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Wie schwierig, etwas zu sein und danach auszusehen. Ich war immer skeptisch gegenüber dem Schönen, das schön aussah, dem Edlen, das edel aussah, dem Großen, das groß aussah, und so fort. Wie die körperliche Anmut, so besteht auch die sittliche in einer gewissen Art, sich unsichtbar zu machen. Man kann sich also denken, mit welchem Bangen ich einen Alexander – einen Alexander den Großen zur Hand nahm. Der Gerechtigkeit halber muß gesagt werden, daß dieser Alexander mit Selbstbewußtsein auftrat; in unserer Zeit der knappgefaßten Bücher war es ein beachtlicher Band. Zudem kam er von Klaus Mann, einem jungen Dichter, dem Begnadung und ein heller Verstand zur Seite gehen, insbesondere aber eine der rühmlichsten Eigenschaften, die auch Thomas Mann, seinen Vater, auszeichnet: zu wissen, daß in den großen Dingen nicht immer Größe wohnt. Ein kleiner Junge, der auf einem kleinen Gitter schaukelt, kann uns stärker bewegen als der Aufzug des Parsifal.
Die Größe Thomas Manns als Vater und Berühmtheit umstrahlt Klaus Mann mit einem sehr milden Heiligenschein (einem Kinderreifen aus Licht sozusagen) und bewahrt ihn vor den Fallstricken des Bösen.
Alexander! In der höheren Schule war das ein Modell in der Zeichenstunde, ein Gipsprofil, ein gipsernes Auge, Locken aus Gips, und diese Nasenflügel, diese Lippen – kalte Vexierbilder, in die der Schüler flugs ein sich bäumendes Pferd hineinsah. Dieses Profil hatte für mich Leben gewonnen, hatte sich mir schon zu drei Vierteln zugewandt, als ich durch das Handbuch – so stellte es sich äußerlich dar – der Princesse Bibesco mit »Alexander dem Asiaten« Bekanntschaft geschlossen hatte. Es erschien mir wirklich als eine Art Handbuch, und zwar wegen seines Formats, seines biegsamen Ledereinbands, seines Signets und der Firma Larousse. Dieser orientalische Alexander verwirrte mich, legte mir die Sage wie eine Perle vor, lenkte meinen Geist ins Übermenschliche ab.
Ich verliere die Lust, sobald ich nicht mehr jenes Wahre anwesend fühle, das weder auf Recht noch Gesetz fußt, sondern auf einem geheimen Maßsystem. Bei der Princesse Bibesco schärften sich die Züge der großen unbestimmten Form und wurden schließlich zu einer kleinen wohlausgeprägten und betörenden Angelegenheit, nicht von der Prägung einer Münze, wohl aber vom Umriß einer Blume: ein strammer Heros, gekräuselt wie die Hyazinthe und einen unermeßlichen Duft um sich verbreitend.
Der Alexander aus Gips räumte vor dieser Gestalt von ungeheuerlicher Schönheit das Feld: vor einer wahren Rätselfigur von der Art, wie es die Meisterwerke des Jugendstils sind, deren Ektoplasma dem Mund einer schlummernden Frau zu entströmen scheint.
Hier nun sehen wir, vorgestellt von einem jungen Dichter, der sich, um es noch einmal zu betonen, mit Zeilen und Ziffern und erhabenen Umrissen, nicht aber mit jenem kolossalischen Urnebel der deutschen Sagen vollgesogen hat, das Profil zum erstenmal ganz von vorne. Das Modell en face zu zeichnen: darin besteht die Kühnheit des Künstlers.
Sehen wir nun, wie Klaus Mann die Schatten des Mythos verrückt, wie er ihn uns nahebringt und ihm Fleisch und Blut gibt. Alexander hat zwei Studiengefährten. Einen Gefährten, der auf ihn blickt und den er beherrscht, und einen anderen, auf den er blickt und der ihn beherrscht.
Es gibt Dichter, die sich ihre Kindheit bewahren; andere finden sie wieder. Alle bleiben mitleidlos, hart, verschlossen, erschreckend wie sie. Aber es tut mir leid um Menschen, die auf dieses Paradies der Schulzeit geringschätzig herabsehen, auf diese Schlachten, bei denen ein Schneeball uns für immer zeichnen und für immer die Quellen des Herzens zum Versiegen bringen kann.
Kurzum: Alexander will diesen Gefährten, den nichts in Erstaunen versetzt, überrumpeln, will dieses allzu wache Auge, das ihn beobachtet, einschläfern; und dies wird zum eigentlichen Motiv seines aufreibenden Eroberungszugs, einem Sieg entgegen, der den Sieger immer tiefer in die Einsamkeit hineintreibt. Eine Einsamkeit, die ein klein wenig Fortschritt mit Touristen und Butterbrotpapier überdecken wird.
Was kann ich noch besitzen? fragt sich Alexander, als er am Ende der Welt zu sein wähnt. Man fühlt sich versucht, ihm zu antworten: ein Telefon, eine Armbanduhr, ein Funkgerät. Aber ohne Scheitern gibt es keinen dauerhaften Ruhm. Durch sein Scheitern setzt Christus sich durch. Ihm hilft ein Verräter, die Schlacht zu gewinnen; Napoleon muß sie durch einen Verräter verlieren.
Wie könnte uns dieser Alexander traurig stimmen, da er mit Erfolg so bis obenhin vollgestopft war wie sein Leichnam mit dem Honig der Weiber, die ihn einbalsamierten; dieser Alexander, dem alles zum besten diente, selbst das Schlechteste (sein Urin roch nach Veilchen) – wenn uns nicht Klaus Mann offenbart hätte, daß er schwach war, gefallsüchtig, daß er falsche Wege einschlug, seinen Freund, seinen Zeugen, seinen geliebten Widersacher umbrachte und von diesem Augenblick an die einzige Entschuldigung für seinen Hochmut verlor.
Endlich sehen wir ihn bestraft für das, was ihn verfälscht, bestraft für seine Heirat mit der Königin der Amazonen, bestraft für seine Raubzüge und den Haß, den er erregt, bestraft für den Aufstand der Pagen, bestraft für diese Hetzjagd ins Leere, wo am Ende abermals seine Liebe in der Gestalt eines staunenerregenden und übernatürlichen Wesens vor ihn hintritt und seinen letzten Seufzer belauert, um ihm besser als die Sphinx und mit einem Lachen über seine Verblüffung das Lösungswort des Menschenrätsels und das Ziel des Lebens zu entdecken; ein Wort, das zu schlicht ist, um vom Ohr eines Herrschers vernommen zu werden, ein Ziel, das zu nahe ist, um seine Hand zu locken.
Sehr gern stelle ich dieses Zeugnis einer Freundschaft – ein Zeugnis, wie bloße Bewunderung es niemals zeitigt – diesem Buch voran. Der es schrieb, ist einer meiner Landsleute, will sagen: ein junger Mann, der auf dieser Erde schlecht behaust ist und der geradeswegs die Sprache des Herzens spricht.