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Sieg

I

Sie opferten dem Zeus, der die Landungen schirmt, dem Herakles, schließlich der Ilischen Athene; dieser weihte Alexander alle seine Waffen, wofür er allerdings, in frommem, aber vorteilhaftem Tauschgeschäft, die heiligen Waffen ihres Tempelschatzes an sich nahm. Unter diesen fand sich der Schild, von dem man sagte, er sei der des Achill gewesen, den der König seinen Ahnherrn nannte.

An diesem Morgen verband enthusiastische Kameradschaft den Alexander mit seinen jungen Generalen, sowie mit seinen Soldaten, die ebenso jung waren. Alle liebten sich untereinander: sie waren alle nicht älter als fünfundzwanzig, auch das Jahr stand im Anfang – und der Feldzug würde groß werden.

Sie balgten sich wie die Buben; wer der Stärkste war, wurde mit Blumen geschmückt. Sie spürten die Sonne selig auf ihren Leibern und mit lustigem Frösteln den Wind, der vom Meer kam.

Am lautesten jubelten sie, als mit seinen Freunden der junge König aus dem Zelte trat. Ihre Kleider hatten sie drinnen gelassen, sie waren nackt: Alexander, Kleitos und Hephaistion, Koinos, Philotas, Krateros, Perdikkas. Die Armee raste, ihre Führer waren schön und stark wie die Halbgötter.

Ihre Körper waren im Gymnasion trainiert und braun geworden. Sie bewegten sich nackt noch freier und natürlicher als im ledernen Waffenrock; sie reckten sich, lachten, plötzlich warfen sie sich aufeinander und rangen. Zwei Paare waren im Kampf, die anderen schauten zu, applaudierten, ermunterten oder schalten, wenn einer gegen die Regeln verstieß.

Sie waren nicht umsonst junge Griechen, bald nahmen sie den Agon ernst. Der schmale Kleitos, der von unwahrscheinlicher Gewandtheit war, besiegte den jähzornigen und schwarzbehaarten, bärenstarken Philotas, worüber der mit den Zähnen knirschte; sein Vater Parmenion unterm grauen Bart knirschte mit. – Krateros, der zu vornehm sich an die erlaubten Griffe hielt, wurde, übrigens nach tapferer Wehr, von Perdikkas besiegt, der es nicht so genau nahm.

Nach dem Ringen gingen sie zum Diskuswerfen über, dann zum Laufen.

Alexander und Kleitos waren die beiden Schnellsten, so sollten sie sich zu zweit noch einmal messen. Die halbe Armee nahm leidenschaftlichen Anteil.

Es schien, als würde Alexander der Sieger werden. Er lief, das sah man, mit Anspannung all seiner Kräfte, keuchend, verfinsterten Blicks und die Kiefer auf einander gebissen. Kleitos, ganz mühelos, hielt einige Meter hinter dem König. Er überholte ihn erst kurz vor dem Ziel, Alexander merkte es, keuchte noch stärker, nahm seine letzte Energie zusammen. Keine Frage, es war zu spät, Kleitos hatte so gut wie gewonnen. Da, zwei Meter vorm Endpunkt, verlangsamte er seinen Lauf; im letzten Augenblick, die Menge schrie vor Erregung, ließ er den anderen doch noch als Ersten passieren.

Kaum die Nächststehenden hatten bemerkt, daß Kleitos den Alexander hatte siegen lassen; aus Mitleid oder Höflichkeit oder Spott; daß er selbst hätte siegen können, und zwar ohne Keuchen. Er stand schlau und fröhlich beiseite, während man den König mit feierlichem Zuruf begrüßte.

Alexander, der wußte, woran er war, dankte nur flüchtig, wobei er nicht wagte, den Kleitos noch einmal anzusehen. –

Überall wurde gerungen, gesprungen, gerannt. Viele waren ans Meer gelaufen, man hörte sie jubeln und johlen, wenn sie sich mit Wasser bespritzten. Sie umarmten sich, so überschwenglich war ihnen zumute vor Selbstvertrauen, Jugend und schönem Wetter.

Sie hatten sich, durch Politik und Zufall zusammengewürfelte Schar, noch nie so als Griechen, noch nie so begeistert als Gemeinschaft gefühlt. Der sie aber führte, der Jüngling, er war mehr als ein Mensch.

Sie sahen ihn, ihren Alexander, mit seinem Hephaistion umschlungen lustwandeln, da fanden sie wirklich, daß es Achill mit dem Patroklos wäre. Der Körper Alexanders war heller, muskulöser und elastischer als der des Hephaistion, der bräunlich, etwas weicher und mit einer Neigung zu lieblicher Schwerfälligkeit schien. Die beiden wandten sich erstaunt, als man plötzlich ihnen zujubelte. Hephaistion lächelte dankbar, denn er hörte, daß sie ihn Patroklos nannten, dabei errötete er und sah schamhaft zur Erde. Alexander, den sie mit enthusiastischem Schrei als Achill begrüßten, dankte ihnen, indem er festlich den Arm erhob, grüßte und lachte.

Freilich bemerkte den hastig-heimlichen Seitenblick niemand, mit dem er feststellen wollte, ob Kleitos die Szene beobachtete. Aber der saß irgendwo im Versteck, spielte mit Blumen und spann lügenhafte Geschichten. –

Nachts schliefen die meisten im Freien, viele paarweis ineinander verschlungen. Sie atmeten ruhig nach dem Tage, der herrlich gewesen war.

Ebenso ruhig atmeten in ihren Zelten die jungen Führer. Sie träumten von den märchenhaften Kriegen, auf deren Schauplatz sie heute zum Spiel gerungen hatten; mancher von ihnen verbarg, mit dem Dolche, den Homer unterm Kissen. – Sie träumten aber auch von den noch größeren Kriegen, deren noch märchenhaftere Helden sie sein würden.

Als einziger ruhelos richtete Alexander sich auf, starrte erbittert ins Dunkel.

» Warum hat er mich vorgelassen? Daß er mich besiegen kann, ist schlimm genug; aber daß er es nicht einmal tut – – – O Kleitos – Kleitos – –«

 

Zu Lebzeiten seines Vetters, des ebenso grausamen wie geschickten Artaxerxes Ochos, war Dareios Kodomannos erst Vorsteher des Postwesens, dann Satrap von Armenien gewesen. Nachdem der dämonische Zwitter Bagoas aus Ägypten erst den Großkönig Ochos, dessen Geschöpf und Liebling er war, dann seinen Nachfolger Arses ermordet hatte, bekam Dareios, der aus einer Nebenlinie der Achämeniden stammte, die Tiara. Seines Lebens einzige energische Handlung blieb, daß er den fetten und fürchterlichen Bagoas, als dieser bald nach seinem Regierungsantritt ihm den Giftbecher servierte, mit sanfter, aber unerbittlicher Höflichkeit aufforderte, ihn selbst zu trinken; was der wohl oder übel tun mußte. Nachdenklich-unbeteiligt schaute Kodomannos zu, wie das dicke Ungetüm vor seinen Augen in Zuckungen starb.

Dareios war melancholisch-idyllisch veranlagt, übrigens, wenn es darauf ankam, nicht zimperlich oder sentimental, vielmehr von einer ebenso stillen wie entschiedenen Grausamkeit, freilich ohne die Freude an ihr zu kennen, wie etwa sein Vetter Artaxerxes. Eher widerte es ihn an, wenn er bis zu Foltern oder Hinrichtungen gehen mußte; es bereitete ihm, statt Wollust, Ekel, wenn auch ziemlich vorübergehenden.

Er tröstete sich mit Blumen und gelehrten Gesprächen. Außerdem hing er sehr ehrfurchtsvoll an seiner Mutter Sisygambis, einer energischen alten Dame, die ihn ihrerseits etwas verachtete; und mit ritterlicher Zärtlichkeit an seiner hübschen und schwermütigen jungen Gattin, die ihm zwei Töchter geschenkt hatte.

Der Großkönig war keine majestätische Erscheinung, etwas gedrungen und beinahe klein, mit zu umfangreichem Kopfe, den er nachdenklich schief hielt; dazu sinnende, doch leere Augen von schönem Braun.

Er hatte als junger Mann kein angenehmes Leben gehabt, das Postwesen brachte viel Ärger mit sich, und als Satrap von Armenien war ihm das Bergvolk der Kardusier lästig gewesen. Da seine Widerstandskraft keine sehr große war, fand der Vierzigjährige sich schon müde; die Angelegenheiten seines enormen Reiches, das vom Indus bis zum Hellenischen Meer, vom Jaxartes bis zur Libyschen Wüste ging und das er beinah nicht kannte, interessierten ihn nicht allzu brennend. Die Satrapen ließ er schalten und walten, was sie unverfroren genug und zum bitteren Leidwesen der Bevölkerungen taten; im übrigen verließ er sich auf seine griechischen Söldner, mit deren Hilfe Artaxerxes schon den ägyptischen Aufstand besiegt hatte, und auf die Reitertruppen, die rauhere Länder ihm stellten.

Das plötzliche Einrücken von Philipps Truppen in sein Kleinasien hatte ihn recht enerviert und verängstigt. Den Schutz des Reiches übertrug er griechischen Söldnern, über diese den Oberbefehl dem Rhodier Memnon, dessen zähe Gewandtheit er schätzte. Nach kurzer Zeit durfte er aufatmen und dem Ahura-Mazda danken: Philipp wurde ermordet, die mazedonischen Truppen zogen davon.

Was wollte nun dieser Alexander, von dem man sagte, daß er sehr jung sei und sehr unheimliche Augen habe? Der Großkönig hatte eine unruhige Nacht; am nächsten Morgen berief er zur Konferenz seine Großen.

Er empfing sie in zeremonieller Aufmachung, freilich sehr bleich. Der fußlange, stark wattierte Rock, auf Taille gearbeitet, machte ihn plump und behindert; dazu die zylindrige Kappe, den Bart sorgfältig gekräuselt, schwere Ohrgehänge, in der Linken den vorgeschriebenen langen Stab, in der Rechten die Blume, mit der er nervös spielte.

Es waren, außer Memnon, verschiedene Herren von Einfluß gemeldet, die teils zum Hofstaat gehörten, teils irgendwelcher Geschäfte oder Vergnügungen halber vorübergehend sich in Babylon aufhielten: Arsites, der Satrap von Phrygien am Hellespont, Spithridates, Satrap von Lydien und Ionien, Atizyes von Großphrygien, Mithrobuzanes von Kappadokien, Omares, der, aus alter Familie stammend, für besonders vornehm galt. Sie rasselten herein, schwarzbärtig, purpur- und goldstarrend; den obligaten Fußfall vor Dareios deuteten sie mehr an, als daß sie ihn ausführten; nur Memnon, der Grieche, berührte mit einer demonstrativen Ausführlichkeit den Boden vor den Füßen seines Herrn mit der Stirne, wozu dieser sich nervös räusperte.

Der Großkönig hatte eine merkwürdig flüchtige und zerstreute Manier, seinen Räten mitzuteilen, worum es sich handele, was diese, die natürlich Bescheid wußten, mit teils besorgten, teils höhnischen Seitenblicken untereinander feststellten; Memnon allein, die zerfurchte Stirn gesenkt, verhielt sich hochmütig und völlig unbeteiligt. – »Kurzum, dieser junge Mazedone bedroht mein Reich«, schloß plötzlich der Monarch seine Ausführungen mit überraschender Ungeduld.

Hier erlaubten seine Räte sich, zu widersprechen. Von »Bedrohen«, meinten sie streng, könne doch wohl keineswegs gesprochen werden. Vielmehr handele es sich um einen jungen Eindringling von zwar bemerkenswerter Frechheit, aber ohne alle anderen Hilfsmittel. Man müsse ihm, das freilich sei Ehrensache, schnell und energisch beweisen, was das heiße: in persisches Gebiet unverschämt einzufallen.

Der selbstgefällige Vortrag seiner Kavaliere schien den König schnell zu langweilen und zu ermüden; er nickte und schwieg, manchmal schaute er besorgt auf Memnon, der an der Lippe nagte, das gelbe, bartlose Gesicht sonst unbewegt hielt, unnahbar zur Erde sah.

Nach endlosen Redensarten, die Persiens Größe im allgemeinen zum Gegenstand hatten, kam man endlich zum praktischen Teil der Debatte: zu der Schlacht, die dem Alexander zu liefern war, welche Truppen zu verwenden seien, welches Terrain man für das günstigste halte. Hier griff endlich auch Memnon ein, er brachte scharfe und exakte Vorschläge, bald beherrschte und leitete er alleine die Diskussion. Daraufhin wurde auch Dareios lebhafter. Erst als das Problem auftauchte, wem der Oberbefehl zu übertragen sei, verstummte der griechische General wieder. Nach einer Pause von durchdringender Peinlichkeit war es der Großkönig, der mit unsicherer Stimme den Memnon vorschlug; aber die anderen widersprachen sofort.

Einem Ausländer, gaben sie aufgeregt zu bedenken, das Kommando über eine Armee, die die nationale Ehre verteidigen solle, anzuvertrauen, ginge denn doch zu weit. Memnon, der wußte, daß man ihn haßte, blickte wieder eisig unbeteiligt, nagte an der Unterlippe und schwieg.

Schließlich kam als Resultat zustande, daß verschiedene Generale gemeinsam den obersten Befehl übernehmen sollten: außer Memnon Arsites, Spithridates und andere mehr.

Memnon nahm mit einer kurzen Handbewegung an, doch der König schien mißmutig: er hatte zu keinem als zu dem wortkargen, eleganten und schlauen Griechen Vertrauen. –

Am selben Tage wurde, um dem Volk zu zeigen, daß man bei Hofe bester Laune war, vom Großkönig eine besonders glänzende Ausfahrt unternommen: er erschien in weiten Purpurhosen, die Tiara vom Edelsteindiadem umwunden. Seiner verzierten Kutsche voraus trabten hundert ledige Pferde, ihr folgten hundert andere, nebenher liefen die Sklaven.

 

Am Granikos-Fluß findet sich Alexander der persischen Macht gegenüber. Er beschließt schnellen Angriff.

Bei ihm wird der alte Parmenion vorstellig; er warnt: die Übermacht des Feindes sei bedeutend, man spräche von zwanzigtausend Reitern, ebensoviel griechischen Söldnern, Fußsoldaten; das Terrain, mit den steil abfallenden Flußufern, sei für den Angreifenden denkbar ungünstig.

»Folgt meinem Rate!« schließt der zugleich markige und vorsichtige Greis. »Verzögert diese erste und entscheidende Schlacht!«

Alexander, ganz gespannte Ungeduld, gierig nach der ersten Entscheidung, winkt ab, hochmütig, ungeduldig: »Ich habe den Hellespontos bezwungen, werde ich also dieses Bächlein fürchten?« – Der in Ehren Ergraute, der diese Erwiderung unsachlich und deshalb kränkend findet, zieht sich beleidigt zurück. –

Drüben ist es Memnon, der vom Gefecht abrät. Sein Instinkt spürt, daß Alexander, energiegeladen, wie er heute ist, den Sieg ertrotzen wird, gegen jedes Terrain. In ein paar Wochen, berechnet der Grieche, wird dieser Draufgänger matter sein.

Aber seine Vorsicht verspotten die persischen Offiziere. Das fehlte noch: abzuwarten, sich zurückzuziehen! Der Mazedone sollte sie kennenlernen, es sei hohe Zeit. – Zu solchen Redensarten senkte Memnon hochmütig die Augenlider. Gegen seinen ausdrücklichen Rat wurde obendrein, nur aus Gründen der nationalen Eitelkeit und Prahlerei, die persische Reiterei nach vorne, ganz ans Ufer gestellt, während die griechischen Söldner ihren Platz weiter hinten bekamen; –

Alexander selbst leitete den mazedonischen Angriff, man erkannte ihn drüben am weißen Helmbusch, der flatterte. Er und seine jungen Soldaten kamen durchs reißende Wasser mit Schlachtgesang, hinter ihnen lärmten siegesgewiß die Trompeten.

Er und seine jungen Soldaten schrien vor Freude am Kampf. Sie waren noch ebenso lustig wie vor ein paar Tagen beim Spielen, nur von einer wilderen Lustigkeit, die todesbereit war.

Von den steilen Ufern kamen die Pfeile und Wurfgeschosse ihnen entgegen, fünfundzwanzig mazedonische Reiter fielen beim Angriff.

Aber mit so enthusiastischem Ungestüm nahmen das abschüssige Ufer die anderen, daß die persische Übermacht mit Entsetzen zurückwich. Auf dem glitschig nassen Boden der Böschung wurde der Nahkampf immer fürchterlicher. Viele stürzten ins Wasser, dessen schmaler Lauf sich mit Leichen füllte.

Wo Alexanders weiße Feder war, verdichtete sich am ingrimmigsten der Kampf; krumme Schwerter der Perser und leichte Speere der Mazedonen fuhren ineinander, verschränkten sich zum beweglichen Dach und Gitter, das Schatten spendete über den erhitzten Häuptern der Ringenden. – Alexander lachte im heroischen Übermut, denn die Waffe zersplitterte ihm mittendurch; ein Offizier warf ihm, als spielten sie Ball, seine zu.

Mit der stieß der König den persischen Reitergeneral vom Roß, der ihm, vor Wut lauter schnaubend als sein dampfendes Tier, entgegengesprengt kam. Ihn zu rächen, setzte auch schon ein klirrender Kamerad heran. Alexander empfing ihn mit seinen sausenden Hieben.

Er hatte das ausgeliehene Schwert noch in der Wunde des Zweiten, als schon der Dritte hinter ihm den Säbel schwang. Er merkte, direkt über sich, etwas Krummes aufblitzen; ehe er erschrecken konnte, stürzte es schon. Mit der Waffe fiel der Mann, der sie geschwungen hatte. Alexander sah ihn seitlich vom Roß sinken, wobei er rauh brüllte, mehr zornig als klagend, fast schimpfend. Es war der, der ihn beinah getötet hätte, nun quoll ihm schwärzliches Blut aus der Stickerei seines Kleides.

Er aber, der dem Tod entkommene Alexander, spürte eine Hand auf seiner Schulter, deren Druck er kannte: er war zärtlich und fest. Er gehorchte ihm, ließ sich willenlos aus dem Gewühl geleiten. Er dachte träumerisch, während er ritt: diese Hand ist bräunlich und muskulös; ziemlich mager, mit edlen, festen Gelenken, hellen Nägeln, die spitz zulaufen. Nun hat sie mir also das Leben gerettet.

Als er in des Kleitos' Gesicht sah, war es voll eines Ernstes, so gesammelt, so undurchdringlich, wie ihn Alexander nur einmal in ihm gefunden hatte: in jener Nacht, da das verhängnisvolle »Du störst mich sehr« gesprochen worden war. »Was begibt sich hinter dieser Stirne?« dachte leidend der Gerettete.

Er sagte gleichzeitig – schon außerhalb des dichtesten Kampfes, aber es surrten doch noch Pfeile um sie herum –: »Du hast mir das Leben gerettet. Wie möchtest du, daß ich dir danke?«

Kleitos, mit einem Neigen der Stirn, plötzlich wieder ganz schalkhaft, galant, mit dem unbegreiflichen, hundertfach deutbaren Lächeln:

»Du dankst mir, Alexander, indem du lebst.«

 

Den fünfundzwanzig im Angriff gefallenen Reitern wurden Bronzestatuen von Lysipp gegossen. Nach Athen kamen dreihundert vollständige Rüstungen als Weihgeschenk für die Pallas Athene.

Seiner Armee dankte Alexander hingerissen, weinend vor Glück. »Mit diesem Sieg ist die Macht des Großkönigs bis zum Tauros vernichtet. Das ist der Anfang, meine Freunde, jetzt sind wir unwiderstehlich.«

Seinen strahlenden Worten antworteten Jubel, Freudengesang und ein Regen von Blumen.

II

Memnon, als Grieche und als Aristokrat, haßte den Alexander mit einem persönlich bitteren, schmerzenden Haß. Für ihn war er nichts als der halbe Barbar, der revolutionäre Emporkömmling, dessen Auftreten Unordnung bringt. Auch konnte er seinem Vater und ihm den Tag von Chaironea nicht verzeihen, am wenigsten die Gnade, die man damals gegen Athen geübt hatte und die er als demütigend empfand, während die ordinärgewordene, demokratische Stadt sich noch schön bei den nachsichtigen Siegern bedankt hatte.

Zu Syrphax, dem Chef der persischen Besatzung in Ephesos, sagte er verächtlich: »Schwärmerische wie diese haben immer das Unglück gebracht, wenn sie sich in die Welt der Tatsachen wagten. Nach ihrer Diktatur kommt das Chaos. – Ich bin für die kleinen Tyrannen«, sagte er und sah den Syrphax beleidigend an. »Die halten Ordnung.«

Es war klar, daß er seine neuen Freunde verachtete; diese aber merkten es nicht. Sie klammerten sich an Memnon als an einen Retter; denn ihre Macht fing allerorts zu wackeln an. Mit Alexander kam ein Sturm von neuem Freiheitsgefühl über das Land, das so lange unterdrückt gewesen war. Ionien erwachte, die persisch orientierte Oligarchenherrschaft schien, dank dieses fürchterlichen Mazedonenknaben, abgewirtschaftet zu sein.

In Ephesos trieben die Herren es noch so amüsant wie möglich; Memnon, mit einer bitteren Lustigkeit, machte mit. Der heilige Schatz der Artemis wurde geplündert, Philipps Bildsäule umgeworfen, besudelt, dazwischen wohnte man Auspeitschungen, Hinrichtungen bei.

Störenderweise kamen täglich die unangenehmsten Nachrichten: Sardes, Residenz der Satrapie Lydien, hatte dem Eroberer, der im Zeichen der Freiheit erschien, die Tore geöffnet, Mithrines selber, persischer Befehlshaber der Besatzung, kam mit den Honoratioren vor die Stadt, den Eindringling feierlich zu empfangen.

»Das Volk hat gejubelt«, erzählte Memnon im Kreise von Syrphax und seinen Freunden. Man grinste verächtlich. Hier hörte man das Volk nur noch wimmern und sich beklagen.

Ein Unglücksschlag nach dem anderen für die Herren in Ephesos: Tralles und Magnesia hatten sich freiwillig ergeben, überall wurde das Aristokratenregiment abgeschafft, in Chios und auf der Lesbischen Insel.

»Wir sitzen inmitten eines Erdbebens«, sagte Memnon, dessen Gesicht immer gelber wurde. Er nagte an der Unterlippe, dabei starrte er verbittert vor sich hin. »Noch dazu ist alles dies überflüssig«, behauptete er mit einer leidenden Hartnäckigkeit. »Die Granikosschlacht wäre zu gewinnen gewesen. Persische Eitelkeit hat alles verdorben –«

Was nützten seine Feststellungen den kleinen Gewaltherrschern, die im Erdbeben saßen? Sie fühlten sich recht schauerlich in ihrer Haut. Memnon hatte noch die Energie, zu spotten, aber seine Freunde lachten nicht mehr. Es wurde in den Straßen von Ephesos unruhig. Der Sturm nahte –

»Alexander soll ja so schön sein«, behauptete der gelbe Memnon mit einem Sarkasmus, den seine Genossen in dieser Situation unangebracht fanden, »daß sogar die fliehenden Feinde sich nach ihm umdrehen müssen, wenn er hinter ihnen her ist. Es wird also reizend für euch werden, ihn kennenzulernen.«

Er selbst reiste ab, nach Halikarnaß, wie es hieß.

Syrphax traut sich kaum mehr auf die Straße, nun jubelt schon der Pöbel von Ephesos, wie der von Sardes gejubelt hat: man weiß, daß die mazedonische Armee sich im Anmarsch befindet.

»Der Befreier kommt!« jubelt der Pöbel. Syrphax zittert und schluchzt in seinem Palast, der von Johlenden umlagert ist. »Das ist nackte Revolution«, wimmert der kleine Herr, der den Kopf so unerbittlich aufrecht getragen hatte: »Hilft mir Persien nun nicht? Ich habe immer im Interesse des Großkönigs gehandelt.«

Da Persien nicht hilft, flieht er nächtens in den Artemis-Tempel, den er noch vor einigen Tagen geplündert hat. Das Volk ist nicht zur Frömmigkeit aufgelegt, man reißt ihn vom Altar. Fliegen nicht Steine? Sie sind gut gezielt, der kleine Tyrann sinkt zusammen. Man lacht über seine letzte komische Zuckbewegung; in dieses Gelächter mischt sich ein größerer Lärm, ein Jubeln.

»Der Befreier ist da!«

An der Spitze der Reiterkolonne, der Jüngling auf dem weißen Roß, ist so mit Blumen beschüttet, daß man ihn fast nicht erkennt. Er reitet ohne Helm, sein lockig weiches, rotblondes Haar wirft er manchmal mit einer trotzigen Gebärde aus der Stirne. Von diesem Haar schwärmen die Weiber, die Blumen werfen. »Es hat einen Purpurschimmer«, flüstern sie selig. »Und wie jung er aussieht. Er hat einen Mund wie ein Kind. Und so weiche Backen.«

»Aber sicher kann dieser Mund auch ganz streng werden«, flüstern ehrfurchtsvoll andere, »sicher ganz fürchterlich. Das merkt man an seinen Augen.«

 

Er huldigte der Göttermutter mit großem Opfer, das war seine erste Handlung in Ephesos, seine ganze Armee mußte in Gala dabei sein. Vorher freilich war er lange Stunden allein bei ihr gewesen.

Er wußte mehr von ihr als die meisten, die sie angebetet hatten. Die Geschichte ihrer Heiligkeit verlor sich bis ins ehrwürdige Dunkel Ägyptens. Bis dahin hatte Olympias ihn geführt, wo die Jungfrau, welche die Griechen Artemis nennen, mit der asiatischen Mutter identisch wird, die ihren Geliebten und Sohn verliert, beweint und auferstehen sieht. Der ephesischen Gottheit fühlte der Sohn der Olympias sich doppelt und geheimnisvoll verwandt, da sie in der Nacht seiner Geburt mit so furchtbarem Zeichen zu ihm geredet hatte. Das Feuer, mit dem sie sich in jener Nacht hatte schmücken und verzieren lassen, verband sie für immer dem Alexander.

Der stand lange mit ihr Auge in Auge. Zwischen ihnen schien eine stumme Zwiesprache von großem Inhalte sich zuzutragen. Wurde hier ein Auftrag erneuert, feierlich wiederholt, noch einmal gegeben? –

Das Porträt, das Alexander von Apelles sich anfertigen ließ, weihte er dem Tempel der Göttin. Es stellte den jungen Sieger in glänzender Geste dar, wie er den Blitz in der Hand schwingt. Die Geste aber, mit der er es überreichte und aufstellte, war demütig.

Er weilte regierend und ordnend in Ephesos einige Tage. Jedem, der mit Anliegen zu ihm kam, gab er Gehör; ihn fesselte, interessierte, bis ins Detail, alles.

Wenige Tage nach dem großen Opferfeste brach der König mit seiner Armee nach Milet auf.

Er berichtete seiner Mutter:

»Seit meinem Aufenthalt in Ephesos und dem Besuch bei der Großen Mutter fühle ich mich stärker denn je.

Kleinasien jubelt mir zu, man war der persischen Herrschaft so überdrüssig. Es erfüllt sich, Olympias, es erfüllt sich!«

 

Nach der Eroberung von Milet löste Alexander die Flotte auf; so verzichtete er auf eine Auseinandersetzung mit Persien zur See. »Auf dem Meere könnten sie uns überlegen sein«, erklärte er seinen Vertrauten, als er ihnen vom Entschluß Mitteilung machte. »Unseren Siegeszug darf nicht der Schandfleck einer Niederlage stören. Ich will Land erobern, Land befreien, nicht Wasser.«

Um so wichtiger wurde Halikarnaß in Karien, das den Eingang zum Ägäischen Meer beherrschte. In diese berühmte und feste Stadt hatte sich der Rest der persischen Macht in Kleinasien gesammelt.

Am Eingang des karischen Reiches erwartete ihn schon eine lebhafte und überschwenglich veranlagte Dame, die Fürstin Ada, die behauptete, rechtmäßige Herrin des karischen Landes zu sein, durch ihren tückischen Verwandten Othontopates, der zur Zeit gegen Alexander rüstend in Halikarnassos sitze, schmählich betrogen.

Fürstin Ada war so beispiellos geschwätzig, daß einem jeden, der sie hörte, der Atem verging. Sie trug kostbare, übrigens etwas schlampige Kleider, hatte ein angeregtes, aristokratisches Hammelgesicht mit langer Nase, wässerig hellen Augen und einem plappernden Mund. Sie betrachtete den König Alexander sofort und ganz selbstverständlich als ihren Befreier und Ritter, wofür sie ihm schon vorher schwatzhaft dankte.

»Ihr seid zu liebenswürdig«, schwärmte sie gleich, da sie ihm vorgestellt wurde. »Diese Burschen haben mich kujoniert.« – Und sie erzählte ihm, so zusammenhängend sie's konnte, ihre ebenso traurige wie komplizierte Familiengeschichte.

»Ich hätte dran kommen müssen!« rief sie als Abschluß ihres verflochtenen Romans, der die Schicksale ihrer Väter, Cousinen und Tanten behandelte. »Ich kam auch einige Monate, aber dann setzte mein Bruder Pixodaros mich ab. Ewige Götter, was für ein Schurke! Euer gewandter Vater wollte ihn ja mit seinem trotteligen Arrhidaios gehörig hineinlegen. Nun, schließlich starb auch Pixodaros, glaubt Ihr, nun wäre ich zu meinem Rechte gekommen? Othontopates holte sich, was mir zukam; mir gab er: was? Die Bergfestung Alinda! Die Bergfestung! O ihr ewigen Götter!«

Über diese Bergfestung konnte die Ada sich gar nicht trösten, immer wieder rief sie »Alinda!« und hob die Augen trostlos gen Himmel. – Naiv und herzlich vertraute sie dem jungen Helden sich an, der aus Pella aufgebrochen war, eigens um ihr zu helfen und das Recht zu verschaffen.

Alexander fand sie drollig und liebenswürdig, das unbedingte Vertrauen, das sie in ihn setzte, schmeichelte ihm ein wenig; so behandelte er sie mit leicht ironischer Zuvorkommenheit. Sie ihrerseits ließ es sich nicht nehmen, ihn mit Geschenken und Leckereien zu überhäufen, täglich sandte sie Schüsseln, Körbchen und Näpfe voll Zuckrigem und Gebratenem, Eingemachtem und Frischem, rosigem und stachligem Obst, Süßem, Parfümiertem, Buntem, ölig Fettem, Zartem, Nahrhaftem, Überraschendem. – Alexander amüsierte sich und ließ kokette Danksagungen überbringen.

»Ich glaube, die will mich heiraten«, sagte er grinsend zu Hephaistion, während er an einem Mandelgebäck nagte. Sie hatte es ausgefallener vor, sie wollte ihn adoptieren. Diesen Einfall fand er so närrisch, daß er ja zu ihm sagte. »Mütter kann man nie genug haben«, meinte er und ließ sich von ihr Stirn und Wangen küssen. –

Übrigens benutzte er seine Beziehungen zu ihr auch politisch: nun konnte er behaupten, für ihre Rechte zu kämpfen, wenn er Halikarnassos angriff.

 

Hinter den Mauern der Stadt schaltete und waltete Memnon energischer und klüger als Othontopates, der offizieller Befehlshaber war.

»Wir müssen diese Stadt bis zum Letzten, Allerletzten halten«, verlangte er immer wieder, wenn er sich mit den Führern, Ältesten und Ingenieuren über die Abwehrmöglichkeiten besprach. »Sie ist mit ihren drei Burgen fast uneinnehmbar. Vergeßt nie, daß sie unsern letzten Stützpunkt in Kleinasien bedeutet; den letzten Stützpunkt der Ordnung«, warnte er sie. »Wenn der fällt, wird die Überschwemmung nicht mehr aufzuhalten sein.«

Sie war unaufhaltsam, alle Graben und Befestigungen, die Memnon anlegen ließ, nutzten nichts. »So soll er nichts anderes als einen Schutthaufen erobern«, sagte der Unversöhnliche. Er ließ die Stadt anzünden, zog sich mit Othontopates und den Truppen auf die Königsburg-Insel zurück.

»Das ist die zweite griechische Stadt, die für ihn brennt«, stellte er mit einer grausamen Genugtuung fest. »Erst Theben, nun Halikarnaß. So beweist sich der Befreier Griechenlands. Hier, seine Freiheit«, dabei deutete er höhnisch über das Flammenmeer. »So hat er sie gewollt. Sie ist Chaos.«

»Ist das die Freiheit, die ich bringen wollte?« dachte Alexander, der zwischen zusammenkrachenden Gebäuden Einzug hielt. »Die zweite Griechenstadt, die für mich brennt – –«

Immerhin beherrschte er Karien, die Ada bekam ihre Satrapie wieder. Sie weinte vor Glück und umarmte mehrfach und innig ihren Retter und Sohn, in dem sie sich nicht getäuscht hatte; er ließ ihr sogar die Einkünfte der Provinz, die stattlich waren.

»Du bist gut!« schluchzte sie immer wieder. »Du bist so gut, Alexander!« Er nickte nachdenklich, beinah traurig. Trotzdem schien es ihm wohlzutun, daß sie so lebhaft plapperte und so unbedingt an ihn glaubte.

 

Er konnte es sich sogar leisten, diejenigen seiner Soldaten, die neuvermählt waren und zu Haus junge Weiber hatten, nach Mazedonien und nach Griechenland zu den Geliebten zu schicken, was viel Anlaß zu Scherzen und saftigen Neckereien gab.

Parmenion wurde angewiesen, mit einem Teil der Truppen nach Sardes zu ziehen, wo er überwintern sollte. So war der Alte zunächst ausgeschaltet. Alexander selber brach ins Innere Kleinasiens auf, Lykien zu nehmen, das seit des Kyros Zeiten persisch war.

In wieviel Städten reitet er auf dem weißen Bukephalos durchs blumengeschmückte Tor? Wie oft empfingen ihn Blumenregen, Jubel der Männer und Buben, verliebtes Geraune der Weiber: »Wie jung er aussieht. – Hat einen Mund wie ein Kind und so weiche Backen. – Schau, er trägt keinen Helm; was für lockigreiches, rotblondes Haar. Schau, er wirft es mit einer so schönen trotzigen Bewegung aus der Stirn. – Man kann ja beinah sein Gesicht nicht sehen, so ist er mit Blumen zugedeckt. – Hast du gehört? Sein Gesicht soll so schön sein, daß die fliehenden Feinde sich nach ihm umwenden müssen, wenn er hinter ihnen her ist. – Aber die Augen sieht man doch, zwischen den Blumen –«

Gab es für ihn noch Gefahren? Der Anschlag, den ein düsterer junger Mann, Alexandros der Lynkestier, Schwiegersohn des Antipatros, von Persien hoch bestochen, gegen ihn führte, wurde entdeckt. Die Soldaten jubelten. »Den Götterliebling treffen keine Dolche!«

In den kleinen Städten, die sich ihnen ergaben, feierten sie Freudenfeste. Sie zechten und hatten Frauen bei sich, nachts zog Alexander mit den Freunden singend auf den Marktplatz, das Bild eines griechischen Dichters, des Theodektes, mit Blumen zu schmücken.

Warme Nacht, sie schickte ihnen aus ihrer schönen Dunkelheit warmen Regen, der ihre Haare, ihre Gesichter naß machte. Sie umarmten sich, sie legten ihre nassen Gesichter gegeneinander.

III

Memnon berichtet an den Großkönig in Susa.

»Die Siege Alexanders auf dem Festlande sind unbestreitbar. Ich hoffe, daß Euere Majestät in diesem Punkte wahrhaft unterrichtet worden sind. Tatsächlich ist Sagalossos gefallen, Kelainai, Residenz der phrygischen Satrapen, hat sich freiwillig ergeben.

Bei alle diesem handelt es sich um die zufälligen Erfolge eines dreisten Abenteurers, dem man durch eigene Fehler leider nur zu sehr das Spiel erleichtert hat. Wie die Dinge liegen, ist sein Untergang am sichersten, lassen wir ihn im Innern Kleinasiens noch ein wenig siegen und erobern, während wir uns an der Küste zurückholen, was er schon an sich gebracht. Auf diese Weise schneiden wir ihm die Verbindung mit Mazedonien ab.

Gleichzeitig wäre es ratsam, die Zahl unserer Agenten in Griechenland zu verstärken. Auf die Dauer ist Alexanders Situation unhaltbar, wenn die Gehässigkeit im Mutterland gegen ihn zunimmt. Sparta scheint vor dem Aufstand zu stehen. In Athen wird man übellaunig, denn Alexander behandelt die erlauchte Stadt mit weniger Rücksicht, als es sein Vater getan. Erst eben hat er die athenische Bitte, die Gefangenen von Granikos freizugeben, ohne jede Begründung glattweg abgeschlagen.«

Sein Bericht war prägnant und ausführlich, auch ehrlich, im Gegensatz zu dem, was die Hofleute schrieben; seine Vorschläge leuchteten ein. Dareios, der mit dieser Affäre bald zu Ende zu kommen wünschte, um sich seinen idyllischen Neigungen wieder hingeben zu können, entschloß sich, Memnon große Vollmacht zu geben, zum bitteren Verdruß der persischen Aristokratie.

Memnon wurde Oberbefehlshaber der Flotte.

Seines Lebens große Situation war gekommen, er nutzte sie mit leidenschaftlicher Energie. Sein Gesicht, das faltig und verfallen gewesen war, straffte sich; es war immer noch gelblich, aber um zehn Jahre verjüngt. Ehrgeiz und Haß machten seinen Gang elastisch.

Er wußte sich isoliert, mit seinen Plänen und Erwägungen allein. Die Perser, die ihn umgaben, wollten ihm übel. Der einzige, der eine Art Vertrauensstellung bei ihm genoß, war Pharnabazos, sein ziemlich unbedeutender Neffe.

Seinen groß angelegten Intrigen und Machenschaften sowie der drohenden Majestät seiner Flotte gelang es, Chios, Lesbos, viele andere Städte für Persien wiederzugewinnen. Mytilene allein widerstand noch.

Er beschloß die Belagerung dieser Stadt.

Am dritten Tage fühlte er sich fiebrig werden. Etwas an ihm ließ nach, er verstand nicht, woher diese Mattigkeit und Gelähmtheit kamen. Sie mußten Vorboten schwerer Krankheit sein. Hatte ihn einer aus seiner Umgebung vergiftet, ein von Alexander Bestochener oder ein höfischer Widersacher? Hatten höhere Mächte diese schwere Übelkeit geschickt? So waren die höheren Mächte dem Alexander günstig gesinnt. – Dieser Gedanke beunruhigte Memnon am meisten.

Am nächsten Morgen war er unfähig aufzustehen, ihn peinigten Schüttelfröste, jede Bewegung, sogar klares Denken tat weh. Er bat seinen Neffen Pharnabazos ans Lager. Den Onkel so verändert zu finden, war der gute Junge völlig verdutzt; schließlich fing er sogar zu weinen an, was den Kranken ungeduldig machte. »Weine nicht!« sagte er barsch, »ich sterbe in einigen Stunden.«

Hinter seiner Stirne, die so viel gedacht hatte und von Falten tief durchzogen war, arbeitete es noch einmal. »Wenn ich Mytilene noch erobert hätte, wäre dieser Mazedonenjüngling verloren gewesen. Es wäre sein Ende, sein Ruin geworden. Ich sterbe ihm gerade zur rechten Zeit.«

Nach einer gramvollen Pause sagte er noch: »Wenn mich einer von diesen Persern vergiftet hat, ist es ein Zeichen der Götter, daß sie zum Untergang reif sind. Reif, reif, reif –«, schrie er und warf gepeinigt den Oberkörper. »Nun widersteht dem Einbruch dieses Barbaren keiner mehr. So wie ich ihn hasse, kann kein Asiate es tun, nur ein Grieche. Er ist Griechenlands Feind mehr als der Persiens. Er vermischt alles, er bringt alles durcheinander. – Wir aber waren die Reinen.«

Er lag zurückgesunken, sein quittegelbes, vornehmes und zerarbeitetes Gesicht ruhte schmerzlich. Das Kinn ragte spitz, der Mund schien greisenhaft einzufallen. Nur an den dunklen leidenschaftlichen Augen sah man, daß er immer noch dachte, so unerbittlich und leidenschaftlich wie je.

Als Abschluß dieses letzten großen Gedankenganges sagte er leise: »Er hat Glück, dieser Alexander. Die Götter geben ihm Glück.« Mit einer traurig nach vorn sinkenden Stirn, hoffnungslos, aber stolz: »Ich war der Letzte, den er zu fürchten hatte.«

Mit einer müden und resignierten Feierlichkeit wandte er sich wieder dem Neffen zu, der angstvoll lauschte. »Ich ernenne dich zu meinem Nachfolger«, sagte er matt. »Versichere den Großkönig meiner Treue und Anhänglichkeit – –«

 

Den Alexander erreichte die Nachricht vom Tode seines bedeutenden Widersachers in Gordion. Sie stimmte ihn nicht lustig, eher feierlich. Jeder neue Gunstbeweis der Götter erschütterte ihn fast bis zu Tränen. Er teilte in gehobenen Ausdrücken die neue Gnade seiner Mutter mit.

»Die geheimnisvollen Götter, zu denen du für mich betest, haben meinen schlimmsten Feind vertilgt. Sie begünstigen mich mit ihrer großen Huld, um des Auftrages willen, in dessen Sinn ich mich zu handeln mühe.«

An diesem Tage zeigte man ihm in der phrygischen Königsburg den heiligen Wagen, in dem Midas unters Volk gefahren war, so daß man, dem Orakel zufolge, seine Göttlichkeit hatte erkennen dürfen. Man wies ihm auch, an der Wagendeichsel, den Knoten, der aus dem Baste vom Kornelkirschbaum unlösbar geflochten schien, weder sein Anfang noch sein Ende war sichtbar. Dieser Knoten, hieß die Prophezeiung, müsse von dem gelöst werden, der über Asien Herr sein wolle.

Alexander beugte sich über ihn, er prüfte ihn mit zusammengekniffenen Augen; er fingerte an ihm herum, schließlich schnupperte er sogar, wie er roch. Er roch etwas faulig; ein alter Knoten, zäh in sich verfilzt. Er fühlte sich vor Alter klebrig an, wenn man ihn fest anpackte, mußte er auseinanderfallen wie ein bißchen Asche. Ihn zu lösen freilich wäre eine häßliche Mühe gewesen.

Mit einer nachdenklichen und zerstreuten Gebärde nahm Alexander sein kurzes Schwert aus der Scheide; er stocherte und spielte mit der Spitze des Metalls in der etwas unappetitlichen Masse herum, plötzlich, niemand war darauf vorbereitet, schnitt er zu; der Knoten zerbröckelte und zerfiel.

Die Stadtväter, die die Führung leiteten, wollten entsetzte Augen machen. Alexander aber verneigte sich leicht wie nach einem geglückten Kunststück, und er zeigte sein strahlendstes Lächeln.

»So hat sich die Prophezeiung erfüllt – –« Da liefen und trippelten die Alten, um ihrem Volke von dem Wunder Mitteilung zu machen. –

In Gordion vereinigten sich die verschiedenen Abteilungen des mazedonischen Heeres: Parmenion kam aus der Winterrast von Sardes mit seiner Abteilung, die Neuvermählten kehrten von ihrem Vergnügungsurlaub zurück, mit ihnen eine große Zahl Neuausgehobener, dreitausend zu Fuß, sechshundertfünfzig zu Pferd.

Während das große Lager sich zum Aufbruch rüstete, hatte Alexander im Zelt schwerwiegende Konferenzen. Es ergab sich die Notwendigkeit, eine neue Flotte zu schaffen, um mit dem Mutterlande Verbindung zu halten, denn Mytilene hatte sich doch noch dem Pharnabazos ergeben, die Intrigen des Memnon wirkten nach.

»Athen wird sich weigern, uns Schiffe zu liefern«, gab der sorgenvolle Parmenion zu bedenken. Jemand warf ein: »Sie sind vertraglich verpflichtet.« Der Alte schüttelte den Kopf: »Trotzdem.«

Alexander war es, der die Diskussion abschnitt. »Ich werde Befehl geben, alle aus dem Pontos kommenden Handelsschiffe aufzuhalten, zu besetzen und als Kriegsschiffe einzurichten.«

Die erlauchte Stadt mit Samthandschuhen anzufassen, war er keineswegs gesonnen. Er schaute brutal und siegesgewiß um sich. –

Es war Frühling. Alexander brannte darauf, neue Entscheidungen zu erzwingen, die endgültig sein würden. Mit ihm warteten, so brennend wie er, seine Truppen.

Er führte sie durch Kappadokien, jenseits des Halys, auf Tarsos, auf Anchiale zu; sie besetzten unterwegs die Landschaft Kilikien.

Die Leistungen, die seine Ungeduld forderte, waren oft ungeheuer. Jeden Morgen erwachte er mit der gleichen Besessenheit: »Wir sind gestern nicht weit genug gekommen. Wir müssen heute weiter, weiter, viel weiter.« An diese Parforcemärsche mußten sich die Neugeworbenen erst gewöhnen. Man legte nachts die größten Strecken zurück, denn tags gab es schlimme Hitze, man war am liebsten im Wasser, wenn man nicht schlief.

Sie schrien immer noch vor Glück, wenn sie in den eiskalten Flüssen planschten. Der Feldzug hatte immer noch nicht zu lange gedauert, die großen Abenteuer standen immer noch bevor, Babylon lag in seiner fetten Pracht, sie erwartend.

Wenn Alexander ihre braunen Körper sah, konnte er nicht allein und in Kleidern bleiben; er warf sie ab, denn er gehörte zu denen, die sich anspritzten und jubelten. Er gehörte zu ihnen, er war einer von ihnen, nichts als ihr enthusiastischer Kamerad. Er war zwanzig Jahre alt, wie sie, braun wie sie, muskulös wie sie, ihm wuchsen die Haare wie ihnen. In einem Rausche von Gemeinschaftsgefühl vergaß er alles, was von diesen ihn trennte, die Erfahrungen, Ehrgeiz, selbst die Leiden. Seine Sehnsucht, nichts als junger Mann unter jungen Männern zu sein, teilzuhaben an ihrem Bunde, der ihm herrlicher und frischer als der Bund zwischen Mann und Frau schien, war stärker als alles. – So sprang er zu ihnen ins Wasser.

Diesmal rächte es sich, denn er war erhitzt, das Wasser aber eisig gewesen. Er wurde sehr krank. Sein Fieber stieg so beängstigend hoch, daß man an seinem Wiederaufkommen zweifelte und im Heere Panik auszubrechen drohte. Er hatte mit ihnen gebadet, nun starb er – –

Sein Arzt war ein junger Inder, der Philippos genannt wurde und den der König sehr liebte. Wenn er ihm die Medizin brachte, lächelte Alexander dankbar und freundlich, sogar an dem Tage, da er halb benommen war. Wenn der bräunliche und sanfte junge Mensch an seinem Lager saß, schlief er leichter und schöner. Vor allem waren dann die Träume angenehmer. Denn Alexander fürchtete seine Träume.

»Ich erlebe schlafend oft so ekelhaftes Zeug«, erzählte er in mitgenommenem Zustand dem jungen Heilkundigen, der ihn morgens besuchte. »Heute nacht stand ich an einem Fluß, unter glühender Sonne. Aus dem Fluß stiegen Jünglinge – wie alt mochten sie sein? Nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre, einige vielleicht erst fünfzehn –; ich beneidete sie, denn sie schienen zu frieren. Sie waren mager und braun, auf der Brust, auf Armen, Rücken und Schenkeln hatten sie leichte Gänsehaut, so lange waren sie im Wasser gewesen. Kennst du das? Wenn Jungen zu lange im Wasser gewesen sind, bekommen sie rührend bläuliche Lippen, die zittern. Dazu haben sie verfrorene, große Augen, rührende. Ja, so standen die Kinder da, ganz schmal und schnatternd.

Ich aber hatte ein dickes Purpurkleid an, ich war ganz eingeknöpft in lauter heißen, prallen Purpur. Darum war mir so heiß. Auch mein Kopf war feierlich eingewickelt. Der Schweiß lief mir über Nacken und Stirne, ich schwoll an vor Hitze, ich wurde unterm Staatsgewand immer dicker. Eine geblähte, schweißtriefende Purpurperson stand ich den schmalen Braunen gegenüber. Schließlich platzte ich wohl. Es war scheußlich.«

Er schwieg angewidert. Der Inder mußte lange bei ihm sitzen, bis er beruhigt war.

Alexander lächelte auch an dem Morgen, als ihn ein Brief vor dem Gelehrten gewarnt hatte: er sei bestochen und wolle ihn mit dem Heiltrank ermorden. Der Brief war von keinem Geringeren als Parmenion selber, der behauptete, über die bösen Absichten des Doktors genauest informiert zu sein und für das Leben seines Königs zu fürchten. Alexander überließ dem Verdächtigten den Brief zur Lektüre, während er selber das Gebräu schlürfte, das angenehm nach Kräutern schmeckte. Philippos wollte sich mit erregten Gesten verteidigen, der König zwischen seinen Decken und Tüchern lachte und winkte ab.

»Da Parmenion mich vor dir warnt«, sagte er lustig, »wirst du mich ganz sicher gesund machen.«

Er schlief gut, war am nächsten Tag beinah genesen. –

Sie nahmen Tarsos, dann Anchiale, das von Sardanapal erbaut war. Auf dem Standbild des Assyrerkönigs fanden sie die Inschrift:

»Anchiale und Tarsos hat Sardanapal an einem Tage gegründet. Du aber, Fremdling, iß, trink, liebe. Was sonst der Mensch hat, ist nicht der Rede wert.«

Diese Inschrift schien den Alexander sehr zu beschäftigen; er ging den Rest des Tages nachdenklich umher.

 

Die Nachricht vom Tode des Generals Memnon versetzte den Großkönig in allertiefste Verwirrung; nun wußte er überhaupt keinen Ausweg mehr. Er saß nur noch und schüttelte den Kopf, dabei liefen ihm Tränen über die großen Backen.

So fand ihn seine Mutter, die rüstige Sisygambis, sie spottete derb: »Ein schöner König!« – dabei deutete sie sogar mit dem Finger auf ihn. Sie erinnerte ihn streng an die Tatsache, daß er ein Achämenide war. »Das Blut des Kyros fließt in deinen Adern!« rief sie drohend. Er schüttelte den lastenden Kopf, betrübt und ungläubig. »Ach ja –«, sagte er sorgenvoll.

Immerhin berief er einen Rat seiner Großen. Er gestand ihnen ein, daß er nicht mehr wisse, was tun. Die schwarzbärtigen, klirrenden Herren zeigten sich entschlossener: Was zu tun war? Eine riesengroße Schlacht war zu liefern, die dem Fremdling endlich die Vernichtung brächte, und zwar mit einem Schlage, wie er's verdiente. Die Armee stand bereit, sie zählte nach Hunderttausenden: die persische Reiterei, die griechischen Söldner warteten, der König der Könige brauchte sich nur an ihre Spitze zu stellen. Seine Gegenwart, riefen die Schwarzbärtigen klirrend, würde begeistern und mutig machen, es konnte nicht wie am Granikos gehen.

Der König, sanft, vornehm und resigniert, lauschte und nickte. Daß seine Person eine Armee begeistern und zum Siege führen könne, schien ihm unvorstellbar und wunderlich; aber er hörte gern, wenn sie's sagten. –

Was Dareios in der Nacht vor dem Aufbruch zum Heere wirklich geträumt hatte, erfuhr keiner. Er erwachte verstört. Offiziell wurde gemeldet, er habe das mazedonische Lager in Flammen gesehen, eine etwas lächerliche Erfindung, die man nur aus Höflichkeit ernst nehmen konnte.

Scheinbar hochgemut, in Wahrheit aber deprimiert bis zum Nervenzusammenbruch, reiste er ab, in Begleitung des großen Harems, der Eunuchen, Stummen, Köche, Wahrsager sowie der königlichen Damen.

Er begrüßte die Armee mit etwas matter Rede. »Wir müssen siegen; denn das Recht ist bei uns«, sagte er traurig. Daraufhin stieg er wieder in die Kutsche, über der üppig der Baldachin schwankte. Bei ihm saßen seine Mutter, die ihn wegen der verunglückten Ansprache auszankte, seine Gattin und seine zwei Töchter, deren ältere Stateira hieß.

Die schwerfällige und buntgemischte Menschenmasse, die sich die Armee des Großkönigs nannte, schleppte sich langsam vom Euphrat aus gegen Syrien.

 

Nach der Niederlage floh Dareios Kodomannos unbewaffnet, im zerfetzten Kleid auf einer Stute gen Osten; floh, floh, floh vor Alexander über Onchai, Thapzakos, bis hinter den Euphrat. Er klagte und lallte, in seinem überanstrengten Kopf, der im Galoppritt wackelte, taten die wirren, schmerzlichen Gedanken weh.

»Dieser schauerliche Alexander hat übernatürliche Kräfte, ich habe es an seinen Augen gesehen. Wenn diese Augen mich nicht so angeschaut hätten, ach, dann wäre diese Schlacht nicht verloren gewesen; denn dann wäre ich nicht geflohen.

Weil diese Augen mich angeschaut haben, geht mein Königreich unter«, dachte er wirr. »Daß ich wendete, war der Anfang der Katastrophe. Das Zentrum löste sich auf –«

Sinkender Abend, windige Nacht, grauer Morgen hörten sein verzweiflungsvolles Geschwätz. Mitleidige reichten ihm den Krug mit Wasser, das Brot. Man erkannte ihn nicht. Er war, auf seiner Stute, ein plappernder, gestörter Alter mit großem Kopf, der mit krankhafter Eile gen Osten ritt. –

Alexander inzwischen besichtigte die königlichen Schätze, Zelte und Vorräte sowie den Harem, alles, was man in Damaskus zurückgelassen. Auch die Königin-Mutter sowie die Königin samt den Prinzessinnen waren seine Gefangenen.

Die argwöhnische alte Dame sah sich das Schlimmste bevorstehen, in eisiger Ruhe war sie darauf gefaßt, von mindestens zehn mazedonischen Offizieren vergewaltigt zu werden. Statt dessen kümmerte man sich um die hohen Frauen fast gar nicht. Alexander hatte knappen Befehl gegeben, ihnen alle Bequemlichkeiten zu lassen, mit ausgesuchter Zuvorkommenheit sie zu behandeln. Er selber machte ihnen nicht einmal Visite.

Er und seine Freunde hatten Spaß mit den Schätzen, die sie in den königlichen Zelten gefunden hatten. Sie probierten die edelsteingeschmückten Prunkgewänder, schnupperten an den Salben, ließen sich in den goldenen Schüsseln servieren.

Alexander stellte sich den Kameraden im Festkleid des Großkönigs vor, sie jubelten, klatschten und lachten. Zum Scherze ließ er sie vor sich niederfallen. Als sie vor ihm den Boden mit den Stirnen berührten, wurde er plötzlich ernst.

 

Dareios wurde von seinen Reitern und Generalen eingeholt, fast gefangen. Sie brachten ihn zu sich, mehr barsch als verehrungsvoll erinnerten sie ihn an das, was er war, was er sich und der Nation schuldig sei. Unter ihrem Einfluß verfaßte er eine Note, die mit den Worten begann:

»Der König der Könige, der Achämenide, Sohn des Ahura-Mazda, des Sonnengottes, Dareios Kodomannos – an Alexander, den Mazedonen.«

Im Laufe des Schreibens legte er in bitteren und schmerzbewegten Worten dar, was der Eindringling ihm angetan; wie er, durch nichts gereizt, Ruhe, Friede und Wohlergehen seines großen und schönen Reiches zerstört habe. Da aber die Götter in ihrer unergründlichen und oft so schwer verständlichen Weisheit die große Schlacht für ihn, Alexander, entschieden hätten, sei er bereit, als König mit dem Könige, von gleich zu gleich mit ihm zu verhandeln. Er möge ihm erst seine Damen, an denen er so innig hänge, wiedergeben, dann wäre auszumachen, unter welchen Bedingungen das mazedonische Heer Gebiet räumen wolle, das ihm nicht zukomme.

Auf dieses friedlich-ahnungslose Angebot hin erhielt der arme Großkönig eine Antwort, die überschrieben war: »König Alexander von Mazedonien, Sohn des Philippos, der Heraklide – an Dareios«, und die mit dem strahlenden Satz begann:

»Da ich so Herr über Asien bin …«

Es hieß kurz und bündig, daß an eine Verhandlung »von gleich zu gleich« nicht zu denken sei. Wolle Dareios sich dem Alexander nahen, so nur, wenn er ihn als seinen Herrn unbedingt anerkenne. Tue er das nicht, so müsse man noch einmal die Schlacht entscheiden lassen. – Was seine Damen betreffe, so möge er selber kommen, sie sich zu holen und gleichzeitig vor seinem Herrn den Fußfall zu tun. –

Dareios, der diese Erwiderung las, saß lange reglos, nur den Kopf schüttelnd.

IV

Alexander hatte die Gewohnheit angenommen, bei entscheidenden Besprechungen oder auch allein, nachdenkend, die Hände auf den Rücken gelegt und mit geducktem Kopfe im Räume auf und ab zu rennen; nur bei den abschließenden Worten stehenzubleiben, unter gesenkter Stirn seine kurzen Sätze zu formulieren.

Im Zelt auf und ab rennend sann und beschloß er.

»Wollte ich nach den Wünschen meiner Offiziere, meiner Armee handeln, nützte ich den großen Sieg unmittelbar aus, indem ich nach Babylon aufbräche.

Ich darf es nicht. Ich brauche die phönizischen Handelsstädte. Ich brauche vor allem Ägypten.«

»Ich brauche Ägypten«, sagte er laut, dabei blieb er mitten im Raum stehen. » Es gehört meinem Reich

Die Ahnung, die vor ihm aufstieg, war so groß, daß er die Augen schließen mußte. Er sah »das Reich«, dessen östliche Grenze sich im Ungewissen verlor; war Griechenland mitsamt Mazedonien mehr als ein Anhängsel an seiner Herrlichkeit? Sein Herz aber lag in Ägypten; man zog durch eine Wüste, tief drinnen fand man das Heiligtum. Von dorther kam der Segen, die Bestätigung.

»Von dorther kommt die Bestätigung.« –

Alexander befahl seine Generale zur Audienz. Er setzte ihnen, was zu geschehen hatte, knapp auseinander; sie lauschten betroffen.

Die wichtigsten Handelsstädte hatten sich schon ergeben: Sidon, Arados, Byblos. Sie waren es, die Herren zu wechseln, gewohnt, hatten hintereinander unter assyrischem, babylonischem, persischem Regiment gestanden. Immer hatte man ihnen die Möglichkeit gelassen, Geschäfte zu treiben, üppig zu leben und im Purpur zu sitzen.

Renitent blieb Tyros, das sich als Inselstadt für uneinnehmbar hielt.

Die Belagerung dauerte mehrere Monate.

 

Nach der Eroberung von Tyros und der Feste Gaza besuchte Alexander, nur von kleinen Scharen begleitet, das jüdische und das samaritische Land, wo ihm Wunderliches geschah. Denn hier begrüßte ihn ein Priester, der Jaddua hieß und gravitätischer schien als alle Zauberer und Beschwörer, die bei Olympias aus und ein gegangen. Er hob die flachen Hände, wiegte den Kopf, seine Sprache war näselnde Litanei.

Was er sagte, ging dahin, daß Alexander der sei, dessen Kommen die Heilige Schrift so oft geweissagt und verkündigt hatte; der von Jehova gesandt war, von persischem Joche zu befreien das erwählte Volk. – Dem Alexander, der mit höflichem Ernst lauschte, gefiel diese Rede ausnehmend. Gewohnt, die Gottheit, deren Wesen Geheimnis war, in jeder Form und Maske zu erraten, glaubte er gern auch an diese, die unsichtbar blieb, aber fürchterlich streng und eifersüchtig sein mußte.

Unter exakten Anweisungen des Priesters opferte er dem Geheimnisvollen in seinem Tempel; es war in einer Stadt, die Jerusalem hieß. –

Seit der Issos-Schlacht war ein Jahr vergangen. Endlich war man, nach Ägypten aufzubrechen, bereit.

Es zeigte sich, daß hier kein Kampf nötig war. Das Land ergab sich jedem, der von persischer Tyrannis es befreien wollte. Es lag in majestätischer Starrheit, die nichts mehr dachte als täglich wieder die uralten, frommen und festgesetzten Gedanken. So wartete es des Helden, der mit dem geschwungenen Schwerte kommen würde. Da er kam, eilte der Satrap Mazakos ihm entgegen, feierlich angetan und in großer Begleitung. Er überließ dem jungen Fremden mit den strahlenden Augen Memphis ohne jedes Hindernis.

Als Alexander im Ptah-Tempel dem Apisstier opferte, weinte und jubilierte das Volk auf den Straßen vor Freude, sie glaubten, ihr Erlöser sei gekommen: der vorige Herr, Artaxerxes Ochos, hatte das gebenedeite Tier mit dem Schwerte durchstoßen, anstatt ihm zu opfern.

»Er ist wiedergekommen!« riefen sie auf den Straßen. »Unser Erlöser ist wiedergekommen!«

Er trat auf die Terrasse, wo ihn alle sehen konnten. »Ich bin wiedergekommen!« rief er und hob die Arme.

Jaddua, der Priester des Unsichtbaren, hatte ihn erkannt, nun erkannte ihn auch das Volk dieser heiligen Stadt.

»Ich bin wiedergekommen!« rief er über das Volk hin; so verkündigte er ihm die frohe Botschaft seiner Gegenwart.

Seine Gegenwart, sein Einzug in Memphis sollte festlich im Gedächtnis bleiben; große Spiele wurden angeordnet, griechische Künstler und Kämpfer waren schon unterwegs. »Es soll einen griechisch-ägyptischen Wettkampf geben!« ließ er verkünden. »Ein riesenhaftes Spiel zur Einweihung des Reiches, das ich gründe.«

Das Volk antwortete ihm: »Er ist wiedergekommen!«

Übrigens blieb Alexander in der königlichen und heiligen Stadt nur wenige Tage. Es war ein entlegener und geheimnisvoller Ort, der ihn anzog.

 

Über ihre Beziehungen zu dem sehr verborgenen Gotte Amun-Re, den die Griechen Ammon-Zeus nannten, hatte Olympias oft flüchtige, doch unvergeßliche Andeutungen gemacht. »Grüße die Gottheit Amun von mir!« war eines ihrer Abschiedsworte gewesen; wobei sie, wie Alexander mit Liebe und leichtem Grauen sich erinnerte, ihr hintergründig spöttisches Lächeln und den saugenden Blick von unten gehabt hatte. » Er weiß alles«, hatte sie noch hinzugefügt.

Alexander rechtfertigte diesen Ausflug, zu dem es ihn geheimnisvoll unwiderstehlich lockte, vor den anderen und vor sich selbst mit Gründen der politischen Schlauheit.

»Unser Reich«, erklärte er den Generalen beim Abschied, »das über die Grenzen griechischer Polis hinauswächst, braucht einen mehr als nationalen Schutzherrn. Deshalb suche ich die griechisch-ägyptische Gottheit.«

Denn auch von den Griechen war Amun, der in der Oase hauste, zu allen Zeiten verehrt worden. Glaubwürdigen Berichten nach waren sowohl Perseus als Herakles Gäste seines Heiligtums gewesen, auch vom Delphischen Orakel war mehr als einmal die Weisung gekommen, vor allen anderen Göttern dem Ammon zu gehorchen, ihn zu befragen, ihm zu Willen zu sein.

»Dieser Zug ist sehr in unserem Interesse«, schrieb Alexander an seine Mutter, bevor er aufbrach.

Die Reise durch die Libysche Wüste war lang und beschwerlich, ihnen flog ins durstende Gesicht loser Sand, es fand sich kein Grasplatz zum Ruhen, kein Brunnen, um aus ihm zu trinken, um unter ihr auszuschlafen keine Palme.

Die klugen Ägypterknaben, die die Führung hatten, unterhielten den König mit allerlei frommen Märchen und Anekdoten, die er von Olympias her teilweise kannte. Er hörte wieder, wie Osiris von seinem mißgestalteten Bruder hereingelegt worden war; die bewanderten jungen Leute rezitierten ihm den ganzen umfangreichen Klagegesang der Isis; schließlich schilderten sie auch recht anschaulich ihre Seligkeit, da sie ihn wieder hatte.

Sie wußten auch Geschichten, die lustig waren; zum Beispiel, wie Isis, die überaus Wortgewandte, den altgewordenen Sonnengott Ré überlistete. Sie berichteten von allerlei heiligen Tieren, ihrem Einfluß und ihrer Macht; dann, mit grauenerfüllter Andacht, vom Totenreich, von seinen wunderlichen, aber strengen Sitten und Gebräuchen; auch von den Hilfsmitteln, Amuletten und Zaubersprüchen, mit denen man sich vor Übeln beschützt.

Alexander erkundigte sich, forschte und fragte; er war von unersättlicher Neugier. Wie war das mit dem Himmel über ihren Häupten? Man konnte ihn als enorme ehrwürdige Kuh betrachten, auf der die Göttlichen sich häuslich eingerichtet hatten, andererseits aber war er ein riesiges Weib, das täglich unter Wonnen und Qualen Sonne, Mond und Sterne gebar.

Alles mischte sich, vieles ging geheimnisvoll durcheinander. Auch die großen Götter waren oft nicht voneinander zu unterscheiden.

Wenn es Abend wurde, sprachen die gescheiten Jünglinge mit Wehmut von den Zeiten, da die Pharaonen noch in gottbegnadeter Herrlichkeit über das Nilland regiert hatten, um im Allerheiligsten das Hohe Wesen anzubeten. Wie lange, sagten die unterrichteten Knaben betrübt, wie sehr lange waren diese Zeiten dahin und wieviel grausame Fremdherrschaft war seither über das Reich des Osiris gekommen. Nun war es zu spät geworden, man lehnte sich nicht mehr auf. »Unser Land ist alt«, sagten die jungen Knaben mit Wehmut.

Um sie von ihren Kümmernissen abzulenken, fragte Alexander wieder nach dem Amun, zu dessen Heiligtum sie unterwegs waren; sie erzählten, wie er auf geweihtem Kahne vom Lande der Äthiopen zum hunderttorigen Theben gekommen, wie lang war es her; wie in Theben seine Macht und Herrlichkeit stark angewachsen sei, vor allem, da er im Laufe der Zeiten eine gewisse hochzeitliche Verquickung mit dem Ré eingegangen; wie er von Theben nach der heißen Wüste zog, um auszuruhen in der Oase, und dem suchenden Fremdling, wenn er würdig war, sich zu offenbaren in rätselhafter Gestalt.

Was konnten die Führerknaben, wenn sie auch noch so klug und melancholisch waren, über das eigentliche Wesen des vielnamigen Gottes sagen? Es war unergründlich. Sie meinten, er sei auch dem Zeugungsgotte Min von Koptos verwandt; es zeigte sich aber, daß sie ihn mit allem und jedem verwandt meinten, vor allem auch mit dem Osiris. Seine Gemahlin war Mut, die höchst Zauberkundige und Gute, die im mondsichelförmigen Teiche wohnte; beider Sohn war kein anderer als der Mondgott.

Über so viel frommen, freilich nicht immer klaren Gesprächen und Untersuchungen verloren sie Richtung und Pfad. Da es keinen Weg gab, nur heißer, hassenswerter Sand wehte, glaubten sie sich beinah verloren. Aber der Geheimnisvolle selber sandte ihnen große, weiße Vögel, die krächzend und wegweisend vor ihnen herflatterten. So hatten sie keine Angst mehr, im Kreise zu gehen. Es fiel auch gutes Wasser vom Himmel, der blau und wolkenlos blieb; sie empfingen es mit dankbar aufgemachten Mündern, denn sie waren am Verdursten gewesen.

Am selben Tage erreichten sie die Oase, wo friedlich Olivenbäume und Dattelpalmen gediehen. Das Heiligtum lag in schöner Ruhe, in seiner Nähe flossen Quellen, die voll heilsamen Salzes waren.

Zur Ziegelmauer, die den Gebäudekomplex umgab, führte, breit und sonnenbeglänzt, der Gottesweg, den Tier- und Sphinxfiguren einfaßten. Alexander verbat sich Begleitung; er ging mit andächtig gesenktem Haupt allein die Straße hinunter, stand allein vor dem Tor, das zwei breite Türme flankierten.

Der ihm öffnete, war ein verhüllter Diener, der sich tief vor ihm bückte. Im säulenumgebenen, weiten Vorhofe erwartete ihn der Hohepriester, der im Schauen Große, ganz und gar Eingeweihte, Psammon.

Der junge König neigte sich über die gebrechliche Hand, sie zu küssen. Über ihm sagte die uralte und erfahrene Stimme, die behindert durch den weißen Bart kam: »Der Gott grüßt dich, mein Sohn.«

 

Der hintere Saal, für intimere Veranstaltungen bestimmt, war mit bunten Zeichen und Symbolen ausgemalt, auch voller Figuren; Alexander verstand nicht eine von ihnen.

Psammon, der ihm Früchte und Getränke vorsetzte, sagte mit dem nachdenklichen Blick, den alte Verwandte haben, wenn sie Familienähnlichkeiten konstatieren: »Du hast die Augen deiner Mutter, mein Sohn.«

Alexander fragte, ehrlich erschrocken: »Kanntet Ihr denn meine Mutter?« Worauf der Greis lächelnd nickte.

Verwundert schwieg Alexander. Dann erkundigte er sich, ob er Fragen stellen dürfe, wogegen der Alte nichts hatte. Als erstes wollte, mit etwas heuchlerischem Interesse, der König wissen, ob »alle Mörder seines Vaters bestraft seien«.

Da geschah es, daß der Hohepriester mit dem Finger drohte. Sein weises Gesicht spielte in tausend Fältchen, wer hätte gedacht, daß es so zärtlich-neckisch werden könnte. »Ei, ei, mein Sohn«, drohte er mit ehrwürdiger Koketterie, »du weißt recht wohl, daß deinem Vater kein Sterblicher etwas anhaben könnte. – Der Mörder des Philipp aber ist bestraft«, fügte er kälter hinzu.

Bei dieser unmißverstehlichen Andeutung war Alexander vor Freude errötet, dann lachte er, beseligt, etwas verlegen dabei.

Seine nächste Frage war offener und unverfrorener; sie lautete: » Werde ich alles wissen?«, – wobei seine Augen glühten. »Oh, du bist neugierig«, meinte väterlich-scherzhaft der im Schauen Große. Alexander dehnte sich wollüstig. » Grenzenlos«, sagte er nur.

Der Alte, dessen eingefallener Mund immer noch lächelte, erkundigte sich mit tiefer und prüfender Nachdenklichkeit im Blick: » Wozu willst du wissen, mein Kind?« Und Alexander, enthusiastisch, mit gebreiteten Armen, Glanz in der Stimme: »Um zu erlösen, mein Vater.« Der Eingeweihte darauf, ganz still, wie für sich:

»Du lügst.«

Alexander schien es zu überhören, sein gierig leuchtender Blick verlangte immer noch Antwort. Psammon zögerte, er sagte, schon wieder scherzhaft: »Aristoteles hat dich manches gelehrt.« Worauf der Jüngling ungeduldig die Schulter rückte: »Der wußte selbst nichts«, – wie ein trotziger Schüler.

Der Hochbejahrte schaute in eine Ferne, die verhangen schien. Nach einer Pause großen Nachdenkens sagte er schließlich mit flüchtigem Lächeln – denn er wußte nun schon, was kam –: »Lassen wir das bis später. Frage weiter, mein Kind.«

Alexander fragte nicht mehr, er forderte, und zwar so laut, daß der Tempel dröhnte: »Gib mir die Herrschaft der Welt, o Vater! Gib mir die Herrschaft der Welt!«

Seinen Worten hallte Echo nach, als habe er in einen Abgrund gerufen; es tönte und sauste. Gleichzeitig schien es dunkler zu werden.

Er fühlte auf sich, da er noch gereckt und zitternd stand, den Blick des Hohenpriesters, der sich mit Mitleid füllte. Aber als Psammon antwortete, war er schon nicht mehr bei Alexander, sondern weiter hinten, an der geschmückten Wand, wo die zweiflügelige, eherne Tür vor dem geheimsten Tempel geschlossen war. Das war der Greis mit den lustigen Fältchen nicht mehr, dessen metallische Stimme den gewölbten Raum nun mit einer Musik ohnegleichen füllte. Alexander, der schon zusammenbrach, hörte die Worte:

»Dir, dem Menschensohn, Sprößling meiner Lenden, übertrage ich die Königswürde des Ra und des Horus. Dir gebe ich Tapferkeit und Macht über alle Länder und Religionen, Einblick in jedes Geheimnis und deinem Arme Kraft, alle Völker zu schlagen. Ich verheiße dir«, rief die Stimme, die nicht die des Psammon war, denn sie kannte kein Mitleid, »alles Leiden und alle Herrlichkeit dieser Welt –«

Sprangen die ehernen Türflügel auf, oder öffnete sich die Wand? Aber man sah nichts vor Glanz. Ein Leuchten brach ein, das dem Liegenden die Sinne nahm. Es versengte ihm Stirn und Augen. Es beglückte und folterte ihn, bis er hinsank.

So wurde er für Herrlichkeit und Leiden geweiht.

 

Alexander verließ Ägypten, nachdem er, nahe dem Meere, sieben Stadien entfernt von der Insel, die Homer das Robbeneiland nennt, eine Stadt gegründet und Alexandrien getauft hatte.

V

Er war verändert von dieser libyschen Exkursion zurückgekommen. Die Älteren klagten, vor allem Parmenion: er sei unzugänglich, hochmütig wie nie; die Art gar, wie er über seinen Vater, den großen Philipp, redete, nannten sie unverzeihlich. Die Jüngeren meinten, in diesen Tagen ginge ein Glanz von ihm aus, wie nicht einmal damals in Troja. »Der Gott hat ihn mit aller seiner Gunst gesegnet«, erzählten sie sich andachtsvollgedämpft. »So ist er wahrhaft sein Sohn.«

Vor der Schlacht bei Gaugamela am Flusse Bumodos schlief er so gut und ausführlich, wie er seit seiner Kindheit nicht geschlafen hatte. Da man ihn weckte, hatte er das ausgeschlafene, weiche und bereite Gesicht eines Knaben, der zum größten Abenteuer entschlossen ist, denn er weiß sich von seinem Engel begleitet. Er sandte Botschaft an seine Mutter: »Ich fühle, daß Du in diesem Augenblick an mich denkst, Olympias. Ich schlage die große Schlacht!«

Elastisch, wie je, trat er vor seine Truppen; die Ansprache, die er ihnen zurief, war begeisternd. »Diese Schlacht«, verkündigte er und hob klirrend den Arm, »ist unsere letzte bei unserem Ringen und Werben um Asien. Es geht nicht mehr um den Besitz Syriens oder Ägyptens, es geht um die Herrschaft über den unendlichen Orient!«

Er war so schön, daß sie sich zuflüsterten: diesen habe kein Sterblicher gezeugt, das Gerücht müsse wahr sein, ihr König sei des geheimnisvollen Zeus-Helios Sohn.

Das gegürtete Oberkleid, das er trug, war von sizilianischer Arbeit; darüber der linnene Doppelpanzer, bei Issos erbeutet. Der Helm von Eisen schimmerte wie reinstes Silber, auch der eiserne Halskragen, mit Edelsteinen besetzt. Das kurze Schwert, hart, leicht, gefährlich, ein Geschenk des Königs von Cypern. – Alles an ihm war ein Funkeln. Die Truppen dankten seiner Schönheit, indem sie jubelten, da sie für ihn sterben sollten.

Drüben hatte Dareios seine letzte Macht aufgeboten; man wußte, daß aus den entlegenen Satrapien seines Reiches mehr als eine Million Menschen zusammengekommen waren, 40 000 Pferde, viele hundert Streitwagen, die mit blitzenden Sensen fürchterlich wirkten. Mit ihren Herren waren baktrische und sogdianische, turkestanische, medische, gedrosische und persische Scharen eingetroffen.

Was den Truppen Alexanders hier gegenüberstand, war nicht mehr eine Armee gemieteter Söldner, es war Volksheer; freilich schien, der es führte, ermattet, schon ehe der Kampf begann. Während der Mazedonenkönig den Jubel seiner Soldaten empfing, die er seine Kameraden nannte, ritt Dareios, von den Fürstlichkeiten begleitet, seiner Truppen endlose Reihe ab. Sie wagten nicht zu jubeln, sein Prunkkleid blendete sie. Stumm und in ihr Schicksal ergeben, füllten sie die ebene Landschaft, als seien sie für nichts anderes bestimmt, bis hinüber zum Horizont.

Der Großkönig sagte Worte, die ermunternd sein sollten; aber die wenigsten kannten seine Sprache, sie verstanden ihn kaum. Sie hielten, schicksalergeben und blöd wie das Schlachtvieh, ihre fremden Gesichter hin; lange Reihen gelber Gesichter; lange Reihen schwärzlicher, kaffeebrauner Schlachtviehgesichter mit starken Backenknochen, Schlitzaugen, zottigen kleinen Barten; andere mit Wulstlippen und traurig golden schimmerndem Blick.

Dem Dareios verging der Mut zu weiterer Ansprache; er wandte sich und blickte hilfesuchend seine Generale an. Bessos, Satrap von Baktrien, böser kleiner Geselle mit durchdringenden Augen, ergriff für ihn das Wort: er schmetterte schneidige Redensarten über das Menschenmeer hin, das unbewegt blieb. Dareios schaute traurig dazu; wenn sein Offizier besonders siegesgewisse Sätze schleuderte, nickte er mit dem schweren Kopf melancholisch Bestätigung.

Die Mazedonen griffen mit Besessenheit an, der Zustand, in dem sie sich befanden, war Raserei und Verzückung. So glühend hatten sie ihren Alexander noch nie geliebt. Es gab auf Erden keinen anderen Wunsch mehr, als in seiner Nähe zu sterben.

Mit dem triumphierenden Alala!, den vorstarrenden Spießen überrannten sie das persische Zentrum, dann den linken Flügel; am rechten hätte Parmenion, der sich lahm und apathisch befand, beinah alles verdorben. In entscheidendem Augenblick, da Alexander mit seiner Elite schon hinter dem planlos fliehenden Großkönig selber drein war, kamen die atemlosen Abgesandten des schläfrigen alten Generals: Parmenion brauche Hilfe, sonst sei alles verloren. Alexander antwortete schroff und nervös: ob der Alte wahnsinnig sei, daß er glaube, mitten im Kampf könne das Zentrum Kräfte entbehren?

Trotzdem sandte er sie; inzwischen war der Großkönig über alle Berge.

 

Die Stadt Babylon, Nabel des Orients, Beherrscherin der aramäischen Tieflande, Winterresidenz des Großkönigs, übergab, nach dem beispiellosen Sieg von Gaugamela, der Satrap Mazaios dem Mazedonenkönig ohne einen Schwertstreich. Mit Blumengewinden erwarteten ihn vor der Mauer die ältesten Bürger der Stadt sowie die reichsten; bei ihnen, auf ihren bunten kleinen Eseln, die Chaldäer von Borsippa, welche die Zukunft kennen.

Sie zogen durchs Ischtartor, die mit Tierbildern geschmückte Prozessionsstraße zum Palaste, der sie mit schwarzen Statuen feierlich erwartete. Um sie herum: nichts als Blumen und das verantwortungslose Freudengeheul der Menge, die den neuen Herrn begrüßte. Die Weiber reckten sich auf die Zehenspitzen und winkten verliebt; sie sahen, daß von diesen Soldaten viele sehr schön waren, beinah alle sehr jung, besonders schön vor allen anderen der Jüngling an ihrer Spitze, mit den weiten, strahlenden Augen, der nicht lachte, wenn Blumen ihm ins Gesicht fielen, nur wunderbar um sich schaute. – Neben ihm, der Weichere, Dunklere, mit dem freundlichen Blick, erschien manchen ebenso begehrenswert; er mußte der Liebling des jungen Königs sein, denn er hielt sich eng an seiner Seite.

Die babylonischen Männer mit den hübsch gekräuselten Bärten schwenkten vor lauter Herzenslustigkeit ihre hohen, bunten Filzhüte und die langen, glatten Spazierstöcke, deren Griffe mit Lilienknospen, fein geschnitzten Vogelköpfchen verziert waren. Sie freuten sich wie die Kinder, weil ein neues Abenteuer ihnen widerfuhr: ein neuer Herr; und er konnte, da er jung war, nicht schlimm sein.

Vor zwei Jahrhunderten hatte ihre Stadt Kyros erobert; wie vielen Fürsten hatte sie vorher gehorcht. –

Alexander hielt sich während der ersten Tage nach dem Einzuge nur im Schlosse oder in den Gärten auf, die zu ihm gehörten und deren breite Terrassen blumenüberladen zum Euphrat hinuntergingen. Er saß wie festgezaubert in dem Palaste, auf den alle Straßen dieses Landes zuliefen, der magnetischer Mittelpunkt eines riesenhaften und komplizierten Systems von Poststationen, Stafettenläufern, eilenden Kutschen war. Er diktierte Befehle und empfing Gesandtschaften. Eine Geste, die das Entzücken der Bevölkerung, in seiner näheren Umgebung aber Erstaunen, sogar Entsetzen erregte, war, daß er den Satrapen Mazaios in seiner Stellung beließ: »Ich bin nicht gekommen, um zu kränken oder zu zerstören«, setzte er auseinander. Er fügte herrschsüchtig hinzu: »Ich bin gekommen, zu befreien und froh zu machen.« Wobei er mit geduckter Stirn auf und ab lief.

Er ließ die größten Architekten der Stadt zu sich bitten und erteilte ihnen den Auftrag, die Heiligtümer babylonischer Gottheiten, die Tempel der Anu, Enlil und Ea, der Schamasch, Ischtar und Sin, die Xerxes hatte zerstören lassen, neu herzurichten; auch den siebenstufigen Bau des Bel-Marduk-Tempels, der, weil vom Stadtgott bewohnt, der allerheiligste war.

Er empfing die Priesterschaften, begrüßte sie überströmend und bewirtete sie mit Pomp. »Sagt unserem Volke«, schloß er die Rede, die er an sie richtete, »der Dienst seiner Götter solle so frei und prunkvoll wiedererstehen wie zu den Zeiten Nebukadnezars.«

Geliebt wollte er sein, nichts war wichtiger.

Während sie schon in allen Straßen und auf den Plätzen seinen Namen riefen und lobpreisten, wagte er es immer noch nicht, den Palast zu verlassen. Ihn hinderte, er verstand nicht, warum, eine Nervosität, die sich oft zu Angstzuständen steigerte.

Inzwischen schwärmten seine Soldaten, zu kleinen Trupps verteilt, durch die Straßen, deren System zugleich gradlinig-primitiv und kompliziert schien. Neue Ausblicke öffneten sich immer wieder, andere Perspektiven taten sich graurot, ockerbraun auf; am Abend lockten sie in golden-violettem Halbdunkel.

Die ersten Tage standen die Männer aus den Bergen Mazedoniens, aus den kleinen griechischen Städten nur mit offenen Mündern vor den Sehenswürdigkeiten: den würfelförmigen Monumentalbauten aus Granit, Porphyr, Basalt, aus deren spiegelnder Tiefe das eigene Antlitz ihnen geheimnisvoll verdunkelt entgegentrat; vor den assyrischen Steinbildern, den geflügelten Stieren mit den Männerköpfen, deren starres, boshaftes, undurchsichtiges Ewigkeitslächeln sie mehr ängstigte und verwirrte als früher die krummen Säbel und Sensenwagen bei Gaugamela, Issos und am Granikos.

Manches sah schon ein bißchen verfallen aus, so die Riesenmauer, zu der sie andächtig gewandert waren; auch der Tempel des Marduk-Bel. »Na«, meinten sie gutmütig, »es wird gut sein, wenn unser König etwas Leben in diesen eingeschlafenen Betrieb bringt.« – Die Hängenden Gärten der Semiramis, von denen sie schon zu Hause gehört hatten, fanden immerhin ihren Beifall.

Schließlich hatten sie genug von Sehenswürdigkeiten; da merkten sie erst, daß der Stadt in allen ihren Winkeln und Gassen ein süßlich-fauliger Geruch anhaftete. Er strömte aus den Tempeln und Magazinen, aus den Tüchern der Weiber und den frisierten Bärten der Männer; in manchen Gäßchen und Hinterhöfen verdichtete er sich zum üblen, aber faszinierenden Gestank. – Die Soldaten begannen einander in die Rippen zu stoßen und verlegen zu lachen, denn an alle Tore und Mauern angelehnt sahen sie plötzlich Weiber stehen.

Keine Frage, so prächtig geputzt fand man sie nicht in Athen, nicht in Pella. Diese trugen breit glitzernde Halsketten, die zwischen ihren Brüsten leis und aufmunternd klirrten; bunten Schmuck an Knöcheln, Handgelenken, fettem Oberarm. Im stillen, breiten, dickgeschminkten Gesicht hatten sie schön ummalte, ruhige und verlockende Augen, einen großen, dunkelgefärbten Mund, aus dem Wohlgeruch kam.

Die Soldaten, die solch schwergliedrigen Damen in ihre entlegenen kleinen Behausungen gefolgt waren, kamen entkräftet, doch beseligt zurück. So ausgefallene und phantastische Wonnen hatten sie noch nie und nirgendwo erfahren; schon ihre Andeutungen machten die Kameraden verrückt.

Dazu kam, daß hierzulande die gefälligsten Mädchen auch die frommsten schienen; sie nannten sich Dienerinnen der Ischtar, der Mylitta; bei den komplizierten und mit tiefster Schlauheit ausgedachten Spielen und Figuren ihrer Wollust blieben sie ernst, sogar weihevoll, wie im Tempel. »Sie machen die Augen nicht zu«, erzählten die Burschen, die aus ihren Armen kamen. »Sie schauen dich die ganze Zeit dabei an, so schläfrig und heilig, es wird einem ganz benommen zu Sinn.« –

Als Alexander das erstemal ausritt, war in der ganzen Stadt Festtag. Die Männer trugen ihre pompösesten Kleider, enge, fransenbesetzte, blütenweiße oder papageienbunte; dazu die gefärbten Hüte, unter denen das blauschwarze Haar in sorgfältiger Frisur zum Nacken hing; die Weiber hatten ihr blendendstes Geschmeide angelegt, sie schaukelten vielversprechend mit dicken Ohrringen, mächtigen Halsgehängen. – Wo der Fluß war, sah man fast nicht mehr, so überfüllten die geputzten Barken sein Wasser; dazwischen trieben sich die kleinen Boote herum, manche nur gehöhlte Baumstämme, ausgeschlagen mit Häuten.

Auf seinem geschmückten Roß, Alexander schnupperte mißtrauisch-interessiert den verlockend-faden Geruch, der aus den geöffneten Wohnungen, aus den Rinnsteinen, von den Leibern der Frauen kam. Er folgte ihm, ein schon beinah Verführter, in die engsten Gassen, wo er penetrant und atemberaubend wurde.

»Es ist eine Mischung aus arabischem Gewürze und Verwesung«, stellte sachkundig und verträumt der fest, der neben ihm ritt. Es war kein anderer als Arrhidaios, sein tiefzerstreuter Halbbruder, der mit Botschaften von Olympias und Antipatros aus Pella eingetroffen war, um Alexander zu der großen Situation zu beglückwünschen.

Es fiel etwas unheimlich auf, daß er in diesem fauligen Gassengewirr sich auszukennen schien, als sei er darin zu Hause. »Hier riecht es am stärksten!« verhieß er unanständig und verlockte den Zug in immer entlegenere Winkel, die in unsauberem Dunst lagen.

Die Waren, die man hier feilbot, sahen verschimmelt aus, schon in Zersetzung begriffen, vor allem die Süßigkeiten; auch der Glanz der ausgebreiteten Seidenstoffe und grellfarbigen Gewebe hatte etwas Verdächtiges.

Am beunruhigendsten fand Alexander das Aussehen der Kinder. So sollen acht- oder zwölfjährige Mädchen nicht aussehen; sie hatten schon die lüstern-frommen, verschleierten Augen ihrer gefälligen Mütter, auch den breiten dunkelgefärbten Mund und die trag herausfordernde Haltung. Leider waren auch viele der kleinen Jungen geschminkt, Alexander nahm sich flüchtig vor, das zu verbieten. – Währenddem sagte Arrhidaios an seiner Seite, mit einem versonnen zärtlichen Blick über die Kinder: »Die lieben Mäuse.« Worauf er greisenhaft speichelte und lachte.

Es kam so weit, daß die beiden Brüder ihre Begleitung aus dem Auge verloren und sich beinah verirrt hätten. Ein demütiges und schönes kleines Mädchen, mit dem Arrhidaios recht vertraut zu sein schien, zeigte ihnen schließlich den Heimweg.

 

Nach diesem ersten Male ritt Alexander täglich aus; selten in großer Begleitung, oft nur mit dem verträumten Arrhidaios, oft auch, wie man sich erzählte, verkleidet, allein, um nur ja alles recht gründlich kennenzulernen.

Er tastete die Stoffe und Geräte in den Handelsgewölben ab, kostete in den Speisehäusern die stark gewürzten und die süßen Speisen, schnupperte bei den Salbenhändlern und Friseuren an den Fläschchen voll öligen Wohlgeruchs.

Er besuchte die Dienerinnen der Ischtar, ließ sich ihre Listen und Künste zeigen; aber auch die Männer, die sich mit dem Laufe der Sterne beschäftigten, bei geheimnisvollen Tafeln und Tabellen saßen und ihm manches über seine Zukunft vorerzählten.

Am häufigsten und am ausführlichsten aber machte er Visite bei gewissen uralten Schriftgelehrten, die in Hütten außerhalb der Stadt wohnten und über vieles, wenn nicht über alles Bescheid wußten.

Ihre lehmgelbe, zerbröckelte und enge Behausung füllte der junge König mit dem Glanz seiner Rüstung, seines großartig umgeworfenen Mantels. Sie aber waren nicht demütig mit ihm, eher streng. Denn sie wußten; er aber war jung und hatte nur gehandelt.

Chronik und Geschichte Babylons ließ er sich von ihnen immer wieder vortragen, darlegen, ausschmücken; die Historie seines Auf und Ab, seine Leidenszeiten, die Epochen seines Triumphes, vor allem aber die Geschichte seiner Götter.

Er lauschte andächtig, wie als Kind dem Homer, wenn er erfuhr, wie das längst dahingegangene Volk der Sumerer, aus fernstem Osten gekommen, die Keilschrift erfunden und hierzulande das gesittete Leben begründet; wie nach ihnen die Akkader ihr Reich geschaffen, zu der Zeit, da in Uruk der Himmelsgott, in Ur der Mond, in Nippur Enill, der Herr der Länder, in Eridu der Wassergott Ea, in Adab aber die große Göttermutter angebetet wurde, die vielerlei Namen hat. Der Herrlichkeit folgte Verfall, diesem wiederum Aufstieg, denn neue Häuptlinge, wer weiß es, woher sie kamen, gründeten endlich das Reich, dessen Hauptstadt Bâbili hieß.

Die große Chronik der Auf- und Niedergangszeiten, der Fremdherrschaften und Befreiungen trugen die Alten in der lehmgelben Hütte vor; von Hammurapi, der die weisen Gesetze gab, bis zu Kyros, dem Achämeniden.

»Und nun bist du da«, schlossen sie mit ernster Höflichkeit ihren Bericht.

Die ungeheure Wißbegierde dieses jungen Königs zu befriedigen, schien unmöglich. Hatte man ihm die ganze Nacht durch erzählt, wollte er am Morgen noch weiter hören.

Das ganze große Schöpfungslied mußten sie ihm vorsingen und aufsagen; dann den Heroenkampf des Marduk gegen Tiâmat, die bösartig gewordene Urmutter, und Kingu, ihren abscheulich funkelnden Gemahl; schließlich die Erschaffung des Menschen aus des geopferten Kingu Blut, wobei er wieder Gelegenheit hatte, sich sehr ähnlicher Geschichten zu erinnern, in die Olympias ihn eingeweiht: »Einen Gott sollst du schlachten«, hatte die Mutter gesagt.

Es kam die Geschichte von Adapas, der das Wasser des Lebens aus falscher Vorsicht nicht annahm; und die höchst schauerlich unvergeßliche Geschichte von Ischtar, die in die Unterwelt fuhr, wo die mächtige Königin Ereschkigal sie mit sechzig Krankheiten peinigte und sie festhielt, bis Tammuz selbst sie befreite.

Alexanders Neugierde wollte die Geschichte der Götter zurückverfolgen bis zu der Zeit, da Marduk noch Tammuz hieß, der wahrhafte Sohn des Abgrunds; denn von Tammuz wußte er, daß das Mysterium seines Todes und seiner Auferstehung dem des Adonis verwandt sein müsse; und weiter, bis zu dem noch geheimnisvolleren Punkte, da Tammuz und Osiris noch eine Person waren, auch Isis und Ischtar.

Doch so weit ließen die Weisen ihn nicht gerne kommen. »Das Wesen der Götter ist dunkel«, schlössen sie unerbittlich.

In verärgerten Gruppen konnte man die jungen mazedonischen Generale beisammenstehen sehen. Sie beklagten sich über ihren König, der es nicht nach ihrem Geschmack trieb.

Philotas, der stattliche und dünkelhafte Sohn des Parmenion, fragte gehässig: »Seht ihr's nicht? Er hat schon Augen wie ein Berauschter. Er ergibt sich diesen arabischen Märchen und Teufelsgeschichten wie einem Laster. Während er hier orientalisch verkommt, muß mein Vater für ihn arbeiten, Susa besetzen, das räuberische Volk der Uxier bekämpfen.«

Sie nickten entrüstet im Kreise, Krateros, Perdikkas, Koinos, Nearchos. Sie waren alle beleidigt, weil Alexander sich mehr und mehr mit ägyptischen, persischen Großen umgab, sie aber deutlich vernachlässigte. Aus gekränkter Eitelkeit spielten sie die moralisch Entrüsteten. »Der Orient verzaubert und entmannt ihn«, sagten sie streng.

Nach einem Aufenthalt von vielen Wochen kam der langersehnte Befehl zum Aufbruch aus Babylon. Der große Abmarsch wurde freilich noch einmal um ein paar Tage hinausgezögert, woran ein peinlicher und etwas lächerlicher Zwischenfall schuld war: Arrhidaios war verlorengegangen. Es war nicht anders, der benachteiligte Mensch, der seine Jugend lallend im Kellerloch versessen hatte, war auf die Idee gekommen, alleine einen Spaziergang zu wagen, wahrscheinlich in die Gäßchen, deren Geruch er so liebte.

Er kam nicht wieder, auch kein Suchen half. Hatte er sich versteckt, oder war er ermordet worden? Das Gewirr der Gäßchen hatte ihn aufgeschluckt, man mußte auf ihn verzichten, die Affäre vertuschen, so gut es ging, und ohne ihn aufbrechen.

Der Marsch ging aus dem Tiefland zum hohen Iran hinauf, wo die alten Königsstädte Persepolis und Pasargadai zu nehmen waren.

Hier oben wehte die Luft reiner als in Babylon, wo die Gerüche und Verdorbenheiten so vieler Zivilisationen durcheinandergingen. Man war in des persischen Königtums eigentlicher Heimat; der Palast mit den vierzig Säulen, der in mächtigen Steinterrassen aufwärtsführte, war der des Xerxes gewesen, der sich an Athens Akropolis verging. Vor dem Portale lagerten die Kolossalbilder assyrischen Stils, bösartig in sich ruhende Zwitterwesen aus Mann und Roß oder Stier.

Mit einem Triumphgefühl, in das sich Ehrfurcht mischte, trat Alexander ein, an den drohenden Statuen vorbei.

Drinnen erwartete ihn der Thron; es war der des Xerxes gewesen. Tierfiguren ruhten zur Seite, der reiche Baldachin war mit Symbolen geschmückt. Alexander empfing die Abgeordneten der Stadt, auf dem Thron sitzend.

Schließlich empfing er auch die eigenen Freunde; sie wollten lächeln, da sie ihn inmitten der fremden Herrlichkeit sahen, aber er blieb unnahbar. Das machte sie etwas spöttisch, sie begrüßten ihn tief, doch es war Ironie in ihrer Verbeugung. Nur Hephaistion küßte ihm mit ritterlichem Ernste die Hand. »Du bist der König von Asien«, sagte er, wie bestätigend, dabei mit einem geheimen Unterton von Mitleid.

Alexander, über ihm, wiederholte mit einer merkwürdig unmenschlichen Stimme, die metallisch hoch durch den weiten Raum schwang:

» Ich bin der König von Asien

Besonders majestätisch und streng war er mit dem alten Parmenion, der um eine wichtige Unterredung gebeten hatte. Der General nahte sich ehrerbietig, doch selbstbewußt. Er habe dem König Philipp jahrzehntelang in Treue gedient, konstatierte er mit einem wehleidigen und etwas blutig angelaufenen Blick von unten; seine mageren, faltigen Backen nebst Backenbart bebten. Er dürfe sich wohl das Recht nehmen, den jungen König zu warnen, meinte der Alte.

Der Blick, mit dem ihn Alexander unter hochgewölbten Brauen maß, war mehr drohend als fragend: »Ich habe Ihre Warnungen oft nicht befolgt; niemals zu meinem Nachteil«, sagte er schneidend. Hierdurch ließ der General sich keineswegs irremachen, vielmehr wurde er sogar pathetisch. »Wir sind am Ziel!« rief er beschwörend; er fügte hinzu: »Weiter wäre Philipp nie gegangen.« »Schon bis hierher nicht«, sagte der auf dem Thron verbissen.

Von hier aus weiterzuziehen, erklärte nun der General mit pädagogischer Strenge, sei Verbrechen an der Nation. Nun könne es sich nur noch darum handeln, die eroberten Gebiete neu zu organisieren. »Unser Ziel ist erreicht!« rief der Graubärtige flehend. »Die hellenische Schmach von einstmals reichlich gerächt. Ziehen wir jetzt weiter, verlieren wir den Zusammenhang mit der Heimat. Wir müssen die neuen Gebiete zu griechischen Kolonien machen!«

Die unmenschliche Stimme vom Thron erwiderte: »Ich will keine Kolonien. Ich will das Weltreich.«

Parmenion warnte: »So wird das Weltreich Griechenland verschlingen. Es wächst uns über den Kopf. Haltet ein, Alexander!« Er hob abwehrend die Arme, als bedrängten ihn jetzt schon buchstäblich Wasserfluten.

Darauf Alexander, mit einer Eisigkeit, die dem alten Soldaten das Blut in den Adern starr machte:

» Was geht mich Griechenland an

»Dann freilich« – Parmenion fand in seinem Entsetzen nicht einmal zur Entrüstung Kraft; er senkte erschüttert den Kopf.

Er starrte zur Erde, weinte er nicht sogar? Er war bitter getroffen. Wohin ließ sein junger König währenddem den Blick wandern?

»Wir wollen nach Osten«, sagte er gelassen und ruhig; während der Alte weinte, entglitt der Blick des Jungen ins Grenzenlose.

 

In dieser Nacht brach im Königspalast zu Persepolis eine Feuersbrunst aus, die große Teile des Schlosses sowie der Nebengebäude einäscherte; niemand wußte, wie sie entstanden war. Das Gerücht kam auf, der König selber habe sie legen lassen, aber laut auszusprechen wagte man es nicht. Was hätte er damit bezweckt? Das wäre beinah die Tat eines Wahnsinnigen. Sein Triumph war deutlich genug, er brauchte ihn nicht auf diese Art zu unterstreichen, die Feinde machte, Schätze zerstörte, ohne Vorteil zu bringen.

Als beunruhigend fiel auf, daß man Alexander, solang der Brand währte, in den Höfen des Palastes hatte spazieren sehen, mit einem unheimlich gierigen Blick in die Glut starrend. Wenn eine Säule zusammenkrachte, horchte er mit geschlossenen Augen dem Lärm nach, wie einer Musik, die sein Herz beruhigte.

So fand ihn Kleitos. Die beiden standen sich allein gegenüber, seit wie langer Zeit zum erstenmal wieder? War es nicht am Granikos gewesen?

Auf dem Gesichte des Kleitos spielten die Widerscheine des Feuers, tanzten über die Stirne, die Wangen hinunter, entzündeten Funken in seinen Augen, scherzten um seinen Mund. Sein Gesicht war gesegnet und umschmeichelt vom Licht; das Gesicht des Königs aber stand im Dunkel.

»Dabei habe ich dieses Feuer entzündet«, empfand mit schmerzlichem Trotz Alexander.


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