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Aufbruch

I

Es gab die Sonne, verzauberte Tiere und geschwind fließende Wasser. Von den Tieren wußte Alexander, daß in ihnen die Seelen der Verstorbenen wohnten, man faßte dieses Hündchen, jenen kleinen Esel lieber zärtlich an, vielleicht waren sie der verwandelte Großvater. Auch in den Wellen der Bäche und Gebirgsflüsse wohnten Wesen, die geheimnisvoll waren, dabei so liebenswert, daß man ihnen stundenlang zuhörte, wenn sie scherzten, tanzten, plätscherten. Ähnliche Wesen hausten in den Bäumen und Gebüschen, besonders reizende und kleine in den Blumen, die man deshalb nicht pflücken durfte.

Das Leben war vollkommen schön, solange der Vater sich im Hintergrund hielt. Das tat er meistens, nur bei festlichen Gelegenheiten unterhielt er sich mit dem Kinde, wobei er es auf eine rauhe, Art zu necken liebte. Das Kind weinte nicht, es sah den dröhnend lachenden, bärtigen Herrn durchdringend an, aber der merkte nicht, wie haßerfüllt und wie böse.

Alles schien gut, sogar die Schlangen der Mutter, nur der Vater blieb abzulehnen. Warum lachte der Vater so unangenehm, und wenn man nicht mitlachte, wurde er mürrisch? In seiner Nähe roch es nach Schweiß und Alkohol, in der Nähe der Mutter aber nach Kräutern und schönem Haar.

Gut war Leonidas, der sich einen Pädagogen nennen ließ, obwohl er, bestenfalls, ein Wärter war, wenn er sich auch noch so räusperte und blähte; gut auch Landike, die beleibte und asthmatische Amme. Wie sie schwankend einherging, mit herzlichem, erhitztem Gesicht! Bei ihr war es wohnlich, ihr Busen, der sich freundlich hob und senkte, war die Zuflucht, auf die man bauen konnte. Ihre Geschichten waren nicht so wunderbar wie die der Mutter, aber sie gingen ans Herz. Landike erzählte vom Rebstock aus Gold mit den smaragdenen Trauben, vom goldenen Strom und vom Sonnenquell, von allerlei Abenteuern, Streichen und Narreteien der kleinen und mittleren Götter, an die großen wagte sie sich nicht heran, denn sie war ehrfürchtigen Sinnes.

Aber wenn die Mutter erzählte, versank alle übrige Welt, es blieb nur ihre tiefe, gleichsam grollende Stimme.

Daß Olympias sprach, geschah eigentlich selten, meistens schwieg sie, schaute nur unergründlich unter einer störrisch gesenkten Stirn. Diesem Blick, der unter langen, zugespitzten Wimpern spöttische Tiefe hatte, war eine unheimlich saugende Kraft eigen, er war zugleich schwärmerisch und eiskalt. Sehr beunruhigend war auch ihr Mund, ein großer Mund mit schmalen, stark geschwungenen Lippen, an das Maul eines ruhenden Löwen erinnernd. Das Haar, welches sie halblang trug, war zottig und lockig, auch ihre ungepflegten, schlanken, knochigen Hände hatten etwas Wildes und Raubtierhaftes. Viele hielten die Königin für sehr dumm, andere wieder für geistig gestört. Sie war logischen Erwägungen völlig unzugänglich, von einer bis zur Blindheit hartnäckigen Rechthaberei. Da man sie als jähzornig, sogar als brutal kannte, wagte keiner ihr zu widersprechen; mancher, der es trotzdem riskierte, hatte schon ihre feste Hand im Gesicht gespürt, daß es brannte; sogar Philipp kannte diese gutsitzenden Ohrfeigen.

Meistens schwieg sie, saß und grübelte, höchstens murmelte sie düster, daß sie müde sei. Der ganze Hof beriet, mit welchen Mächten sie ihren mitternächtigen Umgang halte. Warum war sie tags so erschöpft? Weil sie nächtens die schlimmsten Geister beschwor und mit ihnen verkehrte. Das war unanständiger, als habe sie mit einem Sterblichen den Philipp betrogen. Ägyptische Priester, babylonische Magier hatten sie in die anrüchigsten Geheimkulte eingeweiht, auch von Orpheus und Dionysos wußte sie entschieden mehr, als schicklich war. Was trieb sie mit den vielen Schlangen, die in Körbchen bei ihrem Bett wohnten? – Darüber war des Gemunkels kein Ende.

Wenn sie gegen Abend guter Laune wurde, ließ sie sich den jungen Prinzen Alexander kommen. Sie küßte und preßte ihn wild, ihm wurde schwindlig, wenn er den bitter betäubenden Geruch ihres Haars atmete. Sie schaute ihn von unten schwärmerisch und spöttisch an, begann dann unvermittelt zu erzählen, wobei sie sich mit kleinen, schreckhaften Gelächtern unterbrach und dazu mit der knochigen Hand planlos zur Stirn fuhr.

Immer wieder mußte sie die Geschichte von Orpheus erzählen, den die Mänaden zerrissen. Sie zerfetzten ihn zu kleinen Stückchen, weil sie ihn liebten und betrunken waren, er aber, seit dem Verluste seiner Eurydike, keine Frauen mehr mochte. Die neun Musen waren es, die seine blutigen Teilchen klagend sammelten und sie auf einem schönen Berg begruben. – Olympias sang mit ihrer grollenden Stimme die Lieder, welche von Orpheus waren, dann wurde ihrem Kinde feierlicher als beim Beten zumut. Sie summte und brummte, wiegte den Kopf mit dem widerspenstigen Haar; wenn Alexander schon weinte, summte und brummte sie immer noch. »Es ist die Harmonie, die dich weinen macht«, sagte sie träumerisch-lehrhaft. »So habe ich als Kind über die kreisenden Figuren der Sterne geweint –«

Der Geschichte vom Orpheus irgendwie verwandt, aber in seiner Art noch geheimnisvoller, war das ägyptische Märchen vom göttlichen König Osiris, den sein ebenso listiger wie böser Bruder Typhon tötete. Wie er es anstellte, war grausig und kompliziert. Denn er ließ eigens einen Kasten anfertigen, der genau die edlen Maße des Osiris hatte. Daraufhin tat er, als wolle er mit seinen Freunden, unter denen auch der arglose Bruder war, ein Spiel probieren, dessen Sinnlosigkeit hätte auffallen dürfen: jeder der Gesellen nämlich sollte sich in den Kasten legen, bis der sich fand, der am genauesten hineinpasse. Natürlich paßte keiner hinein, nur Osiris, da schlugen sie den Deckel über ihm zu. Sie warfen ihn in den Fluß, die Greulichen, damit seine Leiche in den Ozean fahre. Wo er festgeschwemmt war, am bewaldeten Ufer, fand ihn Isis, seine Geliebte, Schwester und Mutter, die ihn mit aller Innigkeit suchte. Sie pflegte, schmückte, liebkoste den armen Körper ihres süßen Gatten; aber kaum daß sie ihn allein ließ, um ihr Söhnchen Horus zu sehen, bemächtigte sich der königlichen Leiche Typhon und zerstückelte sie in vierzehn Teile.

Mit der Geschichte des königlichen Gottes Osiris war geheimnisvoll verquickt die des Tammuz, der in Babylon herrlich gewesen war; auch die des schöngewachsenen Adonis, welchen man in Kleinasien kannte. Alle diese vergossen ihr Blut, um alle diese klagte die Mutter-Geliebte, die Isis, Ischtar, Astarte oder Kybele hieß.

» Man soll Gott schlachten«, schloß die Königin ihre Märchen mit wollüstiger Grausamkeit, wobei sie schreckhaft lachte und mit der Hand sinnlos zur Stirn fuhr.

Alexander lauschte ihr mit angstvollem Interesse; er träumte schon von den zerstückelten Leibern. Mit tiefer List und Berechnung erweckte die Olympias sein Grauen, seine zähneklappernde Furcht; um so wunderbarer wirkte, was nachkommen sollte.

Denn das Zerstückeltwerden des Gottes war die Voraussetzung für das Wunder seiner Auferstehung; der Jammer mußte groß gewesen sein, damit der Jubel unendlich sein durfte.

Hatten die Weiber auch lange um ihren Tammuz-Adonis geweint und sich die Brüste geschlagen, er kam wieder, er offenbarte sich ihnen in der zweiten und eigentlichen Lebendigkeit. – Die Handgelenke ihres angstzitternden Sohnes packte Olympias, so starrten sie gemeinsam auf die blutigen Teile des zerfetzten Körpers, die noch etwas zu zucken schienen. Nun begannen sie auch zu weinen, sie, mit den sich wiegenden Klageweibern, sie hatten einen lautlosen, aber inständigen Jammergesang. Mit schon von Tränen erblindeten Augen starrten sie hin, wo in seinem gebenedeiten Blute der Tote lag, sangen, schluchzten, wiegten sich im Tanze. Erst da sie lange geweint und sich geschlagen hatten, wurden sie des Glückes teilhaftig; endlich kam der Verlorene wieder; in großer Glorie stand der Zerstückelte, sein war die Pracht, die Macht und alle Herrlichkeit.

So freute sich alljährlich Demeter, wenn die verlorene Tochter blühend wiederkam. Auch ihre Geschichte erzählte Olympias dem verzauberten Sohn. »Ich bin ihre Priesterin«, raunte sie, die Hand verhüllend am Mund, »auf Samothrake habe ich ihr gedient und habe alles erfahren –«

Sie enthüllte ihrem Kinde, nur ihm, was sie wußte: es war das Mysterium der blutigen Opferung und der Auferstehung im Lichte.

 

Von welchem Tage an verschwand die graue, schaukelnde Landike in einer zärtlich schattenhaften Dämmerung? Wann wurde es plötzlich klar, daß der stöckelige Herr Leonidas nicht ernst zu nehmen war, daß man lachen durfte, wenn er hüstelte und sich spreizte? – Das Erwachen kam, ohne daß man es merkte, allmählich.

Ein äußerer Einschnitt war die Übersiedlung ins Männerhaus. Das Kind wurde dem erregenden Einfluß der Olympias entzogen, nur noch bei festlichen Gelegenheiten durfte die Mutter es sehen und liebkosen. Allerdings hielt auch Philipp sich vorläufig zurück, er war in politischen Angelegenheiten stark beschäftigt. Zudem interessierten Kinder ihn nicht, er hatte beschlossen, persönlich sich erst dann mit Alexander abzugeben, wenn der Junge fünfzehn Jahre alt sein würde. – Um diese Zeit war er noch nicht ganz dreizehn.

Philipp vertraute seinen griechischen Pädagogen. Es waren wohlgepflegte und gewandte Herren, denen ein geziemendes Lächeln stets zur Verfügung stand. Da er sie hoch bezahlte, dachte der König, sie müßten auch tüchtig sein. Sie versprachen, den Prinzen in die Grundlagen der Mathematik einzuführen, ihm auch etwas Rhetorik und Geschichtskünde beizubringen; sogar das Leierspielen sollte er lernen.

Seine Hoheit wären so begabt, behaupteten die Gutbezahlten schmeichlerisch beim König, daß es selbstverständlich an nichts fehlen könne. Unter sich spöttelten sie über den barbarischen Philipp, der so parvenühaft ihre Kultur anbete; aber diesen, das war nicht zu leugnen, hatten die Götter nun einmal mit einem fatalen, politisch-intriganten Talent gesegnet; davon ließ sich beim Kronprinzen noch nichts spüren, und die griechischen Pädagogen bezweifelten gerne, daß es jemals zum Vorschein käme.

Denn dieser Knabe war entschieden unter seinen Jahren; so viel Zurückhaltung gab es nicht, der mußte unbegabt sein. Zugegeben, daß er nicht ganz ohne Anmut war, aber von einer linkischen Anmut, einer behinderten, die nichts Männliches, nichts Energisches hatte. – Nur seine Augen machten selbst die Pädagogen stutzig. Diese Augen hatten unter hochgewölbten, schwarzen Brauenbögen, die ständig wie emporgezogen wirkten – sogar die Stirn schien leicht in Falten zu liegen –, einen unheimlich erweiterten, hellen, saugenden Blick. Es war der zauberisch eindringliche Blick seiner Mutter, nur gar nicht weich, nächtig, verschwommen, auch eigentlich gar nicht spöttisch; vielmehr scharf, prüfend und von einem stählernen Grau. Leider hatte dieses Grau die beunruhigende Eigenschaft, manchmal ins Schwärzliche und sogar ins Schwärzlich-Violette zu spielen, und zwar so, daß die Farbe des einen Auges sich noch intensiver als die des anderen verdüsterte. Dann bekam das Gesicht dieses fröhlichen und sanften Jungen, der noch stundenlang, freundlich und einsam, mit Blumen oder kleinen Tieren spielte, etwas beinah Furchterweckendes; um den weichen, unfertig süßen Mund spielten Muskeln, die für später das Gefährlichste ahnen ließen. –

Als Freunde und nächster Umgang waren für den Prinzen einige Knaben aus der Hocharistokratie Mazedoniens ausgewählt. Zu diesen gehörten Kleitos und Hephaistion.

 

Alexander, Kleitos und Hephaistion waren meistens von den übrigen gesondert, nur bei den Mahlzeiten, beim Unterricht, bei den obligatorischen Spielen trafen sie mit ihnen zusammen.

Dabei stand es kompliziert zwischen den dreien oder, genauer gesagt, zwischen Alexander und Kleitos, der sanfte Hephaistion war es, der darunter zu leiden hatte. Während Alexander und Kleitos stumme Kämpfe miteinander auszufechten schienen, verhielt Hephaistion sich neutral vermittelnd, sanft, gefällig und gegen beide mit der gleichen Zärtlichkeit. Sein schönes dunkles Gesicht war etwas zu groß und etwas zu ernst für sein Alter, mit wundervoll gezeichnetem Mund, edler Stirn und einem feierlich guten Blick. Nur die Wangenpartie schien ein wenig zu flächig, nicht ganz ausgefüllt, nicht bis in jede Muskel belebt. Hephaistion hatte eine rührende und liebenswürdig umständliche Art, sich zu verneigen, er tat es ausführlich, nicht ohne schelmische Grandezza, wobei er ein Lächeln andeutete. Wenn er die Lippen voneinander trennte, schimmerten mit bläulichem Schmelze die Zähne.

Kleitos hingegen schien von beunruhigender Kindlichkeit. In seinen weichen Backen saß fast immer ein Lachen. Seine kleine und gerade Nase, an der Wurzel sehr schmal, verdickte sich babyhaft an der Spitze. In eine niedrige und helle Stirn fiel Haar; unter ebenmäßig schwarz gezogenen, langen Brauen hatten lustige Augen eine lebhafte und irritierend schillernde Sprache.

In den Spielen seiner Phantasie begaben sich die unerhörtesten Dinge. Die Unsterblichen kamen zu ihm, Kleitos feierte Hochzeit mit allen Göttinnen des Olymps. Zwischen Witzen und Lügengeschichten zitierte er Philosophen. Obwohl es nicht zu ihm paßte, wußte er ziemlich viel.

Er haßte es, berührt zu werden, scheute und verachtete Zärtlichkeiten. Als wäre seine Haut überempfindlich, schauderte er zusammen, streichelte einer ihm über das lockere Haar. Er hielt nicht viel von der Wollust, spottete über Alexander und Hephaistion, wenn sie sich ihr ergaben. Die Luft, in der er lebte, war reiner als die, in welcher andere gedeihen. Er war eitel auf seine Schönheit, liebte und bewunderte schwärmerisch sein Bild, wo es ihm aus Spiegeln oder Gewässern entgegentrat; aber er höhnte und mißhandelte die, welche ihn um seiner Schönheit willen liebten.

Glänzend und hart wie ein Edelstein schien sein Selbstvertrauen. Er leistete es sich, über sein Genie und seine begnadete Hübschheit kleine Scherze zu machen, er renommierte, log, fabulierte; er lachte und hatte ungeschickte, planlose kleine Handbewegungen. Dabei spottete er derer, die es wirklich zu etwas gebracht hatten: Antipatros, Parmenion, alle ergrauten Würdenträger und Generale waren Gegenstand seiner unverschämten und geschwinden Redensarten. Ohne nach Anerkennung das Bedürfnis zu haben, freute er sich ganz alleine seiner traumverlorenen Unternehmungslust, die nie etwas tat, immer nur plante und sich lustig machte.

Alexander meinte, daß, mit Kleitos verglichen, er selber problematisch und plump würde. Was sich hinter der eigenen Stirne vorbereitete, war trübe, verschlungen und fragwürdig; aber in Kleitos schien alles zauberhaft geordnet. Wenn Alexander sich die Gedanken des Kleitos vorstellte, wurde ihm eine unvergleichlich liebliche und neiderweckende Vision von geometrisch tänzerischen Figuren, die sich mit spielerischer Klarheit ineinander verschränkten. In ihm aber, in Alexander, rang und kämpfte es finster.

Wenngleich Kleitos, wie Sitte und Taktgefühl es geboten, sehr höflich, sogar demütig gegen den Prinzen tat, glaubte dieser doch immer seinen halb lustigen, halb unerklärlich ernsten Angriff zu spüren. Diesen Angriff zu überwinden, zu gewinnen dies Kind, das in seiner Abgeschlossenheit unerreichbar blieb, wurde der ausschließliche und brennende Ehrgeiz des Alexander. Es kam so weit, daß er sich dabei ertappte, diesem Knaben gegenüber der Werbende zu sein. Hier zu siegen! – Zwei Jahre lang kannte er kein anderes Ziel mehr. Er hatte in seinem Herzen unabänderlich beschlossen: wenn einer mein Lebensgefährte sein kann, so dieser. Ich will nur einen Freund: diesen. Er ist mir vorbestimmt, dachte mit blinder und pathetischer Hartnäckigkeit Alexander. Ich will ihn haben, ich muß ihn haben, es soll mein erster, wichtigster Sieg sein. – Aber Kleitos wich aus.

Melancholisch abseits stand Hephaistion. Er durchschaute mit wehmütiger Deutlichkeit die Situation, begnügte sich schweigend damit, der Dritte zu sein, der vermitteln, ausgleichen konnte. Oft, wenn Alexander nicht mehr weiterwußte, holte er sich bei der immer gleich bereiten Innigkeit des treuen Hephaistion Trost. Der verzichtete, ohne je besessen zu haben. Er wußte, daß es in seinem Leben keinen Menschen außer Alexander geben würde. Aber mit traurigem, geheimem Stolze wußte er auch, daß Alexander ihn brauche, daß er ihm notwendig und unersetzlich sei. –

Alexander trieb es, eine Entscheidung herauszufordern, von der ihm zuinnerst klar war, wie sie ausfallen mußte. So stand er eines Nachts in dem zellenartig engen und kahlen Raum, der des Kleitos' Schlafzimmer war. Es war Winter und eisig kalt. Alexander hatte nur ein leichtes Tuch übergeworfen; so stand er an der Türe und zitterte. Kleitos schaute kaum zu ihm hin; er lag ruhig auf dem Rücken, den Blick unverwandt nach der Decke gerichtet.

Dieses Gesicht kannte man beinah nur lachend, um so wunderbarer, es plötzlich todernst zu finden. Vor allem die lustigen Augen hatten sich verändert, die Pupillen schienen weiter und schwärzer geworden. – Alexander, wie gelähmt von Schüchternheit, setzte sich zu ihm an den Rand des Lagers. Kleitos blieb regungslos. »Ich sehe auf einen Punkt«, sagte er rauh. »Bis der sich bewegt, warte ich.« » Willst du denn, daß er sich bewegt?« fragte Alexander ihn leise; ihm war, als schaute er, sehr unerlaubterweise, einem tiefgeheimen und verbotenen Spiele zu. »Ich will es nicht«, antwortete, ebenso leise, aber viel deutlicher Kleitos. »Ein anderer will es. Einer in mir. Aber ich kenne ihn nicht.« Er schwieg grausam. – Alexander kauerte an seinem Lager, ihm schlugen die Zähne gegeneinander vor Frost. Trotzdem verschlang sein Blick mit einer Zärtlichkeit ohnegleichen dieses steinerne und leere Gemach; das dürftige Lager und auf dem Lager das Kind, dessen Körperumrisse sich unter der dünnen Decke abzeichneten. Da er kein Schweigen ertrug, fragte er schließlich noch einmal: »Bewegt er sich nun?« Er legte sein Gesicht auf das Kissen des Kleitos, so daß sein Haar neben Kleitos' Wange zu liegen kam. » Du störst mich sehr«, sagte Kleitos, ohne ihn anzuschauen.

Unter dieser unbarmherzigen Antwort fuhr Alexander wie unter einem Richtspruch zusammen. Er wußte, daß in diesem Augenblick eine Entscheidung für sein Leben gesprochen worden war. Er glaubte weinen zu dürfen, aber er zitterte nur. Nun wagte er es nicht einmal mehr, den anderen um einen Zipfel seiner Decke zu bitten.

Plötzlich, die Stimme voll Jubel, rief Kleitos: »Sie bewegen sich – oh!« Er erzählte hastig, mit glückstrahlenden Augen: »Ich habe nämlich inzwischen zweie aufs Korn genommen! Wenn sie zusammenstoßen, wird es eine Katastrophe geben! Ich freue mich schon – bums!! Jetzt hat es aber gekracht –« Er verstummte erschüttert. Wie nach großer Anstrengung schloß er die Augen.

Alexander blieb, wenngleich das natürlichste Würdegefühl forderte, daß er ginge. Sich zu rühren, wagte er nicht mehr, aus Angst, den unerbittlich Schweigenden in seinen Abenteuern zu stören. Er fühlte sich von diesem strengen Träumenden weiter als von einem anderen Stern getrennt. Trotzdem blieb er, er fand die Kraft zum Gehen nicht mehr. Daß jetzt schon alles gleich sei, war sein letzter Gedanke. Freilich wagte er es nicht noch einmal, dem Blick des Kleitos zu begegnen. So begrub er sein Gesicht in den Händen. –

Von dieser Nacht an, in der Kleitos das entscheidende und nicht mehr gutzumachende Wort gesprochen hatte, war es mit dem schwierigen Freundschaftsbund der drei zu Ende. Es war Kleitos, der ausschied.

Alexander veränderte sich schnell. Es war, als holte er sich Kraft aus seiner schmerzlichsten Niederlage. Er wurde selbstbewußter, schöner, härter und elastischer. Nur Hephaistion sah ihn noch weich. Der verstand alles, ohne daß Alexander erzählt hätte. Er war der einzige, in dessen Armen dem Prinzen Alexander das Glück zuteil wurde, weinen zu dürfen.

 

Ein paar Wochen später war Alexander mit einem Schlage der gefeierte Liebling des Hofes und Mazedoniens. Er hatte seine erste Heldentat vollbracht, indem er, der eben Dreizehnjährige, den jungen und gefährlichen Hengst Bukephalos bezwang.

Da ein allgemeines Gemunkel und Gerede über die schreckliche Wildheit des thessalischen Rosses war, welches, vor seinem eigenen Schatten scheuend, bisher jeden abgeworfen hatte, und sich auch der Kühnste weigerte, es einzureiten, sprang der Knabe auf seinen ungesattelten Rücken. Der Druck seiner Schenkel war so unvergleichlich stark, seine Faust packte so liebevoll und siegesgewiß zu, daß das junge Tier, nachdem es sich kurz aufgebäumt hatte, lustig zu tänzeln, schließlich ruhig zu traben begann.

Das erstemal flatterten Blumen und Bänder um das junge Gesicht des Alexander; das erstemal huldigten ihm die Soldaten. Sie schrien: »Rossebezwinger! Männerbeherrscher!« Er lachte selig verwirrt im Vorüberreiten. Die ganze Hauptstadt redete seinen Namen. Plötzlich fand man auch, wie schön er sei. »Er hat den Bukephalos, den Wilden, bezwungen und ist erst dreizehn Jahre, der Schöne!« riefen die Weiber sich zu; und die Männer dachten an Mazedoniens Zukunft. Man erzählte sich, daß König Philipp vor Glück geweint haben sollte.

Unter den Winkenden stand Hephaistion, mit verklärten Augen. Aber abseits, im Hintergrund, Kleitos, ihn entdeckte Alexander gleich in der wogenden Menge. Er stand nachlässig da, den Bauch etwas vorgestreckt, mit hängenden Armen. Es schien, daß er lächelte, aber man wußte nicht, wie.

Auf seinem Bukephalos Alexander, dem die Menge um seiner Anmut willen zujubelte, empfand sich plötzlich als unschön und plump, inmitten seines Triumphes.

II

Dem Aristoteles, der als Pädagoge nach Pella kam, ging ein großer Ruf aus Griechenland voraus. Um so angenehmer berührte es, in ihm einen vollendeten Hofmann zu finden, er hatte immer das passende Lächeln und das verbindliche Wort. Man wußte, daß er schon an verschiedenen Fürstenhöfen tätig gewesen war; sein Vater, Nikomachos aus Stagiros, sogar schon am Hofe zu Pella, und zwar als Leibarzt des mazedonischen Königs Amyntas.

Philipp selber machte ihn mit seinem Sohne bekannt. Er tat es auf eine umständliche, sogar etwas verlegene Art: »Dein neuer Mentor, mein Kind«, wobei er unangebracht lachte. Dem Aristoteles gegenüber erwähnte er sofort die Fresken des Zeuxis, auch einen gewissen Euphraios aus Orea, einen tiefgelehrten Schüler des Plato, von dem er noch nie gesprochen hatte, jetzt aber plötzlich behauptete, er sei jahrelang sein innigster Freund gewesen.

Das dröhnend unsichere Benehmen des Königs übersah mit feinem Mienenspiel Aristoteles, unter mehreren leichten Verneigungen erwähnte er seinerseits etwas von der hochberühmten Kultur Mazedoniens. Nur Alexander im Hintergrund litt. Er hielt den Kopf schräg, kaute an seinen Lippen und bekam finstere Augen. Nun schlug sein Vater dem fremden Gelehrten sogar auf die Schulter, wozu dieser nachsichtig lächelte.

Der Unterricht fand in einem Nymphenhaine bei Myeza, etwa eine Stunde vor Pella, statt; Aristoteles hatte den Garten selbst ausgewählt, er fand ihn passend und hübsch, entfernt vom Trubel der Großstadt und doch bequem zu erreichen. Philipp, dem er dies in eleganter Rede auseinandersetzte, sagte nachher, daß er einsichtig und ein Lebenskünstler sei. Den Vorträgen und Diskussionen wohnten manchmal ausgewählte Kameraden des Prinzen bei – Hephaistion und der brünette Philotas, des Parmenion Sohn, Krateros, Meleagros und Koinos –; manchmal spazierten Lehrer und Schüler allein. Die intimen Unterhaltungen pflegten die ergiebigeren zu werden.

Trafen sie sich morgens auf der schattigen Promenade, verneigte der Prinz sich mit erlesenster Höflichkeit; zwischen ihm und dem Philosophen wurde stets der sorgfältigste Anstand gewahrt, Schüler und Meister überboten einander an gewählter Korrektheit.

Wenn Aristoteles scherzte, lachte Alexander bezaubert, den Kopf leicht im Nacken, mit einem Blick auf den Witzigen, der vor Wärme feucht schimmerte. Sehr artig war es auch, wie Alexander im Lustwandeln ahnte, wenn der Dozierende stehenbleiben wollte; denn diese Angewohnheit hatte Aristoteles, wie viele lehrhafte Menschen: während des Gehens mit erhobenem Zeigefinger und gefalteter Stirn stehenzubleiben, um etwas besonders Wichtiges eindrucksvoll darzulegen. Der feinnervige Schüler kannte seinen Meister schon so genau, daß er immer einige Sekunden früher als dieser selbst seinen Wunsch vorausfühlte und den Schritt verlangsamte, so daß Aristoteles glauben durfte, er bleibe dem launenhaften Prinzen zu Gefallen stehen, nicht etwa aus eigener Schrullenhaftigkeit.

Weniger höflich war der Blick, mit dem der aufmerksame junge Zuhörer den Vortragenden zuweilen ganz kurz, doch um so konzentrierter von der Seite musterte und prüfte. Er studierte mit strenger Genauigkeit das Faltenwerk, das kompliziert die Augen seines Erziehers umspielte, von den Augensäcken abwärts Rinnen und feine Furchen in die mager-braunen fleischlos hautigen Wangen grub, den schlaffen, aber erregten Mund mit den bläulichen Lippen neckisch-unberechenbar umspielte. Alexander kannte dieses immer wieder belauerte Gesicht nun schon unanständig genau, er schämte sich oft selber, wie genau er es kannte: dieses dunkle, faltige Gesicht mit dem weißen Barte, in dem sich der ausgeleierte, immer noch angespannte Mund bläulich bewegte, die scharfen, hellgrauen Augen mit reizbaren Lidern, kurzsichtig oder nervös zusammengekniffen, die bedeutend gefurchte, ruhelos arbeitende Stirn; auf dem grauen Gewand die großen, mageren und behaarten Hände, faltig, braun und geistreich, wie das alte Gesicht, mit großen, runden, hellen Fingernägeln, von denen man den Eindruck hatte, daß sie locker saßen, ausfallen konnten, wie die Zähne der Greise. – Alexander kannte viel zu genau diesen runzligen und langen Zeigefinger, der sich lehrhaft hob, müde schwankte, zu frieren schien, eindringlich wackelte, plötzlich niedersank, wie abgestorben.

Alexander fragte, er wollte wissen und bekam niemals genug. »Ihre Neugierde ist unersättlich«, sagte der Erzieher sanft tadelnd, doch zärtlich; um Augen und Lippen spielte nachsichtig das Fältchenwerk. Dann noch einmal, verändert, ganz ernst, mit einem stählern gesammelten, eisgrauen Blick, mitten ins wartende Gesicht des Knaben an seiner Seite, in der gedämpften Stimme Angst und Bewunderung: »Ihre Neugierde ist unersättlich, so wahr die Götter mir helfen.«

Alexander, ohne zu zucken, ertrug den Blick, der durchbohrte. Er erkundigte sich unbefangen weiter nach den Dingen, die ihn interessierten, verlangte Auskünfte, bat um Belehrungen, schmeichelte und warb, kokettierte und lockte. Ihn nochmals anzusehen, hütete sich Aristoteles; um so verführerischer kam die Stimme des Knaben, süß verschleiert, matt silbrig; plötzlich klirrend hell, aufleuchtend, wie wenn Licht durch eine schöne Dämmerung dringt. Wandte der Meister sich, durch das Wunder dieser Stimme verleitet, und sah doch wieder hin, so erschrak er über das Gesicht, das sich ihm Antwort heischend, dabei spöttisch, entgegenhielt. Dieses Gesicht wollte wissen, es wollte maßlos viel, unermeßlich viel wissen. Es bestand darauf, hier war nicht zu spaßen.

So trug Aristoteles vor, formulierte, erklärte. Er sprach von der Kunst der Rhetorik, ihren Aufgaben, Möglichkeiten, Gefahren; an Beispielen erklärte und kritisierte er Stil und Manier der großen griechischen Redner, der klassischen sowohl als der modernen; einige tadelte er, auf andere wies er mit erhobenem Zeigefinger lobend hin. Schlecht war alle Rhetorik, welche spielerischer Selbstzweck wurde, von der Sophistik dachte er gering. In Athen hatte sich ein Wortgewandter, aus Freude am Paradox, dazu verleiten lassen, einen Vortrag dem »Lob der Mäuse« zu widmen; derlei Späße fand der Philosoph verächtlich. Als letzten klassischen Rhetor nannte er den Isokrates, der übrigens ein besonderer Verehrer des Philipp war.

Er definierte den Begriff der Poesie, gab, an Hand von Zitaten, die oft zu Deklamationen wurden, ihre wesentlichsten Gesetze. Trug er aus dem Homer oder aus den großen Tragikern vor, fand Alexander, daß ein Schauspieler an ihm verlorengegangen sei. Er bekam hitzige Wangen und erregte Augen, ließ die Stimme dröhnen und säuseln. Ohne daß der Prinz wußte warum, sank der Lehrer während solcher Augenblicke in seiner Achtung.

Er suchte die Anatomie des menschlichen Körpers zu erklären, auch die Gesetze seines Innenlebens, was er Psychologie nannte. Er ging zu den Tieren über, die er in Familien einteilte. Erst behandelte er diese übersichtlich, im großen und ganzen, später ging er unerbittlich auf Details ein, indem er Eigenarten, Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse aller Lebewesen, so ausführlich er's wußte, beschrieb. Alexander hörte von den Gewohnheiten des Einsiedlerkrebses und des Wüstenlöwen; schließlich versuchte Aristoteles sogar über die Psychologie der Tiere Auskunft zu geben; hierbei versagte er etwas.

Er dozierte über Gesteine, Blumen und Baumsorten; dann hielt er beim Mysterium der Natur im allgemeinen. Er begeisterte sich und blieb häufig im Wandelgang stehen, da er den geheimnisvollen Vorgang der chemikalischen Verbindungen und Auflösungen beschrieb. »Man sollte niemals sagen ›Entstehen‹, stets nur ›Sich-Zusammensetzen‹«, verlangte er beinahe ärgerlich. »Auch niemals ›Vergehen‹, immer nur ›Sich-Auflösen‹. Es gibt kein Vergehen: es verändern sich Zustände. – Dieses hat übrigens Anaxagoras schon gelehrt.«

Auf Anaxagoras kam er gerne zurück. »Dieser ist mein Vorläufer«, pflegte er gewichtig zu sagen. »Er hat erkannt, daß das Weltall eine Einheit bildet und daß die Stoffe, aus denen es besteht, nicht voneinander getrennt sind oder wie mit dem Beil abgehauen, weder das Warme vom Kalten, noch das Kalte vom Warmen.«

Das waren Stellen, bei denen er im Wandeln stehenblieb, was Alexander feinnervig vorauswußte. »Hören Sie, Prinz? Es gibt keine Möglichkeit, daß etwas für sich gesondert existiert, alles trägt einen Teil von allem in sich.« Und dann, mit einem Pathos, das er selten hatte: » Nur der Geist – der Geist, Alexander, ist etwas Einfaches, sein eigener Herr und mit keinem Dinge vermischt.« Der alte Liebhaber des Geistes, den Kopf seitlich geneigt, erklärte geschmäcklerisch, lüstern: »Denn er, das verstehen Sie wohl, er ist das feinste, reinste und härteste, das unwiderstehlichste, edelste, unersetzbarste von allem.«

Er machte eine Pause, ehe er wieder zu promenieren und zu lehren begann.

Er hechelte seine Vorgänger durch, deren erlauchte Reihe er mit Thales von Milet beginnen und mit Plato schließen ließ. Für jeden hatte er, außer der gemessenen Anerkennung, eine trefflich formulierte Bosheit.

Alexander interessierte sich am meisten für den Pythagoras, dessen abenteuerliche und bedeutende Lebensgeschichte er kannte: dieser unruhigste von allen Wahrheitssuchern war über Ägypten, Babylon und Persien bis nach Indien gekommen. Seine Unersättlichkeit erschütterte und faszinierte den Prinzen, er versuchte das auszudrücken.

Aber hier hielt Aristoteles sich die Ohren zu. »Dieser Pythagoras!« jammerte er, dabei ragten seine Ellbogen spitz, gleich zornigen Flügeln, er hatte die Hände an seine großen, innerlich weißbehaarten Ohren gelegt. »Oh, dieser geheimnistuerische alte Schwindler! Sein verabscheuungswürdiger Mangel an Exaktheit, den man leider für Tiefe nahm, hat wahrlich schon viele ruiniert. Hüten Sie sich, Prinz Alexander! Wissen Sie nicht, daß Meister Plato gegen Ende, unter dem Einfluß der Zahlenmystik, zugegebenermaßen spleenig war?«

Seine Erregung legte sich lange nicht. Schmerzbewegt, aber grausam verspottete er den Versuch seines großen Lehrers, die Ideenlehre mit den mystisch-orphischen Offenbarungen des verhaßten Pythagoras zu vereinigen. Er nannte diesen den Anti-Griechen und einen unmoralischen Verführer der Geister. Gegen die Lehre von der Seelenwanderung, der Metempsychose, von der Präexistenz und vom Sündenfall, behauptete er, müsse sich jedes intellektuelle Gewissen empören. Seines empörte sich derart, daß er stampfte und schrie.

Darüber lächelte Alexander. Er schwieg höflich, aber er dachte im stillen, daß noch das wenige, was er aus der Geheimlehre des umgetriebenen Pythagoras wußte, ihn mehr verlockte und anzog als das ganze klare und übersichtlich weise System seines schimpfenden Mentors, des Aristoteles.

Der verwahrte sich, immer noch grollend, als habe man ihn persönlich beleidigt, gegen die Vorstellung einer persönlichen Unsterblichkeit. »All das sind unbelegte Faseleien«, schloß er gehässig, »was bleibt, ist nichts als das Unteilbare in uns, der Geist, den ich Nous nenne. Dieser aber empfindet nichts mehr, er ist durchaus unpersönlich.«

Schließlich war er bei Speusippos, der als Nachfolger Platos die Akademie leitete und den er den »kleinen Neffen des erhabenen Toten« nannte. »Der hat sich ja nun dieser pseudoägyptischen Dunkelheit endgültig und unrettbar ergeben«, konstatierte er bitter, doch triumphierend.

Wenn er auf den armen Speusippos und den jetzigen Zustand der Akademie zu sprechen kam, wurde er gleich besonders giftig; er erwähnte dann gerne die unvergleichlich interessantere Schule, die er selber gründen wolle. Bei solchen Gelegenheiten wandte Alexander, plötzlich gelangweilt, den Blick. Dieser war wieder nur der ehrgeizige Alte, der sich mit dem faden Hofmannslächeln vor König Philipp verneigte. –

Sie saßen, und sie lustwandelten. Es waren auf den schönen Gartenwegen Sonnenfleckchen, die Alexander lustig fand. Sie bewegten sich mit dem im Wind sich bewegenden Laub.

Den Sonnenflecken zulächelnd, bat der Prinz beinahe zärtlich: »Erzählen Sie mir von den letzten Dingen!«

»Das letzte Ding ist der Geist«, behauptete der Philosoph hartnäckig. Und Alexander, mit einer Schelmerei, die seinem Lehrer angst und bange machte: »So erzählen Sie mir, Meister, vom Geiste.«

Sie setzten sich, denn Aristoteles ermüdete leicht. Die Steinbank war kühl, im Baume über ihnen sangen Vögel. Alexander hörte, was er schon oft gehört hatte und was ihn im alleräußersten Grade immer wieder interessierte, freilich nie völlig befriedigte: des Aristoteles Lehre vom Nous, vom unbewegten Prinzip, das aller Bewegung ursprünglichster und geheimster Anfang und Anstoß war. »Jenes vollkommene Sein, das nur denkt, und zwar nur sich selbst, als den einzigen seiner selbst würdigen Gegenstand.« Er trug mit einer gewissen trockenen Schwärmerei vor, hingerissen von der Idee, die er entwickelte, aber noch im Enthusiasmus pedantisch.

Alexander, der mit einer Konzentration, die seinen Blick verfinsterte, zuhörte, überlegte ununterbrochen: was ihm hier fehle. »Was genügt mir hier nicht?« dachte er inständig, während er lauschte.

 

Lange Vormittage im Garten voll komplizierten Gesprächs. Der einteilende, ordnende und sichtende Verstand des Alten warb mit einer Ausdauer, die nur aus Liebe kommt, um die ungenügsame Seele des Jungen, die sich nirgends beruhigte und ins Grenzenlose wollte.

Es blieb kein Gebiet, das sie unberührt ließen. Überall gab es Probleme, aber alle waren zu lösen. In dem Munde des Gelehrten wurde alles zum Schema.

Er erklärte das Wesen der Materie, die sich aus vier Elementen zusammensetzte, deren fünftes der Äther war. Aus diesem waren die Gestirne gebildet. Etwas ungenauer wurde er, da es zu der Stellung der Erde im Räume kam. Im Gegensatz zu Pythagoras, der es anders wußte, betrachtete er die Erde als feststehend, ebenso die Sterne und Planeten, auch die Sonne, die ihrerseits an einer Hohlkugel befestigt waren, welche sich drehte. Er behauptete mit jener Gereiztheit, zu der er neigte, wenn er sich unsicher fühlte, der Raum sei als begrenzt vorzustellen, ein leerer Raum nicht denkbar und also nicht existent, die Zeit hingegen sei anfang- und endlos. So kam er um den Ewigkeitsbegriff doch nicht herum, hielt sich bei ihm aber nur flüchtig auf, da ihn die düsteren Augen ängstigten, die sein Schüler bei diesem Thema bekam.

Den letzten Vormittag, den er mit Alexander verbrachte, widmete er der Frage über das Endziel menschlichen Lebens; seine Antwort befriedigte nicht. Daß »Tugend« die letzte Absicht menschlicher Existenz sei, klang etwas matt; um so peinlicher zu hören, daß letzten Endes Tugend und Glück identisch waren. Vor dieser eudämonistisch schlauen Ethik empörte sich im Sohn der Olympias alles.

So standen in der letzten Stunde ihres Zusammenseins Lehrer und Schüler fremder als in der ersten: der alte Weisheitsfreund hatte umsonst geworben. Er hatte den ihm Anvertrauten in der Einzelheit bereichert, aber im Großen enttäuscht.

Aristoteles, nur die Verehrung gewohnt, fühlte sich das erstemal in seinem Leben durchschaut, gerichtet, abgelehnt, und zwar da, wo er am ausdrücklichsten versucht hatte, zu wirken und zu gefallen. Dieser Mißerfolg lähmte und ernüchterte ihn, grub noch tiefere Falten von den Augen abwärts zum schlafferregbaren Mund. »Dieses Lehrertum ist meine strengste Schule gewesen«, gestand er sich ein. Er war trauriger, als hätte er sein Vermögen oder sogar sein Wissen verloren. So traurig ist nur der, welcher vergeblich geliebt hat.

Als König Philipp den Philosophen bei seiner Abschiedsaudienz nach dem Eindruck fragte, den der Prinz ihm gemacht, lächelte der geziemend. »Prinz Alexander«, sagte er vorsichtig, »ist ohne Frage der begabteste junge Mensch, dem ich jemals zu begegnen das Vergnügen gehabt. Die Frage ist nur, ob er es verstehen wird, sein Genie zu konzentrieren und auszunützen. Er liebt das Unbegrenzte, schweift gerne ab; deutet an, ohne auszuführen. – Freilich ist er sehr jung«, schloß er mit einer Verbeugung.

Majestät nickte besorgt.

Übrigens wurde Aristoteles, durch einen Zufall, der Königin Olympias erst am Tage seiner Abreise vorgestellt. Sie maß ihn unter gesenkter Stirn mit einem langen Blick spöttischen Zweifels. Während er seine eleganten Redensarten sagte, verdüsterte sich dieser Blick, bis er feindlich und sogar hassend wurde.

Alexander schloß sein Urteil über den Pädagogen dem Hephaistion gegenüber ab: »Er ist vielleicht ein Genie. Aber es gibt geniale Pedanten.« Außerdem mokierte er sich darüber, daß Aristoteles aus Angst vor Erkältung und Darmkatarrh stets ein Ledertäschchen, mit heißem Öl gefüllt, auf dem Magen trug. »So sorgfältig ist er!« – Damit war er gerichtet.

Der Philosoph, der trotz des Öltäschchens mit leichter Magenverstimmung und schwer deprimiert abreiste, ließ seinem Zögling, um ihm doch zuletzt noch zu imponieren, einen Spruch des Demokrit als Mahnung fürs Leben:

»Ich möchte lieber einen einzigen ursächlichen Zusammenhang entdecken, als König der Perser werden.« Seine Magenverstimmung wäre schlimmer geworden, hätte er das Lächeln gesehen, mit dem der Knabe dies Vermächtnis beiseite legte.

III

König Philipp leitete sein Geschlecht von Herakles ab. Das nützte ihm nichts, ebensowenig, daß Olympias Achill als ihren Stammvater nannte; man nahm ihn in Athen trotzdem nicht ernst, bei allem Respekt, den man für ihn hatte. Am Hofe zu Pella hatte zwar Euripides verkehrt, zur Regierungszeit Archelaos I.; einer der mazedonischen Könige, Alexandras I., war sogar zu den olympischen Spielen zugelassen worden.

Trotzdem hatte dieser Demosthenes öffentlich sagen dürfen, die Mazedonier seien Barbaren, für Hellas als Sklaven noch nicht einmal gut genug. Philipp vergaß es nicht, wenngleich er darüber scherzte. Wozu dann der ganze Aufwand an Kultur, den er trieb? Wieviel die Fresken des Zeuxis in seinem Empfangssaal gekostet hatten, erzählte er jedem, der's hören wollte: vierhundert ganze Talente. Zum Lehrer seines ältesten Sohnes hatte er den Aristoteles gemacht, von dem man doch so viel hielt. Alles nützte nichts: sie fürchteten ihn in Griechenland, aber sie betrachteten ihn nicht als ihresgleichen.

Manchmal sagte er sich: daß man ihn fürchtete, war die Hauptsache. Er war reich, seit er Amphipolis und damit die Goldbergwerke hatte. Mochten sie witzeln und ihn unter sich einen Parvenü nennen, er konnte sich kaufen, was ihm gefiel.

Er leistete sich eine Armee, deren Sauberkeit und Disziplin sprichwörtlich wurde; daneben aber auch Bildung. Für die jungen Offiziere, für die Edelknaben seiner Umgebung wurden Lehrvorträge obligatorisch; die Burschen hatten griechische Tragiker und Homer auswendig zu lernen, wer steckenblieb, bekam unbarmherzig die Peitsche. Es herrschte eine schneidige Kulturfreundlichkeit. – Er leistete sich die griechischen Pädagogen für sein Kind; thessalische Tänzerinnen, die niedlich waren; Sternenkundige aus dem Osten; Einbalsamierer aus Ägypten, die seine verstorbenen Verwandten wickeln und parfümieren mußten; Lustknaben aus Athen, weil die Päderastie Mode war, eigentlich lag sie ihm gar nicht; überhaupt Griechen, Griechen von allen Arten und Berufen. Es war lächerlich, wie viele man kaufen konnte: Schauspieler, Literaten und Rhetoren; Salbenmischer, Köche, Tänzerpack. Sie kamen an, sorgfältig hergerichtet, geistreich und moralisch verwahrlost; sie blieben, solange man wollte, eher noch etwas länger.

Sie blieben und ließen sich's gut sein; aber was sie nach Athen berichteten, war nicht eben schmeichelhaft für den König, von dem sie sich aushalten ließen. Die Fresken des Zeuxis erwähnten sie nur ganz flüchtig, dafür schilderten sie ausführlich die Roheiten dieser mächtigen, doch unzivilisierten Hauptstadt. Die Familien, die hier ausschlaggebend waren, was schienen sie für bäurisch ungehobeltes Gesindel. Sicher konnte keiner von ihnen orthographisch schreiben, fraglich blieb, ob sie sich öfter denn einmal monatlich wuschen. In ihren Kreisen waren Sitten lebendig geblieben, deren Altertümlichkeit jeden Großstädter grotesk berührte. Wer etwa noch keinen Feind getötet hatte, mußte bei den Festmählern stehen, statt zu sitzen oder zu liegen, ebenso der, dem es noch nicht gelungen war, einen Eber im Sprung zu erlegen.

Eine besondere Rolle spielte in den amüsanten Berichten der Plauderer die unheimliche Königin mit den saugenden Augen und dem Löwenmund, deren barbarische Frömmigkeit Anstoß erregte. Eine so intime Verbindung mit den Unterirdischen war skandalös, sie trieb es zu schlimm mit ihren Schlangen, ihren geheimen Opfern.

Man erzählte sich, der Sohn, den sie mit so anstößiger Zärtlichkeit liebte – während sie der nachgeborenen Tochter, der bleichsüchtigen kleinen Kleopatra, ziemlich gleichgültig gegenüberstand –, sei wahrscheinlich nicht auf natürliche Weise, sicher nicht von ihrem Gatten empfangen. Ein Geheimnisvoller sei bei ihr gewesen, man frage sich nur, in welcher Gestalt. War er als Blitz in ihren Schoß gefahren, hatte er ihr sich als Tier im Walde genaht? Sie hatte sich einer Gottheit hingegeben, das war der Kern des Gerüchts, allerdings kaum einer der Olympischen, Hellen, vielmehr einer der Chthonischen, die ihre Heimat in der Tiefe haben. Oder er war aus der Ferne zu ihr gekommen, da sie ihn mit großen Listen beschwor, aus Babylon, aus Ägypten. Kein Zufall, daß in der Nacht von Alexanders Geburt das Heiligtum der Göttermutter von Ephesos unter sehr bedenklichen Umständen abgebrannt war, alles stand mysteriös im Zusammenhang.

So umgaben die Schmarotzer aus Griechenland Olympias ganz mit Geheimnis. Nur ihr Verhältnis zum König belustigte einfach, in Athen pflegte man dergleichen anmutiger zu kaschieren. Daß Philipp sie, die erbberechtigte Monarchentochter von Epiros, nur aus Politik geheiratet hatte, wußte man ohnehin; aber so zu hassen brauchte man sich nicht gleich. Aus ihren Augen schössen schwarze Flammen der Antipathie, wenn sie den Gemahl bei offiziellen Anlässen begrüßen mußte. Sie neigte den Kopf, kaum daß sie angewidert die Lider senkte, zugleich die Mundwinkel, mit einer Verachtung, so deutlich, daß sie keinem entging. Dafür blamierte der König sie, wo er konnte. Schon wie er's öffentlich mit anderen Frauen hielt, war infam. Diese Philina, eine thessalische kleine Hure, behandelte er wie seine rechte Gemahlin, und mit dem Bastard, den er von ihr hatte, dem Arrhidaios, war er liebevoller als mit Alexander, obwohl der arme Arrhidaios ein Idiot zu werden schien.

Noch schlimmer wurde es, als er die Kleopatra zu lieben begann, die aus guter Familie war. Ihr Oheim Attalos war ein schwarzbärtiger Intrigant aus der nächsten Umgebung des Königs. Bei den großen Saufgelagen war er einer derjenigen, der am meisten vertrug, immer saß er, aufrecht, besonnen, beim König, den er mit unanständigen Späßen unterhielt. In die Späße flocht er mit böser Gewandtheit seine eigennützigen Ratschläge. So brachte er es dahin, daß der König beschloß, mit der üppigen Kleopatra öffentliche Hochzeit zu machen.

Die kleinen Griechen schüttelten sich vor boshaftem Amüsement: endlich würde es zum ganz gehörigen, fetten Skandal kommen.

Es kam dazu, so laut, wie es sich das sensationslüsterne Pack nur gewünscht hatte. Die Vermählung des Königs mit seiner Nichte machte den Attalos unvorsichtig, es war zu viel des Triumphes, zum ersten Male trank er reichlicher, als er vertrug. Er lallte und rülpste, im schwarzen Bartgestrüpp blühte sein ordinärer Mund üppig-rot. Mit zitteriger Hand wies er auf den Prinzen Alexander, der ihm unbeweglich gegenübersaß: »Jetzt ist es mit dem vorbei« – er spuckte und lachte, während er schrie –, »jetzt kommt der erbberechtigte Prinz, der wirkliche Mazedone, der Sohn der Kleopatra!« Da hatte er den schweren Becher im Gesicht, er blutete, brüllte dumpf und schlug hin; Alexander, der ihn geschleudert hatte, stand aufrecht, zuckend, mit gefährlich flammendem Blick.

Drüben richtete sich Philipp aus der Umarmung der betrunkenen Kleopatra auf, die mit weiß strotzenden Brüsten über dem Tisch lag; er schrie, stampfte: man hatte seinen eigenen Oheim beleidigt. Da ihn Alexanders haßzitterndes Schweigen bis zur Raserei und Tollwut reizte, stürzte er torkelnd auf ihn zu, mit wackelnd gereckter Faust, zornesrot geschwollenem Gesicht. Ihn hielten die Getreuen zurück, Parmenion, Antipatros. Aber die unverschämten Griechen stichelten, kicherten, hetzten; »ich prügle ihn!« schrie der König, ihn erwartete unbeweglich der Kronprinz. Dicht vor ihm stolperte der Vater, schlug hin, erbrach sich, lag besudelt zu seinen Füßen. Alexander wandte sich, kurz und verächtlich. Er ging rasch hinaus, ohne noch einen Blick für den Liegenden. Ihm folgten einige seiner Freunde. –

Am nächsten Morgen verließ der Prinz mit seiner tief beleidigten Mutter die Hauptstadt. Er selber kehrte, durch geschickte Mittler bewogen, nach einigen Wochen zurück; Olympias blieb über ein Jahr Pella fern, am Hofe von Epiros bei den Verwandten.

Damals war Alexander fünfzehn Jahre alt.

 

Mit einer Genauigkeit, die aus Haß kam, beobachtete, beurteilte, prüfte Alexander die Politik seines Vaters. Er kam zu dem Resultate, daß er sie vorzüglich fand, gleichzeitig aber abscheulich.

Alexander, der Sechzehn- und Siebzehnjährige, wußte, was er selber wollte, noch nicht; oder wußte es doch nur undeutlich-großartig, wie man den wundervollen Traum der vergangenen Nacht weiß. Aber täglich klarer wurde, daß das Ziel des Philipp nicht das seine war, wenngleich es ihm äußerlich ähnlich sehen mochte. Philipp plante den Zug nach Asien, wenn er erst die Hegemonie über Griechenland hätte, der panhellenische Rachezug war der Vorwand, unter dem er die Hegemonie anstreben konnte. »Ich bin hart mit euch«, sagte er zu den Griechen, die er frech unterdrückte, »aber nur, damit ihr eines Tages unter meiner Herrschaft einig werdet. Ich will euer Bestes, will den Aufschwung eurer Nation, mir sollt ihr's danken, wenn der Großkönig gebüßt hat, für euch einstmals angetane Schmach.«

Er wollte, das war alles, griechischer Nationalheld werden, der asiatische Feldzug sollte ihn dazu machen. Dieser grobe, aber listige Mann ging Schritt für Schritt vor, er war nie ungestüm, immer verschlagen und konsequent. Sein Sohn beobachtete, angeekelt und bewundernd, diese grausam schlau berechneten Schritte.

Selbstverständlich irrte Demosthenes mit jedem Wort, das er sagte; viel Psychologie schien dieser rabiate Advokat nicht zu haben. Was für ein borniertes Mißverständnis, zu argwöhnen, Philipps Unternehmungen richteten sich gegen Athen, da ihm doch an nichts so viel wie an der Anerkennung seines Heldentums gerade in Athen lag. Dort ein Denkmal zu haben, dort Heros zu sein, das war seiner Eitelkeit einziges, glühendes Ziel.

Was also wollte dieser aufgeregte Rechtsanwalt? Er ging so weit, sich sogar mit dem Perserkönig einzulassen, aus hysterischem Haß gegen Philipp. Als redlicher Nationalist hätte er ein Bündnis zwischen Mazedonien und Athen propagieren sollen, anstatt es zu begeifern und zu verhindern. Oder war die absolute Vorherrschaft Athens seine fixe Idee? Er kannte seine Landsleute, denen er im pädagogischen Eifer so harte Wahrheiten sagte, zu gut, um nicht zu wissen, daß das unmöglich war.

Obwohl er sie verrannt und kurzsichtig fand, las der Kronprinz Mazedoniens mit einem gewissen Wohlgefallen die rhetorischen Haßgesänge des alten nationalistischen Demokraten, die alle Unternehmungen seines Vaters begleiteten und sie, plump genug für den Straßenpöbel, zersetzten. Dieser Intrigant mit der etwas finsteren Vergangenheit erreichte sogar manches in der großen Politik. Hatte seine Karriere nicht mit einem Prozeß gegen den eigenen Vormund begonnen, wobei er sich recht übler Kniffe bedient haben sollte? – Schließlich brachte er immerhin das Bündnis zwischen Athen und Theben zustande, allerdings als es schon nichts mehr nützte.

Denn Philipp war inzwischen schon zu weit gekommen. Alexander verachtete den hitzigen alten Demosthenes um so gründlicher, da er letzten Endes doch nichts erreichte. Wer mit so unbedenklichen Mitteln arbeitete, mußte Erfolg haben. – Der andere, Philipp, dieser aufgeräumte und ungebildete Grobian – der nicht einmal rechtmäßiger König von Mazedonien war, denn er vertrat nur Amyntas, seinen kränklichen Neffen, des alten Perdikkas Sohn –, der hatte Erfolg mit allen seinen Listen und Ränken. Die Reihenfolge dieser fatalen Triumphe hielt Alexander sich in den Nächten vor, da er nicht schlafen konnte.

Zäh war er gewesen, zäh und infam. Unerbittlich und listig hatte er eine Macht nach der anderen besiegt, einen Regenten nach dem anderen sich verpflichtet. Schließlich war es so weit: Mazedonien, vorgestern noch übersehenes Hirtenland, stand als die herrschende Macht da. Philipp verkündigte vor großer Versammlung: »Unter unserer Führung wird das vereinigte Griechenland gegen den asiatischen Erbfeind ziehen!«

Aber der pathetische Demagog in Athen, Demosthenes, wollte es anders. Der hellenische Bund kam gegen Philipp zustande, sogar der zwischen Athen und Theben.

Gehässig überlegte Alexander auf seinem Lager: »Freilich, da es zur Auseinandersetzung kam, wollte sogar ich unseren Sieg, obwohl doch nur mein Vater ihn genießen wird. Schließlich war es mein Eingreifen, das die Schlacht von Chaironea entschied –«

Damals war es das zweitemal, daß Philipp aus Freude über den Sohn weinte; diese Instinktlosigkeit erfüllte Alexander mit Ekel. » Er merkt nichts«, dachte er, völlig angewidert; und er wandte sich kurz, beinahe unhöflich, als der gerührte Vater ihn umarmen wollte. Der stutzt, versteht nicht, bleibt, mit noch geöffneten Armen, täppisch stehn. Alexander, seitlich abgewendet, mißt den rüstigen, aber doch schon alternden Mann mit einem kurzen Blick von so gnadenloser Grausamkeit, wie nur Söhne für ihre Väter ihn haben: den harten, graumelierten Spitzbart, den sinnlichen und brutalen Mund, der stets feucht war; die derbe Nase, die klugen, hinterhältigen kleinen Augen. Nur, daß diese Augen jetzt naß sind, sieht der Sohn nicht, auch nicht das rührend Ungeschickte, Bittende, Hilflose in Philipps Geste. Er hört nur, wie der Vater mit einer Feierlichkeit, die nicht zu ihm paßt und die komisch wirkt, murmelt: »Mein Sohn, ich siege für dich, alles für dich – du sollst ein größerer König als ich sein –«

Da dreht, mit einem Rest von Mitleid, Alexander endlich das Gesicht ganz fort, damit Philipp sein böses und verächtliches Lächeln nicht sehe.

 

Nach der Schlacht bei Chaironea bewies sich, wie ahnungslos die Politik des Demosthenes immer gewesen war: während der König von Mazedonien Theben immerhin mit einer Besatzung bestrafte, faßte er mit Samthandschuhen das besiegte Athen an. Freiheit und Autonomie wurden ihm zugesagt; um ihre Gefangenen wiederzubekommen, mußten sie nicht einmal Lösegeld zahlen.

Dafür hatte Philipp die Befriedigung, Ehrenbürger der Stadt zu werden, die ihn so leidenschaftlich bekämpft hatte; mit ihm sein General Parmenion und sein Sohn Alexander.

IV

Alexander und der idiotische Arrhidaios waren beinahe befreundet, obwohl manche bei Hofe den armen Hurensohn politisch gegen den rechtmäßigen Kronprinzen ausspielten. Seine schlampige Mutter, die grob geschminkte Philina, war längst auf und davon, niemand wußte, in welcher Hauptstadt sie's nun trieb. Aber manche fanden eine verschollene Kurtisane als Königin-Mutter angenehmer denn diese aggressive, aber undurchschaubare Olympias. Andere wieder, vor allem die Partei des schlauen Attalos, hofften auf den Sohn, mit dem die neue Königin, Kleopatra, schwanger ging.

Dem Arrhidaios hing filziges Haar in eine niedrig eckige, melancholisch verfinsterte Stirn. Sein breiter, immer wie zum Weinen verzogener Mund konnte nur lallen, dazu bewegten sich hilflos seine klapprigen, übelriechenden Hände; sein großer, spitz vorragender Adamsapfel tanzte traurig im selben Rhythmus. – An seinen Augen freilich sah man, daß er Alexanders Bruder war. Sie blickten tief und zerstreut, ihre Farbe war goldbraun, in das aber noch andere Töne spielten. Gebärdeten sein wehleidiger Mund, seine unappetitlichen Greisenhände sich noch so idiotisch, darüber hatten diese vergeßlichen Augen ihre tiefsinnige Sprache.

In einer Kellerecke, wo es warm und schmutzig war, pflegte Arrhidaios zu hocken, die Hände um die knochigen Knie geschlungen. Warum lachte er leise? Weil die kleinen Mäuse und die fetten Ratten ihn neckten. – Hier besuchte ihn Alexander, und er blieb viele Stunden. Sie saßen und schwiegen, manchmal redeten sie, über was, erfuhr keiner. Manchmal faßten sie sich auch an beiden Händen, sie neigten die Gesichter nah zueinander. Endlich berührten sich ihre Stirnen. Nun zeigte sich, daß sie sich sogar ähnlich sahen.

Über den Unfug, den ein paar Intriganten mit dem Namen des Arrhidaios trieben, sprach Alexander mit seinem Halbbruder nie, es blieb auch fraglich, ob er ihn verstanden hätte. Sogar als der Skandal um die karische Königstochter die gesamte Hofgesellschaft in zwei Lager spaltete, erwähnten die beiden in ihren stillen Dialogen nichts davon; sie hatten sich anderes mitzuteilen.

Nach außen hin machte sich der Kronprinz freilich diese neue und derbste Taktlosigkeit seines Vaters gewaltig zunutze. Es handelte sich darum, daß der karische Monarch Pixodaros durch feierliche Gesandtschaft den Vorschlag hatte unterbreiten lassen, seine älteste Tochter mit dem erbberechtigten Kronprinz von Mazedonien zu vermählen. Philipp hatte die Gesandten sehr höflich aufgenommen, ihnen einen seiner lustigen Abende gegeben – dem beizuwohnen man den Alexander wohlweislich keineswegs aufgefordert hatte – und schließlich erklärt, die Königstochter solle den Kronprinzen haben, sein Name sei Arrhidaios, er sei hübsch, klug und energisch. Der alte Pixodaros, in die intimen Verhältnisse des mazedonischen Hofes durchaus nicht eingeweiht, sagte ja und bedankte sich noch dazu. – Alles dies erfuhr Alexander. Seine Partei inszenierte großen Skandal: nun präsentierte Philipp die mißratenen Früchte seiner ordinären Leidenschaften also schon als Thronfolger, und zwar fremden Höfen gegenüber. So weit hätte er nicht gehen dürfen; die Anhängerschaft Olympias' und ihres Sohnes raste. Alexander schickte auf eigene Faust Boten zum verwirrten Pixodaros: Philipp habe ihn an der Nase geführt, Arrhidaios sei nichts anderes als ein vertrotteltes Hurenkind, man habe seiner Prinzessin einen armen Bastard ins Ehebett legen wollen. Großer Wutausbruch des ehrgeizigen alten Herrn, die Gesandtschaft, die er nun seinerseits losließ, hatte gepfefferte Dinge auszurichten. Die Affäre drohte außenpolitisch schlimmste Folgen zu haben; Philipp mußte, die Situation halbwegs zu retten, alle seine Diplomatie zusammennehmen. Sein vornehmster General, Parmenion mit dem treuen Katergesicht, machte sich auf, die Grüße, Geschenke und Entschuldigungen seines Herrn nach Karien zu bringen. –

Von allen diesen unbedeutend äußerlichen Vorkommnissen redeten die Brüder nicht, wenn sie in geheimnisvoller Zwiesprache, Stirne an Stirne, im Kellerloch hockten.

So viel Amüsement hatten die kleinen Griechen an diesem Barbarenhof sich niemals erhofft, das ging ja angeregter zu als sogar in Athen.

Kaum fing die Affäre mit der karischen Prinzessin etwas an in Vergessenheit zu geraten, als die unbezahlbar ulkige Geschichte mit Philipp und dem Pagen Pausanias passierte. Der König nämlich ließ bei einer seiner munteren Abendunterhaltungen sich wieder einmal ganz gründlich gehen, und zwar, zur Abwechslung, nicht gegenüber einer Frauensperson, sondern indem er diesen Burschen, den niedlichen und sentimentalen Pausanias, bei offener Tafel vergewaltigte. Er tat es umständlich und in aller Form; wenngleich er schwer besoffen zu sein schien, hielt er sogar bei diesem Akt auf königliche Haltung. Mit feierlicher, allerdings schwankender Stimme befahl er dem Jungen, sich auszuziehen, sich in bequeme Position zu stellen. Der ganze Saal johlte; nur die Nächstsitzenden sahen, daß das mißbrauchte Kind vor Wut und Scham am ganzen Leib zitterte. Sein Gesicht war weiß, seine armen Augen schwammen in Tränen.

Pausanias war von allen Edelknaben der üppigste, ein prachtvolles Geschöpf von träger, völlig weibischer Schönheit. Sein Mund, der schmollte oder im Lächeln erblühte, machte Männer und Frauen verrückt, ebenso der neckische oder sentimental trauernde Blick seiner grauen Augen, die er mit langen, sorgsam zugespitzten Wimpern beschatten konnte. Über der elfenbeinzarten, schöngewölbten, völlig leeren Stirn hob sich das kastanienbraune Haar zu seidig glänzendem Hügel. Sein Gang war der einer großen Hetäre, er wiegte gefallsüchtig Schultern und Hüften.

Er war völlig temperamentlos, aber schwer hysterisch. Die fixe Idee seines Herzens war, daß er Kleitos liebe. Während ihn, den erklärtermaßen reizvollsten Knaben der Hocharistokratie, die halbe Hauptstadt begehrte, hing er mit einer Treue, die es peinlich war anzusehen, dem Kleitos an, der allgemein als unscheinbar galt. Sein Masochismus sehnte sich nach Erniedrigung: Kleitos hatte ihm noch nicht einmal die Hand gestreichelt.

Nach dem Skandal bei der königlichen Tafel stürzte der arme Pausanias, ganz beleidigte Dame, ins Zimmer des vergeblich Geliebten. Seine Empörung machte ihn noch schöner, als er sonst war, wirres Haar im verstörten Gesicht, rannte er vor Kleitos' Bett auf und ab.

»Wenn er mich noch ins Schlafzimmer gebeten hätte, gut, ich würde nicht nein gesagt haben, obwohl er mir, wissen's die Götter, nicht liegt! Aber so! Diese entwürdigende Rücksichtslosigkeit!« Er rauschte einher wie eine Fürstin, die man in Verbannung schicken will, blieb stehen, raffte das Schleppenkleid, das er nicht trug, rauschte weiter.

Kleitos, in seinem Bette, lächelte immer geheimnisvoller. Es strahlte boshaft in seinen Augen, dabei sagte er mit vor Sanftheit girrender Stimme: »Noch dazu hat er sich schon vorher damit gerühmt, ein kesser Alter, das muß man immerhin zugeben. Dein Renommee bei Hofe ist dahin. Nun bist du ein kleiner Lustjunge, wie die Hergelaufenen aus Griechenland, die es gerne für ein Abendessen tun.« Er schwieg listig, summte etwas, tat, als interessiere ihn die Sache nun nicht mehr.

Pausanias stampfte, glühte, endlich weinte er. Er sank, von Schluchzen geschüttelt, auf die Knie vor dem Bett des Kleitos. »So eine Gemeinheit«, flüsterte er in seine Tränen, dabei hatte er das nasse Gesicht in den Kissen des Freundes, »jetzt achtest du mich nicht mehr.« Diese Vorstellung war mehr, als er aushalten konnte, sein Schluchzen wurde zum Krampf, er warf sich hin und her, als schlüge man ihn mit der Peitsche.

Plötzlich hielt er den Atem an, er vergaß sogar die Tränen fließen zu lassen. War ein Wunder geschehen? Kleitos hatte die Hände in seinem Haar. Nun spürte er sogar seinen Mund, diesen unerreichbaren, erst im Haar, dann auf dem Halse, der nicht mehr zitterte, sondern stillhielt vor Glück. Gleichzeitig hörte er die sanfte und klare Stimme, die ihn hypnotisierte.

»Passe nun genau auf, mein Pausanias! Es gibt für dich nur noch einen Ausweg, gehst du ihn nicht, bleibst du für immer erniedrigt. Aber du bist ein Mann, mein kleiner Pausanias. Höre nur zu – –«

Pausanias lauschte.

 

In der Morgendämmerung blieb Kleitos allein. Er hockte, die Knie hochgezogen und die Hände um sie geschlungen, auf seinem Lager, lange schweigend, nur lächelnd und wie nach lustigen Melodien den Kopf wiegend.

Als draußen die Vögel zu singen anfingen, drehte er das Gesicht zum Fenster. In den grauen Morgen hinein, der sich schon rosig umwölkte, sagte er mit einer frischen und heiteren Stimme: »Ich werde ihn auf dem Thron sehen – bald schon – das wird ein Spaß –«

Er pfiff etwas, da ein Wind ihn kühl anblies, zog er die Decke enger um sich zusammen. Er legte sich zurück, schloß die Augen, immer noch lächelnd.

Nach einigen Minuten schlief er.

Am selben Morgen kam die Antwort des Orakels, welches Philipp wegen des asiatischen Zuges befragt hatte:

» Siehe, der Stier ist bekränzt, es wartet das Opfer

Philipp fand den Spruch vieldeutig und verwirrend: die Frage blieb, wer der Stier war. Er ließ einige Gelehrte kommen, die das Rätsel höflich dahin deuteten: Persien sei der Stier, schon bekränzt, schon zum Fallen bereit. Immerhin blieb in Philipp eine gewisse Unruhe.

Aber er glaubte nicht mehr warten zu dürfen, mit einem Male bekam er es eilig. Seiner bemächtigte sich Nervosität, die er bisher nicht gekannt hatte. Eigentlich verfrüht, sandte er einen Teil seiner Armee, unter Führung des Parmenion und des Attalos, über den Hellespont.

Bevor er mit den übrigen Truppen nachfolgte, sollte die Hochzeit der kleinen Prinzessin Kleopatra mit einem jungen Fürsten von Epiros gefeiert werden, und zwar sehr würdevoll in Aegä. Bei solchen Gelegenheiten zeigte Philipp sich konservativ, beinahe sentimental. Aegä, Mazedoniens ehemalige Hauptstadt, längst verlassen, verödet, galt traditionellerweise als Stadt der Krönungen, Hochzeiten, Trauerfeste. – Der ganze Hofstaat brach von Pella auf, mit ihm der neugierigere Teil der Bevölkerung: in Aegä sollte es griechisches Theater, Maskerade und Prozession geben. Peinlich berührte, daß Olympias sich weigerte mitzukommen, sie blieb störrisch zu Hause.

Überhaupt war die Stimmung in der hohen Familie keine erfreuliche. Philipp, von seinen Offizieren umgeben, zeigte eine etwas penetrante Lustigkeit, als hätte er für heute noch einen besonders großartigen Scherz vor. Er machte dröhnende Andeutungen, schlug seinen Herren auf die Schultern, daß es krachte und wehtat; auch roch er schon seit frühem Morgen nach Alkohol. Als sehr taktlos fiel manchen auf, daß er sogar bei dieser hochoffiziellen Gelegenheit seine zweite Gemahlin, Frau Kleopatra, an der Seite hatte; obendrein war sie guter Hoffnung und für ihren Zustand viel zu prächtig geputzt. Um so unscheinbarer wirkte die junge Kleopatra, Alexanders mattes Schwesterchen, mit dem traurig leeren Gesicht. Ihre kleine Miene war blaß wie ein bißchen Schnee, und die traurigen Augen blickten hilfesuchend. Ihren jungen Fürsten kannte sie gar nicht, schien sich auch nicht besonders auf ihn zu freuen. Außerdem hatte sie am Abend vor dem Aufbruch nach Aegä wieder einmal Streit mit ihrer reizbaren Mutter gehabt, die nähere Umgebung der Damen wußte, daß die Königin ihre Tochter sogar geschlagen hatte, man erzählte sich von blauen Flecken auf dem Rücken der zarten Braut. – Auf die derben Scherze ihres halbbetrunkenen Vaters einzugehen, war ihr unmöglich, schon weil sie sie nicht verstand.

Auch Alexander lachte nicht während der Reise. Er hielt sich mit einigen seiner Kameraden abseits; unter diesen fehlten übrigens Kleitos und, was weniger auffiel, der entehrte Pausanias. Niemand wußte, wohin die beiden verschwunden waren.

Der freundliche Hephaistion versuchte seinen düsteren Prinzen aufzuheitern, indem er mit sanfter Stimme Skandalgeschichten aus der Hofgesellschaft erzählte. Auch die anderen wollten lustig sein, Philotas, des Parmenion Sohn, Nearchos, Krateros, Perdikkas, Ptolomaios, Koinos; sie probierten sich in kleinen Unanständigkeiten: »Man kann sich schon denken, warum der hübsche Pausanias heute nicht mitkommt. Der kann nicht mehr gehen und auf keinem Pferde mehr sitzen: König Philipp hat ihn verletzt!« Sie lachten dröhnend. Aber Alexander verzog keine Miene.

 

Der Scherz, den König Philipp für die Hochzeitsfeier sich ausgedacht hatte, war noch unpassender, als irgend jemand hätte fürchten können.

Der Zug der Götter verlief zur allgemeinen Befriedigung, die Wagen waren sehr prunkvoll hergerichtet, die Schauspieler sehr götterähnlich verkleidet, mit Andacht und Lüsternheit sah das Volk all den heiligen Luxus. Aber ihnen erstarb der Jubelschrei auf den Lippen, als mitten unter den Seligen des Olymps die groteske Maske auftauchte. Auf seinem Wagen dieses rotgesprenkelte Ungetüm blähte sich wie ein Truthahn, hatte eine lächerliche Vogelnase und abscheuliche Eselsohren. Geflüster, daß der Vermummte kein anderer als König Philipp sei, lief entsetzt durch die Menge. Das war zuviel, schon murrte man: es war Gotteslästerung. Die griechischen Gesandtschaften verbargen nicht, daß sie äußerst schockiert waren, die asiatischen schauten ruhig, aber angewidert. Ratlosigkeit in der Hofgesellschaft, fassungsloses Geflüster: Majestät hatten für Scham und Schande unzweifelhaft jeden Instinkt verloren; jedes religiöse Gefühl im Menschen so dreist zu beleidigen! Wollte er gar, daß er selber ein Gott sei, auf diese degoutante Art andeuten? So weit war man noch nicht, sogar die alten Militärs brummten.

Man sah sich neugierig, dabei ängstlich nach dem Kronprinzen um: wie stellte er sich, was machte er für ein Gesicht zu des Vaters Entgleisung? – Alexander blickte finster zur Seite. Seine Freunde hetzten, aber er winkte ab. Sie rieten: »Sprich zum Volk, Alexander! In diesem Augenblick hassen ihn alle! Er macht sich zum Gott, und zu was für einem! Sieh nur, wie er sich bläht und schaukelt! Niemand klatscht, niemand jubelt –«

Philipp in seiner gotteslästerlichen Aufmachung fuhr durch eisige Stille. Hätte wenigstens einer gelacht! Aber mit unerbittlichem Schweigen besah man sich seine größenwahnsinnige Ausschweifung. Da niemand sie komisch fand, wurden immer widerlicher seine spaßigen Gesten. Er schien schwer betrunken, sonst hätte er sich nicht so unanständig bewegt.

In dieser Sekunde, da die Peinlichkeit sich bis zum Unertragbaren gesteigert hatte, sprang, wie aus dem Boden gewachsen, ein eleganter Schwarzverhüllter auf das Trittbrett des Wagens, kaum daß man ein Messer aufblitzen sah, sank der König auch schon, brüllte dumpf auf, dunkles Blut besudelte das vergoldete Holz seines Gefährtes. Der Wagen blieb nicht sofort stehen, er fuhr noch einige Schritte. Philipp, der, das Messer in der Kehle, spuckend, röchelnd und blutend zur Erde hing, wurde geschleift, sein Haar fegte den Staub, seine komische Maske verschob sich. Darunter sah man plötzlich sein kreidig weißes Gesicht mit angstvoll klaffendem Munde.

Der Schrei, der aus der Menge aufstieg, klang ebensosehr nach Erleichterung wie nach Entsetzen. Jeder hatte gefühlt, daß diese Tat in dieser Sekunde hatte geschehen müssen – denn wie hätten die nächsten Sekunden sonst vorbeigehen sollen! –, trotzdem flogen zum Mörder, den Soldaten gepackt hatten, schon Flüche und Steine. Man riß ihm das Tuch vom Gesicht, da war es Pausanias, den sie hielten. Mit rehbraunen, großen, völlig leeren Augen starrte er die an, die ihn fesselten. Er bewegte sich wie ein Schlafwandler. Sie wollten ihn ins Gesicht schlagen, aber sie rührte sein schreckensbleiches junges Antlitz, seine ratlose, dumme und verzweifelte Schönheit.

Alles floh durcheinander, aus dem Gebrüll und Gefluche der Männer sprangen spitz die hysterischen Schreie der Weiber. Schamlos war es, wie die Griechen sich freuten: sie jubelten, warfen die Arme: »Er ist tot, Philipp ist tot!« Am liebsten wären sie mit ihrer frohen Botschaft gleich bis nach Athen gelaufen. – Mitten im Chaos bemerkte niemand, daß die arme kleine Kleopatra, die vergessene Braut, mit winzigen, dünnen Schreien in Ohnmacht sank. Um so vernehmbarer klagte Kleopatra, die Ältere, Philipps eigentliche Witwe. Üppig, wie in ihren schwelgerischen Freuden, trieb sie es auch im Schmerz: prächtig zu sehen, wie sie das Haar raufte, am Gewand zerrte, weiße fette Brüste verzweifelt schüttelte; aufheulte mit groß geöffnetem Mund, hinsank, um nur noch stattlicher und tragischer sich wieder aufzurichten, ganz klagende Königin im sorgfältig verwüsteten Faltenwurf ihrer Gewänder.

Sogar die alten Generale hatten den Kopf verloren, sie stampften, wetterten durcheinander. – Unbeweglich stand allein Alexander, den die Freunde umringten. Mit einem abwesenden, aber geheimnisvoll strahlenden Blick schaute er dem Pausanias nach, den man fortschleppte. Dann ließ er den Blick, der immer noch strahlte, auf dem Vater ruhen, dem man die Maske abgenommen, Blut und Schmutz weggewischt hatte. Provisorisch war er auf dem goldenen Wagen gebettet, der ihm zur letzten anstößigen Lustpartie hatte dienen müssen. Über die Leiche warf sich Frau Kleopatra, wobei sie mit schönem Schwung die weißen Arme breitete. – Alexanders Blick, der dies alles prüfte, wurde immer kälter und undurchdringlicher.

Ganz allmählich entstand auf seinem ruhigen Gesicht das Lächeln. Die Freunde schrien immer enthusiastischer um ihn herum: »Es lebe Alexander, unser junger König! Unser junger König lebe – lebe –!« Auf diese Rufe hin lächelte Alexander, aber noch nicht für das Volk, sondern für sich, ganz verzaubert.

Da sie ihn auf ihre Schultern hoben, grüßte er seine Menge zum erstenmal mit der weiten, strahlenden Gebärde. Viele klagten noch, um die Leiche des Philipp geschart, aber die anderen grüßten schon den Jüngling, der jetzt ihr Führer war. Vor allem die Zwanzigjährigen wandten sich schnell von dem Toten. Diese grüßte Alexander mit seinem siegesgewissen Winken, seinem Lächeln, welches ihnen göttlich schien.

Als er irgendwo auf feste Erde wieder zu stehen kam, berührte einer zart, aber fest seine Schulter. Er wandte sich, da sah er in grauschillernde, lustige und tiefe Augen. »Komm!« sagte Kleitos zu ihm. »Es ist deine Mutter, die dich dringend erwartet!«

V

Olympias empfing den Sohn allein und feierlich in der gewölbten Mittelhalle des Palastes, welche die Fresken des Zeuxis, Philipps Stolz, zierten. Sie saß inmitten des Saals auf dem Thronsessel, aber keineswegs im Staatsgewand, hergerichtet oder geputzt, vielmehr verwildert wie stets, mit zottig widerspenstigem Haar. Die breite Stirne gesenkt, schaute sie dem Prinzen mit dem verführerisch tiefen Blick entgegen. Da er sich elastisch ihr näherte, sich verneigte, ihr die Stirn und Hand zu küssen, lächelte sie, aber nicht nur mütterlich.

Alexander blieb vor ihr stehen, er wartete respektvoll, was sie sagen würde. Sie maß seine Gestalt mit zunächst nicht zärtlichem, sondern eher prüfendem Blick; zärtlich wurde dieser Blick erst nach und nach. Alexander, mit dem schief gehaltenen Kopf, schwieg geduldig, bis sie ihn gründlich taxiert hatte.

Endlich ließ sie die Augen von ihm, reckte sich, hob die Arme. »Wir sind so weit!« rief sie zur gewölbten Decke, mit ihrer grollend-jubelnden Stimme; und noch einmal, leiser, aber noch seliger: »Wir sind so weit, Alexander!«

Worauf sie ihn an sich zog, mit einer Heftigkeit, die ihn bezauberte und erschreckte. »Höre!« flüsterte sie, nahe seinem Gesicht – er roch ihr zottiges Haar, ihren erregten Atem, unwiderstehlich bitteren Duft von Kräutern, allerlei getrockneten Pflanzen –, »höre: jetzt gebe ich dir den Auftrag.« – Was kam nun? Alexander hielt den Atem an, mit aller Inbrunst seines Herzens erwartete er ihr entscheidendes Wort.

Aber sie begann träumerisch und verschwommen. »Es gab Zeiten«, sagte sie, geheimnisvoll wie damals, als sie vom zerrissenen Orpheus erzählt hatte, »schöne, friedensfrohe Zeiten, da die Welt viel besser eingerichtet war, als wir Armen sie kennen, das Menschenleben sanft und zufrieden dahinging, bis zur feierlichen Stunde des Todes. Damals, mein Sohn, war es die Frau, die regierte, ihr war der Mann untergeordnet. Wir Frauen sind milder, klüger, fleißiger als ihr, wir wissen auch mehr von den Göttern. Unter unserer Herrschaft war die Erde beinah das Paradies.«

Alexanders Augen flehten: den Auftrag! Aber Olympias beeilte sich nicht. Sie erzählte gemächlich: »Das Regiment des Mannes zerstörte bald alles Gute, was wir in Jahrhunderten aufgebaut hatten. – Philipp vereinigte in sich alle schlechten männlichen Eigenschaften, er war der Mann, darum haßte ich ihn. – Ein Glück, daß du nicht wirklich sein Sohn bist.« Sie lächelte hinterhältig.

Alexander fuhr auf sie zu, er vergaß alles Zeremoniell, packte sie an der Schulter, schrie ihr grob ins Gesicht: »Nicht sein Sohn, Olympias?! Ich glaube kein Wort –« Er fürchtete wirklich, daß sie wahnsinnig sei, denn sie schüttelte wunderlich lächelnd den Kopf: »Nicht sein Sohn«, mit einer stillen Hartnäckigkeit. »Den Göttern sei Dank, daß er tot ist, ich habe es mir herzlich gewünscht«, sagte sie schlicht, fast gemütvoll. Mit fester, freudig-nüchterner Stimme fügte sie noch hinzu, dem Alexander ihr helles Gesicht zugewandt: » Denn jetzt bist du da, mein Sohn

Sie faßte ihn an beiden Händen, nun war alles Träumerische von ihr genommen, sie redete deutlich und froh: »Philipp hätte noch dieses Jahr nach Asien den Zug unternommen; aber zu welchem Zweck? Um aus Asien, sollte es ihm irgend möglich sein, mazedonische Kolonien zu machen; um diesen Völkern, die die weisesten und reifsten sind, aufzudrängen seinen unfrommen, männlich plumpen Götterglauben; um die ganze Welt noch unglücklicher zu machen, als sie es heute, unter der Herrschaft des Mannes, schon ist.« Sie schüttelte sich beim Gedanken. »Es ist wirklich gut, daß er tot ist!« sagte sie noch einmal, abschließend. Sie wandte sich wieder pathetisch dem Sohne zu.

»Dir aber, Alexander, gibt die Mutter den Auftrag. Ziehe nach Asien, liebend wird es sich dir unterwerfen, denn du bist schön, Enkel des Achill! Das mütterliche Asien wird dir gehorchen, denn du hast den Auftrag der Mutter. Dieser Auftrag geht nicht dahin, daß du erobern sollst, Männer haben schon so viel erobert. Eine Hochzeit wird anzurichten sein –«

Wie sie aufsprang, sah er, daß ihr Antlitz tränenüberströmt war. Da weinte auch er, sie schloß ihn in ihre Arme, als sei er noch das Kind, das Märchen hören wollte. Weinend schlössen Mutter und Sohn im feierlich öden Festsaal ihr Bündnis. »Ich komme nach Babylon und will Kaiserin sein, wenn du gesiegt hast!« sagte sie, ihr nasses Gesicht an sein ebenso nasses gelegt. »Wenn du tot bist, übernehme ich allein die Regierung, das muß im Testament ausdrücklich festgelegt werden. Denn du lebst nicht sehr lang.« Aus halbgeschlossenen Augen prüfte sie noch einmal sein junges Gesicht, diesmal merkwürdig kokett, beinah boshaft: »Du lebst nicht sehr lang –« Dann weinte sie wieder, dabei zog sie ihn inniger an sich.

Wieder hörte der benommene Alexander ihre zauberhafte Flüsterrede an seinem Ohr: »Du selber wirst nicht sehr lange leben, mein süßer Sohn, ich weiß auch nicht, ob du jemals glücklich sein wirst. Aber du bist ausersehen, der Menschheit das Glück zu bringen, mein Alexander! Die geheimnisvollen Götter und ich, wir wollen es, Alexander! Du erzwingst es mit Liebe und Schwert! Du erzwingst es mit deiner Schönheit, mit deiner Jugend. Denn du bist jung, Alexander, siehe, das ist das Wunderbare –« Ihre Worte hörten in seinem Mund auf, sie küßte ihn, in den Kuß hinein flüsterte sie, man konnte es fast nicht verstehen: »An dem Tode dieses Philipp war ich natürlich nicht unschuldig – mit dem Kleitos hatte ich's ausgemacht – der kleine Pausanias war beauftragt –«

Da ließ Alexander sie los, so viel hätte sie nicht sagen dürfen. Auch sie merkte gleich, daß sie zu weit gegangen war, ganz königliche Würde saß sie wieder auf dem Thron, mit unnahbar gesenkten Lidern. Sie hielt dem Prinzen, der sich tief verneigte, die Hand zum Kuß hin. »Du kennst den Willen deiner Mutter«, sagte sie über ihm, eisig. Er richtete sich auf, sie sahen sich streng in die Augen. Das Wichtigste mußte unausgesprochen bleiben: er fragte sie nicht nach Kleitos, der sein Schicksal heimlich regierte. Er sagte nur noch, mit nachdrücklicher Höflichkeit: »Dein Wille war von jeher der meine.«

Sie schieden feierlich voneinander.

 

Philipp ist tot, einsetzt mit blendendem Überschwang die Aktivität des neuen Königs. Hatte man in Athen schon gejubelt? Und den armen kleinen Königsmörder in absentia zum Ehrenbürger gemacht? Aufgeatmet, da man sich von der neuen, lästigen Hegemonie schon befreit glaubte? – Athen rüstete, mit ihm die Ätoler und die Ambrakioten, die Euer und die Arkader.

Auf dem Thron der vielgehaßte Jüngling hat um sich nichts als Gefahr; überall bereitet sich gegen ihn die Verschwörung: in Hellas, bei den Barbaren des Nordens, in Asien und sogar am eigenen Hof. Der fatale Attalos mit dem gemein sinnlichen Mund im Gestrüpp üppigen Spitzbartes, der aus Kleinasien zurückgekommen ist, spinnt seine Fäden, wahrscheinlich bis nach Susa und Babylon. Des Königs Philipp altbewährte Generale sieht man gehässig flüsternd beieinander stehen: vor allem der in Tüchtigkeit ergraute Parmenion trägt eine unheilverkündende Miene zur Schau. Der Name eines Prinzen Amyntas, des alten Königs Perdikkas Sohn, wird immer wieder genannt: dieser sei es, dem der Thron rechtmäßig zukomme, denn nur als sein Vormund habe Philipp seinerzeit die Regierung übernommen.

Kleopatra, Witwe des gemordeten Monarchen, schreitet in dekorativem Kummer einher, sie begegnet dem jungen Stiefsohn pikiert-würdevoll. Im intimen Kreise läßt sie vorsichtig durchblicken, daß sie Olympias und ihren Sohn für durchaus nicht unschuldig an der Ermordung des großen Philipp halten könne. – Auch Arrhidaios, der melancholische Hurensohn, hat seine Partei.

In solchem Wirrwarr ergreift wahrer Tätigkeitstaumel den Alexander. Freunde raten zur Vorsicht, warnen, geben allerlei zu bedenken. Hephaistion hält ihm in langen abendlichen Gesprächen sorgenvoll-liebreich das absurd Gefährliche seiner Lage vor. »Gegen dich sind alle, gegen dich Orient und Okzident, Griechenland und Mazedonien verbündet.« Alexander lacht strahlend.

Er beruft, ehe er seine Züge beginnt, den Rat der Amphiktyonen nach den Thermopylen; er erneuert den Bund von Korinth, läßt sich als dem »unumschränkten Feldherrn der Hellenen« huldigen. – So tritt, zur Verblüffung der Völker, der kaum Zwanzigjährige seines Vaters Nachfolge an.

In seinem Herzen reift stündlich und minütlich der große Plan seines Lebens; er erfüllt und bedrängt ihn, er läßt ihn nachts aufwachen und vor Glück lächeln; er gibt seiner Stimme Helligkeit, seinem Blick Glanz. – Freilich, viele Angelegenheiten sind vorher zu ordnen, um Mazedonien herum müssen die aufsässig gewordenen Völker beruhigt werden. Mit Thessalien macht er schnelle Versöhnung; andere bleiben: Thraker, Geten, Triballer, Illyrier. Er besiegt die Triballer, die einstmals Philipp frecherweise angefallen haben, schlägt ihren Fürsten Symos, ohne einen eigenen Mann zu verlieren; besiegt beim Passe von Pelion die Illyrier.

Da er verwundet ist, glaubt man ihn in Athen auch schon tot; man triumphiert wieder, rüstet, der böse alte Demosthenes nimmt, weil schon alles gleich ist, dreihundert Talente vom Großkönig an. Plötzlich steht Alexander vor Theben. Da die Stadt hartnäckig bleibt, muß sie schauerlich büßen, man erzählt sich in Athen gruselnd von Feuerbränden, zerstückelten Leichen und beschmutzten Heiligtümern. Auf diesen Jüngling mit den weiten, unheimlichen Augen und der leuchtenden Stimme schaut man mit Ehrfurcht und Angst; welche sturmesgleiche Kraft hier am Werk ist, fängt sogar Demosthenes zu ahnen an. So schließt Athen Frieden.

Das Nötigste ist getan; mit einer Ungeduld ohnegleichen stürzt sich Alexander in die Vorbereitungen zu dem phantastischen Unternehmen, das sein Geist will. Er teilt ein, beschließt, organisiert. Den Attalos wegen Hochverrates hinrichten zu lassen, hat sich leicht ein Vorwand gefunden; auch Amyntas ist schon beseitigt, nur den Arrhidaios schont der junge König, niemand versteht warum. Olympias, schwelgend in ihrer Macht, gibt Befehl, Kleopatra zu erwürgen, die ihre schlimmste Feindin und Rivalin war; sie läßt der Leiche das Embryo aus dem Bauche nehmen, das sie unter schauerlichen Flüchen verbrennt.

Mit einer Brutalität, die in ihm keiner vermutet hätte, ordnet Alexander alles nach seinen Wünschen. Keiner sieht ihn mehr lustig oder grüblerisch, sogar gegen den Hephaistion ist er sachlich und kurz. Die Augen haben den fast schwarzen, konzentrierten und hartleuchtenden Blick, den seine Umgebung fürchtet. Um den Mund sind stählerne Muskeln.

Nach außen hin ist die Begründung seines asiatischen Zuges der panhellenische Rachegedanke: was Xerxes den Griechen angetan, will Mazedonien an Dareios Kodomannos rächen. Er behauptet, Philipps Testament zu vollstrecken, nur auszuführen, was dieser geplant. Dabei entfernt er sich immer weiter von Philipps Ideen. Sein Vater wollte nur das Vernünftige, Begrenzte, ihn zieht allein das Grenzenlose an. Philipp hatte sich zunächst um die Geographie Kleinasiens gekümmert; Alexander studiert schon die klimatischen Verhältnisse Irans, läßt sich über Baktrien und Sogdiana berichten.

Schiffe werden gerüstet. Truppen senden Griechenland, Thessalien, Thrakien. Er inzwischen, in trunkener, besinnungsloser Freigebigkeit, verschenkt beinah alles, was sein ist, den gesamten privaten Besitz, als wolle er sich gewaltsam von jeder Bindung befreien.

Der katergesichtige Parmenion, mit dem treuen Soldatenblick ehrfürchtig von unten schauend, gab allerrespektvollst zu bedenken, daß es, das Land ohne Thronfolger zu lassen, gerade bei so gefährlichen Läuften unverantwortlich sei. Er schlug verschiedene Damen der hohen Aristokratie, auch fremde Prinzessinnen, zur Gemahlin vor, wobei er nie vergaß, mit einem unanständigen Greisenschmunzeln die körperlichen Vorzüge des betreffenden Mädchens zu preisen. Der junge König lachte kurz und verächtlich; Hephaistion, der bei ihm war, lachte mit.

 

Als der Winter zu Ende ging, brach mit einer Armee von dreißigtausend Fußsoldaten, fünfhundert Reitern König Alexander nach dem Hellespont auf. Von seiner Mutter verabschiedete er sich nur noch zeremoniell, in Gegenwart einiger Offiziere. Er hatte, seit ihrer entscheidenden Unterredung, nicht mehr allein mit ihr gesprochen.

Als Reichsverweser wurde Antipatros eingesetzt.

Sie zogen über Amphipolis längs der Küste, über Abdera, Maroneia, Kardia, waren am zwanzigsten Tage in Sestos. Die Flotte wartete schon im Hellespont. Gegenüber lag Troja. –

Alexander, am Bug des Schiffes, träumte mit weit aufgerissenen Augen. Diese Träume wurden zu groß, er mußte von ihnen sprechen. So versuchte er es, dabei zitterte seine Stimme vor Angst, er könne sich nicht deutlich machen, nur Andeutungen geben, die niemand verstand.

»Wenn dieses glückt, Hephaistion, dann ist das Ziel der Menschheit erreicht. Blut wird fließen, aber das Ziel ist erreicht. – Oh, Hephaistion –« Er verstummte, denn schon merkte er, daß der andere nichts begriff. Er merkte, daß er, wie nur je, alleine war. Einsamkeit machte ihn demütig, nicht mehr stolz; er suchte dem näher zu kommen, der fremd neben ihm stand.

Hephaistion sah, wie im bewegten Dunkel der Kopf Alexanders ihm zusank. Sie spürten beide auf den Lippen den Geschmack des salzigen Wassers. Hinter den zerfetzt treibenden Wolken, durch die Frühlingssturm fuhr, traten selten und bleich die Sterne hervor.

»Aber du mußt mir helfen«, bat Alexander, der plötzlich mit Tränen kämpfte, seine Stirne an der kühlen des Hephaistion.

Der erwiderte sanft und bestimmt, als mahne er ihn an eine Pflicht: »Es ist die Stunde, welche dich weich macht. Du weißt, daß du meine Hilfe nicht brauchst. Denn du bist am stärksten allein, Alexander! Ich störte dich nur –« Er verstummte, gerührt über den eigenen Verzicht, von dem seine Sanftmut nicht ahnte, wie er den anderen traf.

Alexanders erhitztes Gesicht, um das Schlangenhaft verwirrt Locken hingen, zog sich zurück. Es schien im Morgenlicht fahl zu erstarren. Der Mund wurde hart, in die schöne Stirn legten sich Falten.

Dieses war das zweitemal, daß er abgewiesen wurde. »Nun werde ich mich nicht mehr anbieten«, dachte er, ruhig nach dem Überschwang.

Da Hephaistion nach seiner Hand tastete, überließ er sie ihm, aber ohne den Druck der anderen zu erwidern. Er wandte den strenggewordenen Blick zum Wasser, das erbleichte und sich frierend kräuselte.


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