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Die enttäuschten Verräter

Das traurigste an der deutschen Zeitgeschichte ist, daß sie gradesogut anders hätte ausgehn können. Wer nicht an ein blindes Schicksal glaubt, nimmt unschwer den Fall an, daß die Deutsche Republik der Eroberung durch die Rassenpartei entschlossen widerstanden hätte. Österreich zeigt jetzt, wie es zu machen war. Ob es ihm gelingt oder nicht, jedenfalls wird Österreich sich ausgezeichnet tapfer verhalten haben. Es macht sich den Kampf sogar schwerer, als er für die republikanischen Führer des Nachbarstaates hätte sein müssen. Denn die sogenannten bürgerlichen Parteien wehren sich dort allein und unter Ausschluß der Sozialisten, deren Mitwirkung sie hartnäckig ablehnen.

Die republikanische Front war in Deutschland sehr breit gewesen, das Regime stützte sich auf eine durchaus zureichende Mehrheit. Nur mußte man den Roheiten einer frechen Minderheit machtvoll begegnen, und die Republikaner blieben bis zum Schluß die Gefangenen ihres eigenen Legalitätsprinzips. Als der Reichspräsident auf den Platz Brünings, den Hindenburg verfassungswidrig entlassen hatte, den ersten nicht republikanischen Kanzler berief, setzte dieser ohne weiteres die preußische Regierung ab.

Dem preußischen Innenminister unterstand die bewaffnete Macht der Republik, eine Polizeitruppe von nahezu hunderttausend Mann. Fast alle waren bereit, ihre Pflicht zu tun, und befehligt wurden sie von einem treuen, entschlossenen Offizier. Ihn brauchte der Minister nur gewähren zu lassen; der des Hochverrats schuldige Kanzler wäre augenblicklich verhaftet worden. Er hatte nicht auf die geringste Hilfe zu hoffen seitens der Reichswehr, die niemals gegen die Polizeitruppe gekämpft hätte. Noch lange sollte sie den Ereignissen einfach zusehn, ohne einzugreifen.

Aber der höchste Vorgesetzte der Polizei ließ sich lieber aus seinem Ministerium jagen von einem Leutnant, den der Kanzler ihm schickte, und darauf machte er diesem seinen Besuch. Die Unterredung war von seiten des preußischen Ministers eine bloße Förmlichkeit. Wenn nun einmal Gewalt angewendet wurde gegen eine legale Regierung, mußte diese vorerst weichen und den Fall dem Staatsgerichtshof unterbreiten. Der sorgte dann für das Weitere, und die Gesetzmäßigkeit wurde natürlich wiederhergestellt, ohne daß sogar ein nicht republikanischer Kanzler sich dagegen auflehnte.

So dachten nun einmal diese hohen Beamten, die aus den Gewerkschaften kamen. Seit vielen Jahren wurde ihnen von ihren erbitterten Feinden die schlimmste Rache angedroht, sobald es soweit wäre; sie aber zogen einen ernsthaften Widerstand gar nicht in Betracht. Der konnte ja in den Bürgerkrieg übergehn, und davor graute ihnen. Ach! In Wirklichkeit dauerte der innere Kampf schon geraume Zeit und verlief immer blutiger. Einzig die rücksichtslose Unterdrückung der Hitlerbewegung würde ihn zum Stillstand gebracht haben.

Hätte die Unterdrückung Hunderter Toter erfordert, sie wäre noch immer eine Wohltat gewesen. Zu dieser Stunde würden die unzähligen Opfer des Hitlerschen Sieges noch leben. Tausende von Menschen wären nicht, wie jetzt, der grausamsten Behandlung ausgesetzt. Andere, und das sind Millionen, würden nicht dem Elend entgegengehn, und wieder andere hätten nicht die sittliche Verkommenheit erreicht, zu der sie gezwungen werden. Ein Schlag von harter Hand wäre die Rettung gewesen für viel Menschenglück, gewiß nur ein bedingtes, ein gebrechliches auch; aber es war ersehnenswert, es war sogar göttlich, verglichen mit dem grauenhaften Unglück, das seitdem dies Land geschlagen hat.

Die beiden Männer, die an jenem Tage einander gegenüberstanden, wußten von all dem nichts. Sie sahen nicht im entferntesten voraus, was kommen sollte. Sie glaubten keinerlei Verantwortung zu übernehmen, wenn sie handelten, wie ihre Naturen es ihnen vorschrieben. Der Minister neigte zur Vorsicht. Der Kanzler ließ sich im Gegenteil am liebsten auf Abenteuer ein. Der eine gab die Macht aus den Händen, damit er sich nichts vorzuwerfen hätte. Der andere griff zu, weil die gar zu bürgerliche Ehrbarkeit des früheren Arbeiters ihm lachhaft schien.

Er selbst war mit unnötigen Bedenken nicht belastet. Er war Leiter eines Spionagedienstes gewesen, hatte übrigens sein Leben verbracht mit Intrigen kreuz und quer. Sein Beweggrund war unklarer Ehrgeiz oder einfach Schadenfreude. Was diesen früheren Reiter und berufsmäßigen Rennplatzbesucher kühn machte, war offenbar ein Keim verbrecherischer Veranlagung, und grade die kannte der ordentliche Arbeiter gar nicht. Dies Gerede von Novemberverbrechern! Erst nach dem Sturz der Männer vom November 1918 ist alles, was in Deutschland abenteuerlich und asozial empfand, obenauf gelangt.

Sie waren nicht geschaffen, einander zu verstehn. Der Kanzler wartete darauf, daß der andere ihm mit Verhaftung drohte. Um das Spiel zu gewinnen, verfügte er jedenfalls über mehr als eine List, brauchte aber keine anzuwenden. Der gehetzte Minister beschränkte sich auf Proteste im Namen der Gerechtigkeit, und das, während er in aller Unschuld die bewaffnete Macht auslieferte. Da der andere nichts kommen sah außer ehrlich bewegten, vom Gewissen eingegebenen Reden, verlor der Kanzler, er hieß von Papen, die Geduld und wurde ironisch. »Ach! Ich sehe«, sagte er. »Sie wollen nur das Gesicht wahren.« Dies Wort steht am Ende einer Republik.

 

Als derselbe Papen während des Krieges in Amerika Menschen kaufte zwecks Verübung von Sabotageakten und um Verwirrung zu tragen unter eine Nation, die im Begriff war, zu den Feinden Deutschlands zu gehn, besorgte er ein notwendiges Geschäft, brachte auch alles Erforderliche dafür mit. Allerdings behandelte er die Sache etwas kavaliersmäßig, denn eines Tages wurde in einer Autotaxe eine Aktentasche gefunden: er hatte sie liegengelassen, und sie enthielt die Beweise für seine Tätigkeit. Er wurde gebeten, das Land zu verlassen, England bewilligte ihm freies Geleit, und diesmal vergaß er nicht, sein Scheckbuch mitzunehmen; darin war alles richtig verzeichnet, die bezahlten Beträge wie die Namen der Empfänger. Die Engländer ließen den Herrn zwar durch, beschlagnahmten aber das Scheckbuch, was zur Folge hatte, daß seine Hilfskräfte ins Loch kamen. Wenn sie nicht gestorben sind, müssen sie noch drin sitzen.

Er hatte sie leichten Herzens verraten, fuhr auch auf demselben Wege fort und befleißigte sich unter der Republik besonders des Verrates an seiner eigenen Partei, dem katholischen Zentrum. In Deutschland wurde seine amerikanische Vergangenheit niemals völlig enthüllt; sonst wäre nicht zu verstehn, daß irgendeine Gruppe noch ihr Vertrauen verschwendet haben sollte an diesen gefährlichen Strohkopf. Indes begegnete das klug geleitete Zentrum ihm mit Argwohn. Es wirkte beunruhigend, wie wenig er sich unterordnete und wie er seine bemerkenswerte Begabung als Intrigant darauf verwendete, eine Partei, die zum guten Teil eine Arbeiterpartei war, zur sozialen Reaktion abzudrängen.

Hätte er Erfolg gehabt, wäre es schon damals das Ende des republikanischen Katholizismus gewesen, einer der festesten Stützen des Regimes. Er hatte sich die möglichen Folgen seiner Wühlereien vielleicht nicht klar gemacht, denn er ging nirgends bis auf den Grund. Er rührte sich, zu dem einzigen Zweck, nach vorn zu gelangen. Er war eingebildet auf seinen kleinen Adel, stolz auf seine Eleganz, überzeugt von den Vorrechten der Kapitalistenklasse vor allen armen Teufeln.

Für einen kleinen Adligen, kleinen Industriellen, ohne Verdienste wie er war, kaum noch mit weißer Weste bei seiner zweifelhaften Vergangenheit, benahm er sich grade dreist und zäh genug. Obwohl er in einem fort abfiel, machte er ungezählte Anläufe, um sich durchzusetzen bei der einzigen bürgerlichen Partei, die in jener Zeit die Macht verteilte. Er verwendete die ihm zugänglichen Mittel, womit schon gesagt ist, daß es keine geistigen waren. Er verfuhr auf gleiche Art wie ehedem in Amerika, mit Menschenkauf oder mindestens mit dem Ankauf von Zeitungs-Aktienpaketen.

Aber man kann ohne weiteres annehmen, daß er auch Menschen kaufte. Nach seinen Begriffen waren sie dafür da. Er hielt die Politik für eine Art Spielbank, wo einige bestochen werden, um mit anderen zu schwindeln und die Opfer in die Falle zu locken. In Befolgung dieser damals wenig üblichen Auffassung wurde er einer der leitenden Köpfe eines gewissen Vereins, der den frechen Namen Herrenklub bekam und wo es allerdings von feinen Herren wimmelte.

Jeder hatte Zutritt, wenn man nur gesellschaftlichen Snobismus bei ihm annehmen konnte. Snobismus bedingt natürlich die Gesinnung der guten Gesellschaft, und die ist mehr oder weniger gefärbt mit Verachtung der Demokratie. Es war nur gut, wenn die meisten Mitglieder, im schmeichelhaften Gefühl ihrer Vereinsbrüderschaft mit hochgestellten Persönlichkeiten, den wirklichen Zweck niemals durchschauten. Das Ziel war die monarchistische, antisoziale Reaktion, die sich einschleichen sollte in die ganze Gesellschaft ohne Unterschied der Parteien. Diese kannte man vorgeblich nicht.

Mit ihrer Spekulation auf lange Sicht verfuhren Papen und Konsorten ähnlich wie Hitler, der sich ebenfalls gedulden mußte, bis die Republik durch seine Betriebsamkeit genügend unterwühlt war, bis sie hinreichend ihre Sicherheit verloren hatte durch seine ununterbrochenen Angriffe und, schon ganz vertattert durch seine Drohungen, endlich sturmreif schien. Übrigens konnte im Fall Hitler wie im Fall Papen die Herkunft der Geldmittel, die sie stützten, nur die gleiche sein. Damit indessen hören die Ähnlichkeiten auf.

Die Rednergaben des einen bestimmten ihn für die öffentliche Tribüne. Der andere war der Mann der engen Kreise, wo der reizvolle Plauderer geschätzt wurde. Hitler versetzte Massen in Begeisterung, während Papen die einzelnen verführte. Eine Versammlung hat er niemals seinem Bann unterworfen. Jener dagegen konnte nicht einmal vor drei Personen sagen, was er zu sagen hatte, außer wenn er aufstand und sich Schwung gab. Der Agitator bekam leicht Schaum vor den Mund, indessen ein anmaßendes Lächeln von selbst auf den Lippen des Intriganten erschien. Dieser war von seiner eigenen Überlegenheit durchdrungen, alle anderen unterschätzte er und hielt seine Lügen für unwiderstehlich. Der weniger Unnatürliche von beiden wußte selbst nicht, ob er log; er brachte es fertig, einfach das mit zu glauben, was die anderen glauben sollten. Der Raffiniertere glaubte nie irgend etwas.

Indessen muß man verdammt gescheit sein, um richtig falsch sein zu können. Die Papensche Falschheit litt unter seinem wenig begründeten Hochmut, sie hatte keinen inneren Halt und war im Grunde dumm. Auf seinen Bildern sieht man ihn manchmal mit offenem Munde gen Himmel träumen. Hitler seinerseits ist gewiß ein Dummkopf, aber von der feigen und blutrünstigen Sorte. Er lebte im Haß; und da er mit dem Gefängnis schon Bekanntschaft gemacht hatte, arbeitete er an dem Verderben seiner Feinde mit aller Umsicht, wenn es auch aussah wie Kühnheit. Er sammelte eine bewaffnete Macht, was noch das unumwundenste Mittel ist, wenn man die Macht an sich reißen will.

Papen glaubte sich ihrer zu versichern dadurch, daß er den alten Hindenburg in der Hand hatte. Im Grunde hat er alles auf die Langlebigkeit eines Großvaters gesetzt. Wäre dieser verschwunden, dann ist nicht ersichtlich, was ihn von den Hoffnungen Papens noch überlebt hätte. Der ganze schöne Intrigenbau wäre sofort zusammengebrochen. Aber der Großvater dachte nicht ans Sterben; so konnte man denn noch eine Zeitlang auf Mitverschworene in seiner Umgebung rechnen, auf seinen Sohn, seinen Staatssekretär und seine persönlichen Freunde, die Großgrundbesitzer.

Der Sohn Hindenburgs war ein geldloser Lebemann. Der Staatssekretär, ein früherer Sozialdemokrat, fühlte das Ende der Republik kommen und machte schleunigst mit. Bei beiden brauchte Papen nur dieselben Überredungskünste anzuwenden wie schon in mehreren Weltteilen. Wenn andererseits die Agrarier bei den Industriellen sammelten, um dem Präsidenten eins der verschuldetsten Rittergüter zu schenken, dann möchte man glauben, daß der Einfall von Papen stammt. Er sieht so ganz nach ihm aus. Die monarchistische Gesinnung des Staatsoberhauptes stand ohnehin fest; fehlte nur noch, daß er in die materiellen Interessen der Reaktionäre verwickelt wurde.

Der Streich gelang, als Brüning, der Zentrumskanzler, dessen zahlreiche Fehler die Republik geschwächt hatten, endlich auf eine unbestreitbar nützliche Tat verfiel. Er wollte einigen zu großen, schlecht ausgewerteten Grundbesitz enteignen und ihn von Arbeitslosen anbauen lassen. Das war der gefundene Vorwand, um den letzten republikanischen Kanzler loszuwerden. Der entsprechend bearbeitete Hindenburg entließ Brüning, der unter tapferer Hingabe der eigenen Person die Wahl des Präsidenten durchgesetzt hatte, und ernannte Papen.

Endlich am Ziel nach so vielen Mühen, hatte dieser doch nichts weiter davon als etwas Befriedigung seiner Eigenliebe, und auch die hielt nicht vor. Sie bestand im Bruch der Weimarer Verfassung und in der Vertreibung der preußischen Minister. Kurz nachher war er selbst genötigt, die Macht abzutreten an seinen früheren Freund und Verbündeten, den General von Schleicher. Lange Zeit hatten sie gemeinsam intrigiert, hatten hinter der Szene die republikanischen Regierungen aufgelockert, in Erwartung des Tages, da sie die Republik selbst träfen.

Schleicher war nicht so stur wie der, den er öffentlich nach wie vor seinen Freund nannte. Er scheint auch einen schärferen Blick gehabt zu haben. Der Sturz des Regimes, für den er sich eingesetzt hatte, versprach stürmischer zu werden, als er gewünscht hätte. Jetzt drohte der Pöbelaufstand eines Hitler jede disziplinierte Wiederherstellung des alten Staates kurzweg abzuschneiden, die Rückkehr der überlieferten Herrenschicht konnte ein für alle Male undurchführbar werden. Das war mehr, als ein preußischer General zu ertragen fähig war.

Da faßte der Reichskanzler Schleicher den Entschluß, sich der Öffentlichkeit vorzustellen als »sozialen General«, der gesonnen wäre, mit den Arbeitergewerkschaften zusammenzugehn. Insgeheim riet er ihnen sogar, in den Generalstreik zu treten, wobei er ihnen den Schutz der Reichswehr versprach. Als Spießer inmitten von Raubtieren lehnten sie das freundliche Angebot, weil ungesetzlich, ab. Lieber wollten sie ehrenwert in ihr Verderben gehn. Schleicher gab sich nicht besiegt. Er griff zu anderen, noch stärkeren Mitteln. Während der ganzen Zwischenregierung des Generals entfaltete Papen, der ihn genau kannte, ganz unverhohlen seine Betriebsamkeit, um ihn zu Fall zu bringen. Er hätte selbst nicht erklären können, warum. Den Aufstieg Hitlers sah er nicht im entferntesten voraus; in seinem flüchtigen Kopf geisterte unbestimmt eine wiederhergestellte Monarchie romantischer Färbung, eine Art »heiliges Reich«, über das er sich in Prophezeiungen gefiel. Aber angenommen, daß ohne zu viel Scherben das Kaiserreich neu aufgerichtet werden konnte, war doch offenbar der oberste Reichswehrgeneral eher am Platz als ein früherer Spionagechef und alter Herrenreiter. Gleichviel, er selbst hielt sich für den Mann des Geschickes.

Das ist er auch geworden – auf seine Art und im Verfolg seiner unwandelbaren Berufung, die im Verrat bestand. Er verriet Freund Schleicher und verriet gleichzeitig die Republik, beides mit so leichtem Herzen, wie er seine Partei oder seine Mitspione verraten hatte.

Es wurde ihm erleichtert von Schleicher selbst, der unvorsichtig genug war, Beweisstücke zu veröffentlichen betreffend die Unterschlagung mehrerer hundert Millionen Mark zugunsten von Großgrundbesitzern, den Freunden und Nachbarn des Präsidenten. Dieser erschien mehr oder weniger unmittelbar betroffen. Es war an der Zeit einzugreifen, ja, die äußersten Mittel anzuwenden zur Rettung derer, die eine soziale und unbestochene Regierung in ihrer Stellung erschüttert hätte.

Papen gewann das Spiel dadurch, daß er herausbekam oder sich ausdachte, der Kanzler wolle die Potsdamer Garnison gegen Berlin marschieren lassen. Der Streich saß um so besser, da er dem alten Präsidenten zugleich hiermit die bevorstehende Verhaftung von drei Personen meldete, darunter der Sohn Hindenburgs. Die beiden anderen waren ganz richtig Hitler und Papen selbst. Wenn es stimmte, hätte Schleicher keine besseren aussuchen können.

Ob wahr oder nicht, Schleicher mußte abtreten, bevor er zum Handeln kam. Er hatte seine Stunde versäumt. Man sprach von einer Krankheit, die seine Tatkraft erschüttert habe. Vielleicht war er nie der starke Mann gewesen. Papen als Retter des Sohnes und des Vaters trat natürlich an seine Stelle und verlor keine Zeit, die Reihe seiner Verrätereien zu ergänzen. Er öffnete Hitler die Tür.

Das hieß soviel wie Übergabe einer belagerten Festung, noch dazu, als der geschwächte Belagerer es sicher am wenigsten erwartete. Die Hitlerbewegung war zum Stillstand gekommen, ob nun das Auftreten eines echten Generals schon genügte, um sie aufzufangen, oder ob sie von selbst ihre Grenzen erreicht hatte. Jedenfalls kam die Bewegung über ein Drittel der Stimmen nie hinaus, solange noch frei gewählt wurde und kein Kunstgriff wie der von »Kommunisten« gelegte Reichstagsbrand zur Fälschung der Wahlen diente.

Papen holte Hitler mit Gewalt. Hitler wurde gegen seinen Willen Reichskanzler. Wäre nicht Papen gewesen und sein verheerender Einfluß auf einen alten Mann, dann wäre Hitler weiter mit schwindendem Erfolg losgezogen gegen die Republik, die auf ihrem ferneren Wege nicht viel davon gemerkt hätte. Nur in Worten hätte er dann die Republikaner abgeschlachtet. Er hätte sie vertrieben, ausgeplündert, täglich geschlagen. In den Kellern seiner SA-Kasernen hätte er ihnen alle Knochen gebrochen; er hätte sie geknechtet oder zum Selbstmord getrieben. Aus einem ganzen Lande hätte er eine Mörderhöhle gemacht, er hätte es in ein Irrenhaus verwandelt, wo die Kranken ihre Aufseher gefangen halten. Aber nur in seinen Reden wäre das alles geschehen. Dank Papen ereignete es sich wirklich.

Hier ertappt man die Geschichte auf frischer Tat. Sie ist kein Verhängnis, und keine unausweichlichen Gesetze schreiben sie vor. Wer sie erlebt hat, stellt fest, daß Menschen dies tun, und nicht einmal starke Menschen. Verräter sind in ihrer Schwäche mehr zu fürchten als die Anstürmenden mit aller ihrer Gewalt, die zum großen Teil gemacht ist. Die Schwäche ihrerseits ist immer echt. Diesmal hat beinahe ein einziger genügt, und die Katastrophe, die beschworen werden konnte, wurde zugelassen. An die Stelle eines Hanswurstes setzt einen Mann, sofort stände es besser um das Leben und Sterben einer unberechenbaren Zahl euresgleichen!

Gewiß ist, daß Papen, als er die Macht an einen Pöbelanführer auslieferte, die Entscheidung für ganz vorläufig ansah. Er als Vizekanzler hatte vor, den anderen zu lenken und von sich abhängig zu erhalten. Hält man ihn für noch so dumm, etwas mußte er doch ahnen von den Mächten des Abgrundes, die er losließ. Aber ein Kavalier wie er ging in die tollste Sache hinein, er traute sich zu, auch wieder herauszukommen. Sein Dünkel war ihm restlos erhalten geblieben, trotz allen Fehlschlägen. Den Mut dazu fand er in einem hohlen Kopf, worin es nur manchmal piepte. Mit nichts war er ausgestattet als seinem einfallsreichen Scheintalent und der Unterstützung durch einen abgenutzten Götzen, der auf den Hund gekommen war gerade durch seine Schiebungen. Damit vermaß sich dieser vereinzelte, bis zur Unsinnigkeit eitle Mensch, standzuhalten gegen einen wilden Andrang Fanatisierter, die Waffen hatten und im Gefolge Hitlers den Staat überrennen sollten. Er machte sich lächerlich, daß es ein Schaudern war, da er einem Weltuntergang die Drehung geben wollte, die er brauchte für seine kleine Klasse ehemaliger Bevorrechtigter und für seinen erbärmlichen Ehrgeiz.

Jetzt hat er begriffen. Nicht er führt, sondern der andere. Er muß mit und klammert sich an den Hitlerschen Rennwagen, der immer schwindelerregender dahinrast. Er wird nicht loslassen, bis man ihn satt hat und ihn auf die Straße schleudert. Das ist dann sein Ende.

Solange sein veralteter Menschentyp noch benötigt wird, dient er als »Neger«. Er gibt sich alle Mühe; seine Spezialität sind Kriegskundgebungen, besonders gegen Frankreich. Dazwischen streckt er allerdings Fühler aus, welchen Eindruck es machen würde, wenn er in Paris als Botschafter Hitlers auftauchte. Zu seinem lebhaften Mißbehagen scheint es damit nicht geklappt zu haben. Schade! Es wäre ein rechter Ruheposten nach der tollen Fahrt mit dem anderen; man wäre so schön aus der Todesgefahr!

Er gibt noch groß an, obwohl er nicht mehr wagt, sich zu Pferd photographieren zu lassen, wie zu der Zeit, als er Brüning gestürzt hatte. Jetzt würde er nicht mehr gestehen, schon gar nicht in einer jüdischen Auslandszeitung, daß er das Ende des Nationalsozialismus herbeisehnt. Ihm dämmert schon, wer alles auf der Strecke bleiben wird, alle die unbedachten Veranstalter der Heimsuchung: Industrielle, Fürsten oder Großgrundbesitzer, alle, die billig hätten davonkommen können mit ein paar Enteignungen damals unter Brüning, alle, die mit ihren Millionen den Hitler hinaufgelotst haben oder die ihn herangelassen haben an die Macht, alle Verräter. Auch sie werden verraten werden, die Reihe ist an ihnen. Der erste Fachmann für Verrat kann sich darüber nicht mehr völlig täuschen.


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