Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

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13. Die Haidbauern

Der Wulfsbauer schlief sich ordentlich aus; er schlief drei und eine halbe Woche lang, und er wäre wohl überhaupt nicht aufgewacht, wenn er nicht so eine Bärennatur gehabt hätte.

Denn er hatte das Nervenfieber bekommen. Es war zu viel für ihn gewesen. Auch hatte er zu tief durch Blut gehen müssen; erst bis an die Enkel, dann bis zu den Knien, bis er über die Lenden darin stand und es immer höher und höher stieg, so daß es ihm schließlich bis an den Mund kam. Viel mehr hatte nicht gefehlt, da lief es ihm da hinein und er mußte ersticken.

Schon längst hatte er es nicht mit ansehen können, wenn ein Schwein geschlachtet wurde. Wurst, die aus Blut gemacht war, aß er seit Jahren nicht mehr, und ihm wurde schlecht, wenn sich eins von den Kindern in den Finger schnitt.

Aber er hatte das alles für sich selbst behalten; zu keinem Menschen hatte er darüber gesprochen, weder zu Drewes, noch zum Viekenbauer, noch zu dem Prediger, geschweige denn zu der Bäuerin. Er hatte all seinen Ekel jeden Tag in sich hineingefressen wie der Hund seinen Unrat, und hatte darüber harte Augen und einen engen Mund gekriegt und vor der Zeit ganz graue Haare.

Nun waren sie schneeweiß geworden, wo er knapp fünfzig Jahre alt war. Aber die fünfundzwanzig Kriegsjahre hatten doppeltes Gewicht; er kam sich vor, als wenn er schon achtzig auf dem Puckel hatte. Er wurde wieder ganz gesund, er ging dahin wie ein junger Mann, er konnte arbeiten wie ein Knecht von fünfundzwanzig, erhielt noch eine volle Sense mit einer Hand waagerecht, er hatte kein bißchen von seinem Gesicht und Gehör verloren, er konnte noch über das ganze Dorf schreien, er ritt wie ein Junge, er aß wie ein Drescher, aber alt war er darum doch.

Nicht, daß er in der Arbeit nachließ; das war eher umgekehrt. So wie er wieder auf den Beinen war, ließ er auf der Wüste Bauholz schneiden, denn den Wulfshof hatte er für seinen zweiten Sohn bestimmt. Er hatte den einen nicht lieber als den anderen, aber Johanna, und wenn sie ihm auch die liebste von seinen Frauen gewesen war, sie war immerhin aus der Fremde gewesen, und deshalb hatte er ihren Sohn auch auf den Namen Bartold taufen lassen, denn so hieß ihr Vater; den Jungen aber, den er von Wieschen als ersten bekommen, nannte er Harm, wie jeder älteste Wulf gerufen wurde. Der bekam also den alten Hof und den alten Kesselhaken, auf dem zu lesen stand: Ao 1111 Do. Bartold aber blieb auf dem neuen Hofe und hieß bald nicht mehr Wulf, sondern Niehoff, und als Hausmarke nahm er zwei Wolfsangeln, die über Kreuz standen.

Auch in den Gemeindeangelegenheiten ging der Kurvogtscharf in das Geschirr. Sein erstes war, daß er für eine Kirche sorgte, denn eine eigene Kirche waren die Peerhobstler nun einmal gewöhnt. Das gab viel Lauferei und Schreiberei, aber Wulf setzte es zuletzt doch durch, und als der Prediger fragte: »Ja, aber das Geld?«

Da sagte der Bauer: Ich gebe fünftausend Taler in Gold, denn ich will es los sein«, und da wußte Puttfarken, was das für Geld war. Außerdem war noch die Kette aus bunten Steinen und Perlen da, die Schewenkasper seinerzeit dem kaiserlichen Hauptmann aus dem Hosensack genommen hatte und die meist ebensoviel wert war, und die anderen Bauern gaben auch nicht wenig, denn die Beutegelder drückten ihnen allen auf der Brust. Zu allerletzt kam noch der Viekenbauer, zählte tausend blanke Taler vor den Prediger hin und sagte: »Das ist vor den Schreck, den ich euch allen durch meine Dummheit eingejagt habe, und Trina meint überhaupt: solch Geld, das bringt doch keinen Segen!« Und so bekam Ödringen die Kirche.

Auch als es für den Herzog hieß, Gelder für die Schweden zusammenzukratzen und die schweren Schatzungen kamen, mußte sich der Wulfsbauer gehörig rühren und mehrere Male ritt er nach Celle, bis er es fertigbrachte, daß die kleinen Leute nicht zu sehr mit Lasten bedrückt wurden. Die Gräfin Merreshoffen lebte noch, wenn sie auch schon ganz weiß und dünn war und ein Gesicht wie Wachs hatte.

Sie ließ sich viel von dem Peerhobstler erzählen, nickte und sagte: »Ja, es ging ein böser Wind damals. Hier sitzen wir, sind noch keine sechzig alt und sehen wie achtzig über den Ohren aus. Aber er hat wenigstens seine Gesundheit und Frau und Kinder, und ich habe nichts als das bißchen Geld und allerlei dummerhaftige Erinnerungen. Aber verlasse er sich darauf: die Sache kommt in Ordnung; darauf hat er meine Hand!«

Als er ging, sagte sie zu ihrer Nichte: »Ich habe bloß zwei Männer in meinem Leben gekannt, Georg Eisenhand und den da, Brigitta!«

Mehr als einmal mußte Harm beweisen, daß er noch der alte war. Die kleine Arbeit hatte er dem Viekenbauer und Schierhornhelmke überlassen, und die seiften die Haide so gründlich ab, daß sich kein Ungeziefer mehr darin halten wollte. Er lebte noch eine ganze Stiege von Jahren und konnte viererlei Enkelkinder auf den Knien reiten lassen.

Aber als dann seine Frau starb, hatte er so recht keine Lust am Leben mehr. Er hatte sein Teil Arbeit im Leben getan und mehr als das; er war nicht mehr nötig auf der Welt. Seine Augen waren mittlerweile wieder etwas heller geworden, aber sein Mund sah aus, als wenn er Angst hatte, daß ihm Blut hineinlaufen konnte. Er starb jedoch ganz sanft und alle seine Kinder und Kindeskinder waren bei ihm, und der Viekenbauer, der noch immer hinter jedem glatten Mädchen hersehen mußte, wennschon das nicht viel Zweck mehr hatte, und Thedel und der Prediger, der wie ein ganz alter Mann aussah.

Es war eine Leiche, wie man sie um das Bruch herum noch nicht belebt hatte. Alle Wehrwölfe gingen mit, die noch am Leben waren, und außerdem jeder, der eben Zeit hatte, so daß der Wulfshof schwarz von Menschen war. Es war ein dusterer Spätherbsttag, als Harm Wulf auf immer schlafen ging, und während der Leichenandacht auf der Deele nieselte es. Als aber der Prediger nach der Beerdigung von der Kanzel den Nachruf für den Toten hielt, worin er ihn mit Simson verglich und mit Judas, dem Makkabäer, die ihre Völker vor den Feinden bewahrten, rot bis an den Hals vor Blut gewesen waren und doch Gott wohlgefällig, da kam die Sonne durch und alle Gesichter sahen hell aus, und auch die Wehrwölfe bekamen blanke Augen und dachten an die schrecklichen und doch so schönen Tage, da sie einen Tag um den anderen den Bleiknüppel über der Hand hängen hatten.

In der besten Stube des Wulfshofes zu Ödringen, hängt heute noch der Bleiknüppel an der Sofawand unter dem kleinen Bilde mit dem alten Goldrahmen. Ein Museum hat sich viel Mühe um den Knüppel gegeben, aber der Vorsteher und Landtagsabgeordnete Herman Wulff gab ihn nicht um Geld, noch um gute Worte her. »Wenn der nicht gewesen wäre, so wären wir auch nicht da«, sagte er. Wenn fremde Leute fragen, was das für ein Ding ist, dann zuckt er die Achseln und sagt: »Das ist noch von früher!« Seinen Söhnen aber hat er erzählt, was er und sie dem alten Knüppel mit der Lederschlinge zu verdanken haben, und warum auf dem ältesten Grabsteine der Wulffs nichts weiter zu sehen ist denn eine aufrechte Wolfsangel.

Ein jedesmal, wenn einer der Jungens zum ersten Male das Abendmahl nahm, ließ er ihn in dem alten Kirchenbuche das lesen, was der weiland Prediger Puttfarken über Harm Wulf geschrieben hatte, als er gestorben war, und so heißt die Stelle: »Ehr war ein Held vor seinem Volke und hat es getreulich geschützet vor den Philistern und Amalekitern ober zwanzig Jahre da der große Krieg geweßen ist. Ehr ruhe in dem Frieden Gottes!«

Die hellen Augen haben sie wiederbekommen, die Wulfsbauern, die engen Lippen aber behielten sie als Erbe von Harm Wulf. So lustig, wie er als Jungkerl war, sind sie alle nicht, aber seinen eisernen Kopf hat er ihnen nachgelassen. Einer von ihnen wurde in den Freiheitskriegen ein hoher Offizier und sollte den Adel bekommen: »Mein Name ist mir so gerade gut«, sagte er.

Über der Missentür des Wulfshofes steht heute noch der Spruch im Balken: »Helf dir selber, so helfet dir unser Herre Gott!« Danach haben sich alle Wulfsbauern gerichtet.


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