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XVII.

Aus für immer!

Es ist ihm eine Erleichterung, das zu denken. Ehebett, Kinderstube, Nahrungssorgen, ihr Starrsinn – was wäre denn geworden aus dem Dichter der »Medea« und der »Sappho«! Der Dichter tot und der Rest ein vegetierender Beamter – ein halbbrüchiger Formalist!

Das sind seine Gedanken; er phantasiert wie ein Fieberkranker.

Zucke nur, kleine, verräterische Flamme in der Laterne unten, zucke, winde dich, verwehe im Schicksalswinde, du bist nicht mein Herz, denn sieh her, mein Herz ist ruhig, stark ist es und ganz ruhig, obgleich ich sie vernichtet habe, die ich geliebt ... Ich habe sie zerstört, weil ich sie geliebt habe, ihr Leben zerstört, ihr Glück, ihre Hoffnungen und habe sie betrogen, wie ich andere betrogen habe und am stärksten mich selbst! Alles habe ich geopfert, alles hingegeben, alles erduldet, nur für eines sorgend, für dieses Eine, das Höchste! Von wem sprachen meine Worte am Grabe Beethovens? Sprach ich von Beethoven? »Nicht Gattin hat er gekannt, noch Kind; kaum Freude, wenig Genuß. Ärgerte ihn ein Auge, er riß es aus und ging fort, fort, fort bis ans Ziel!« – Von mir habe ich gesprochen, von mir allein. Was soll mir Gattin, was Kind? Was schiert mich Freude, was Genuß? Mein Auge, sie, die mich ärgerte, ich riß es aus und fort, fort, fort bis ans Ziel! Der Welt ward ein Dichter geboren, aber die Prosa hat ihn töten wollen. Die Geliebte hat ihn töten wollen mit ihrer zänkischen Liebe, mit ihren Heiratssorgen und ihrem hausbackenen Kleinkram; Neid und Mißgunst der an Leib und Seele verkrüppelten, von dem Blut ausgesogener Autoren spinnenartig aufgeschwollenen literarischen Matadoren haben ihn töten wollen, die Erbärmlichkeit und Kleinlichkeit der Zeitgenossen, die den Berg nicht zu sehen vermochten, weil sie ihm zu nahe standen, haben ihn töten wollen – aber der Dichter hat sich immer wieder aufgerichtet, ein unzersplitterter Stamm, der die Kraft von neuem an sich nimmt um fortzutreiben nach ewigen Höhen. Wenn noch Sinn für Ganzheit in uns ist in dieser zersplitterten Zeit, so laßt uns sammeln! Darum sind ja von jeher Dichter gewesen und Helden, Sänger und Gotterleuchtete, daß an ihnen die arme zerrüttete Menschheit sich aufrichtet, ihres Ursprungs gedenkt und ihres Ziels!

Zucke nur, kleine, erbärmliche Flamme, die mich verraten hat, zucke und stirb! Mein Herz ist stark und fest und weiß nichts von deinem Beben. Sieh her, ich weine nicht mehr, wie ich an diesem Fenster einmal geweint habe, geweint über sie und mich; ich weine nicht mehr, wie ich an dem Tisch Goethes geweint habe, als ich bedrückt und entmutigt von den Schmerzen und Sorgen, die mir euere Liebe und euer Haß aufgenötigt, den Dichter in mir ersterben fühlte und mich unwürdig hielt, das Antlitz des Göttlichen zu schauen. Ich ertrug es nicht! Als Zeus kam er geschritten, und als Kronos wollte er mir zeigen, was ich verloren, was ich an euch zu verlieren immer gefürchtet habe! Ach, daß er mich mit dem anderen Gesindel zusammenwerfen mochte! Der Abglanz seiner Mienen hätte mir Flügel geben sollen und gab mir Gewicht, Gewicht, niederdrückendes Gewicht!

Wenn dir der Sturm nicht dein Lebenslicht ausgeblasen, kleine, tückische Flamme, sieh her: mein Auge ist trocken und heiß, meine Wange von keiner Zähre benetzt! Wie anders, als damals in Weimar, wo ich wie ein Verurteilter hinkam, der den Richtplatz betritt, und wo die Geister aller dort Verstorbenen und noch Lebenden sich dagegen auflehnten, daß ich mich unter sie stellen sollte! Aber ihr werdet nicht hindern können, daß man mich einst unter eueren Großen zählen wird. Das Gottesurteil der Zeit mag entscheiden! Ich bin ein dorischer Dichter. Ich kümmere mich den Henker um die Sprache der Leipziger Magister, des Dresdener Liederkreises und der Weimaraner Bildungsdichter. Ich rede die Sprache meines Vaterlandes. Das Gottesurteil der Zeit und der Begebenheiten hat über meine Liebe entschieden. Ich tue, was es mich geheißen hat: »Reiß das Auge aus, das dich ärgert und geh fort, fort, fort bis an dieses Ziel!« Das habe ich getan. Zucke nur, kleine, verlassene, zitternde Flamme, als ob du meine grämliche, zänkerische, alt gewordene, händeringende Braut wärest, die mir die Liebe stückweis aus dem Herzen gerissen und sie aufgezehrt hat wie du ringendes Flämmchen das Öl deiner Lampe aufzehrst und dann hinsterben wirst. Sieh, was ich getan habe und staune, wie mein Herz ruhig ist, ganz kalt und starr wie die Lampe, die das heilige Öl der Liebe verbrannt hat!

*

So groß war die Verfinsterung, daß es immerwährend Nacht schien, trotzdem Tag um Tag dahinging. Zuweilen war es, als wollte sich die Starrheit des Herzens lösen und ein Schmerz aufquillen, der empordrängte und siedendheiß in die Augen stieg, glühende Tropfen, die brannten und schmerzten, als hätte er blutige Tränen geweint. Aber das ging vorüber. Er war entschlossen, nichts aufkommen zu lassen, keine Reue, keine Sehnsucht, die so elend und hinfällig macht. Vergessen können, vergessen! Von den beiden Unglücklichen war er das stärkere Bäumchen, das sich nun fest mit Rinde bezog; mochte das andere, schwächere, brechen! Eine Narkose für dieses wankelmütige Herz! Er suchte und fand sie – in neuer Schuld. Was plagte er sich noch mit Skrupeln und Zweifeln?

Da wird schüchtern an seine Tür geklopft.

»Was gibt's?!«

Ein fremdes, nettes Mädchen steht draußen, ein Kind der Dienstbarkeit; ein Paket hält es behutsam auf dem Arm.

»Die gnä' Fräul'n hat mich herg'führt – die Wäsch', bitt schön!«

Kathi, die Treue, die Sorgliche, sie schickte ihm den Rest seiner Wäsche, die sie in Obhut genommen hatte!

Mit einemmal war die starre Rinde wieder geborsten.

»Kathi, wo ist sie?«

»Drunten wart s' auf mich.«

Hinaus stürzt er und neigt sich übers Treppengeländer; unten hat er ihre hellen Kleider verschwinden gesehen.

»Kathi!«

Die Helle unten hat sich geflüchtet, aber ihre tränenerstickte Stimme ruft zurück:

»Franz! Leb' wohl! Und sei glücklich!«

»Kathi! Bleib! Ich bitt dich, Kathi!«

Weg ist sie.

Er taumelt ins Zimmer zurück und schlägt die Hände vors Gesicht, stöhnt wie ein todwundes Tier. Aber er faßt sich bald wieder!

»Es ist gut so! Es ist gut!«

Doch jetzt ist ihm erst, als ob die Welt ihr Herz verloren hätte.

Leer ist es um ihn geworden, ganz leer. Das Beste ist gestorben. Und er lebt.

Wofür, wofür lebt er denn noch? Richtig ja: um dieses Eine, um das Höchste! »Darum sind ja von jeher Dichter gewesen und ...« Er vollendet den Gedanken nicht.

Jetzt ist alles wieder hin, die Ruhe, die Festigkeit, die Starre, die Sicherheit, das Selbstvertrauen. Was, Selbstvertrauen? Selbstüberhebung! Er weiß es jetzt schon wieder, daß er nicht ist wie jener große Tragiker, der das Auge ausriß, das ihn ärgerte und fort, fort, fort ging bis ans Ziel. Oh, allzu schwaches Herz!

Der Tod geht wirklich um, er pocht an alle Türen und an alle Herzen, es ist erschreckend.

Charlotte war schwerkrank, sie rief nach ihm, er kam nicht. Er, der Betrüger, der sie noch in der letzten Stunde um die Gnade eines Trostes betrog!

Und jetzt hört er, daß sie gestorben ist.

Aber er hat zwei Seelen in der Brust, davon die eine empört ist, daß die andere gleichgültig und empfindungslos bleibt.

Und dann wieder Nächte, schlaflose Nächte am Fenster in der dunklen Ballgasse.

Unten späht die Ölflamme in der Laterne über dem Haustor herauf. Sie will immer wissen, was es gibt.

Sie zuckt nicht und flackert nicht, sie ist ruhig, wie er in vergangenen besinnungslosen Nächten es zu sein vorgab. Jetzt zuckt und flackert sein Herz oben, wie vom Sturme gepeitscht. Siehe, ich bin ruhig, singt die Flamme, bist du es auch noch? Ihre matten Strahlen tasten ihm ins Antlitz und sie sieht – o weh! wie ihm die Tränen stromweise über die bleichen Wangen fließen. Der sagt jetzt nicht mehr: schau, mein Auge ist heiß und trocken, keine Zähre benetzt mein Gesicht, sondern der weint jetzt wie ein hilfloses Knäblein, weint, daß es zum Steinerweichen ist.

Weint er aus Reue, aus Kummer und Trauer über Charlotte? Nein, nein, das kann vielleicht noch kommen; jetzt weint er über Kathi.

»Warum, warum, warum?« So schlägt er sich vor die Stirne. »Sie, die es schon dahingebracht, mich vergessen zu lassen, daß sie ein Äußeres sei, sie, die schon ganz Ich war, warum mußte sie selbst diesen Bruch herbeiführen?! Unglückliches Geschöpf! aber, bei Gott, unglücklicher ich selbst!«

Wie sollte das Leben weitergehen? Jetzt wußte der Dichter, der über einen abgerissenen Hemdknopf das innere Gleichgewicht, alle Stimmung und Schaffenslust verlieren konnte, was die im stillen wirkende Liebe Kathis für ihn bedeutet hatte. Mochte er noch sagen, daß sie das Verhängnis seines Lebens war, daß sie den Flug seines Genius gehemmt hatte, indem sie ihn mit Zänkereien und Alltagssorgen belastete? Ahnte er nun, daß ihre tätige Treue noch viel mehr des Hemmenden ihm aus dem Wege geräumt hatte? Aber das hat er nicht sehen wollen. Er vermeinte das Dasein nicht ertragen zu können ohne sie und mit ihr erst recht nicht. Unseliger Konflikt, der nicht enden konnte! Und Mißverständnisse, die wie eine dünne Scheidewand zwischen ihnen standen, und durch beider Bemühen, sie wegzuräumen, immer neue, größere Mißverständnisse gebaren! Sollte man das zerstörende Spiel von vorne beginnen? Es wäre die Hölle, es zu tun. Aber es war auch die Hölle, es nicht zu tun. Unmöglich, das Medeengeschenk ihrer Liebe zu bewahren, und ebenso unmöglich, es zu verlieren!

Was bist du so ruhig, Flamme, siehe, mich beugt der Sturm!

Es war eine schwere Zeit. Wo ist die Ruh', der Friede mild? Wo ist das Glück?

Schon einmal stand er in Not und Verzweiflung nächtlicherweile an diesem Fenster, das war vor Jahren. Damals aber war das Fenster drüben noch nicht leer, das als Rahmen ein madonnenschönes Gesicht umschloß. Seine Venussin war es, die damals schon Kathis Bild aus seinem Herzen verdrängte, sich in seine Dichtung einschlich, und als priesterliche Hero seine Liebesgeständnisse empfing. Die hatte er damals in wilder Nacht gerufen, wenn auch vergebens, einen Schmerz zu betäuben, der gegen diesen, den er jetzt empfand, ein Hirtenlied war. Nun rief er sie in der Wirrnis seiner Seele von neuem, obzwar das Fensterbild längst verschwunden war.

»Keine Erhörung?«

Oh doch, sie wurde ihm so schnell, als er es nur wollte.

Das war jetzt die Narkose.

Das Leben war so voller Schlingen und Fallgruben, und er, der in allem Menschlichen so schwach war, patschte in jede hinein.

Die schöne Frau Daffinger hatte ihn wieder zu sich gebeten.

Da saß er neben ihr auf dem Sofa im Salon, einem Sofa mit goldenen Sphinxen und Flügeln und Klauen und hörte ihre Klagen an, obzwar sie schon getröstet schien, weil er da war, der Arzt ihrer Seele.

Ja, er hatte sich selbst überzeugt, die arme Frau! Ihres Mannes Roheit wird sie noch zugrunde richten! Der Mann brüskiert sie im eigentlichsten Verstande. Er ist absolut im Unrecht. In dieser Frau liegt mehr als anfangs scheinen wollte!

Das sagt ihm seine Empfindung.

Sie läßt ihre Augen spielen – Herrgott, und was für Augen! Nixenseen sind sie. Dunkel, unergründlich und gefährlich!

Und er sitzt dicht daneben und taucht seine blauen Strahlen in die dunkle Unergründlichkeit.

»Schön ist sie, schön, schön, schön!« denkt er.

Er ist ein wenig benommen, wortkarg, melancholisch.

»Da hat jemand im Salon der Pereira über Sie gesagt, daß es gut wäre, wenn man Ihr Blut ein wenig aufriegeln würde,« sagt sie und sieht ihn verführerisch an.

»Wär schon gut,« erwidert er etwas trocken. Aber es schwindelt ihm, und eh er recht weiß wie, ist er in dem Liebesnetz der dämonischen Schönen verstrickt, heilloser als einst in der geheimnisreichen, dunklen Ballgasse.

»Allmacht ist deine Macht
Schönheit, mächtige Herrin!«

So besingt er die ehebrecherische Geliebte, die zum zweiten Male die Seine wurde.

Aber der Rausch ist kurz, die Ernüchterung folgt mit dem unausbleiblichen Katzenjammer.

Er sitzt neben der wunderschönen Frau auf dem geflügelten Sofa mit den Sphinxen und goldenen Klauen und langweilt sich. Sein Benehmen wird brüsk, sie verlacht ihn. Diese Frau wird ihm selber zur Sphinx, voll Rätsel. »Ein Dämon oder ein Kind oder beides!« Er kennt sich selber nimmer aus. Wie unschuldig sie ihrem Manne gegenüber tun kann! »Es ist zwar nicht zu verzeihen, aber es ist ein klein wenig zu begreifen, wenn er sie schlecht behandelt!«

Der Dichter hat einen unüberwindlichen Abscheu gegen das Komödiespielen jeder Art, besonders aber gegen das im gewöhnlichen Leben. So wird ihm diese Frau unerträglich. Überhaupt dieses ganze, üble Verhältnis! Er sehnt sich weg.

»Jason, ich weiß ein Lied!« höhnt sie und parodiert Medea, um ihn für seine verletzende Kälte zu züchtigen.

Jetzt aber ist es aus! Seine Empfindlichkeit ist aufs tiefste getroffen. Das ist der Punkt, wo er sterblich ist. Jason, Jason, wer hat ihn denn nur einmal mit Jason verglichen? Er denkt angestrengt nach. »Jessas, die Kathi war's!« Er war damals schwer genug darüber hinweggekommen. Aber die Kathi war auch was anderes wie die da! Nie hätte er von einer anderen diesen Spott eingesteckt!

Da lästert er schon wieder über das »verächtliche Geschlecht«, wie er es in früherer Zeit oft tat. »Sind alle auf einen Schlag. Weinen ohne traurig zu sein, lachen ohne froh zu sein, scheinen immer anders, als sie wirklich sind, und bringen ihrer Gefallsucht jedes, auch das größte Opfer. Koketterie, das ist die Achse, um die sich ihr ganzes Tun und Denken dreht. Liebe und Freundschaft werfen s' leichtfertig hin, wenn sie sich damit nur einen Augenblick das Beifallslächeln der Bewunderung erkaufen können. Ehe, ach Ehe, bin nichts für die Ehe!«

Er kann jetzt reden, er hat die Erfahrung!

Nun sagt er sich los, endgültig. In Gedichten gibt er ihr den Abschied: »Und wer da lebt, der hüte sich vor dir!«

Sie lacht dazu. Früher einmal hatte sie geweint. Er hatte ihre Tränen gesehen. Jetzt war es freilich anders. Vielleicht hatte sie auch diesmal geweint. Aber das ließ sie sich nicht mehr merken. Nur ins Gesicht lachen, das tat sie.

Er hatte wieder eine schöne Lehre empfangen. »Wie anders war es doch mit Kathi!«

Jede neue Erfahrung ätzte den Schmerz tiefer und tiefer um das, was er verloren hatte.


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