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Ehrenhandel

Zuerst erschienen in »Bunte Gesellschaft«, Albert-Langen Verlag, München, 1917

Textquelle: Aufbau-Verlag, Berlin, 1953. Heinrich Mann, Novellen, II. Band

 

I

Als es zwei war und die Freunde alles, was Lukas Bols ihnen zu bieten hatte, mehrmals durchgekostet hatten, kamen sie unerwartet in Streit, niemand begriff warum. Siebert hatte unehrerbietig von einer Dame gesprochen, von der kein Mensch anders als unehrerbietig sprach. Er und Michelsen wurden handgemein. Michelsen spie auf einen Fleck am Boden, wo gerade Sieberts Gesicht lag. Die anderen behaupteten, Siebert sei beleidigt, und ruhten, mit der Hartnäckigkeit der getrunkenen Liköre, nicht eher, als bis er selbst es merkte. Beide Gegner zappelten und keiften vor Erbostheit, und die Bar ward rasch geschlossen.

Draußen einigten sich, nach lebhaften Verhandlungen, die drei Unbeteiligten dahin, daß nur ein Duell die Ehre retten könne. Siebert und Michelsen wollten sofort aufeinander los. Nachdem sie getrennt waren, lehnte sich Max Wiese gegen ein Haus und philosophierte, unterbrochen vom Schluckauf. Keinem Kulturmenschen könne zugemutet werden, er solle einen anderen abstechen. Er behaupte daher, in Frage komme bei hochstehenden Individuen, wie Michelsen und Siebert, nur ein amerikanisches Duell.

Doktor Libbenow trat für die Romantik der blanken Waffe ein. Da er aber über den Rinnstein stolperte und umfiel, kam er nicht genug zur Geltung.

Im Café gingen sie alle hintereinander und gemessenen Schrittes auf das Billard zu. Leopold Wiese hatte das größte Schnupftuch und knüpfte es zu einem Sack, mit dem er selbst und Brand sich zu schaffen machten, indes Doktor Libbenow, auf sie gestützt, die Arme ausbreitete und immerfort nach Michelsen hinüberrief: »Nicht hersehen!« Siebert war einen Augenblick hinausgegangen. Als sie fertig waren, entfernte sich Brand, um ihn hereinzuholen, mußte aber melden, Siebert könne noch nicht. Michelsen rauchte, hielt sich sehr stramm und sah mit Anstrengung auf die Tür. Wie Siebert eintrat, ganz weiß, mit sauer verzogenem Mund und feuchten Spuren auf Gesicht und Kleid, musterte sein Gegner ihn höhnisch. Siebert erwiderte den Blick, so stolz er konnte, und rief nach einem Kognak. Dann ward ihm der Sack hingehalten, und mit der rechten Hand griff er hinein, während die andere das Gläschen an den Mund hob. Dann gewahrte er in Michelsens Hand eine helle Billardkugel und in seiner eigenen eine dunkle und hörte sich von Doktor Libbenow verkünden, das dunklere Los sei sein. Und dann trank er, froh, daß man ihn ließ, seinen Kognak.

 

II

Gegen Mittag saß Siebert auf seinem Bett und dachte über seine Kopfschmerzen nach. Als den Ort, wo er sie sich geholt haben müsse, brachte er Bols heraus, und plötzlich fiel ihm ein, daß er nicht mehr und nicht weniger als ein zum Tode Verurteilter sei. Er bekam einen Schreck und dachte fast gleichzeitig: ›Ach, Unsinn.‹ Darauf: ›Die anderen haben es sicher nur scherzhaft gemeint und es überdies schon vergessen.‹ Ganz fest stand dies nicht. ›Das Albernste ist der Anlaß, dieses kleine Ferkel von Melanie. Wie kommt Michelsen dazu, sich plötzlich für sie ins Zeug zu legen. So betrunken darf kein Mensch sein. Ich will ihn milde beschämen, indem ich ihn daran erinnere. Und wenn er trotzdem so tun will, als sei etwas Ernstes vorgefallen, dann muß man ihn eben aufgeben, dann ist er kein gebildeter Mensch. Aber zur Premiere heute abend kommt er hoffentlich. Die sechs Mark für das Billett muß er mir jedenfalls ersetzen.‹

In ziemlicher Unruhe ging Siebert aus. Er hatte das Bedürfnis, Michelsen zu sehen, vor allem einmal sein Gesicht zu sehen, und dann ihn zu erforschen wegen der sechs Mark und des übrigen. Im Restaurant traf er ihn nicht mehr, obwohl es noch nicht ein Uhr war. Die anderen von gestern waren auch schon weg, was ihren Gewohnheiten durchaus entgegen ging; und so aufgeräumt Siebert sich den anwesenden Bekannten zeigte, insgeheim beklemmte ihn etwas, und er mußte sich fragen: ›Wenn die hier von der Geschichte wüßten, wie würden sie dann sein gegen mich? Ich bin doch in einer ganz eigenen Lage.‹

Sinnend begab er sich zu seinen Geschäften. Von weitem schien es ihm, als käme von Lietzmann Söhne Max Wiese heraus und verschwinde auffallend rasch. Es war nicht sicher; aber kurz danach war nicht zu verkennen, wie Brand, um Siebert zu umgehen, in die Passage einbog. Sieberts Beklemmung nahm zu. Er ging mehrmals an Michelsens Haus vorbei und betrat es schließlich, hinunterschluckend. Das erste, was er hörte, war Michelsens Stimme, drinnen am Telefon. Der Kommis dagegen sagte, der Herr sei nicht da. Siebert wollte ironisch lächeln; das Lächeln fühlte sich aber verzerrt an.

Draußen empfand er leichte Betäubung. ›Was dem Menschen alles zustoßen kann. Da soll sich noch einer auf die Polizei verlassen!‹ Instinktmäßig kehrte er in seine Wohnung zurück, und als er die Zimmertür zugezogen hatte, blieb er, den Hut auf dem Kopf, davor stehen und sagte laut: »Sind die denn sämtlich verrückt? Einen zu behandeln, als ob man in Wirklichkeit fertig wäre. Das ist doch ein einfacher Unfug!« Er ward jäh von Wut erfaßt und begann, in seinem stillen Gemach mit den Füßen zu trampeln, wie er tat, wenn er an der Börse verloren hatte.

Dieser Entladung folgte tiefe Niedergeschlagenheit. Es fiel ihm ein, Michelsen sei Vizefeldwebel. ›Das beeinflußt doch den Charakter. Mit so was geht man um und glaubt, es sei ein gebildeter Mensch, und dann ist es der reine Wilde. Wenn er wenigstens nicht so viele Zeugen hätte. Sonst könnte ich sagen, es sei alles nicht wahr, oder die dunkle Billardkugel habe nicht ich gezogen, sondern er. Ich hätte mich weigern sollen.‹

Er stöhnte lange über den unbegreiflichen Mangel an Geistesgegenwart, vermöge dessen er sich hergegeben hatte zu dem Duell. ›Nun verlangen sie, daß ich mich umbringe; und wenn ich mich drücken will, reden sie die Sache herum. Das geht nicht.‹ Er sah schon alle seine Freunde vor ihm ausreißen, die Bekannten, wo er eintrat, ihm den Rücken drehen und in einem Salon die Damen sich bei seinem Erscheinen etwas Spöttisches zutuscheln. Dieses letzte ertrug er nicht und lief händeringend durchs Zimmer. ›Dann muß es also sein! – Daß ich einmal so einen Entschluß fassen würde, dachte ich nicht. Aber sie wollen es nicht anders. Man lernt die Menschen kennen. Es macht ihnen Spaß, mich in den Tod zu treiben, das ist das Neueste. Komisch, es wird schon förmlich still um mich her.‹

Er begab sich vor den Spiegel und sah sich, tief mitleidig, das Opfer der Menschen darin an. Er hatte blanke, unschuldige Augen, die Kehle war ihm etwas zugeschnürt, und er lächelte sich verzichtend zu. ›Wirken muß es fein, besonders auf die Damen. So anständig benimmt sich nicht jeder. Morgen gehe ich zu Lietzmanns. Das letztemal hat die Vicki sich beim Kotillon über mich mokiert, weil ich etwas Naives gesagt hatte. Das Mädel soll schon merken, daß ich gar nicht so harmlos bin, sondern eine tragische Figur!‹

Er überlegte auch, was er am dritten Tag (denn drei Tage Frist schienen ihm üblich) anfangen sollte. Vielleicht ein glänzendes Essen, ganz für sich allein. Da es auf eine Indigestion in seinem Fall nicht mehr ankam, konnte er endlich so viel Hummersalat und Chablis zu sich nehmen, wie er mochte. Die Gelegenheit war einzig. Er wies sie dennoch, der Vornehmheit seines Geschickes zuliebe, von sich. ›Das war kein schöner Einfall, Hugo. Ich will fast gar keinen Alkohol trinken, denn meine jetzige Blässe steht mir gut.‹

Er wählte eine zu ihr passende Krawatte und machte in einer offenen Droschke eine Fahrt durch die Stadt und vors Tor, um von der Welt Abschied zu nehmen. Er hatte ihr gegenüber das Gefühl des Gewachsenseins. Die gutgehenden Fabriken draußen imponierten ihm nicht mehr so; die Hast des Lebens dort rührte ihn. Er gedachte Michelsens, und auch Michelsen rührte ihn. Am Abend bei der Premiere – neben ihm blieb Michelsens Platz leer – erklärte er wiederholt, das Interesse an solcher Spielerei habe etwas Kindliches. Da er gedämpft sprach und ein eigen stilles Lächeln zeigte, fragte man ihn, ob er leidend sei. »Oh, das wird bald vorüber sein«, sagte er sanft. In größerer Gesellschaft besuchte er nachher Lokale, blieb aber völlig nüchtern, überblickte mit der Weihe des Vollendeten den unedlen Zustand der Gefährten und lag schließlich, sich heiter bewundernd, auf seinem Lager, das ihm besonders rein vorkam.

Den ganzen nächsten Tag langweilte er sich. ›Man ist doch schon recht abgeschieden von den Menschen, innerlich.‹ Aber am Abend, wie er bei Lietzmanns eintrat, sah er Michelsen zusammenzucken. ›Er hat nicht gedacht, ich würde kommen. Für so stark hielt er mich nicht.‹ Brand, Max Wiese und Libbenow gaben ihm die Hand, machten dabei aber Bewegungen, als rängen sie sich los. Siebert sah ihnen, milde durchdringend, in die Augen. Als er wieder einmal einem Frager antwortete: »Oh, das wird bald ganz vorüber sein«, begegnete er aus nächster Nähe Michelsens Blick, und Michelsen wich betreten aus. Noch mehrmals traf er ihn an seinem Wege, und Michelsen horchte sichtlich auf das, was er sagte; auch auf das, was er zu Vicki Lietzmann sagte.

»Haben Sie schon mal daran gedacht, gnädiges Fräulein, daß eigentlich jedem Menschen ganz anders zumut ist oder wenigstens manchem? Und daß alle zu ganz verschiedenen Zeiten sterben müssen?«

»Sind Sie naiv!« bemerkte das junge Mädchen.

Siebert dachte: ›Arme kleine Gans. Michelsen lächelt nicht die Spur, er weiß, wie blödsinnig ernst die Sache ist.‹

Auch Frau Claire Fichte lächelte nicht. Sie sagte zu Siebert:

»Sie sind tief. Oh, wie sehr vermißt man in all dem oberflächlichen Treiben die Tiefe.«

Und sie zog für Siebert ein Stühlchen dicht neben sich. Sie war eine gepflegte Dreißigerin und durchaus nicht für jeden zu haben. Siebert merkte bald mit Sorge, wie seine interessante Blässe verlorenging. Doch blieb Frau Fichte noch ebenso freundlich. Später – und nicht vom Wein berauscht, sondern von Frau Fichte – hielt er eine Rede, worin vorkam: »Es freue sich, wer noch atmet im rosigen Licht« und »Morituri te salutant«. Dabei sah er Frau Fichte an, die es nicht auf deutsch wußte und behaglich lächelte – und sodann Michelsen, der sein Glas umstieß.

Der dritte Tag brach herein, ›immerhin der schwierigste‹, dachte Siebert schon früh im Bett und spürte Kneifen im Unterleib. ›Aber gemacht wird es, und übrigens ist vorher noch manches andere zu erledigen.‹ Er blieb daheim und machte sein Testament. Dabei bemerkt man, wen man liebhat. Er gewahrte auf einmal in sich ein großes Wohlwollen für Michelsen. ›Armer Kerl, gestern hat er wirklich schlecht abgeschnitten. Die Todgeweihten sind eben feiner.‹ Er vermachte ihm ein Dutzend neuester Londoner Krawatten. ›Wenn ich eine chronische Krankheit hätte und erst in drei Monaten stürbe, könnte er sie nicht mehr tragen. Da ich aber schon heute abend –. So hat alles seine gute Seite.‹

Als das Letzte geordnet war, entstand die Frage: ›Soll ich erst noch etwas essen? Wozu? Wenn man aber doch Hunger hat!‹ Und er ward inne, daß er es vorziehe, noch oftmals gemütlich zu Abend zu essen. ›Als gesunder Mensch einfach um die Ecke gehen – das gibt's doch gar nicht. Ich habe übrigens kein Talent zu so etwas. Weiß ich, ob mein Revolver auch schießt? Wenn man ihn hier in der Stadt probieren will, wird man eingesteckt. Und wenn er losgeht, wie leicht kann man sich fürs ganze Leben unglücklich machen. Dabei war gestern der alte Lietzmann sehr nett, und Vickis schnippisches Wesen ist vielleicht auch bloß ein gutes Zeichen? Bei solchen Aussichten wäre man doch zu dumm. Überhaupt: wenn ich es ernstlich vorgehabt hätte, dann hätte ich viel mehr Angst haben müssen. Ich kenne mich doch. Die andern können es im Grunde auch gar nicht von mir erwarten, oder sie sind naiv. Für Michelsen wäre es sogar riesig unangenehm. Er hat mehr Angst als ich! Das ist gewiß. Es schadet ihm aber nichts.‹

Und er beschloß, Michelsen noch ein wenig zu ängstigen dadurch, daß er sich tot stellte, ohne Spur verschwand. Freudig packte er seinen Koffer. Inzwischen kam ein Billett von Frau Claire Fichte, sie sei heute abend für ihn zu Hause. ›Sie hat es eilig‹, dachte er. ›Ich aber auch.‹ Er überlegte: ›Den Nachtzug erreiche ich trotzdem noch.‹ Und er ging hin. Beim Besteigen der Droschke sah er Michelsen in der Nähe seines Hauses umherstreichen; und als er, ein beglückter Mann, von Frau Fichte heimkehrte, machte Michelsen noch immer dieselben zwanzig Schritte. ›Er paßt wohl auf, ob er es knallen hört?‹ dachte Siebert, immerhin peinlich berührt. ›Kann einer so blutdürstig sein!‹ Er ließ sein Gepäck unten im Hause durch das Restaurant hindurchtragen, und dann benutzte er selbst den Seitenausgang des Gastzimmers. Bevor er abfuhr, lugte er um die Hausecke und stellte fest, daß Michelsen noch immer die große Tür im Auge hielt. In seinem Coupé bedachte Siebert, und rieb sich die Hände, wie sehr ihm sein Streich gelungen sei. ›Zunächst spinnt sich nur ein Stück Romantik um mich; Vicki wird noch bittere Tränen um mich weinen. Claire wird es, glaube ich, für sich behalten, daß sie mich lebendig gesehen hat. Wenn ich dann wiederkomme, habe ich alle hineingelegt, was erst recht Effekt macht; und wer es übelnehmen will und von mir verlangt, daß ich wirklich tot bin, dem darf ich wohl bemerken: Da lachen ja die Hühner!‹ Und mit stets neuer Befriedigung wiederholte er: ›Der arme, gute Michelsen!‹

 

III

Michelsen war von falscher Scham verhindert worden, seinem Gegner gleich am ersten Tage zu erklären, daß er ihn lieber dem Leben erhalten sehe. Als Vizefeldwebel erfüllte dieser Schritt ihn mit Bedenken. Als Mensch scheute er sich, größere Besorgnis zu verraten als das Opfer selbst und durch Gemüt aufzufallen. Er vermied, voller Verlegenheit, jede Begegnung und hoffte: ›Er wird doch selber Verstand genug haben.‹ Ganz sicher war dies nicht – und Warten und Zweifel hatten Michelsen bis zum Abend des zweiten Tages schon so erregt, daß Siebert, der still auf sein Ende Gefaßte, bei Lietzmanns alles für sich hatte. Der Erfolg Sieberts reizte Michelsen, und er gönnte ihm den bevorstehenden Selbstmord, ohne daß darum die Zeichen, die die Tat ankündigten, ihn weniger ängstigten. Am dritten Tag brach ein Magenkatarrh bei ihm aus, er fühlte sich unfähig zu Geschäften und erging sich in erbitterten, anklägerischen Selbstgesprächen, deren letztes Wort immer hieß: »So ein rücksichtsloser Mensch!« Während sein Opfer ihn zu lieben begann und ihm Krawatten vermachte, faßte Michelsen Haß auf Siebert und wünschte ihm, er möge unter ein Automobil kommen, damit er sich nicht mehr selbstmorden könne.

Dabei drängte es ihn diesen ganzen Tag an Plätze, wo er Siebert treffen, ihn noch glücklich am Leben treffen könnte. Statt seiner traf er Brand oder Doktor Libbenow oder Max Wiese und drückte sich eilig davon oder sah weg, damit sie fortschleichen könnten. Denn von den vier, die zu Anfang Siebert wie einen Ausgestoßenen behandelt hatten, ertrug jetzt keiner mehr die Nähe des anderen.

Auf den schlauesten Umwegen brachte Michelsen schließlich in Erfahrung, daß Siebert zu Hause geblieben sei. Von dem Augenblick ab wich er nicht mehr aus der Straße; der Drang, die Polizei anzurufen, verzehrte ihn; und jeder Glockenschlag, jedes Trambahnklingeln, jeder laute Ruf schreckte ihn auf: nun war es geschehen. Er sah, auf einen Fleck im Pflaster starrend, Siebert unter chloroformgetränkter Maske liegen. Oder Siebert hing an der Zimmerdecke. Oder er hatte ein Dynamitkorn zerbissen und infolgedessen keinen Kopf mehr auf dem Rumpf. Als einmal Leute zusammenliefen, stürzte Michelsen, gepeitscht von Entsetzen, in den Kreis: er hatte am Boden Blut erblickt. Dann war es nur ein überfahrener Hund. Indes Michelsen so aus Ängsten in Beschämungen verfiel, vergnügte sich Siebert bei Frau Claire Fichte.

Als er zurück und schon abgereist war, wagte sein Mörder es endlich, mit wankendem Herzen an seiner Tür zu schellen. Das Läutewerk rasselte überlaut, und niemand öffnete. Michelsen stand eine halbe Stunde im Dunkeln, und von fünf Minuten zu fünf Minuten schellte er. Der Schall der Klingel drang vielleicht bis in Sieberts Todesnöte, und Siebert konnte nicht mehr antworten. Aber allmählich mußte er tot sein. Und Michelsen stieg polternd und voll Angst, ertappt zu werden, die finsteren Treppen hinab.

Er irrte, überwach und durch kein Getränk zu betäuben, umher, solange noch ein Lokal offenstand. Nicht weniger als dreimal zog es ihn zu Bols, und er sagte sich, dies sei der Trieb des Verbrechers, an den Ort seiner Missetat zurückzukehren. Wie er endlich heimkam, fühlte die Bettlampe, die er anknipsen wollte, sich heiß an. Michelsen riß die Hand zurück und verharrte, mit einem Schauer auf dem Scheitel, im Dunkeln. Es lichtete sich ihm langsam ein wenig, und er sah eine zusammengebrochene Masse daliegen, gleich vor seinen Füßen. Siebert! In Michelsens eigener Wohnung hatte er es getan! Hals über Kopf knipste Michelsen die Lampe an, deren Birne völlig kalt war, und stellte fest, daß der Teppich leer sei.

›Der gemeine Mensch, jetzt macht er mich verrückt! Libbenow muß mich untersuchen!‹


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