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V.
Der Bruder

Claude nahm eine möblierte Wohnung, ein gleichgültiges Nachtquartier. Seine Tage verbrachte er mit Ute in dem Stockwerk, das er ihr ausstattete, oder bei den Lieferanten. Sie interessierte sich wenig für ihre Möbel; sie mußten einfach schick sein. Übrigens wurden sie nicht abgestaubt: das englische Mahagoni-Empire des Salons war immer bestreut mit Kämmen und Reclams Theaterbüchern. Es war also, wie Ute feststellte, schon alles eins.

Ihr Ehrgeiz erwachte erst, wenn es an die Stilisierung der eigenen Person ging. Sie stand im Anprobekabinett des Modehändlers. Ihr Rock lag um ihre Füße her eine Handbreit am Boden. Hinauf bis zu den Knien wölbte er sich weit, schwer bestickt, eine Kuppel von gehäuften Blättern, Ranken, Pflanzen. Und ihr entstieg triumphierend die schwarze, steile Linie aus Schenkeln, Hüften, Brust und Schultern. Die Arme hingen daneben, tragisch steif. Das Haar prunkte mit dunkler und heftiger Glut über diesem bleichen Kopf, diesem rückwärts gelehnten, auf dem Rande des hohen Kragens weiß aufgeblühten. Claude bemerkte andächtig, dies sei eine reicher lohnende Kostbarkeit, als stellte man sich auf den Schreibtisch eine Figur namens »Medusa« oder »Diseuse«.

Der Chef wollte ihnen wohl. Er sagte zu Ute:

»Dieser Rock, gnädige Frau, kostet mich 700 Franken. Dem Brodeur habe ich 300 Franken geben müssen. Ich zeige ihn den meisten Damen gar nicht, ich befehle den Mädchen, ihn nicht zu zeigen. Ihnen, gnädige Frau, zeige ich ihn.«

Er rechnete nur nach Franken, trug einen weißen Ziegenbart und versuchte, französischen Akzent zu sprechen.

»Wird die Futterseide nicht reißen?« fragte Ute.

»Gnädige Frau, kränken Sie mich nicht, bei mir reißt nie etwas. Mir kann etwas Menschliches passieren, aber es ist selten. Es ist meine Natur, den Damen stets nur das Beste zu kaufen und anzubieten, und gegen meine Natur kämpfe ich nicht an.«

Ute fand die Anschaffung im Grunde überflüssig für das Theater. Es käme darauf an, möglichst viel zu haben fürs Geld, also schick und unsolid.

»Bei den kleinen Theatern muß man alles spielen, aber alles. Man braucht mehr Kostüme als auf ersten Bühnen.«

»Deinem Direktor zu imponieren«, sagte Claude, »kann nie schaden.«

Ute gab das zu, und das Kleid wurde gekauft. Der Chef gab ihnen auf den Weg:

»Ich verführe Sie noch zu vielem, gnädige Frau. Ich werde Sie so bedienen, daß es Ihnen und mir zur Freude gereicht.«

Aber der freudigste war Claude.

Er hatte in dieser Zeit nur einen Kummer; den verursachte ihm Utes Freundin Bella, wenn sie mitging. Denn erstens verminderte sie dadurch seine eigene Wichtigkeit. Und dann riet sie zu Sachen im Kokottengeschmack.

»Mein Gott, Fräulein Bella, warum müssen es denn auf der Straße immer Hängekleider sein?«

»Mein Papa hat sie gern«, erklärte Bella. Ute sagte:

»Sie haben Zukunft.«

»Dann müssen sie erst was anderes werden als aufgeputzte Schlafröcke«, meinte Claude, gut bürgerlich. »Und zu diesem Hut werden Sie Ute nicht bewegen. Ich habe ihn, außer bei Ihnen, erst bei einer Dame gesehen, und das war keine.«

»Aber Papa findet ihn fesch.«

»Ihr Papa sieht gern Kokotten. Darum müssen Sie sich so anziehen, damit er die Illusion hat.«

»Die Kokotten«, sagte Bella sanft, »gefallen doch nicht meinem Papa allein, sondern allen Herren. Warum sollen wir das nicht auch dürfen. Die Kleider, die heute noch zu schick für uns sind, nächstes Jahr, wenn die Kokotten sie abgelegt haben, kriegen wir sie ja doch.«

Ute behauptete, auf der Bühne müsse man ohnehin immer aussehen wie eine Kokotte. Das verlange die Wirkung auf viele. Die anständige Frau wirke zu intim.

Claude mußte das einsehen, aber Bellas entledigte er sich darum doch vermittels vieler Listen, indem er ihr falsche Rendezvous gab, sie in Konditoreien lockte, wo sie stundenlang bei Schlagsahne saß, bis Claude sie erlöste, alles bezahlte und Bella nach Hause schickte: Ute habe ein ganz dringendes Billett vom Schneider bekommen.

Und er kehrte zurück zu ihr mit irgendeiner guten Nachricht – die gemalten Monogramme auf ihren Handschuhen würden reizend – und die Arme voll Blumen. Ute war hinter der angelehnten Tür ihres Schlafzimmers, im seidenen Unterrock, der knisterte, und im Mieder, das krachte. Sie trug kein Korsett. Sie streckte ihm durch den Spalt ihren vollen, elastischen Arm entgegen. Er drückte die Hand; dann hörte er artig ihren Bewegungen zu, die er nicht sah, empfing Mitteilungen über eine Rolle und ein Kleid. Endlich kam sie, und sie fuhren ins Theater.

Sie aßen zusammen; da Ute die eigene Wirtschaft langweilte, meistens im Restaurant. Claude zog sich dafür an, Ute war in Soirée-Blusen, in »Fedoras« und »Magdas« Hüten, in Boutons und Veilchen. Die Veilchen unterm schwarzen Hutrand, auf ihrem roten Haar! Sie plauderten angeregt miteinander, sahen niemand an, genossen es, sich schick zu fühlen.

Manchmal blieben sie abends zu Hause und rauchten Zigaretten unter einem mächtigen gelben Lampenschirm. Claude hielt darauf, daß der Hintergrund für Utes Haar orangefarben sei. Sie sagten sich ihre Eindrücke und ihre Wünsche; aber Utes waren zahlreicher. Claude kannte sie alle. Er wußte, in welchen Stücken sie zu glänzen gedachte, welches Stadt- und welches Hoftheater sie zuerst erobern würde, welchen Weg sie auf ihrer ersten Gastspielreise nehmen wollte, wie reich und wie berühmt sie sein müsse, bevor sie, ganz unerwartet, sich in eine Villa zurückziehe, irgendwo an einem distinguierten Ort.

Er wußte ihre Schuh- und ihre Handschuhnummer. Und da sie ihn unbedenklich auch zu geheimeren Besorgungen verwendete, lernte er die Länge ihres Schenkels berechnen, den Umfang ihrer Büste und ihrer Wade. Er beherrschte alle Maße ihres Körpers, war eingeweiht in seine oft geübten Gesten und vertraut mit den Stoffen, die ihn einhüllten bis auf die Haut hinab, deren Schönheitsmittel ihm geläufig waren. Er kannte seine Freundin ganz. Ihre Seele, kühl und ganz aus Willen, sah ihn aus der Tiefe ihrer weiten grauen Augen frei an. Er fühlte sich selber frei, ohne Schwüle, ruhig auf sich selbst gestellt, auf sich und sie. Denn sie waren ineinander hinübergewachsen, enger, als wenn sie ein Verhältnis gehabt hätten. Ute sprach vom Sommer, als würden sie sich gar nicht trennen. Vielleicht wäre ihr dies jetzt gezwungen vorgekommen, und sie fand es natürlich, wenn er mitkam? Aber alles, was sie wollte! Als Souffleur, als Lampenputzer! Doch aus einem Rest Vorsicht fragte er lieber nicht. Um elf Uhr schüttelte er ihr die Hand und ging fort.

Er stand früh auf, machte Spaziergänge durch den Englischen Garten und durch den Frühling. Er sah zum erstenmal Sonnenaufgänge. Er schloß genaue Bekanntschaft mit drei, vier Baumgruppen. Dort, um jenen Ast hatten gestern lauter purpurne Ringe gelegen, leuchtend grün durchsprenkelt. Unter diesem Busch hatte Claude im Grase ein goldenes Armband gefunden; und es war die Sonne. Er merkte sich's. Er sammelte Seligkeiten, speicherte in seinem Gedächtnis alles Glück auf, verschwenderische Gewinste, die es für ärmere Zeiten zu sparen galt. Manchmal stand er still und sagte erstaunt:

»Ich fange an zu leben.«

Er dachte zurück.

Mit fünfzehn hatte er, ein schwächlicher, verträumter Junge, auf Sofas gelegen und weinend das Schicksal befragt, ob er je die Glieder einer Frau um seine fühlen werde. Plötzlich hatte er sich entschlossen und gleich eine ganze Menge Glieder zu fühlen bekommen, gegen bar. Mit sechzehn hatte er Ute begehrt, nur sie, mit einer Angst und in einem Geheimnis, die ihn bleich machten und ihm eine Levikokur eintrugen. Mit siebzehn hatte er sich die erste Modistin angeschafft. Mit neunzehn hatte er die Frau Kahn gehabt, eine Amerikanerin, die bei seiner Mutter verkehrte; oder vielmehr sie ihn. Nun war er zwanzig, und nun lebte er mit Ute. Jeder Schritt, den er machte, jeder Gedanke, in den er einlenkte, führte zu ihr. In ihrem Kopfe konnte kein Bild entstehen, in das nicht seine, Claudes Gestalt, getreten wäre. Mit fünfzehn, als er zweimal wöchentlich eine andere Kokotte probierte, schwamm es im Horizont immer von Brüsten und Beinen. Es war die kurze Zeit, als jedes neue Weib für Claude ein Paradies gewesen war. Für den Herrn Panier war es das noch mit vierundsechzig. Aber woher strömte der märchenhafte Frühling, in den gebadet nun Claude umherging? Aus einer, nur aus der einen. Zum erstenmal im Leben fühlte er sich fast gesund. Er sah sich an jedem Morgen im sicheren Besitz des ganzen Tages, der voll zum Zerspringen war von ihren Worten, ihrem überlegenen Lachen, ihrem gerollten R, ihren an das Haar erhobenen Händen, ihrem Schritt – voll von ihr!

Eine alte Blumenverkäuferin beim Kontrolor in Nymphenburg, die den jungen Mann seiner Begleiterin nicht gewachsen fand, sagte einmal:

»'s tut halt nix 'm Menschen so gut wie 's Mailüfterl.«

Und Claude griff sich an die Schläfen, so überwältigt war er von dieser einfachen Wahrheit.

Es träumte ihm in mehreren Nächten, sein Vater sei wieder am Leben. Er erschrak, und er erwachte unter Tränen der Wut. Nachher zuckte er die Achseln über die Grausamkeiten, die jedes große Glück verlangte. Der arme Mann mußte tot sein, damit Claude frei sein und für Ute sorgen konnte.

Sie fuhren häufig nach Nymphenburg. Am siebenten Juni war es zum erstenmal ganz heiß. Sie wanderten um fünf Uhr den schattigen Kanal entlang. Dann schöpften sie Atem, bevor sie in den ungeheuren Kreis weißer Gebäude traten, den die Sonne anfüllte. Kein menschlicher Schatten bewegte sich darin; die bäuerischen Farben der Blumenbeete schwatzten fröhlich im Licht, das Lila der Fliederbüsche flüsterte nur. An den langen hellen Wasserbecken hielten Putten aus lauter steinernen Fettklößen dicke Königskronen empor; und in den Bassins wurden die blauen und weißen Himmelsmassen blasser und die Treppen und Schnörkel des Schlosses fast sehnsüchtig.

Diese Welt von ehemals war gegen alles Fremde verwahrt. Die gekalkten, mit Schindeln bedachten Häuschen schlossen sich kahl, demütig und heiter in einem Riesenrondell aneinander, bis vor die Füße der herrschaftlichen Pavillons; und in ihrer Mitte, ganz hinten, blähte sich der zopfig aufgedonnerte Haupttrakt. Man meinte einen rotbäckigen Rokokoherrn, gesund und geziert, sich spreizen zu sehen zwischen netten Pächterstöchtern.

Ute und Claude betraten jenseits des Palastes den Garten. Er war geschnitten, geordnet, mit Bildern bevölkert, durch Wasserläufe belebt. Er begrüßte sie wie ein gravitätisch lächelndes Gesicht. Die weißen Götter, sorgfältig gereiht, tanzten auf ihren Sockeln ein behutsames Menuett in die bleichgrünen und mattblauen Pastellfarben der Ferne hinein. Die Wasser empfingen freundlich jeden Reflex wie ein Kompliment. Es war unmöglich, einen der eigenen Pulsschläge zu spüren ohne Genugtuung und Güte. Claude und Ute faßten sich an den Händen.

Auf den Bänken saßen je zwei, die sich langsam auseinanderlösten, sooft jemand vorbeiging. Aber wenn Ute und Claude daherkamen, blieben sie zusammen. Claude bemerkte:

»Natürlich halten sie auch uns für ein Liebespaar.«

»Ach was«, sagte Ute, und dachte an etwas anderes.

»Glaubst du's nicht?« fragte er dringend. Es lag ihm auf einmal alles daran, daß man ihn für Utes Geliebten halte. Es mußte doch möglich sein, ihn wenigstens dafür zu halten!

»Nein?«

»Wer denkt daran«, meinte sie gleichgültig. »Das Volk, die Durchschnittsmenschen, kann sein. Wir, wir leben doch ganz woanders.«

»Menschen sind wir auch«, sagte er lächelnd. Sie stutzte.

»Das ist eigentlich wahr«, äußerte sie. »Du benimmst dich eigentlich sehr fein. Wenn ich denke –«

Sie sah ihn von der Seite an und schwieg. In einem weichen Lufthauch, der ihr Gesicht traf, unter dem Drängen eines liebeschweren Frühlings empfand sie einen Augenblick mit Erstaunen, wer da neben ihr ging. Ein Mensch, der sie liebte. Einer, der Minute für Minute sein Leben mit ihr überlud, mit Gedanken an sie, Sorgen und Opfern für sie. Es blieb ihr unbegreiflich. Sie hatten sich als halbe Kinder kennengelernt, gewiß, und sie war an ihn gewöhnt. Aber Gewohnheiten verlor man, und jeder hatte schließlich nur sich selbst. Was war Claude ihr, die in die Welt hinausfuhr und Kunst und Macht erarbeitete? Sie antwortete sich streng vernünftig: ein Fremder, nichts als ein angenehmer Fremder.

Claude, ihren prüfenden Blick auf seinem Gesicht, fühlte sich gequält, schon wieder gequält und im Blute entzündet von Sehnsucht. Nein, das Glück der vorigen Wochen war nichts gewesen als der kurze Stillstand eines langen Leidens, eines unerbittlichen, das zu etwas Schlimmem führte. Er begehrte Ute, er würde sein Leben lang nichts begehren als sie; und er hatte Angst davor.

»Nun?« fragte er mühsam. »Was sagtest du?«

»Daß du dich sehr fein benimmst«, wiederholte sie, herzlich betont. »Und daß ich dir danke.«

Sie drückte seine Hand. Aber er zog sie aus ihrer.

Sie hatten einen Seitenpfad eingeschlagen; der geregelte, vermenschlichte Garten ward ganz plötzlich zum Walde. Sie traten auf Moos, streiften an hängende Zweige, atmeten feuchten Schatten.

»Du bist wirklich ein Bruder«, sagte Ute noch, da Claude schwieg. Er antwortete, ohne zu überlegen, durch die geschlossenen Zähne hindurch:

»Aber einem Bruder, dem kann's auch einmal zuviel werden.«

»Was?«

Er wußte es selbst kaum.

»Ich denke nur an meinen Freund Gebauer, der sich erschossen hat.«

»Ach was, der war verrückt.«

»Das sagt man immer. Stell dir seine Lage vor. Als er siebzehn war, starb der Vater ohne Hinterlassenschaft. Gebauer ging von der Schule ab, er hatte die Schwester zu unterhalten, die war ein Jahr jünger; und dann war noch der Kleine da. Weil der Mangolf sein Onkel war, kam er in die Presse. Er war ja riesig geschickt, ohne irgendwas gelernt zu haben. Die auswärtigen Blätter hatten keine Ahnung, daß ihr pikantester Korrespondent achtzehn Jahre alt war. Er hat gearbeitet wie ein Besessener. Die Nerven natürlich kaputt, aber schließlich verdiente er zehntausend Mark. Er hatte mit Bruder und Schwester zusammen ein komfortables Heim. Die Schwester war eine Dame, ihr fehlte nichts. Du hast sie ja gekannt.«

»Flüchtig.«

»Sie sagte, sie müsse ihre Zukunft sichern, und ging nach Berlin ans Konservatorium. Nach drei Monaten kriegt der Bruder einen anonymen Brief; sie habe ein Verhältnis mit dem Baron Dingsda, irgendein ordinäres Tier, das so was als Beruf ausübt ... Darauf hat ihr der Gebauer ganz zart geschrieben, sich hundertmal entschuldigt, daß er das Gerücht überhaupt erwähne. Wie es denn in aller Welt nur habe entstehen können. Und nun kriegt er den unglaublichen Brief von ihr. Sie habe das mit vollem Bewußtsein getan, um aus der Abhängigkeit herauszukommen. Der glatzköpfige Dingsda reize sie natürlich gar nicht. Aber sie müsse sich Vermögen machen.«

»Das versteh ich eigentlich«, erklärte Ute.

»Das verstehst du? Na ja, daß du das sagst, und überhaupt, daß ihr so redet, das laß ich gelten, das ist wohl zeitgemäß. Aber wenn ihr's tut, siehst du, das verstehen nun wir nicht. Der Gebauer muß es wohl mißverstanden haben, er hat sich ja erschossen.«

»Bah«, machte Ute. »Der war ja verliebt in die Schwester.«

Claude blieb stehen, er wankte, wie bei einem Stoß vor die Brust.

»Was? Was sagst du?«

»Du weißt auch gar nichts. Ich hab mich damals mit Bella oft darüber aufgehalten. Die andern wußten es übrigens alle.«

»Wer, die andern?«

»Die andern Mädchen, die Freundinnen der Schwester.«

»Ja, ihr Mädel, ihr merkt das alles«, sagte Claude und ging gesenkten Kopfes weiter.

»Er hatte nicht den Mut zu seinen gewagten Gefühlen«, erklärte Ute geringschätzig.

»Wenn er sie liebte«, rief Claude wie unter einer Eingebung, »dann versteh ich ihn ja um so besser. Oh! um so tiefer versteh ich ihn dann.«

Ute schüttelte sich, voll Ungeduld.

»Hör mal, falls du je auf die Dummheit verfällst, die der Gebauer gemacht hat – von mir hast du kein Mitleid zu erwarten. Das ist doch zu dumm.«

Er machte eine Anstrengung, um ruhig zu werden.

»Du hast recht, die Geschichte war übertrieben. Solche körperlichen Verrichtungen wie das Totschießen nimmt ein Mensch von Geist nicht vor. Aber wenn ich je erfahre, daß du ein Verhältnis hast – es ist schon sicher, das wird ein böser Moment für mich.«

»Ich könnte dir sagen, daß dich das gar nichts angeht. Jeder hat doch sein Leben für sich, nicht wahr. Ich will aber ein übriges tun, und wenn mir mal was passiert, sollst du's durch mich selber wissen. Tröstet dich das?«

»Vielleicht«, sagte er, und er hatte gezögert. »Glaubst du denn, daß dir was passieren wird?«

»Du fragst kindisch!«

»Allerdings.«

»Wie kann man so was wissen. Mich zu verlieben, ich hab's dir schon gesagt, dazu fühle ich mich nicht veranlagt ... Nein, ziemlich sicher, niemals«, setzte sie hinzu, ganz sachlich, nachdem sie in sich hineingeblickt hatte. »Übrigens schreib ich dir. Und dann sehen wir uns ja wieder.«

So sprach sie zum erstenmal. Claude war auf einmal ganz überschauert von der Angst vor der Trennung. Bisher hatte er sie nur vorausgewußt; jetzt erst glaubte er an sie, an das Unfaßbare, wie wenn das Herannahen des Sterbeaktes ihn endlich an den Tod hätte glauben lassen. Er fragte, halb von Sinnen:

»Nun mußt du wohl bald Nachricht kriegen?«

»Meinetwegen«, sagte sie entschlossen. »Ich bin mit allem fertig. Drei Kisten mit Kostümen hab ich schon weggeschickt.«

»Hoffen wir, daß uns noch ein paar Tage bleiben«, sagte er und lachte. »Das Wetter ist grad so schön; wir sollten noch nach Schleißheim hinaus.«

»Danke«, erwiderte sie, »was denkst du denn, ich muß doch jeden Augenblick bereit sein. Und dann, dieses Herumbummeln in der Frühlingsluft ist überhaupt nichts. Es macht bloß schlaff und faul, und dann kommt man immer auf solche dummen Gespräche wie eben. Gearbeitet hab ich schon seit acht Tagen nicht mehr richtig. Was tu ich eigentlich? Meine Anschaffungen sind fertig, die Koffer sind gepackt. Warum bin ich eigentlich den ganzen Tag mit dir und tue gar nichts. Oh, jetzt wird sofort nach Haus gefahren und gearbeitet.«

»Na los«, sagte Claude.

Sie gingen eben über eine kleine hölzerne Brücke. Den laubigen Kanal entlang, durch das schwarze Grün einer Schattenbahn, und grün eingesponnen schwamm ein einsamer Schwan. Claude sah ihm nach, er deuchte ihm steil, kalt, nur auf seine Linie bedacht. Dann betrachtete er Ute.

Sie erreichten den Garten und durchmaßen ihn ohne umzuschauen, mit beschleunigtem Schritt, als seien sie hier nicht mehr am Platze. Claude sah in widerstandsloser Trauer alles zurückbleiben: diese Frühlingswochen mit ihrem verhalten dahingerauschten Glück, ihren unterirdischen Zärtlichkeiten; den Schluß machte der Gang durch diesen Garten, heute nach der Ankunft, Hand in Hand. Gleich würden sie das Gatter wieder durchschritten haben und draußen sein, für immer heraus aus alledem.

»Das Gute habe ich gehabt. Das war das Gute, das ich haben konnte.«


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