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Wohin es führt

Was hat der gegenwärtige deutsche Staat an nützlichen Ergebnissen aufzuweisen? Andeutungen und Augentrug, weiter nichts. Auf eigenen Einfällen beruht nicht einmal das. Die »Gleichschaltung« ganz Deutschlands, die dies Regime vorgeblich im Handumdrehen fertiggebracht hat, ist das älteste republikanische Ideal, und Bismarck, der es zum Teil verwirklichte, bewegte sich ganz in der Geistesrichtung von 1848. Die Republik von 1918 bekundete dauernd ihren Willen zur vollkommenen Vereinheitlichung, was nichts anderes bedeuten kann als die zentralisierte Regierung und Verwaltung. Um freilich den Willen in die Tat umzusetzen, hätte die Republik vom nationalen Vertrauen getragen werden müssen. Statt dessen erwehrte sie sich nur mühsam des Bürgerkrieges, und ihn schürte Hitler mit seiner Bewegung. Der Republik war bewußt, daß Gewalt nicht das rechte Mittel ist, damit Länder, die von Natur nichts trennt, ihre veralteten Widersprüche aufgeben. Trotz der Ungunst des Geschickes hat die Republik ihrerseits das Andenken hinterlassen an nützliche Unternehmungen, zu denen sie gelangte dank ihrem Verständnis für die wirklichen nationalen Bedürfnisse. Sie war erfüllt von dem Wohlwollen, das sowohl Demokratie wie soziale Gesinnung erst ermöglicht. So war sie sich auch darüber klar, daß keine Vereinheitlichung der Nation ernstlich in Frage kommt, solange ihre Geisteskultur tief und unheilbar gespalten ist. Tatsächlich lag auf der einen Seite des Abgrundes die Universität und auf der anderen die Volksschule. Kein Weg führte von den Lehrern des Volkes zu den höher Gebildeten. Ja, als die Republik die Herrschaft antrat, befanden die Lehrer sich auf dem Lande noch in Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern.

Das republikanische System und vor allem der Minister Becker, ein Mann von unvergeßlichen Verdiensten, hat alles von Grund auf geändert. Das System hat den Volksschullehrern die Freiheit gegeben. Es hat unter großen Kosten, zuerst in Preußen, Seminare geschaffen, die einen Übergang sicherten zwischen Volksschule und Universität, zwischen der herrschenden Klasse und dem Volk. Das war eins der Mittel, die das demokratische Regime verwendete, um langsam, aber sicher den Geist der Zwietracht und der Abschließung zu überwinden, ebensowohl in den Klassen der Gesellschaft wie in den einzelnen Provinzen des Landes. So sollte es eins werden.

Dies Werk der Geduld wurde natürlich vernichtet durch den Sieg des Nationalsozialismus, denn dem liegen weder Geduld noch Arbeit. Er erläßt lieber Machtsprüche. Nun kann aber kein Machtspruch das Nichtvorhandene ins Leben rufen. Mit wieviel Lärm und Geschrei auch verkündet wird, Deutschland sei geeint, einfach durch das Erscheinen des großen Hitler, dessen Genius alle Friedrichs und Bismarcks weit hinter sich lasse: die Einheit bleibt so unvollendet wie je. Die örtlichen Regierungen bestehen ruhig weiter, und manche betätigen ihren Gegensatz zu Berlin, wie sie es von alters her gewohnt sind. Es bedeutet gar keinen Unterschied, daß sie sich jetzt alle zu derselben Siegerpartei bekennen.

Wenn die Reichsregierung der Weltmeinung mehr oder weniger aufrichtige Zugeständnisse macht, benutzt Bayern gerade diesen Augenblick, um erst recht nicht mit sich reden zu lassen. Es verhaftet Kaufleute, die weder Juden noch Kommunisten sind, übrigens nichts Ungesetzliches getan haben. Gleichzeitig beschlagnahmt die bayrische Polizei, trotz allen Vermittlungsversuchen, das Geld einer früher in München ansässigen Persönlichkeit. Jetzt lebt diese in der Verbannung, aber sie ist zu bekannt, Berlin möchte ihr die Rückkehr erleichtern. Dieselbe Polizei versucht sogar, den Vizekanzler Papen am Reden zu verhindern, sie verbot den Katholikenkongreß, wo er auftreten sollte. Als die Versammlung dennoch abgehalten wurde, kostete sie die Katholiken eine beträchtliche Zahl Verwundeter und Toter, sie waren von den Nazis hingeopfert.

Auch in Berlin nehmen die Behörden aufeinander nur bedingte Rücksicht. Eine vergleichsweise maßvolle Zeitung verfiel dem zeitweiligen Verbot, obwohl die Reichseisenbahn sie mit Geld aushält. Ein jüdischer Chemiker, berühmt durch seine allgemein nützlichen Erfindungen, glaubte um seine Verabschiedung einkommen zu müssen. Die Reichsregierung lehnte sie ab. Der preußische Minister dagegen bestellte ihn hin, ließ ihn drei Stunden warten, und endlich fertigte ein Mann in SA-Uniform ihn kurz ab, er sei entlassen.

Hitler und Göring liegen bekanntlich im Streit um die Macht. Der Minister maßt sich dauernd die Befugnisse des Kanzlers an; das geht so weit, daß dieser die Flucht ergreift aus Furcht vor einem Handstreich des andern.

Bei den Bürokraten herrscht Anarchie. Außer im Propagandaministerium, wo das System seine Triebkraft hat, wird nirgends ernstlich etwas getan. Jeder arbeitet gegen den anderen, und Dekrete werden erlassen, nur um Tags darauf umgestoßen zu werden. So ging es mit dem phantastischen Beschluß, daß den Nazistudenten die Examen besonders leicht gemacht werden sollten.

Die Diktatur hat weder das Land noch die Verwaltung vereinheitlichen können. Es wäre merkwürdig, wenn ihr gegen Arbeitslosigkeit und Elend etwas Durchgreifendes eingefallen wäre.

Da hat sie nun den von der Republik geschaffenen freiwilligen Arbeitsdienst umgewandelt in Zwangsdienst. Diesmal hat sie sich keine republikanische Idee angeeignet, sondern eine offenkundig bolschewistische Einrichtung. Man wundert sich wohl, daß in einem Lande, wo Arbeitsmangel herrscht, ein Teil der jungen, ungeübten Arbeitslosen verwendet wird für Arbeiten, die gelernte Arbeiter schneller und besser leisten könnten. Als ob es sich um die Brauchbarkeit der Leute und um ihre Leistungen handelte! Der einzige Zweck ist bei alldem, was die Diktatur sich ausdenkt und unternimmt, die Menschen klein zu kriegen und ihnen jeden Gedanken an Widerstand auszutreiben.

Sie hat allerdings den Plan übernommen, eine Autostraße gradenwegs von Berlin nach Mailand zu bauen, mit Luxushotels auf der ganzen Strecke. Der Plan paßt so wenig zu der wirklichen Wirtschaftslage, daß er einigermaßen gegen den Anstand verstößt. Die Sache ist aber die, daß der Diktator wahnsinnig gern Auto fährt und gar nicht gern zu Fuß geht, obwohl ihm das vielleicht gut täte und seinen Kopf etwas klarer machen könnte. Außerdem spricht mit, daß die beabsichtigte Straße ein augenfälliger Beweis wäre für die enge Verbindung der beiden Faschismen. Am Grunde jeder praktischen Maßnahme und selbst des Wagenverkehrs suche man die rücksichtslose Entschlossenheit eines Regimes, das dauern will.

Daher besteht auch der erste Schub von Arbeitsdienstpflichtigen aus Mitgliedern der herrschenden Partei. Sie sollen die nächsten abrichten. Sie sind dann die Führer, und aus den anderen machen sie Maschinenmenschen im Dienst eines Systems der Gleichschaltung, wo die Arbeit entartet zur Sklaverei.

Lange Zeit stiegen einige durch Arbeit zu Ehrenstellen auf. Viele aber verdankten der Arbeit alle ihre Hoffnungen auf ein gesichertes Dasein und gerechtere Einrichtungen. Es gab eine Auslese von Arbeitern, sie führte ein geistiges Leben, so gut hatten die Gewerkschaften ihre Fortentwicklung organisiert. Ein Netz von Volkshochschulen überzog das Land, und Lehrer, deren Gehalt aus Beiträgen der Arbeiter zusammenfloß, fuhren von einer Industriestadt zur anderen. Der ganze Bienenstock ist zerhauen worden mit Gummiknüppeln.

Denn da die Diktatur nichts schuf und dennoch dauern wollte, mußte sie eben zerstören, was aus den Köpfen anderer stammte. »Den Marxismus verfolgen« bedeutet in Wirklichkeit: unwissende Massen; kein Eigenleben des Volkes wird mehr geduldet; aus ist es mit all seinem Streben nach Glück; und um das Volk über seine Leere hinwegzutäuschen, bleibt nichts, als seine restlose Militarisierung.

Begründete Hoffnungen gibt es nicht, so versucht man es denn weiter mit Vorspiegelungen und mit einer leerlaufenden Begeisterung. Ihrem Auftrieb dienen Feste – in jeder Gestalt, unter den verschiedensten Vorwänden, mit oder ohne Feuerwerk. Im Grunde ist es jedesmal dasselbe, Massen werden geblendet durch ihre Masse. Der Betrug wird ihnen allmählich klar. Die Arbeiter gehen nur dienstlich hin. Wer keine Bescheinigung beibringen kann, daß er dabei war, darf sich darauf gefaßt machen, zu fliegen. Die Unglücklichen müssen ihre Sonntage damit hinbringen, daß sie eingekeilt von einem Fuß auf den anderen treten, daß sie bei Strafe der Verhaftung ihren rechten Arm in die Luft schleudern und Siegheil rufen, auch wenn sie das Gegenteil wünschen.

Die Republik hat so etwas nie von ihnen verlangt. Es mag sein, daß ihr nicht in erster Linie daran lag, durch Zwang zu herrschen. Vielleicht hatte sie auch kein Geld. Die jetzigen Gebieter haben noch weniger. Das stört sie weiter nicht; der Befehl ist ausgegeben, niemals auf das Geld zu sehen, weder bei Festen – noch wenn alle bespitzelt werden. In jeder anderen Sache sind diese Leute unfähig, nur Sinn für die Macht haben sie allerdings. Sie meinen, wichtig sei einzig und allein, die Macht zu behalten.

Ihretwegen braucht dies Land weder Wahrheit noch Gerechtigkeit. Eine geordnete Wirtschaft kann es ebenso entbehren wie gesunde Nerven. Nicht notwendig ist, daß es lebt, aber unerläßlich, daß sie es regieren.

Durchdrungen von diesem obersten Gesetz, veranstalten sie politische Prozesse wegen nicht begangener Verbrechen, ja, sogar gegen unbeteiligte Personen, wie in Sachen des Reichstagsbrandes. »Wir brauchen es noch.« Diese unbefangene Rechtfertigung scheint ihnen vollauf zu genügen. Da sie von jeher über die Novemberverbrecher den verbrecherischsten Unsinn von sich gegeben haben, werden diese Reinheitsfanatiker gewiß nicht verfehlen, die früheren republikanischen Führer wegen Hochverrats aburteilen zu lassen. Inzwischen genießen sie munter ihren eigenen gelungenen Hochverrat.

Ihr kleinbürgerlicher Macchiavellismus verleiht ihnen die Dreistigkeit, öffentlich zwar dagegen aufzutreten, daß die nationalsozialistischen Arbeiterausschüsse ihr Mütchen kühlen an allen anderen Arbeitern. Berufen sich diese aber auf eine solche Kundgebung, dann setzt ihnen der Minister auseinander, die sei nur für das Ausland bestimmt gewesen. Der Trick liegt so nahe, daß man sich höchstens wundert, warum das nicht längst gemacht worden ist.

Wäre alles damit getan, daß man sich an die Macht anklammert, dann hätten sie es geschafft. Leider ist auch noch die Wirtschaft da, und die lahmt etwas, seitdem sie in ihrer Hand ist. Da gibt ihr Geldmangel ihnen denn die widersprechendsten Kunstgriffe ein, um sich welches zu verschaffen. Wenn sie den Besitz ihrer Gegner beschlagnahmen, sieht dies einigermaßen aus, als läge ein dringendes Bedürfnis vor, und nicht nur ein unersättlicher Haß. Natürlich handeln sie dabei, wenn auch einseitig, durchaus im Sinn des vielberufenen Marxismus, dessen unerbittliche Verfolger sie vorgeblich sind.

Immerhin decken die Zwangsvollstreckungen noch nicht den Bedarf; daher versuchen sie es gleichzeitig mit kapitalistischen Mitteln, die nur etwas sonderbar sind. So haben sie sich eine Lotterie ausgedacht, was ein bißchen komisch anmutet, wenn damit Brot und Arbeit beschafft werden sollen für eine ganze Bevölkerung. Es sieht aus, als zweifelten sie, daß eine außerordentliche Einkommenssteuer viel helfen könnte. Andererseits aber versprechen sie den Kapitalisten Straflosigkeit und sogar Prämien, wenn sie ihr Geld aus dem Ausland zurückholen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Kapitalisten sich hüten. Auch die nationalsozialistisch gesinnten werden kein Vertrauen haben, solange die Politik der Regierung den Handel lahmlegt und ihm alle die Länder verschließt, die sie gegen Deutschland aufbringt.

Der Außenhandel-Index sinkt ständig, voriges Jahr um dieselbe Zeit betrug er das Vierfache. Nur die schwerindustriellen Konzerne werden indessen gemästet mit Staatsaufträgen – ganz unproduktiven Aufträgen, denn es handelt sich um Kriegsmaterial. Einer der Führer der Konzerne, der berüchtigte Thyssen, ist Staatsrat geworden nach dem Willen Hitlers, der damit noch sichtbarer macht, wie sehr er die Wirtschaft ausliefert an den schlimmsten Feind jeder Reform. Das ist das Eingeständnis des Diktators, daß Reformen nicht stattfinden werden, solange er selbst noch die Macht hat.

Das Hitlersystem hat sich gleichgeschaltet und läßt weiterhin geschehen, was andere kapitalistische Länder nicht kennen und was ein historisches deutsches Unglück ist: daß einige Kanonen- oder Giftgasfabrikanten und einige bankrotte Großgrundbesitzer die Hand legen dürfen auf eine ganze Nation. Und die wollte er revolutionieren! Er wird sie allerdings revolutionieren, aber ohne es zu wissen und zu wollen.

Der Teil der Besitzenden, der gehätschelt wird zum Schaden aller anderen, kann entweder nicht sehen und glaubt sich immer noch in sicherer Deckung, oder er tut nur so. Schließlich haben grade diese Leute mit ihrem Gelde dies Regime errichtet. Seitdem haben die Vertreter des Regimes notgedrungen darauf verzichtet, irgend etwas auszuführen von den Versprechungen, die sie dem Volke gemacht hatten. Die sozusagen Gemäßigten halten bis jetzt die wichtigsten Stellungen besetzt. Aber es verheißt nichts Gutes, wenn man »gemäßigt« ist, während die Bewegung, in der man drinsteckt, augenscheinlich dem Alleräußersten zutreibt.

Andere beanspruchen ihre Nachfolge. Die rechnen mit der Weltkrise und mit der Hungersnot, die diesem Lande schon auflauert. Man kann sie sich ganz gut vorstellen, wie sie Fragen stellen an die Arbeitslosen und die Unzufriedenen, die auch in den »Stürmen« zahlreich sein sollen. »Nun, was meint ihr dazu, daß Göring sich seine Wohnung für 80000 Mark neu tapezieren läßt?« Die Antwort wird wohl lauten, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung, und sogar ein nationaler, anders aussieht. Wenigstens vor den Ereignissen dachte man ihn sich ganz anders. Solche Dinge werden schon zu oft ausgesprochen. In gewissen Gegenden versammeln sich Tausende, um offen das »Vierte Reich« herbeizurufen, und das wäre einfach der Bolschewismus.

Die Machthaber wissen es sehr wohl und sind gegen alles gerüstet. Verschwörungen zu Fall bringen und es so einrichten, daß sie selbst die Stärkeren sind: wenn sie sonst nichts können, das können sie. Daher haben sie sich auch den Stahlhelm beigebogen, unter dem üblichen Vorwand, er wäre kommunistisch zersetzt. Außerdem glauben sie die Reichswehr zu einem nationalsozialistischen Kampfmittel machen zu können. Wie immer hilft ihnen die Schlaffheit der anderen; aber hier sind es preußische Generäle, und die wären früher anders aufgetreten.

Die bewaffnete Macht der Reaktion soll ihnen beistehen gegen ihre S. A. Denn das sind schließlich Proletarier; das jetzige Regime hat sie radikalisiert, und nach eingetretenen Ernüchterungen könnten sie mit den Kommunisten zusammengehn. Gegebenen Falles würde die herrschende Bande sich nicht lange besinnen, sie ließe schießen auf ihre eigenen Stützen; auch diese sind ihre Opfer.

Der vorauszusehende Aufstand würde sicher im Blut erstickt werden, in sehr viel Blut. Er würde sich aber wiederholen, ja, man müßte Erhebungen künstlich veranstalten, nur um sie niederschlagen zu können. Sonst würde man am Ende hineinschlittern in einen unfreiwilligen Marxismus, eine Art Reflexhandlung, bedingt durch alles, was vorgekommen und was leichtfertig geredet ist. Zu oft hat man, um der Redensart willen, anerkannt, daß »die deutsche Revolution eine sozialistische Revolution ist«. Wenn das Glück es will, kann sie dahin führen.


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