Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

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II

Du Roys waren seit zwei Tagen nach Paris zurückgekehrt, und der Journalist hatte seine bisherige Thätigkeit wieder aufgenommen, bis er später die Redaktion des lokalen Teiles niederlegen könnte, um definitiv an die Stelle Forestiers zu treten und sich ganz der Politik zu widmen.

An diesem Abend ging er nach seiner Wohnung, nach der seines Vorgängers, zum Essen. Er war guter Laune und freute sich seine Frau zu umarmen, deren Liebreiz er unterlag und die ihn ganz gefangen hatte. Als er bei einer Blumenhändlerin unten in der Straße Notre Dame de Lorette vorüber ging, kam ihm der Gedanke, Magdalene ein paar Blumen zu kaufen, und er wählte einen großen Strauß von kaum erschlossenen duftenden Rosenknospen.

Auf jedem Treppenabsätze seiner neuen Wohnung sah er sich wohlgefällig in dem Spiegel, dessen Anblick ihn immer an sein erstes Erscheinen hier im Hause erinnerte.

Da er den Schlüssel vergessen hatte, klingelte er, und derselbe Diener, den er auf Rat seiner Frau behalten hatte, öffnete.

Georg fragte:

– Ist meine Frau zu Hause?

– Jawohl!

Aber als er durch das Eßzimmer ging, war er sehr erstaunt, drei Gedecke zu sehen und da die Portière vom Salon geöffnet war, erblickte er Magdalene, die einen Blumenstrauß, dem seinen ganz ähnlich, in eine Kaminvase ordnete. Das verstimmte ihn, als hätte man ihm seine Idee, seine Aufmerksamkeit und das Vergnügen, das er sich davon versprochen, gestohlen.

Er fragte, indem er eintrat:

– Hast Du denn jemand eingeladen?

Ohne sich umzudrehen, ohne sich in ihrer Beschäftigung stören zu lassen, sagte sie:

– Ja und nein. Mein alter Freund Graf Vaudrec pflegte jeden Montag bei uns zu essen, er kommt wie früher.

Georg brummte:

– Sieh mal an, das ist sehr schön!

Er blieb hinter ihr stehen, den Blumenstrauß in der Hand. Eigentlich hatte er Lust ihn zu verstecken, ihn fort zu werfen, aber er sagte dennoch:

– Da, ich habe Dir Rosen mitgebracht!

Sie drehte sich schnell um und rief lächelnd:

– Ach das ist aber nett, daß Du daran gedacht hast!

Und streckte ihm mit offenen Armen die Lippen entgegen, mit einem so warmen Ausdruck der Liebe und der Freude, daß er sich getröstet fühlte.

Sie nahm die Blumen, roch daran, glückselig wie ein Kind, und steckte sie in die zweite Vase, die neben der andern stand.

Dann sagte sie, indem sie überblickte, wie es aussah:

– Das macht mir großen Spaß, nun ist mein Kamin schön.

Sie fügte fast sofort mit überzeugtestem Ton hinzu:

– Weißt Du, Vaudrec ist nämlich reizend, Du wirst gleich ganz intim mit ihm sein.

Der Glockenton zeigte die Ankunft des Grafen an. Er trat ruhig ein, als fühle er sich ganz zu Hause. Nachdem er galant der jungen Frau die Hand geküßt hatte, wandte er sich zu ihrem Manne und streckte ihm liebenswürdig die Finger entgegen mit der Frage:

– Nun wie geht es, lieber du Roy?

Er hatte nicht mehr sein steifes zugeknöpftes Wesen, wie einst, sondern etwas Zuvorkommendes, das wohl anzeigte, wie die Lage sich geändert. Der Journalist war erstaunt. Er wollte sich liebenswürdig zeigen diesem Entgegenkommen gegenüber, und nach fünf Minuten waren sie miteinander, als kennten und liebten sie sich seit zehn Jahren.

Da sagte Magdalene mit strahlendem Gesicht:

– Ich lasse euch allein. Ich habe noch in der Küche zu thun.

Und sie ging, während die beiden Männer ihr nachblickten.

Als sie wiederkam, sprachen sie vom Theater, über ein neues Stück und waren dermaßen gleicher Ansicht, daß eine Art von plötzlicher Freundschaft aus ihren Augen glänzte vor Freude über die Übereinstimmung ihrer Meinungen.

Das Diner war reizend, sehr intim und herzlich, und der Graf blieb bis spät, so wohl fühlte er sich in diesem Hause, in dieser netten jungen Ehe.

Sobald er fort war, sagte Magdalene zu ihrem Mann:

– Nicht wahr er ist ein Kavalier? Er gewinnt sehr bei näherer Bekanntschaft, und er ist ein guter Freund, zuverlässig, ergeben und treu. Ach ohne ihn . . . .

Sie beendigte ihren Satz nicht, und Georg antwortete:

– Ja ich finde ihn sehr nett. Ich glaube wir werden uns gut vertragen.

Aber sie gab sofort zurück:

– Höre mal! Ehe wir heute abend zu Bett gehen, haben wir noch zu arbeiten. Ich konnte es Dir vor Tisch nicht mehr sagen, weil Vaudrec so schnell kam. Ich habe vorhin wichtige Nachrichten bekommen über Marokko. Laroche-Mathieu, der Abgeordnete, der zukünftige Minister, hat sie mir gebracht. Wir müssen einen großen Artikel, einen Sensationsartikel loslassen; ich habe lauter Thatsachen und Zahlen. Wir wollen sofort an die Arbeit, komm, nimm mal die Lampe.

Er nahm sie, und sie gingen miteinander in das Arbeitszimmer hinüber.

Dieselben Bücher standen auf demselben Büchergestell, das jetzt die drei Vasen, die Forestier am Tage vor seinem Tode im Golf Juan gekauft hatte, schmückten. Unter dem Tische erwartete der Fußsack des Verstorbenen Duroys Füße, der sich setzte und den Elfenbein-Federhalter in die Hand nahm, den der andere an der Spitze etwas abgekaut hatte.

Magdalene lehnte sich an den Kamin und kramte ihre Neuigkeiten aus, nachdem sie eine Cigarette angezündet hatte. Dann verbreitete sie sich näher über ihre Ansichten und wie der Artikel, von dem sie geträumt, entworfen werden sollte.

Er hörte ihr aufmerksam zu und notierte sich ein paar Sachen, und als sie fertig war, machte er seine Einwürfe geltend, nahm die Frage nochmals auf, erweiterte sie, und entwickelte nun seinerseits nicht bloß den Plan zu einem Artikel, sondern zu einem ganzen Feldzug gegen den gegenwärtigen Minister. Dieser Angriff sollte der Anfang davon sein. Seine Frau hatte aufgehört zu rauchen, und je mehr sie an der Sache Interesse gewann, desto mehr blickte sie, dem Gedankengange Georgs folgend, in die Weite.

Ab und zu murmelte sie:

– Ja, ja! Sehr gut! Ausgezeichnet! Das sitzt!

Und als er nun fertig war, sagte sie:

– So nun wollen wir schreiben.

Aber ihm wurde immer der Anfang schwer und nur mühselig fand er die Worte; da beugte sie sich über seine Schulter und flüsterte ihm ganz leise die ersten Sätze ins Ohr.

Ab und zu hielt sie inne und fragte:

– Nicht wahr, das willst Du doch sagen?

– Ja, ganz genau!

Sie wußte kleine Stiche auszuteilen, mit weiblichen Bosheiten den Ministerpräsidenten zu verletzen, und Witze über sein Äußeres mischte sie mit solchen über seine Politik so drollig, daß man lachen und doch das Treffende ihrer Beobachtungen bewundern mußte.

Du Roy fügte ab und zu ein paar Zeilen ein, die die Tiefe und Wirkung des Angriffs erhöhten. Er verstand die Kunst perfider Anspielungen, die er bei der Redaktion der Lokalnachrichten gelernt hatte. Und wenn irgend etwas, das Magdalene als sicher hinstellte, ihm doch zweifelhaft oder kompromittierend erschien, so suchte er die Geschichte so zu wenden, daß man sie erraten konnte; so daß sie eigentlich größeren Eindruck machte, als hätte er sie geradezu gesagt.

Als der Artikel fertig war, las ihn Georg noch einmal, indem er ihn mit lauter Stimme vortrug. Sie waren einer Ansicht, daß er vorzüglich wäre und lachten sich entzückt und überrascht an, als ob sie sich einer dem andern eben offenbart. Sie blickten sich tief in die Augen, ergriffen von gegenseitiger Bewunderung und Zärtlichkeit, dann küßten sie sich heftig, als ob die zärtliche Übereinstimmung ihrer Geister ihre Körper entflammte.

Du Roy nahm wieder die Lampe und sagte mit feurigem Blick:

– So nun gehen wir ins Bettchen.

Sie antwortete:

– Geh voraus, mein Herr und Gebieter, Du beleuchtest ja den Weg.

Er ging, und sie folgte ihm ins Schlafzimmer, indem sie ihn mit den Fingerspitzen zwischen Haar und Kragen krabbelte, damit er schneller gehen sollte; denn er war kitzlich.

Der Artikel erschien unterzeichnet: Georg du Roy von Cantel, und erregte großes Aufsehen. In der Kammer wurde darüber debattiert, der alte Walter beglückwünschte den Verfasser dazu und ernannte ihn zum politischen Redakteur der ›Vie française‹.

Boisrenard mußte den lokalen Teil wieder übernehmen.

Nun begann in der Zeitung ein geschickter, heftiger Kampf gegen den leitenden Minister. Die Angriffe, die immer saßen, sich immer auf Thatsachen stützten, ab und zu ironisch waren, dann wieder ernst, manchmal scherzhaft, manchmal giftig, trafen mit solcher Sicherheit und folgten einander so Schlag auf Schlag, daß alle Welt erstaunt war. Die anderen Blätter zitierten immerfort die ›Vie française‹, brachten manchmal ganze Artikel aus ihr, und die Männer am Ruder erkundigten sich, ob man diesem unbekannten, hartnäckigen Feind nicht durch Verleihung einer Präfektur den Mund stopfen könnte.

Du Roy wurde berühmt bei den politischen Parteien. An der Art, wie man ihm die Hand drückte und ihn grüßte, fühlte er seinen wachsenden Einfluß und war ganz voll von Stolz und Bewunderung für seine Frau wegen ihres erfinderischen Geistes, der Geschicklichkeit ihrer Erkundigungen und der Zahl ihrer Bekannten.

Alle Augenblicke fand er bei sich, wenn er heimkehrte, einen Senator, einen Abgeordneten, einen Staatsbeamten, einen General, die Magdalene mit wirklicher Zuvorkommenheit, wie eine alte Freundin, behandelten. Woher kannte sie nur alle diese Leute? Sie sagte, sie hätte sie in Gesellschaft kennen gelernt; aber wie hatte sie es nur fertig gebracht, ihr Vertrauen und ihre Zuneigung zu gewinnen? Das verstand er nicht.

– Die würde einen famosen Diplomaten geben! dachte er.

Oft kam sie zum Essen zu spät, zitternd, mit roten Wangen und sagte, ehe sie nur den Schleier abgelegt:

– Na, heute habe ich aber mal was für uns. Denke Dir nur, der Justizminister hat eben zwei Leute, die in den gemischten Kommissionen waren, ins Ministerium berufen. Jetzt wollen wir ihm aber mal eins auswischen, daß er an uns denken soll!

Und am nächsten Tage versetzten sie dem Minister eins, und den übernächsten wieder und am dritten noch einmal!

Der Abgeordnete Laroche-Mathieu, der jeden Dienstag, nach dem Grafen Vaudrec, der die Woche begann, bei ihnen aß, drückte mit dem Ausdruck der größten Freude dem Ehepaar kräftig die Hand. Er sagte immerfort:

– Verflucht! Ist das ein Feldzug! Na, wenns nun nicht glückt!

Er hoffte nämlich, daß es glücken würde, das Portefeuille des Äußern frei zu machen, mit dem er lange liebäugelte.

Er war einer jener politischen Mantelträger ohne Überzeugung, ohne wirkliches Talent, ohne Mut, ohne ernstes Wissen: eine in ihrer Provinzhauptstadt beliebte Advokatenseele, die zwischen den extremen Parteien das Gleichgewicht hielt, eine Art republikanischer Jesuit, eine liberale Giftpflanze unbestimmter Farbe, wie deren hunderte auf dem volkstümlichen Mist des allgemeinen Wahlrechts aufschießen.

Unter seinen Kollegen, unter allen Deklassierten und den Berufsverfehlern, die man zu Abgeordneten wählt, gab ihm seine Bauernschlauheit Ansehen; und er war durch sein Äußeres, durch seine Manieren, durch seine Liebenswürdigkeit und Herablassung ganz der Mann etwas zu erreichen. Er machte eine gute Figur in der etwas gemischten, nicht gerade wählerischen Gesellschaft der augenblicklich am Ruder befindlichen höhern Beamten.

Überall hieß es von ihm: »Laroche-Mathieu wird Minister« und er dachte noch bestimmter wie alle andern, daß Laroche Minister würde.

Er war einer der Hauptaktionäre der Zeitung des alten Walter, sein Kollege und auch sein Teilnehmer bei vielen Finanz-Operationen.

Du Roy unterstützte ihn vertrauensvoll, indem er sich unbestimmte Hoffnungen für später machte. Übrigens setzte er nur Forestiers Arbeit fort, dem Laroche-Mathieu, wenn einmal seine Stunde geschlagen, die Ehrenlegion versprochen hatte. Der Orden würde einfach auf die Brust von Magdalenes neuem Mann übergehen; weiter nichts. Und im Grunde war es ja auch dasselbe.

Man fühlte so gut, wie alles beim alten war, daß du Roys Kollegen anfingen, ihn mit etwas aufzuziehen, worüber er sich ärgerte.

Man nannte ihn nämlich nur noch: Forestier.

Sobald er in die Redaktion kam, rief jemand:

– Sag mal Forestier . . . . .

Er that, als hörte er es nicht und suchte Briefe in seinem Pult, aber nun klang es noch lauter:

– He, Forestier! – Und man hörte ersticktes Lachen.

Als du Roy zum Zimmer des Chefs ging, trat, der ihn vorhin gerufen hatte, ihm in den Weg:

– Ach verzeih, ich wollte ja mit Dir sprechen. Es ist zu dumm, ich verwechsele Dich immer mit dem armen Karl, das kommt daher, weil Deine Artikel den seinen verflucht ähnlich sehen. Man verwechselt sie immer.

Du Roy antwortete nichts, aber er raste, und eine stille Wut gegen den Toten stieg in ihm auf.

Der alte Walter sogar hatte ihm gesagt, als man erstaunt war über gewisse ähnliche Wendungen und Gedanken in den Artikeln des neuen politischen Redakteurs mit denen des verflossenen:

– Ja, das ist echter Forestier; aber nervöser, kräftiger, abgerundeter.

Ein anderes Mal hatte Georg du Roy, als er zufällig den Schrank mit den Fangbällen öffnete, gesehen, daß die seines Vorgängers einen Flor am Griff trugen, und daß seiner, den er benutzte, wenn er unter Saint-Potins Leitung sich übte, mit einer rosa Schleife geschmückt war.

Alle waren der Größe nach auf dasselbe Brett gelegt, und auf einer Tafel stand, wie auf den Anschlägen in den Museen: »Ehemalige Sammlung Forestier & Co. Forestier – Du Roy, Nachfl. Gesetzlich geschützt. Unverwüstliche Gegenstände. In allen Lebenslagen, sogar auf der Reise.«

Er machte den Schrank ruhig zu und sagte laut genug, daß man es verstehen konnte:

– Schafsköpfe und Neider giebt's überall!

Aber er fühlte sich in seinem Stolze verletzt, in seiner Eitelkeit, in jener argwöhnischen Schriftstellereitelkeit, aus der jene immer wache, nervöse Empfindlichkeit entspringt, die beim Reporter genau die gleiche ist, wie beim genialen Dichter.

Das Wort »Forestier« beleidigte sein Ohr, er fürchtete sich, es zu hören und ward rot, wenn er es hörte.

Dieser Name war für ihn ein beißender Spott, ja mehr als ein Spott, beinahe eine Beleidigung, denn er rief ihm zu:

»Deine Frau macht Deine Geschäfte, wie sie einst des andern Geschäfte gemacht hat! Ohne sie wärst Du eine Null.«

Er gab vollständig zu, daß Forestier ohne Magdalene nichts gewesen wäre; aber er, das war doch etwas verflucht anderes.

Wenn er dann nach Hause kam, hielt ihn immer noch dieser Gedanke gefangen. Jetzt erinnerte ihn das ganze Haus an den Toten, alle Möbel, jeder kleine Gegenstand, alles, was er nur berührte. In der ersten Zeit hatte er daran nicht gedacht, aber die Hänseleien seiner Kollegen hatten in seinem Geist eine Wunde geöffnet, die tausend, bis dahin nicht bemerkte Kleinigkeiten nun vergifteten.

Er konnte jetzt nichts mehr in die Hand nehmen, ohne daß er sofort meinte, Karls Hand darauf liegen zu sehen. Er erblickte ja nur Dinge um sich, und faßte nur Dinge an, die früher in seinem Besitz waren, die er gekauft hatte und die er besessen; und er fing an, selbst beim Gedanken an die einstigen Beziehungen seines Freundes zu seiner Frau, unruhig zu werden.

Manchmal war er erstaunt über diesen Sturm in seinem Herzen, den er nicht begriff, und fragte sich: »Zum Teufel nochmal, wie ist das nur möglich? Ich bin auf Magdalenes Freunde nicht eifersüchtig, ich kümmere mich nie um das, was sie thut. Sie kommt und geht, wie sie will, und die Erinnerung an dieses Rindvieh, an diesen Karl macht mich ganz verrückt.«

In Gedanken fügte er hinzu:

»Er war doch eigentlich nur ein Trottel. Das verletzt mich wahrscheinlich. Ich ärgere mich, daß Magdalene ein solches Kamel hat heiraten können.«

Und immer wiederholte er sich:

»Wie ist es nur möglich, daß sich meine Frau nur einen Augenblick an ein solches Beest hat verkaufen können.«

Und durch tausend unbedeutende Kleinigkeiten, die ihn wie Nadelstiche trafen, wuchs täglich sein Haß, durch die unausgesetzte Erinnerung an den andern, die durch irgend eine Äußerung Magdalenes geweckt wurde, durch ein Wort des Dieners oder des Mädchens.

Eines Abends sagte du Roy, der das Süße liebte:

– Warum essen wir nie eine süße Speise? Du setzest mir nie eine vor.

Die junge Frau antwortete:

– Gott, das ist wahr, ich denke nie daran. Das kommt, weil Karl sie nicht gern . . .

Mit einer ungeduldigen Bewegung schnitt er ihr das Wort ab, er konnte sich nicht mehr beherrschen:

– Höre mal, Dein Karl beginnt mich zu langweilen. Karl hier und Karl da; er liebte dies und er liebte das, Karl ist krepiert, und wir wollen ihn in Ruhe lassen.

Magdalene blickte ihn ganz entsetzt an, sie verstand diese plötzliche Wut nicht. Aber da sie feinfühlig war, erriet sie doch ziemlich, was in ihm vorging, das langsame Wühlen einer nachträglichen Eifersucht, die jeden Augenblick größer wurde, durch alles was ihn an den andern erinnerte.

Sie fand es vielleicht kindisch, aber es schmeichelte ihr, und sie antwortete nichts.

Er ärgerte sich über den Wutausbruch, den er nicht hatte zurückhalten können; und, da er diesen Abend nach Tisch seinen Artikel machte für den nächsten Tag, steckte er die Füße in den Fußsack. Als er aber mit seiner Arbeit gar nicht fertig werden konnte, stieß er den Fußsack fort und sagte lachend:

– Fror denn Karl immer an den Pfoten?

Sie antwortete gleichfalls lachend:

– Er hatte ja immer Angst vor Erkältung und hatte eine schwache Lunge.

Du Roy antwortete roh:

– Na, das haben wir ja gemerkt! – Dann fügte er hinzu: – Zu meinem Glück! – und küßte seiner Frau die Hand.

Aber als sie zu Bett gingen, ließ ihn der Gedanke noch immer nicht los, und er fragte noch einmal:

– Trug Karl eine Nachtmütze, um keinen Zug an den Kopf zu bekommen?

Sie ging auf den Scherz ein und antwortete:

– Nein, ein Madrastuch um die Stirn gewickelt.

Georg zuckte mit den Achseln und sagte in verächtlichem und überlegenem Ton:

– So ein Gimpel!

Und von nun an unterhielt er sich fortwährend über Karl. Alle Augenblicke sprach er von ihm und nannte ihn nur immer ›der arme Karl‹ mit dem Ausdruck unendlichen Bedauerns.

Wenn er aus der Redaktion kam, wo man ihn zwei- oder dreimal Forestier genannt hatte, rächte er sich dadurch, daß er den Toten mit hämischen Scherzen in seiner Grabesruhe störte. Er zählte seine Fehler auf, seine Lächerlichkeiten, seine kleinen Eigenheiten, es machte ihm Spaß sie breit zu treten, sie zu übertreiben, als ob er im Herzen seiner Frau den Einfluß eines gefährlichen Nebenbuhlers überwinden wollte. Er sagte:

– Sag mal, Magda, weißt Du noch, wie das Rindvieh, der Forestier, behauptete, dicke Menschen wären kräftiger als magere?

Dann wollte er eine Menge intimer und verborgener Einzelheiten über den Toten wissen. Der jungen Frau war es peinlich, sie mochte es nicht sagen, aber er blieb dabei und fragte wieder:

– Ach was, nu erzähle mir mal, er muß doch furchtbar komisch dabei gewesen sein.

Sie flüsterte nur:

– Laß ihn doch in Ruhe!

Er begann von neuem:

– Nein, sag mal, der Kerl muß sich doch wie ein Runks im Bett benommen haben.

Und das Ende war jedesmal:

– Er war doch ein Fletz!

Als er eines Abends gegen Ende Juni am offenen Fenster eine Cigarette rauchte, bekam er bei der großen Hitze Lust noch etwas spazieren zu gehen. Er fragte:

– Meine kleine Magda, wollen wir noch ein bißchen ins Bois?

– Gewiß, gern!

Sie nahmen eine offene Droschke, fuhren zu den Champs-Elysées, dann die Avenue du Bois de Bologne hinauf. Kein Windhauch regte sich, es war eine jener heißen Nächte wo die glühende Pariser Luft wie Backofendampf in die Lungen strömt. Ein Heer von Droschken fuhr unter den Bäumen eine ganze Armee von Liebespaaren umher. Unausgesetzt folgten die Wagen einander.

Georg und Magdalene machte es Spaß, die Pärchen zu sehen, die sich im Wagen umschlungen hielten, die Frauen in hellen Kleidern, die Männer in dunklen Röcken. Ein Riesenstrom Verliebter floß zum Bois, dahin unter dem sternenglitzernden Himmel. Man hörte nur das dumpfe Gerassel der Räder auf dem Boden. Sie glitten vorüber, die beiden Insassen jedes Wagens, stumm in den Kissen gegen einander gepreßt, in Gedanken an ihre Wünsche, in zitternder Erwartung auf die nächste Umarmung. Das warme Dunkel schien erfüllt von Küssen, etwas wie schwimmende Zärtlichkeit, wie schwebende tierische Liebe machte die Luft dick, daß sie schwer zu atmen war. Alle diese sich in den Armen liegenden Leute, die derselbe Gedanke entzündete und dieselbe Glut, strömten eine Art Fieber aus. Die mit Liebe beladenen Wagen, über denen die Zärtlichkeiten zu lagern schienen, ließen wenn sie vorüber fuhren wie einen sinnlichen, verwirrenden Hauch zurück.

Georg und Magdalene fühlten sich selbst davon angesteckt. Ohne ein Wort zu sprechen, nahmen sie sich leise bei der Hand, etwas bedrückt durch die Schwere der Luft und durch die Gefühle, die sich auch in ihre Seele schlichen. Als sie an die Biegung bei den Festungswerken kamen, küßten sie sich, und sie stammelte ein wenig verlegen:

– Wir sind genau so kindisch wie damals, als wir nach Rouen fuhren.

Der große Wagenstrom hatte sich, sobald er die Anlagen erreicht, geteilt. Am See hin, wo das junge Paar fuhr, gewannen die Wagen einen etwas größeren Abstand; aber das Dunkel unter den Bäumen, die durch die Feuchtigkeit der Wasserläufe, die man unter den Zweigen rauschen hörte, abgekühlte Luft und die Frische unter dem weiten, sternenbesäten Nachthimmel gaben den Küssen der dahinrollenden Paare stärkeren und geheimnisvollen Reiz.

Georg murmelte:

– Ach meine kleine Magda. Er drückte sie an sich.

Sie sprach zu ihm:

– Weißt Du noch, der Wald bei euch, hu, wie das dunkel war! Mir war es, als wimmelte er von fürchterlichen Tieren und als hörte er gar nicht auf. Aber hier ist es reizend, der Wind thut so wohl. Ich weiß ja, Sèvres liegt auf der andern Seite des Gehölzes.

Er antwortete:

– Ach, bei uns im Wald da waren nur Hirsche, Füchse, Rehe und wilde Eber, und ab und zu ein Försterhaus.

Dieses Wort, das an den Namen des Toten anklang, aus seinem Mund überraschte ihn, als ob ihn jemand aus dem Gebüsch angerufen. Er ward plötzlich still, und jenes seltsame unausgesetzte Unbehagen, diese quälende, unbesiegbare Eifersucht, die ihm seit einiger Zeit das Dasein verbitterte, packte ihn von neuem.

Nach einer Minute fragte er:

– Bist Du mit Karl manchmal abends so hierher gekommen?

Sie antwortete:

– Ja, oft.

Und plötzlich packte ihn die Lust, sofort nach Hause zurückzukehren; eine fieberhafte Lust, die auf ihm lag wie ein Alb. Das Bild Forestiers stand ihm wieder vor Augen, nahm ihn ganz in Bann, und er konnte nur noch an ihn denken, nur noch von ihm sprechen.

Er fragte in gehässigem Ton:

– Sag mal Magda . . .

– Was denn lieber Freund?

– Hast Du dem armen Karl Hörner aufgesetzt?

Sie murmelte verächtlich:

– Das ist zu dumm! Wärme doch nicht immer den alten Kohl auf!

Aber er blieb dabei:

– Na, meine kleine Magda, sei mal offen, gesteh, Du hast ihm Hörner aufgesetzt. Gesteh, daß Du ihn betrogen hast.

Sie schwieg, verletzt durch dieses Wort, wie jede Frau gewesen sein würde.

Aber er ließ nicht locker:

– Verflucht nochmal, wenn einer so ausgesehen hat, so war er es, sicher! Ach je, ach je! Das würde mir Spaß machen, wenn ich wüßte, daß Du Forestier Hörner aufgesetzt hast, so einem leichtgläubigen Einfaltspinsel!

Er merkte, daß sie lächelte vielleicht wegen irgend einer Erinnerung, und er fragte nochmals:

– Ach Gott, sags doch! Es schadet ja nichts! Im Gegenteil, es wäre doch furchtbar komisch, wenn Du es mir gestündest, daß Du ihn betrogen hast! Gerade, wenn Du es mir sagtest.

Er zitterte in der Hoffnung und Begierde, daß Karl, der gräßliche Karl, der Tote den er haßte, den er verfluchte, ein lächerlicher Hahnrei gewesen. Und doch . . . und doch quälte ihn ein andres Gefühl, eine unbestimmte Empfindung noch mehr und stachelte ihn, die Wahrheit herauszubringen.

Er wiederholte:

– Magda, meine kleine Magda, bitte, bitte sag es mir. Der hätte es doch nur verdient. Du wärst zu dumm gewesen, wenn Du es nicht gethan hättest. Magda, gieb es doch zu.

Jetzt fand sie dieses fortwährende Bitten wahrscheinlich komisch, denn sie lachte abgerissen in kurzen Zwischenräumen. Er hatte seine Lippen dem Ohre seiner Frau ganz nahe gebracht:

– Bitte gieb es doch zu!

Mit einer kurzen Bewegung fuhr sie zurück und erklärte plötzlich:

– Aber das ist doch zu dumm. Auf so eine Frage antwortet man nicht.

Sie hatte das in so eigentümlichem Tone gesagt, daß ihm ein kalter Schauer über den Leib lief und er ganz erschrocken schwieg, außer Atem als hätte ihn eine heftige Gemütsbewegung gepackt.

Die Droschke fuhr jetzt am See hin, auf den der Himmel seine Sterne gestreut zu haben schien; zwei Schwäne, kaum noch zu erkennen, zogen langsam in der Dunkelheit auf der Flut.

Georg rief dem Kutscher zu:

– Nach Haus!

Und der Wagen kehrte um, begegnete den andern, die Schritt fuhren, und deren große Laternen wie Augen durch das Waldesdunkel glänzten.

Sie hatte das so eigentümlich gesagt! Du Roy fragte sich:

»War es ein Geständnis?«

Und nun plötzlich machte ihn der Umstand, daß es eigentlich fest stand, daß sie ihren ersten Mann betrogen, wütend. Er hätte sie am liebsten geschlagen, sie gewürgt, ihr die Haare ausgerissen.

Ja, wenn sie ihm geantwortet hätte:

– Siehst Du, mein Liebling, wenn ich ihn hätte betrügen wollen, hätte ich es doch mit Dir gethan, – da hätte er sie umarmt, geliebkost und bewundert.

Er blieb unbeweglich mit gekreuzten Armen sitzen, blickte zum Himmel auf und war noch zu erregt, um nachdenken zu können. Er fühlte nur in sich jene Rachsucht gähren und jene Wut wachsen, die im Herzen aller Männer, angesichts der Launen weiblicher Begierde, schläft; zum ersten Mal empfand er jene unbestimmte Angst des Ehemannes, der einen Verdacht hat. Er war eifersüchtig, eifersüchtig für den Toten, für Rechnung des seligen Forestier, eifersüchtig auf seltsame bittere Art, zu der plötzlich der Haß gegen Magdalene trat. Da sie den andern betrogen, wie konnte er denn Vertrauen zu ihr haben?

Dann ward er allmählich ruhiger, schämte sich seiner Qual und dachte: »Alle Frauen sind Dirnen. Man benutzt sie, aber man darf ihnen nichts von seinem Innern geben.«

Die Bitterkeit seines Herzens trat in Worten der Verachtung und des Ekels auf seine Lippen, aber er sprach sie nicht aus und sagte sich: »Dem Mutigen gehört die Welt! Man muß stark sein und über den Dingen stehen.«

Der Wagen fuhr schneller. Sie kamen wieder an den Festungswerken vorüber. Du Roy erblickte über sich am Himmel eine rote Helle wie den Feuerschein einer Riesenschmiede und hörte einen dumpfen, unausgesetzt fortdauernden Lärm, der sich aus verschiedenen unzähligen Geräuschen zusammensetzte, ein dumpfes, bald nahes, bald fernes Brausen, das unbestimmte, mächtige Branden des Lebens, den Atem von Paris, das in dieser Sommernacht schnaufte wie ein müder Koloß.

Georg dachte: »Es wäre schön dumm von mir, mich zu ärgern. Jeder geht seinen Weg für sich. Dem Mutigen gehört der Sieg! Alles ist Egoismus, und der Egoismus um Ehrgeiz und Geld ist immer noch besser, als der Egoismus um Frauen und Liebe.«

Der Arc de Triomphe tauchte auf am Eingang zur Stadt; auf seinen beiden mächtigen Füßen stand er da, eine Art ungefüger Riese, der aussah, als wäre er bereit sich in Gang zu setzen, um die breite offene Straße hinab zu schreiten.

Georg und Magdalene kamen nun wieder in die lange Wagenkette, die nach Haus, auf das ersehnte Lager, die ewig stumm umschlungenen Pärchen führte. Es war, als glitte die ganze Menschheit, trunken vor Freude und Glück, neben ihnen her.

Die junge Frau, die wohl etwas von dem empfand, was in ihrem Mann vorging, fragte mit ihrer weichen Stimme:

– Woran denkst Du, lieber Freund? Seit einer halben Stunde hast Du nicht einen Ton geredet.

Er antwortete lachend:

– Ich denke an all diese dummen Leute, die sich hier abknutschen und sage mir, daß man wahrhaftig was anderes auf der Welt zu thun hat.

Sie flüsterte:

– Ja, aber manchmal ist es doch schön!

– Schön . . . Schön . . . Wenn man nichts Besseres hat!

Georgs Gedanken gingen immer weiter, indem sie das Leben seiner poetischen Verklärung entkleideten, und er sagte sich in einer Art boshaften Wut: »Ich werde nicht so dumm sein, mir Gedanken zu machen, mich schinden und mir die Seele zerquälen, wie seit einiger Zeit!«

Forestiers Gestalt tauchte vor ihm auf, aber sie erregte ihn gar nicht. Es war ihm, als hätte er sich mit dem Schatten versöhnt, als würden sie wieder Freunde. Er hätte ihm am liebsten zugerufen: »Gute Nacht alter Freund!«

Magdalene war das Schweigen unangenehm, und sie fragte:

– Wollen wir nicht, ehe wir heimkehren, noch bei Tortoni Eis essen?

Er blickte sie von der Seite an. Ihr feines blondes Profil erschien eben beleuchtet von dem hellen Schein der Gaslaternen, die ein Café chantant bezeichneten.

Er dachte: »Hübsch ist sie! Na, desto besser! Gleich und gleich gesellt sich gern; aber wenn man mir zumutet, mich für Dich zu kasteien, ist man schief gewickelt!«

Dann antwortete er:

– Gewiß, liebes Kind!

Und damit sie nichts ahnen sollte, gab er ihr einen Kuß.

Es schien der jungen Frau, als wären die Lippen ihres Mannes von Eis.

Aber er lächelte wie gewöhnlich und half ihr beim Aussteigen, als sie vor dem Cafe hielten.

 


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