Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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12

Der Glanz dieses Tages konnte selbst durch die Reise, die Felder wenige Wochen später nach England unternahm, um dort in dem gelobten Lande des Sports seine Meisterschaft Europas gegen ihre ersten bisherigen Meister zu behaupten, kaum erhöht werden.

Die Reise war nie geplant. Es war an sie nie gedacht. Sie war einfach eine natürliche Folge dieses letzten Sieges.

Während die Sportzeitungen des Kontinents einig waren in der Anerkennung dieses Sieges, verhielten sich die englischen, an Zahl und Bedeutung gleich und im Ton immer überlegen, dem Siege gegenüber skeptisch und erhoben den Einwand, daß England sich nicht beteiligt habe, daß aber England in Sportsachen (wie auch in anderen Dingen) Europa sei, und daß Felder sich erst einmal mit englischen Schwimmern gemessen haben müßte, ehe ihm wirklich der nur künstlich gemachte Titel des Europameisters gebühre. Natürlich verwahrte man sich gegen diese Beschuldigung und erklärte sie für lächerlich. Man hatte die ersten Schwimmer Europas eingeladen, auch die Engländer. Sie waren nicht gekommen, weil sie eben nie kamen. Und weil sie hochmütige Narren waren, die sich einbildeten, man müsse zu ihnen kommen.

Daher waren auch erst wieder manche Stimmen gegen die Reise Felders nach England. Ein Entgegenkommen dieser Art war ein Zugeständnis, eine Erniedrigung.

Aber andere sagten: Man muß es ihnen zeigen! – Jetzt ist die Gelegenheit da, ihre angemaßte und nur eingebildete Überlegenheit zu brechen. Wenn wir ihnen jede Entschuldigung nehmen, so werden sie sich bequemen müssen, von ihrem Piedestal herabzusteigen, auf dem sie schon viel zu lange gestanden, dann ist Beteiligung an kontinentalen Festen oder aber endgültiger Verzicht die unausbleibliche Folge.

Als dann auch der letzte Einwand: der der zu hohen Kosten dadurch kurz abgeschnitten wurde, daß sich Brüning, der sich jetzt sogar um seine Pferde nicht mehr kümmerte, erbot, sie sämtlich zu tragen und Felder nach England zu begleiten, wurde dessen Beteiligung beschlossen.

Wenn Felder später an diese Reise nach England zurückdachte, so kam sie ihm vor wie ein Traum. Ein wirres Durcheinander von Bildern aller Art zog an seinem Auge vorüber.

Zunächst weite Landschaften, die im Fluge an dem dahinrasenden Zuge vorbeizogen. Die dunkle Regennacht auf dem Schiffe: das Meer, das er zum ersten Male sah – ein Wasser, wie er es nie geahnt, Wogen von einer Kraft, gegen die das mächtige Schiff rang, wie sein Körper rang gegen die stille Flut seines heimatlichen Flusses, und an der menschliche Einzelkraft zerbrechen mußte wie ein Streichholz unter dem Schlage eines Hammers. Wasser, nur Wasser, dasselbe Wasser, das er kannte und liebte wie kein anderer – und doch ein ganz anderes Element. Nicht das, welches ihm vertraut war von Jugend auf, sondern eine fremde, unheimliche Kraft, mit der zu messen er sich nie getraut hätte, vor der ihm graute, da er der Schwächere, ein Nichts war vor ihr ... das war das Meer!... Elend, ganz zermalmt von der lächerlichen und doch so mächtigen Krankheit der See, atmete er erst auf, als er wieder Land unter den Füßen fühlte – er, der es sonst nur widerstrebend betrat, da er sein geliebtes Wasser verlassen mußte – und nur mit Schaudern dachte er an das Gebrüll, die Feindseligkeit, die ganze Furchtbarkeit des fremden Wesens zurück, das ihn behandelt hatte wie den ersten besten, eine Katze, die ein Tiger geworden war, ein Freund, plötzlich verwandelt in einen Feind, der die Maske fallen gelassen und ihn niedergeworfen, um ihn zu ermorden!...

Dann, noch die Angst um das – gerettete – Leben in den Gliedern, die Ode und Unermeßlichkeit der in ewigen Dunst gehüllten Stadt, vor deren Grenzenlosigkeit ihm sein Berlin wie ein Dorf erschien. Endlich, in schärfstem Kontrast dazu, die Tage der Races an dem stillen, umbuschten Ufer der Themse, wo der Himmel wieder lachte und der Frieden wieder in den versteckten weißen Häusern zuwohnen schien, wo er seinen Mut wiederfand, den Mut, sich daran zu erinnern, weshalb er hierher gekommen war, und die Kraft, zu siegen, sich wirklich den ersten Preis zu holen, weil er sich hier endlich wieder daheim fühlte, daheim im Wasser...

Und die Bilder nach dem Siege.

Der Jubel dieser ihm erst so ernst, so steif erschienenen Menschen, gegen den der Beifall von Grünau wie ein Murmeln war. In seinem ganzen Leben zusammen hatte er nicht so vielen Menschen die Hand geschüttelt wie an diesem Tage. Man renkte ihm fast den Arm aus. Und dann schleppte man ihn zwei Tage lang von einer Festlichkeit zur andern, durchzog in Reihen von zwanzig Cabs – in denen nur je einer sitzen durfte – wie in einer Prozession die endlosen Straßen Londons, behandelte ihn wie einen Fürsten und überschüttete ihn in beispielloser Generosität und Gastfreundschaft mit Gaben jeder Art. Am letzten Tage überreichte ihm irgend jemand, dessen Namen er nicht einmal wußte, ein Ehrengeschenk von 150 Pfund, da man gehört hatte, daß er völlig auf die Arbeit seiner Hände angewiesen war. Es wurde mit so viel Achtung und Selbstverständlichkeit angeboten, daß Felder es unmöglich ausschlagen konnte. Er war ganz gerührt. Er hatte gedacht, diese Engländer würden es gewaltig übelnehmen, wenn ein Ausländer daherkam und sie auf ihrem Grund und Boden schlug, und nun sah und fühlte er überall nichts, als die neidloseste Bewunderung und eine Verehrung, wie sie ihm in solchen Formen noch ganz unbekannt war.

Und doch – war es die fremde Sprache oder was war es? – so gemütlich wie in Deutschland oder gar in Wien waren diese Tage nicht. Alles ging in ewiger Hast, von einem zum andern. Nie setzte man sich zu einem Glas Bier zusammen, um in Ruhe alles zu besprechen. Getrunken wurde zwar genug – und was nicht alles durcheinander! – aber alles im Fluge, im Stehen, und von einer Hand ging er in die andere, fast wie eine Sache, an der jeder ein Anrecht hatte. Jeder wollte ihm die Hand geschüttelt und mit ihm getrunken haben... Und immer wieder mußte er trinken und Hände schütteln, bis er am Abend so müde war, daß er die rechte nicht mehr von der linken zu unterscheiden wußte.

Nein, so gemütlich wie zu Hause war es nicht, und Felder war fast froh, als es an die Heimreise ging. Eigentlich hätte er sich nicht fremd zu fühlen brauchen, denn Brüning und ein anderer Klubgenosse waren stets mit ihm, und der erstere war der beste Reisemarschall, den man sich denken konnte: überall zu Hause, in allen sprachen gerecht, praktisch und erfahren, dabei in unerschöpflich guter Laune und den schwerfälligen Felder über jede Verlegenheit spielend hinübertragend. Man kam aus dem Lachen mit ihm gar nicht heraus.

Aber Felder wurde nie ganz froh. Denn ohne es sich selbst einzugestehen, fürchtete er sich vor dieser Heimreise. Wieder sollte er – und diesmal einen ganzen Tag – sich dem furchtbaren Element anvertrauen, wieder ihm machtlos und jämmerlich gegenüberstehen und sich in elender Ohnmacht vor diesem Wasser krümmen, das er sonst siegreich packte, wo immer er es traf...

Er hätte sich nicht zu fürchten brauchen. Als sie nach einer letzten, halb durchjubelten und durchtrunkenen Nacht am Morgen von Queensborough abfuhren, war er so müde, daß die Freunde ihn fast aufs Schiff trugen, und kaum auf ihm angelangt, schlief er wie ein Toter bis zu dem Augenblicke, wo sie ihn in Vlissingen wieder aufweckten.

Das war seine Reise nach England.

Alles war herrlich, glorreich, einzig gewesen. Aber er war froh, als er wieder in Berlin war, wieder die heimatlichen Laute um sich herum vernahm und das Schreckgespenst vergaß, das ihn angegrinst hatte wie der leibhaftige Tod.

Denn er hatte es sich jetzt klargemacht: das Meer war das Meer, und das Wasser war das Wasser. Aber dasselbe waren beide nicht! – Nie wollte er das Meer wiedersehen.

Hätte er es gesehen, wie es in stahlblauer Pracht dalag, ruhig, verschwiegen, lockend, wie ein tiefer See, und nur leise erzitternd unter den Strahlen der Sonne, wie es liebreich und versöhnt den Sieger heimtrug auf seinem breiten Rücken, er hätte es wiedererkannt als sein Element und nicht geruht, bis er sich seiner salzigen Flut anvertraut und die Wonnen seiner Umarmung genossen.


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