Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Verräter

Zuerst erschienen in »Der Jüngling«, Paul Zolsnay Verlag, München, 1924

Textquelle: Heinrich Mann, Das gestohlene Dokument und andere Novellen. Aufbau-Verlag Berlin, 1957

 

Liane Vanloo ging durch die Halle dem General von Pfaff entgegen.

»Exzellenz, ich muß Sie leider darauf vorbereiten, daß Sie den Herrn Rabener bei uns finden.«

»Bei Ihnen?«

»Er konferiert drinnen mit meinem Mann und Herrn Krall.«

Von Pfaff schwoll rot an. »Nur gut, daß ich schon einen Zylinder trage. Dann kann ich endlich einem solchen Kerl meine private Meinung sagen. Glauben Sie, ich habe Angst?«

»Wie sollte ich? Aber die Schwierigkeit liegt darin, daß er eben kein Kerl ist. Eigentlich gehört er zu uns.«

Frau Krall kam herbei und sagte: »Solch ein Sozialdemokrat gehört überhaupt nie zur guten Gesellschaft. Kommt her und hetzt unsere Arbeiter auf. Mit dem Auto totfahren müßt man ihn dürfen, sagt mein Mann.«

Auch Frau Krall rötete sich. Der General beglückwünschte sie zu ihrer Gesinnung. Die Gräfin Terwang lächelte ironisch. Liane sagte: »Wir haben ihn in Sankt Moritz getroffen. Er war tadellos. Von seiner Tätigkeit wußten wir freilich nichts.«

»Dann sind Gnädigste entschuldigt«, erklärte von Pfaff. Die Gräfin fragte beiseite: »Und wußte denn der Herr, daß Frau Vanloo beim Theater war?«

Da ging die Tür auf. Krall fing, sobald er den General sah, beglückt zu dienern an. Im Vorübergehen flüsterte Vanloo seiner Frau zu: »Nichts zu machen«; aber sie hatte es ihm schon angesehen, sie kannte diese künstliche Spannkraft. Rabener verabschiedete sich. Vanloo drückte mit beiden Händen seinen Arm. »Sie bleiben doch noch? Das Geschäftliche ist fertig, aber wir sind auch Menschen!« Und er führte ihn zum General von Pfaff. Rabener verbeugte sich leichthin, mit müdem Gesicht. Von Pfaff grüßte tiefer, als vorauszusehen gewesen war, ward röter und sagte: »Sehr angenehm.«

Liane trat zu Rabener.

»Wir gehen dieses Jahr ans Meer, in die Nähe von Ostende wahrscheinlich. Und Sie?«

»Sie sehen, wie beschäftigt ich bin.«

Liane unvermittelt: »Ich verstehe jetzt, was Sie mir damals sagten.«

Er wußte es sogleich. »Ich sagte Ihnen, Sie irrten sich in Ihrer Welt. Sie täten unrecht, sich zu Aristokraten und reichen Leuten halten zu wollen. Sie selbst seien so viel vornehmer.«

Liane: »Sie sagten es, weil Sie für das Volk sind und dies für Ihre Vornehmheit halten.«

Und er: »Ich sagte es, weil Sie verstehen, mit der Seele zu leben.«

Sie wandte ein: »Ich war ehrlicher als Sie. Ich gestand Ihnen, daß ich in der Welt meines Mannes nicht geboren sei. Sie aber –«

Er schloß: »Bei Ihnen habe ich einfach vergessen, ich stände im Dienst einer andern, der Partei.«

Drüben zeterte Frau Krall, fett atmend: »Solch ein Streik ist eine glatte Gemeinheit. Geht es die Schufte an, was wir verdienen?«

Vanloo lächelte skeptisch; er hielt dafür, die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn sei nur eine Frage der Zeit. Aber von Pfaff, der fast erstickte, nannte dies gottvergessen. Das Militär sei auch noch da. Krall stimmte ihm begeistert zu. »Da fahren wir drein!« grollte der General; und der Fabrikant dankte ihm mit Hundeblick.

Rabener sah Liane an, aber sie ließ sein Lächeln unerwidert.

»Sie verlangen, ich solle die Leute verachten? Ich tue es nicht; ich würde mich selbst verleugnen. Ich habe meine Klasse gewählt.«

Er sagte: »Auch ich habe die meine gewählt – nicht aber, um blind zu sein für sie.«

»Was wollen Sie also?«

»Ich habe Sie in kein feindliches Lager herüberziehen wollen, sondern zu mir.«

Sie sah nieder, ihr Blick ward starr. Als sie ihn aufhob, gewahrte sie an dem Mann den Ausdruck des angstvollen Leidens, das sie selbst fühlte.

Drüben rühmte von Pfaff den mächtigen Schutz seines kaiserlichen Herrn, und Krall beteuerte, daß nichts sein eigen sei, was er nicht freudig Seiner Majestät hingeben würde. Auch Frau Krall erklärte sich zu allem bereit. Der General lachte freudig; die Gräfin Terwang lächelte ironisch. Vanloo trat weg, er lauschte hinüber nach den beiden, die sich nicht regten. Rabeners Lippen formten Worte; Vanloo las: »Ich liebe Sie.« Er trat näher, beide zuckten auf.

»Wie liebenswürdig von Herrn Rabener«, sagte Liane. »Er hat seine angenehme Aufgabe hauptsächlich doch übernommen, um uns einmal wiederzusehen.«

»Sie ist nicht angenehm«, sagte Rabener; und Vanloo: »Sie ist wohl einfach notwendig. Nicht wir Menschen handeln, sondern die Dinge selbst. Wir sind nicht Feinde, nur Gegner. Sie, Herr Rabener, wissen es wie ich. Darum schlagen Sie uns dieses Zusammensein nicht ab!«

»Aber was wird man in Berlin sagen«, schloß Liane.

»Man wird sagen, was man will«, und Rabener verneigte sich lächelnd, »diesen Streik werden wir gewinnen, und ich verbringe den Abend mit Ihnen.«

Man ging hinauf. Vanloo hielt seine Frau zurück. »Noch einen Augenblick, meine Liebe … Ich muß dich bitten, allein bei unseren Gästen zu bleiben. Ich fahre gleich jetzt nach Köln hinüber, du wirst aber besser vermeiden, es den Leuten zu sagen.«

»Du kommst doch noch in der Nacht zurück?« sagte sie; und da er sich schwer in einen Sessel ließ: »Du bist müde, mein Freund, sie haben dir zugesetzt.«

Ihre schönen Hände ballend: »Ich hasse den Menschen. Jedes Mittel schiene mir erlaubt gegen einen solchen Eindringling.«

Vanloo sah auf, mit geröteten Augen. »Jedes Mittel?«

»Wir machen ihn unmöglich. Seine Leute werden erfahren, daß er bei uns soupiert hat.«

»Aber warum tut er es?«

Sie sah ihm ins Gesicht. Das skeptische Lächeln zitterte darin vor Furcht.

»Mich geht es nichts an«, sagte sie. Er stand auf.

»Liane! Ob wir ihn unmöglich machen oder nicht: der Streik muß morgen früh beendet sein.«

»Er muß?« fragte sie, und sie trat zurück. »Du kannst nicht länger warten? – Deine Fahrt nach Köln wäre so wichtig?«

Er beugte sich vor. Wie er alt aussah! »Sie ist ein letzter Versuch.«

»Wir sind verloren?«

»Leiser! Du bist die einzige, die es nun weiß. Was wirst du tun?«

»Ich?« Bedeutsam: »Uns rächen, ich verspreche es dir.«

Er lachte trocken auf. »Dir liegt an Rache? Mehr als daran, daß das Unglück vermieden wird? Er darf nicht wissen, wie es mit mir steht«, sagte er, schamvoll lauernd.

Sie erschrak und sah weg. »Was willst du sagen?«

»Ich glaube, daß du Einfluß auf ihn hast«; – auch er floh ihren Blick. Dann raffte er sich zusammen. »Wenn meine Worte etwas anderes meinten, als sie zu sagen scheinen, du würdest auch das wissen. Du und ich, wir kennen uns. Du bist meine Freundin.«

Sie gab ihm die Hand. »Verlaß dich auf mich.« Er sagte leichter: »Die Rolle eines gutangezogenen kultivierten Herrn, der die Ansprüche der Proletarier vertritt, ist kaum von hinreichender Romantik, um dich zu überwältigen. Ich verlange nicht, daß sie ohne Wirkung auf dich bleibt. Du sollst wieder einmal spielen. Du Künstlerin!«

»Ich werde gut spielen.«

In ihre Miene spähend: »Vergiß nicht, du hast mein Geheimnis. Gehe gut damit um! Denke an morgen!«

Sie legte den Kopf in den Nacken. »Ich gehöre zu dir.«

Vanloo war fort. Von draußen trat ein Mann in die Halle. Er suche den Herrn Rabener. Gleichzeitig kam Rabener selbst von oben. Hinter seinem Rücken entfloh Liane über die Treppe. »Herr Fritzsche? Ein Telegramm?« sagte Rabener. Er las es und schob es in die Tasche. »Warum bringen Sie es selbst heraus?«

Der Mann drehte seinen Hut, er sah Rabener von unten scheel an.

»Nun, es kommt doch wohl aus Berlin?«

»Aber es ist nicht, was Sie glauben. Es geht nur mich an.«

Darüber habe er so seine Vermutungen, sagte der Mann; und keifend: »Die Leute wollen morgen wieder arbeiten. Ach was, Parteivorstand: das sind doch nur Sie. Damit Sie berühmt werden, sollen wir hier hungern. An die Partei soll ich denken? Die Partei wird ruiniert. Die Leute hören schon nicht mehr auf mich. Ist es auch ein Wunder? Wenn sie doch hungern!«

»Leiser!« verlangte Rabener, aber der Mann ward noch lauter:

»Hungern einmal Sie! Dann vergeht Ihnen der Kitzel.«

Da zeigte ihm Rabener den Herrn.

»Gehorchen Sie!«

Sofort fuhr der Mann zusammen.

»Zu Befehl.«

Rabener brachte ihn hinaus, er flüsterte: »Einen Tag noch! Er hält sich nicht, er muß nachgeben. Ich bin meiner Sache sicher.« Der andere knurrte: »Sie reden. Ich werde zum Teufel gejagt werden, und zwar von ihm und von den Arbeitern.«

Liane beugte sich droben über die Treppe, sie waren fort. Inzwischen aber kamen die Gäste hervor. Krall mit Frau, die Gräfin und der General, alle auf einmal wollten gehen, denn die Nacht rücke vor und die Hausfrau scheine beschäftigt. Liane bat flüchtig um Entschuldigung. »Was für ein Tag! Mein Mann ist plötzlich fort, mit Herrn Rabener, glaube ich.«

»Ja, wenn auch Herr Rabener fort ist!« bemerkte Frau Krall. Und die Terwang, ironisch: »Ein Mann, nicht wahr, wie Sie ihn gewöhnt waren beim Theater.« Wohingegen von Pfaff sich entrüstete, weil Vanloo zu weit gehe in seiner Güte für jenen Hetzer. Krall befürchtete sogar, Vanloo schließe einen Sonderfrieden. Liane versuchte zu beschwichtigen. Jeder der Herren sei vielleicht allein fort. »Oder einer ist noch hier«, sagte sofort die Gräfin; und Frau Krall: »Man wird sehen – morgen.«

»Also auf morgen«, sagte Liane und ließ den Diener die Tür öffnen.

»Drehen Sie das Licht ab! Lassen Sie es nur dort bei den Palmen brennen! Bringen Sie Tee! – Herr Rabener, Sie nehmen doch den Tee mit mir?«

Denn wie sie noch sprach, stand Rabener da.

»Es ist noch früh«, setzte sie hinzu. »Mein Mann läßt sich entschuldigen. Die Umstände zwingen ihn, noch zu arbeiten.«

Dann schwiegen sie. Liane horchte. »Es regnet. Wie man sich plötzlich sonderbar allein fühlt! Sie hatten einen nächtlichen Besuch, der aufregend schien. Sie führen eigentlich ein romantisches Leben.«

»Ihr Gemahl ist in seinem Zimmer«, erwiderte er. »Hoffentlich erlauben die Umstände ihm, zu schlafen?«

»Glauben Sie denn, der Streik nehme ihm den Schlaf? Er hat gewiß Ärgeres gesehn.«

Er sah sie an. »Sie vor allem haben Ärgeres gesehn.« Eine Pause; dann gestand sie:

»Es ist wahr, ich habe viel gekämpft.«

»Sie haben um Rollen gekämpft und um das Leben, mit Kollegen, Liebhabern, mit dem Publikum. Zuerst beanspruchten Sie Ruhm und Glück, später nur noch Vergnügen und Ruhe. Sie haben erfahren und waren immer allein.«

Langsam sah sie auf. »Das alles wissen Sie?«

»Ich weiß mehr. Sie haben sich verachtet. Ihr Dasein haben Sie für unedel gehalten und zu denen aufgeblickt, die im ruhigen Besitz waren. Als Ihr Mann Sie heiratete, machte die plötzliche Karriere einer Abenteurerin Ihnen Staunen.«

Sie verzog den Mund. »Nicht für lange.«

»Nein. Denn hier sahen Sie alsbald die Stumpfheit der Reichen und das verkümmerte Innere der Herren, sahen die Schande eines Bündnisses, worin die Besitzenden, aus Angst um ihr Geld, sich demütigen vor den Mächtigen, und die Mächtigen, um sich noch zu erhalten, ihnen als Schergen dienen. Sie erkannten, daß hier die Welt eng und am Ende sei.«

»Sie sind grausam« – und sie wandte sich ab. Er neigte sich über ihre Hand.

»Nur Ihre Hand sehe ich und weiß schon um all die Sehnsucht, die sie so schön gemacht hat. Sehnsucht allein macht vornehm. Sich selber fragwürdig finden, heißt steigen. Die Welt der Zufriedenen ist nicht Ihre.«

Sie stand auf, sie hob die Schultern: »Wollen Sie von sich behaupten, Sie seien bei den Proletariern daheim?«

Er folgte ihr. Sie lehnte die Stirn an die große Scheibe, er sagte:

»Ich könnte behaupten, daß diese Proletarier mit ihrem Ziel, den Söhnen oder Enkeln ein spießiges Wohlleben zu erobern, immerhin die einzigen sind, die für irgendeine gemeinsame Zukunft arbeiten. Von uns andern lebt jeder nur dem Augenblick und sich selbst. Wie das müde macht und leer! Alle Bildung, die wir erwerben, aller Geist, den wir hervorbringen, versickert in unseren Herzen, wie in dürrem Sand. Werden nicht einst alle Menschen geistiger sein und gütiger? Nur in denen, die kämpfen, kann die künftige Menschheit sich vorbereiten. So habe ich hinter dem heutigen schlackenhaften Volk schon das reinere von später heraufkommen gesehen und habe mich in die Reihen derer gestellt, die ihm den Weg bahnen.«

Sie fragte: »Dort sind Sie nun glücklicher?«

Er sagte: »Ich habe lieben gelernt. Jetzt scheint das alles mir nur ein Umweg zu Ihnen.«

Sie lachte auf, ohne ihn anzusehen. »Die Natur ist umständlich. Welt und Menschheit werden bemüht, damit Sie ein Abenteuer mit einer Fabrikantengattin haben.«

Er griff nach ihrer Hand.

»Liane! Sie lästern, und Sie wissen es. Sie wissen, daß Ihre Welt und meine, daß alles hinter uns zusammengesunken ist. Wir sind allein, sind einander ausgeliefert, und müssen uns lieben.«

Die Finger verschränkt wie zum Ringen und Gesicht an Gesicht: mit welchem wilden Ernst drangen sie ineinander ein durch den Abgrund der Lider!

»Wir sind Feinde«, stieß sie hervor. »Wir kennen uns. Sie begehren mich, um mich zu vernichten.«

Und er: »Sie haben mich verführen wollen, meine Sache zu verraten. Denken Sie noch daran?«

Sie machte sich los. »Mein Gott! Ich sollte die Ihre sein und morgen –«

»Was ist morgen?« Er richtete sich auf. Sie fürchtete, das Geheimnis ihres Gatten schon preisgegeben zu haben.

»Nichts«, sagte sie beherrscht. »Noch ein Streiktag, nicht wahr? Die Welt geht weiter nach unserem Abenteuer.«

Er trat einen Schritt zurück, er bekam eine Rednerstimme: »Der Streik ist meine Sache, nur meine. In dieser meiner Hand halte ich die Arbeiter. Mir glauben sie. Mit mir gehen sie bis an das Ende, mit mir werden sie siegen.« Seine Stimme ward heiser. »Wollen nun Sie, daß ich hingehe und verrate: alles, meine Sache und Ruf und Leben selbst?« stammelte er noch.

Sie sah ihn an, besinnungslos, wie blind. »Tu's! Ich hasse dich.«

Er sagte prüfend: »Ich kann den Streik beenden, gleich jetzt, in der Minute.«

Er griff in die Brusttasche – zog die Hand zurück, wich bis zur Tür. Sie stürzte ihm nach, den Arm voran, tragödinnenhaft. Sie riß ihn an sich.

»Nein! Ich liebe dich. Du sollst nicht untergehen durch mich. Laß mir, mir den Verrat, ich bin eifersüchtig auf deinen Verrat. Willst du wissen, was ich verraten kann? Wir sind verloren. Noch ein Tag, und wir sind verloren.«

»Dein Mann ist –?«

»Ja. – Er ist nicht zu Hause. Kommt er zurück, wird es entschieden sein. Du siegst. Nun geh und sag's ihnen.«

Sie ließ ihn los. Seine Miene leuchtete auf, er ging schnell zur Tür. »Ich hatte recht« – und er trat hinaus.

Da traf er ihren Blick, der an ihm haftete, ihn zurückholte, der ihm tiefer schien als Sieg oder Verrat, tiefer als das Leben.

»Was willst du?« rief er. »Du hast geglaubt, jetzt werde ich hingehen und dein Geständnis ausnützen? Du hast es mir gegeben wie ein Liebeswort, und ich soll ein Geschäft damit machen?«

Er lag zu ihren Füßen, er küßte ihre Hände. Sie sprach über ihn hinweg. »Das ist nun gleich. Ich gehöre dir, was gehen die Leute hier mich noch an.«

»Und was mich die Leute dort!«

Liane klammerte sich fester an.

»Du hast mir die Frucht von acht Jahren der Arbeit und Selbstzucht geraubt. Was bin ich nun. Deine Geliebte, und will nichts weiter.«

»Ich will dich lieben.« Als risse er sie in sich hinein: »Ein Herz füllen, das ist mehr Liebe, als ein Volk erlösen. In deinem Herzen habe ich alles Dunkle unseres Geschlechts und all seine Größe, habe Eigensucht und Verrat, Glut und Ewigkeitsdrang. Für immer! Du!«

Liane aber: »Du! Nur du bist mir gleichberechtigt, ich kenne nur dich. Es ist dunkel, alles andere ist gestorben. Liebe mich! Ich habe dir die Meinen verraten. Morgen wirst du mich verderben.«

Er, auflodernd: »Nein! Ich bin's, der zum Verräter wird für dich.«

Sie, versinkend: »Wir wissen nichts als diesen Augenblick!«

 

Sie schraken auf, Schritte nahten. Liane schaltete das Licht aus. Sie schob ihn aus der Tür. Kaum konnte sie selbst noch fliehen; der Diener, verschlafen, in der Weste ohne Rock, schlich durch die Halle, wandte sich um, horchte.

Es dämmerte. Vanloo betrat die Halle. Liane kam ihm schon entgegen.

»Nun?« fragte sie. Der Diener trug Hut und Mantel fort, Vanloo fiel schwer in den Sessel.

»Nichts«, sagte er; und aufblickend, schwer: »Aber du?«

»Ich weiß nichts«, sagte sie hastig. »Er ist gegangen, ohne daß er sich entschieden hat.«

Und der Gatte, sie prüfend:

»Sollte er es jetzt noch wagen, den Kampf fortzusetzen?«

Sie errötete. »Warum jetzt nicht mehr?«

»Er hat sich bei uns kompromittiert«, sagte er und errötete auch. Dann schwiegen sie. Vanloo legte die Stirn in die Hände, Liane stand reglos daneben. Regen fiel in die Stille. Vanloo stöhnte auf. »Was für eine Nacht!«

Er enthüllte seine geröteten Augen, er lächelte verächtlich.

»So sehen Zusammenbrüche aus!«

Kopfschüttelnd: »Ich kannte das alles nicht. Mein Vater, mein Großvater hatten für mich gekämpft. Dieser Krall würde sich wohl anders benehmen. Verzeih mir!«

»Mein Freund«, murmelte Liane.

»Auf dich«, sagte er mit Selbstüberwindung, »hatte ich mehr gerechnet als auf mich.«

»Wie denn« – und sie trat zurück. Sein Blick ward trübe.

»Um ihn zu beseitigen. Ich sah, daß er dich liebt.«

Sie schwieg. Er begann wieder:

»Und da ich tief überzeugt bin, daß du diese Dinge weit hinter dir hast –. Was sollte dir solch ein Rausch. Du bist doch angewiesen, nicht wahr, auf Überlegenheit, auf vornehmen Frieden.«

Er forschte angstvoll. Sie blieb reglos. Plötzlich erschlaffte er.

»Nein. Ich war nicht überzeugt. Ich war deiner nicht sicher, als ich dich zu ihm schickte.«

Er wandte sich ab.

»Du bist aus einer anderen Welt, von einer fremden Rasse.«

Er lauschte. Da sie weiter schwieg, sank er noch mehr zusammen.

»Vielleicht war ich dir niemals gewachsen. Jetzt jedenfalls bin ich auf alles gefaßt. Sprich doch!« rief er, und seine Stimme überschlug sich. »Hast du nicht gefunden, dies sei der Augenblick, mich zu verraten?«

Er warf sich herum: sie zuckte zusammen. Aber ihr starrer Blick ging über ihn hinweg, durch die Scheibe ins fahle Frühlicht. Er sagte grabend:

»Du glaubst doch nicht, ich habe dich aus Unwissenheit der Versuchung entgegengeschickt. Auch nicht aus Verworfenheit. Vielleicht aus Verachtung. Da mir schon alles zusammenbrach, sollte auch das noch fallen, was schon wankte. Du solltest die Wahl haben, mich zu verraten oder mich zu retten.«

Sie sagte, von dort oben: »Ich wollte dich retten.«

Er haschte nach ihrer Hand, er zitterte, seine Stimme flog.

»Ist es wahr? Ist es wahr?«

»Aber es ist anders gekommen«, sagte sie.

»Weil er gemein ist, nicht wahr? Weil er zuviel wollte?«

»Denn du deinerseits gehst nur bis zu einer gewissen Grenze«, sagte sie. Er erwiderte: »Wo ist in unserem Leben das Grenzenlose. Hast du es bei ihm vermutet? Nun sieh, so begrenzt war seine Liebe, daß nicht einmal dein Vertrauen ihn hochherzig stimmen konnte.«

Da fuhr sie herum. »Wie denn? Welches Vertrauen?«

»Du hast ihm mein Geheimnis gesagt. Du hast es ihm doch gesagt? Du wußtest, daß du es tun mußtest.«

Sie schrie auf: »Nein!«

»Natürlich wußtest du's. Wozu hatte ich es dir erzählt? Damit du hingingst und ihn beschämtest. So sind wir, so ist das Leben. Wir hatten uns verstanden.«

»Nein! Nein!«

Sie spreizte die Hände, in ihren Mienen jagten sich Abscheu und Angst. Da kamen Schritte die Terrasse herauf, in der Tür erschien der Fabrikant Krall.

»Sie sind auf?« rief er. »Dann wissen Sie also das Neueste? Die Kerle arbeiten wieder.«

Vanloo sah Liane an: sie griff sich ans Herz – und dann ging unaufhaltsam ein stolzes Lächeln über ihr Gesicht. Mein Geliebter, fühlte sie, hat alles mir hingegeben, hat sich verraten an mich.

»Sehen Sie denn nicht, was bei Ihnen los ist?« sagte Krall. »Seit einer Stunde stehe ich im Regen vor meinem Werk, weil Herr von Pfaff mir versprochen hatte, heute wird Schluß gemacht mit dem Pack. Ich traue meinen Augen nicht, da gehen sie friedlich zur Arbeit. Ihnen macht das aber wenig Eindruck«, sagte er zu Vanloo.

»Ich bin müde, oder vielmehr, diesen Ausgang hatte ich vorausgesehn« – und Vanloo erhob sich. »Kommen Sie, ich will mich überzeugen.« Aber er sah jemand eintreten.

»Herr Fritzsche? Sie wollen mir wohl sagen, daß wir uns wieder versöhnen.«

»An mir hat es nicht gelegen, Herr Vanloo« – und der Mann schlug sich an die Brust. »Gestreikt muß wohl mal werden, das werden Sie ja einsehn, es ist wegen der guten Gesinnung. Aber dann muß auch wieder gearbeitet werden.«

»Sehr richtig«, sagte Krall.

»Wir wollten alle schon längst, ich besonders. Nur der Herr, den sie uns aus Berlin geschickt haben, ist schuld« – und der Mann schüttelte die Faust.

»Es war sein Amt«, sagte Vanloo.

»Nein, war es nicht. Die Partei ist sich ihrer Verantwortung bewußt, bloß der Herr Rabener nicht. Wie gestern abend der Befehl gekommen ist, die Arbeit wieder aufzunehmen, wissen Sie, was er da getan hat? Das Telegramm hat er in der Tasche behalten.«

»Das ist ja ein Schuft!« rief Krall. Die drei Männer traten aufgeregt zueinander: sogar Vanloo hob die Arme. Sie gingen gemeinsam fort. Vanloo sah wohl, daß Liane, an die Wand gelehnt, sich mit Mühe aufrecht hielt; aber er ging.

... Als sie endlich aufsah aus ihrem Sessel, stand Rabener da. Sie erhob sich streng. Sie sahen sich an. Er brachte hervor:

»Ich bin gekommen, mir mein Urteil zu holen.«

Sie nickte. »Der Streik war schon beendet, und Sie wußten es schon, als Sie sich noch eines Einflusses rühmten, dessen niemand mehr bedurfte.«

Seine Brust arbeitete.

»Ja, ich habe Sie betrogen. Ich habe vorgegeben, Ihnen alles zu opfern, alle zu verraten – und ich vermochte schon nichts mehr, nichts, als Sie zu lieben.«

»Ein Komödiant hat mich überlistet«, sagte sie. »Was weiter. Ich nehme mich zurück, nichts ist geschehn.«

»Nein! So denken Sie nicht. Sie wissen: hätte es noch in meiner Macht gestanden, den Verrat zu begehen, ich hätte ihn begangen.«

Sie hob die Schultern; dringlicher sagte er:

»Sie haben gefühlt, daß ich ehrlich war mitten im Betrug, daß ich Ihnen mein Leben darbrachte. In Wahrheit waren meine Welt und Ihre, war alles hinter uns versunken.«

Plötzlich neigte sie das Gesicht auf die Brust, er sah sie lautlos schluchzen.

»Liane!«

Sie drängte ihn sanft zurück. »Lassen Sie! Ich darf nicht über Sie richten. Ich verstehe Sie. Auch mein Verrat war falsch. Ich hatte den Auftrag bekommen, Ihnen das Geheimnis meines Mannes preiszugeben, um Sie zu rühren.«

Da er zurückwich, beschwor sie ihn:

»Jetzt verachten Sie mich? Aber auch ich hatte alles vergessen und fühlte nur noch Sie und mich in dem Dunkel dieser Nacht, als sollte es sich nie mehr lichten.«

»Ich weiß«, sagte er. »So habe ich's erlebt, Liane! Wir gehören dennoch zueinander.«

Sie schüttelte langsam den Kopf.

»Aber das Dunkel hat sich gelichtet, und wir gehören zu sehr zusammen, durch unsere Listen, unsere Vorbehalte. Ohne Selbsttäuschung sehen wir uns nun wieder, jeder in seiner Welt, die eine Zuflucht ist vor dem anderen – und sagen uns Lebewohl.«

Er rang die Hände.

»Das können Sie glauben? Wir lieben uns doch! Was bedeutet alles andere!«

»Nein«, sagte sie. »Wir lieben uns nicht. Wir haben mehr gewollt als solch eine Liebe. Wir wollten etwas Ungeheures. Jetzt könnten wir uns nichts mehr geben als Bitterkeit.«

Da senkte er den Kopf.

»Leben Sie wohl«, sagte sie, Wort für Wort.

Er fuhr auf, sein Blick flog wirr über sie hin, über ihr Haar, ihre Arme, dies verlorene Gesicht.

»Nie mehr?« sagte er, indes er schon ging. »Sie werden mich zurückrufen.«

Noch bei der Tür suchte er nach einem Wort, sich anzuhalten.

Sie sah ihm starr nach, schon von so fern; da überschritt er die Schwelle.


 << zurück weiter >>