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Prüfung

I

Dareios floh. Ihm schien, daß die Gefahr sich verringerte, je weiter östlich er käme. So verließ er Ekbatana, sandte Karawanen, Harem, Rest der Kleinodien voraus nach Ragai, an den Eingang der kaspischen Pässe. Er folgte, mit ihm die letzten, die von der Aristokratie ihm treugeblieben waren, die Reste der Chiliarchie, von Narbazanas geführt. – Hinter ihm drein Alexander, der für ihn kein Mensch mehr war, nur Verhängnis.

Die Gemahlin war im Wochenbette gestorben, doch lebte noch die rüstig-unerbittliche Sisygambis, auch die beiden brünetten Töchter. Ihnen hatte er sich zu erhalten, ihnen vor allem; danach dem Reiche, dessen Hauptstädte das Verhängnis ihm vorläufig in Gestalt eines katastrophalen Jünglings genommen hatte, das aber nur darauf wartete, von ihm, Dareios Kodomannos, dem Achämeniden und angestammten Gebieter, befreit zu werden.

Seine schwache und angegriffene Seele rettete sich zur Frömmigkeit. In langen Meditationen beriet er sich mit der Gottheit, um zu erfahren, warum sie so unbegreiflich alles eingerichtet. Ohne Frage, hier handelte es sich um den Urkampf zwischen Gutem und Bösem, den Zarathustra Spitama lehrte. Dieser Aufrührer aus Mazedonien, er war der glänzendste Abgesandte der unreinen Macht, so unheilbringend und blendend hatte sie sich noch nie offenbart. Wer konnte gegen sie zu kämpfen berufen sein, wenn nicht der Enkel des großen Kyros, dem die Krone gehörte? »Einst wird enden der Streit – und das Böse, es wird vergehen«, verkündigte Zarathustra.

Freilich kamen auch die schlimmen Stunden der Anfechtung, der Prophet selber gab zu bedenken: »Ob überhaupt im Guten eine Möglichkeit des Wirkens liegt, – ob in der Welt – nicht doch nur die Klugheit gilt?« Aber hinter den Bedenken kam die Zuversicht, so zuversichtlich war er nie gewesen, in Babylon nicht, auf seinem verzierten Thron. Denn der Prophet hatte die stärkenden Worte hinterlassen:

»Doch was heißt Sieg, was Unterliegen! Es fiel schon der Würfel. Nur wer in dir ist – der lebt.«

Ihm war schon der Würfel gefallen, dem Widersacher aber galt die Drohung: »Doch wehe euch, wenn ihr treulos wurdet!«

Seine Umgebung, die ihn bescheiden-idyllisch, oft verzagt gekannt hatte, war erstaunt, ihn in der Stunde äußerster und unabwendbarster Gefahr aufrecht zu sehen. Nun erst begriffen sie, daß er, trotz seines zu großen Kopfes, seiner versonnenen Augen, ein Edelmann war, fast ein Held.

Er berief seine Großen, um ihnen zu eröffnen, daß er noch einmal den Kampf gegen Alexander wagen wolle. »Die Götter sind bei mir«, sagte er innig und stolz. – Er mußte erleben, daß man widersprach. Erst zögerten sie, dann gestanden sie offen: ihr Leben einzusetzen für eine Sache, die in diesem Augenblick hoffnungslos war, scheine sinnlos. Man müsse weiter nach Osten ziehen, nach Baktrien, nach Sogdiana, neue Völkermassen dort sammeln.

Der Großkönig zeigte sich mehr enttäuscht als zornig. Er schwieg nachdenklich: so wollte Gott noch nicht den Entscheidungskampf? Zornig wurde er erst, als Narbazanas mit seinem unverschämten Vorschlag kam.

Dieser abgebrühte alte Hofmann tat, als sei an dem, was er mit ruhiger Miene zu bedenken gab, nichts Außergewöhnliches. Ob es nicht überhaupt im Interesse der großen Sache günstiger sei, gab er vorsichtig zu bedenken, wenn Dareios abdanke, auf die Tiara verzichte, um sie etwa an den Satrapen Bessos abzugeben? Dieser, führte Narbazanas mit zäher Höflichkeit aus, während man den Großkönig erbleichen sah, genieße in allen östlichen Ländern gewaltiges Ansehen; die Skythen, die Inder seien ihm verbündet; zudem gelte er als dem königlichen Hause verwandt.

Weiter kam er nicht, denn Dareios faßte schon nach dem Dolche. Mit schiefem Lächeln zog sich Narbazanas zurück; ihm folgte Bessos, kleiner, muskulöser Geselle mongolischen Typs, im gelben, starkknochigen Gesicht den schwarz hängenden Schnurrbart.

Die Stimmung, in der man die Reise fortsetzte, war eine dumpfe und zugleich erregte. Bessos mit seiner Partei hielt sich tückisch-still abseits. Heldenmut und Entschlußkraft des Großkönigs schienen nach so kurzem Aufschwung gründlich dahin, er ruhte fast apathisch in seiner Kutsche. Als im Dorfe Thara drei Vermummte, die Bessos, Narbazanas und Baisaentes waren, in sein Zelt drangen, erschrak er beinahe nicht. Er wehrte sich kaum, da man ihn fesselte.

Noch in derselben Nacht ließ Bessos sich als Oberbefehlshaber der Armee, Stellvertreter des Monarchen, ausrufen. Dareios Kodomannos, der sich damit begnügte, traurig den Kopf zu schütteln, wurde als Gefangener weitergeführt.

Von diesen Vorgängen bekam Alexander sofort Nachricht, er beschloß, auch noch den abgesetzten und gefangenen Kodomannos haben zu müssen, in Eilmärschen war er hinter der hochverräterischen Karawane drein. Die Hetzjagd dauerte vier Tage, vier Nächte, Pferde wurden zu Tode geritten, Soldaten blieben vor Erschöpfung an der Straße, schließlich war Alexander mit ein paar Offizieren allein.

In einer Wildnis fanden sie den königlichen Wagen, er war von allen Truppen und Begleitern verlassen, sogar die Pferde hatte man ausgespannt. In den Polstern lehnte Dareios Kodomannos, das schwere Haupt nach vorne gesunken, das nun endgültig müde war. Aus der phantasievoll komplizierten Bruststickerei seines schönen Mantels sickerte Blut, an mehreren Stellen. Er konnte noch nicht lange tot sein, seine Hand, die Alexander vorsichtig anfaßte, war noch nicht kalt.

Alexander faßte auch seine Stirne an, die Nase, den leicht gedunsenen Mund. Er tastete, um es im Halbdunkel der Kutsche deutlicher zu erkennen, das große, tote Gesicht ab, das er lebend niemals gesehen; er untersuchte es gründlich, mit düsterer Neugierde.

»Das war also mein Feind«, sagte er schließlich, sowohl wehmütig als verächtlich. Er winkte, das Tuch über die Leiche zu breiten, einem der Offiziere. »Wie heißt der Neue?« fragte er plötzlich zerstreut, als ginge es um eine Kleinigkeit. »Bessos – Bessos –« Er wiederholte den Namen, als probierte er seinen Geschmack auf der Zunge. – Dann wandte er sich, verließ schnell die Kutsche.

Die Königsmörder waren über alle Berge; Bessos auf dem Wege nach Baktrien, Narbazanas nach Hyrkanien.

Der Körper des Dareios Kodomannos wurde auf Alexanders Befehl nach Persepolis überführt. Der Beisetzung des letzten Achämeniden wohnte die Königin-Mutter Sisygambis bei.

 

Zu nehmen war die Satrapie Hyrkanien, wegen hafenreicher Küsten von Wichtigkeit. Ihre Hauptstadt ergab sich. Die Rast dort durfte nicht lange sein. Das nächste Ziel hieß Baktra, Residenz der baktrischen Satrapie.

So wilde Gegenden hatte man noch nicht kennengelernt, die Armee murrte oft; denn es ging durch schauerliche Wälder, wo man sich mit dem Beil Weg schaffen mußte. Der Feldzug war eine Lustbarkeit gewesen, wenn auch oft eine blutige. In diesen Ländern zeigte er sein hartes und ernüchterndes Gesicht. Es gab nicht einmal Ruhm zu gewinnen, nur infame kleine Überfälle abzuwehren, mit denen tückische Eingeborene die Armee quälten. In Susia, der ersten Stadt, die sie in der Satrapie Areia berührten, kam ihnen der Regent des Landes, Satibarzanes, entgegen, seine Unterwerfung anzubieten. Er schien höflich und sanft, freilich hatte er tückische Augen.

Den Boden vor Alexander küßte er mehrfach, dazu sagte er in elegantem Persisch schmeichelhafte Dinge. Der König fand ihn ziemlich unsympathisch, es störte ihn auch, daß er so penetrant nach minderen Wohlgerüchen duftete; andererseits gefiel ihm seine unterwürfige Art.

Die Nachricht, die er brachte, war sensationell und erschreckend: Bessos hatte sich zum Großkönig ausrufen lassen, er trug die Tiara, die er dem armen Dareios gestohlen hatte, und nannte sich in seiner fürchterlichen Dreistigkeit Artaxerxes, Herr von Asien. – Diese Geschichte erzählte der formgewandte Satibarzanes mit passender Entrüstung, wobei allerdings ein kleines und heimtückisches Grinsen um seinen beweglichen Mund fatal auffiel.

Für Alexander gab es nur eines: unerbittliche Verfolgung des Bessos, der sich das zu sein anmaßte, was er, der Mazedone, seit Eroberung von Babylon und Persepolis tatsächlich war. – Er beschenkte und belobte in großer Eile den sich krümmenden Satibarzanes, wandte sich wieder nach Osten.

Plötzlich: Aufstand in seinem Rücken. Satibarzanes hatte nicht umsonst so hinterhältig gegrinst: kaum war die mazedonische Macht außer Sichtweite, als der ränkevolle Freund des Bessos sein Ehrenwort auch schon brach, das er nur gegeben hatte, um Alexander in falschen Sicherheiten zu wiegen. Artakoama, Areias Hauptstadt, war Mittelpunkt der Empörung. Die mazedonische Gesandtschaft wurde überfallen und niedergemacht, auch ihr Führer ermordet.

Alexander sah sich abgeschnitten, so mußte er die Verfolgung des Usurpators aufgeben – vorläufig, wie er grimmig beschloß. Als er die treulose Kapitale wieder erreichte, fand er sie in voller Auflösung und Panik. Satibarzanes hatte sich schon auf und davon gemacht, er war zu Bessos geflüchtet.

Obwohl Alexander wußte, daß die aufständischen Truppen nur die Verführten waren, ließ er doch unter ihnen ein Blutbad anrichten: 13 000 wurden teils erschlagen, teils als Sklaven verkauft.

 

Der Reichsverweser Antipatros berichtete Ernstes über die Lage zu Hause.

König Agis von Sparta stand mit der persischen Seemacht im Einverständnis, nun hatte er durch seinen Bruder Agesilaos Kreta besetzen lassen. Er trieb es bis zum offenen Aufstand, den moralischen Rückhalt bot ihm der unermüdliche alte Demosthenes, der immer noch von der Rednerbühne hetzte und die »Erneuerung der Staatenfreiheit« verlangte.

Es stand gefährlich; trotzdem blieben die Briefe der Königin-Mutter zanksüchtig, eigensinnig und erfüllt von ihren eigenen Angelegenheiten. Die Politik, die sie trieb, war störrisch und oft verfahren. Mit einer Hartnäckigkeit, die niemand verstehen oder billigen konnte, bestand sie darauf, rechtmäßige Herrin des Molosserlandes zu sein. In ihren Briefen beschwerte sie sich immer aufs neue über Kleopatra, ihre bleichsüchtige Tochter, die sie niemals gemocht hatte, jetzt aber haßte; denn sie erhob Ansprüche auf dasselbe Gebiet.

Die arme Kleine war Witwe geworden, auf den Thron des Molosserlandes gehörte ohne Frage ihr Sohn; da er unmündig war, sie selber, so bleichsüchtig sie immer sein mochte. Die Götter wußten allein, woher Olympias ihre Rechte ableitete. In jedem Fall schien ihre Versessenheit auf diesen Thron, der ihr keineswegs zukam, hirnverbrannt, in einem Moment, da ganz Griechenland mit Aufstand gegen Mazedonien drohte.

Die einsichtigen und vernünftigen, immer etwas umständlich und pedantisch abgefaßten Berichte seines obersten Beamten las der König mit Besorgnis; die überreizten und händelsüchtigen der Mutter hingegen mit Gram.

Die Spannung löste sich endlich: Antipatros' Boten verkündeten den Sieg der mazedonischen Waffen über den spartanischen Aufrührer bei Megalopolis. Man durfte aufatmen: Agis selber war tot, der Aufstand erledigt, übrigens nach tapferer Gegenwehr der Lakedaimonier.

Alexander gratulierte seinem Reichsverweser; gleichzeitig schrieb er, streng wie noch nie, an die Mutter:

»Dein Betragen, das nicht immer vernünftig scheint, erschwert mir, zu Ende zu bringen, was Du selber mir aufgetragen. Ich bin weit gekommen, aber noch lang nicht zum Ziel. Das Schlimmste liegt vor mir. Es wird immer härter.

Vergiß nie, daß ich um Deines Auftrages willen leide. Es ist Dein Traum, den ich erfülle mit tausend Qualen.

O meine Mutter: ich schreibe Dir mit blutbefleckten Händen.«

II

Vom Hochtale Kabul führen sieben Pässe über den Hindukusch zum Stromgebiet des Oxos.

Als der Befehl Alexanders an die Armee erging, daß das Gebirge zu überschreiten sei, glaubten die Soldaten, nun sei er wirklich von Sinnen. Sie wußten von keinem Beispiel aus der Geschichte aller Zeiten und Völker, daß ein Heer dazu imstande gewesen wäre, ein solches Gebirge zu nehmen. Obendrein war es Winter, und man wußte, daß Bessos, immer weiter östlich entweichend, das Land ausgeplündert und verwüstet hatte. Sie murrten, aber Alexander trat vor sie hin. Er blitzte und reckte sich wie vor den großen Entscheidungsschlachten.

»Wenn nichts anderes – dieser Gebirgsübergang wird euch unsterblich machen. Euch darf nichts unmöglich sein, ich bin euer König.«

Es wurde noch grauenhafter, als man gefürchtet hatte. Um nicht zu verhungern, mußte man die Pferde schlachten; das Wasser, das man in Schläuchen mit sich führte, ging aus. Man aß Schnee, rohes Fleisch. Die Dörfer, durch die man kam, konnten nichts bieten, kein Brot und kein Bett. Viele erfroren, stürzten ab oder blieben am Wege.

Am fünfzehnten Tage erreichte man die erste baktrische Siedlung, Drapsaka, wenig Zeit später die Hauptstadt. Überall war Bessos eben aufgebrochen, gen Osten entwichen. Es schien, daß er die Mazedonen locken wollte, sie narren, sie immer weiter verführen ins Innerste dieses Asien hinein, das unendlich sein mußte.

Nun freilich waren sie in seinem Herzen, man sagte sich, daß hier das Geburtsland des Zarathustra sei. So hatte sich von hier aus die Lehre des Guten und Bösen über ganz Iran verbreitet.

Mit einem verfinsterten und ehrfurchtsvollen Blick schaute über diese majestätische und kahle Landschaft Alexander. Wie harmlos war, mit ihrer Unerbittlichkeit verglichen, die verbuhlte Üppigkeit Kleinasiens und des fetten Babylon. Hier hoben in einer grenzenlosen Ebene von Geröll und Dürre urwelthaft zerklüftete Berge ihre schwärzlichen Krater. Angesichts dieser grausamen Landschaft erkannte mit zusammengebissenen Zähnen der König: jetzt wurde es ernst. Denn noch einen Schritt weiter, und die endgültige Wildnis war da. Die absolute Öde tat sich auf, wo keine Länder mehr voneinander abgegrenzt waren, wo man weder Perser noch Griechen, weder Zarathustra noch Dionysos kannte. Dort hausten die Skythen, die Menschenfleisch essen.

» Wir sind an der Grenze«, dachte, angesichts dieser Landschaft, Alexander mit Grauen. –

Man mußte von Baktra aufbrechen; denn Bessos war schon in Sogdiana, mit ihm eine Reiterarmee und etliche Große, unter denen der heuchlerische Satibarzanes und ein sehr gefährlicher Mann namens Spitamenes, Satrap von Sogdiana.

Bessos, so zäh und muskulös er war, schien angegriffen. Seitdem er die Gewalt hatte, war er so konsequent und klug nicht mehr wie zu der Zeit, da er noch tückisch nach ihr trachtete. Der finsteräugige Mongole war von einem gewissen barbarischen Elan gewesen. Seitdem er sich Artaxerxes nennen ließ, wußte er nichts mehr als fliehen.

So bekamen seine Freunde ihn satt, vor allem der gerissene Spitamenes. Eines Tages sandte er Boten an Alexander, die den Aufenthalt des Bessos verrieten. Alexander bedankte sich, sandte seinen Leibwächter Ptolemaios mit 6000 Mann hin. Endlich hatte man diesen unangenehmsten aller Feinde.

Er mußte schauerlich büßen. Der gereizte und erschöpfte Alexander wollte ihn winseln sehen. So gab er Befehl, ihn an der Straße aufzustellen, die er mit seinen Offizieren entlang ritt: nackt, nur mit den eisernen Fesseln. Die Griechen lachten, weil der gefürchtete Königsmörder klein und mißgestaltet war. Auf gelbem, muskulösem Zwergenkörper wuchs das Haar in schwarzen unregelmäßigen Büscheln, vor allem auf der zernarbten Brust gedieh es zu häßlichen kleinen Spitzbärten.

Alexander, hochmütig vom Pferd herab, fragte, warum er, als Satrap und Günstling, seinen Großkönig ermordet, ihm die Tiara gestohlen habe. Der schiefäugige Geselle mit einem letzten, kläglichen Versuch zur Diplomatie, sagte, während er sich nackt verneigte: »Um dir zu gefallen, mein König.«

Da wurde er erst recht ausgepeitscht.

Schon halb tot transportierte man ihn nach Ekbatana, wo er bei Gelegenheit irgendeines Festtages hingerichtet werden sollte.

Die Grenze, hinter der die skythische Wildnis begann, war geschützt von sieben Grenzburgen, deren wichtigste Cyrus und Gaza hießen. Alexander ließ in ihnen mazedonische Besatzungen, er selber lagerte ein Stück weiter am Flusse Tanais, den sie Jaxartes, den Großen Strom, nannten.

Der König neigte von Natur nicht zum Mißtrauen, trotz allem, was er erlebt hatte, dafür war sein Selbstvertrauen zu stark. Er nahm das Ehrenwort dieses Spitamenes ebenso ernst, wie er das des Satibarzanes genommen hatte. Merkwürdigerweise kam er nicht darauf, sich zu sagen, daß dieser, der den Bessos, den Verbündeten, verraten hatte, noch viel weniger dem Fremden Treue halten würde.

Vielmehr war er erstaunt, als es hinter ihm wieder Aufstand gab. Er war fassungslos, denn nun fühlte er, daß er ernsthaft und erbittert gehaßt wurde; er aber war Liebe gewohnt. Die Situation war so schlimm wie vor Jahren, da der Jüngling Philipps Nachfolge antrat und nach allen Himmelsrichtungen zu kämpfen hatte. Sie war schlimmer, denn damals war es wenig, was er zu verlieren hatte; nun aber schien ein ungeheurer Wagemut sich rächen zu sollen. Über ihm wollte eine Macht zusammenschlagen, die er nach der Einnahme der Königsstädte für erledigt gehalten: Asien.

Er rannte mit geduckter Stirne und schwarzen Augen im Zelt auf und ab, diktierte Befehle. Man kannte diese Haltung, dieses erbitterte Muskelspiel um den Mund. So sah er aus, wenn er die großen Einsätze wagte, wenn er fühlte, daß es ums Ganze ging.

Hinter ihm der sogdianische Aufstand, von Spitamenes geführt; vor ihm die Skythen, die rebellisch wurden. In den Grenzstädten hatte man seine Besatzungen umgebracht. Von jenseits der Grenze, aus der Steppe, brachen täglich neue Horden ein, die mordeten und stahlen.

Alexander in seinem Zelt diktierte:

Kein Mann in Gaza und Kyropolis sollte leben bleiben; in jedes Haus war der Brand zu werfen.

Seine Befehle wurden mit unerbittlicher Genauigkeit ausgeführt.

Überall strafend durchzog die mazedonische Armee das Land, stand nach vier Tagen vor Marakanda. Was sie hinter sich ließ, waren brennende Städte und das Wutgeheul der Barbaren. Wenn ich gehaßt werde, dachte mit entschlossenem Trotze der König, dann ganz und gar.

Er war gewohnt, jeden Zustand bis an seiner Möglichkeit äußerste Grenze kennenzulernen. Wohin er gekommen war, hatte es Frohlocken, Blumen und Jubelgesang gegeben; nun begrüßten ihn Greuel und Verzweiflung. Er hatte Kleinasien Frieden und Befreiung gebracht, er war Liebling und Erlöser gewesen, in Sogdiana hinterließ er Unterdrückung und Jammer.

Spitamenes war schon entflohen, diesmal zu den Horden der Massageten. Nachdem Marakanda gezüchtigt war, zog die Armee, die dem Lande nichts anderes als eine Heimsuchung schien, zur Winterrast nach Zariaspa, das im Baktrischen lag.

Ihr Lebensstil war zugleich luxuriöser und freudloser geworden. Die enthusiastische Kameradschaft, die am Granikos sie verbunden, war längst dahin. Zwischen dem König und denen, die seine Freunde gewesen waren, standen die persischen Würdenträger, die dem Monarchen göttliche Ehren gaben, indem sie den Fußboden vor ihm küßten. Mit ihnen wurde Alexander immer intimer.

Auch unter den mazedonischen Generalen ging es gespannt und mißtrauisch zu, jeder hatte seine Partei. Am dicksten trumpfte Philotas auf, des Parmenion brünetter, selbstgefälliger Sohn, Perdikkas und Krateros glaubten militärisch das meiste Verdienst zu haben, Hephaistion galt immer noch als Liebling und Vertrauter des Königs. Abseits stand Kleitos, mit dem niemand sich auskannte.

Dazwischen intrigierten die Literaten; diejenigen, wie der großsprecherische Kallisthenes, die hellenische Freiheit im Munde führten und jede Handlung des Königs scharf kritisierten, und die anderen, die Alexander speichelleckerisch glorifizierten. – Die Händler machten ihre kleinen Wuchergeschäfte, auch die Huren, die gewinnsüchtig mitreisten.

Man lebte, seitdem man orientalischen Komfort kennengelernt hatte, bequem, sogar üppig. Seinen Spleen hatte jeder: der eine trug goldene Nägel an den Schuhen, ein anderer ließ sich den Sand für seine Leibesübungen auf Kamelen nachkommen. Mit Salben und raffinierten Essenzen wurde großer Aufwand getrieben, auch mit ausgefallenen und scharfen Speisen. An die persische Tracht gewöhnte man sich mehr und mehr, manche legten dandyhaften Wert auf ihre langen, taillenengen Kostüme. Schließlich war Kleitos der letzte, der im kurzen, weißledernen Waffenrock ging.

So verging der Winter zanksüchtig und genüßlich. Eine besondere Rolle im Lagerleben begann ein ebenso zweifelhaftes wie liebliches Geschöpf namens Bagoas zu spielen, das dem Alexander aus Babylon als Leibpage zugesandt worden war. In intimen Gesprächen munkelte man sich zu, daß das fein geschminkte, tänzerisch gewandte Wesen, das seidig schwarzes Haar ins kunstvoll hergerichtete Frätzchen frisiert trug, ein Zwitter sei wie sein dämonischer Namensvetter, einstmals böser Geist des persischen Hofes. Alexander wußte schon, warum er so an ihm hing.

Die Winterrast dauerte nicht sehr lange, der teuflische Spitamenes machte sich wieder bemerkbar. Er brach mit seinen Massageten in Sogdiana ein; da man sich ihm entgegenstellen wollte, wich er infam ins östlich Unbegrenzte zurück.

So hatten Alexander und seine Soldaten noch keinen gehaßt; es war, als sei dem Bessos sein abgeschlagener Kopf nur noch häßlicher nachgewachsen. Er war der scheußliche Geist dieser Steppe, Innerasiens irritierender Kobold. Er narrte sie, daß sie von Sinnen kamen. Kaum tauchte er auf, kaum griff man nach ihm, hatte man in der Hand nichts als Leere, er entwich in die Öde hinaus, aus der es grauenhaft lachte.

Dies freche Spiel trieb er monatelang. Es waren Marterzeiten für seine Gegner. Er war unbesiegbar, seine Gewandtheit schien übernatürlich, er war die böse Macht selbst.

Die Generale waren zehnmal verzweifelt, aber Alexander kannte kein Nachgeben. Jener war beweglicher, so wollten sie zäher sein.

Endlich waren es die Massageten, die es satt bekamen. Sie fürchteten, eines Tages doch noch von Alexander besiegt zu werden, aber dann schrecklich. Sie überfielen ihren Spitamenes, schnitten ihm den Kopf ab, den sie dem Mazedonenkönig schickten.

Der steckte ihn an die Spitze seines Schwertes; so trat er vor die Armee hin. Er reckte die Siegestrophäe, auf seine Schuhe fielen schwärzliche Blutstropfen.

So stand er vor den schweigenden Reihen, ein plump geduckter, blutbeschmutzter Herold. »Wir haben ihn!« rief er über sie hin; doch nicht siegesfroh strahlend, sondern, bei aller Befriedigung, übermüdet und düster.

III

Je finsterer, gewalttätiger, unberechenbarer der König war, desto deutlicher zeigte sich, daß mehr und mehr der Liebling der Armee Kleitos wurde.

Der junge General, der von allen öffentlichen Beratungen sich möglichst fernhielt, fast nie kommandierte, hatte eine kleine Schar von Anhängern immer gehabt. Diese vergrößerte sich. Da alle anderen Offiziere und Würdenträger immer grausamer und übellauniger wurden, empfand man seine leise und verträumte Lustigkeit dankbar als Wohltat.

Er schien über den Situationen zu stehen. Deshalb verehrte man ihn. Seine Ratschläge, die er nebenbei und wie im Scherz zu geben pflegte, trafen den Nagel stets verblüffend genau auf den Kopf. So nahm man sie nach und nach ernster als die irgendeines anderen.

Dabei schien ihn selber sein politisch-strategisches Talent nicht im mindesten zu interessieren. Er verachtete die Realität, wie als Kind, so noch immer. Heute wie damals waren die Männer der Leistung Gegenstand seiner geschwinden und spöttischen Redensarten. Er mokierte sich über die Wirklichkeit, in der er alles hätte erreichen können. Keinen Sieg nahm er ernst, auch keine Niederlage wäre ihm nahegegangen.

Denn in Regionen spielte sein Geist, wo die dünnere Luft weht, in der Sterbliche nicht gedeihn. Dort, wo er beheimatet war, schien alle Problematik, Tragik und Schwere dieser unserer Welt in lustige und komplizierte Figuren sich aufgelöst zu haben, die tänzerisch-geometrisch sich ineinander verschoben.

Seine Feinde sagten, daß er kindisch sei, er könne nichts ernst nehmen. Sie irrten sich; denn es stand nicht so, daß er die Wirklichkeit nicht bestanden hätte. Sie war ihm nicht der Mühe wert, weil sie plump war. In ihr ließ er einen anderen groß sein, dem er selber, aus Neugierde, Spielsucht und geheimnisvollster Zärtlichkeit, zu dieser Größe verholfen hatte.

Weit mehr als die Kämpfe zwischen Asien und Griechenland fesselten ihn die Abenteuer und Entscheidungen jener Punkte, die seine Phantasie in die Luft zauberte. Er war zu keusch, um an den Kämpfen der Materie teilzunehmen. Wie er seinen Körper von Berührungen fernhielt, so auch seinen Geist, den alles, was Gewicht und Körper war, langweilte.

Da er vollkommen rein war, so auch vollkommen grausam. Mitleid war seinem Herzen ebenso fremd wie Ehrgeiz.

Dem Alexander, auf dessen riesenhaftes Schicksal er als einziger mit Olympias Einfluß gehabt hatte, war er im Laufe der Jahre nicht um einen Schritt näher gekommen.

Dagegen schien in den letzten Monaten zwischen ihm und Hephaistion ein Bündnis subtiler und schwer deutbarer Art im Entstehen. Nach so langen Jahren eines standhaft innigen, verzichtenden und aussichtslosen Werbens um Alexander, der immer unnahbarer, immer unbegreiflicher inmitten seiner Einsamkeit sich befand, begann in Hephaistion etwas nachzulassen; eine schon zu lange erprobte Bereitschaft, eine Treue, die sich sinnlos werden fühlte, weil der, dem sie galt, sie nicht anerkannte, über sie wegsah, ihr Vorhandensein nicht bemerkte.

Über Alexander sprach Kleitos mit Hephaistion nie, dieses Thema zu berühren vermied sein höchst empfindliches Gefühl; er erzählte nur Märchen, promenierten sie miteinander. Um so dankbarer hing Hephaistion an ihm, er empfand mit glücklichem Staunen, daß der unnahbare Kleitos für ihn, nur für ihn menschlichere und weichere Töne hatte. »Es ist Mitleid«, sagte er sich; es machte ihn trotzdem stolz.

Abends versammelte Kleitos bei einem Brunnen oder einer Säule Freunde um sich, unter denen stets Hephaistion war. Kleitos kauerte und fabulierte, wobei er manchmal leise lachte und planlose kleine Handbewegungen hatte. Sein Gesicht war kindlich wie je, in den weichen Backen saß Schalkhaftigkeit, auf der hellen Stirne heiterer, doch strenger Ernst. Wenn er sich im Reden unterbrach, geschah es, um mit einem schillernd grauen und verlockenden Blick über die Runde zu schauen.

»Niemand hüpft schneller als mein Drachenschwein«, fuhr er in seinem Lügenmärchen fort, das kindlich-kompliziert ersonnen war. »Läßt man es in Frieden, ist es ja so weit ganz possierlich. Reizt man es aber, hu, hu – –«

Unter der Verzauberung seiner rätselhaften, hellen und leisen Worte atmete alles gedämpfter. –

Indessen grölte Alexander mit den Kumpanen an einer besudelten Tafel.

 

Nach einem großen Festmahl, das der König seinen Offizieren gegeben hatte, wurde Kleitos aufgefordert, eine seiner verwunschenen Geschichten zu erzählen; vor allem Hephaistion war es, der in ihn drang: »Wir möchten es alle!« rief er warm; und plötzlich, etwas verwirrt, zu Alexander: »Er erzählt nämlich so hübsch. Er weiß immer lauter Geschichten, die niemand weiß; die verwebt er dann wieder mit anderen Geschichten –« Kleitos lächelte unerklärlich.

Alexander, im persischen Prunkkleid an der Spitze der Tafel, winkte kurz, ohne einen von den beiden anzusehen: »Er soll erzählen. – Aber was Hübsches«, fügte er mit einem drohenden Lachen hinzu.

»Wahrscheinlich kennt ihr das Märchen schon, an das ich in letzter Zeit soviel denke«, sagte Kleitos, ohne auf Alexander zu achten, mit einer spöttischen Versonnenheit, die beunruhigend war. »Es wird euch trotzdem gefallen –

Paßt auf: Ihr seid in Uruk, der großen und glänzenden Stadt, ihr mächtiger Fürst nennt sich Gilgamesch, er ist zu zwei Dritteln Gott, zu einem Drittel aber nur Mensch. Das muß unangenehm sein –« Er lachte, grausam belustigt bei dem Gedanken an die Leiden des Halbgottes; dem Alexander schien es, er sähe ihn an, während er lachte.

»Er war sehr ehrgeizig, angeblich für Uruk, in Wirklichkeit aber für sich. Uruks Pracht soll strahlen in allen Städten, proklamierte er schallend. Eigentlich aber wollte nur er strahlend sein.

Die Menschen, die er zu grausam ausnutzte und verwendete, damit sein eigener Ruhm wachse, wandten sich in ihrer Not und Hilflosigkeit an den Himmelsgott Anu. Dieser wieder setzte sich mit Aruru in Verbindung, die des Formens kundig war. Sie beschloß, einen Gesellen zu schaffen, Enkidu mit Namen, der ebenso stark sein sollte wie der übermütige Gilgamesch, damit Uruks König einen Gegner habe und sein Übermut abnehme, der Göttern zum Ärgernis und Menschen zur Beängstigung wurde.«

Kleitos lächelte und schwieg. Er sah auf seine bräunlich zarten, aber festen Hände, die unruhig waren. »Es geht wunderbar weiter«, sagte er lächelnd. »Um Enkidus Kraft und Unschuld zu lähmen – denn er spielte, wunderbar anzusehen, mit den starken Tieren der Wildnis –, schickte Gilgamesch in seiner übergroßen Schlauheit ihm ein Weib, und zwar ein ausgezeichnet geübtes, ein der Ischtar geweihtes. Die brach in einem Liebesspiel, das sechsmal vierundzwanzig Stunden währte, seine Kräfte. Enkidu, von ihr verlockt, eingeweiht und verdorben, folgte ihr, plötzlich unruhig und wissensdurstig geworden, nach Uruk, der weithin glitzernden Hauptstadt. Gilgamesch, der darauf nur gewartet hatte, besiegte den Geschwächten im Zweikampf leicht, wobei er ihn aber schon liebevoll preßte, wie man ein Weib preßt.«

Kleitos schloß eine Sekunde die Augen, mit ihm Alexander. Beide lauschten, eine Sekunde lang, in ihr Inneres, vielleicht auch in das Innere des andern hinüber. Denn sie wußten, nun kam die Geschichte einer großen Freundschaft, die ihre hätte sein können, die ihnen aber nicht zuteil geworden war. – Mit um so heller aufgeschlagenem Blick fuhr der Märchenerzähler fort.

»Die Freundschaft zwischen den beiden wuchs riesenhaft. Gilgamesch machte den Jüngling, den er hatte töten wollen, zum Ersten in seinem Reiche; Enkidu duldete es, wie ein prachtvolles Tier, das man feiert und putzt. Sie liebten sich mit aller Kraft ihrer starken und göttlichen Seelen.«

Kleitos lachte, dabei ließ er den schillernd grauen Blick über die Runde gehen, schließlich hielt er bei Alexander: »Ich finde das reizend, wie die alte Göttin Aruru sich verrechnet hat. Sie wollte dem Gilgamesch einen abscheulichen Gegner machen und schuf ihm, was seinem Leben erst Sinn und Köstlichkeit gab.«

Auch Hephaistion lachte, sanft und gerührt. Kleitos erzählte weiter.

»Leider hatte Enkidu manchmal häßliche Träume; er konnte sich wohl an das Stadtleben, das üppig war, nicht ganz gewöhnen. Sie opferten, damit es besser würde, dem Sonnengott Schamasch, indem sie in einen Napf aus rötlichem Gesteine Honig, in eine Schale aus Lapislazuli Butter füllten und die Sonne beides auflecken ließen. Doch die Gottheit ließ sich nicht abspeisen, sie verlangte von ihnen ein Abenteuer. Sie sollten, wurde gefordert, den Unhold Chumbaba töten, der am Götterberg im Zedernwalde sein Unwesen trieb.

Da die Vorzeichen günstig waren, machten die beiden Freunde sich auf; aber das Wagnis war gräßlich. Nichts konnte so erschreckend anzusehen sein wie Chumbaba: seine Augen waren Feuer, sein Maul spie Gift, sein Zeugungsglied war eine zischende Flamme. Mit seinem feurigen Horne spießte er beide auf, schleuderte sie, so daß sie tausend Meter durch die Luft flogen, versuchte dann, auf ihnen herumzutrampeln. Aber sie waren geschwinder. Mit ihren Speeren fuhren sie ihm in den Hals. Ihren innig vereinten Kräften gelang es schließlich, ihn zu erlegen.«

Durch den Kreis ging ein Aufatmen, in dem Genugtuung war. Auch Alexander, der mit hingerissenen Augen vorgeneigt lauschte, atmete befreit. Sie hatten gesiegt, mit den innig vereinten Kräften! – Indes fuhr Kleitos schon fort, jetzt mit einer triumphierenden Stimme.

»Durch die Lust der Freundschaft und das Siegesglück verschönt, erblühte Gilgamesch so über alle Maßen prachtvoll, daß Ischtar selber, die doch etwas verstand, ihm Anträge machte. Da war sie an den Richtigen gekommen.

Der Held, dem ihre fette Wollust ein Greuel war, schrie ihr das Allerschlimmste ins Gesicht; war dreist genug, sie einen Schlauch zu nennen, der seinen Träger belästigt; einen Elefanten, der seine Decke abschüttelt; einen Schuh, der seinen Besitzer drückt. Er sagte ihr die Meinung so offen, wie sie ihr noch keiner gesagt, hielt ihr schonungslos alles vor, was sie je verbrochen hatte, ihre Bosheiten, Flüche und Listen; schließlich alle Liebhaber, die sie jemals gehabt – und es waren ihrer nicht wenig –, wie abscheulich sie mit jedem einzelnen verfahren und umgesprungen.

Ischtar schrie, stampfte und fuhr Rache sinnend gen Himmel.«

Man kannte Ischtar, alle wußten, auch Alexander, daß sie so grausam wie bezaubernd sein konnte. So lauschte man mit einer dumpfen Erregtheit, was kommen würde. – Es kam noch trauriger, als irgend jemand hatte glauben mögen.

Zunächst freilich sandte Ischtar, die ihren Gegner unterschätzte, den schnaubenden Drachenstier gegen Gilgamesch, damit er ihn zerstampfe und in Stücke reiße. Aber der, mit seinem Enkidu kämpfend Seite an Seite, war unbesiegbar, er vernichtete das Ungeheuer. Da die Bestie verröchelt war, riß er ihr zum Hohn und Spott noch eine Keule aus und warf sie der Ischtar ins Gesicht, worauf die vor Zornesraserei zu tanzen, zu singen und zu jubilieren begann.

»Aber nun traf sie ihn, wo er empfindlich war«, sagte Kleitos, und jeder wußte, wo sie ihn traf. »Sie schickte dem Enkidu, dem Geliebten, das Fieber. Der Schöne lag entkräftet danieder, ach, in seinen Phantasien klagte er die Dirne an, die ihn einstmals aus Wildnis, Unschuld und Einsamkeit nach Uruk verlockt. Er wünschte ihr mit seinen letzten Atemzügen, daß Trunkene und Durstige sie auf die Backe schlagen sollten.«

An dieser Stelle hatte Kleitos ein Lächeln, das sowohl spöttisch als traurig war und in Alexander einen Zorn entstehen ließ, der dunkel anwuchs und den er zunächst selbst unbegreiflich fand. Sowohl traurig als spöttisch fuhr Kleitos fort.

»Diese Verwünschungen waren freilich besonders kränkend für Gilgamesch; denn ohne die Dirne, die Enkidu nun verfluchte, wären die beiden doch niemals zueinander gekommen. – Enkidu starb in den Armen des Freundes, ohne ihn noch einmal erkannt zu haben. Gilgamesch erstarrte vor Schmerz.«

Auch Kleitos schwieg, schüttelte nur bekümmert den Kopf. »Und so große Taten hatten sie doch miteinander vollbracht«, sann er kopfschüttelnd. »Nun klagte der König: Finster siehst du aus und hörst nicht meine Stimme. – Er breitete über ihn den Mantel, wie über die Braut.«

Alexander erschrak vor sich selbst, denn er verspürte auch jetzt nur Zorn, nicht Trauer. Sein Zorn wuchs, als Kleitos weitererzählte.

»In Gilgameschs großer, aber unreiner Seele mischte sich in den tiefen Schmerz um den einzig Geliebten eine Angst um das eigene Leben, die noch tiefer und heftiger war. Wenn dieser gestorben ist, der das Leben selbst schien: wie leicht konnte es nicht ihn, den Gilgamesch, treffen. So fürchtete er sich und klapperte mit den Zähnen.

Aus Qual und Ratlosigkeit machte er sich auf, den eingeweihten Utnapischtim zu besuchen, der am Ende der Welt wohnte und ihm das Geheimnis des Lebens verraten konnte. Die Reise zu ihm währte Jahre, am Ende hatte der Fürst von Uruk, den man edelsteinüberladen gekannt hatte, nur noch lausige Lumpen und Felle an.

Er kam durch alle Städte der Menschen, dann durch Wildnis und Wüste, schließlich durch verzauberte Gegenden, an Drachenschlössern vorbei, durch das schwer zugängige Reich der Skorpionmenschen, durch verwirrende Edelsteinwälder, schließlich zu dem großen Wasser, das der Welt Ende ist und hinter dem Utnapischtim wohnt. Weiter war kein Sterblicher gekommen; Gilgamesch mußte weiter, denn er war angsterfüllt und gierig danach, zu erfahren, wie alles zusammenhängt und wie man das ewige Leben erwirbt. So brachte er den Fährmann Schanabi dazu, ihn über das Wasser zu nehmen, was mehr Qualen, Anstrengungen und Entbehrungen kostete, als je ein Mensch auf sich genommen. Dieser trug sie, da er wissen wollte.

Seine erste Frage an Utnapischtim, der ihn mit erstaunter Würde empfing, lautete: was der Tod sei. Der Eingeweihte antwortete zurückhaltend: Wütend ist der Tod, keine Schonung kennt er. Seit jeher gibt es keine Dauer.« –

Alle sahen Alexander eine Bewegung machen, als wolle er dem Erzählenden aufzuhören gebieten; Kleitos allein schien nichts zu bemerken, vielmehr wurde er immer ausführlicher.

»Statt weiter auf Gilgameschs maßlose Fragen einzugehen, erzählte Utnapischtim seine eigene Geschichte, die wunderbar war, denn er als Einziger hatte die große Flut überlebt, mit der die Götter einstmals eine gar zu üppig und verbrecherisch ins Kraut geschossene Menschheit gezüchtigt hatten. Da Adad das weite Land wie ein Geschirr zerbrach und so schrecklich wütete, daß sogar die Götter sich gleich Hunden verkrochen, rettete sich der sehr, sehr Kluge mit Familie und einigem Getier in das Fahrzeug, dessen Maße Ea selbst ihm angegeben. – Wie öde und feierlich kam ihm Stille entgegen, da er sein Fahrzeug wieder verließ und sah: die Menschheit war allzumal zu Erde geworden. ›Über mein Antlitz gingen Tränen nieder‹, schloß der Alte, dem die Götter die Unsterblichkeit gegeben hatten. –

Gilgamesch lauschte atemlos, aber seine Augen bettelten und flehten um das ›Eigentliche‹. Der sehr, sehr Kluge empfand Mitleid, so verriet er ihm das Geheimnis: Wenn er auf den Grund des Meeres steigen wolle, könne er in der Tiefe das Kraut finden, welches das verheißene und lebenspendende ist. – Gilgamesch in seiner großen Gier band sich Gestein an die Füße und fuhr zur Tiefe. Unten traf er das Kraut, nach dem er ausgezogen war; es fühlte sich stachelig an. – So durfte er sich auf den Heimweg machen. Aus Dankbarkeit nahm er Schanabi, den getreuen Fährmann, mit.

Da er unterwegs badete, um ein wenig Erfrischung zu haben, roch die Schlange das wundertätige Gewächs, das er am Ufer versteckt hatte; doch nicht sorgfältig genug, denn sie stahl es ihm, während er plätscherte. – So war er umsonst gewandert, all die Jahre lang, er kehrte ohne das Geheimnis zurück, wie er ausgezogen, nur viel älter geworden, beinah ein alter Mann. Er regierte in Uruk, aber ohne viel Freude. Der wackere Schanabi blieb sein Minister.«

Wie Kleitos verstummte, lag auch auf der Runde bedrücktes Schweigen. Seine Trauer hatte alle im Bann. Nur Alexander lehnte sich auf, er lachte plötzlich, während alle anderen bedrückt in die Becher schauten. Dieses Lachen, das rauh, aber unbekümmert begonnen hatte, verstummte unter dem Blick des Kleitos, der grausam-ruhig dem finster erregten des Alexander begegnete.

Während er seine Geschichte zu Ende erzählte, ließ Kleitos diese eisig stillgewordenen grauen Augen, deren schwarze Pupillen sich zu vergrößern und dabei sehr starr zu werden schienen, nicht mehr vom König. Er wandte sich nur noch an ihn, mit einer kummervoll gedämpften, dabei silbrig klaren Stimme; die übrige Gesellschaft war vergessen.

»Erst einige Jahre später erreichte Gilgamesch ein Zusammentreffen mit Enkidus Schatten, bei der unterweltlichen Majestät Ereschkigal setzte er's durch.

Es kam zu keinem rechten Gespräch zwischen den beiden, sie blieben sich fern. Gilgamesch, in dessen Herzen nichts mehr war als Wissensdurst und Todesangst, schmachtete danach, das Eigentliche‹ zu hören; Enkidu fand nichts Tröstliches; auch nicht, daß noch Liebe zwischen ihnen sei. Nur, wie fürchterlich es wäre, tot zu sein, sagte er aus. ›Siehe, der Freund, den du umfaßtest, daß dein Herz sich freute, den fressen die Würmer, gleich wie ein altes Gewand.‹ – Das war eigentlich ihr ganzes Gespräch.

Gilgamesch stellte noch hastig einige Fragen, aber der schmerzensreiche Schatten antwortete nur: ›Wenn ich die Ordnung der Unterwelt, die ich schaute, dir sagte, müßtest du dich den ganzen Tag hinsetzen und weinen.‹ Schon jetzt weinte Gilgamesch. Schließlich wollte er nur noch wissen, welches Los denn dem Geist beschieden sei, der auf Erden keinen ›Pfleger‹ habe; denn er selber hatte ja keinen Pfleger, bei all seiner Herrlichkeit –: ›Sahst du einen solchen?‹ fragte er deshalb in seiner Angst. Der Schatten antwortete:

›Ja, ich sah; im Topf Gebliebenes, auf die Straße geworfene Bissen mußte er essen.‹ – Damit verschwand er. –

Bald darauf starb der Fürst von Uruk, obwohl er zu zwei Dritteln Gott war. Sein Leben lang war er ratlos, maßlos und unruhigen Herzens gewesen.«

Alle hielten die betrübten Stirnen gesenkt, dem Hephaistion liefen große Tränen über das sanfte Gesicht. Kleitos ließ die rätselvollen Augen, die im Halbdunkel schimmerten, nicht vom König.

Der befahl Wein, wobei er mit übertriebener Geste auf den Tisch schlug. »Du weißt unangenehme Geschichten«, sagte er zu Kleitos; seine Worte waren unnatürlich, wie seine Bewegung. Kleitos lächelte nur.

Der König trank, er wurde lauter und ermunterte die Gesellschaft, indem er selber sich gehen ließ, zu immer gröberer Lustigkeit. Wie er, mit geröteter und gedunsener Miene, schon verglasten Augen, alle zu reichlicherem Trinken drängte, fast zwang, konstatierten viele, daß er an seinen Vater erinnerte.

Obwohl manche ihn unheimlich fanden, grölten alle mit ihm. Nach einer halben Stunde gab es nur noch Betrunkene oder solche, die sich so benahmen. In einem Gewühl von Schreienden, Zotenreißenden, Taumelnden, Spuckenden saßen, als die einzigen, die still geblieben waren, Hephaistion und Kleitos; der eine angstvoll, unruhig, beklommen, der andere von leiser, versonnener und entfernter Heiterkeit.

Am Ende der Tafel war einer der Literaten und gelernten Schmeichler auf eine Idee gekommen, die man allgemein vorzüglich fand: Jeder, wurde beschlossen, sollte eine Lob- und Ruhmesrede auf Alexander halten, auf seine Taten und auf seine glorreiche Person. Wer es am besten machte, würde einen goldenen kleinen Gegenstand bekommen. Dem benommenen Alexander schien der Plan zu gefallen; unten fing schon einer an mit seinen Tiraden.

Er trug faustdick auf. Man hätte schon allzulang, meinte der Schwätzer, die Leistungen älterer Heroen gepriesen, der Herakles, Perseus und Theseus; habe doch Alexander, der Mazedone, sie samt und sonders um ein Erhebliches übertrumpft, ja sogar die Helden Homers in den Schatten gestellt. »So hat der Enkel den Urahn überboten: Alexander wurde größer als Achill!« Seine Schlußpointe donnerte der lügnerische Mensch mit selbstgefälligem Pathos; man klatschte Beifall. Auch Alexander klatschte, aber nur kurz.

Denn plötzlich richtete er den Blick, der nicht mehr glasig war, auf Kleitos. Mit einer Hand, die nur sehr wenig zitterte, wies er auf ihn: »Jetzt soll der mir eine Ruhmesrede halten!« sagte er mit schwerer Zunge langsam und drohend. Alles verstummte, schaute auf Kleitos; der lächelte, als ginge ihn hier nichts an.

Der König, noch einmal, mit finsterer Hartnäckigkeit: »Jetzt soll der mir eine Ruhmesrede halten –« Und da Kleitos immer noch lächelte, nicht einmal zu ihm hinsah – mit einer wütend geduckten Stirn, unter der die Augen schwarz brannten:

»Hier am Tisch sitzt einer, der mich verachtet und der nicht zu meinem Ruhm reden will. Der findet, ich sei rastlos, maßlos, unruhigen Herzens immer gewesen. Und essen soll ich, was im Topf geblieben ist. Das also bietet er mir an. Soll ich euch verraten, warum? Ich habe ihn einmal sehr gestört, ich habe ihm einmal beinah die Figuren verdorben, das verzeiht er mir nie. Wenn der wüßte, wie er mich gestört hat, seit ich denken kann, seit ich atmen kann – oh!«

Wie er den Kopf zurücklegte und schrie, wußte keiner, ob er den Anblick eines Jammernden oder eines Zürnenden bot. Ein verzweifelter und Unglück bringender Gott stand er, von Angst und kalter Neugier umgeben, allein wie noch nie an der Spitze seiner festlichen Tafel, mit nach hinten gesunkenem Haupt, schmerzlich klaffendem Mund, Händen, die sich ineinander verkrampften.

Indessen bedrängten Kameraden den Kleitos: er müsse sprechen, sonst passiere ein Unglück. Da Kleitos aufstand, war sein Gesicht heiter wie je, freilich noch um einen Ton blasser. Es hatte ganz den bleichen Schimmer der Perle, vor allem von der glatten Stirn ging ein Glanz aus, darunter die Augen, die so grausam wie heiter und friedlich schauten, waren von den erweiterten Pupillen beherrscht.

Er begann zu sprechen, sehr leise, aber silbrig klar und ganz deutlich. Alexander, mit gierig hingehaltenem Ohr, halbgeöffnetem Mund, lauschte mit einer Inbrunst, als gelte es, die Entscheidung seines Lebens, von der Glück und ewige Trauer abhingen, hier und jetzt, aus diesem Mund zu erfahren.

»Man sagt allgemein, du habest große Taten vollbracht«, hörte er die Stimme des Kleitos. »Ich verstehe ja davon nichts. Auch habe ich nicht darauf geachtet, ich hatte doch an anderes zu denken. In der Welt, in der ich lebe, Alexander, hast du nichts ändern können. Nicht einmal gestört hast du mich. Ich kenne dich gar nicht«, sagte er langsam und sah ihn mit einer unbarmherzigen Nachdenklichkeit an. »Wenn ich an dich dachte, empfand ich immer nur Mitleid. Hast du nicht zu meinen Füßen gelegen?«

Er kam nicht weiter, denn Alexander hatte der Wache, die hinter ihm stand, die Hellebarde aus der Faust gerissen. Er schwang sie; ehe man schreien konnte, flog sie auch schon.

Kleitos sank langsam. Keiner hatte einen Laut des Schmerzes oder Entsetzens aus seinem Munde gehört, der weiß wurde wie seine leuchtende Stirne.

 

Als Alexander drei Tage und drei Nächte im verdunkelten Zelt allein gewesen war, glaubte er, die Götter würden gnädig sein und ihm den Verstand nehmen. Er hatte Tausende von Malen das Schicksal, das er selbst sich zumutete, zu Ende gedacht, nun hoffte er, sogar seine Leidenskraft sei zu Ende. »Gebt mir Dunkelheit!« flehte er zu den Mächten. Aber das Licht blieb, mit ihm das Bewußtsein einer Einsamkeit, die unertragbar wurde.

Er gestattete dem Hephaistion, zu ihm zu kommen, empfing ihn sanft und gefaßt. »Töte mich!« bat er zärtlich. Der andere stutzte, wußte nicht, was zu tun, faßte hilflos, wie damals auf dem Schiff, nach seiner Hand. »Töte mich!« bat noch einmal Alexander. »Hier ist mein Schwert –«

Mit einer Gebärde, in der alle Müdigkeit lag, die nach diesen dreimal vierundzwanzig Stunden über ihn gekommen war, deutete er auf die Waffe, die neben ihm lag. »Tu es doch!« forderte er sanft. Mit einem traurig entgleitenden Blick fügte er noch hinzu: »Wenn ich es selber tue, habe ich doch keinen Pfleger –«

Da Hephaistion das bittend hingehaltene Schwert nicht nehmen wollte, wandte sich Alexander, enttäuscht wie noch nie. Nach einer langen Pause sagte er nachdenklich: »Habe ich ihn denn geliebt, Hephaistion?« Hephaistion, den die Tränen würgten, nickte.

»Doch, geliebt habe ich ihn«, entschied wehmütig Alexander. Nun weinte auch er; wie es schien, mehr aus Müdigkeit als aus Schmerz. Er weinte, ohne das Gesicht zu verziehen, sanft und reichlich flossen die Tränen aus seinen Augen, die solche Wohltat nicht mehr gewohnt waren.

»Nimm doch das Schwert!« bat er nochmals; aber dabei ließ er sich schon, endlich nachgebend, dem Hephaistion in die Arme sinken, die der fest um ihn schloß.

»Statt mich zu töten, küßt du mich. Du küßt mich, statt mich zu töten.« – Hephaistion, der ihn wie ein Kind wiegte, wußte nicht, ob Alexander diese Worte aus Dankbarkeit oder als wirkliche Anklage immer wieder lallte, bis er einschlief.

IV

Da einige Soldaten der großen Armee auf ihren Streifzügen ahnungsloserweise das Gebiet der Amazonen betreten hatten, schickten diese Gesandtinnen und erklärten den Krieg, so sehr fühlten sie sich beleidigt.

Erst gab es großes Gespött und Gelächter im Lager, sogar den Alexander machte der Zwischenfall lustig. Gegen diese geharnischten Damen zu kämpfen, dachte er sich amüsant, es brachte endlich Abwechslung. Die Laune seiner Soldateska mußte steigen, hatte man diesen originellen Feind erst besiegt und die Gefangenen in den Zelten. Durfte man von den Botinnen auf die übrigen schließen, schienen die Kriegerinnen ebenso hübsch wie energisch zu sein.

Weibliche Fülle zwar hatten sie nicht viel zu bieten, doch davon hatte man in Babylon genug bekommen. Die Brüste, hieß es, waren ihnen wegoperiert, das fanden die an Päderastie gewohnten griechisch-mazedonischen Soldaten gerade sehr anziehend: das weibliche Geschlecht zu den harten, schmalen und trainierten Knabenkörpern. Und wie sie den Kopf hielten! So tapfer und lustig wild funkelten die Augen keiner griechischen, persischen oder ägyptischen Frau.

Hochgemut zog man aus zu diesem Kampfspiel, das man als das besonders dringliche Werben um eine störrische, doch sehr begehrenswerte Geliebte auffaßte, die sich mit hartnäckiger Koketterie allen Männern versagte.

Überraschenderweise wurde es ernster. Die schönen Zwitterwesen ließen nicht mit sich spaßen, vielmehr kämpften sie grausam und unerbittlich. Man merkte, daß sie im Innersten aufgebracht, empört und rachsüchtig waren. Seit Jahrzehnten hatte ihr Gebiet kein Mann betreten, selbst der Perserkönig hatte es nicht gewagt; und nun die Leute dieses hergelaufenen Alexander. – Vor allem die junge Königin und oberste Kriegsherrin, Roxane, schien besessen von Wut; die Pfeile, die sie schleuderte, saßen am besten, und sie waren am schlimmsten vergiftet.

Daß es sich hier nicht um erotischen Spaß handelte, sondern um blutigen Kampf, merkten Alexanders Soldaten am ersten Tag schon. Es gab viele Tote. Kein Feind war so rabiat wie dieser gewesen. Waffen, Steine und Geschosse flogen überraschend aus Verstecken, ein glitzerndes Wesen sprang vom Felsen dem fassungslosen Mann auf die Schultern; würgte, biß, stieß dem Unglücklichen, wenn er hinsank, das kurze Schwert in den Hals. Als ein Unvorsichtiger an einer, die er gefangen hatte, einer besonders Wilden und besonders Schönen, Rache nehmen wollte, indem er sie vergewaltigte, waren zwanzig andere da, völlig wie aus der Erde gestampft; sie zerrissen ihn in blutige Fetzen.

Da nahmen auch die Männer sich zusammen. Wenn es einmal um ihre Ehre gegangen war, so diesmal. Sie waren mit dem Dareios, mit dem Bessos fertig geworden; warum nicht mit diesen geharnischten Furien? – Nun lernten auch sie den Rausch der Grausamkeit kennen. Die sie fingen, schändeten sie nicht mehr, sie erdrosselten sie, zerschnitten ihnen Gesicht, Brust und das Geschlecht, das sich ihnen nicht hatte ergeben wollen. Hätten sie nur erst die Königin! Diese müßte Alexander selbst ermorden.

Welch Triumph, das Weiberheer fing an sich zurückzuziehen! Immer noch kämpfend, kleine Vorstöße immer noch wagend, suchten sie ihre Burg zu erreichen. Die freilich galt für völlig uneinnehmbar. Von dem Felsen, auf dem sie lag, hieß es, nur geflügelte Soldaten könnten ihn nehmen. Hatte man selbst den Felsen, blieben eiserne Tore, dicke Mauern, und aus den kleinen Fensterluken gossen die Frauenzimmer siedendes Öl, schleuderten ihre tödlich präparierten Pfeile.

In diese höllische Burg sah man als letzte Königin Roxane verschwinden. Sie grüßte höhnisch, winkte, rief etwas Grelles; angesichts ihrer gereckten Gestalt lief es den Soldaten drunten eiskalt über den Rücken.

Über ihre Ausschweifungen und Grausamkeiten waren in der Armee die finstersten Gerüchte im Umlauf. Man erzählte sich mit gedämpfter Stimme von den kleinen Kindern, die sie zu schlachten pflegte, von den Bestien, auf denen sie ritt, von den Beschwörungsformeln, Zaubereien, unanständigen Kulten, mit denen sie vertraut war. Manche verglichen sie mit Olympias, doch war sie ohne Frage noch schrecklicher.

Wenn man Alexander dergleichen erzählte, winkte er ab. Diese war ein Feind wie alle anderen. Feinde waren dazu da, besiegt zu werden.

So konzentriert hatte er nicht einmal vor der Schlacht bei Issos mit seinen Generalen sich besprochen. Man kannte diese schwärzlich verfinsterten Augen, dieses entschlossene Muskelspiel um den Mund. Doch so energiegeladen und kalt hatte seine Stimme noch nie geklungen.

Der Angriffsplan, den er seinen Führern unterbreitete, war ebenso listig wie kühn. Sicher war es der verwegenste, den er jemals entworfen.

Zwei Tage später hatte die Armee Alexanders die Burg der Amazonenkönigin erstürmt. Sie drangen schon in die Säle, ein Teil des Gemäuers brannte, aus rauchenden Trümmern kamen die Wut- und Verzweiflungsschreie der Weiber.

 

In allen Sälen stauten sich die entstellten Leichen, so hatten sogar diese Soldaten noch nie gehaust.

Durch ineinander verknäulte Haufen ringender, blutender, sich sträubender, hinsinkender Leiber sah man unablässig vordringen den König; durch alle Säle, bis ins letzte Gemach. Er blieb an der Tür stehen, mit gereckter Waffe noch, ein Gebannter, als er Roxane einsam, aufrecht, gerüstet mitten im Raum stehen sah. Sie schaute ihm ruhig und feierlich entgegen, unter rötlich-silbrig emaillierten Lidern hatte sie grün-schwarze, tiefernste Katzenaugen.

So schauen sich die an, die sich schon lange gekannt haben, ohne es nur zu wissen, und die mit einem großen Erstaunen plötzlich feststellen: wir gehören zusammen. Nur aneinander noch haben wir uns zu bewähren, wir sind uns vorbestimmt seit eh und je, unbedingt, unerbittlich. Wir haben nichts mehr zu tun, als aufeinander zuzugehen und uns die Hände zu geben, wenn wir's schon wagen.

Sie gingen aufeinander zu mit kleinen, traumwandlerischen Schritten, wie Hypnotisierte sie haben. Als sie unversehens sich so nahe gegenüberstanden, daß sich fast ihre Stirnen berührten, erschraken sie beide. Sie wagten die Augen nicht voreinander niederzuschlagen, obwohl die Augen des einen dem anderen wehtaten.

Die Hochzeit Alexanders mit der Königin Roxane wurde im Lager prunkvoll angerichtet. Alexander hatte den Soldaten das Ehrenwort abgenommen, die gesamte Begleitung seiner Gemahlin mit gewähltester Höflichkeit zu behandeln. Trotzdem wollte zwischen den Truppen und den gepanzerten Damen keine rechte Herzlichkeit aufkommen. Peinliche Zwischenfälle immerhin blieben vermieden, alles verlief würdig zeremoniell.

Eine Damenabteilung geleitete Roxane zum Thron. Alle Damen gingen würdevoll, doch am würdevollsten die Bekränzte in ihrer Mitte. Man hatte die junge Königin köstlich herausgeputzt. Ihre Frisur schimmerte golden-violett von farbigem Puder, auch ihr Gesicht war von strenger Buntheit. Die ausrasierten Brauen wölbten sich majestätisch, darunter schienen die Lider noch kunstvoller emailliert als gewöhnlich. Am eindrucksvollsten war die lange, gebogene, feierliche Nase, die bläulich-weiß geschminkt, mit purpurnen Nüstern, groß hervorsprang. Der junge und scharfe Mund mit prachtvollen Zähnen, schmalen, blutroten, verführerisch festen Lippen lächelte starr. Wie sie auf den Thron zuging, klirrte alles an ihr, der Perlenkopfputz und das metallische Kleid. Ihr Lächeln schien auch zu klirren, so kalt, präzis, unerbittlich lag es auf ihrem schönen Gesicht.

Vorm Thron angekommen, neigte sie die Stirn feierlich, während die Ehrendamen sich zu Boden warfen. Alexander bot ihr die Hand, daß sie zu ihm steige.

 

Nachts, im Zelt, zeigte sie sich verändert. Sie hockte stumm auf dem Lager, Alexander lehnte von ihr entfernt. Sie hatte sich das vergoldete Haar in die Stirne gekämmt, darunter schauten ihre trauriggewordenen Katzenaugen.

Alexander, aus dem Dunkel, sagte leise: »Deine Augen glühen in Ringen, Roxane. Ein roter, ein gelber und zuinnerst ein schwarzer Ring –«

Sie erwiderte mit einer beinah wehklagend flötenden Stimme: »Wäre ich doch erst Mutter deines Sohnes.« Plötzlich hochgereckt, glühend: »Daß ich mit ihm um die Wette kämpfen könnte. – Denn so bin ich«, schloß sie, wieder zurücksinkend, aber mit einem Triumph.

Da Alexander im Hintergrund schwieg, als fürchte er sich, begann sie plötzlich von seiner Mutter zu sprechen. »Du siehst ihr ähnlich«, sagte sie, ihn nachdenklich prüfend. Dann sagte sie noch, sie hoffe, daß der Hochzeitssegen der Olympias bald ankommen werde. »Erst dann könnte ich wahrhaft deiner froh sein«, erklärte sie mit der flötenden Stimme.

Alexander bewegte sich immer noch nicht. Der in allen östlichen Reichen hochberühmte Mund der Roxane, den niemand anders als fest geschlossen oder eisig lächelnd gesehen hatte, zitterte. Ihre Nase ragte rührend pathetisch in dem weichgewordenen und bereiten Gesicht. Von ihrer Stirn kam ein sanftes Leuchten, auch von den silbrigen Augenlidern, die sich schlossen. Sie kniete mit gebeugtem Nacken, eine Demütige. Die Arme, die Pfeile geschwungen hatten, hingen wehrlos. Ihr Körper und ihr Gesicht verklärten sich zärtlich in Erwartung des Gatten und Helden.

Alexander hob die Hände nach ihr; aber er stand zu entfernt, er erreichte sie nicht. Er dachte, die Stirn glühend vor Scham: »Welches Gesetz verbietet mir, sie anzufassen? Habe ich das Recht auf die eigene Hochzeitsnacht verwirkt, weil man mich dazu bestimmt und gesegnet hat, eine größere Hochzeit anzurichten?«

Er sah, wie drüben die Hockende auf dem Lager sich reckte.

Von den Schultern fiel ihr Gewand, der Nacken leuchtete, und die Brüste. – Er blieb am Eingang, wo die Zeltvorhänge gerafft waren. Seine Gedanken wurden schmerzlicher und verwirrter. »Ich kann nicht«, dachte er, »oder darf ich nicht? Warum darf ich denn keinen Sohn haben? Warum darf ich sie nicht anfassen? Warum darf ich nur anfassen, um zu töten? Ach, den ich am liebsten angefaßt hätte, den habe ich ja getötet –«

Sie hörte ihn aufklagen, da rief sie mit einer vor Mitleid singenden Stimme noch einmal seinen Namen. Er aber war nicht mehr im Zelt. Ihn hatte schon die Nacht mit Wind und Einsamkeit empfangen.

 

Die Roxane, die sich ihm in dieser Nacht geoffenbart hatte, sah er nicht wieder. Die er zu Gesichte bekam, war nur noch die Strenge, Angespannte, Eisigkalte. Sie trug ihre Nase wie eine Waffe, unter bunten Augenlidern war ihr Blick der eines berechnenden Raubtiers. Gegen den König zeigte sie sich von vernichtender Höflichkeit, zeremoniell in jeder Bewegung: wie sie schritt, das Gesicht senkte, die komplizierte Frisur trug, mit harten Lippen böse und exakte Worte bildete.

Eine kurze Zeit lang versuchte Alexander um sie zu werben, gleichsam um Entschuldigung bittend. Es erwies sich, welch absurdes Unterfangen dies war.

Einmal lachte sie fürchterlich, da er sie küssen wollte. Sie schrie lachend, mit aufgerissenem Mund und geschlossenen Augen. Lachend wandte sie sich und lief fort.

Seit dieser Szene hielt sich Alexander ihr fern. Das Abenteuer schien für ihn abgeschlossen, er wandte sich seinen strategischen und politischen Angelegenheiten zu.

Wie immer nach seinen intimsten Niederlagen, schien er nach außen gewachsen, herrschsüchtiger und unerbittlicher denn je. Er tyrannisierte seine Umgebung, verhängte härtere Strafen als früher, ausgeklügelte orientalische Foltern.

Abends befahl er den kleinen Bagoas in sein Zelt. Der nahte sich mit schmalen, listig süßen Augen im gemalten Lärvchen. Alexander wandte sich ihm müd entgegen.

»Da bist du«, sagte er matt. »Komm doch näher. Hast du denn immer noch Angst vor mir?«

V

Es war in einem unheimlich halb erleuchteten Keller, wo sich die aufsässigen Pagen nächtens mit Kallisthenes trafen; fast ausschließlich griechische Knaben, ihr Anführer, der ehrgeizig geschmeidige Hermelaos, gehörte einer der vornehmsten athenischen Familien an. Sie begrüßten sich feierlich, mit Kuß und ausführlichem Handschlag. Keiner von ihnen war älter als sechzehn Jahre, mancher von einer vollendeten Schönheit, so vollendet, daß sie rührend wurde. Sie liebten sich untereinander, beinah jeder war der Freund und Liebling eines jeden gewesen.

Außerhalb ihres schwärmerischen Bundes, allein stand Kallisthenes, der Literat; gleichzeitig war er ihr Oberhaupt. Sie verehrten ihn um seiner gewandten hellenistischen Bildung, um seiner bravourösen Wortgewandtheit, auch um seiner Verwandtschaft mit Aristoteles willen; vor allem imponierte ihnen seine unnachgiebige Opposition gegen Alexander.

Er trat unter sie, sein Blick flammte, wie der seiner Kollegen auf dem Marktplatz zu Haus, sein beweglicher, schon etwas ausgeleierter Mund, der an den des großen Onkels erinnerte, öffnete sich zur Rede.

»Er treibt es zu weit!« donnerte Kallisthenes, dabei stampfte er mit dem Fuß. Die Knaben lauschten, mit Augen von finsterer Entschlossenheit unter den jungen Stirnen. »Der Begriff der Freiheit, der unser höchster war, ist ihm ein Spott und ein Gelächter geworden«, erklärte ihnen ihr Führer. »Daß er sogar von uns, von Hellenen, nun den Kniefall verlangt, vollendet das scheußliche Bild. Wir dürfen länger nicht zusehen, griechische Knaben! Eine Tat erwartet die Geschichte von uns!«

Den Jungen lief es eiskalt den Rücken hinunter, sie drängten sich scheu aneinander. Was die Tat sein mußte, wußten sie schon, es war grauenhaft und erhebend.

Hermelaos als erster gewann Fassung wieder. Er trat mit elastisch tänzerischen Schritten in ihren Kreis, freilich glühte es hektisch auf seinen Wangen. »Wir müssen uns Schweigen schwören«, raunte er mit hysterischer Feierlichkeit.

Sie begingen die Zeremonie des Schwurs, indem sie sich alle in die weichen Arme schnitten, Blut in eine Schale rinnen ließen, über der sie Formeln und Versprechen murmelten.

Einigen wurde übel. Die anderen drängten sich ehrfurchtsvoll um Kallisthenes, der mit großer Geste die Blutschale hielt. »Meine griechischen Knaben!« rief er; er küßte jedem die Stirn. Ihnen liefen große Tränen über die kindlichen Backen.

Es wurde ihnen schauerlich zumute, denn aus den Wänden kam Modergeruch, und das Fackellicht ließ phantastische Schatten tanzen. Von Schatten umtanzt begann Hermelaos seinen Plan zu entwickeln.

Jeden Morgen hatten drei Pagen persönlichen Dienst beim Monarchen. Es sollte ausgelost werden, welcher von ihnen den Alexander im Bade erwürgen sollte; »welcher der Tyrannentöter sein darf«, schloß Hermelaos und sah drohend um sich.

Die Knaben schauten grimmig und zum Letzten entschlossen. In den Haß gegen Alexander, den mazedonischen Gewaltherrscher und Peiniger Griechenlands, hatten sie sich seit Jahren gesteigert; in den letzten Monaten hatte der eitle Kallisthenes das seine dazu getan, ihn glühend zu machen. Diese Stunde des zum Bunde vergossenen Blutes, des großen Schwures und des finsteren Planes erschien ihnen die großartigste ihres Lebens.

Das Los fiel auf einen der jüngsten von ihnen, ein blondes Kind mit unfertig süßem Gesicht. Dieses arme, zwölfjährige Gesicht wurde kalkweiß, als das Kind vortrat, in den düster blickenden Kreis der Verschwörer.

»Fühlst du dich fähig?« fragte Hermelaos. Kallisthenes wiederholte mißtrauisch die Frage.

Das Kind nickte heldenhaft; dabei zitterte freilich sein Mund.

 

Nach einer schlaflosen Nacht voll Tränen und klappernder Angst, voll Gebeten und Jammer lief der Kleine zu Alexander und verriet alles. –

Alexander ließ es sich, die Untersuchung persönlich zu leiten, nicht nehmen; er verhörte jeden der jungen Leute einzeln, dann alle zusammen. Ängstlich beobachtete ihn Hephaistion, der im Hintergrund lauschte.

Diese Verschwörung hatte den König entsetzt und gekränkt wie nichts anderes. So also stand die Elite seiner Jugend zu ihm, seine nächste Umgebung, seine Söhne beinah.

Er untersuchte und fragte mit einer leisen, unheimlich flüchtigen Stimme, manchmal lachte er kurz durch die Nase, wenn die Antworten ihn zufriedenstellten. »Aha, ich kann's mir schon vorstellen – Ihr lagt so nachts beieinander. Aber wem kam nur als erstem der Einfall? Das wäre interessant.«

Die Knaben standen mit gesenkten Gesichtern vor ihm. Aufzuschauen wagte nicht einer, sie wußten, daß sein Blick wehtat. Die Hände, die ihn hatten töten wollen, ließen sie hängen, wie Bleigewichte so schwer.

Alexander sah aus eiskalten Augen, die erweitert und schwarz waren, auf ihre rührenden und schönen Figuren. Er prüfte mit einer Unbarmherzigkeit, die ihn selber entsetzte, ihre schmalen Hüften, sehnigen Knie, den jungen Mund, das junge und lebendige Haar. »Das alles werde ich hinrichten lassen.«

Einer von ihnen stürzte, so zitterten ihm die Knie. Alexander dachte mit Grauen: »Sie sind vor mir nichts als Angst. Ich wollte doch, daß sie mich lieben.« – Seine Fragen beantworteten sie mit klanglosen Stimmen. Übrigens log keiner mehr. Es kam ihnen vor, als wisse dieser da sowieso schon alles.

Hermelaos erschien mit tänzerischen Hüften und beweglichen Schultern. »Sein Kopf ist gutrassig«, dachte Alexander, der ihn taxierte. »Schmaler Langschädel, mit langer, etwas höckeriger Nase. Keine Augenbrauen und einen kokett zusammengezogenen, verzerrt lächelnden Mund.«

Er war der erste, der's wagte, dem Alexander ins Gesicht zu schauen; mit süßlich feigem, dabei frechem, farblos boshaftem Blick. »Hier bin ich, König –«, sagte er geziert. Auf seinen Wangen glomm die hektische Röte.

Alexander maß ihn vom Kopf bis zu Füßen. Er durchschaute, erriet ihn, ihm blieb nichts geheim. Dieser war rachsüchtig und weibisch, im Geistigen unklar, aber aus beleidigter Eitelkeit zu allem bereit. Ohne Frage, er war vernachlässigt worden; so hätte er, sonst ein empfindsamer Tänzer, lächelnd zuschauen mögen, wie man seinen König auf langsamer Glut röstete.

»Du bist nicht ungefährlich«, schloß Alexander seine Betrachtung. Der Page senkte eitel den Blick. »Affe!!« donnerte der König. Daraufhin wich das ungesunde Rot von den Wangenknochen des Hermelaos, sein mageres Gesicht verfiel gelblich. Alexander wandte sich angeekelt. Er begann wieder Fragen zu stellen, rasch, leise, exakt. An der Wand standen angstvoll schweigend die Knaben in einer Reihe.

»Du hattest also als erster den Plan, daß ich im Bad erdrosselt werden sollte.« – Hermelaos, mit einer bebenden Unverschämtheit, die leicht zum Weinkrampf umkippen konnte: »Den Plan hatte ich.« »Du hast aus Bosheit vergessen, daß alles, was ihr seid, ihr durch mich seid.« »Ich weiß sehr wohl, daß wir alles, was wir sind, durch Euch, König, sind: elend, verlassen, preisgegeben Barbaren, die Ihr bevorzugt –«

»Du schwätzest!« schrie ihn der König an, plötzlich blutrot im Gesicht. »Du redest, was Kallisthenes flunkert, nach.« Hermelaos hatte wieder das süßliche Lächeln auf dem unnatürlich kleingemachten Mund. »Wir haben uns das alles sehr genau selbst überlegt. Wir haben Euch doch geliebt.« – Da der König stutzte, mit einer blechernen Leierstimme, wie man etwas Eingelerntes hersagt: »Gerade deshalb hassen wir dich jetzt am meisten, denn du hast uns am meisten enttäuscht. Jeder von uns wäre jubelnd für dich gestorben, wärest du unser Führer, wir deine freien Soldaten geblieben. Aber du wurdest Tyrann, du tratest alles mit Füßen, was hellenisch war, zuletzt hast du von allen griechisch Gesinnten den Besten, unseren Kleitos, selber getötet. Tyrann – Tyrann –«, kreischte er, wobei er zappelte wie ein besessener Hampelmann, hellroten Schaum auf den Lippen. Sein Blick funkelte gelb, auf seinen Wangen flammte die Röte wieder; so krümmte er sich hysterisch.

In sein epileptisches Winseln schrie Alexander den Soldaten zu, daß sie ihn packen sollten. »Erwürgt ihn draußen!« rief er mit gewendetem Gesicht, denn wie der Gefesselte tanzte und sich schäumend bog, war ekelhaft anzusehen. »Aber schlagt ihn erst. Er hat euren König beleidigt.«

Die Soldaten schleppten ihn fort, er hing, plötzlich leblos, in ihren Armen, lappenhaft, ein weicher Toter; nur zwischen seinen halbgeschlossenen Augenlidern phosphoreszierte es immer noch hellgrün.

Die Knaben standen unbeweglich und blaß, warteten stumm, was über sie verhängt werden sollte. Mancher zitterte am ganzen Körper, als würde er von einer großen Hand gebeutelt; andere hatten verbissene Gesichter, entschlossen, bis zum letzten mutig zu bleiben. Das hysterisch skandalöse Schauspiel, das Hermelaos ihnen geboten, hatte sie einerseits erschüttert, andererseits aber zur Besinnung gebracht: sie hatten sich anständig zu benehmen.

Auf Alexanders breite, steinerne Figur schauten sie nicht anders als auf ein übernatürliches Wesen, das Gewalt über sie hatte, dem menschliche Regungen schwerlich zuzutrauen waren. Er war der Tyrann.

Der Tyrann winkte. Die Stimme, die von ihm kam, war nicht mehr zornig und hart, was die Knaben erschreckte; vielmehr schleppend, wie belastet von Schmerz.

»Geht!« sagte er langsam. »Ihr sollt nach Griechenland heim. Ich möchte euch nicht mehr sehen.«

Er sah die Reihe ihrer Gesichter vor sich, die Reihe dieser blassen, jungen, angststarren Gesichter. Ihn überkam Müdigkeit, Überdruß und das Gefühl großer Verlassenheit. Er wandte ihnen den Rücken, ging langsam fort.

Im Vorbeigehen sagte er zu Hephaistion: »Schick sie nach Hause. Ich mag sie nicht strafen, sie sind dumm.« –

Nur Kallisthenes wurde hingerichtet. Die Henker schnitten ihm Lippen, Nase, Ohren, Geschlecht und Hände ab, so lebte er noch wochenlang in einem Käfig, verwesend bei atmendem Leib.

 

Die Luft, die um Alexander wehte, wurde immer strenger. Keiner wagte sich ihm unbefangen zu nahen, Seit der entdeckten Pagenverschwörung zeigte er sich kaum noch ohne Begleitung von persischen Offizieren.

Die Orientalen, die ihn zugleich schmeichlerisch und gravitätisch umgaben, bestätigten ihm täglich, daß er Gottes Sohn war. Man konnte ihn allein nicht mehr sprechen, immer waren ein paar würdige und intrigante Vollbärte um ihn. Sie nannten ihn Sprößling des Ammon und sanken umständlich vor ihm zur Erde. Manchen gestattete er, ihn zu küssen, was für einen persisch erzogenen Hofmann die denkbar größte Ehre ausmachte. – Daß er die Proskynesis auch für seine hellenisch-mazedonische Umgebung einführte, machte ihm die meisten Feinde.

Wortführer der renitenten Partei war Philotas, der stets großsprecherisch gewesen war. Dem brünetten, nur zu temperamentvollen jungen Mann hatte sein Vater schon vor Jahren empfohlen: »Wolltest du dich nur etwas herabstimmen, mein Sohn.« Philotas stimmte sich keineswegs herab, im Gegenteil, er trieb es immer dreister.

Trotz etwas aufgeworfener Lippen war der stattliche Mensch beinah schön zu nennen. Für seinen schwarzbehaarten Athletenkörper schwärmten die Weiber. Die dunklen Haare wuchsen ihm die Arme hinunter bis zwischen die Finger, seine trainierten Beine waren zottig. Er hatte einen wirksamen, übrigens dummen Blick und den gockelhaften Gang des militärischen Verführers.

Die Reden, die er über Alexander führte, waren so unehrerbietig wie blöde. Seiner Überzeugung nach hatten Verdienst an den mazedonischen Siegen nur sein Vater Parmenion und er; der König genoß einen Ruhm, der ihm keineswegs zukam.

Solche Schwätzereien kamen dem Alexander selbstverständlich zu Ohren; alle sahen das Gewitter, das sich über dem Haupte des Philotas zusammenzog. Der aber schwadronierte weiter.

Alexander ließ ihn scharf beobachten; schließlich hatte man Anlaß, ihn verhaften zu lassen. Der Verdacht, der auf ihm lastete, war ein peinlicher: er hatte von einem Mordplan mißvergnügter Offiziere gegen Alexander, der ihm notorisch bekannt war, dem König keine Mitteilung gemacht. Das war so viel, als sei er selber am Komplotte beteiligt.

Er mochte donnern und sich blähen, der Monarch ließ ihn schuldig befinden, am nächsten Tage, angesichts der finster schweigenden Armee, hinrichten.

Alexander wohnte dem Akte auf erhöhter Tribüne bei, im Prunkkleid und von seinen Großen umgeben. Man sah keine Miene in seinem Antlitz bewegt, da sein Jugendfreund um Gnade flehte. Er gab dem Henker das Zeichen mit der Hand, die nicht zitterte.

»Ich werde aufräumen«, rief er schrecklich über die Versammlung hin.

Am selben Tage sandte er Boten nach Ekbatana, wo ahnungslos Parmenion mit Backenbart residierte. Die Gesandtschaft des Königs ließ er eilig vor, er hatte lange nichts vom Hauptquartier gehört. Was man ihm aber brachte, war keine militärische Botschaft; vielmehr stießen die drei Bevollmächtigten des Königs mit drei Messern nach ihm: zwei trafen in die Brust und einer in die Kehle. Dies war der Auftrag ihres Herrn gewesen.

Der Alte blieb aufrecht stehen, die drei Beauftragten zogen sich mit Entsetzen von ihm zurück, so schrecklich zürnte und klagte sein Blick. Mit der klassischen Gebärde des großen Schmerzes reckte er beide Arme, seine Stimme donnerte, obwohl er das Messer in der Kehle hatte.

»Sagt dem Tyrannen, der euch geschickt hat, daß der letzte freie Grieche mit mir stirbt. Mein Fluch wird der Tyrannenherrschaft gefährlich werden. Ich gehe, um bei den Göttern gegen ihn zu sprechen.«

Die Tafelrunde Alexanders wurde stiller. Es gab zu viel Schlimmes, an das man sich erinnerte: die Tragödie des Kleitos, der Zwist mit Roxane, ihre Kinderlosigkeit; die Pagenverschwörung; Hinrichtung des Philotas, des Parmenion, die als des mazedonischen Königshauses treueste Diener gegolten hatten.

Der König aber, am Ende des Tisches, sagte mit einer düsteren und radikalen Befriedigung, als genieße er es, so im Leeren zu sitzen: »Wer Hochverräter war, ist beiseite geschafft. Wir können weiter.«

Der Armee wurde bekannt, daß es diesmal bis Indien gehen sollte. Es gab nicht offenen Widerspruch, aber mürrisches Schweigen. »Er führt uns ans Ende der Welt. Was suchen wir dort?« höhnten sie unter sich.

Er aber trat vor sie hin und sagte ihnen mit seiner zugleich drohenden und lockenden Stimme, die immer noch hinriß:

»Ich führe euch ans Ende der Welt.«


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