Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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3

Er hatte das Schwimmen nie »gelernt«; wenigstens konnte er schwimmen, solange er zurückzudenken vermochte, und das war etwa bis in sein viertes Jahr. Damals fiel er auf einer Landpartie, deren Höhepunkt eine Kahnfahrt bildete, ins Wasser – die Frauen kreischten und die Männer fluchten, während er herausgeholt wurde; aber ihm machte die Sache Spaß, und er lachte seelenvergnügt, so daß jemand sagte: »Der fällt uns gleich zu seinem eigenen Vergnügen nochmal hinein...« – was die entsetzte Mutter veranlaßte, ihren Franz für diesen Tag wenigstens nicht mehr von der Seite zu lassen.

Aber das war eine jener Erinnerungen, die nur deshalb so stark in uns zu liegen scheinen, weil wiederholte Erzählungen anderer sie stürzen und halten.

In Wirklichkeit sah sich Franz Felder in seinen Gedanken zuerst als kleinen Jungen von fünf Jahren lange, lange, warme Sommernachmittagsstunden am Ufer der Spree bei Treptow. Seine Eltern wohnten damals in zwei kleinen, heißen Zimmern in einem Hinterhause der Fruchtstraße, aber der Vater hatte es zum großen Jubel der ganzen Familie fertig gebracht, für den Sommer auf einem der Felder am Treptower Bahnhof eine der vielen »Lauben« zu mieten, und man hatte nun ein winziges Stückchen Erde, auf dem man einige Kohlköpfe ziehen und zu dem man hinauspilgern konnte in dem stolzen Gefühl eigenen Besitztums.

Der Vater und der eine oder andere der älteren Brüder, die schon arbeiteten, kamen erst des Abends; aber die Mutter, welche kränkelte, verbrachte oft mit den Jüngsten ganze Tage auf dem reizlosen Fleck, wo sie wenigstens in freier Luft war.

Sooft er nur konnte, rückte Franz aus. Erst klagte und schalt die Mutter, dann ließ sie ihn laufen, da es doch nichts half, ihn zurückhalten zu wollen.

Eine besondere Anziehungskraft hatte für ihn ein großer Holzplatz an der Spree. Seit er einmal, dort umherschlendernd, für den Zimmermeister eine Weiße geholt hatte, stand ihm der Zutritt gegen Leistung gelegentlicher gleicher und ähnlicher kleiner Dienste offen, und nichts hinderte ihn, zwischen den Balken und Stämmen herumzuklettern, soviel er wollte.

So wurde der Holzplatz seine Heimat für diesen Sommer. Aus Spänen kleine Kähne zu bauen, sie mit einem Knopf oder irgend etwas anderem zu »befrachten«, sie dem großen Wasser anzuvertrauen und zu sehen, wie es sie hintrieb und verschlang, wurde er nie müde; oder Gräben und Buchten zu bilden und das Wasser hineinzuleiten und herumzupantschen und zu mantschen, bis der Feierabend allen seinen Spielen für diesen Tag ein Ende machte.

Ein besonderes Fest war es jedesmal, wenn er in einem wirklichen großen Boote, das von der anderen Seite herübergekommen war und anlegte, ein Stück mitgenommen wurde oder etwa gar selbst eine Pätschel führen durfte.

Aber am meisten von allem lockte ihn das Wasser selbst; und sechsmal an heißen Sommertagen mindestens warf er Hemde und Hose in den Sand und tauchte sich in die braune, träge, lauwarme Flut. Er schwamm schon wie ein Fisch. Er ging auf den Grund und holte Steine aus dem Schlamm herauf. Er glitt unter den Flößen durch und verschwand hier, um dort in die Höhe zu kommen. – Und er lernte seinen ersten Sprung, den einfachen Kopfsprung. Erst von dem Rand des Floßes, dann von dem des Nachens, endlich von dem des großen Spreekahnes plumpste er – den Kopf voran und mit ausgespreizten Beinen – wie ein Frosch ins Wasser.

Ach, und wie war es schön, den nassen Körper in das heiße Sägemehl zu werfen, sich auf Bauch und Rücken darin herumzuwälzen und dann den weißen Pelz mit einem Sprunge wieder abzuwaschen!... Und stundenlang in der Sonne zu liegen und die Kähne und Dampfer mit festlich geputzten und fröhlichen Menschen auf der Spree vorüberziehen zu sehen, während die roten Wände der Fabriken und die weißen der Villen im Glanz des Sommertages aus dem Grün der Ufer hervorleuchteten und der blaue Himmel sich über alles spannte, die Ringbahnzüge über die nahe Eisenbahnbrücke donnerten und unter ihr die Dampfer pfiffen und läuteten...

Es war ein großer Sommer für den kleinen Kerl, der von den Arbeitern auf dem Platz, die sich nur selten und nur bei übergroßer Hitze ins Wasser wagten, wie ein kleines Wundertier angestaunt und ihre »Otter« genannt wurde, wenn er plötzlich zu aller Ergötzen im Wasser lag und seine ersten, kleinen Kunststücke zeigte.

Im Herbst dieses Sommers war er braun wie ein Neger, gesund und immer hungrig wie ein Haifisch, und er begann bereits, sich etwas einzubilden auf seine frühe Kunstfertigkeit...


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