie machte den Eindruck, als wäre sie ganz zu Haus am Arbeitstisch, wie in ihrem Salon, bei ihrer gewöhnlichen Beschäftigung. Ein leichter Duft entströmte dem Morgenrock, der Duft frischer Wäsche. Und Duroy suchte zu erraten und glaubte den jungen, weißen, runden, warmen Leib, den der weiche Stoff umschloß, zu sehen.

Da er nichts sagte, begann sie:

– Nun, was wünschen Sie?

Er stammelte zögernd:

– Ja, ich wage es wirklich nicht . . . ich habe nämlich gestern bis sehr spät noch gearbeitet . . . und heute morgen . . . sehr zeitig . . . um diesen Artikel zu schreiben . . . den Herr Walter über Algerien haben will – aber ich kriegte nichts Rechtes fertig und habe meine Versuche zerrissen! Ich bin eben an diese Arbeit nicht gewöhnt, und ich war zu Forestier gekommen, um ihn zu bitten, mir zu helfen! Nur das eine Mal!

Sie unterbrach ihn herzlich lachend, glückselig, fröhlich und geschmeichelt:

– Und er hat Ihnen gesagt, Sie sollen zu mir kommen? Das ist wirklich sehr nett!

– Ja, gnädige Frau, er hat mir gesagt, daß Sie mich aus der Verlegenheit ziehen würden, besser als er selbst. Aber wissen Sie, ich wagte es doch nicht, ich wollte es nicht, Sie werden begreifen . . .

Sie stand auf:

– Das wird reizend, wenn wir so zusammen arbeiten. Das ist eine wundervolle Idee von Ihnen. Da kommen Sie mal her, setzen Sie sich hier auf meinen Stuhl, denn bei der Zeitung kennt man meine Handschrift. Und ich werde Ihnen einen Artikel zurechtdeichseln, einen Artikel, Sie sollen mal sehen.

Er setzte sich, nahm die Feder, breitete vor sich ein Blatt Papier aus und wartete.

Frau Forestier, die stehen geblieben war, sah seinen Vorbereitungen zu. Dann nahm sie eine Cigarette vom Kamin und steckte sie an:

– Ich kann nicht arbeiten ohne zu rauchen! Also nu sagen Sie mal, was wollen Sie denn erzählen?

Er blickte sie erstaunt an:

– Ja . . . das weiß ich eben nicht . . . deswegen bin ich doch zu Ihnen gekommen!

Sie meinte:

– Na ich werde Ihnen die Sache schon machen. Ich braue die Sauce, aber den Braten müssen Sie schon geben.

Er war in großer Verlegenheit. Endlich sagte er zögernd:

– Ja, ich möchte nämlich meine Reise von Anfang an erzählen.

Da setzte sie sich ihm gegenüber auf die andere Seite des großen Tisches und blickte ihm in die Augen:

– Gut, dann erzählen Sie mir's zuerst, mir ganz allein. Wissen Sie, ganz gemütlich, vergessen Sie nichts, ich werde schon das aussuchen, was wir brauchen können.

Aber da er nicht wußte, wie er anfangen sollte, fing sie an, ihn auszuhorchen, wie ein Priester bei der Beichte, stellte bestimmte Fragen, die ihm gewisse Einzelheiten wieder ins Gedächtnis führten, die er vergessen, und Leute, die er kennen gelernt, Menschen, denen er einmal begegnet.

Als sie ihn dazu gebracht hatte, daß er so während einer knappen Viertelstunde gesprochen, unterbrach sie ihn plötzlich:

– Nun fangen wir an, ja? Wir wollen so thun als teilten Sie einem Freunde Ihre Eindrücke mit. Auf die Art können Sie eine Menge Unsinn reden und allerlei Bemerkungen einflechten, die sehr natürlich klingen und komisch dazu. Also nun los:

»Mein lieber Heinrich! Du willst gern etwas über Algerien wissen. Also hör zu. Ich werde Dir, da ich in der kleinen Lehmhütte, die mir als Wohnung dient, doch nichts anzufangen weiß, eine Art Tagebuch senden, Tag um Tag, Stunde um Stunde. Es wird zwar manchmal etwas gepfeffert werden, na – aber Du brauchst es ja nicht gerade den Damen Deiner Bekanntschaft zu zeigen.«

Sie unterbrach sich, um ihre ausgegangene Cigarette wieder anzustecken. Und sofort hörte das Kreischen der Gänsefeder auf dem Papier auf.

– Wir wollen fortfahren, sagte sie.

»Algerien ist ein großer, französischer Besitz an der Grenze jener mächtigen unbekannten Gegenden, die man die Wüste nennt, die Sahara, Zentral-Afrika u. s. w. u. s. w.

Algier ist die Eingangspforte, die weiße reizende Eingangspforte zu diesem merkwürdigen Erdteil.

Aber man muß erst herkommen und das ist nicht gerade jedermanns Sache. Du weißt, daß ich ein ausgezeichneter Reiter bin, da ich doch des Obersten Pferde zureite, nun man kann wohl ein guter Reiter sein und doch ein schlechter Seemann. Und das trifft bei mir zu.

Erinnerst Du Dich des Oberstabsarztes Simbretas, den wir immer Doktor Kotze nannten? Wenn wir uns gern mal vierundzwanzig Stunden im Lazarett jenes gesegneten Landes ausruhen wollten, so meldeten wir uns krank.

Er saß auf seinem Stuhl, die mächtigen Schenkel in seiner roten Hose auseinandergesperrt, die Hände auf den Knieen, die Arme im rechten Winkel, die Ellbogen in der Luft, rollte seine großen, runden Augen und kaute an seinem weißen Schnurrbart.

Du erinnerst Dich wohl noch seiner Verordnung:

Soldat so und so hat eine Magenstörung. Man gebe ihm Brechmittel Nummer drei nach meiner Verordnung, dann zwölf Stunden Ruhe und er ist gesund.

Dieses Brechmittel war totsicher, totsicher und unwiderstehlich. Man würgte es also hinunter, weil man mußte, und wenn man das Rezept des Doktor Kotze im Leibe hatte, genoß man seine schwer verdienten zwölf Stunden Ruhe.

Also lieber Freund, um nach Afrika zu gelangen, muß man während der Dauer von vierzig Stunden eine andere Sorte von unwiderstehlichen Brechmitteln überwinden, nach Verordnung der Compagnie Transatlantique.«

Sie rieb sich die Hände und war ganz entzückt über ihren Einfall.

Sie stand auf, ging hin und her, nachdem sie sich eine andere Zigarette angesteckt und diktierte, indem sie Rauchringel blies, die zuerst ganz gerade aus einer kleinen, runden Öffnung zwischen den zusammengepreßten Lippen aufstiegen, sich dann erweiterten, verflüchteten und hier und da in der Luft graue Linien zurückließen, eine Art von durchsichtigem Dunst, ein Nebelgespinst wie Spinnenfäden. Ab und zu schlug sie mit der offenen Hand auf die leichten Ringe, oder sie schnitt sie mit einer scharfen Bewegung des Zeigefingers entzwei und sah dann mit ernster Miene die beiden getrennten Dampfringe langsam verschwinden.

Und Duroy blickte auf und folgte allen ihren Handbewegungen, allen Bewegungen ihres Körpers und ihrer Züge, mit denen sie dem nichtigen, gedankenlosen Spiel folgte.

Sie erfand nun Reiseabenteuer und beschrieb ein Paar erdichtete Reisegefährten. Endlich fügte sie noch eine Liebelei mit der Frau eines Infanteriehauptmanns, die ihrem Mann nach Algerien nachreiste, ein.

Dann setzte sie sich und befragte Duroy über die Topographie Algeriens, von der sie keinen Schimmer hatte. Nach zehn Minuten wußte sie ebensoviel davon wie er und gab nun eine kleine Abhandlung über politische und koloniale Geographie, um den Leser zu orientieren und für die ernsten Fragen vorzubereiten, die in den späteren Artikeln behandelt werden sollten.

Dann unternahm sie einen Ausflug in die Provinz Oran, einen phantastischen Ausflug, in dem hauptsächlich von Frauen die Rede war, von Maurinnen, Jüdinnen und Spanierinnen.

– Das ist das einzige, was die Leute interessiert! sagte sie.

Sie schloß mit einem Aufenthalt in Saïda am Fuße der Hochebenen und mit einer netten kleinen Geschichte zwischen dem Unteroffizier Georg Duroy und einer spanischen, in der Alfa-Manufaktur von Aïn el Hadjar beschäftigten Arbeiterin.

Sie erzählte ein nächtliches Stelldichein in den felsigen, kahlen Bergen zur Zeit, wo die Schakale, die Hyänen und die arabischen Hunde zwischen den Felsen heulen und bellen.

Dann sagte sie in fröhlichem Ton:

– Fortsetzung folgt.

Nun stand sie auf:

– Lieber Herr Duroy, sehen Sie, so schreibt man einen Artikel. Jetzt unterzeichnen Sie bitte.

Er zögerte.

– Unterschreiben Sie doch!

Da fing er an zu lachen und schrieb unten auf die Seite: Georg Duroy.

Sie rauchte weiter und lief auf und ab. Er blickte sie immer an, aber er fand kein Wort, um ihr zu danken. Er war glücklich, in ihrer Nähe zu sein, Dankbarkeit und sinnliches Wohlbehagen über diese beginnende Freundschaft durchströmte ihn ganz. Ihm schien es, als ob alles, was um sie herum war, zu ihr gehörte, bis auf die Wände, die mit Büchern bedeckt waren. Die Stühle, die Möbel, die Luft, durch die der Tabakrauch zog, hatten etwas Besonderes, Angenehmes, Süßes, Reizendes, das von ihr kam.

Plötzlich fragte sie:

– Was halten Sie von meiner Freundin Frau von Marelle?

Er war erstaunt:

– Nun, ich finde sie – ich finde sie sehr verführerisch.

– Nicht wahr?

– Gewiß.

Er hätte am liebsten hinzugefügt: aber nicht so wie Sie. Doch das wagte er nicht.

Sie begann von neuem:

– Sie wissen gar nicht, wie komisch, wie originell, wie gescheit sie ist! Sie ist so eine Art Zigeunernatur, eine rechte Zigeunerin. Deswegen liebt sie ihr Mann nicht sehr. Er sieht nur an ihr das Schlechte und weiß ihre guten Eigenschaften nicht zu würdigen.

Duroy war ganz erstaunt zu hören, daß Frau von Marelle verheiratet sei, und doch war es ja ganz natürlich.

Er fragte:

– So, sie ist verheiratet? Was ist denn ihr Mann?

Frau Forestier zuckte leicht die Achseln und zog die Augenbrauen in die Höhe mit einer einzigen bedeutungsvollen Bewegung, die ihm nicht recht verständlich war:

– O er ist an der Nordbahn angestellt. Er ist immer nur eine Woche im Monat in Paris. Seine Frau nennt das »ihre Dienstzeit« oder »ihre Frohn«, oder auch »die heilige Woche«. Wenn Sie sie näher kennten, würden Sie sehen, wie fein und reizend sie ist. Machen Sie ihr doch mal einen Besuch dieser Tage!

Duroy dachte gar nicht daran fortzugehen. Es war ihm, als sollte er immer hier bleiben, als wäre er zu Haus.

Aber die Thür öffnete sich geräuschlos, und ein großer Herr trat ein, den man gar nicht angemeldet hatte.

Als er einen Mann im Zimmer sah, blieb er stehen. Frau Forestier schien einen Augenblick verlegen zu sein, dann sagte sie in natürlichem Tone, obgleich sie ein ganz klein wenig errötet war:

– Aber kommen Sie doch, lieber Freund. Darf ich Sie bekannt machen, ein guter Freund von Karl, Herr Georg Duroy, zukünftiger Journalist.

Dann sagte sie mit einem ganz anderen Ton:

– Unser bester und intimster Freund, Graf Vaudrec.

Die beiden Herren verneigten sich vor einander, blickten sich scharf an und Duroy zog sich sofort zurück.

Er ward nicht aufgefordert zu bleiben, sagte irgend ein paar Dankesworte, drückte die entgegengestreckte Hand der jungen Frau, verbeugte sich noch einmal vor dem Neueingetretenen, der das kühle, unbewegliche Antlitz des Weltmannes behielt und ging dann ganz verwirrt hinaus, als ob er eben eine Dummheit gemacht hätte.

Als er auf der Straße stand, war er unmutig. Irgend ein geheimer Kummer war über ihn gekommen. Er ging seines Weges und fragte sich, warum ihn eigentlich plötzlich diese Schwermut überfallen. Er wußte keine Erklärung. Aber das ernste Gesicht dieses schon etwas ältlichen Grafen Vaudrec, mit dem ergrauten Haar und dem ruhigen, unverschämten Aussehen eines sehr reichen und sehr sicheren Mannes, kam ihm fortwährend wieder in den Sinn.

Und er merkte, daß der Eintritt dieses Unbekannten, der das reizende Zusammensein gestört, an das sich sein Herz bereits gewöhnt, ihn angeweht hatte mit jenem Gefühl von Kälte und Verzweiflung, das in uns manchmal irgend ein Wort, das wir gehört haben, ein Elend, in das wir geblickt, der geringste Umstand erwecken kann.

Und ohne daß er recht wußte, warum, schien es ihm auch, als ob jener Herr mißvergnügt darüber gewesen sei, ihn dort zu treffen.

Bis drei Uhr hatte er nichts mehr zu thun und es war noch nicht Mittag. Er besaß noch sechs Franken fünfzig, und ging zum Frühstück in ein Bouillon Duval; dann bummelte er auf den Boulevards herum, und als es drei Uhr schlug, stieg er die Haupttreppe der ›Vie française‹ hinauf.

Die Zeitungsboten saßen auf einer Bank, mit gekreuzten Armen und warteten, während hinter einer Art von Katheder ein Diener die eben eingetroffenen Briefe sortierte. Es war alles vorzüglich eingerichtet, um den Eintretenden gleich zu imponieren. Alle zeigten eine gewisse Haltung, ein Benehmen, eine gewisse Würde, einen gewissen Schmiß wie es für das Vorzimmer einer großen Zeitung notwendig schien.

Duroy fragte:

– Ist Herr Walter zu sprechen?

Der Diener antwortete:

– Der Chef hat eben eine Sitzung. Wollen Sie nicht einen Augenblick Platz nehmen.

Und er wies ihn in ein Wartezimmer, in dem sich eine Menge Leute befanden.

Dort saßen würdig aussehende Männer, mit Ordensband im Knopfloch, und daneben etwas vernachlässigte Existenzen, bei denen man keine Wäsche sah, deren Rock, bis zum Kragen zugeknöpft, auf der Brust voller Flecken war, die aussahen wie die Umrisse der Kontinente und Meere auf einer Landkarte. In der Menge befanden sich auch drei Frauen, die eine war hübsch, lächelte, hatte sich hergerichtet und sah etwas nach Halbwelt aus. Ihre Nachbarin zog ein tragisches Gesicht, sie war runzelig, auch etwas zurechtgemacht, aber mehr ernst und hatte etwas Abgetakeltes, Unnatürliches, Gekünsteltes, wie gewöhnlich ehemalige Schauspielerinnen, so ein Duft von künstlich aufgefrischter Jugend, wie ranzig gewordenes Liebesparfüm.

Die dritte Frau, in Trauer, drückte sich in eine Ecke. Man sah ihr die Verzweiflung der Witwe an. Duroy dachte: die wird wohl um ein Almosen bitten.

Aber man ließ niemand eintreten und über zwanzig Minuten waren schon verstrichen.

Da kam Duroy auf einen Gedanken und trat wieder an den Diener heran:

– Herr Walter hat mich um drei Uhr bestellt. Sehen Sie doch mal nach, ob mein Freund Forestier nicht da ist.

Sogleich führte man ihn durch einen langen Korridor, der auf einen großen Saal mündete, wo an einem grünen Tisch vier Herren arbeiteten.

Forestier stand am Kamin, rauchte eine Zigarette und spielte Fangball. Er war sehr geschickt dabei und fing mit großer Sicherheit die Kugel aus gelbem Buchsbaum in dem kleinen Holzbecher.

Er zählte:

– 22 – 23 – 24 – 25 –

Duroy sagte:

– 26 – und sein Freund blickte auf, ohne in der regelmäßigen Bewegung seines Armes inne zu halten:

– Gott da bist Du ja! Gestern bin ich auf 57 hinter einander gekommen. Von uns hier spielt nur Saint-Potin besser. Hast Du den Chef gesehen? Ist das Ulkigste, was man sehen kann, wenn die alte Kracke, der Norbert, Fangball spielt. Er macht immer dabei 's Maul auf, als ob er die Kugel 'runterschlucken wollte.

Einer der Redakteure wandte sich zu ihm:

– Hör mal Forestier, ich weiß ein Fangballspiel, das zu verkaufen ist, es hat, so behauptet man wenigstens, der Königin von Spanien gehört. Sechzig Franken soll es kosten! Gar nicht teuer.

Forestier fragte:

– Wo ist's denn zu haben?

Und da er den siebenunddreißigsten Wurf verfehlt hatte, öffnete er einen Schrank, wo Duroy etwa zwanzig wundervolle Fangballspiele sah, die der Reihe nach standen und Nummern trugen wie Kostbarkeiten in einer Sammlung. Dann stellte er sein Spielzeug an den gewöhnlichen Platz und fragte noch einmal:

– Wo soll denn dies Juwel zu haben sein?

Der Journalist antwortete:

– Bei einem Billethändler vom Vaudeville. Wenn Du willst, kann ich's Dir ja morgen mitbringen.

– Schön, einverstanden. Wenn es wirklich schön ist, nehme ich's. Man kann nie genug Fangbälle haben.

Dann wandte er sich zu Duroy:

– Komm mal jetzt mit, ich werde Dich zum Chef bringen, sonst kannst Du hier vermodern bis heute abend.

Sie gingen durch den Wartesaal, wo immer noch dieselben Leute in derselben Reihenfolge warteten. Sobald Forestier erschien, standen die junge Frau und die alte Schauspielerin schnell auf und näherten sich ihm. Er trat mit einer nach der andern in die Fensternische und, obgleich sie möglichst leise sprachen, merkte Duroy, daß er sie beide duzte.

Nachdem sie dann zwei gepolsterte Thüren aufgestoßen, traten sie beim Chef ein.

Die Sitzung, die bereits seit ein Uhr dauerte, bestand in einer Partie Ecarté mit einigen jener Herren, die Duroy tags vorher gesehen hatte.

Herr Walter hielt die Karten und spielte mit schärfster Aufmerksamkeit und vorsichtigen Bewegungen, während sein Gegner die bunten Kartenblätter auf den Tisch warf, aufhob und mischte mit der Geschicklichkeit und Schnelligkeit eines alten Spielers. Norbert von Varenne schrieb einen Artikel. Er saß im Schreibstuhl des Chefs. Jacques Rival lag der Länge nach auf einem Sofa und rauchte mit geschlossenen Augen eine Zigarre.

Das Zimmer roch, als wäre es nie gelüftet worden, nach den Lederstühlen, nach altem Tabak, nach Druckerschwärze. Es schlug einem sofort jener besondere Geruch der Redaktionszimmer entgegen, den alle Journalisten kennen.

Auf dem Tische aus schwarzem Holz, der mit Messing eingelegt war, lagen ganze Stöße Papiere herum, Briefe, Karten, Zeitungen, Monatsschriften, Rechnungen von den Lieferanten, Drucksachen aller Art.

Forestier drückte den Herren die Hand, die hinter den beiden Spielern standen, um zu wetten und sah, ohne ein Wort zu sagen der Partie zu. Sobald dann der alte Walter gewonnen hatte, sagte er:

– Hier ist mein Freund Duroy.

Der Chef musterte schnell über die Brillengläser den jungen Mann und fragte:

– Bringen Sie mir den Artikel? Heute würde er sehr gut passen. Gerade zur Debatte Morel.

Duroy zog die Blätter des Manuskriptes, die zweimal gefaltet waren, aus der Tasche:

– Zu Diensten.

Der Chef schien sehr erfreut zu sein und meinte lächelnd:

– Gut, sehr schön, Sie halten Wort. Muß ich's erst durchsehen, Forestier?

Aber Forestier antwortete schnell:

– 's ist nicht nötig, Herr Walter. Ich habe die Sache mit ihm zusammengestellt, um ihm beizubringen wie man's machen muß. Der Artikel ist gut.

Und der Chef, der eben die Karten bekam, die ein großer magerer Herr, ein Abgeordneter vom linken Zentrum gab, fügte gleichgiltig hinzu:

– Schön, das ist also in Ordnung.

Forestier ließ ihn die neue Partie nicht beginnen, sondern beugte sich zu seinem Ohr:

– Wissen Sie, Sie haben mir doch versprochen, Duroy an Stelle von Marambot zu verpflichten! Kann er unter denselben Bedingungen eintreten?

– Gewiß.

Dann nahm der Journalist den Arm seines Freundes und zog ihn fort, während Herr Walter wieder anfing zu spielen.

Norbert von Varenne hatte den Kopf nicht erhoben. Er schien Duroy entweder nicht gesehen oder nicht erkannt zu haben. Jacques Rival dagegen schüttelte ihm mit demonstrativer Kraft die Hand wie ein guter Kamerad, auf den man sich wenn's nötig ist, verlassen kann.

Sie kamen wieder durch den Wartesaal, und da alles aufblickte, sagte Forestier zu der jüngeren der Frauen laut genug, daß die anderen Leidensgefährten es hören konnten:

– Der Chef wird Sie sofort empfangen. Er hat eben eine Konferenz mit zwei Mitgliedern der Budget-Kommission.

Dann ging er eilig mit wichtiger Miene weiter, als ob er sofort eine Depesche von allergrößter Wichtigkeit zu erledigen hätte.

Sobald sie wieder im Redaktionszimmer standen, nahm Forestier augenblicklich seinen Fangbecher wieder vor, und indem er das Spiel von neuem begann und ab und zu sich unterbrach, um zu zählen, sagte er zu Duroy:

– So, jetzt mußt Du also täglich um drei Uhr hierher kommen, und ich sage Dir dann, welche Wege und Besuche Du zu machen hast, sei's nachmittags, sei's abends oder am nächsten Morgen – 1 – zuerst gebe ich Dir ein Empfehlungsschreiben mit für den Chef der Abteilung I des Polizeipräsidiums – 2 – der wird Dich an einen seiner Beamten weisen und mit ihm mußt Du Dich dann ins Einvernehmen setzen wegen aller wichtigen Nachrichten – 3 – die von der Präfektur kommen, offizielle Neuigkeiten wie halboffizielle. Weißt Du, dann mußt Du Dich wegen aller Einzelheiten an Saint- Potin wenden, der alles schon weiß – 4 – Du wirst ihn nachher treffen oder morgen. Vor allen Dingen mußt Du lernen, aus den Leuten, zu denen ich Dich schicke, alles herauszupressen, was wir brauchen – 5 – und überall reinzukommen, auch wenn Du verschlossene Thüren fändest – 6 – dafür bekommst Du zweihundert Franken Fixum und dann für die interessanten kleinen Neuigkeiten, die Du selber aufgabeln mußt, zwei Sous für die Zeile – 7 – und dann ebenfalls zwei Sous für die Zeile für alle Artikel, die man noch außerdem über verschiedene Themate von Dir haben will – 8 –

Dann achtete er nur noch auf sein Spiel und zählte langsam weiter:

– 9 – 10 – 11 – 12 – 13.

Der vierzehnte Wurf mißlang und er fluchte:

– Diese Gott verdammte Dreizehn bringt mir immer Pech! Verdammtes Aas. Ich sterbe sicher noch an einem Dreizehnten!

Einer der Redakteure, der mit seiner Arbeit fertig war, nahm nun auch einen Fangbecher aus dem Schrank. Es war ein kleiner Mensch, der wie ein Kind aussah, obgleich er wohl fünfunddreißig Jahre zählen mochte. Und ein paar andere Journalisten, die hereingekommen waren, holten sich einer nach dem andern das Spielzeug, das ihnen gehörte. Bald standen sechs neben einander, den Rücken an der Wand und warfen mit ganz regelmäßiger Bewegung die, je nach dem Holze, roten, gelben oder schwarzen Kugeln in die Luft. Und als sie sich stritten, erhoben sich die beiden Redakteure, die noch arbeiteten, auch noch, um das Schiedsrichteramt zu übernehmen.

Forestier gewann mit elf Punkten. Da klingelte der kleine Herr, der wie ein Kind aussah und eben verloren hatte, dem Bureaudiener und befahl:

– Neun Bier!

Und sie fingen dann wieder an zu spielen, indem sie auf die Erfrischung warteten.

Duroy trank ein Glas Bier mit seinen neuen Kollegen, dann fragte er seinen Freund:

– Was hast Du für mich zu thun?

Der andere antwortete:

– Ich habe heute nichts für Dich! Wenn Du willst, kannst Du fortgehen.

– Und unser Artikel? Kommt der heute abend?

– Ja wohl, aber Du brauchst Dich nicht darum zu kümmern, ich lese schon die Korrektur. Mach nur die Fortsetzung für morgen und dann kommst Du wie heute um drei her.

Und Duroy ging, nachdem er allen, ohne zu wissen, wer sie eigentlich waren, die Hand gedrückt, die schöne Treppe wieder hinab, munter und glückselig.

 


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