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XI.
Ein Zusammenbruch

Am Schluß des vorletzten Aktes zischte die Claque ganz vergebens. Niemand ließ sich zu Widerspruch hinreißen, man zischte einfach mit. Die Sessel klapperten.

»Dreißigtausend Mark, allein für die Sessel«, knurrte Panier und feixte.

Alles drängte ins Foyer.

»Das dumme Stück«, sagte Frau Blum. » Damit ein Theater zu eröffnen! Man weiß ja nicht, ob man gefrozzelt wird.«

»Ein Reinfall«, erklärte Killich, »von dem werden noch die Alten reden.«

Blum sagte zu Kreuth:

»Ihren Onkel werden sie nicht mehr heilig sprechen.«

»Warum nicht?«

»Weil sie Marehn pleite sprechen werden.«

»Ist es denn so schlimm?«

Von Traxi behauptete:

»Marehn ist ein toter Mann.«

»Ich kauf ihm seinen Leichnam ab«, verhieß Matthacker.

»Ein toter Mann, ein toter Mann?«

»Das wußte man heut schon an der Börse.«

»Der Bau soll drei Millionen kosten! ... Übertrieben, meinen Sie? Ich hab es von dem Ziegellieferanten. Ziegel, das klingt nach nichts. Was denken Sie, hunderttausend Mark.«

Panier machte, auf Bella gestützt, zwei schlürfende Schritte, schwenkte die Hand mit dem Gichtknoten und verlangte Ruhe. Man umdrängte ihn.

» Wir sind doch woll der erste, der Bescheid wissen kann. Unser Mündel is 'n richtiger dummer Junge. Wenn er bei der jetzigen Terrainkrise ohne Geld 'n Theater bauen will, denn soll er es tun, aber 'n bißchen gerissener muß er sein, als wie er is ... Na, gewarnt war er, nu laß ihn bluten. Nöh, das glauben Sie man nicht, daß wir uns deswegen 'n Finger abschneiden. Könnt uns passen. Wir, Panier, haben mit dem Krach gar nichts zu tun, das woll'n wir uns man ausgebeten haben!« rief er erbittert.

»Wieviel schuldet Marehn?« fragte man. Panier schrie:

» Wir schulden keinen Pfennig. Der soll sich man melden, dem wir was schulden!«

»Wer steigert das Theater ein?« hieß es.

»Der Inhaber der zweiten Hypothek«, sagte einer ... »Ehglücksfurtner.«

»Es soll jemand mit ihm zusammenstecken ...«

Panier, unfähig den andern zu folgen, schimpfte auf die Lehne seines Stuhles, woran er sich aufgespießt habe wie an einer Gabel, so modern sei sie. Und dem Claude wolle er überhaupt seine Meinung sagen. Er war violett, Bella, in Besorgnis, tröstete:

»Laß sie reden, dir kann eh nix geschehn.«

»Wir haben uns woll vorgesehn. Der Schafskopf soll gefälligst mit Terrains bezahlen, jetzt, wo sie schlecht stehn und er die Hälfte dran verliert. Bloß nicht Rühran an die, die uns mitgehören. Und die fuffzigtausend, die wir hier auf 'm Baugrund von seinem verrückten Theater zu liegen hatten, die hat er uns vor allem andern auskehren müssen. Nöh, könnt uns passen, 'n Familienvater!«

Bella streichelte ihm den Bart.

»Daß d' dich nur nicht anpumpen laßt vom Claude! Daß d' nix hergibst! ... Die jungen Leute sind so leichtsinnig. Und dann geht das Geld auch nur zu der Ute, weißt.«

Sie seufzte auf, fühlte sich einer Gefahr entronnen. Wenn nun ihr Abenteuer damals mit Claude anders verlaufen wäre! Wenn sie Panier nicht mehr gekriegt hätte, und womöglich Claude! ... Spießl kam mit seiner Frau vorbei und lachte Bella zu:

»Aus is mit 'm Jubeljüngling! Die Hetz!«

Frau von Traxi erhob in der Nähe das Lorgnon.

»Die Entwürfe für die Elektrizitätskörper sollen dreitausend Mark gekostet haben ... Ein junger Verschwender, wirft ohne zu wissen wofür, dreitausend Mark hinaus!«

Man betrachtete die Lüster. Sie breiteten sich zu Gräserbüscheln von Kristall aus; in der Mitte blühte die durchglühte Blume. Mit großen Stengeln und Kelchen waren, silbern und kirschrot, die Wände überzogen. Die Balustraden oben waren Urwälder stilisierter Pflanzen.

Die um die Logen kreisenden Korridore öffneten sich in allen Stockwerken an ihrer andern Seite auf das Foyer. Im ersten und im zweiten Rang lehnten Frauen, bleich schimmernde, farbenprunkende, mit Steinen bestirnte Frauen, fächelnd, ausgestellt bis auf die Füße hinter den durchbrochenen Geländern, und beugten sich lässig, herausfordernd, verachtungsvoll oder ausgelassen über das Gewoge zu ihren Füßen.

»Die Lüster sollen von Ihnen entworfen sein, Herr Ende?« fragte das Fräulein von Boos. Aber der junge Ende verwahrte sich.

»Für so ein schlecht fundiertes Unternehmen, meine Damen, habe ich noch nie gearbeitet ... Und überdies ist dieser moderne Stil eine ganz vorübergehende Erscheinung.«

»Keine flos paludis mehr?« fragte Matthacker.

»Mein Gott, man zeigt, daß man, wenn's drauf ankommt, auch in dem Genre recht Tüchtiges leisten kann.«

»Aber man hütet sich, zu weit mitzulaufen, bis an die Pleite ...«

Theodoras Mann war mitgelaufen. Er wütete:

»Das Panneau da hab ich ihm gemacht! Eine Sache von achtzehnhundert Mark, meine Herren, und der Lump hat mir noch keinen Pfennig gezahlt. Also den wenn ich nicht beim Wickel nehm. So ein Schinder, so ein miserabliger.«

Theodora redete ihm zu.

»Der Marehn weiß doch davon nichts, von so einer Kleinigkeit.«

»Kleinigkeit?«

Er stieß mit seinen breiten Schultern um sich, stachelte die schwarzen Malschüler auf.

»Der kleinste Lieferant bewirkt die Zwangseintragung seiner Forderung. Der Anstreicher kriegt 'ne Hypothek – nur wir Künstler sind dalket genug und lassen uns alles gefallen von die Ausbeuter, die damischen.«

Er überschrie die andern.

»Soll'n wir Künstler uns am End die Haut übern Kopf ziehn lassen von so an Häuserspekulanten ... Aber den verklagt mer! Und wenn er sein Hemd verkaufen muß, ich will nix verliern, ich nicht!«

Die Künstler, grausam gestimmt, hörten nicht auf Theodora, die beschwichtigte. Aber Frau Marehn sagte heimlich zu einem ganz Schwarzen:

»Meinst du, daß ich schon mein Monatsgeld hab? Und es ist der vierte.«

»Gemein«, erwiderte der Malschüler und rollte slawische Augen.

»Ob seine Mutter darbt, das ist ihm gleich.«

Sie hatte Tränen in den Augen. Ehglücksfurtner kam vorbei und pruschte ihr ins Gesicht. Archibald, plötzlich auftauchend, holte ihn ein.

»Süßester Freund!« rief er mit glockenhaftem Tenor, »wissen Sie denn die Kunde, die entsetzliche, die ich nicht fasse, an die ich nicht glauben will. Unser Freund ist ruiniert, er kann das Theater nicht halten. Ich wüßte nichts, was mich erschüttern könnte wie dies! Jetzt liegt das Geld für uns auf der Straße!«

»'s hat scho g'haut«, bestätigte Ehglücksfurtner. Die beiden verschwanden.

Der Unbekannte, der mit dem Geldmann zusammenstak, war also Archibald. Und man wußte, auf welche unerbittliche Art er das Konservatorium für dramatische Kunst an sich gebracht hatte. Damals hatte er den alten Marehn besiegt, jetzt traf es den Sohn.

»Der Marehn is hihn«, wiederholte man.

Köhmbold sagte dumpf und ganz in Falten:

»Mit der Schönheit fällt man immer rein, die ist immer zu teuer ... Kein Geld mehr, keine Schönheit mehr.«

»Kein Geld mehr?« fragte Matthacker und stutzte. »Tatsächlich? Ich dachte, es sei Spaß ... Dann tut's mir leid, daß ich seinen Marasmus aufgehalten habe. Erstens werd ich mein Honorar wohl nicht mehr sehn, zweitens, ohne Geld wär's auch für ihn besser, er hätte ihn schon, den Marasmus.«

»Und so ein dummes Stück zur Eröffnung«, äußerte Frau Blum wieder einmal. »Man möcht meinen, man wird gefrozzelt.«

»Ob man sich auskennt«, sagte Bella.

»Die Schauspieler taugen auch nichts«, hieß es. »Die einzige ist noch die Ende.«

»Wann's a Talent hätt, war's a net bei dem Beisl dabei.«

»Ich bin mit ihr bekannt«, erklärte Bella. »Sehr begabt mag sie ja nicht sein, aber arbeiten tut sie kolossal, das muß ich schon sagen.«

Es klingelte zum drittenmal, und noch war das Foyer gefüllt. Die Erregung des nahen Zusammenbruchs, eines Zusammenbruchs am Abend der Eröffnung, zitterte in den Mengen der Neugierigen, der Erbitterten, der um ihr Geld Besorgten, der Schadenfrohen. Die Damen auf den Galerien, in großer Toilette bis auf die Füße sichtbar, blickten zweifelnd an sich nieder. Sie kamen sich vor wie ausgestellt auf einem Ausverkauf wegen Konkurs.

Sie wandten sich zögernd nochmals um, überschritten den Korridor, drangen türenklappend in die Logen. Wie der Wandelgang leer war, kam Claude eilig vorbei; er hatte mit dem Anführer der Claque gesprochen. Der Aufseher schloß ihm schon die Tür zur Bühne auf. Aber eine knochige Hand legte sich ihm auf die Schulter.

»Ah, Graf Kreuth?«

»Eine dringliche Aufklärung, Marehn. Haben Sie jetzt gar kein Geld mehr?«

»Man hat mich wohl recht hergenommen da draußen? Hören Sie nur nicht drauf, das ist ja Börsenklatsch.«

»Also haben Sie noch was? Leihen Sie mir fünfhundert, aber ich muß sie gleich haben.«

»Tut mir leid, die hab ich nicht.«

»Sehn Sie! ... Nein, weglaufen dürfen Sie mir nicht. Was wird denn jetzt aus meinem Großonkel?«

»Wie kann das ich wissen. Lassen's mich aus.«

»Der Gedanke ist von Ihnen, erinnern Sie sich bitte. Mir lag ja nichts daran, daß der Onkel heilig wird. Aber kommt's jetzt zu nichts, das ist ja dann eine Schande für die Familie. Ein jeder wird fragen: Ja, was ist denn mit denen, daß der Onkel nicht hat heilig werden können. Nein, das gibt's nicht, mein Lieber, da muß ich sehr bitten.«

»So tatkräftig und so redegewandt seh ich Sie zum erstenmal, Graf Kreuth ... Übrigens ist Ihr Onkel auf dem besten Wege. Unser Gesuch ist durch alle Instanzen glücklich bis nach Rom gelangt, das hat zwanzigtausend gekostet. Nun zahl ich halt weiter.«

»Können Sie denn das?«

»Ich werd doch mein einmal eingeleitetes Unternehmen nicht im Stich lassen. Das wär ja hinausgeworfenes Geld, und für meinen Ehrgeiz wär's auch eine Kränkung. Nein, Ihren Onkel kriegen wir heilig, das möcht ich doch sehn. Nun werden sie von Rom aus in den Archiven stöbern lassen, nach Ansprüchen und Titeln, die der Herr auf die Heiligkeit hat. Das wird uns viel kosten. Wir müssen auch trachten, daß in der Gegend von Brixen im Volk Legenden entstehn von Wundern, die Ihr Onkel begangen hat. Das kostet natürlich wieder. Aber heilig, o heilig kriegen wir ihn, das möcht ich doch sehn.«

»Also ich verlaß mich auf Sie«, sagte Kreuth noch. Claude war schon hinter der Tür. Sollte denn das etwa auch ein verfehltes Unternehmen gewesen sein? Das war nicht erlaubt. Mit allen Weibern konnte Claude hereinfallen. Bei allen Grundstücksspekulationen konnte er übervorteilt werden. Die elektrische Setzmaschine konnte eine Art Erpressungsmittel sein, der »Rosenbusch« ein Blatt ohne Abonnenten, die wissenschaftlichen Kolonien von Schlangen, Verbrechern und Frettchen nur ein Witz. Auch mit dem Theater schien es ja schiefzugehn. Aber die Heiligsprechung – o nein. Er würde diesen alten Kreuth heilig bekommen, und dann hatten Claudes Millionen einen Zweck erfüllt, und Claude hatte mit Erfolg gelebt! ... Inzwischen hörte er draußen auf der Bühne Utes Verse erklingen.

Pömmerl hatte den letzten Akt der »Rosaseidenen Höschen« mit sanfter Traurigkeit durchtränkt, aber er bewirkte gleich anfangs, daß Ehglücksfurtner auspruschte. Seine Fröhlichkeit pflanzte sich fort. Jemand pfiff auf einem Schlüssel. Die Schauspieler sahen sich um Entschuldigung bittend nach ihm um. Sie hasteten ihre Rollen herunter, mit ironischen Absichten in Spiel und Stimme. Sie gaben das Stück auf, verleugneten Autor, Direktor, Romantisches Theater, verbrüderten sich sichtlich mit dem unzufriedenen Publikum, baten mit jeder Gebärde, man möge für alles das nicht sie verantwortlich machen.

Ute hatte einen persönlichen Erfolg, wie sie, der Feuersbrunst entronnen, in Trikots über die Bühne lief. Hier ward Ehglücksfurtners Lachen niedergezischt. Darauf ging das Stück, mit Pömmerls ergebungsvoller Heiterkeit, lautlos zu Ende. Die Leute, die den ganzen Abend alles ausgelacht hatten, bekamen auf einmal ganz schlaffe Mienen und wußten nicht mehr, ob sie die Überlegenen waren. Die letzte Szene verschwand in Sesselrücken; nur Utes Bewunderer blieben zurück.

Ute spielte sie mit all ihrem Talent, voll von Lebensgefühl, von Leichtigkeit und Mut. Sie schwebte den ganzen Abend auf einer hohen Welle, der Feindseligkeit des Hauses. Statt der dumpfen Köpfe von Düren und ihres unverstandenen Beifalls hatte sie vor sich den Feind. Das Ungetüm griff sie an; sie durfte kämpfen mit ihm. Ernüchterung, Überdruß, Verachtung waren fort; alle Metalle ihrer Stimme wurden zu Waffen, jedes ihrer Glieder zu einer geharnischten Schönheit. Sie schleuderte im Rausch der Schlacht die Verse von sich wie Geschosse, empfing Zischen und Gelächter als feindliche Salve, genoß das Rauschen des Beifalls, als sie in Trikots stand, wie das Flattern einer weißen Fahne.

Man rief sie zwei, viermal ... nochmals? Ja, da klatschte ein Häuflein. Draußen schimpften nun ein paar Hundert; das war noch mehr wert ... Sie lief aufatmend über die Bühne zurück. Claude, den Kopf voll drohender Zahlen, voll Zischen und empörter Gesichter, legte ihr den Mantel um.

»Damit sind wir fertig, fürcht ich.«

»So? Ich hab nichts gemerkt. Ich hab wieder Mut, ich weiß wieder, ich dring durch, fühl mich wieder entschlossen zu allen Mitteln. Erfolg ist alles; ich hatte das Zischen nötig, um dran erinnert zu werden. Also auf alle Weise zwing ich ihn, hörst du, auf alle Weise!«

Wie ihr Arm, den er berührte, sich gespannt anfühlte! Wie ihre Schritte vom Boden abschnellten! Lachend, über die Schulter weg rief sie:

»Und jetzt heißt's, nach Berlin kommen!«

Claude begriff nicht. ›Sie irrt sich‹, dachte er, ›das ist ein Mißerfolg ... Morgen soll ich den Anstreicher zahlen, dreißigtausend. Womit denn? Die Requisiten kosten gradsoviel ...‹

Er warf einen trostlosen Blick über die Kulissen, versuchte einem der hin und her gehenden Arbeiter eine Weisung zu geben. Es war schon anders angeordnet. Inzwischen näherte ein Trupp abgeschminkter Bühnenmitglieder sich unter Rhabarbergemurr.

»Sie wünschen?« fragte Claude. Der Heldenvater sagte getragen:

»Da man unvorhergesehene Ereignisse nicht wissen kann –«

»Knöpfen Sie die Taschen auf, Direktorchen«, schloß die Naive.

Claude widersetzte sich:

»Was fällt Ihnen ein, heut ist der Vierte.«

»Für Sie ist heut der Letzte.«

»Nur nicht kalte Füße vorschützen.«

»Ja, was glauben Sie denn, wofür halten Sie mich?« fragte Claude.

»Oh, für gar nichts, aber das erste Monat müssen's Gagen zahlen. Ein Theater, wo nur einen Abend spielt, das ist ja noch nicht dagewesen.«

»Sie irren sich, Sie irren sich!«

Aber er ward betäubt mit rollenden R's, umhergeworfenen Armen, schwungvollen Beschwörungen. Der Regisseur bog um die Ecke, im Eilschritt.

»Meine Damen, meine Herren, was ist denn? Ah so. Also Gagen gibt's, wie's in den Kontrakten steht, und keine Stunde früher. Wer anderer Meinung ist, zahlt zehn Mark Konventionalstrafe. Saubande linksum, ab durch die Mitte!«

Wie sie verschwanden, trat er dicht an Claude heran, mit verruchtem Seitenblick, flüsternd hinter vorgehaltener Hand:

»Herr Direktor, ich habe Sie gerettet, aber jetzt zahlen Sie wenigstens mich!«

»Ja, sind Sie denn verrückt?«

Claude zitterte plötzlich vor Wut.

»Glauben Sie im Ernst, daß ich Ihre armseligen dreihundertfünfzig Mark nicht mehr zusammenbring?«

»Um so schlimmer, wenn Sie mich armselig entlohnen, Herr Direktor. Ich bin seit zwanzig Jahren Künstler. Ich ernähre eine Familie von fünf Köpfen ... Sie haben recht, ich hätte mich nicht mit Ihnen einlassen sollen. Jetzt darf ich wieder zusehn, wohin.«

»Wer sagt Ihnen denn, ins Teufels Namen, daß ich das Theater schließe?«

»Daß Sie's nicht halten können, weiß jeder.«

»Ich nicht. Wir spielen einfach weiter. Wer will uns hindern, wer?«

»Sie kennen Ihre Gläubiger besser als ich.«

»Die warten. Bargeld ist doch heutzutage gar nicht nötig. Was verstehen denn Sie von Geschäften.«

Claude stampfte auf.

Jetzt sollte er gar einem alten Mimen über die Einrichtung all dieser Geschäfte Rechenschaft geben, die sein Vater eingeleitet hatte, die ja zur Volkswirtschaft gehörten, Claude zustanden und übrigens nie ganz schiefgehen konnten.

»Sagen Sie mal, halten Sie mich gar für bankerott?«

Der Regisseur schwieg höflich.

»Nein, das ist ...«

Er hob die Arme, ließ sie fallen. Man hielt ihn für pleite! Und so starke Zweifel er immer gehegt hatte an seinem Recht auf Teile der Erdoberfläche, an seinem Recht auf die Arbeit der anderen, auf das Geld, das aus Verträgen, Machenschaften, Fallen und Sinken des allgemeinen Wohlstandes ihm zufloß – auf einmal fühlte er, das alles war doch er. In solcher Eile war's doch nicht von ihm wegzudenken. Ihn für zusammengebrochen zu halten, war eine verbrecherische Lästerung, die Claude alle Fassung nahm, ihn zu blinder Erbitterung reizte.

»Haben Sie schon mal gehört –«

Er hatte sagen wollen: »– daß Grundstücke und Gebäude im Wert von fünfzig Millionen plötzlich in die Luft fliegen?« Aber er zuckte die Achseln.

»Adieu.«

Dann rief er hinterher:

»Die Bude kann mir ja versteigert werden, das gehört zum Spiel, uns ist zum Beispiel das Café Luitpold versteigert. Aber dafür können Sie Ihren Schwarzen in zehn Lokalen trinken, die wir seitdem gebaut haben, und Ihr Herr Enkel mimt vielleicht auf einer Bühne, die ich gemacht hab!«

Und dann schämte er sich. Das war ja Unsinn; er würde kein Theater mehr bauen, an diesem war's schon zuviel. Man nahm es ihm gleich wieder ab, und wer weiß, wie viele andere Grundstücke noch dazu. Ihm ward ganz kalt. Offenbar hielt alle Welt ihn für kaputt; wenn er's nun war? Er übersah sein Unglück nicht ... aber es traf Ute!

Er stürzte von einer Seite der Bühne auf die andere.

›Ich habe Ute an meinen Mißerfolg gefesselt! Ich begreife mich nicht mehr. Habe ich denn ernstlich erwartet, die Sache würde gut gehn? Erfolg – ich?‹

Pömmerl zeigte sich. Mit erneuter Wut trat Claude ihm entgegen.

»Sie haben mir 'ne nette Suppe eingebrockt ... Ach, machen Sie bloß kein dummes Gesicht, Sie wissen ganz gut. Durch Ihre persönliche Anschmiegsamkeit laß ich mich immer wieder verführen und versuch es mit Ihnen. Und dabei ist mit Ihren Sachen ja nichts zu machen. Der ›Rosenbusch‹ hat keine dreihundert Abonnenten, immerfort stopf ich nach, 'ne Villa hab ich Ihnen geschenkt.«

»Wollen Sie sie zurück?« fragte Pömmerl gekränkt.

,,'n anständiges Stück will ich für das Theater. Aber von Ihnen mag ich überhaupt nichts mehr, Sie können nichts. Auf romantische Heitereiteien geht uns keiner ein.«

»Sie haben mir selbst den Plan des Stückes geliefert, unbedeutend genug ist er ja.«

»An der Behandlung liegt es. Warum haben Sie ihn nicht realistisch behandelt?«

»Mit Schuhplatteln«, meinte Pömmerl beißend.

»Für Ihre Witze schenk ich Ihnen keine Zigarre mehr, daß Sie's wissen.«

»Wenn Sie's nicht mehr können, tut's mir leid. Aber mich trifft an dem Mißerfolg keine Schuld. Ich bin Künstler, ich mache, was ich machen muß. Glauben Sie, mit Hilfe meiner Kunst Geld verdienen zu können, und nachher haben Sie sich geirrt, das ist Ihre Sache. Den kommerziellen Wert meiner Erzeugnisse hatten Sie zu beurteilen, nicht ich. Von dem künstlerischen wissen Sie um so weniger.«

Und Pömmerl machte erhobenen Hauptes kehrt. Archibald entstieg unvermutet dem Schatten.

»Aber süßeste Freunde!« sang er. »Die Direktoren liegen sich in den Haaren, dieses innige Paar sollte sich nicht mehr lieben? Das wäre unfaßbar. Oder wäre es wahr, was die Menge raunt, und Sie haben kein Geld? Wie denn? Spanien wäre endgültig zusammengebrochen, die Goldschiffe untergegangen, der bleiche Karl der Zweite in der Gruft seiner Väter hingesunken ... Ach, süßester Freund, ich weiß ja, Sie lieben das nicht. Nur nicht diese feindseligen Blicke, die mich quälen.«

Er nahm Claudes Hand, streckte schmerzlich den Nacken vor.

»Ich will auch nicht daran glauben, Freund, an diesen Zusammenbruch, es würde zu sehr schmerzen. Lassen Sie sich umarmen! Am Eröffnungsabend, wieso denn. Darauf hatte ich wirklich nicht gerechnet, ich schwör's beim Zeus. Soll ich Ihnen den ganzen Salat abnehmen? Ich kauf's, topp.«

»Aber was bilden Sie sich ein, Herr Geheimrat. Es ist zur Zeit eine schlechte wirtschaftliche Lage, niemand kauft Grundstücke, drum ist mir das Geld ausgegangen. In drei Monaten vielleicht –«

»Topp«, wiederholte Archibald sieghaft, »ich kauf's. Atmen Sie auf, Freund, die Schar der Bedränger entweicht, hier steht Ihr Retter. Ich hab Erkundigungen eingezogen über Sie, weiß, was Sie schulden.«

»Ach, wieviel denn«, fragte Claude sehr wißbegierig.

»Außer den zweihundertfünfzigtausend Mark, die die Restforderung eines gewissen Ehglücksfurtner bilden, schulden Sie einer Reihe von Lieferanten noch fünfhunderttausend. Wir machen's gut, wir bringen's ins reine, wir tilgen's, Freund.«

»Das ist eigentlich eine Kleinigkeit«, murmelte Claude enttäuscht. »Eine halbe Million.«

»Man verlangt Bargeld, morgen, heute noch. Haben Sie's? Hier ist Rhodos, hier springe.«

Archibald ging, den Hals eingezogen und dicht darunter die Arme gekreuzt, mit kurzen Schritten umher. Die Stirn, von einer Haarsträhne spitz beleckt, hielt er drohend gesenkt. Sein Mund bebte, halbkreisförmig, mit tief gesenkten Winkeln; seine Blicke funkelten düster unter den vorgeschobenen Balken der Brauen. Er war der schlachtenschwangere Korse.

»Sie haben eine halbe Million Schulden. Unser Freund Ehglücksfurtner ist Ihr Hauptgläubiger. Er wird auch die fremden Forderungen aufkaufen, bald wird er Ihr einziger Gläubiger sein.«

»Mit Ihnen zusammen, wie mir scheint.«

Archibald lehnte ab, als ein Sieger von gutem Geschmack, der sich nicht brüstet.

»Sie schulden ihm – Sie schulden uns – dann eine halbe Million. Mit Veräußerung von Grundstücken werden Sie sich schwer helfen können in diesem Augenblick.«

»Leider.«

»Sie müßten für eine ganze Million Baugrund verschleudern, um knapp eine halbe dafür zu bekommen. Sind Sie sich darüber recht klar? Nun, dann werden Sie lieber einfach uns das Theater abtreten. Bargeld brauchen Sie auf die Weise keines mehr.«

»Aber –«

Claude erschrak.

»Das ist ja halsabschneiderisch. Das Theater samt Baugrund ist an die achthunderttausend wert!«

Archibald hob die Schultern.

»Wer kauft's?«

»Aber meine Terrains können in drei Monaten um ein Viertel im Preise gestiegen sein!«

»Süßester Freund, das wissen Sie nicht. Sie stehen auf unsicheren Füßen, und warten auf Sie, das, Freund, wäre Selbstmord. Wenn Sie uns nicht zahlen, werden wir das Theater einsteigern müssen.«

Claude machte eine Handbewegung: Alles wegwerfen, Ruhe bekommen. Dieser Mensch war so viel stärker als er; er hatte schon seinen Vater hineingelegt, auf eine ganz ähnliche Weise. Es war sinnlos, sich zu versteifen auf eine verlorene Sache. Ute herausziehen, sie losmachen von seinem Mißerfolg! ... Er begann recht zuversichtlich:

»Also, ich stelle meine Bedingungen.«

»Was für Bedingungen?« fragte Archibald befremdet.

»Erstens, daß Sie die ›Rosaseidenen Höschen‹ anstandshalber noch ein paarmal geben.«

Archibald wehrte erschüttert ab.

»Süßester Freund, das kann ich nicht. In dem Stück wird einem Könige übel mitgespielt, auch dauert die Trikotszene viel zu lange. Mein königlicher Herr würde mir das nie verzeihen, und auch Seine Gnaden, mein Erzbischof, würde mir darob grollen.«

»Dann behalten Sie, das ist unerläßlich, die ganze Schauspielgesellschaft so lange, wie die Engagements dauern, Fräulein Ende aber so lange, als sie zu bleiben wünscht, und unter besonders zu bestimmenden Verhältnissen.«

»Das ist's ja, was ich wünschte!« rief Archibald und klopfte die Luft mit dem Handrücken. »Nichts wünschte ich sehnlicher als das. Aber meine verehrte Schülerin weigert sich ja zu bleiben, sie will nach Berlin – ja, sie verlangt es von mir.«

»Von Ihnen? Wann?«

»Soeben ... In ihrer Garderobe«, zischte Archibald.

»Was verlangt sie.«

»Sie will zu Abell ans Reichstheater, statt der durchgegangenen Franchini, die ja bei keiner im Bühnenverein befindlichen Bühne mehr aufgenommen werden kann.«

»Und das verlangt sie von Ihnen? Sie verlangt? Wie kann sie das?«

»Oh, die kann verlangen, die hat Gründe, ihre Wünsche einem Manne einleuchtend zu machen!«

Und Archibald, mit vorgeschobenem Hals, nickte heftig, das Gesicht verzerrt von Kichern.

Claude fröstelte es, er wagte nicht zu denken. Er trat zwischen die Kulissen, drehte sich halb um, wollte noch ein Wort sagen. Die Kehle war ihm geschlossen. Plötzlich lief er davon. Archibald rief erstaunt hinterher:

»Wozu die Eile! Sie können Ihre Freundin noch heute abend nach der Sache fragen. Wir sind ja alle eingeladen.«

Ute kam in Hut und Mantel heraus.

»Archibald soll dich nach Berlin bringen, was hast du ihm dafür versprochen?«

Die Erbitterung schüttelte ihn. Er zitterte in seinem Nacken, vor seinen Augen flimmerte es. Ute sagte hochgemut:

»Was kann man dem versprechen. Du weißt doch, was er schon mal wollte. Andernfalls erklärte er mich für talentlos.«

»Jaja. Damals hast du ihm nicht nachgegeben. Und jetzt? Du hast versprochen?«

Sie lachte.

»Das heißt nicht, daß ich's halte.«

»Kannst du's wissen?«

»Nein. Ist auch nicht nötig. Ich spiel ihm wieder eine Szene vor wie das erstemal. Gelingt's, ist's gut.«

»Und wenn nicht?«

Sie hob die Schultern, sah weg.

»Das ist überhaupt keine Sache, sich so aufzuregen, wie ihr's immer tut.«

Sie sprengte auf hohem Roß über die eigene Angst hinweg.

»Ganz Wurscht ist es!«

»Ute!«

Er ballte die Fäuste.

»Das bist du? Ute, du, deren Verzweiflung ich miterlebt hab bei der Schufterei des Panier! Und jetzt – jetzt – bist du bereit, jetzt – ist dir's gleich? ... Oh, ich verbiete es dir. Das verbiete ich!«

»Woher nimmst du das Recht?« fragte sie von oben.

»Woher ich –? Ah! Du fragst? Du weißt wirklich nicht, was ich gelitten hab um dich, daß es mir hier und da vielleicht ein bissel schlecht ergangen ist um dich? Ach nein, das kannst du nicht wissen, daß ich soeben: eine Million oder nicht viel weniger, daß ich die abgeschoben hab, bloß damit du in keinem verkrachten Theater aufgetreten bist.«

Sie musterte ihn kalt.

»Es tut mir leid, daß ich das Geld nicht zur Hand habe.«

Er schlug die Hände vors Gesicht, nahm sie wieder weg, atmete regellos.

»Himmel, was rede ich, ich versteh nichts mehr. Hab ich von Geld gesprochen? Glaub mir, ich weiß zu gut, es gibt nichts, was dich ersetzt, niemand, der dich verdient. Auch deine Kunst verdient nicht, daß du dich für sie opferst. Das tust du unaufhörlich. Du gibst ihr schon längst alle deine Gedanken, jede Bewegung, deine ganze Seele, die Liebe, die du – die du uns Menschen versagst. Jetzt willst du ihr deinen Körper geben, ihr, der Kunst, diesem Ungeheuer, deinen Körper hinwerfen, deine Weiblichkeit, dein Seltenstes – es aus Ehrgeiz hinwerfen; und für alle meine Anbetung hast du's mir nie geschenkt. Das kann ja nicht geschehn!«

»Schweig! So schweig doch. Es gehn ja da hinten noch Arbeiter vorüber ... Ich hab meinen Mut zurück, ich sagte es dir schon, meinen ganzen, schrankenlosen Willen. Ziele! Lauter Unterworfene!«

»Die erste bist du selbst!«

»Bah. Wie das unbeträchtlich ist. Vom Erfolg trennt mich nichts – nichts mehr als so eine alte Konvention. Ich komme drüber weg, ich bin ja nicht du.«

Er rang die Hände. Sinnlos:

»Ich warne dich, warne dich!«

»Wovor?«

Er wußte es nicht, er erschrak selbst, er blieb stehen, während sie steil, unheimlich, in halber Beleuchtung verschwand. Sie war unmenschlich, er haßte sie!

Er taumelte zurück auf die Bühne. Sie stand leer, nur aus einer Kulisse traf sie noch ein Lichtstreif.

›Mein ganzes Leben‹, schrie es in Claude, ›wirft sie hin mit ihrer Scham. Alles, was ich geliebt, ersehnt habe, alles, was meine Jahre genährt hat, alles Leiden, woran ich hing. Sie schändet noch unsere Kindheit! Den Frühling auch, als wir Bruder und Schwester waren ... Wie viel enttäuschte, immer wieder enttäuschte Zärtlichkeiten ... Das mit Panier. Unser gemeinsames Schluchzen: sie schändet es. Der Sommer, als sie mich fast geheiratet hätte – aus Vernunft; Düren, meine Hingerissenheit durch sie, in den Armen einer andern, nur durch sie; und ihre Eifersucht – aus enttäuschtem Ehrgeiz. Bitternisse, ja, aber jetzt schändet sie sie ... Ihre Entmutigung, die Rivalin, deren Dasein ihr Alp war, und unsere Tränen, vermischt aus der Ferne, in unsern Briefen ... Dann das Theater, für sie, und der Zusammenbruch, durch sie.‹

Er lachte auf, das Echo klang, als ob Balken hinschlügen.

›Man glaubt, ich sei pleite? Natürlich, ich bin's. Da Ute sich hinwirft: das ist der Augenblick, zusammenzubrechen ... Schau's mit an, spiel's durch, auf deiner eigenen Bühne!‹

Er hielt ein Auge an das Loch im Vorhang, fand alles schwarz.

›Sonst sieht keiner zu ... Es lohnt sich auch nicht. Das alles geschieht so einsam – so einsam: Ute weiß auch nichts davon ... Versteh denn ich selbst meinen Monolog? Versteh ich denn mein Leben? Man wird zum schlechten Mimen, spielt die unverstandenen Stücke eines andern ... Da ist eine dunkle Bühne, Ute ist, rosig besonnt, in Trikots daraufgestanden. Ein zackiger Schatten versperrt sie nun schwarz, von der Kulisse. Dahinter ist's bleich. Die Pleite hängt in den Soffitten. Sprechen wir das letzte Wort auf unserm verkrachten Theater und machen wir Schluß.‹

Er lief nach der falschen Seite, kehrte im Dunkeln zurück.

›Schluß? Ja, wie denn?‹

Er hörte einen Schritt, jemand wartete auf den Direktor, gab ihm Paletot und Hut, öffnete ihm die Tür. Claude erwiderte laut das Gute Nacht, machte eine eilige Wendung und zuckte zusammen, als die Bogenlampe, in deren Licht er lief, plötzlich ausging.

›Wie soll ich Schluß machen. Als ob die nicht alle stärker wären.‹

Er beschrieb eine unsichere Geste, senkte die Hände in die Taschen. Er kämpfte sich, den Blick am Boden, gegen den Wind durch leere, neue Straßen bis ans Ende von Schwabing.

›Oh, diese Wut des Schwachen ist verächtlich, ich will nicht mehr! Ich will nicht einsam zusammenbrechen, sie soll's erfahren! ... Sie sollte nicht wissen, wie ich leide? Aber sie hat mir's ja auferlegt, all dies Leid. Sie will's. Es ist nur, damit sie ihre Macht fühlt, ihre Wirkung, ihre kunstreiche Persönlichkeit. Drum darf mir vor Sehnsucht und Genarrtsein die Luft ausgehn ...‹

Er warf keuchend seine verstörten Blicke in die leere Nacht, über das regnerische, sturmbestrichene Feld, auf das er geraten war, fernab von der Straße nach Schleißheim.

›Drum darf ich den Marasmus kriegen, auf der Jagd nach Liebe!‹

Mit einem Ruck kehrte er um.

›Das geht nicht, wie sie denkt. Wir sind an der Grenze, wir zwei. Jetzt kommt's, jetzt kommt's.‹

Er schrie sich das zu, bis er's glaubte. Er erreichte die Landstraße, gelangte zurück in die Vorstadt.

›Ich hab sie gewarnt, ich hab sie gewarnt.‹

Er drohte mit dem Finger in der Dunkelheit.

An der Ecke der Karl-Theodor-Straße lief er mit Spießl zusammen, der herumbog, am Arm seiner Frau.

»O Pardohn«, sagte Spießl. Dann auflachend:

»Das is ja –. Da legst di nieder, das is ja der Jubeljüngling. Prost, Jubeljüngling!«

Er war aufgeräumt.

»Jetzt hat's sich wohl ausgejubelt? Die Millionen haben an Knax kriegt ... Aber was machst denn für ein Gesicht? Ich hab dich nicht beleidigen wollen, bei Gott nicht. Aber über das Geld und die Geschäfte haben wir uns doch immer lustig gemacht, als reine Nihilisten ... Miezerl, geh weiter, da verstehst ja eh nix davohn ... So ein Zusammenbruch ist doch für unsereinen die richtige Komödie.«

Er klopfte Claude auf die Schulter.

»Glückspilz, daß du das mitmachen darfst!«

»Ich pfeif drauf«, sagte Claude, stoßweise und ohne an Spießl dabei zu denken. »Es gibt nur eins, was ich mitmachen will, und das werd ich mitmachen, trotz Nihilismus, verlaß dich drauf. Denn ich hab's in mir. Ich jag schon danach, all die Zeit, nein, in mir jagt es: das wilde Vieh von früher, aus den starken Zeiten, oder was weiß ich, wer da jagt. Aber jagen tut's, nach Liebe!«

Spießl ward böse.

»Hör mal, daß du mir das erzählst, als ob's von dir war, das ist eine Gemeinheit. Ich hab's dir ja selber erklärt, du Rindvieh, hab dich fein analysiert. Du willst doch nicht behaupten, daß du imstande wärst, so was zu finden!«

Claude schüttelte ihn ab, Spießl schwankte.

»Ach was«, und Claude lachte auf – »es finden oder nicht. Es haben, das ist auch was wert. Und zu wissen, daß man ans Ziel gelangt, trotz Zweifel und gebildeten Geschmacks einmal ans Ziel gelangt, auf der Jagd nach Liebe!«

Er stürmte um die Ecke, hielt nochmals an, nahm sich zusammen.

»Woher kommt ihr denn. Wohl gar von der Ute?«

»Ja, und fesch war's. Alle sind so angeregt, durch deinen Krach, weißt. Wenn die Miezerl nicht so viel Schlaf g'habt hätt, war ich noch dort. Jetzt gehn auch die andern heim, was willst überhaupt noch. Geh her, trinken wir bei mir zu Haus noch ein Bier. Ich zahl's dir, du Fretter.«

»Danke, ich hab nur dem Pömmerl ein Wort zu sagen. Der wird ja noch droben sein? ... Servus.«

»Servus!« rief Spießl unermüdlich und wehte mit einem weißen Tuch. Seine Gattin stützte ihn.

Claude ging, zurückgehaltenen Schrittes, die Straße zu Ende, sah Utes Wohnung erleuchtet, fand die Haustür angelehnt. Er versteckte sich unter der Treppe, horchte und stellte dabei seine Ruhe fest, seine Umsicht und Entschlossenheit.

›Sie ist stark, ja, und zu allen Mitteln bereit, die ihr ans Ziel helfen. Aber auch ich bin es, endlich. So hätte sie mich früher kennen sollen! Vieles wäre nicht geschehen.‹

Es dauerte lange. Er irrte sich in Stimmen, die sich verloren, in Schritten, die nicht kamen, schluckte immer wieder die Wut des Schwachen hinunter, die zitternd heraufwollte.

Schließlich öffnete sich die Parterrewohnung, das Mädchen leuchtete den Gästen voran in den Korridor nach dem Haustor. Theodoras Gatte sagte zu Pömmerl:

»Voll Sekt war man ja nun. Aber für meine achtzehnhundert Mark hab ich doch nicht saufen können.«

»Was meinen Sie denn, daß ich bei dem Krach verliere«, erwiderte Pömmerl. »Mein Stück wird ja in die Pleite mit hineingezogen.«

Der Maler ward wild.

»Diese Geldmenschen! Kunsthändler, Unternehmer – wenn ich die mal unter den Fäusten hätte!«

»Man muß gerecht sein«, erklärte Pömmerl. »Der Marehn hat sich selbst mit hineingeritten. Mehr Unfähigkeit als böser Wille.«

Als Theodora, der junge Ende und Bella vorüber waren, kamen noch Archibald und Panier.

»Mein lieber Herr Panier«, sang Archibald in dem hallenden Flur, wo nur noch sie beide sich aufhielten, »dieses Weib ist für Ihr gutes Düren verloren. Ich bringe sie nach Berlin.«

»Nach Berlin? Na, Herr Geheimrat, denn dürfen wir woll fragen, was haben Sie da für Gründe für?«

»Gründe? Dieses Weib, mein lieber Herr Panier, besitzt Gründe genug, unsereinem das, was sie wünscht, einleuchtend zu machen.«

»Soso«, machte Panier, und dann, bedeutsam:

»Tja, mein bester geheimer Professor, das können wir woll am besten wissen, wir haben ihr ja selbst mal 'ne Stelle verschaffen müssen.«

»Soso«, machte darauf Archibald. Die beiden Alten räusperten sich, hatten sich nichts mehr zu sagen und klapperten mit den Trinkgeldern, sehr unzufrieden miteinander.

Bevor das Mädchen zurückkehrte, stahl Claude sich in die offene Wohnung, schlich über den Korridor, stürzte in Utes dunkles Schlafzimmer. Dahinter, im Bad, drückte er sich gegen den Ofen. Er hatte seine Wut freigelassen, sie tobte, noch bevor er selbst sich rührte, durch dies heimliche Zimmer. Eine weiche, aufpeitschende Luft floß ihm daraus zu. Denn es war gewohnt, Ute nackt zu sehen. Sein gieriger Haß rächte sich im voraus an den Reizen, die sie so lange für sich behalten, um die sie seine Anbetung betrogen hatte, und mit denen hier – hier jedes Möbel, jeder Fleck am Boden, jeder Spiegel vertraut war. Wie? Es gab einen Raum, einen einzigen, der strotzte von ihren Schönheiten, von allen Gnaden ihres Leibes – und er, Claude, siechte überall in der Welt dahin, und diese Tür, hinter der das Heil war, blieb geschlossen? Warum hatte er sie nicht längst erbrochen? ... Er begriff es nicht mehr. Seine gewaltsamen Hände bebten, er packte sich selbst bei der Brust. Er hielt seine Lippe, die auf und nieder flog, mit den Zähnen fest, und er fühlte im Dunkeln, wie er weiß ward.

Sie gab draußen einen Befehl, auf dem Korridor ging das Licht aus, sie betrat das Schlafzimmer, mit einem Gassenhauer auf den gespitzten Lippen, drehte das Licht auf, schob den Riegel vor. Sie entkleidete sich sofort, das Fenster blieb offen. Das Korsett flog in eine Ecke, die Röcke lagen schon als Reif am Boden. Der Gassenhauer brach ab, Ute stampfte auf, legte sich in den Hüften zurück, starrte, den Kopf im Nacken, auf die Glühlampe und vergaß, die Hand, die nach Nadeln gesucht hatte, aus dem Haar zu nehmen.

Er fand sie noch größer in Hemd, Hose, Strümpfen, noch spannkräftiger; noch reicher mit der starken Schlange des halbgelösten Haarknotens im Nacken. Er hatte sie zwei oder drei Stunden früher auf einer Bühne ausgestellt gesehn, allen gehörig, nur ihm nicht; in Trikots, fast nackt, in der Künstelei ihres bemalten Gesichts, mit den geübten Wildheiten und der sieghaften Ruhe ihrer bronzen und seiden gewölbten Glieder. Er erinnerte sich; in der Pause war Lenbach auf die Bühne gekommen und hatte erklärt, Ute malen zu wollen. Heute abend hatte er sie entdeckt, eine seiner Rothaarigen voll trügerischer Verderbnis. Er würde ihre Züge berühmt machen, ganz Europa würde sich an dem fragwürdigen Lächeln erregen, zu dem der große Maler ihren langen schmalen Mund krümmen würde ... Claude schüttelte langsam den Kopf, machte zwei Schritte wie im Traum, halb bewußtlos vor Sucht, sie an sich zu reißen, ein Ende zu machen, bevor die Legionen gieriger Augen auf ihrer Berühmtheit umhertasteten. Er wagte es! Der Trug zergehender Spitzen, von dem jetzt ihr heimlicher Körper umraschelt war, der war stärker als Eisen. Niemand riß ihn herunter, nur Claude!

»Ute!«

Sie fuhr herum. Nach vorn geworfen, fassungslos:

»Was – was wollen Sie!«

Er kam herein, auflachend. Ach ja, sie hatte einem das Recht gegeben, ihren Panzer zu lösen.

»Du glaubtest, er sei schon da? Das bin nur ich.«

Sie faßte sich. Verachtungsvoll und noch zitternd:

»Was machst du da?«

»Ich will dich fragen, wie's steht mit der Sache. Bist du einig mit ihm?«

»Das geht dich nichts an.«

»Du weißt, ich hab dich gewarnt.«

Sie betrachtete ihn zweifelnd, und wie er entstellt war, mit geballten Fäusten, die Lippen krampfig von den Zähnen zurückgezogen, die Augen im Innern rot. Sie warf einen Blick über ihre Hosen, ihre, schwarzen Seidenstrümpfe, tat einen Griff hinter sich, nach dem Kleid überm Stuhl oder nach der Tür: er wußte nicht. Er sprang davor.

»Oh! Das ist zu spät. Jetzt ist alles zu spät, daß du's weißt. Ich halt's nicht länger aus. Ich hab zuviel gelitten. Du spielst zu ruchlos mit mir. Was haben wir alles durchgemacht! Alles, was sich mit einer Frau schlimm erleben läßt, das hab ich gehabt von dir! Verschmäht, dann verraten, immer geringgeschätzt, einmal aus kalter Berechnung beinahe geheiratet, und einmal fast zum Geliebten gemacht. Ja, denkst du noch an die Komödie? Das war die schmerzhafteste! Du botest dich mir an; ich brach zusammen. Du – dich mir anbieten. Du wußtest, das Wunder überstieg meine Kräfte ... Jetzt bin ich stark. Du meinst, du kannst von vorn anfangen, dich einem zweiten Alten hingeben? Aber siehst du denn nicht, wer ich bin?«

»Du bist von Sinnen. Da ist das Fenster, mach, daß du hinauskommst.«

Aber sie stammelte. Sie sah ihn immerfort vornübergebeugt, die Arme eingelegt wie zum Sturmlauf, und mit den verwilderten Blicken festgehakt in ihre.

»Ich hab gewußt, daß du da warst. Ich hab einfach das Fenster offengelassen.«

»Hier wird nicht mehr Komödie gespielt. Du hast deine Macht über mich mißbraucht, mich ausgenutzt zu Gefühlen, die dir schmeichelten, deiner Mimen-Gefallsucht dienten; und meiner Qualen hast du nicht geachtet. Jetzt mißbrauche ich meine Macht. Weil ich Fäuste hab und das Zimmer abgeschlossen ist. Möchte wissen, was du machen willst. Nein, schämen tu ich mich gar nicht. Glaube nur nicht, ich habe für diese Szene zuviel Zartgefühl. Das verdienst du nicht. Eine, die sich den Greisen hinwirft, damit sie ihr auf eine Bühne helfen. Oh, oh, ich will dich, weiter weiß ich gar nichts, ich will dich!«

Er prallte gegen sie, sie fielen zusammen um, rangen am Boden. Ute flüsterte unter Keuchen, und ihr Flüstern flog vor Angst:

»Laß mich! Ich rufe!«

Sie mochte rufen! Er kämpfte stumm, atemlos. Ihr Haar hinderte seine Bewegungen. Es hatte sich vollends gelöst, er lag darauf, und es spannte sich dicht, metallisch um sie her, schloß sie ab gegen ihn und seine Küsse. Er riß es fort, vergewaltigte, noch ehe er ihren Körper bezwang, ihre Seele, die mit violetten Lichtern in ihrem Haar blitzte, die er so oft mit Angst und Drang, mit Andacht und Unterworfenheit darin hatte blitzen sehn. Er wütete als Empörter ... Ute lag auf der Seite, ganz zusammengekrümmt. Plötzlich warf sie sich auf den Rücken, streckte die Glieder aus. Er erschrak, verlor auf einen Augenblick den Gedanken an seine zu stillende Gier, beugte sich über ihr Gesicht. Ihre Wimpern fielen tief herab. Unversehens erhob sie ein wenig den Kopf und legte auf seine Wange einen leisen Kuß. Darauf öffnete sie die Augen, und sie sahen einander an, aus der Nähe von Geliebten. Ute sagte sanft:

»Da liegen wir nun. Weißt du noch, wenn du im Salon deiner Mutter mir gegenüber saßest – die allererste Zeit! Ich hab dich geliebt, weil du zärtlich und voll Verehrung warst.«

»Du hast mich geliebt?«

Er fuhr zusammen, von Entsetzen getroffen. Sie war das kleine Mädchen, dem er, aus der Einsamkeit seines Knabenlebens heraus, seine ersten Zärtlichkeiten gebracht hatte, das sie mit einem Prinzessinnenlächeln angenommen hatte ... Er betrachtete ihr verwüstetes Haar, er stand auf. Ute sprang sofort vom Boden, raffte ihr Haar empor, griff nach einer Matinee.

»Du hast mich geliebt?« wiederholte Claude.

»Auf meine Weise. Du mußt dich beruhigen.«

»Ach darum.«

Der Zorn hob ihn wieder empor.

»Ich sollte dich loslassen, drum wirst du plötzlich sentimental.«

Er feixte.

»Da, hilf mir da hinein«, befahl sie und reichte ihm das Kleid.

Er zog sich zurück, kam näher, sah weg, streckte die Hände aus. Er half ihr.

»Eine, die nicht lieben kann«, murmelte er dabei, mit Ekel.

»Was willst du mir daraus für einen Vorwurf machen. Ich bin Künstlerin, nichts weiter.«

»Das ist die Schande.«

»Schande? Ich liebe – auch ich; aber in Kunstwerken, selber ein Kunstwerk. Was weißt du davon. Du bist nie mit mir in der höher gefärbten, stärkeren Welt gewesen, die das Kunstwerk ist. Du kennst mich nur hier draußen, wo ich eine tote Figur bin. Kann ich dafür? Ich, die ich an jene durch Kunst mächtig und edel gemachten Erregungen gewöhnt bin, die ich immer im Feuer ganzer, dramatischer Charaktere stehe, wie soll ich mich in einen gewöhnlichen, halben, unzulänglichen Mann verlieben ... Nun?«

Claude schwieg, zuckte heftig die Achseln, wollte nichts einsehen.

»Eine Künstlerin, die sich verliebt, wirklich und ganz verliebt – das war nie eine«, behauptete Ute, hoch und stolz.

»Wofür hältst du mich denn? Ich bin ja verwöhnt durch die Kunst. Das Studium der Leidenschaften für die Bühne hat mich klarsichtig gemacht, ich weiß ja, was jeder bieten könnte. Hast du dir das nie gesagt? Stell dir vor, ich sollte einen von diesen Leuten lieben, einen dieser halben Männer, mit ihren Lächerlichkeiten, Schwächen, Unredlichkeiten, einen Pömmerl, Killich –. Nun, und dich?« fragte sie langsam mit mitleidiger Grausamkeit.

Er senkte den Kopf. Aber dann brach es heraus, wund, überreizt, mit elend hinausgereckten Armen, ein Notschrei.

»Du irrst dich. Ich könnte lieben!«

Ute zuckte die Achseln.

»Aber ich nicht. Ich sehe manchmal mit Staunen den andern Frauen zu. Sie lieben, weil sie den Mann nicht kennen – aus Dummheit. Ich hab mich schon gefragt, ob ich sie beneide, ob ich auch so weit herunterkommen möchte. Nein, nein. Das ist ja ein Wahnsinnskeim, den eine in sich trägt. Bei Gelegenheit irgendeines unwichtigen Mannes geht er auf. Ich hab ihn nicht in mir, was willst du. Ich bin vielleicht ein Monstrum?«

»Ja«, sagte Claude hart.

»Bin ich's? Dann ist auch mein Körper eines. Was er für Angst, für Empörung leidet bei der Annäherung des Mannes – oh, das wirst du nie erfahren. Und was ich meinem Ehrgeiz, meiner Kunst für ein Opfer bringe ... Aber ich tu's, ich bin stark.«

Da erblickte er das Elend ihrer Stärke. Es weinte ihm auf die Hände. Er stammelte, bebend von Mitleid, mit ihr, mit sich.

»Aber mich – warum nicht wenigstens mich lieben, der ich um dich weiß. Bin ich zu schlecht, wie die andern?«

»Du bist mir am nächsten, du bist mein Bruder. Da, gib mir die Hand.«

Er wich zurück, gequält.

»Ich will nicht mehr.«

»Ich liebe dich, wie ich kann. Ich brauche dich, fühle mich wohl in deiner Anbetung und komme in kalte Wut, wie in Düren, wenn du mich verrätst. Das genügt dir nicht? Gib mir deine Hand.«

»Ich will nicht mehr.«

Er besann sich. Drohend:

»Du weißt, was ich will. Ich geh nicht weg, ohne dich gehabt zu haben.«

Sie rückte den Kopf, ganz rasch:

»Du machst mich bös.«

»Das ist mir ganz einerlei, darüber sind wir zwei hinaus ...«

Er feuerte sich an, sträubte sich dagegen, die Tat versäumt zu haben.

»Ich hab die Macht!«

»Hör doch auf mit deiner Macht!«

Sie geriet in Wut.

»Weil du ein Mann bist? Ich bin keinem unterworfen, weißt du, dir am wenigsten. Weshalb duld ich dich? Weil du keine breiten Schultern hast und mich nicht durch eine Übermacht von Männlichkeit bedrohst. Was kannst du denn?«

»Ich werde dich umstoßen – wie vorhin.«

Er warf sich wieder zum Sturm vor. Sie floh bis vor das Badekabinett. Auf der Schwelle wendete sie sich ihm zu; die Arme gekreuzt, erwartete sie ihn. Sie rief:

»Und nachher? Denkst du an das Nachher? Wenn du dann schlaff bist, du Elender, und die tödliche Beleidigung liegt zwischen uns – ahnst du die ganze Verachtung des Fußtritts, womit ich dich von mir schieben werde, hinunter vom Bett! Dann sind wir fertig ... Wir sind überhaupt fertig!«

»Ja. Fertig sind wir, so oder so. Also –«

Aber sie umfaßte hart sein Handgelenk.

»Nein! Geh!«

Und in ihren Augen der kalte Wille zwang auf einmal all seine erkünstelte Kraft zum Hinknien. Sie fühlte sein Handgelenk mürbe werden und ließ es los. Sie wies, über ihr Bett hinweg, auf das Fenster:

»Geh!«

Er tappte rückwärts hin, lehnte sich an das Fensterbrett. Er warf einen verzweifelnden Blick hinaus auf den leeren, nur von Nacht begrenzten Platz aus Wiese und Lehm. Dieser unbebaute, zertretene Vorstadtboden bedeutete das verwahrlosende Leben des Ungeliebten, in das sie ihn verwies. Wie sie schön war. Er machte einen Schritt, die Hände bittend erhoben. Die Flamme in ihren Augen drohte kälter, ihr Finger befahl. Claude zuckte die Achseln; er ließ sich aus dem Fenster gleiten, besiegt, trostlos.

Er trollte sich, gesenkten Kopfes, bis ans andere Ende des Platzes. Dort blickte er um, fand ihr Fenster noch immer erleuchtet und offen.

›Ich kann ja umkehren? ...‹

Aber er legte beide Hände übereinander vor die Stirn ... In den vergangenen Minuten war ihr Fenster – hatte er ihr Zimmer einst erstürmt und erbrochen, er? – unzugänglich geworden, als läge es im fünften Stock.


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