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Dem General Hephaistion ließ der König in knappen Worten den Befehl zukommen: er möge mit des Landheeres größerem Teil an der flachen Küste entlang gen Susa marschieren; er selbst, Alexander, wählte den nächsten Weg durch die Berge, über Pasargadai und Persepolis. Hephaistion nahm den Befehl mit leichter und feierlicher Neigung des Kopfes entgegen; er ließ Seiner Majestät für das Vertrauen, welches man ihm schenkte, danken. Während er die höflichen Redensarten diktierte, dachte er: das bedeutet wieder Trennung auf Wochen; auch die letzten Wochen hat er mich fast nicht gesehen, er muß schon mein Gesicht vergessen haben – –
Wohin Alexander kam, zitterten alle, die ungerecht gewirtschaftet hatten. Er ließ sich auf Unterhandlungen nicht ein; stellte fest, strafte. Seine Erlasse kamen unerbittlich, präzis formuliert, jeder fühlte, daß sie endgültig waren.
Als erster wurde der Satrap Aspastes von Karmanien abgesetzt; er hatte die Armen unterdrückt, anstatt sie zu schützen, und so Unehre gemacht dem heiligen Namen des Königs. – Nach ihm fiel der Perser Ordanes, der das innere Ariana verwaltet hatte. Aus Medien wurden die Herren Kleandros, Sitalkes, Herakon herbefohlen, denen man besonders schlimme Dinge nachsagte. Die Armee, die sie ausgerüstet hatten, war dazu bestimmt, gegen den eigenen König zu kämpfen. Verdächtigerweise kamen sie auch gleich mit sechshundert Soldaten an. Seine Majestät ließ die drei Generale samt den sechshundert Soldaten hinrichten. Gleichzeitig erging der Befehl, daß alle Söldner, soweit sie nicht in Alexanders Namen geworben, sofort und anstandslos zu entlassen seien.
Je weiter er in sein Reich einrückte, desto drohender wurde sein Blick. Man erkannte ihn nicht mehr; er war früher heftig gewesen, aber diese grausame Ruhe seines Gesichtes war fremd.
Er ritt nicht mehr, eingemummt in sein strenges Prachtkostüm thronte er in der Kutsche. Ihm folgten, wie ehemals dem Dareios Kodomannos, dem Xerxes, die Henker, denen er nur seine schauerlich sanften Winke zu geben brauchte.
Im Haine von Pasargadai war das Grab des Kyros arg vernachlässigt, wie sich bald herausstellte, sogar beraubt. Dies nahm der König zum Anlaß, fürchterliches Strafgericht zu halten. Magier wurden peinlich ausgefragt und gefoltert, allerorts Verdächtige verhaftet. Grausamer hätte kein Achämenide den Frevel ahnden können; Alexander fühlte sich bewußt als ihr Nachfolger.
Der als Freiheitsbringer und vielgeliebter Erlöser den Ländern erschienen war, kam nun nicht anders denn eine Heimsuchung. Aus seinem größer und flächiger gewordenen Gesichte war der Glanz verschwunden, er war fort, mit ihm die Jugend. Der König schien, in den wenigen Jahren der baktrisch-sogdianischen und der indischen Züge, erstaunlich gealtert. Er war nicht mehr elastisch und weich, sondern schwerfällig, dabei aber hart. – Vor seiner Ankunft flohen die Beamten, denn er verurteilte sogar manche, die sich nicht besonders schuldig gemacht hatten. Große Laxheit der Sitten war überall eingerissen, während der Gefürchtete im Märchenland Eroberungen machte. Nicht jeder fühlte sich gleich als Verbrecher, der hier etwas veruntreut, dort ein wenig zu viel eingetrieben hatte. Derlei war unter dem entfernten Alexander üblich geworden, wie es unter dem nahen Dareios Kodomannos üblich war.
Gar zu unverfroren freilich hatte der lahme Harpalos es getrieben. Diesem vergnügungssüchtigen und eitlen Menschen den Staatsschatz anzuvertrauen, war von Alexander ein Experiment gewesen, das man als leichtsinnig bezeichnen durfte. – Da der Schatzmeister die Orientalinnen zu träge fand, ließ er sich aus Athen eine der bestbezahlten Kokotten holen; sie hieß Pythionike und war eine magere Person von gepfefferten Reizen. Mit ihr veranstaltete er so extravagante Orgien, daß ihre angegriffene Gesundheit es nicht ertrug; während einer besonders solennen Festlichkeit starb sie, man baute ihr ein Grabmal von unschätzbarem Wert. Nachfolgerin durfte keine Geringere als Kokotte Glykera sein, jede andere wäre zu billig gewesen. Diese mußte man gleich von vornherein als Königin anbeten, Harpalos tat es nicht anders. Die Feste, die er ihr gab, boten noch ausgefallenere Genüsse als jene, bei denen Madame Pythionike präsidiert hatte, so toll hatte man es nicht einmal am Hofe des Großkönigs getrieben.
Als die Kunde vom Nahen Alexanders bis Babylon kam, machte der Schatzmeister sich auf und davon, mit sich nehmend: seine Glykera, fünftausend Talenten Gold und ein dreijähriges Töchterlein, das ihm noch von der Pythionike verblieben. Er wandte sich zunächst an die ionische Küste.
Seine stattlichen Geldmittel verwendete er dazu, Söldner zu mieten, und zwar sechstausend Mann. Mit ihnen erschien er eines Tages in Athen, wo er auch, auf besondere Fürsprache des alten Demosthenes hin, zunächst bleiben durfte. Allerdings nur, bis Alexander mit allem Nachdruck seine Verhaftung forderte. Da ließ man ihn laufen, denn im Gefängnis wollte man einen so bewährten Feind des Königs nicht haben. Der lustige und umgetriebene Mensch endete in Kreta, wo ihn sein Busenfreund, der Spartaner Thibron, ermordete, wahrscheinlich um in Besitz der paar Talente zu kommen, die nach all den hochstaplerischen Fahrten vom ganzen Diebstahl übriggeblieben waren.
Erst nach seinem Tode rückte er wahrhaft in den Mittelpunkt des Interesses, denn nun wucherte um seinen Namen der Skandal so üppig, wie er sich's nur hatte wünschen können. Athen hatte einmal wieder seine ganz große Affäre, diesmal war sogar Demosthenes angeklagt. Es nutzte nichts, daß der pathetische alte Fuchs, das Volk zu rühren, seine Kinder vors Tribunal schleppte, um schluchzend auf sie zu weisen: man blieb dabei, daß er, der so viele Jahrzehnte lang vor Bürgertugend mit der Stimme gezittert hatte, von dem Abenteurer Harpalos bestochen worden sei; warum hätte er sonst die Aufnahme des Defraudanten in Athens Mauern so herzlich befürwortet, eine falsch angebrachte Menschenfreundlichkeit, die politisch die fatalsten Folgen zeitigen mußte. Dem geübten alten Hexenmeister half sein ganzes Aufgebot an großen Gebärden, Schwüren, Tränenausbrüchen nichts mehr, man steckte ihn ungerührt in den Kerker; ließ ihn allerdings am nächsten Tag entwischen. Mit ihm wurden viele andere verhaftet, lauter hochangesehene Herren. Solche Sensation war dem Straßenpöbel schon lange nicht beschieden gewesen, man war dem flotten Schatzmeister übers Grab hinaus dankbar.
In Susa traf Alexander mit dem Hephaistion und seiner Heeresabteilung wieder zusammen. Er bat den General sofort zu einer privaten Audienz.
Hephaistion wurde in das intime Kabinett des Königs geführt, nicht in den offiziellen Empfangsraum. Alexander streckte ihm die Hand entgegen, wie schon lange nicht mehr, so herzlich. Der seit Monaten Vernachlässigte errötete leicht vor dankbarer Freude. Während er sich verneigte, lächelte er, dabei zeigte er seine schönen Zähne. Noch in der Verneigung sagte er mit seiner angenehm umflorten Stimme: »Es ist schön, daß du doch noch Zeit für mich hattest –« Über ihm wandte der König, schon enerviert, das Gesicht: »Ja, wirklich, ich bin ziemlich beschäftigt – setze dich doch«, bat er flüchtig, da Hephaistion mit enttäuschter Miene vor ihm stand.
»Ich bereite einige Feierlichkeiten vor, die politisch von eminenter Bedeutung sind«, sagte Alexander, der gehetzt auf und ab ging. Plötzlich, die Hand an der Stirne, blieb er stehen, wie übermüdet: »Entschuldige, wenn ich dir von öffentlichen Dingen spreche, anstatt von unseren Angelegenheiten, die dich vielleicht mehr interessieren –« Er zögerte, fuhr aber gleich wieder fort:
»Zehntausend griechische und mazedonische Soldaten sollen zehntausend persische Weiber heiraten, ich bezahle jedem die Aussteuer, dazu ein Silbertalent. Ich will den jungen Paaren ein ungewöhnliches Fest geben, denn am selben Tag will auch ich mich wieder vermählen, und würdiger als das erstemal.«
Hephaistion sah auf, ganz voll dunkler Verwunderung die Augen. Der in der Mitte des Zimmers, sein König, rief prahlerisch, wobei er den einen Arm hob:
»Ihre Hoheit, die Prinzessin Stateira, älteste Tochter des Großkönigs und Achämeniden, Dareios Kodomannos, ist schon von Babylon unterwegs. Mit ihr die jüngere Schwester, Prinzessin Drypetis, die ich dir zugedacht habe!«
Er packte den Freund an der Schulter, der aber wandte sich schmerzlich. »Laß mich aus dem Spiel!« bat er, zugleich warnend und flehend.
Nun erst bekam er Alexanders neue Stimme zu hören, sie schmetterte, freilich nicht enthusiastisch wie in der Schlacht, vielmehr hart, schneidend, böse. »Hast du denn alles vergessen?« schrie er ihn an, unter der wütend gesenkten Stirne. Und dann, tyrannisch gereckt, mit einer zugleich gebieterischen und vage entgleitenden Geste:
» Die Hochzeit!! Das Ziel – –«
Er ließ den Arm sinken, stand mit schwer hängenden Händen wie ein Beschämter und Verunglückter da. Einen Augenblick lang dachte Hephaistion: »So sieht der nicht aus, der die Hochzeit anrichtet –« Freilich bereute er gleich diesen Gedanken.
Inzwischen hatte Alexander seine Zuflucht zu einem militärisch schnarrenden Ton genommen: »Ich bin es nicht gewohnt, über meine Befehle zu diskutieren«, hörte Hephaistion diese fremde Stimme sagen, die ihn an die des Philipp erinnerte. »Du bist vorläufig entlassen –«
Hephaistion, schon an der Tür, verneigte sich stumm. Seine in Tränen schwimmenden Augen ließen verzweifelt das entstellte Bild des Freundes.
An der Spitze der Tafel thront der König neben seiner verschleierten Braut, die über gold- und silbergewirkten Schleiern traurig erstaunte Tieraugen hat. Als nächstes Paar: Hephaistion und seine Drypetis, die ebenso feierlich-verständnislos blickt wie die Schwester; dann, in langer, hochgeputzter Reihe, all die anderen mazedonisch-griechischen Generale, Fürsten und Beamten mit ihren asiatischen Damen. Wenngleich die Spaßmacher rülpsten, hüpften, purzelten, die Sklaven mit den Weinen und den delikaten Speisen fleißig hin und wieder eilten, wollte die Stimmung keine recht herzhafte werden. In eine oft peinliche Stille fielen Trinksprüche und Scherzreden befremdlich und unangebracht. Über die Gaukler konnte niemand lachen, oder nur so, daß es nicht ganz natürlich klang. Die Männer aßen und tranken viel, um nicht mit den neuen Gattinnen, deren Namen sie kaum kannten, sprechen zu müssen. Man war beim Nachtisch; es gab gezuckerte Heuschrecken, auf Stangen gereiht, Datteln, Birnen, Granatäpfel, Mandelgebäck.
Das vorwurfsvolle Schweigen des Hephaistion, den öden Blick des eingemummten Königstöchterleins ertrug Alexander nicht mehr. Er sprang auf, winkte, ihm zu folgen, dem Bagoas. Bei Stateira entschuldigte er sich flüchtig, sie lächelte leer und zeremoniell unter dem köstlichen Tuche.
Draußen lockte die Nacht mit Gerüchen und Lärm. Es gab nur Besoffene, dazwischen schnalzende, jammernde, dudelnde Musik.
An Plätzen vorbei floh Alexander, wo Schlangenbändiger sich produzierten, griechische Rhapsoden ihre großen Märchen vordeklamierten. Bräunliche Tänzerinnen schüttelten den trainierten Bauch, ihnen tranken dicke Männer zu, die auf der Erde hockten und sich mit ihren Fäusten Fleisch aus Pfannen holten. Andere Soldaten drängten sich an andere Weiber; der König eilte, um nicht sehen zu müssen, wie die Paare, ineinander verkrampft, hinsanken.
Die Lustigkeit war ungeheuer, denn Majestät hatte den Truppen die bedeutendsten Vergünstigungen gewährt: außer dem Silbertalent und der Aussteuer wurden jedem jungen Ehemann die Schulden bezahlt, die er während des ganzen Feldzuges gemacht, präsentierte er nur seine Rechnung. Den ganzen Tag waren auf freien Plätzen die Tische aufgestellt gewesen, wo man seine Goldstücke abholen durfte. Es folgte, mit großem Volksfest und enormer Schmauserei, der Abend, der in die Hochzeitsnacht der Zehntausend ausgehen sollte. Für die nächsten Tage waren tragische und heitere Theateraufführungen vorgesehen; man erzählte, mehr Truppen aus Athen seien angekommen.
An zechenden, grölenden Gruppen vorbei hastete Alexander, freies Land zu gewinnen; ihm folgte, ein gewandter Schatten, der Zwitter. Schon stolperten sie oft über Leiber, die sich auf der Erde wälzten, stöhnend ineinander verschlungen. Der König lief, er verstand selbst seine Angst nicht. Ihm schien es, daß es kein Entkommen mehr gab, je weiter ins Freie sie kamen, desto häufiger wurden die aufeinanderliegenden Körper. So blieb er stehen, glaubte sinken zu müssen, schloß die Augen und schnupperte.
Er schnupperte in der Luft, die von vielfachen Gerüchen übersättigt schien. Es roch nach Wein, gebratenem Fleisch, nach dem Safte reifer und geplatzter Früchte; auch nach Schweiß, Blut und Gebrochenem; aber auch nach etwas anderem, was zu erraten Alexander sich schnuppernd mühte.
Er zog Bagoas näher an sich: » Wonach riecht es?« Dabei schloß er wie ein Betäubter die Augen. Das kühle und gefällige Geschöpf an seiner Seite schmiegte sich zärtlicher. »Ich habe Angst«, flüsterte der unbesiegbare Alexander. »So schlimm war es nie auf dem Schlachtfeld. Zwanzigtausend Menschen paaren sich unter freiem Himmel – das riecht –« Er schnupperte wieder, Leid im Gesicht, so wie man sich einem Laster ergibt, das man als äußerst unbekömmlich kennt. »Siehst du nicht, kleiner Bagoas? Wie die Weiber beim Küssen den gefräßigen Mund aufreißen? Wie sie ihre dicken Zungen spielen lassen? Wie die Männer sie an den Haaren packen, das ist ja grauenhaft, wie sie sie beuteln –«
Das ganze Land war bedeckt von stinkenden, zuckenden Leibern, wie von Aussatz. Sie hingen von Bäumen, turnten auf Felsen, spreizten sich, zeigten frech, was sie hatten, Schenkel und Bauch. Alexander, mit der ganzen Wucht seines Körpers auf das biegsame Kind gestützt, das sie zäh aushielt, flüsterte mit Lippen, die lahm wurden vor Entsetzen: »Heute nacht werden zehntausend neue Menschen gezeugt – es geht weiter.«
Endlich stürzte er; er zog das fügsame Kind mit zur Erde.
In der Stadt Opis scheidet sich die große Heerstraße westlich und östlich, zum Abendland und nach Medien. Auf dem Marsche der großen Armee von Susa gen Babylon wurde in Opis eine Rast von mehreren Tagen befohlen, das Lager vor der Stadt aufgeschlagen, während Alexander mit seiner Umgebung das Königsschloß bezog. Dieser Umstand verschärfte peinlich eine Mißstimmung, die in der Armee seit Monaten zu spüren war. Man vergaß das Schauerliche nicht, das man in der Wüste Gedrosiens gelitten hatte, kein Freudenfest konnte die Erinnerung tilgen. Das Verhalten des Königs verletzte, man fand, daß es undankbar war. Man hatte sich damit abgefunden, daß er persische Kleidung trug, auch mit dem orientalischen Zeremoniell, das er eingeführt hatte. Kränkend blieb, daß er mit asiatischen Würdenträgern, Offizieren immer freundschaftlicher wurde, mit den mazedonischen immer kühler. »Er ist unser überdrüssig«, schimpfte man, wenn man abends um die Feuer beisammensaß. »Seitdem er seine persische Prinzessin hat, kommt er sich selber vor wie ein Achämenide. Er ist undankbar, wie sein Vater war, der immer Athen mehr als Mazedonien geliebt hat. Dieser da liebt Asien mehr als Mazedonien und Athen zusammen. Er trägt das bestickte Affenkleid, er schläft mit dem babylonischen Zwitter. Uns schmeißt er, da er uns benutzt hat, fort.« Sie brummten verbittert in ihre Barte. Da der König zur großen Versammlung die Armee einberief, fand man sich in widerspenstiger Stimmung zusammen. Man murmelte aufsässig, als Alexander im Prunkkleid, von persischen Militärs umgeben, die Tribüne betrat.
Er spürte, auf seinem Podium, die Abwehr, die von ihnen kam; trotzdem redete er mit kühler Liebenswürdigkeit, in der Hochmut zu spüren war. Er näselte sogar etwas. »Meine Lieben«, sagte er und lächelte fremd, »die Mitteilung, die ich euch zu machen habe, ist eine durchaus erfreuliche. Ich weiß, viele von euch sind müde, mitgenommen, verbraucht.« Die unten murmelten wehleidig, um so entfernter lächelte droben der fremde Herr. »Ich pflegte die Veteranen und die Kampfesunfähigen in den neubegründeten Städten anzusiedeln. Ihr, meine Lieben, sollt es besser haben! Ich weiß, daß ihr euch nirgends hinsehnt als nach Hause. Meine Freunde, meine Veteranen, ihr sollt Mazedonien wiedersehen!« Er breitete theatralisch die Arme, seine Stimme tremolierte unnatürlich. »Zum Danke für alles, was ihr getan und gelitten, entlasse ich euch in die Heimat, wo ihr es gut haben sollt!«
Da fingen sie an zu schreien. Er verharrte noch in der pathetisch gönnerhaften Geste, aber die unten schrien schon vor Wut. Einige Sekunden lang lauschte er, nicht entsetzt, doch verwundert, ihren Flüchen, Anklagen, Verwünschungen. »Jetzt erkennen wir dich, darauf haben wir nur gewartet! Er schickt uns heim, nachdem er alle Kraft aus uns gesogen! Wofür haben wir geblutet?!« fragten sie drohend. »Damit du dich eitel spreizest, persischer Pfau! Und uns hinschmeißt! – Was sollen wir arbeiten, da du uns keine Kräfte gelassen? He?! – He?« fragten sie immer wieder, dabei schüttelten sie grimmig Bärte, auch Fäuste, von denen sie behaupteten, daß sie kraftlos geworden seien.
In ihren lahmen, unorganisierten Lärm fuhr Alexanders zornklirrende Stimme als Blitzstrahl. »Ruhe!!« schmetterte er, aber sie schwiegen noch nicht. Da sprang er in ihre Mitte.
Unbewaffnet sprang er von seiner Tribüne, um ihn tat sich ein scheuer Kreis auf, seine Augen machten ihnen Angst. Er packte etliche an, die besonders geschrien hatten, »der wird hingerichtet, der, der und der!« schnaubte er, wobei er jeden rüttelte. Nun schwiegen alle. Er, schon wieder auf seinem Podium, reckte den Arm, warf den Kopf in den Nacken, schrie über sie hin.
So hatte ihn noch keiner sprechen hören, vor dem Anprall seiner ungeheueren Rede senkte die mazedonische Armee die Stirn, wie ein Mann sie vorm Wirbelsturm senkt. Mit einer Stimme, die vor Hochmut jubelte, erzählte er ihnen die beispiellose Geschichte seines Lebens. Welchen Schauspiels waren sie teilhaftig gewesen? Wozu hatten sie Werkzeug sein dürfen, wenn auch nur unvollkommenes, schwaches? »Ich habe die Welt besiegt«, jauchzte er, daß sie sich noch erschrockener duckten. »Ihr, meine Geschöpfe, wagt mir zu widerstehen?!«
Er hielt ihnen vor, was sie gewesen waren. Sein Vater hatte sie aus armen und zerlumpten Hirten zu schlichten Soldaten gemacht, er aber aus schlichten Soldaten zu den Herren der Kontinente. »Wofür habe ich gekämpft, wenn nicht für euch?« behauptete er plötzlich, da sein Hochmut sich ausgetobt hatte. Sie hatten den Gewinn von seinen Siegen; er nur für den nächsten die enervierende Sorge. Sie schliefen besser als er, sie freuten sich der Weiber, sie aßen mit mehr Genuß. Er tat alles für sie; wie dankten sie's ihm? »Der komme und zeige sich mir!« verlangte er, beinah weinend, »der mehr Wunden aufzuweisen hat als sein König! Ich bin mit den Geschossen aller Völker verletzt!« Er riß sein üppiges Kleid auf, damit sie die mit Narben bedeckte Brust sähen.
Da er sie weich hatte, wurde er wieder aggressiv. So stand es, nun wußten sie, was sie ihm angetan hatten. »Ich habe euch wie meine Söhne geliebt!« rief er, wieder mit gebreiteten Armen; sowieso schluchzten schon alle. »Die unter euch, die in meinen Diensten kampfesunfähig geworden sind, wollte ich mit Ehren überhäuft in die Heimat schicken, von der ich dachte, daß ihr sie liebet und suchtet. Nun geht alle, alle, alle! – Ihr seid entlassen!« schrie er, wobei er stampfte. »Weg aus meinen Augen! Ihr seid Alexanders Soldaten nicht mehr!«
Während er sich schon zum Gehen wandte, höhnte er noch, mit geraffter Schleppe, schräg über die Schulter zurück: »Rühmt euch nur zu Hause, eueren König in fernen Landen verlassen zu haben! Es wird euch, zweifelsohne, zur Ehre gereichen, wenn ich mich mit asiatischer Leibwache, persischen Offizieren von jetzt ab umgebe! Die Weltgeschichte wird euch darum loben!«
Er eilte davon, das Kleid heftig gerafft, auf der Stirne die Zornesader geschwollen. Ihm folgten bestürzt einige Offiziere.
Er verschloß sich in sein Kabinett, gab unbedingten Befehl, niemanden vorzulassen.
Hinter ihm brach die Ratlosigkeit aus. In Panik befand sich die Armee, die Indien, Persien und Ägypten besiegt hatte. Von kleinen Bühnen gestikulierten Redner, aber niemand hörte ihnen zu. Der eine riet, in geschlossener Truppe nach Hause zu ziehen; ein anderer, den gekränkten König um Verzeihung zu bitten; ein dritter schlug vor, den Alexander in seinem Schlosse als Feind anzugreifen, ihn zu besiegen, zum Gefangenen zu machen.
Inzwischen kamen aus dem Kabinett des Königs Nachrichten, die erschreckend waren. Dem Bagoas diktierte Alexander seine unbarmherzigen Befehle, die an die Armee und an die Generale weiterzugeben waren.
Der Armee ward ausgerichtet, daß sie als endgültig entlassen sich zu betrachten habe. Räume sie ihr Quartier nicht innerhalb von achtundvierzig Stunden, werde der König mit persischer Truppe gegen sie vorgehen. – Die eilige Bildung einer asiatischen Leibwache zum persönlichen Schutze Seiner Majestät war befohlen, mit Persern alle Ehrenämter zu besetzen, sogar die Generalsstellen, die den intimsten Dienst beim Monarchen hatten, »die Verwandten des Königs« hießen und das Vorrecht genossen, den Gekrönten zu küssen.
Kein Griechisch Sprechender wurde in den königlichen Gemächern vorgelassen, nicht einmal Hephaistion; im Vorzimmer drängten sich die persischen Würdenträger. Einzelne von ihnen empfing der König im Kabinett, das er nicht eine Sekunde verließ. Diktierend rannte er auf und ab, der kleine Bagoas konnte nicht schnell genug kritzeln. Sein Gesicht hatte den starren Ernst der Maske, er schien keiner menschlichen Regung mehr zugänglich. Man meldete, Hephaistion warte seit mehreren Stunden, er schüttelte den Kopf, winkte ab – plötzlich stand Hephaistion, ohne die Erlaubnis zum Eintritt zu haben, vor ihm.
Ihn maß Alexander mit dem Blick fremden Staunens. Hephaistion rief, angstvoll und warnend: »Alexander! Die Armee weint!« Da sah man, daß ihm selber Tränen übers Gesicht flössen. »Sie haben sich alle vor deinem Schlosse versammelt! Sie weinen alle! Sie bitten um die Verzeihung!« Hier schluchzte er so heftig, daß er sich wenden mußte, die Tränen glänzten auf seinen Wangen. Alexander blieb stehen, starrte ihn, die Hände auf den Rücken gelegt, unter zornig gesenkter Stirn an. »Was kümmert die meine Verzeihung?« höhnte er, wobei er dem Weinenden ins Gesicht lachte. »Sie haben Angst, daß sie morgen nichts mehr zu fressen finden.«
Das war dem Hephaistion zu viel, nun hob er beschwörend und entsetzt die Hände: »Du versündigst dich, Alexander! Sie haben dir treu gedient, dich zu dem gemacht, was du bist, du kannst sie hier nicht verlassen!« Er schluchzte wieder, daß er sich wenden mußte.
Auf den Weinenden starrte Alexander mit dem schwarzen, trostlosen Blick unter der wütenden Stirn. Während er wieder zu wandern anfing, sagte er kurz, durch die Zähne: »Ich muß mir alle meine Entschlüsse vorbehalten. Lasse mich bitte allein.«
Seine Soldaten mußten vierundzwanzig Stunden lang weinen. Sie winselten vor der Pforte seines Palastes. Ihre Waffen hatten sie abgeworfen, jammervoll zerschlugen sie sich die entblößte Brust. Ihre Zerknirschtheit war zu allem bereit: »Wir bleiben ohne Löhnung bei dir, Alexander! Wir ziehen, wohin du uns schickst! Nur laß uns, laß uns deine Soldaten bleiben! Was tun wir denn ohne dich? – Laß uns wieder deine Leibwächter werden!« flehten und lamentierten sie herzzerbrechend. »Erlaub auch uns, dich zu küssen!«
Sie klagten, wie um die ersehnte Frau ein Liebender. Ihn küssen zu dürfen schien die höchste aller denkbaren Wonnen. Sie knieten hin, sie streuten sich Staub in die Bärte, auf den Kopf und die haarige Brust. So trieben sie es eine Nacht; der Tag, der folgte, auch noch die zweite Nacht traf sie so.
Da ging das Palastportal vor ihnen auf, mitten in der Helligkeit stand Alexander. Er war allein, ohne Waffen, wie ein Friedensbote trug er das weiße Kleid. Er lächelte segnend über sie hin; sie merkten nicht, daß sein Lächeln kalt und übermüdet, daß seine Geste berechnet und künstlich war. Sie jubelten nur. Sie weinten wieder, aber vor Glück. So selig waren sie nach keinem Sieg gewesen. Sie liebten Alexander, so sehr hatten sie ihn noch niemals geliebt. Merkte er es nicht, wurde ihm dabei nicht wärmer? Er schien, so innig von ihrer Wärme umgeben, zu frieren. Sie nannten ihn ihren Führer, ihren jungen Gott. Sie umringten ihn, nun trugen sie ihn auf den Schultern. –
Beim Versöhnungsmahle, das er ihnen gab, erlaubte er den Nächstsitzenden, ihn zu küssen. Sie taten es etwas verlegen, umständlich und ausführlich. Wenn sie ihre rauhen Backen an seine weichere legten, sah man ihn gekitzelt und flüchtig lachen, nach jedem dieser kleinen Gelächter schloß er für eine Sekunde die Augen, wie nach einem hastig genossenen Glück. –
Politisch war durch den ganzen rührenden und erregenden Zwischenfall nichts geändert. Die Veteranen wurden nach Hause geschickt, ihnen Krateros als Führer mitgegeben. Es hieß, daß der General als Reichsverweser in Pella bleiben sollte, während Antipatros, mit neuen Truppen, nach Babylon beordert war.
Die persischen Offiziere blieben in den neuen Ehrenämtern, die ihnen während des Aufstandes, zunächst provisorisch, zugeteilt worden waren.
Allgemeines Entsetzen erregten die beiden neuen Gesetze, die Alexander nach Griechenland gehen ließ.
Er beanspruchte für seine Person göttliche Ehren, auch bei den Griechen. Gleichzeitig stieß er die Nation, die er zu solcher Demütigung zwang, vor den Kopf, nicht einmal auf die Scheinfreiheit, die er ihnen gelassen, nahm er Rücksicht. Er verlangte, daß die griechischen Städte ihre politischen Verbannten zurückkommen ließen, sie als Bürger wieder bei sich aufnähmen. Beide Gesetze verkündigte der Gesandte des Königs, Nikanor aus Stageira, den versammelten Völkern Griechenlands bei dem Feste der Olympiade. Ihm antwortete eisiges Schweigen.
Wer saß dort in Asien auf einem Thron, nannte sich Sohn des Zeus und wagte ihnen solche Befehle zu geben? Waren sie nicht, heute wie stets, das freie Volk dieser Erde? Hatten sie nicht den Xerxes besiegt?
Die Männer haßten ihn beinah alle. Aber manche Frau, mancher Knabe fing an ihn zu lieben. Manche träumten von ihm.
Wer saß da auf seinem Throne in Babylon? Der Gesandte der Gottheit, der siebenfach geliebte Sohn des Zeus-Ammon-Re, der geschickt war, der Menschheit das Heil zu bringen. Er trug den Silbermantel mit der großen Schleppe, den königlich gerichteten Hut, darunter strahlte sein Angesicht milde. Vor ihm niederzufallen war Wonne, denn er brachte das Glück. Er erfüllte wahrlich, was verheißen war, das Goldene Zeitalter kam, da die Raubtiere zärtlich werden.
Sie träumten ihn als die griechisch-asiatische Gottheit, mit dem athletischen Leib der Jünglinge, die sie liebten, funkelnd im geheimnisvoll geweihten Putze Ägyptens, Persiens und Indiens. Er war genannt: Hermes-Osiris, Apollo-Tammuz; seine glänzende Stimme kam auf Riesenschwingen über die Kontinente.
»Ich regiere die Meere und Festländer, die Inseln, Flüsse und Gebirge. Ich verwalte das Reich dieser Erde, damit Glück sei und damit sich die Verheißung erfülle.
Ich bin der Sohn des Gottes und der Geliebte der Menschheit.
Ich bin der Bräutigam«, frohlockte seine Stimme über die Länder, deren angebeteter Herr er war.
Eumenes von Kardia war mit Abstand der Unbeliebteste aus der Umgebung des Königs. Er schien nicht einmal geachtet, obwohl man wußte, daß er dem Alexander als Sekretär unentbehrlich war. Wie er schielte und grinste, fand man allgemein widerlich. Er war unverschämt und zugleich demütig, das war gerade die Mischung, die man am wenigsten mochte.
Auch Alexander fand ihn unsympathisch, andererseits aber brauchbar. Ein Gedächtnis wie dieses gab es sonst nicht. Eumenes merkte sich alles und wußte im rechten Augenblick daran zu erinnern. Zwar fiel sein schmeichlerisches, händereibendes und gebücktes Wesen auf die Nerven, manchmal war es aber auch ergötzlich, denn der minderwertige Mensch fand drollige und schlaue Redensarten der Devotion. Auch durfte man mit ihm, was viel wert war, umspringen, ohne daß er gleich muckte. In Indien hatte sich der König, seinen übertriebenen Geiz zu bestrafen, einen ziemlich kräftigen Spaß mit ihm erlaubt.
Damals hatte dieser Bursche sich besonders unangenehm benommen. Obwohl alle, wie vermögend er war, recht genau wußten, hatte er, als der König selbst bei seinen Großen für die Erbauung der Stromflotte sammelte, nicht mehr als hundert Talente gegeben und feierlich dazu bemerkt: er sei nun einmal nicht mit Glücksgütern gesegnet.
So schamlos hätte er nicht werden dürfen, es ging selbst dem König zu weit. Man dachte sich, ihn zu blamieren, eine grausame Methode aus: nächtens wurde sein Zelt angezündet, und zwar auf Alexanders Befehl, damit das ganze Lager den Spaß habe, den Geizkragen mit seinen Schätzen, die er dem gemeinnützigen Zweck vorenthalten, ins Freie stürzen zu sehen. Die Sache ging etwas schlimm aus, nicht nur, weil der hasenköpfige Herr aus Kardia beinah selbst mit verbrannt wäre – das hätte der Armee nur ein Gaudium mehr bedeutet –, sondern weil verschiedene Kanzlei- und Staatspapiere dabei verlorengingen, die sehr mühsam wieder zu beschaffen waren. Immerhin blieb es für alle Feinde des Eumenes ein netter Triumph, daß man in dem Schutthaufen, der von seinem Zelte übrigblieb, an geschmolzenem Gold und Silber über tausend Talente fand.
Ärgerlicherweise konnte sogar diese Geschichte ihm den Hals nicht brechen. Der König, der ihn irgendwie zu brauchen schien, hielt ihn in seiner Nähe.
Daß Hephaistion mit diesem nichtswürdigen Onkel ernsthaft Streit bekommen könnte, hätte niemand für möglich gehalten. Trotzdem kam es so weit.
Zu irgendeinem Anlaß hatte Hephaistion vom König ein Geschenk erhalten, eine Halskette, die zwar kostbar, aber ohne Liebe ausgesucht schien. Der Freund Alexanders, intimere Geschenke gewöhnt, freute sich über das etwas plumpe Stück nicht besonders, immerhin trug er es, wenn auch nur, um nicht den Geber zu kränken. Diese Halskette nahm Eumenes als Anlaß zum Zetern. So war es: die Günstlinge bekamen den goldenen Schmuck, mit kargem Lohne mußte der treue Arbeiter sich begnügen. Wofür schuftete man? Damit die Lieblinge in Glanz und Wonne saßen; man selber blieb, so tüchtig man immer sein mochte, vernachlässigt, häßlich und klein.
Hier schien eine lang versteckte Eifersucht die Zeit, sich Luft zu machen, für gekommen zu halten. Vor diesem Ausbruch eines gemeinen Temperaments senkte Hephaistion angeekelt die Lider. Aber der andere schimpfte weiter. Was gewisse Herren geleistet hätten? fragte er mehrmals und mit immer schärferem Nachdruck, als verlange er wirklich und unbedingt eine Antwort.
Da die Szene im Vorzimmer des Königs sich abspielte, erwiderte Hephaistion immer noch nichts. Er erblaßte nur, denn er dachte: wie sicher muß diese Kreatur sich fühlen, da sie es wagt, in Alexanders nächster Nähe Lärm zu schlagen – gegen mich diesen Lärm zu schlagen, gegen mich –
Währenddessen kläffte der Schreiber mit einer Stimme, die sich im Zorn grotesk überschlug: »Was Ihr, sauberer Herr Hephaistion, geleistet habt? Wenn Ihr's nicht sagt, ich sag es. Ihr habt mit dem König geschlafen, das ist Euere Leistung –«
Da Hephaistion noch wie ein Versteinerter dastand, fügte Eumenes hinzu, wobei er grinsend gelbliche Zähne entblößte: »Das haben andere allerdings auch, der kleine Bagoas zum Beispiel –«
Endlich hatte er die Faust des anderen im Gesicht. Hephaistion schlug auf ihn ein, in den Mund, auf die Nase, aus der kümmerlich hellrotes Blut schoß, erst da Alexanders Stimme von der Türe kam, hörte er auf zu schlagen. Der König schrie: »Auseinander!« Dabei packte er beide an den Schultern, Hephaistion war so unsanft noch niemals von ihm berührt worden.
Eumenes winselte noch und rieb sich die zerschlagene Fresse; währenddem sah Hephaistion angewidert auf seine Hände, die blutig waren. Was es gegeben habe, fragte Alexander scharf. Da Hephaistion hochmütig schwieg, log der wimmernde Sekretär: wie er den bevorzugten General um die wunderschöne Kette etwas beneidet habe und wie der gleich grob geworden sei. »Aber so sind die Herren Offiziere«, schluchzte der geprügelte Mensch, aus dessen Nasenlöchern immer noch Blut rann. »Und der Herr Hephaistion ist der brutalste von allen –«
Alexander sagte zu Eumenes mit einer schneidenden Freundlichkeit: »Beruhigen Sie sich, mein Lieber, Sie bekommen dieselbe Kette wie der General. Sie haben sie sich reichlich verdient.« Während der Geehrte schon über die königlichen Hände gebückt schluchzte, bemerkte Alexander noch, mit einer halben Wendung zu Hephaistion, aber den dunkel-entsetzten Blick meidend, den der Freund auf ihn richtete: »Ich verbitte mir übrigens, daß du mit meinen Beamten Streit anfängst. Damit kompromittierst du mich und dich selber.« Er rückte den Kopf, ging schnell ab. Ihm folgte dienernd der Schreiber.
Hephaistion, der den König mit einer immer noch völlig fassungslosen Gebärde zurückhalten wollte, ließ die Hand sinken. Gleichzeitig sank erst sein Gesicht, dann auch der Oberkörper, wie in plötzlicher Schwäche, nach vorn. –
Dieser Zwischenfall ereignete sich einige Tagereisen vor der Ankunft der Armee und des Hoflagers in Ekbatana.
Bei den offiziellen Feierlichkeiten in Ekbatana ließ Hephaistion sich entschuldigen; Alexander wohnte ihnen meist in Begleitung des kleinen Bagoas bei. Von einigen der Gastmähler erzählte man später, sie seien Orgien an luxuriöser Ausgelassenheit gewesen, vor allem das große Abendessen des fetten Satrapen Atropates ging legendenumwoben in die Historie ein. Bei dieser üppigsten Schmauserei zeigte Alexander sich von wildester Ausgelassenheit, er leistete im Trunk Enormes, übrigens auch auf anderem Gebiet: jede halbe Stunde zog er sich mit Bagoas, oder sonst einem geschminkten Kinde, in die Hinterzimmer zurück. – Zufällig war es an diesem Abend, daß die Ärzte anfingen, des Hephaistion unerklärliche Krankheit ernst zu nehmen. Das Fieber wurde nicht besser, im Gegenteil, beinah immer fand man den Patienten ohne Bewußtsein, in qualvollen Phantasien.
Vom Zustande des Generals machte man dem König geziemend Mitteilung, als er von der amüsanten Veranstaltung des Satrapen gegen Morgen nach Hause kam. Der schwer Betrunkene lallte und winkte ab. Bestürzt zog Glaukias, der gewissenhafte und treue Doktor, sich vom schwankenden Alexander zurück.
Am nächsten Morgen machte der König Visiten, erst bei einigen persischen Großen, dann auch bei seinem leidenden Freund. Er konnte, da an diesem Tage die Feste der Dionysien mit großen Opferzeremonien begannen, nicht länger bleiben als ein paar Minuten. Hephaistion erkannte ihn nicht; der Blick des Kranken, der nichts mehr, außer großer Angst, zu enthalten schien, irrte zwar über ihn hin, aber ohne zu sehen. So war Alexander froh, bald gehen zu dürfen; er versprach dem Doktor Glaukias flüchtig eine Belohnung für seine hingebenden Dienste und eilte sich, zum Festzug zu kommen, wo das Volk ihn verlangte.
Er zeigte dem Volke, das mechanisch jubelte, sein totes Lächeln, seine starrgewordene Prunkgebärde. Die Frauen konstatierten, daß er dicker geworden sei; dafür hatte er an Würde zugenommen. Seinen unter hochgewölbten Brauen erweiterten Augen fehlte der Glanz, der sieghaft gewesen war; aber auch heute beherrschten und bezauberten sie, mit toter und geheimnisvoller Eindringlichkeit. Sie lagen, fanden die Frauen, in tieferen Schatten, die vom Purpur ins Schwärzliche spielten. Vor allem sein Mund schien entstellt, wie lange war es her, und dieser Mund war kindlich gewesen. Nun hing er bläulich und schlaff, dabei gierig. Viele fanden diesen Mund abstoßend, andere allerdings besonders reizvoll.
Unzählige Weiber, die, ihren fremden König vorüberziehen zu sehen, Spalier standen, besprachen miteinander alle Einzelheiten dieses verfallenen Gesichtes. Eine fragte ihre Nachbarin: »Was wird seine Mutter sagen, wenn er wieder nach Mazedonien kommt? Als ein Frischer, Strahlender ging er von ihr, als ein Müder und Verdorbener kommt er wieder.« Darauf lachten einige; andere schwiegen.
Auf seinem Wagen, den die weißen Tiere zogen, Alexander im engen Prunkkleid, über der Stirne die Tiara, trug indessen unaufhörlich sein erstorbenes Lächeln über die Menge hin.
Den Opfern folgten die großen Kampfesspiele und Theateraufführungen, nirgends fehlte der geschmückte Alexander. Sein von Edelsteinen starr umrahmtes Gesicht erschien immer wieder, majestätisch und müde, über dem Volke, wenn es zum Schreien und zum Jubeln sich versammelt hatte; neben ihm die bemalte und listige Fratze des süßen Zwitters, den sie auf den Gassen schon die »Königin« nannten.
Das Gerücht, Hephaistion sei krank, verlor sich. Hätte sich sonst der König gezeigt? An seinem Lager säße er, litte der Freund, anstatt sich mit dem Zwitter in der Loge zu zeigen. – Alexander verteilte Ehrenkränze, verneigte sich, lächelte, dankte. Abends zechte er mit den Fürsten und Generalen, den Kokotten, Schauspielern, arrivierten Handelsleuten, in den Villen der Reichen oder im eigenen Palast.
Es war am letzten Tage der Dionysien, während des Wettkampfes der halbwüchsigen Knaben, als der Arzt Glaukias den König im Stadion aufsuchte. Man sah, wie mit besorgter Miene der Doktor dem Alexander etwas zuflüsterte; wie dieser, die Augen mit toter Gier auf die ringenden Burschen gerichtet, gereizt abwinkte. Kopfschüttelnd zog der Graubärtige sich zurück, um nach einer Stunde wieder zu erscheinen. Er raunte noch angelegentlicher, das ganze Volk sah es. Endlich erhob sich der König.
Er kam zu spät. Hephaistions sanfte und geduldige Augen hatten sich schon geschlossen. Aus dem verhängten Zimmer, das der König betrat, zogen sich schüchtern weinende Frauen, bedrückte Männer zurück. Nach so langer Zeit fand sich Alexander alleine mit seinem Hephaistion.
Nur er, Alexander, zeigte sich verändert; denn Hephaistion sah wie immer aus, vielleicht noch etwas schöner. Sein ruhendes Gesicht schien im weißen Schimmer zu leuchten, auch von seinen Händen kam tröstliche Helle. Warum hatte Alexander so lang vergessen, wie freundlich dieser Freund war, wie angenehm und wie milde? Endlich wagte er ihn wieder anzureden.
Er kniete an seinem Lager; mit einer Stimme, die zitterte, fragte er den Geliebten: »Nicht wahr, die dumme Geschichte mit dem Eumenes neulich, die hast du vergessen? – Nicht wahr?« fragte er nochmals, da der Freund nicht antwortete.
Erst da Hephaistion auf des Königs immer dringlichere Fragen hin schwieg, begann der zu ahnen, schließlich zu verstehn. Was eintrat, war eine ungeheure Stille. Öde wuchs auf, verschlang jeden Laut, jede Farbe, fraß alle Lebendigkeit, sogar Tränen durften in ihr nicht fließen. Der König Alexander saß inmitten einer Einsamkeit, die ihn wie eine Mauer umschloß.
Um sie zu sprengen, fing er an zu schreien. Er warf die Arme, schrie, schrie, schrie. Herbei kam Hofgesinde, Militär, Ärzte bückten sich geschäftig, Damen preßten Tüchlein ans Gesicht. Über die Leiche geworfen brüllte der König, Schaum vorm aufgerissenen Mund. Man wollte ihn halten, doch er schlug um sich, hatte blutige Augen.
So sollte man keinen Sterblichen schreien hören, in diesem Schrei klang keine Trauer, kein menschlicher Schmerz; vielmehr eine Verlassenheit, eine Verzweiflung, wie sie uns nie zuteil wird, wie nur die verzweifelten Götter sie kennen.
Über dem toten und so schön beruhigten Antlitz seines friedlichen Lieblings schwankte die tragische Maske seines verzerrten Gesichts, mit dem klaffenden Munde, den Augen, aus denen Blut floß, statt Tränen. Eine Nacht ging vorbei, dann der Tag, dann noch eine Nacht, noch ein Tag. Der Jammernde schlief nicht, aß nicht, trank nicht. Er schloß die Augen nicht, die schon lang nicht mehr sahen. Sein Schreien wurde zum Wimmern, sein Wimmern zum Röcheln, aber immer bewegten seine trostlosen Hände sich mit entsetzlicher Hartnäckigkeit über Gesicht, Haar, Hände, Körper des Toten.
Die Trostworte der Vertrauten, die in seine Nähe sich wagten, schienen bis zu ihm nicht zu kommen. Schon flüsterte man sich zu, daß er den Verstand verloren habe; ihn erreichte nichts mehr, ging nichts mehr an. Nichts mehr zu tun blieb ihm übrig, als seinem Schicksal, das sich erfüllt hatte, ins Auge zu starren.
Nach drei Tagen und drei Nächten ermattete seine Kraft, endlich fand man ihn schlafend. So hob man ihn behutsam von der Leiche, über die er noch hingestreckt lag, bettete ihn auf dem eigenen Lager. Er schlief achtundvierzig Stunden lang.
Als er wieder erwachte, zeigte er eine veränderte Miene. Er klagte nicht mehr, er befahl. Es war, als habe er an der ganzen Menschheit Rache für Hephaistions Tod zu nehmen. Seine Anordnungen waren knapp, fürchterlich, radikal.
Was am meisten entsetzte: der Doktor Glaukias ward ans Kreuz geschlagen. Der König ließ den um Gnade Flehenden nicht einmal vor; sein Leben, erklärte er kurz, sei verspielt, da er das des Götterlieblings nicht zu retten vermocht habe. In allen Tempeln mußten die Magier alle Feuer löschen, nicht anders, als sei der Monarch selber gestorben. Von Hephaistion durfte nur als von einem Halbgott gesprochen werden – bei Todesstrafe! ließ der König verkünden. Tanz und Gesang waren für Wochen im ganzen Weltreich, von Mazedonien bis Indien, verboten. Die Mauern der umliegenden Festungen wurden geschleift, die Esel geschoren, den Pferden die Schwänze gestutzt.
Die exakte Einhaltung aller dieser Erlasse ließ der König mit unerbittlicher Strenge überwachen: wer etwa singend angetroffen wurde, kam auf die Folter. Inzwischen entwarf er selbst mit den Architekten den Scheiterhaufen, der dem Hephaistion in Babylon sollte errichtet werden. Auf seine Ausschmückung waren hunderttausend Talente zu verwenden; ebensoviel auf die Trauerfestlichkeiten, Kampfesspiele und Zeremonien. Mit der Führung des Leichenzuges wurde der General Perdikkas betraut.
Alexander nahm mit dem größten Teil der Armee den Weg nach Babylon über das Gebirge, welches die Kossäer bewohnten. Dieses zwar renitente, doch harmlose Bergvolk hatte er exemplarisch zu züchtigen beschlossen. Alle waffenfähigen Männer wurden ermordet, die Frauen, Kinder, Greise in die Sklaverei verkauft.
Alexander lernte ein neues Gefühl kennen: die Angst.
Gewohnt, jedes Abenteuer bis an des Möglichen alleräußerste Grenze zu erleben, ergab er sich auch diesem wie einem Rausche. Um ihn veränderte sich spukhaft die Welt. Aus jedem Baume, jedem Menschengesicht, aus der ganzen schauerlich verzerrten Landschaft grinste ihn die Gewißheit seines Todes an, die Versicherung, daß alles umsonst gewesen, sein riesenhaftes Experiment mißglückt sei.
Düstere Prophezeiungen, die er sonst verächtlich übersehen oder politisch umgedeutet hätte, verwirrten und entsetzten ihn jetzt. Derselbe Eingeweihte, der auch den Tod des Hephaistion vorausgewußt hatte, behauptete nun, auch der des Königs sei nahe. Er schrieb es einem der Offiziere, der Erkundigungen eingezogen hatte: die Leber des Opfertieres war ohne Läppchen gewesen.
Alles war grauenhaft, aber am grauenhaftesten, daß er nach Babylon mußte. Überall zogen die Wolken nur noch, um ihn zu verspotten, überall war das Wasser sein Feind, die rauhe Erde, das bewegte Laub, die ganze ihm aufsässig gewordene Natur; aber in Babylon hatte alle Gefahr sich unentrinnbar verdichtet, hier lauerte sie in den Fratzen der bärtigen Stiermänner, in der spiegelnden Tiefe der schwarzen Mauern, in den klugen, geheimnistuerischen Augen der Magier.
Zudem kam die Warnung der Chaldäer vorm Einzug. Diese freilich war politisch suspekt, die Alten mochten ein Interesse daran haben, die Ankunft des Monarchen zu verschieben, wenn nicht zu verhindern; denn wie hatten sie die Geldvorräte verwaltet, die ihnen zur Renovierung des Bel-Marduk-Tempels anvertraut waren? – Alexander versuchte es, sie hochmütig-kühl zu behandeln, als sie auf ihren weißen Eselchen mit den rotgefärbten Ohren und Schwänzen herbeigeritten kamen, um ihn wissen zu lassen: der Einzug in Babylon empfehle sich nicht, die Götter sähen ihn ungern. Der König zuckte die Achseln, ließ den Greisen ausrichten: der Einzug sei beschlossene Sache. Sie wiederum: so möge er wenigstens nicht den östlichen Eingang wählen, dieser sei besonders gefährlich. Er ließ trotzig entgegnen, daß er den Eingang wählen werde, der am praktischsten läge.
Die Antwort klang sicher und frech; aber das Herz dessen, der sie diktiert hatte, zitterte in einer Angst, die es selbst nicht verstand. – Die kleinen Alten ritten kopfschüttelnd ab. Übrigens wurden sie noch am selben Tage ermordet gefunden, zum panischen Schrecken der gesamten Bevölkerung. Alexander ließ die Bluttat scharf verfolgen, sie aufzuklären gelang aber nicht.
So war der Empfang, den man ihm bereitete, ein kühler: man gab dem Alexander Schuld an der Bluttat, die der ganzen Stadt bei den Göttern schaden mußte.
Am Palastportale erwartete ihn Roxane, strenger und angespannter denn je, im Kreise ihrer gepanzerten Damen, phantastisch geputzt, wie man sie seit der Hochzeit nicht mehr gesehen: mit goldgrün gepudertem Haar, auf der Stirn einen länglichen Edelstein von bösartigem Violett, das enganliegende, silbrig schuppige Kleid klirrend von Juwelen, Schlangengürteln, blitzenden und harten Verzierungen. Sie streckte ihm die Hand hin, während er sie küßte, sah sie eisig über ihn weg. Er sagte schüchtern: »Ich bin froh, dich wiederzusehen.« Sie erwiderte scharf: »Auch ich, mein Lieber, bin froh. Wie geht es der Prinzessin Stateira?«
Ihre Unverschämtheit machte ihn fassungslos. Sie benutzte sein Verstummen, um mit eisiger Liebenswürdigkeit zu fragen: »Und wie geht es deinem Freund Hephaistion?« Da er vorwurfsvoll schwieg, nicht wußte, wohin er sehen sollte, denn Tränen stiegen ihm in die Augen, erinnerte sie sich und sagte ausführlich, wobei es Funken in ihren Augen gab: »Ach so, der ist ja gestorben.«
Drinnen warteten Gesandtschaften, die ganzen nächsten Tage meldeten sich Deputationen, Leute, die sich beklagen oder zu etwas gratulieren wollten, die Geschenke brachten oder welche erwarteten. Es erschienen Abgesandte der hellenischen Länder, auch Mazedonen. Die einen beklagten sich über Olympias, über Antipatros die anderen. Die beiden lagen beständig im Streite, man hatte die Hölle bei Hof. In alles und jedes mischte sich die Königin-Mutter, sie wollte nichts so, wie der Reichsverweser es wollte. Dabei berief sie sich ständig auf den Willen ihres Sohnes, von dem sie geheime Aufträge zu haben vorgab. Antipatros seinerseits, ein pedantischer und starrköpfiger Alter, behauptete in fast allen Angelegenheiten noch Weisungen von Philipp her zu haben.
Es kamen Gesandte der Etrusker und der Karthager, der Libyer, Iberier, der europäischen Skythen, der Kelten, Äthiopen, auch der italischen Völker. Alle überbrachten die Komplimente ihrer Herren, manche auch Angebinde: goldene Kränze, Prunkmäntel, gezähmte Raubtiere, Körbe ausgefallener Leckereien. Die Überbringer berührten mit ihren Stirnen den Boden vorm Throne der Majestät und sagten, er sei von allen Sterblichen der Größte, Sohn der Gottheit, Beherrscher der Welt. Er, unter dem Baldachin, dankte mit stolzem Nicken.
Solange die Botschafter bei ihm waren, blieb er ganz starre Würde. Das großflächige, angemalte Gesicht, in dem unter dunklen Lidern die Augen beinah geschlossen schienen, wirkte schlaff und ermüdet, dabei von unangreifbarem und tyrannischem Selbstbewußtsein.
In Wahrheit gab es hinter dieser Maske nichts mehr als Angst. Kaum hatten die Gesandtschaften, Abordnungen, Bittsteller ihn allein gelassen, bestellte er die Magier, um nach den Resultaten der vielen Opfer zu fragen.
Die Zukunft konnte man aus allem lesen, wußte man nur die rechten Methoden. Alles wurde bedeutungsvoll, aus allem war die geheime Absicht der Gottheiten zu erraten und festzustellen: aus dem Fluge der Vögel, vor allem aus dem der Störche; aus dem Ziehen der Wolken, dem Schwanken des Nebels, den Strahlen der Diamanten, aus dem Inneren mancher Blume, ganz besonders aber aus den Träumen. Die unruhigen Gesichte seiner Nacht merkte der König sich mit angstvoller Sorgfalt. Hatte der Traum etwas mit Hephaistion zu tun gehabt, wurde er fröhlich; dann konnte alles noch gut werden.
Es mußte alles gut werden, denn seine Pläne waren ungeheuer. Noch lange nicht die ganze Welt war erobert. Sie mußte aber ganz erobert sein, denn es kam darauf an, alles zu wissen. Nur wer alles erobert hat, weiß alles.
Der wichtigste Plan war die Umsegelung Arabiens. Die streitbaren Küstenvölker der enormen Halbinsel mußten besiegt, das Land dem Weltreich eingegliedert werden.
Es sollte in Arabien, nach Berichten, die ihm zugekommen, köstliche und seltene Gewürze geben. Myrrhen und Weihrauch, Narden und Zimt. Was die Götter anging, so verehrte man dort nur zwei, den Uranos und den Dionysos, letzteren ausdrücklich wegen seiner Fahrt nach Indien, die man glorreich in Erinnerung hatte. Alexander, der weiter als Dionysos gekommen war, erklärte einigen arabischen Gesandten kurz und bündig: er halte sich für geeignet, als dritte arabische Gottheit angebetet zu werden.
Er arbeitete fieberhaft, besprach sich mit Schiffsbaumeistern, Militärs und Gelehrten. Der Auftrag für die neu zu bauende Flotte wurde nach Phönizien vergeben. Jeder, der neue Mitteilungen über Bedingungen und Gegebenheiten des arabischen Landes beibringen konnte, wurde von Alexander empfangen, angehört und belohnt.
Inzwischen mußte auch das Landheer vergrößert werden, denn es galt Krieg gegen verschiedene Völker zu führen, die entschieden noch zu selbstherrlich waren. In Italien schien es Widersacher der Weltmonarchie zu geben, die mußte man ducken. Vor allem aber Karthago, das die einzige in Frage kommende Finanzkraft der bewohnten Erde, neben der seinen, war. Da es ihm gelungen war, Karthagos fette Mutterstadt Tyros zu nehmen, würde auch die aufgeblähte Tochter fallen müssen. –
Er saß inmitten seiner riesengroßen Pläne und Berechnungen, nachts schlief er kaum, er arbeitete ununterbrochen, dazwischen opferte er, empfing Wahrsager. Auszugehen wagte er nicht, er hatte Angst vor dem süßlichen Gestank der Gassen, der ihn schon das letztemal so mitgenommen hatte; außerdem auch davor, ermordet zu werden.
Gegen Morgen ließ er sich von Bagoas das Schlafmittel geben, das nur der abgefeimte Zwitter bereiten konnte. Wenn der König einschlief, mußte Bagoas bei ihm liegen, ihn streicheln, beruhigen, liebkosen, ihn ins Ohr und auf die Stirne küssen. Der einschlafende Alexander, während die geübten kleinen Hände des Geschöpfes ihm wohltaten, dachte:
»Dieser ist also der Letzte, der mir geblieben ist. Also der Letzte.«
Nach Wochen fanatischer und erbitterter Arbeit überkam ihn Unruhe, die ihn von den Papieren vertrieb. Plötzlich konnte er die Luft Babylons nicht mehr vertragen. »Sie ist durch und durch giftig«, erklärte er mit jähem und hysterischem Widerwillen.
Da die Flotte für die große arabische Unternehmung noch nicht bereit war, beschloß er, inzwischen eine kleine Expedition den Euphrat hinunter zum Pallakopaskanal zu machen, von dem man ihm berichtet hatte, daß er umgebaut werden müsse.
Das stehende Wasser stank und war faulig, den Offizieren, die ihn begleiteten, wurde übel. Auch Alexander schien Fieber zu haben, aber er bestand darauf, noch in die Seen zu fahren, die mit dem Kanal in Verbindung standen und bis nach Arabien führten. Hier fiel es ihm plötzlich ein, eine Stadt zu gründen, das siebenunddreißigste Alexandrien. Er besiedelte sie mit griechischen Soldaten. »So habe ich auch diese Gegend kennengelernt«, konstatierte er mit qualvoller Befriedigung, als sie die Rückfahrt antraten. So häßlich war noch keine Landschaft gewesen. Das Wasser des Kanals spiegelte ölig-violett, auf seiner unappetitlich glatten Fläche schwammen Unrat, tote Tiere, allerlei grünlicher Schlamm. Was für ein schwefelig toter Himmel über ihnen hing. Es war drückend schwül, ohne Sonne. Käme nur ein Gewitter! Aber der Wind, der über sie hinfuhr, brachte keine Erfrischung, er war übelriechend und heiß.
Er war auch boshaft, denn er riß dem Alexander, der mit starrem, übermüdetem Blick träumte, den Hut vom Kopf, um den das Diadem gelegt war. Der Hut sank, das Diadem fing sich in den Zweigen eines Gebüsches, das übers Wasser hing und sich spiegelte.
Es zu holen, riß ein eifriger Matrose sich die Kleider vom Leib und sprang ins Wasser, das nicht eben verlockend aussah. Er erwischte das Kleinod; um es beim Schwimmen nicht zu verlieren, legte er es sich um den dicken Kopf. Was er tat, bedeutete das allerschlimmste; das Zeichen königlicher Majestät auf der Stirne eines fremden, noch dazu so gewöhnlichen Menschen. Der hörte nicht, daß die im Schiff leise schrien. Der arme Kerl, der das Schmuckstück mit plumpem Bückling grinsend überreichte, wußte nicht, wie ihm wurde, da man ihn von hinten packte und fesselte. Der Kapitän riet, ihn zu töten. Alexander nickte. Er sah angewidert fort, als die Henkersknechte ihn packten.
In Babylon erwarteten ihn Festlichkeiten, die einige große Herren für den Admiral Nearchos veranstalteten, dessen Abreise nach Arabien bevorstand. Alexander mußte teilnehmen, schon aus Höflichkeit gegen den Admiral.
Schließlich machte es ihm sogar Spaß.
Von einer kleineren Stromflotte, die die Euphratmündung untersuchte, waren allerlei amüsante Nachrichten eingetroffen: man hatte im persischen Golfe, südwärts der Mündung, zwei Inseln entdeckt; beide waren klein, dichtbewaldet, von friedlichen, brünetten Menschen bewohnt, die der Artemis dienten. Die eine wurde Ikaros, die andere Tylos genannt.
Die Botschaft von diesem nicht gerade wesentlichen Fund schien den König merkwürdig zu erregen. »So gibt es also immer noch Inseln, Rassen, Gegenden, die ich nicht kenne«, sagte er gepeinigt. Übrigens ließ er sich alle Einzelheiten über Vegetation, Wasserverhältnisse, Klima der beiden Eilande genauest berichten. –
Bei den Gastmählern, die, eines strotzender als das andere, sich ablösten, fand man ihn von überreizter Lustigkeit, die manchmal, beängstigend plötzlich, verstummte. Noch vor einigen Sekunden hatte er schallend gelacht, plötzlich saß er in sich zusammengesunken, auch seine Augen schienen erloschen. Bei der letzten dieser Schmausereien, die unter besonderem Protektorat der Roxane stattfand, erwies es sich als notwendig, daß Alexander wenigstens einige offizielle Worte mit seiner Gattin wechselte.
»Ich höre, daß die Prinzessin Stateira einen Sohn von Ihnen erwartet«, sagte Roxane, die ihm Wein kredenzte, mit ihrer gräßlichen Höflichkeit.
Alexander, der nicht wußte, was zu antworten, nahm den Becher. Während er trank, beobachtete sie ihn mit dem tiefgründigen Blick. –
Tagsüber war der König sehr beschäftigt, er mußte die neuausgehobenen Truppen besichtigen. Stundenlang ließ er die jungen Leute an sich vorüberziehen, die für seinen Ruhm kämpfen, wahrscheinlich sterben sollten. » Für den mir vorbestimmten Ruhm«, dachte er düster, während er sie musterte.
Es waren kräftige junge Männer verschiedener Rasse: Mazedonen, Perser, Griechen, Ägypter, auch Indier; sie hatten helle und dunkle Haut, glattes oder gekraustes Haar, stämmige oder zarte Glieder; aber alle hatten sie für Alexander denselben scheuen und andächtigen Blick, in dessen Ergebenheit sich Grauen mischte. Mit diesem furchtsamen und teilnahmslosen Blick sieht man nicht Menschen an, sondern Götzenbilder, die unlebendig, unfähig zum Leid oder zur Freude, die nichts sind als mächtig. –
An einem dieser Vormittage passierte das unüberbietbar Peinliche und Fürchterliche, das mehr als alle anderen üblen Vorzeichen den König und seine Umgebung in eine Angst versetzte, die an Panik grenzte.
In einer Pause zwischen den Musterungen war der König mit etlichen Offizieren zum Bassin im Park gegangen, um sich zu erfrischen. Auf dem Thronsessel hatte er den königlichen Mantel, das Diadem und das verzierte Schwert gelassen. Als sie zurückkamen, saß auf seinem Stuhle ein Fremder. Sie erbleichten vor dieser Frechheit, denn er hatte auch den Mantel Alexanders umgelegt, sein Diadem auf dem Kopf, in den mageren Fäusten sein Schwert.
Sie traten näher, da sahen sie: er hatte goldbraune, zerstreute Augen, einen wehleidigen, verzogenen, breiten Mund, der nichts konnte als lallen, in die niedrig eckige Stirn hing verfilztes Haar. Es war Arrhidaios, der verloren Geglaubte.
Alexander, mit einer Stimme, die heiser war, fuhr ihn an: »Was machst du hier?« Der auf dem Thron höhnte, als habe er den Bruder immer beobachtet, ihn immer gesehen und wollte ihn nachäffen: »Ich bin der König von Asien.«
Den entsetzten Offizieren schien er's wirklich zu sein; er war ihres Königs verzerrter Doppelgänger. Sie stießen ihn vom erhöhten Sessel, aber Alexander winkte, ihn nicht zu schlagen. Er war ruhig geworden.
»Das ist der Spuk vor dem Ende«, sagte er leise.
Der Fluß, dessen Lauf sie stromaufwärts verfolgten, wurde immer gefährlicher. Zehn finstere Ruderknechte stöhnten, trotzdem kam man beinah nicht vorwärts. Strudel und Untiefen, treibendes Gehölz, auch Ungeheuer machten ihnen zu schaffen. Allerlei Gewürm ballte sich zu häßlichen Knäueln; Alexander, von der Spitze des Schiffes aus, stach mit der Lanze hinein. Aber daneben erhoben schon Krokodile ihre erschreckenden Köpfe.
Es war der Euphrat, den sie hinauffuhren. Sie wollten an seine Quelle; aber was suchten sie dort? Alexander, während er mit Gewürm und bösen Stachelfischen focht, dachte nach, die Brauen angestrengt zusammengezogen.
Bei ihm im Boot waren einige Freunde, Hephaistion, Philotas, Kleitos, auch Knaben; er erkannte den jungen Blonden. Er vermißte die altbewährten Getreuen, wo war, zum Beispiel, Parmenion? –
Kaum hatte er es gedacht – er grübelte noch über den Verbleib des Alten –, als sich vor seinen sehenden Augen mit einem traurigen kleinen Laut Philotas ins Nichts auflöste. Er war fort, war leise aufklagend dahingeschwunden; gleich nach ihm verflüchtigte sich der junge Blonde. Alexander konnte nichts tun als hinstarren. Hatten die Krokodile und schuppig geflügelten Unholde, die ihre geblähten Häupter über dem Bootrand schüttelten, sie mit geheimnisvollem Schnappen verschlungen?
Um sie herum wurde es immer wilder, Felsengebirg verfinsterte den Fluß, auch die Strömung ward stärker, mit ihr das Gestöhn der Ruderknechte. Bäume und Gras hatten längst aufgehört, es gab nichts als zerklüftete Öde. Raubvögel kreisten boshaft stumm über den Gipfeln, in den Abgründen schlichen schwärzliche kleine Tiere einher; »wahrscheinlich Hyänen«, wie Alexander mißtrauisch dachte.
Da waren es die Ruderknechte, die mit einem mehr grollenden als klagenden Brummen und Stöhnen verschwanden. Alexander, Kleitos und Hephaistion sprangen ans Ufer. Sie beschlossen, daß sie zu Fuße weiterwollten, wortlos.
Während sie den Weg durch Dorngebüsch und Steingebröckel sich bahnten, dachte Alexander angestrengt nach. Er wußte nicht, was er suchte. Sein Gesicht blutete, auch die Gesichter seiner beiden letzten Freunde waren verwundet. Sie klagten nicht, fragten auch nicht nach dem Ziel. Stumm und blutend folgten sie ihrem König.
Mit den Drachen wurde es immer unerträglicher, sie mußten nach rechts und links hauen. Solche waren darunter, die Feuer spien, andere, deren Atem giftig stank. Sie heulten hinter Felsen hervor, manche sah man in den Lüften flattern; manche, ganz besonders widerliche, krochen auf der Erde, wo sie eine schleimige Spur hinterließen.
Die drei schweigenden Helden kämpften mit Schwert und Beil. Wollte einer umsinken, hielt ihn der andere, wortlos, aber tröstend mit festem Druck. – » Wohin führe ich sie?« besann sich mit äußerster Inständigkeit Alexander.
Den schmalgewordenen Lauf des Euphrat konnten sie zwischen Felsen noch sehen. Sie merkten, daß sie fast an der Quelle waren. Diese Quelle zu finden schien zunächst allein von Wichtigkeit. Gebückt suchten sie. Als sie sich aufrichteten, standen sie vor einer hohen schwarzglänzenden Mauer, die die ganze Breite der Landschaft einnahm und deren Ende nicht zu sehen war.
Da wußte Alexander, was er gesucht hatte. Er sandte sich zu feierlicher Ansprache.
Er redete wie zu einer Armee, mit weiten und pathetisch herrschenden Armbewegungen. Kleitos und Hephaistion, die blutenden Gesichter ehrfurchtsvoll gesenkt, lauschten ihrem Befehlshaber. Der rief: »Mazedonen! Hellenen! Es ehrt euch, o meine Scharen, daß ihr mir bis hierher gefolgt seid! Euch wird die Geschichte, mit mir, preisen! Sogar der Ruhm des großen Kyros wird nichtig neben dem unseren. Bis hierher ist keiner gekommen, keiner von allen Königen Asiens oder Europas.« Er reckte sich im Triumph, sein Blick glühte. »Wißt ihr denn, wo wir sind? Wir sind an der Pforte des Paradieses. Auszufechten bleibt noch ein Kampf, der endgültig letzte, dann haben wir alle besiegt, dann wissen wir alles. Hellenen! Mazedonische Männer!« Er stand mit gebreiteten Armen an der undurchdringlichen Mauer wie gekreuzigt, aber dabei jubelnd. »Das Reich des Glückes und der endgültigen Seligkeit ist auf Erden nur zu verwirklichen, wenn wir auch die himmlischen Heerscharen, unsere zähesten Widersacher, die Engel, besiegt haben. Nur dann, meine Freunde, nur dann!« Nach einer Pause sagte er noch, wobei in seine Stimme etwas wie Furcht, Ermattung und Klage kam: »Was aber haben wir erreicht, wenn wir nicht das Reich des Glückes und der endgültigen Seligkeit errichtet haben auf Erden?«
Diese Frage, die seines Lebens ganze Trauer enthielt, klang noch in den Ohren seiner Freunde; da wandte er sich schon mit funkelndem Schwert gegen die Mauer, die ihm geheimnisvoll entgegenstarrte. Er schrie anfeuernd; auch Kleitos und Hephaistion stürzten mit der blanken Waffe vor.
Gegen welchen Feind ging es diesmal? Sie sahen ihn nicht, wahrscheinlich war er gerade deshalb der gefährlichste. Es schauderte sie, denn eiskalter Wind blies sie an. Sie fühlten sich starr werden, und sie sanken schon hin. Ihren plötzlich mattgewordenen Händen entfiel das Schwert, das so oft gesiegt hatte. Sie lallten noch; war es ein Abschiedsgruß für den König? Dann schwiegen ihre Lippen, die weiß aussahen.
Als Alexander merkte, daß sie tot waren, erschrak er über seine Einsamkeit. Einen Augenblick schien ihm, daß es unerträglich wäre. Hinter der Mauer mahnte eine metallene Stimme: »Zu dem Kampf mit uns mußtest du, Alexander, ganz allein sein. Noch die Letzten mußten von dir!« Es sprangen Torflügel auf, eine Helligkeit, die blendete, ergoß sich gegen den König, der zum Kämpfen bereit war. Er stürzte vor, wieder die Waffe gereckt, so unerbittlich wie noch nie entschlossen, alles, auch das Allerletzte, einzusetzen,
Er erkannte die Heerscharen nicht, die aus dem offenen Tor auf ihn zukamen. Diese schienen ganz in Helligkeit aufgelöst, nur er, der einzelne, war beschattet. Er fühlte Angst ohne Grenzen, vor dem wilden Glanze, der sich streitbar bewegte. Aber mit beispiellosem Trotze eilte er ihm entgegen – er, der vereinzelte Dunkle, der rachsüchtigen Masse des Lichts –; da stand er vor dem silbern gepanzerten Anführer.
In strenger und zarter Anmut hob sich das Haupt dieses lieblichen Feindes über der glitzernden Rüstung. Er trug keinen Helm, sondern das blonde Haar frei. Nun merkte Alexander, daß er auch unbewaffnet war. Er hielt dem anstürmenden Rebellen nur abwehrend die Handflächen entgegen; nackte, rührende Handflächen, deren klare Linien eine kluge, eindringlich stille Sprache redeten.
Alexander schwang in den Fäusten zwei Pfeile. Vor seinem geduckten Ansturm wich die lichte Front seiner Gegner, auch der Erzengel mit den abwehrenden Händen.
Rauh aufbrüllend stieß Alexander dem Schönen die beiden Pfeile in die beiden hingehaltenen Hände.
Die Ärzte konnten ihn beinah nicht halten, so bäumte er sich. Sein Fieber stieg, er schrie, phantasierte, schlug um sich. Das Gerücht, er sei vergiftet worden, verbreitete sich; viele behaupteten, von Roxane, die ihm beim letzten Gastmahl Wein eingegossen hatte.
Die Soldaten wollten ihn sehen, man mußte lügen und trösten. Die Armee kam sich betrogen vor, wenn er starb, sie faßte es als ungehörige Übervorteilung auf. Nur unter der Voraussetzung, daß er lebe, hatten sie dies alles mitgemacht. Was sollten sie in Babylon, ohne ihn? – Jedem, der zum Fürsten sich ihnen anbot, mißtrauten sie, dem Perdikkas und dem Krateros. Am ehesten hatte man noch für den armen Arrhidaios Sympathien, der so unerklärlich wieder aufgetaucht war; der war immerhin der Halbbruder ihres Königs.
War Alexander bei Besinnung, wünschte man ihm beinah seine Fieberphantasien zurück; denn es stand traurig. Von den Angelegenheiten des Reiches durfte man ihm nicht sprechen es gab Unruhen in Indien, neuen Skandal in Athen, Verwaltungsschwierigkeiten in Ägypten, aber er mochte nichts hören. Angewidert winkte er ab.
Hingegen dachte er mit einer melancholischen Hartnäckigkeit an Dinge, die alle aus seiner Umgebung vergessen hatten. »Erinnert ihr euch?« fragte er immer wieder. »Damals in Anchiale haben wir doch auf einer Königsstatue den Spruch gefunden: ›Anchiale und Tarsos hat Sardanapal an einem Tag gegründet, du aber, Fremdling, iß, trink, liebe! Was sonst der Mensch hat, ist nicht der Rede wert.‹« Auf diesen traurigen Spruch kam er immer wieder zurück. »Und ich habe mehr, als nur Anchiale gegründet. Es ist nicht der Rede wert.« Mit geschlossenen Augen wandte er sich ab, da man ihm widersprechen wollte. »Laßt mich doch schlafen«, sagte er matt. »Lügner –« Seine Umgebung verstummte bestürzt.
Viel und mit Schauder dachte er an das babylonische Märchen, das Kleitos erzählt hatte. »Es war überhaupt ein häßliches Märchen«, behauptete er fiebrig, »aber besonders der Schluß war so schlimm. Man wollte uns doch glauben machen, daß dieser Gilgamesch eine Zwiesprache mit seinem toten Enkidu hatte. Gilgamesch, in seiner sündhaften Neugier, fragte den Geist nach dem Zustand seiner Mitgeister, vor allem nach dem Befinden derer, die keinen Pfleger haben, – aber wer hat einen Pfleger? – Darauf antwortete Enkidu mit hohler und höhnischer Stimme: ›Im Topf Gebliebenes, auf die Straße geworfene Bissen muß er essen.‹ Seht, mehr sagt er nicht: Im Topf Gebliebenes – Ach, und wer hat einen Pfleger?« Über solchen Klagen kam der König wieder ins Phantasieren. Sein Blick verwirrte sich, und er lallte.
Lallend redete er den Hephaistion an: »Hephaistion, sag doch, Hephaistion, bin ich wirklich gesandt, die Menschheit zu blenden und ihr weh zu tun? – Und euch allen? – Oh, – wofür dann der ungeheure Anlauf? –« Rückwärts hingeworfen, weinte er stoßweis brüllend, aufjammernd, so daß es zuzuhören unerträglich wurde. Freunde und Ärzte verließen feig fliehend das Lager, auf dem er litt.
Da durfte endlich der Engel eintreten.
Er trug immer noch die silberne Rüstung, aber jetzt war sie blumengeschmückt. Auch im hellen Haar hatte er Blüten, die dufteten. Seine beiden Hände, die Alexanders Pfeile verletzt hatten, trug er verbunden, so daß sie dick und ungelenk schienen. An seiner schmalen Figur waren sie das einzige Plumpe und Schwere.
»Ich komme als Bote!« rief der Engel und reckte den Arm, wie es ihm zukam – als Bote.
»So bist du der Hermes?« fragte der verstockte Alexander, obwohl er wußte, daß er Unsinn redete.
»Ich kenne den Namen nicht«, erwiderte der Engel hell und sehr freundlich.
»Der Ammon?«
»Du bist lächerlich, Alexander.«
Wie er den Arm hob, klirrte sein ganzer Leib. Gesicht, Stimme, Haar schienen metallen. Nur Blick und Mund blühten.
»Wohin sollst du mich führen?« stöhnte der König.
Der Engel reckte sich noch mehr. »Du zerspringst!« schrie Alexander. »Sei vorsichtig, du zerspringst ja vor Funkelei!«
Der Engel krachte, dröhnte und gewitterte. Alexander beklagte sich weinend: »Ich dachte, die letzte Stunde würde still und friedlich sein. Es wird doch stille, wenn man am Ziel ist. Aber du lärmst ja, daß ich erblinde. – Warum rächt sich Kleitos so abscheulich?« Er schrie plötzlich, mit emporgeworfenen Armen. »Warum, Kleitos, so arg?« Es war das erstemal, daß er des Kleitos Namen wagte.
»Du hast einen anderen geopfert, nicht dich!« strafte der Engel. »Du hast deine Sendung wesentlich verfehlt. So hättest du dir denken können, daß deine Todesstunde kein Wonnefest sein würde.«
»Ich habe Angst«, jammerte der so fürchterlich Geweihte. »Ich sehe schon nichts mehr, nur noch Kreise und Raserei oh, wie schwirrt's durcheinander –«
»Das Gericht kommt nicht zärtlich!« donnerte der Bevollmächtigte, der sich ununterbrochen verwandelte, wie eine Flamme, in die Sturm bläst.
»Alle liebten mich, die ich tötete!« verteidigte sich der auf dem Lager.
Und der Engel, nicht mehr wild, sondern ganz Andacht, Sammlung und Würde: »Das nächste Mal wirst du so weit sein, daß du für die sterben kannst, die du liebst.«
Der König verstummte. Nach einer Pause, die lang war, fragte er bittend: »Werde ich dann das Reich der Glückseligkeit einrichten dürfen auf Erden?«
Daraufhin weinte der Engel. Er ließ Tränen fallen, die seine Blumen naß machten und auch auf seine dick verbundenen Hände fielen. Er neigte sich über den Sterbenden. Der glaubte ihn zu erkennen. Dieses Gesicht hatte er schon gesehen. War es einfach der junge Blonde? Es war der Unzähligen einer, die für ihn gestorben waren.
»Jetzt funkelst du nicht mehr«, flüsterte Alexander und atmete leiser vor Dankbarkeit. Der Engel, mit dem hellen, weinenden Gesicht: »Alexander, dein junges Gesicht ist verwüstet, was für häßliche Falten. Und die Haut ist ganz schlaff –« Alexander, der jetzt auch weinte, aber vor Rührung und Dankbarkeit: »Du bist der erste, Engel, der über meine erschlaffte Haut weint. – Bin ich trotzdem verdammt?« Statt zu antworten erkundigte sich der Gesandte: »Was war schwerer, das Siegen oder das Unterliegen?« »Ich kann beides nicht mehr unterscheiden«, überlegte reuevoll Alexander. »Denn in den Siegen spürte ich schon die Niederlage voraus –«
Er erinnerte sich. Alexander, der noch niemals erzählt hatte, begann zu erzählen. Er legte sein mitgenommenes Haupt in die geöffneten Arme des Engels. Der nickte erfahren. »Erzähl nur!« ermutigte er ihn sanft.
So begann er bei den Kindermärchen der Olympias, die den Auftrag vorbereitet hatten. »Ohne den Auftrag wäre alles anders gekommen«, behauptete er, als wolle er sich entschuldigen. Der Engel über ihm wiegte nachsichtig den Kopf, lächelte und weinte.
Den Philipp, seine rohe Gewandtheit und seinen unschönen Tod erwähnte Alexander nur flüchtig. Sehr ausführlich hingegen schilderte er alles, was mit Kleitos zusammenhing; vor allem die Nacht, in welcher das »Du störst mich sehr!« gesprochen worden war. An dieser Stelle fühlte er die Tränen des Engels am reichlichsten fließen. Dann verstärkte sich ihr Strom noch einmal, als Alexander zu der Nacht mit dem Hephaistion auf dem Schiffsdeck kam. »Das wird keiner erfahren«, sagte stolz der scheidende Alexander, das Gesicht an der Brust seines Engels. »Aber sogar Hephaistion wollte mich nicht.« »Er wagte nicht zu glauben, daß du ihn wolltest«, korrigierte der Engel ihn, zärtlich, aber genau. »Keiner wagte daran zu glauben, keiner«, beschwerte sich der Beichtende an seiner Brust.
Er beichtete weiter. Von Roxane, die keinen Sohn von ihm empfangen durfte. »Ich durfte ihr die Hochzeitsnacht nicht gewähren«, sagte er trostlos, doch stolz. »Dem Kleitos nicht und dem Hephaistion nicht, am wenigsten ihr. Ich tötete den Geliebten, dafür rächt sich die Gattin.«
Der Engel, der ihn verstand, streichelte ihn ernster und mitleidsvoller.
Die geflüsterte Konfession ging zu Ende. Alexanders Stimme, die matter wurde, gestand noch das sündhafte Sich-Verlieren an die unanständige Kandake, später an Bagoas, den süßen Zwitter, und die treulos unverzeihliche Entfremdung von Hephaistion.
Als er schwieg, sagte auch der Engel nichts mehr. »Und zuletzt habe ich noch deine Hände verwundet«, fügte Alexander nach großer Pause hinzu. Er legte seinen Mund auf die eingewickelten Hände. »Nun brauchst du nicht mehr zu antworten«, hauchte er noch. »Du hast dein Urteil ja schon vor der Beichte gesprochen. Ach, ich habe wesentlich gefehlt –«
Dieses reuevolle Wort hatte der bewanderte Engel noch aus keines Griechen Mund gehört. So fühlte er: dieser war reif. Und er verhieß ihm, sicherer als das erstemal: »Du wirst wiederkommen, in anderer Erscheinung.«
Alexander darauf, wißbegierig wie als Knabe im Brunnenhain: »Um das Reich aufzurichten, mein Engel? Um das Reich aufzurichten?«
Aber die Konturen des Engels mit den verletzten Händen lösten sich auf, vergebens griff Alexander nach ihm. Die Frage, die er mit der letzten Leidenschaft seines Lebens gestellt hatte, blieb unbeantwortet im Raum. Mit ihr blieb des Engels Verheißung, sein Segen.
Die Freunde und Bedienten, als sie wiederkamen, fanden ihren König in einem milderen Licht. Er lag ruhig da, besänftigt und fromm. »Tragt mich in die Gärten«, bat er sie. »Ich will die Soldaten noch einmal sehen.«
Die Soldaten weinten, nicht so sehr, weil sie merkten, daß er sterben mußte, sondern weil sie ihn so rührend und verändert fanden. Er lag zugedeckt und matt in seinem Sessel, jedem schenkte er sein letztes Lächeln. Einigen, die sich, ihm die Hand zu küssen, bückten, fuhr er zärtlich über Stirn und Haare.
Alle zogen vorbei: die Veteranen, soweit sie nicht nach Hause geschickt waren, und auch die Jungen, die er erst kürzlich gemustert hatte. Für alle hatte er, unter der müden gesenkten Stirn, einen verschwimmenden und fernen, aber guten Blick. Als er zu ihnen sprechen wollte, versagte die Stimme ihm. Mit einem mühsamen Lächeln hob er entschuldigend die Hand, die er immer nur befehlend gehoben hatte.
Hinter ihm die Generale wechselten ängstliche Blicke. Die Truppen lauschten noch, ob keine Worte kämen. Aber Alexanders Mund schwieg.