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XII.

»Gott Mahadöh will auf Reisen gehen. Es leidet ihn nicht mehr in Wien. Mehr Goethe, mehr Goethe! Er will in Goethe leben. Er wird als Schauspieler mit einer wandernden Truppe nach Deutschland ziehen, nach Goethes Rezept natürlich. Zu seinen hundert Talenten hat er kürzlich ein neues entdeckt; zum Theaterspielen nämlich. Aber eigentlich ist's nicht wegen Wilhelm Meisters; es ist wegen Marianne. Schade, daß er weggeht, er ist doch ein zu lieber Kerl.«

Unbekümmert plauderte Kathi fort und kramte einen ganzen Sack voll Neuigkeiten aus.

»Gott Mahadöh?« stutzte Grillparzer; »wo habt ihr dieses Wort her? Wer hat das gesagt?«

»Die Klementine Ruß; eigentlich hat ihm's Bauernfeld aufgebracht.«

»So?! Ja wie kommt ihr zu Bauernfeld?«

»Aber neugierig sind Sie gar nicht, mein Herr!« neckte Kathi; »nur schön Geduld, eines nach dem anderen! Die Ruß verspottet ihn gern damit, aber ich wette, sie ist in Schober verliebt, wenn sie auch nicht wünscht, daß er sie mit feurigen Armen in den Himmel erhebe.«

»Wa–, was? Mit feurigen Armen in den Himmel ... Was ist das für eine Sprache?«

Es verschlug ihm wirklich die Rede. Ist also in diesem Tratschnest die Geschichte von den dreizehn Wangerln wirklich schon ruchbar geworden? Man kann sich nicht genug in acht nehmen. Das Herz schlug ihm dabei, wenn er an dies und das dachte.

»Sind Sie nicht so fad, mein Herr,« hofmeisterte Kathi; »nun ja: mit feurigen Armen in den Himmel erheben. Was ist denn da dabei? Gott Mahadöh hat halt schon zuviel Herzen in seine feurigen Arme genommen, darum hat er bei Marianne einen Korb gekriegt. Das wird ihm noch öfter passieren. Es ist ganz gescheit von ihm, wenn er so lang wegbleibt, bis Gras über die Geschichten gewachsen ist.«

»Was für Geschichten?«

»Ach Gott, man erzählt so allerhand.«

»Unsinn! Nichts als Ehrabschneiderei!« Es konnte einem wirklich schwül werden. »Ist doch heute kein anständiger Mensch mehr sicher vor den bösen Zungen!«

»Schau, schau, wie er ihn jetzt in Schutz nimmt,« stichelte Kathi fort. »Hast ihn aber sonst nie recht mögen. Warum auf einmal Feuer und Flamme für ihn?«

»Bin doch nicht Feuer und Flamme für ihn,« verteidigte sich Franz. »Ich erlaub mir halt nur, auch eine Meinung zu haben ... bitt' sehr!«

»O, diese Männer!« gab Kathi spöttisch zurück, »in einem gewissen Punkt läßt einer nichts über den anderen kommen. Da stehens zusammen wie eine Mauer. Ist einer einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert!«

Franz lachte etwas gezwungen zu den launigen Derbheiten Kathis, die ihren Gedanken gerne einen drastischen Ausdruck verlieh und mit Volkstümlichkeit selbst ein wenig schauspielerte. Aber es war ihm nicht gemütlich bei diesen Scherzen.

»Und wie ist das mit Bauernfeld?« lenkte er ab.

»Ach, ganz einfach, die Ruß hat uns bei Hofrat von Chezy mit ihm bekannt gemacht; er dichtet und soll auch ein guter Schauspieler sein. Schreyvogel hat übrigens ein Stück von ihm fürs Burgtheater angenommen. Ein Lustspiel oder so was. Er liebt dich und schwärmt unaufhörlich von dir.«

»Hm!«

»Bei Hofrat von Chezy wird ein Haustheater veranstaltet; Bauernfeld spielt mit. Und Schröder, denk dir, der Schröder vom Burgtheater kommt auch, natürlich nicht als Mitwirkender, sondern nur als Gast und Zuschauer.«

»Hm, hm!«

»Spielen tun wir! Aber aufgepaßt! Vor echten Künstlern, da heißt's sich zusammennehmen.«

»Wer, wir?«

»Nun wir! Wir alle. Nämlich von uns nur ich. Ich bin doch gebeten worden, eine Rolle zu übernehmen.«

»Und du hast selbstverständlich ›nein‹ gesagt?!«

»Selbstverständlich habe ich ›ja‹ gesagt. Ich sag euch, Kinder, das wird fein!« und dabei schnalzte sie mit den Fingern.

»Hm, hm, hm!«

»Die Rolle ist ja so leicht, ich hab sie zweimal durchgelesen und kann sie schon fast auswendig. Weißt du, wie das Leben ist sie, so wahr und echt.«

Er war schon ganz grämlich geworden; er hätte gerne abgeraten, weil es ihm nicht in den Kopf wollte, daß seine Braut vor fremden Leuten Komödie spielen oder gar, wenn es die Rolle erfordert, sich von ihrem Partner umarmen oder küssen lassen soll. Dagegen war er durchaus. Jetzt freilich würde sie sich um keinen Preis abbringen lassen. Was tun also?

»Was für ein Stück ist es denn eigentlich?« knurrte er schon ganz verbissen.

»O, es wird dir sicher gefallen, von Kotzebue ist es und heißt: ›Die Unglücklichen‹.«

Jetzt war kein Halten mehr, wild brach der Unmut los. »Diese Menschen!« zeterte er, »diese Ungeheuer in Engelsgestalt! Wenn sie nach ihrem Sinne wählen, ist ihnen das Schlechteste gut genug. Einen Kotzebue! Und das tut die Braut eines Dichters! Ehe Kotzebue dreimal kräht, wirst du mich dreimal verraten haben!«

Wie eine wilde Hummel schoß die vierte Schwester, die Bognerin, herein und störte den Ausbruch seiner Verzweiflung.

»G'schwind, g'schwind, hab wenig Zeit, nur ein Schalerl Kaffee, muß sofort wieder ins Atelier. Daffinger hat sich verlobt, er kommt nicht mehr zum Malen, dabei erdrücken s' ihn mit Aufträgen; wenn ich nicht wär, ging gar nichts mehr vorwärts.«

»Verlobt?!« tönte ein vierfaches Echo zurück. Funkelndes Interesse in den Augen der Netty und Pepi, freudiges Erröten in Kathis Wangen, denn ein solches Ereignis rückte die Menschen ihrem Herzen näher, wenn sie auch im Leben fern standen. Grillparzer aber wurde blaß und rot und fühlte ein leises Zittern in den Knien.

»Verlobt? Mit wem?«

»Mit Marie von Smollenitz. Kennt ihr sie nicht?«

»Nein. Ist sie schön?«

»Sehr schön. Aber der Daffinger wird sein Kreuz mit ihr haben; sie ist ein Wildfang, und tut was sie will. Die Sache geht überdies schon eine Zeitlang her, zuerst hat sie ihn ausg'schlagen, dann hat sie sich eine lange Bedenkzeit ausbedungen, und schließlich hat sie doch eingewilligt. Er hat sich's in den Kopf gesetzt, die und keine andere muß die Seine werden. Wie er mit ihr fertig wird, ist seine Sache, leicht stell ich mir das nicht vor. Sie ist schwierig, und er ist es auch; aber schaden tät's nicht, wenn sie ihm die Flügel ein bißchen stutzen tät; er war eigentlich immer ein lockerer Zeisig. Jetzt muß ich aber schauen, daß ich weiterkomm. Adjes, alle miteinand!«

Draußen war sie.

Jetzt hätte Franz seine Strafpredigt fortsetzen können, aber alle Lust war ihm vergangen. Wie ihn die Bognerin sonderbar angeschaut hat! Schier als Schuldbewußter fühlte er Schweißtropfen der Angst auf die Stirne treten. »Torheit, auch! Alles Einbildung!« Aber die Unruhe des Herzens war zu mächtig, er mußte fort.

»Du, ich glaub, der Grillparzer ist bös wegen deinem Theaterspielen,« sagte Netty.

»So?« gab Kathi mit erkünstelter Ruhe zurück, »er wird schon wieder gut werden.«

Theaterspielen tun sie alle fürs Leben gern, der Schober ist nicht der einzige, den es treibt. Man möchte einmal aus seiner Haut heraus, ein bissel nur, zur Probe; man ist dann gleich wieder zufrieden. Das Leben ist ja so eng und kleinlich, schier nicht zum Aushalten, wenn man's nicht künstlich erweitern könnte, gleichsam mit Spiegeln umstellen, aus denen das hundertfach verwandelte Ich heraussieht, mit fremdem Schicksal drapiert ... So trägt man das eigene leichter. Musik, ja, ja; aber man kann nicht immer Musik machen; nicht jeder kann dichten oder malen. Aber Komödiespielen kann jedes, man hat's schon im Blut. Talent also, Talent!

Bei den Proben geht's riesig lustig her, einer ist komischer als der andere. Keines weiß recht, wo's hingehört, die meisten haben heut wieder vergessen, was sie gestern gelernt haben; so natürlich sie sich sonst geben, so steif und hölzern werden sie, wenn sie auf den Brettern stehen. Und morgen ist schon der Theaterabend, das wird ein schönes Fiasko geben! Macht nichts! Erst im Feuer wird man ein guter Soldat, und manchem Genie ist der Knopf erst aufgegangen, wenn es schon am Verzweifeln war. Dilettantenbühnen sind ja wegen der Unterhaltung da; ernst genommen werden sie ohnehin nur von den Mitspielenden.

Bauernfeld lamentierte: »Ich möcht mich selber spielen, aber ich kopiere nur Schauspieler, die mir imponiert haben. Ich komme einfach nicht drüber.«

Geht anderen auch so. Kommen einfach nicht drüber. Und sind schon zufrieden, wenn sie glauben, es so zu machen wie ihr Vorbild.

Kathi weiß alles, kann alles. Schminken, frisieren, anproben; sie war zu oft Theatermutter gewesen in Pepis Anfängerzeiten. Und ihre Rolle geht wie am Schnürchen. Aber sie hat schon alle Lust verloren.

»Wenn nur das Stück nicht so blöd wär! So ein stupides Zeug auswendig lernen, puh! – möcht um keinen Preis Schauspielerin sein!«

Jetzt hätte sie lieber abgesagt. Grillparzer war seit Tagen nicht mehr gekommen. Er trotzte. Jetzt auch noch dieses Zerwürfnis wegen der kindischen Theaterspielerei!

»Absagen geht nicht mehr,« entschied Pepi, »dann sind die Leute wieder beleidigt. Jetzt heißt's durchhalten und ein anderes Mal klüger sein.«

»Ja, durchhalten, durchhalten; spielt ihr den Quark, wenn euch so zumut ist.«

Half aber alles nichts, mußte durchgehalten werden, und wenn die Verlobung draufgeht. Jetzt war man gern in die eigene Haut zurückgeschlüpft, aber man hatte bereits eine andere an, die Herr Kotzebue angemessen hatte. »Die Unglücklichen« – schon das richtige Unglücksstück.

»Du wärst ja jetzt in der passenden Verfassung für die Rolle,« spottete Netty; »kannst jetzt die Unglückliche spielen.«

Aber der Kathi war nicht zum spaßen. Sie litt an heimlichem Schmerz. Und hatte sich bald verraten. Mußte es aber jetzt hören:

»Alles ist Schmerz. Musik ist Schmerz, Dichtung ist Schmerz, Leben ist Schmerz, Spielen ist Schmerz. Er gibt dem Dasein Größe und Stil. Künstler, wer ihn zu gestalten versteht!«

Aber Kathi wollte doch das nicht, sie hatte was Gescheiteres zu tun. Am Abend der Vorstellung war sie schon halb krank vor Aufregung und Widerwillen. In den zwei winzigen Garderobezimmern der Chezyschen Hausbühne lehnten und standen marionettenhaft die geschminkten und gepuderten Dilettanten umher, zitternde Opfer, die auf das Zeichen warteten. Bauernfeld rannte besinnungslos hin und her und memorierte. Die Rolle saß halt noch immer nicht.

»Mein Gott, wär's nur schon vorüber!« Der armen Kathi schlugen die Zähne, sie fror, obzwar es drückend heiß in dem kleinen Raum war. »Warum s' uns so lang warten lassen?«

Durch ein kleines Loch im Vorhang sah man in den Salon, wo die ernsthaften Leute saßen und erbarmungslos zu lächeln schienen über die traurigen Hanswurste in der Kammer hinten.

»Um Gotts willen, der große Schröder ist wirklich da!« Jetzt entsank allen erst recht der Mut.

Ein Glück, daß Er nicht gekommen ist. Franz soll nicht Zeuge der Niederlage werden. Nein, nein, nur das nicht! Sie würde ewig unter seiner Spottsucht zu leiden haben. Obzwar es kränkend ist, daß er von sich nichts hören ließ und der Einladung nicht folgte. Das hätte man doch erwarten dürfen. Eigentlich war es seine Pflicht zu kommen! »O, ich Unglückliche!«

Sie sah wieder durchs Guckloch. Da saßen Netty und Pepi. Und zwischen ihnen – nein, das ist zu arg! – Er, er selbst. Ein wenig in Falten gelegt, wie übrigens immer. O, das war zu boshaft! Er ist gekommen, sie aus der Fassung zu bringen, sie in Grund und Boden zu lächeln, sich an ihrer Niederlage zu weiden. Er will sie strafen, weil sie einmal ihrer kindischen Laune gefolgt war, ohne ihn zu fragen. Das war unedel von ihm. Sie wird es ihm nie verzeihen. Nie! Krampfhaft ballt sie das Taschentuch und fährt nach den Augen, eine Träne abzuwischen. Aber sie besann sich zur rechten Zeit, daß sie geschminkt war. Nicht einmal weinen konnte sie jetzt, ihren Schmerz ausweinen; oh, wie bitter!

Jetzt flogen die Türen auf, herein schritt, von göttlichem Selbstbewußtsein geschwellt, das lorbeergewohnte Haupt hoch erhoben, der allverehrte große Sänger Vogl, von der lächerlich gutmütigen Hausfrau mit tiefen Bücklingen empfangen. Jetzt tritt Vogl gegen die Mitte des Salons vor, wie er es auf der Bühne tut, mustert rasch die Anwesenden, nickt befriedigt, verschenkt Gnadenblicke, sendet ein Lächeln dahin und dorthin, ist mit einem Wort ganz Größe. Und hinter ihm klein und demütig, schier verhutzelt, sein Zwerg – der arme Schubert Franzl, der sich schon wieder beim Klavier niederduckt.

Die in der Garderobe werden auf die Folter gespannt, denn jetzt können sie warten. Jetzt ist es alles eins, die Nerven halten diese Spannung ohnehin nicht mehr aus, mag's gehen, wie's will! »Der Vogl singt jetzt draußen, und wenn der einmal anfängt, kann er sich nicht genug tun. Wünsch gute Nacht!«

Natürlich singt er Schubertlieder. Beifallsturm bricht los, als er geendet; huldvoll nimmt der Sänger den Ehrenzoll entgegen. Ihn bejubeln sie, der so schön gesungen; den Schubert vergessen sie. Der hockt zusammengerollt über den Tasten und denkt sein Teil. Wahrscheinlich aber denkt er gar nichts, er weiß, es ist einmal nicht anders auf der Welt. Glücklicher!

So, und jetzt kann das Theater losgehen. Bim, bim, bim! Die in der Garderobe hinten sind halbtot vor Aufregung. Mit einer Nadel gestochen, würden sie keinen Tropfen Blut geben. Sie kennen sich überhaupt nicht mehr. Kathi stürmt auf die Bühne hinaus, ihr Stichwort ist gefallen, aber sie weiß nicht was sie tut. Alles geschieht im Delirium.

Das Stück ist wirklich albern. Aber was ist das mit Kathi Fröhlich? Der große Schröder gibt das erste Zeichen zum Applaus. Auf offener Szene. Herrgott, dieses Theaterblut! Diese Theateraugen! Augen, in denen ein Gewitter schläft. Jetzt ein Blitz, und dann Finsternis! Und dann dunkel geöffneter Himmel, niederstürzende Wonnen! Und dieses Feuer, diese leidenschaftliche Wucht der Bewegungen! Diese zögernde, mädchenhaft zurückhaltende Langsamkeit, dieses Sammeln, An-sich-ziehen, Zum-Felserstarren und dann dieses blitzartige Herausschnellen aus dem Fels, dieses Sich-Herausschleudern aus der Unbewegtheit, dieses jähe Erwachen aus der Befangenheit, dieses fesselsprengende, fortreißende wildstromartige Ungestüm. Prachtvoll! Ausgezeichnet! Alles hat sie, Geist, Humor, Witz, Temperament und vor allem Natürlichkeit! Von der gassenjungenhaften Mutwilligkeit bis zur seelenaufwühlenden Verzweiflung des unglücklich liebenden Weibes beherrscht sie die ganze Skala der Empfindungen. Phänomenal!

Sie hatte in ihrer Aufregung alles vergessen, was um sie war und spielte sich selbst. Spielte ihren Zorn, ihren Schmerz, ihre Kindlichkeit, ihre Ausgelassenheit. War Grazie und war Furie, von jedem etwas, wie sonst im Leben auch. Es war nicht mehr Komödie, sondern unbewußte Selbstdarstellung. Etwas ungeheuer Seltenes.

Schröder, der berühmte Tragöde, ist unerschöpflich in Lobpreisungen. Ein neuer Stern ist entdeckt, der auf dem Theaterhimmel herrlich aufzugehen verspricht.

»Ich weiß überhaupt nicht, was ich getan und gesagt hab,« erzählt Kathi dem Hofschauspieler nach der Vorstellung, »ich war wie im Traum, geistesabwesend. Ich bin doch nichts für die Bühne. Dieses Lampenfieber, schrecklich! Ich glaube, ich würde es nie überwinden.«

»Lampenfieber? Mögen Sie's nie verlieren,« belehrte sie der Künstler. »Es ist die Jungfräulichkeit der Empfindung, die der Künstler noch mit siebzig Jahren besitzen soll. Dann wird er um so besser einen Siebzehnjährigen spielen können. Kalte Routine, die nicht wärmt und nicht überzeugt, ist allerdings frei vom Lampenfieber. Es ist notwendig und heilsam, eine Benommenheit, die der Ekstase vorangeht, in der der Mensch über sich steht. Glauben Sie, mich befällt es nicht allabendlich, wenn ich zur Bühne hinaustrete? Ich sage Ihnen: ein Verbrechen ist es, wenn Sie nicht zur Bühne gehen!« Und dann wendete er sich zu Netty und Pepi und wiederholte mit seiner schwingenden Schalltrichterstimme: »Ein Verbrechen ist es, wenn sie nicht zur Bühne geht!«

Die ganze Gesellschaft blökte das Lob nach. Vogl geizte mit Anerkennung; er war verschnupft, weil er den Lorbeer des Abends teilen mußte.

Kathi ließ still den Sturm der Begeisterung über sich ergehen, der an diesem Abend nicht enden wollte. Sie war wieder sanfte Taube; alles Sprunghafte, wildartig Geschmeidige, das an die unvorhergesehenen Bewegungen der Panther und Schlangen erinnerte, war ausgelöscht, vergessen, fort, fort. Unter dem Tischtuch griff sie tastend nach der Hand Grillparzers, ließ sie aber sofort los, als hätte sie etwas Kaltes, Lebloses ergriffen.

Daß er gar nichts sagte, kein Wort des Lobes oder des Tadels? Sie wurde ängstlich. Wenn er wenigstens sagen würde, daß ihm alles auf das höchste mißfallen hat! Sie war ja so froh, daß er gekommen war, und jetzt vergällt er ihr wieder die Freude. Rein dadurch, daß er nichts dergleichen tut. Aber so ist er, so ist er! Jetzt liegt ihr schon an dem Lob der anderen auch nichts mehr.

Aber das Leben hat jetzt dennoch einen neuen Wert. Über Nacht ist eine schöne Hoffnung erblüht, und hängt wie eine volle leuchtende Rose an einem Dornstrauch. Derart ist dieses Leben! Gestern noch blutig geritzt, und heute die roten Tropfen unter den spitzeinbohrenden Nägeln in lauter Blumen verwandelt. Also geschmückt geht man einher. Träume, groß blickende, glutäugige, wahnselige Träume. Rosen, Rosen, vielleicht auch Lorbeer! Oder Dornen? Auch Dornen, gewiß, ja. Einerlei! Jedenfalls aber eine Bestimmung, ein Ziel, ein Beruf!

Zu Hause sprach man davon, tagelang.

»Geld verdienen! Geld verdienen!« Kathi jauchzte über diese Aussicht. Endlich hat sie auch einmal etwas zu geben. Zukunftsmusik zwar, aber dennoch! Jetzt fühlt sie sich nicht mehr unnütz. In absehbarer Zeit kann sie das Ihrige zum Haushalt beisteuern, damit nicht immer der Geldbeutel der Schwestern allein herhalten muß. Ein sehnlicher Wunsch ihres Lebens will sich erfüllen. »Wünschts Euch recht was Schönes; ich kauf's Euch von der ersten Gage!«

»Geh, du Narr! Verkauft das Fell, ehe sie den Bären hat!« Die Schwestern lachten über die Voreilige. Aber immerhin. Die ganze Sache will ernst genommen sein. Man gibt zu: »Sie hat was los. Sie hat entschieden was los. Man braucht sein Licht doch nicht unter den Scheffel zu stellen. Mach also, wie's d' glaubst! Leicht ist es ja trotz alledem nicht. Das weißt du ja von der Pepi. Zu lernen wird's massenhaft geben, aber laß dich nicht abschrecken; Courage und Ellbogen! Das hast du ja. Und ich denk, der Schröder würde nicht so drängen, wenn's hoffnungslos war.« So die Netty.

»Na, und Grillparzer?« warf die Pepi ein. »Den hast vergessen?«

Oho, den hat sie nicht vergessen. »Wieso denn?« Kathi denkt unaufhörlich an ihn. Wie könnte sie anders? Ein Schmerzenskind ist diese Liebe. Um so heißer wird's darum geliebt. Alles wird gut werden, denkt Kathi; sie hat eine innere Gewißheit, daß es so und nicht anders werden wird. Schon hat sie sich was Schönes ausgedacht. Ein doppeltes Ziel, scheinbar eines dem anderen feind, und dennoch füreinander zur Hilfe bestimmt. Wär's nicht gut, wenn sie verdiente? Geld, Geld! Das sprach ja im Grunde immer mit, und wäre dieser Mangel nicht, dann hätte sich alles leichter schlichten lassen, und sie wären trotz des Liebesstreites wahrscheinlich längst ein Paar. Wenn sie aber das Ihrige bringen könnte, müßt es ihn nicht freuen? Eine verdienende Frau! »Es gibt doch Schauspielerinnen, die verheiratet sind,« gab sie auf Pepis Einwand zurück, »Schauspielerinnen, die ein glückliches Eheleben führen.«

»Tja!«

Bauernfeld meldet sich zum Besuch. Ist ganz hingerissen, schwärmt noch von dem neulichen Abend. Sie lachen über die Angst und Aufregung, die sie ausgestanden, und die eigentlich ganz grundlos war. Chezys beabsichtigten einen neuen Abend: ob sie die Gnade haben wolle, die Hauptrolle zu übernehmen.

»Gern, natürlich, sehr gern! Aber ein anderes Stück!« Sie ist wie der Löwe, der Blut geleckt hat.

»Freilich ein anderes Stück.« Er wird nachdenken darüber und Vorschläge machen.

Er sitzt da mit seinem nach innen gewendeten Lächeln und glänzt vor Vergnügen, als er hört, daß sie zur Bühne gehen will. Ein Stück will er für sie schreiben, ein Stück mit einer weiblichen Hauptrolle, die ihr ganz auf den Leib geschrieben ist. Eine Komödie voll tragischer Ansätze, wie es immer das Wesen der Komödie ist, darin sie alle Register spielen lassen kann, alle Facetten ihres reich zusammengesetzten Wesens.

»Reich zusammengesetzt, uj Jegerl,« verlacht sie den Schwerenöter; »das heißt auf gut Deutsch: Wechselbalg! Ja, das haben Sie sagen wollen, Herr von Bauernfeld, bitte keine Komplimente! Müßt übrigens fein sein, auf Kunstreisen zu gehen mit einem solchen Stück, durch ganz Deutschland, wie der Herr von Schober. Was sagst du dazu, Pepi? Ach, reisen!«

Eben noch scherzend und lachend und, kehrum-d'-Hand, schon wieder sehnsüchtig. Wechselbalg!

So wurden eine Stunde lang mit Heiterkeit Pläne geschmiedet.

Als Bauernfeld ging, war er an Kopf und Herz ein neuer Mensch. Lachte still in sich hinein: »Oh, die ist eine, die ist eine! Quellfrisches, sprudelndes, blutechtes Leben!« Alles Bürgerliche und Romantische schoß ihm jetzt auf in bunten klugen Einfällen und lustigen Ideen, soviel, um ein ganzes Dichterleben zu bestreiten. Fort mit den alten Scharteken, an denen er mit zweifelnder Gläubigkeit noch immer hing, fort mit Vergangenheit und Mythologie, fort mit den papierenen Frauenzimmern, Göttinnen und Heldinnen der Literatur und Akademie und frisch aus der Quelle geschöpft! Das Leben war ja bei aller Armut so reich und ergiebig; man mußte nur zu schöpfen wissen. Schöpfer! Und dachte an Grillparzer und lachte wieder, ein listiger Schalk: »Hat's leicht! Hat's sehr leicht! Und macht sich's so schwer. Sitzt an der Quelle und verdurstet!« Lachte und pfiff stillvergnügt.

Franz war aber wenig erbaut, als ihm die Fröhlichs von dem Besuch Bauernfelds erzählten.

»So! Hm! Dieser Patron!«

»Ist was g'schehen? Er hat dir doch so gefallen?«

»Mir gefallen? Nicht ausstehen kann ich ihn. Ich find ihn einfach zudringlich. Was hat er wollen, was hat er g'sagt, was hat er überhaupt da zu suchen?«

»Ach Gott, rein gar nichts; bloß wegen der neulichen Theaterspielerei. Es soll wieder was veranstaltet werden. Schließlich ist uns ja wirklich nicht um seine Gesellschaft zu tun.« Kathi war zur Nachgiebigkeit gestimmt. Was lag an dem Bauernfeld? Das war ein Posten, den man opfern konnte. Es galt wichtigere Sachen zu verfechten.

Seine Eifersucht war rege und jetzt hatte er's auch mit dem Argwohn. »Das ist Heuchelei,« dachte er. »Oh, dieser Bauernfeld mit seiner Fexerei,« rief er immer wieder, »das hat grad noch gfehlt.«

Kathi war heute so vergnügt, sie lachte und lachte. Nicht klein zu kriegen durch seine Übellaune.

Ihm aber war bitter ernst, wie sie es nicht ahnte, und das Lachen brachte ihn nur noch mehr auf.

»Leichtfertigkeit!« Das Wort wollte ihm nicht aus dem Sinn. Ja, das war es: sie war leicht, sonst hätte sie sich auf der Liebhaberbühne nicht so nackt spielen können. Wie er das nicht leiden konnte! Es war gegen all seine Begriffe von Zucht und Ehrbarkeit. Körperlicher Schmerz war es ihm, sie so zu sehen, vor aller Augen seelisch entblößt, gerade das Gegenteil von dein, was er am Frauenwesen liebte.

Kathi hatte bemerkt, daß ihn etwas quälte, oder daß ihm ihre Lustigkeit weh tat, und sie schwieg daher, schonungsvoller als sie sonst war.

»An was denkst du jetzt?« begann er.

»Denken – ja eigentlich nichts besonderes; gar nichts.«

»Aber etwas muß doch der Mensch denken, du kannst mir nicht weismachen, daß du jetzt an gar nichts gedacht hast. Ich durchschaue es ...« Er wagte es nur nicht selbst auszusprechen, was er dachte, aber sein Verdacht stand fest: an ihn denkt sie, die Falsche, die Treulose! Voll Glut denkt sie an den anderen! So eifersüchtig war er schon auf den harmlosen Bauernfeld geworden.

Ein müder Zug der Abspannung tritt in ihr Gesicht und machte sie altern. Sie begann zu leiden. Nein, wenn ihre schönste Hoffnung zunichte würde, wenn er sie nicht verstehen wollte – die Tränen schossen ihr plötzlich in die Augen. Wie soll sie es ihm denn begreiflich machen, daß er die gute Absicht kennt und würdigt? Freuen sollte es ihn doch eigentlich, anstatt daß er sie auf unsinnige, grausame Art quält!

Er sah ihre nassen Augen und triumphierte: »Also doch, von heimlicher Schuld gequält, von Gewissensangst gedrückt! Ich hab es ja gewußt; ein Blick und ich weiß, wie viel's g'schlagen hat. Ist's wahr oder nicht? Geständnis!«

Und nun begann sie ihre Beichte: »Du bist wohl noch bös wegen der kindischen Theaterspielerei; aber schau, Franz, wenn ich ganz zur Bühne ginge? Ich hab mir das schon fest vorgenommen.« Umständlich und kleinweise setzte sie ihm alles auseinander, wie sie es gedacht hatte, und wie schön es wäre, und wie leicht es beide hätten, und wie die Sorge von ihnen genommen wäre. »Wenn halt zwei am Wagen ziehen, rollt er um so leichter. Allein wird's dir zu schwer, fürcht ich, Franz.«

Das Herz bebte in ihren Worten, und die Sorge um sie beide, aber er hörte nur die Worte und nicht den Herzschlag und war ganz verdonnert. Das waren Geständnisse! Es wird immer schöner!

»Ich mag keine Komödiantin!« Damit war alles Zureden abgeschnitten.

Jetzt aber war auch ihre künstlich bewahrte Ruhe dahin. Wieder dieses blitzartige Herausschnellen aus dem Felsen, dieses Sich-Herausschleudern aus dem Starren, dieses fesselsprengende, fortreißende, wildstromartige Ungestüm. In den dunklen Augen war Wetterleuchten; der Orkan, der darin schlief, wollte erwachen.

»Und wenn ich es doch tue?!«

»Nun – dann kann ich ja gehen.« Dabei machte er eine etwas unschlüssige Bewegung zur Tür.

»Geh!« Scharf und klirrend schnellte das Wort wie ein Pfeil vom geschwungenen Bogen. Die Lippen hätten es gerne zurückgeholt, aber jetzt war's zu spät.

Er ging ganz langsam zur Tür, gesenkten Kopfes wie einer, den die Trauer beugt.

Ihr Zorn war schon wieder gebrochen; das Herz, eben voll eherner Widerstände, fühlte sich plötzlich kraftlos und zerschmolz in Reue und Rührung.

»Bleib!« rief sie ihm nach.

Aber er hörte nicht und ging und ging.

Da stürzte sie ihm nach, zur Tür hinaus und rief flehend zur Treppe hinab: »Franz! Bleib! Franz!«

Sie hörte einen Schritt und horchte ängstlich, aber der Schritt kam nicht näher, sondern ging und ging, Stufe um Stufe bis hinab, und jetzt ging er hallend über den holzbelegten Hausflur, und dann war alles still und leer.

Kathi griff in die Luft, tat einen kleinen Schmerzenslaut und sank ohnmächtig hin.

*

Die Ballgasse war finster, und seine Seele war es auch. Ein Wetter richtete sich zusammen, der Wind riß an den Laternen, und die Leute flüchteten in die Häuser. Aber er ging nicht schnell, das Zerren und Tosen, das Pfeifen und Gellen, dieses hundertstimmige Hohngelächter des Sturmes tat ihm wohl. Die Hölle war los.

Er suchte das Fensterbild drüben. »Du bist die Ruh' – der Friede mild.«

Aber wo war es? Wie sah es aus? Die Seele schrie nach dem Trost, der einst lindernd von dorther geflossen war. Gift hatte er aus dem Becher der Gnade getrunken, und jetzt verlangte er dieses Gift, um größeren Schmerz zu stillen.

»Marie, sei du nochmals meine Hero, mein nächtliches Licht!« So mußte die Nacht sein, da Leander sein dichterisches Gleichnis, die Priesterin, in wilder Lust an sich riß. Himmelsbraut und Venussin! Stürmische Nacht, Wogen, aufgeregtes Meer, ähnlich wie seine Seele.

Die drüben war nicht Himmelsbraut, doch immerhin Braut; für ihn aber Venussin. Daffinger fiel ihm ein.

»Der frivole, eitle, läppische Daffinger! Der verdient's nicht anders! Sie nimmt ihn ja doch nicht aus Liebe. Was liegt also daran?«

Das war einer der finsteren Augenblicke, wo das Gewissen schläft, und wo man das Schlimme mit Freuden tut. Er fiebert wie ein Kranker. Er sieht, wie das Übel wächst. Es will aber so sein. Betrug über Betrug! Doch niemand weiß es. Nur die Steine in der dunklen Ballgasse, die alten Mauern wissen es, und die trübe Öllampe unterm Fenster weiß es, deren Widerschein das sündige Menschenpaar im Zimmer belauerte. Niemand weiß es sonst. Das Geheimnis ist begraben in diesen Mauern und ist verlöscht wie die Laterne jedesmal, wenn der Tag kommt.

Aber das gesuchte Antlitz erschien nicht. Ganz flüchtig tauchte es hinter den Scheiben auf, doch es war nicht die Ruh' und nicht der Frieden, sondern hatte Zorn im Auge und Hohn auf den Lippen und war haßerfüllt gegen ihn, der treulos in der Untreue war und nach jähem Erbrennen zu eisiger Kälte erstarrte.

»Ich hätt doch den Daffinger nicht genommen, wenn ich das Kind nicht schon unter dem Herzen fühlen würde,« hatte sie in seinem Zimmer zur nachtschlafenden Zeit geschrien, als sie nach der Botschaft der Bognerin zum letztenmal beisammen waren, daß er besorgt ans Fenster stürzte, es zu schließen, denn die stille Gasse lauerte auf Skandal.

»Das hast du mir getan!« rief sie wild und schüttelte sich im Schluchzen, wie ein Bäumchen im Frühjahrsregen. »Was bleibt mir übrig, als diesem Menschen zu folgen, damit die Schande nicht aufkommt! Den ich nie gemocht hätte ... ekelhaft, ach, so ekelhaft!«

Jetzt erst waren sie aus dem Paradies verstoßen.

Aber der Dichter blieb unbewegt und hatte keinen anderen Trost zu spenden, als indem er sagte: »Es wäre besser gewesen, wir hätten uns nie gesehen.«

»So, so, so? Wär's besser gewesen?!« höhnte sie und schrie wieder krampfhaft, diesmal vor Lachen, das weher tat als alles Weinen. Und dann ging sie, von Scham und Zorn überflammt und mit Verachtung bedeckt, die sie als Lohn ihrer leichtsinnigen Liebe empfing.

Und jetzt hätte er sie gern wieder an sich gerissen, den Rausch zu suchen, das Vergessen im Genuß, und neuen Schmerz, um alten Schmerz zu tilgen.

»Die Sehnsucht du –
und was sie stillt ...«

Doch die Schöne drüben blieb hart und gnadenlos; sie konnte nichts als weinen und verschwand hinter den Vorhängen, denn sie mochte dem Betrüger nicht zeigen, daß sie so trostlos war, und daß sie ihn vielleicht noch liebte, während sie glaubte, ihn zu hassen.

Der aber stand am Fenster, selbst ein Verzweifelter und suchte den schmalen Streifen Himmel über der dunklen Gasse, in der alles Licht ertrunken war. Kein Stern über ihm, nur Wolken, faustgeballt, drohend emporgestreckt, wild in die Höhe geworfene Arme mit schwarz flatternden Fetzen.

Trüb, rotbrandig und rußig flackerte unten das Flämmchen in der Öllaterne, vom Sturm hin und her gepeitscht, zum Verlöschen. Er starrte in die gepeinigte Flamme und horchte auf das Heulen und Raunen des Windes. Sein Herz war eine solche Flamme, im Schicksalswinde hin und her getrieben! Und das Raunen im Sturm waren die Geschichten, die er an sich erfahren, und die in der Nacht im Wind zu wimmern und zu winseln anfingen. Heimliche Geschichten aus ehrwürdig düsteren Gassen und verwitterten Mauern; Herzensgeschichten, die voll Jubel und Zärtlichkeit sind, voll von bitterbösen Worten und Tränen, wie es immer der Inhalt der alten jungen Liebe ist. Die standen nun gegen ihn auf, klagende Ahnfrauen, die keine Ruhe fanden und mit dem Sturm ans Fenster drückten.

Und sein Herz zuckte im Schmerz, wie das Flämmchen unten.

Fort, wie der Schober es tat! O, der war klug, ein Lebenskünstler! Gras über die Geschichten wachsen lassen, die Seele auslüften, in der Fremde die Wunden heilen lassen, die die Heimat geschlagen hat, und dann zurückkehren, größer, reiner, gesünder!

Der Entschluß war gefaßt, also Urlaub um jeden Preis. Und wohin? Nach Weimar natürlich, seine geistige Heimat, Goethe schauen und die Gewißheit finden, daß die Unsterblichen ihn zu ihrem Kreise rechneten. Von Goethe empfangen zu sein, gehörte zu den letzten Dichterweihen; man mußte schon was Großes sein, um sich ihm nähern zu dürfen. Die zu Hause in der Wiener Stadt waren ja ein kleinliches Volk; die glaubten nicht an ihn, weil sie ihn täglich sahen, sein Menschliches kannten und wußten, daß er immerhin nur ein kleiner Beamter war. Nur nicht imponieren lassen, war ihr Grundsatz. Ja, wenn's von draußen kam, war's freilich was anderes! Wo der Pfennig geschlagen ist, gilt er nichts!

Gottes Mühlen mahlen langsam, Amtsmühlen noch langsamer. Mit dem Urlaub ging's also nicht so schnell. Aber der Gedanke daran war schon eine Rettung, etwa so wie das Kunststück Münchhausens, der sich selbst an dem eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht.

In den nächsten Tagen schon lief ihm Netty die Tür ein. »Kathi stirbt, du mordest sie ja, Grüllpatzer!«

Aber das ist leichter gesagt als getan; man stirbt nicht so schnell. Als Franz gleich darauf die vier Treppen hinaufflog, erwachte die Totgesagte wieder zum Leben, lächelte und hatte wieder rote Wangen.

Bauernfelds Besuch, der sich wiederholte, hatte sie abgelehnt. Sie wäre krank, ließ sie sagen, alles andere sei sehr unbestimmt. Adjö! Tür zu; draußen war er.

Geringes Opfer auf dem Altar der Liebe. Allzu gering; aber wenn's nur dem Gott gefällt!

Das Glück mußte jetzt von beiden mit sehr achtsamen Händen gefaßt werden, es war gebrechlicher als zuvor. Zart wie Glas und hatte obendrein einen Sprung. Die Theatersache war ein Stein des Anstoßes; lieber nicht daran rühren! Sie gingen dieser Frage vorerst ganz aus dem Wege.

Und jetzt war auch die Frist um, nach der die Hochzeit festgesetzt war. Hochzeit? Daran war jetzt gar nicht zu denken. Nichts war vorbereitet, keine Möbel, kein Quartier, keines der tausend Sachen, die in einem solchen Falle zu bedenken sind. Auch die Seelen waren nicht vorbereitet. Die schöne Zeit war vertan, verspielt, vertändelt, verstritten, vertrotzt. Und alle Stimmung war nun weg. So sahen Hochzeitsleute nicht aus wie jetzt die zwei. Also verschieben. Übers Jahr! Ein Jahr ist schnell herum. Ist dann noch immer Zeit.

»Um Himmels willen, was werden d' Leut dazu sagen? Noch ein Jahr! Dann geht's schon ins siebente oder gar ins achte! Kein Mensch glaubt mehr daran, ich auch nicht. Machs Kreuz darüber. Die war schon verheuratet! werden die Leut sagen. Da beißt kein anderer mehr an.«

»Krächz' zu, Unglücksrab'!« stritt Kathi gegen die letzmäulige Pepi. »Kann für mich überhaupt ein anderer Mensch in Betracht kommen als er? Ist doch nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Niemand kann sagen: die war schon verheuratet, sondern immer nur: die wird erst heuraten! Sollen reden d' Leut, was sie wollen; ich weiß, was ich weiß, und Punktum!«

Die Bognerin kam, war scharf wie ein Schwert und fing an: »Was ist denn mit der Ausbildung? Jetzt schau dazu! Die schönste Gelegenheit ist jetzt da. Der wird sich giften! Wie mich das freut, daß dem Z'widerling einmal was zu Trotz g'schieht! Warst schon beim Schröder?«

Jetzt war Kathi wieder groß. »Zu Trotz? Es wäre doch schmählich, so was zu denken oder gar zu tun. Franz hat ganz recht, ich wäre an seiner Stelle auch nicht anders. Es fällt mir gar nicht ein, Komödiantin zu werden. Ist's dir jetzt genug?«

»Herrgott, der hat dich schön in den Sack gesteckt! Der sollt nur mit mir zu tun haben, dem tät ich's aufmischen! Ist doch eine Gemeinheit, ein anständiges Mädel hinzuziehen. Euch soll man den Kopf zurecht setzen, dir und ihm!«

»Von In-den-Sack-stecken ist keine Red'. Aber wenn du kommen bist aufzuhetzen und Unfried zu stiften, Wettl, dann bitte, hier hat der Zimmermann 's Loch g'macht.«

So hatte die aufrechte Kathi die Bognerin abgefertigt, die immer was zu nörgeln hatte. Auch ein Opfer auf dem Altar der Liebe.

Aber das mit dem In-den-Sack-stecken konnte Kathi doch nicht ganz verbeißen. »Schaut's denn so aus? Dann braucht ihm nicht gesagt zu werden, daß ich auf die Bühne verzichtet hab. Kein Sterbenswörtchen. Soll daran glauben, wenn's auch nicht wahr ist. Man muß den Männern nicht zeigen, daß man so nachgiebig ist, sonst werden sie zu anspruchsvoll.«

Drittes Opfer auf dem Altar der Liebe, diesmal heimlich zwar, dafür aber ein um so größeres. Hero, die Priesterin, von der der Dichter träumte, konnte nicht idealer sein.

Frau Butterstößel und Minna Süßholz hatten es wieder eilig. Jeden Tag eine andere Kaffeevisite und immer derselbe Klatsch. Die Stricknadeln flogen fieberhaft und dabei fuhren die Köpfe zusammen mit glosenden Augen: »Also ist die Verlobung wirklich zurückgangen! Ich hab's doch immer vorausg'sagt, daß 's ein solches End nehmen wird. Sie haben's halt zu arg getrieben, da ist ihm endlich doch einmal der Geduldfaden g'rissen. Ja, ich sag Ihnen, das war ein Geschrei! Hinaus ist er bei der Tür, und sie ihm nach, über die Stiegen hinunter mit aufg'hobenen Händen: ich bitt dich, Franz, verlaß mich nicht! Aber er hat nichts mehr wissen wollen, und fort war er. Recht hat er g'habt. Wenn ich ein Mannsbild wär, hätt ich schon längst ausgepackt mit ihr. Wissen Sie, die Liebschaften von den Mädeln; nicht genug, daß sie seine Braut ist, hat sie nach rechts und links geliebäugelt; da wär' er ja dumm gewesen, wenn er sich das noch länger ang'schaut hätt.«

»So, so? Und ist's ganz aus?«

»Ganz nicht; jetzt kommen s' wieder zusammen. Die Frauenzimmer sind ja wie die Kletten, nicht auslassen wollen s' ihn mehr. Mir tut er recht leid, er ist ein so feiner, herzensguter Mensch. Ich bitt Sie, er könnt doch Ansprüche machen, die reichsten Partien stehen ihm zu Gebote, aber nein! da verhockt er die schönsten Jahre bei den drei Fuchteln, die um und um nichts haben, nur Ansprüch', Ansprüch', da machen Sie sich keinen Begriff! Ich behaupt', daß die drei das größte Unglück für den armen Menschen sind.«

»Was S' nöt sagen? Geht die eine nicht zum Theater? Ich hab so was g'hört.«

»Die eine ist ja beim Theater, Opernsängerin, aber sie hat ja nie ein Engagement. Aber jetzt geht die andere auch, nicht die Gesangsprofessorin, sondern die, die immer z' Haus war. Nach Deutschland kommt s' an eine Hofbühne. Alle zwei gehen s' fort, die Opernsängerin auch. Neulich waren s' grad beim Einpacken, wie ich dort war. Wenn s' nicht schon fort sind, dann ist's in den nächsten Tagen ernst damit.«

»Nun, und der Bräutigam?«

»Na ja, das ist's ja eben! Wie ich halt immer g'sagt hab. Sehn Sie's jetzt? Alles Larifari!«

Das war richtig an dem ganzen Tratsch, daß bei den Fröhlichs die Koffer gepackt wurden. Kathi ging auf Kunstreisen nach Deutschland. Freilich nicht als Bühnenkünstlerin, sondern als Theatermama. Pepi Fröhlich hatte ein Konzert- und Gastspiel-Engagement nach Dresden und einigen anderen Städten und sollte auch am sächsischen Hof singen. Kathi ging mit als Gardedame und Garderobière.

Nun saß Grillparzer allein bei Netty. Wie leer war jetzt die Stadt für ihn geworden! Als ob sie keine Menschen hätte. Die Häuser fielen schier auf ihn, so bedrückte ihn die entfremdete Stadt, eine tote Last, weil dies eine Herz nicht mehr in ihr schlug, das bei allem Streit und Ärger doch die eigentliche Heimat war. Wien war in diesem Herz, und sein Wesen hing mit allen Fasern daran.

Ein Glück, daß der Urlaub jetzt herablangte. Wenigstens in derselben Richtung fahren zu können, in der jenes Herz gegangen war! Aber zusammentreffen? Nein. Die mochten in Dresden sein. Er kam erst, als sie fort waren. Sein Ziel war Weimar. Dort, wo die Unsterblichen ihn als einen der Ihrigen empfangen, und wo der klassische Tempel des Ruhms ihm seine Pforten erschließen mußte.


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