Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Liebesspiele

Zuerst erschienen in »Bunte Gesellschaft«, Albert-Langen Verlag, München, 1917

Textquelle: Heinrich Mann, Das gestohlene Dokument und andere Novellen. Aufbau-Verlag Berlin, 1957

 

Gleich wie er sie erblickte, bekam Paul Lissen einen großen Schreck. Er stand nichtsahnend und sanft gestimmt in München an seinem Coupéfenster, da kam diese große, tiefrot gekleidete Frau mit dem warmen Blond und den geraden schwarzen Brauen neben dem Mann, der vornehm und verbraucht aussah, den Bahnsteig entlang. Paul Lissen zitterte, so entsetzlich deuchte ihn sofort dieses weiße, kraftvoll modellierte, weise gemalte Gesicht; es war grausam und dabei tot; und erblaßt starrte er darauf hin, wie auf ein weites Leichenfeld, wo jetzt die Reihe an ihm war. Die Frau bemerkte ihn und sah verächtlich weg.

Dreimal gingen sie den Zug entlang. Der Diener hinter ihnen suchte umständlich nach einem leeren Coupé erster Klasse. Es gab keins, da stiegen sie in das, wo nur Paul Lissen war. Er grüßte und setzte sich mit Herzklopfen in seine Ecke. Er war vorher fast ganz damit zufrieden gewesen, daß Liane ihn wieder einmal betrogen hatte, und daß er nun, ein wenig beleidigt, ein wenig schmerzlich, eine einsame Erholungsreise nach dem Süden antreten konnte. Gumbinner und von Eisenmann hatten ihn neulich beim Rennen geradezu blödsinnig hineingelegt. Er hatte, wie gewöhnlich, sich ängstlich gehütet, merken zu lassen, daß er den Zusammenhang begriffen habe. Er behielt immer sein abgefeimtes Lächeln als Versteck für alle seine Schüchternheiten und Zweifel, verschenkte immer Geld und fragte sich immer: ›Kann ich darum keinen Freund und keine Geliebte finden, weil ich das viele Geld habe? Wahrscheinlich. Bei der Heftigkeit meiner Begierden wäre ich sonst, wenn ich arbeiten müßte, vielleicht ein Künstler, könnte die starken Abenteuer, die ich nicht wage, wenigstens erfinden, und so mein Herz den andern aufzwingen.‹ – Während sechs Weiber auf einmal von ihm lebten, starb Paul Lissen, genannt der Jubeljüngling, insgeheim an lauter schwermütigen Begierden. Er war schon sein Leben lang auf der Jagd nach Liebe. Aber er hatte es nur ein einziges Mal eingestanden, unter Tränen der Leidenschaft, als er ganz sicher war, daß seine Beichte ohne Folgen bleiben würde. Keine andere Frau konnte, zum Glück, solche Seelenverfassung bei ihm annehmen. Und nun gar die da, ihm schräg gegenüber!

Sie war furchtbar. Er sah nicht hin, aber er fühlte sie immer dort, eine bösartige Feindin, die die Macht besaß, durch sein Blut, das sie umwälzte, den sehnsüchtigen Glauben zu jagen, sie sei die eine, für die er besinnungslos darauflos empfinden dürfe, und die ihn, ihn lieben würde! Ach, er mochte sich noch sooft in eine poetische Neigung zu schmächtigen, süßen Wesen hineinbitten; er mochte sich vorhalten, es sei unästhetisch, die Liebe nach den Körpermaßen auszusuchen. Die großen Blonden hatten ihn in der Gewalt, sie, die etwas wild rochen. Sie erregten auf dem Grunde seines gut bürgerlichen Diätlebens eine grausige Ahnung von außergesetzlichen Ungeheuerlichkeiten. Fähig machten sie ihn nicht dazu. Sie waren aus einer andern Welt; warum reizten sie ihn, es war ungesund. – Und er haßte jene dort für seine ohnmächtige Erregung. Sie verhandelte mit ihrem Mann auf französisch darüber, wo man wohl zu Mittag essen werde. Anstatt sie aufzuklären, kaufte Paul Lissen in Rosenheim Lektüre für acht Wochen.

In Zeitungen versenkt, war er überzeugt, daß sie längst alles heraushabe. Sie betrachtete ihn, es war zu fühlen, und sie wollte etwas. Aber er war durchaus abgeneigt, ihr den Gefallen zu tun. Auf einmal tat er es. Sie stießen mit den Blicken zusammen, und im Blicke maßen sie sich, packten an, verschwanden ganz ineinander und beobachteten sich doch wie zwei Ringer auf einem engen Stück Boden mit Gräben und Buschwerk, am Rande eines Morastes, wo man umsichtig kämpfen mußte inmitten aller Raserei. In diesem Blick, der eine unmeßbare Zeit währte, besaßen sie einander. Sie überlisteten sich, triumphierten abwechselnd, röchelten abwechselnd, zwangen einander auf die Knie, vergingen. Wie Paul Lissen zu sich kam, war er heiß und erschöpft und hatte Lust, davonzulaufen vor dieser Frau, die aus ihm, er wußte nicht was machte. Der Zug fuhr in Kufstein ein.

Paul Lissen kühlte sich ab, ließ den österreichischen Staat unter der Aufsicht seines Dieners in seinen Hemden wühlen und ging ins Restaurant. Die große Fremde saß oben am zweiten Tisch, sie war überwältigend. Paul Lissen tröstete sich durch die Betrachtung des Gatten, der mit tief gekrümmtem Rücken und die Ellenbogen aufgestützt über dem Tisch lag und mit beiden Händen eine Tasse Fleischbrühe umklammerte. Dieser Gatte erregte überall heitere Genugtuung. Denn es war ohne weiteres klar, daß diese Frau ihn betrog, und das schmeichelte allen übrigen Männern, auch Paul Lissen. Als das Paar aufstand, stellte er fest, daß sie immerhin von gleicher Größe seien. Aber es war nur noch das Knochengerüst des Mannes, das der Frau standgehalten hatte.

Der Gatte mußte sich um den Hund bekümmern, der im Hundecoupé heulte. Die Frau blieb allein auf dem Bahnsteig, Paul Lissen ging langsam an ihr vorbei, mit einem Gefühl im Nacken, als müsse sie jeden Augenblick über ihn herfallen. Später lehnte sie an der Waggontür und machte ihm nicht Platz. Er mußte »Pardon« sagen, anstatt des »Madame, ich bete Sie an, wo kann ich Sie wiedersehen«, das er längst überlegt hatte. Ganz matt gelangte er auf seinen Platz und machte sich mühsam klar, daß er doch zu nichts verpflichtet sei. Bis Bozen hielt er sich meist im Korridor auf, in der Hoffnung, alles sei erledigt. Wie das Paar ausstieg, folgte er ihnen ohne Besinnen kaltblütig bis in den Omnibus des Hotel Bristol. Er hatte keineswegs beabsichtigt, in Bozen zu bleiben. Die Frau empfing ihn feindselig, sie entfernte ungnädig eine Hutschachtel von der Bank. Sie sagte leise etwas zu ihrem Mann, der peinlich berührt aus dem Fenster sah. Der Hund knurrte.

Paul Lissen drehte, als er im Bett lag, die Flamme über dem Nachttisch auf; und er verbrachte in der elektrischen Helle mit offenen Augen eine fürchterliche Nacht. Ihr mit Creme Simon zugedeckter Fleischduft verließ ihn nie. In fünfundzwanzigmal veränderter Fassung dachte er:

›Sie liegt zwei Nummern von hier, das ist doch ungeheuer! Und sie haben zwei Zimmer. Mein Baptist hat vom Stubenmädel alles heraus: sie schlafen getrennt. Wenn ich gesagt hätte: »Madame, ich bete Sie an und so weiter« – wie weit könnten wir jetzt schon sein … Unsinn, mein Liebling, sie wohnen in Nizza, es ist eine wirkliche Baronin Dubocage, ihr Diener schwört es … Ja, beweist das etwas dagegen? Ihr Gatte ist ein Gentleman, der es nicht hat lassen können. Daß sie eine Vergangenheit hat, ganz abgesehen von der Gegenwart, darüber verlieren wir untereinander doch kein Wort … Himmel, bin ich denn dazu angestellt? Meine Ruhe will ich! – Wenn aber doch dieses das Weib ist, bei dem ich leben, leben, leben könnte – und sterben meinetwegen auch. Wir kennen uns, seit wir uns heute früh in die Augen sahen! Ich habe keine Idee mehr, was es war. Aber ich war nicht mehr schwach, kein schwacher, reicher, angewiderter und sehnsüchtiger Knabe mehr. Alles war da, aus dem Vollen! Ich muß das haben, wiederhaben! – Mach dich also nicht lächerlich, Liebling.‹

Damit erhob er sich, schon um sechs, fand sich erbärmlich aussehend, ließ von Baptist sein Gesicht sehr sorgfältig behandeln, rötete sich ein wenig die Lippen. Die Herrschaften reisten am Abend weiter. Baptist wußte es schon. Paul Lissen sah sie tagsüber nur beim Essen und nur von fern. Wie er im Wartesaal erschien, empfing sein Diener ihn mit einer unglücklichen Nachricht: sie hatten sich eine ganze erste Klasse reservieren lassen. Paul Lissen betrachtete gekränkt das Schild mit »Bestellt«, das am Fenster hing. Dann stieg er nebenan in die zweite Klasse und in einen Qualm von nassen Lodenmänteln. Auf einmal öffnete sich die Verbindungstür: sie trat hervor, schritt königlich durch den wimmelnden Korridor, an Paul Lissen vorbei, der den Atem anhielt, und bog um die Ecke, um dem Verbote zum Trotz noch auf der Station das Kabinett zu benützen.

Paul Lissen drehte sich unauffällig so lange umher, bis er hinter jene Ecke gelangt und den Blicken entzogen war. Dort wartete er, die Stirn an der Scheibe. Als sie zum Vorschein kam, machte er kehrt, sie maßen sich herausfordernd, als hätten sie eine alte Sache miteinander auszutragen, und Paul Lissen sagte:

»Madame, ich bete Sie an, ich bin nur Ihretwegen hier, wo kann ich Sie wiedersehn?«

»Das hätten Sie mir gestern früh sagen sollen«, entgegnete sie. »Damals wäre es noch frech gewesen, jetzt ist es bloß lächerlich – und hier.«

»Ich weiß es, Madame, und weiß auch, Sie wollen es, daß ich mich lächerlich machte. Darum schufen Sie diese Lage … Überzeugen Sie sich, daß es nichts nützt. Wo sehe ich Sie wieder?«

»Sie sind doch schlauer, als ich dachte.«

»Bleiben Sie in Verona? Ja, Sie bleiben, ich weiß es vom Schaffner.«

»Sie wollen mich wiedersehen in einer fremden Stadt, wo ich keine Minute meinen Mann loswerden kann? Das ist weniger schlau, mein Lieber.«

»Sie fahren morgen zum Zahnarzt, Sie leiden zu sehr und wollen keine Begleitung. Seien Sie um drei Uhr im Hof des Benediktinerklosters, hinter dem Dom. Es ist ganz einsam dort, unter dem Boden liegt ein antikes Mosaik, Sie können hinuntersteigen, niemand bemerkt Sie.«

Paul Lissen sagte im Gerassel der Fahrt, eilig und fest, alles her, wie er es sich vorgenommen hatte. Dabei dachte er mit wachsender Unruhe an die dampfenden Lodenmäntel, die dazwischenkommen konnten.

»Ach Sie und Ihr Zahnarzt«, sagte die Frau. »Sie sind kindisch.«

Und sie schob ihn gelassen beiseite.

Er war mit allem einverstanden. »Ich bin nicht mehr ganz so klein, wie ich war«, meinte er. Und er sprach sich das Recht zu, bis Ala keine Umstände mehr zu machen wegen der Frau.

In Ala war es der italienische Staat, der in den Hemden Paul Lissens wühlte. Paul Lissen stand zufrieden dabei, wie die Baronin Dubocage sich über ihren Mann ärgerte, der mit den Zollbeamten nicht verkehren konnte und darum keine Schonung erfuhr. Er fand es süß, ihr nicht zu helfen. Im letzten Moment, als man schon eingestiegen war, geriet die Baronin in Aufregung über den Hund, der nicht gefressen hatte. Ihr Mann mußte hinaus und den Diener suchen, der den Hund holen mußte. Als alle drei, der Hund, der Diener und der Gatte, auf dem Bahnsteig standen, ging der Zug ab. Die Baronin mißbilligte aus dem Fenster die Ungeschicklichkeit ihres Mannes und rief ihm zu, er solle morgen ins Hotel Colomba d'oro kommen; dann zog sie die Scheibe hinauf. Paul Lissen ging sofort zu ihr. Sie mußten noch warten, bis der neue Kondukteur vorübergekommen war; gleich nachher ergriffen sie Besitz voneinander, ohne Umschweife und ohne Zärtlichkeiten.

Wie es getan war, fühlte Paul Lissen sich versucht, eine Verbeugung zu machen und hinauszugehen. Statt dessen verwies ihn die Frau mit verächtlicher Gebärde auf die Bank, von der sie aufstand, und verließ das Coupé. Gehorsam streckte Paul Lissen sich hin; aber sofort sprang er wieder auf und starrte, die Arme verschränkt, in die Nacht, aus der ihr Bild aufflammte. Das weiße, starke Gesicht, blond, mit dem schwarzen Barren der Brauen erschien ihm, grausam und tot wie es war, zum erstenmal vertraut und als das einer natürlichen Gefährtin. Ihr Raubtierduft, mit Kosmetiken verkleidet, hüllte ihn wohlig ein. Er fühlte sich ihr gewachsen, ihm fiel es nicht ein, den Käfig zu verlassen, in den er mit ihr eingesperrt war. Er hatte nur Lust zu kämpfen, auf seiner Hut zu sein, Genuß zu ertrotzen, sich als der Stärkere zu behaupten. Jetzt erst liebte er sie.

Er hütete sich, es merken zu lassen. Sie gingen in Verona ins Hotel de Londres und verbrachten eine stürmische Nacht. Paul Lissen fand alles an ihr, ihre Brüste, ihre Hüften, ihre Küsse und ihre Schreie, wie aus Kautschuk; alles an ihr, Leib und Seele, stieß alle seine Liebkosungen von selbst zurück und hinterließ keine Spur von ihnen. Paul Lissen äußerte in einer Minute der Abspannung:

»Ich könnte für dich sterben.«

»Das kann sogar mein Mann. Ein schönes Kunststück!«

Er biß die Zähne zusammen.

»Aber ich werde noch Streiche für dich machen, du sollst sehen, die du nicht gewohnt bist.«

»Wer sagt dir, daß ich sie nicht gewohnt bin?«

»Weißt du denn, wer ich bin?« fragte er.

Und er erzählte ihr die gerissene Gaunerei, die Gumbinner und von Eisenmann erst neulich an ihm begangen hatten. Aber in seiner Erzählung war er selbst der Gauner.

»Damit hab ich mir nur das nötige Kleingeld zur Reise verschafft«, setzte er hinzu. »Warum es für mich mit dem Überschreiten der Grenze solche Eile hatte, das sage ich dir lieber nicht.«

Dagegen gestand er ihr, daß er sie eigentlich für sein Geschäft ausersehen habe, denn er sei Mädchenhändler. Augenblicklich behalte er sie sich selbst vor, aber sie solle sich künftig vor Leuten in acht nehmen, die ihr in dem Hinterraum irgendeines Ladens etwas ausgesucht Schönes zu zeigen wünschten. Sie könnte dort plötzlich verschwinden und in einem gewissen Dorf bei Paris wieder auftauchen, wo die Ware sortiert werde, bevor sie nach Buenos Aires gehe … Er berichtete zahlreiche Einzelheiten, die ihm Eindruck gemacht hatten in Veröffentlichungen der »Internationalen Föderation zur Bekämpfung der Reglementierung«. Die Frau lachte ihm, lautlos und hart, in den Mund hinein. Sie erklärte, sie sei im Kloster aufgewachsen, ihr Mann habe sich schwer an ihr versündigt, und es sei ein beklagenswertes Geschick, das sie in die Arme ihres Liebhabers geworfen habe, der noch dazu in gefährliche Sachen verwickelt scheine.

Am Morgen packte sie zusammen, um ins Hotel Colomba d'oro zu übersiedeln und ihren Mann zu begrüßen.

»Ich erwarte dich hier morgen um elf«, sagte Paul Lissen kalt.

»Unmöglich. Es wird jetzt Zeit, daß du meinen Mann kennenlernst. Da hast du ein Brillantkollier. Ich habe es verloren, du hast es im Coupé gefunden und bringst es mir – morgen mittag.«

Paul Lissen dachte nach, scharf, mit soviel Leichtigkeit und Geistesgegenwart wie noch nie.

»Morgen, nein. Bis morgen kann ich nicht den Besitzer ermitteln und euren Aufenthalt erfahren. Heute ist Dienstag, Freitag früh bin ich bei dir.«

Vom Hotel fuhr er zum Bahnhof. Er setzte sich in den Zug nach Florenz. In Verona, sagte er sich, wäre es unmöglich gewesen, eine annehmbare Nachahmung des Kolliers zu beschaffen. Es war eine dreifache Revière, einen Meter lang. Er, der Abenteurer, sollte mit diesem Vermögen durchgehen; dazu hatte sie es ihm in die Hand gelegt. Dann war er sie los, diese Frau, in der er lebte, und war in ihrer Macht! Oder aber, er brachte ihr das Halsband richtig zurück; wie klein war er dann – ein ehrlicher Schwächling, der von ihr nicht fortkonnte. Und in beiden Fällen war er gedemütigt, minderwertig geworden. O sie war stark! Aber auch er war stark.

Er fand in Florenz die Steine, die er brauchte. Achtundvierzig Stunden wurde gearbeitet; am Freitag um acht stand er, das Etui in der Hand, im Hotel Colomba d'oro. Die Herrschaften waren auf, hieß es. Wie er eintrat, legte die Frau die Serviette aus der Hand und lehnte sich zurück, ganz verklärt. Der Gatte erkannte den hartnäckigen Mitreisenden gleich wieder, hörte unlustig die schlecht erfundene Geschichte an und kehrte peinlich berührt zu seiner Schokolade zurück. Die Frau zeigte sich beinahe gütig vor befriedigtem Hohn. Paul Lissen fürchtete fast, sie werde ihn gar nicht mehr wiedersehen wollen. Dennoch bestimmte sie ihm beim Abschied eine Stunde für morgen. So stand ihm ein voller Triumph bevor. Inzwischen entdeckte sie natürlich den Streich.

Tags darauf, im Hotel de Londres, waren sie zum ersten Male zärtlich. Sie spielten vorsichtig miteinander, schmeichelten einander, sie hatten gegenseitig ihren Wert erkannt, und jeder hoffte den andern im nächsten Augenblick endgültig hineingelegt zu haben. Es klopfte stark an die Tür des Vorzimmers. Die Frau fuhr auf.

»Ist es denn schon – wieviel Uhr ist es?« Paul Lissen erhob sich entgegenkommend.

»Halb zwölf jedenfalls«, meinte er, ohne nachzusehen, und er öffnete. Es war der Baron Dubocage und ein Polizeikommissar. Paul Lissen hatte dem Gatten anonym geschrieben und des stärkeren Druckes wegen hinzugefügt, daß auch der Kommissar schon benachrichtigt sei und sich zur Verfügung des Barons halte.

Die Frau war sprachlos. Sie empörte sich nicht, behandelte die Herren ziemlich freundlich und sandte manchmal aus ihren geschlitzten Augenwinkeln einen gedämpften Blick nach Paul Lissen. »Das bist du? Ich glaubte noch nicht, dich so sehr bewundern zu müssen!« Sie kleidete sich äußerst langsam an, weigerte sich, das Protokoll zu unterschreiben, zog die Förmlichkeiten in die Länge. Darüber ward es zwölf, es klopfte nochmals, und ein Beamter in Zivil tat sich als beauftragt dar, Paul Lissen zu verhaften wegen Unterschlagung eines der Baronin Dubocage gehörigen Diamantkolliers. Die Baronin wandte sich herablassend an ihren Mann.

»Du merkst nun wohl, mein Freund, warum ich diesem Herrn eine Zusammenkunft gewährt habe. Ich hoffte kaum, ihn noch zu erwischen. Er ist mir doch in die Falle gegangen.«

Und sie sah träumerisch Paul Nissen nach, den man abführte. Er nickte ihr von der Tür her zu, vollkommen kühl. Er fühlte, sie war nicht die Siegerin. Was er getan hatte, kam ihr so unerwartet und traf sie so gefährlich, wie ihn das, was sie wagte. Sie waren einander gewachsen, und sie liebten sich! Bei dem atemlosen Kampf auf dem engen Stück Boden voller Hindernisse waren sie beide, eng umschlungen, bis an den Morast geschwankt und hatten sich schon die Füße beschmutzt. Paul Lissen atmete tief auf. Was hatte sie aus ihm gemacht! Er empfand in seinem Gefängnis sowohl Grauen als Stolz.

Bevor er sich ernüchtern konnte, öffnete sich ihm die Zelle. Die Frau hatte, eine Stunde nach seiner Verhaftung, eine Menge Leute in Bewegung gesetzt. Sie selbst war bei dem Staatsanwalt erschienen, in Begleitung eines bekannten Juweliers, der für ihr Geld so heilig, wie sie es verlangte, schwur, die im Besitz der Baronin befindliche Kette sei echt, echt, echt. Es lag ein bedauerlicher Irrtum vor, alle entschuldigten sich bei dem distinguierten Fremden, nach dem Beispiel der Baronin. Auch der Gatte tat es peinlich berührt.

Um sechs Uhr abends waren sie schon wieder beisammen; aber nicht mehr im Hotel de Londres, sondern im Hotel Europa.


 << zurück weiter >>