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Der sichere Krieg

Die ursprüngliche Neigung des Menschen zur Zwietracht und Gewalt ist durch seine Geschichte nur verstärkt worden. Die Eroberung des Friedens wird noch lange das schwerste Unternehmen bleiben, und viel Kampf wird es kosten, eine versöhnliche Gesinnung durchzusetzen.

Man muß immerfort aufpassen und handeln. Wer bloß zusieht, wartet vergebens, daß Frieden wird: es wird nur Krieg. Der Krieg kommt schon, wenn man einfach nichts gegen ihn tut. Nicht angreifen beweist nichts. Krieg ist eigentlich, sobald eine rücksichtslos nationalistische Herrschaft sich irgendwo einrichtet. Ein vom Gesetz des Stärkeren regiertes Land gerät von selbst in den Konflikt. Fälschlich glaubt man, erst nach den äußeren Kundgebungen eines Regimes sei zu beurteilen, wie wahrscheinlich durch seine Art der Krieg wird. Im Gegenteil! Sein Auftreten im Innern entscheidet.

Wenn die Herren einer Nation so mit ihr verfahren wie Sieger mit einem wehrlosen Land, dann könnten die fremden Zuschauer wissen, woran sie sind. Keine Regierung kann ihre Gesinnung beliebig umstellen und, je nachdem, ihre eigenen Leute unmenschlich treten, für die übrige Welt aber die zarteste Rücksicht aufbieten. Hat ein Regime als Grundlage den Haß, dann will er ganz sicher auch die Welt ergreifen. Wer das eigene, gefügige Volk immerfort belügt, von dem ist anzunehmen, daß er das All belügt. Der Terror, mit dem verworfene Machthaber das erbeutete Land verpesten, ist schließlich auch nur ein Zeichen für all das, was den anderen bevorstände.

Die Hitler-Diktatur wird verständlich allein im Hinblick auf den Krieg schlechthin. Bei Bürgerkriegserscheinungen halte man sich nicht auf. Die sind nur die eine Seite des Hasses, womit diese Leute auf den Weltfrieden schielen. Als sie noch nichts waren, haben sie Deutschland drauf und dran gesehen, einer der Pfeiler zu werden für eine europäische Verständigung, soll heißen gegenseitige Würdigung und Ausgleich der Interessen. Grade das wollten sie nicht.

Auf den Versailler Vertrag ist es ihnen in Wahrheit niemals angekommen; der hat ihnen mittelbar sogar genützt. Die vorgebliche Erniedrigung Deutschlands hielt sie nicht ab, es weiter zu erniedrigen. Denn sie machten sich eine Waffe aus der Lüge, die republikanischen Parteien hätten die Alleinschuld ihres Landes behauptet.

Ihr wilder Haß gegen die Republik ging über jedes Maß, sooft sie eine Erleichterung des Vertrages erreichte. Die verschiedenen Pakte, Schuldenabkommen und internationalen Annäherungen brachten sie rein aus dem Häuschen. Die Rücksichtnahme der anderen für Deutschland, ihre Versuche, seine Wirtschaft zu heben, es zu versöhnen, es endgültig zurückzuholen in eine Gemeinschaft befriedeter Nationen: das, nur das waren die echten Anlässe der Nationalsozialisten, vor Wut epileptisch zu werden.

Die Befreiung des Rheinlandes ist in Deutschland nur spärlich gefeiert worden. Der republikanische Staat erlaubte sich einen Hinweis auf seinen tatsächlichen, wenn auch späten Erfolg; aber seine bösartigen Feinde schnappten ihm den Vorteil augenblicklich weg. Zufällig war ein zweifelhaftes Individuum damals grade umgekommen. Die Besatzungstruppen erschossen es, weil es mehrere der Ihren ermordet hatte. Diesen Heldentod schlachteten die deutschen Nationalisten so lange aus, bis von der ganzen Rheinlandbefreiung kein Mensch mehr sprach.

Der Versailler Vertrag war offenbar das Werk von Männern, die in Kriegsgesinnung noch tief befangen waren. Als aber dann der Geist der Feindschaft überall nachließ, brachte die Hitlerbewegung ihn einzig und allein in Deutschland auf eine nie erlebte Höhe. So ist denn die Republik nicht deswegen unterlegen, weil ihr manches mißlungen war, sondern zur Strafe für ihre Erfolge.

Alle Taten der Hitlerei, jetzt, da sie an der Macht ist, bekommen ihren Sinn erst, wenn man an den nächsten Krieg denkt. Dazu gehören besonders die Verfolgungen von Marxisten, Katholiken, Intellektuellen und Juden. Aus Gründen der inneren Politik allein kann man andere Gruppen der eigenen Nation nicht so ungeheuerlich hassen. Dafür ist nötig, daß man sie als Helfershelfer des Auslandes ansieht und als den verkörperten Widerstand gegen die Kriegsgelüste, von denen man besessen ist. Allen Deutschen, die keine Nazis sind, wird im Grunde nur eins vorgeworfen. Sie sind ein Hindernis für den erträumten Krieg.

Das übrige sind Redensarten, hinter denen nichts steckt. Was heißt Antimarxismus in einem Lande, wo jeder einzelne Sozialist ist. Das Wort ist nur erfunden worden zum Nutzen einer Partei, deren Anhänger um ihren eigenen Marxismus dadurch betrogen wurden, daß man sie andere Marxisten unterdrücken und aus ihren Arbeitsplätzen drängen ließ. Diese Rassenpartei hatte auch für die Verfolgung der übrigen Gruppen nur den Grund, daß sie verhältnismäßig friedlich waren. Die Katholiken waren eine Stütze der Republik gewesen bei allem, was sie getan hatte, um sich eng einzugliedern in eine europäische Zivilisation, die endlich einmal aufhören wollte, ihre Lebenskraft an den Krieg zu verschwenden.

Am Ursprung jedes anderen Hasses stößt man auf den Geisthaß; er ist am festesten verwurzelt. Man könnte ja auch alle Arten von Menschen stumpf genug machen, daß sie jeden Widersinn hinnehmen und ihren gedankenlosen Trieben folgen. Immer blieben noch jene Intellektuellen, deren Ehre und Lebensrecht ganz und gar begründet sind auf Erkenntnis. Grade die Rassenfanatiker aber gewinnen nicht, wenn sie erkannt werden, und sie wissen es.

Hitler hat wiederholt erklärt, er sei kein Antisemit. Er behauptet, sein Absehen gegen die Juden gelte nur ihrem Marxismus. Er sähe sie demnach als Intellektuelle an. Sie vertreten ihm den Geist einer vorgerückten Zivilisation, die über die herkömmliche Auffassung von Krieg und Frieden schon hinaus ist. Das stimmt bei weitem nicht für die Gesamtheit der Juden. Auf alle Fälle aber hat mit dem ganzen Judenhaß die Rasse am wenigsten zu tun; sonst würden die Rassenfanatiker die Gehaßten nicht so oft mit anderen verwechseln. Grade jetzt erbauen sie sich an einer Sammlung von Bildnissen, die typisch jüdisch sein sollen. Dabei zeigen einige nachweislich die Züge bekannter »Arier«.

Trotzdem bleibt die Rassenlehre ein hervorragendes Hilfsmittel für alle herrschsüchtigen Pläne, zuerst die Gewalt im Innern, dann die Weltherrschaft. Da man sich als auserwählte, höhere Rasse hinstellt, brauchen die anderen es nur noch zu fühlen zu bekommen. Sind erst alle Deutschen »gleichgeschaltet« und unterschiedslos militarisiert, dann kann es nicht fehlen, daß des einen oder anderen Tages diese Einheitsmasse auch wirklich losgeht – in den Krieg natürlich. Die sittliche Erziehung des Volkes war ja auf Krieg gerichtet, und jede Regung der auswärtigen Politik hatte nur ihn als Ziel.

Alles hängt zusammen: von den amnestierten Mordnazis bis zu dem Anspruch, Rußland zu »kolonisieren«; von der Arbeitsdienstpflicht bis zu der Sucht nach Gebietserweiterungen; vom Vernunfthaß bis zu den Machenschaften, damit nur kein Zollfriede kommt. Keine Vergewaltigung der deutschen Nation, die nicht zugleich die übrige Welt bedroht. Diese läßt sich denn auch nicht irreführen durch Ableugnungen und Lügen, obwohl sie bisher nicht handelt und die deutlichsten Warnungen scheinbar überhört.

Es sah ganz anders aus, als die Mächte gegen den Bolschewismus der Sowjets vorgingen. Und doch kann über die Hitlerei kein Mensch im Zweifel sein. Wie einer der Leiter der österreichischen Politik erst kürzlich sagte, ist sie nur ein schlechterer Bolschewismus. Geistig und sozial bringt sie nichts mit. Der Vorteil, den die Hitlerei voraus hat vor den Demokratien, liegt nur in ihrer Zerstörungskraft.

Sie hat den Nutzen gehabt von der friedlichen Gesinnung der deutschen Demokratie. Wenn sie auch jetzt, bei den anderen, auf keinen ernsten Widerstand stößt, hat es den Grund, daß die Hitlerei grade rechtzeitig kommt. Wieder profitiert sie von einer fast allseitigen Friedensliebe. Man ist müde und hat eine unüberwindliche Neigung, die Wirtschaftskrise sich abnutzen zu lassen, anstatt daß eine Kriegskatastrophe daraus wird. Man nimmt auch die größte Rücksicht auf die deutschen Schulden, obwohl es feststeht, daß während der Dauer der nationalsozialistischen Diktatur die Gläubiger keinen Pfennig wiedersehen werden, und zwar weder die öffentlichen noch die privaten Gläubiger. Darüber hinaus ist zu fürchten, daß durch bloße Untätigkeit der Krieg nicht zu vermeiden ist, wenn andere ihn im Gegenteil mit aller Macht betreiben.

Jeder europäische Krieg ist, wie Voltaire meint, ein Bürgerkrieg. Mit noch mehr Berechtigung läßt sich sagen, daß Bürgerkriege schon der Anfang allgemeiner Kriege sind. Das gilt vor allem für die Hitlerherrschaft, die späte Folge einer unverdaut gebliebenen Niederlage, die jetzt gerächt werden soll, und zwar zuerst am eigenen Volk.

Die Leiden dieses Volkes hätten ihm vielleicht erspart werden können. Die anderen Nationen hätten einfach verbieten sollen, daß ein paar übel beleumdete Abenteurer sich zu seinen Herren aufwarfen. Dann wäre auch der Krieg nicht inzwischen so nahe gerückt.


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