Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

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9. Die Kirchenleute

Besseres Korn gab es im nächsten Jahre wohl, aber auch reichlich Disteln und Dornen, denn der Krieg wollte und wollte nicht aufhören. Tilly und die Dänen zogen sich immer noch hin und her, und wo sie sich kabbelten, war alles zertreten.

Herzog Christian, der nicht wußte, auf welche Seite er sich schlagen sollte, mußte es mit ansehen, wie das Land verwüstet und die Leute ausgeraubt wurden, aber alle Einnahmen konnte er auch nicht schießen lassen, und so kam auf dem Landtage wieder eine dreifache Schatzung heraus.

Als der Peerhobstler Vorsteher davon Meldung bekam, sattelte er den Schecken und ritt mit Thedel nach Gelle. Ihm wurde schlecht zumute auf dem Wege; man merkte es, daß überall der Hunger an dem Herdfeuer saß, und daß die Pest in die Fenster sah. Unter den Mauern von Celle waren erbärmliche Hütten und Schuppen aufgebaut; darin fristeten die Bauern aus den ausgeraubten Dörfern ihr Leben durch Betteln und Stehlen und auch durch Raub und Mord.

Als die beiden Peerhobstler, zu denen unterwegs noch sechs von den Dreiunddreißig gestoßen waren, damit der Unterobmann sicherer reisen konnte, vor dem Kruge einen Schnaps tranken, sahen sie eine Frau, die auf dem Anger ihr Kind begraben hatte und dabei ein ganz zufriedenes Gesicht machte. Als Wulf sich darüber verwunderte, meinte sie: »Ja, so wie es heutigen Tages zugeht, muß man weinen, wenn eins kommt, und Gott loben, wenn es wieder geht!«

Just kam ein Kerl aus dem Kruge, ging auf die Frau zu, faßte sie um, obzwar die Frau nicht danach aussah, als ob sie einem Manne gefallen konnte, denn sie hatte kaum ein Lot Fleisch im Gesicht. Sie wehrte sich, aber der Kerl lachte und wollte sie vor sich herstoßen. Da ritt der Wulfsbauer hin, langte den Mann am Hosenbund hoch und setzte ihn so unsacht in einen Schlehbusch, daß der Lümmel für das erste darin blieb.

»Das war mannhaft getan!« rief es hinter dem Bauern, und aus einem herrschaftlichen Wagen nickte ihm eine Edeldame zu, als er sich umdrehte. »Wie heißt er?« fragte sie, und als er seinen Namen offenbarte, sagte sie: »Wenn er einmal eine Hilfe nötig hat, die Gräfin Trutta von Meereshoffen kann ihm vielleicht die Tür aufmachen lassen.« Der Bauer zog den Hut: »Dann bin ich so frei, gnädigste Gräfin, auf dem Fleck darum zu bitten. Ich habe den großen Wunsch, unserem allergnädigsten Landesherrn eine Gemeindeangelegenheit vorzutragen, und ohne Fürsprache ist es wohl ein schweres Ding für einen einfachen Bauersmann, als wie ich bin, an ihn ranzukommen.« Die Gräfin lachte: »Melde er sich nur um elf Uhr; er kommt schon ran.« Sie nickte ihm zu, lachte noch einmal und fuhr weiter. Schlagelfe war der Bauer im Schlosse. Ein Lakai fragte ihn: »Was will er?« Wulf sah den kleinen Mann von oben an: »Für ihn bin ich ein ihr und keiner«, gab er ihm auf den Kopf; »ich bin bei dem allergnädigsten Herrn Herzog angemeldet!« Der Mann machte ein dummes Gesicht, ging fort, und bald darauf kam ein anderer Diener, der den Peerhobstler in ein Zimmer führte, in dem ein Offizier Wache stand; einige andere herrschaftliche Personen lauerten da auch schon. Alle sahen den Bauern an, der zwischen ihnen aussah, wie ein Eichbaum über lauter Machangelbüschen. Erst wurde ein kleiner alter Herr abgerufen, der gleich wiederkam und einem anderen zuflüsterte: »Schön Wetter heute!« Dann winkte der Offizier dem Bauern.

Dem war anfangs erst etwas benaud zumute, aber als der Herzog ihm die Hand gab und ihn fragte: »Na, wo drücken ihn denn die Krähenaugen?« da erzählte er kurz, womit er hergekommen war. Der Herzog sah ihn ernst an: »Geht nicht, geht schlecht; könnten alle kommen. Schatzung muß bezahlt werden! Wovon Wege erhalten, für Ordnung sorgen?« Er kniff sich die Stirn: will ihm was sagen, aber behalte er es für sich: will in Anbetracht der besonderen Umstände Steuer aus meiner Tasche hinlegen auf fünf Jahre. Dann müßt ihr aber schauen, wie die anderen alle. Übrigens aller Ehren wert, daß Kopf hochgehalten und Maul nicht hängen gelassen wie Leithund. Habe schon von ihm gehört, das und«, er sah ihn scharf, aber nicht ungut an, jauch noch etwas anderes. Immer vorsichtig sein, sich nicht auf mich berufen, wenn es sich nicht um augenscheinliche Räuber und Mörder handelt. Verstanden?« Der Bauer nickte.

Der Herzog besann sich einen Augenblick, fragte nach der Ernte und ob im Bruche die Pest auch schon Quartier genommen hatte, und dann schmiß er Wulf das Wort zwischen die Beine: »Wer sind die Wehrwölfe? «

Der Peerhobstler hob die Hand: »Darüber steht mir keine Rede zu!«Der Herzog machte eine krause Stirn: »Auch gegen mir über nicht?« Und als er wieder keine andere Antwort bekam, fragte er: »Gehört wohl selber dazu?« Dann aber lachte er und sagte: »Na, vielleicht besser so! Darf nicht alles wissen; sonst am Ende aufkommen dafür. So schon Sorge genug! Schlimme Zeit, Gott sei's geklagt! Hoffen, bald anders wird! Halter sich wacker!«

Als Wulf die Türe im Rücken hatte, sah er lauter runde Augen um sich, und auf der Treppe zeigte ihm der Diener, der ihn heraufgebracht hatte, einen Rücken, so krumm, als wie ein Rotbrüstchen ihn zu machen pflegt, und er wollte ihn ausfragen; der Bauer aber stellte sich dumm und machte, daß er nach der Goldenen Sonne kam, hielt sich aber auch da nicht lange auf, sondern aß nur einen Happen zu seinem Schoppen und ging wieder los.

Am Torkruge traf er die anderen Wehrwölfe, die zu zweien und zu dreien vor und in dem Kruge standen oder saßen und so taten, als ob der eine Teil den anderen nicht kannte. Es waren noch einige andere Männer da, auch der Kerl, der vorhin die Frau umgefaßt hatte, und jetzt kannte Wulf ihn, es war der Mensch, der sich damals in der Goldenen Sonne so verdächtig um sein Pferd angestellt hatte.

Er hatte gehörig einen sitzen und prahlte wie ein Markwart und, als der Bauer an den Tresen ging, schrie er: »Kannst du nicht die Tageszeit bieten, wenn du her einkommen tust, wie sich das gehören tut, du Flegel?« Der Bauer ging auf ihn zu: »Ich will dich beflegeln«, sagte er, und damit schlug er ihm mit dem Handrücken gegen das Gesicht, daß der Kerl mit einem Male die Stiefel da hatte, wo eben der Hut gewesen war. Sofort sprang er wieder auf: »Hund«, brüllte er, »Hund von einem Dreckbauern, du mußt sterben!« Er zog das Messer heraus, aber da warf ihm Gödeckengustel einen Stuhl gegen die Schienbeine, daß der Kerl den Estrich unter sich verlor, und Scheelenludchen und Meineckenfritze langten ihn sich, nahmen ihm die Pistolen ab, walkten ihn, bis er so weich wie Quark war, und schmissen ihn vor die Türe, daß es man so mulmte. Er hinkte nach dem Stalle und holte sein Pferd. Als er aufsteigen wollte, legte ihm Wulf die Hand auf den Arm: »Wahre dich, Stehldieb, wahre dich! Es wachsen Birkenbäume und reden die Masse in der Haide. Du bist mir das zweite Mal in die Möte gekommen. Beim dritten Male ist Schluß und du kommst unter die Wolfsangel zu hängen.« Er hatte es ganz leise gesagt, aber Jasper Hahnebut verlor alle Farbe und zitterte so, daß er kaum auf das Pferd kommen konnte.

Scheele lachte: »Hätten ihm lieber gleich heute das Fliegen umsonst beibringen sollen!« Der Obmann schüttelte den Kopf: »Unter dem Stadtbann? das wollen wir lieber bleiben lassen!« Und als Meinecke meinte: »Na, wenigstens war es ein kleiner Spaß!« da machte der Wulfsbauer eine krause Stirn und sagte: »Ich habe diese Späße dicke; es vergeht ja meist kein Tag, daß man seine Faust, oder was man gerade drin hat, nicht gebrauchen muß. Und gerade heute wäre ich meinen Weg liebendgern in Frieden gegangen. «

Es sollte aber noch besser kommen; als die Bauern eine Stunde geritten waren und an einem Fuhrenbusche vorbeikamen, knallte es; Gödeckes Rappe stieg in die Höhe und stürzte zusammen. »Deckung nehmen!« schrie der Wulfsbauer und hob Gödecke, der heil geblieben war, hinter sich; es knallte noch dreimal, aber die Kugeln fanden nicht zu den Reitern hin. »Umsonst nehmen wir nichts!« sagte Wulf; »reitet sofort los und holt soviel Leute, wie ihr kriegen könnt, und dann wollen wir die Füchse ausräuchern, die hinterhältschen Hunde, denn dies geht mir doch über den Spaß. Ich passe derweilen auf, wo sie bleiben.«

Er band sein Pferd an einer Fuhre an und schlich sich mit Gödecke von der Rückseite so nah an den Busch, als es eben ging. Beide standen bis an die Lenden in einem alten Torfstiche und sahen hinter den Birkenbüschen dahin, wo die Wegelagerer saßen. Es war ein Dutzend Tillyscher Soldaten, die sich unter dem Winde ein Feuer gemacht hatten, über dem sie einen Bratspieß hin und her drehten. Ab und zu stand einer auf, holte trockenes Holz und warf es in das Feuer.

Es mochte eine Stunde vergangen sein, da flüsterte der Wulfsbauer: »Paß auf, Gustel, gleich geht es los!« Damit hing er sich den Bleiknüppel über das Handgelenk und spannte die Pistolen. Gödecke nickte und machte gleichfalls scharf, denn mit eins sprangen die Soldaten auf, sahen sich wild um, und man konnte ordentlich sehen, daß ihnen nicht sauber zumute war, denn sie liefen hin und her, bückten sich und sahen sich um wie Schafe im neuen Stall. Da hörte Harm Wulf hinter sich ein Rotkehlchen ticken, und als er sich umsah, stand Thedel da, griente über das ganze Gesicht und flüsterte: »Wir haben sie im Kessel, alle miteinander!« Dann drückte er sich linkerhand in einen Busch.

Kaum war er fort, da hörte man ein Schreien: »Heiliges Marrija!« und hinterher kam es: »Hundsblutt verdammtiges, nidderträchtiges!« Der Wulfsbauer lachte im Halse: »Ja, ja, Blut um Blut«, flüsterte er und sah mit blanken Augen dahin, wo die Soldaten hin und her liefen. Dann knallte es jenseits des Busches, und dann noch einmal und es roch nach Rauch, und dann wurde es heiß und mit einem Male brannte der Busch von unten bis oben und der Rauch schlug hin und her und da schrie es.

Hörst du, wie sie piepen, Gustel?« flüsterte Wulf mit blänkrigen Augen. Dann nahm er die Pistole hoch, strich an dem Baume an und Schoß; sowie der Schuß fiel, hörte Gustel einen Schrei und sah einen Mann, der lichterloh brennend aus dem Busche kam, in den Abstich fallen, daß es quatschte.

In demselben Augenblicke fiel hinter dem Busehe wieder ein Schuß und gleich darauf noch einer, und dann rechts einer und links einer, und dann hörte man einen Schrei: »Erbarmung!« schrie es, aber bloß einmal. Vor Gödecke kroch etwas Brennendes aus dem Busehe heraus, schleppte sich bis an den Graben und sprang hinein, blieb einen Augenblick in dem nassen Moose liegen, drehte sich dort wimmernd hin und her und versuchte dann herauszuklettern, aber der Bauer ließ es dazu nicht kommen; er schlug mit dem Bleistock danach hin und es wurde still vor ihm.

»Ich glaube, das war der letzte«, meinte Wulf und Gödecke nickte. Da rief es auch schon hinter ihnen. Hermenharm, Ottenchristoph und Plessenotte kamen von der einen Seite an und von der anderen Hohlstönnes, Hassenphilipp und Hornbostelwillem. Die sieben Fuhrberger Bauernsöhne waren naß wie die Katzen und hatten Gesichter und Hände wie die Kohlenbrenner, aber sie lachten unbändig.

»Die schießen nicht wieder auf ehrliche Leute«, sagte Gödeckengustel. Hermenharm schüttelte den Kopf: »Sicher nicht, und alte Weiber schlagen sie auch nicht mehr bis auf den Tod. Lüdeckenmutter haben sie ein Schaf weggenommen und sie geschlagen, als sie kein Geld hatte, daß sie nun daliegt und Blut spuckt. Lumpenzeug! Aber nun braucht der Wolf und der Fuchs kein Messer; sie werden alle so schon mürbe genug sein! Alle haben sie daran glauben müssen, alle mitsamt. Schade, daß es nicht mehr waren. Und nun wollen wir löschen!«

Die Arbeit war bald getan, denn über den Moorgraben konnte das Feuer nicht, rechts lag ein Sandfeld und links war eine Torfkuhle neben der anderen, und hinter dem Busehe ein nasses Flatt. Hätten sie sich vorher gut umgesehen«, meinte Ottenchristoph, »dennso wäre manch einer uns wohl noch fortgekommen. Aber sie waren ja so unklug wie die Schafe, wenn es brennt, und wo der eine hinlief, wußte der andere auch hin.«

Sie lachten alle, nur der Ödringer Burgvogt machte ein böses Gesicht. »Wenn es so beibleibt, kommen wir heute nicht mehr nach Hause, Thedel«, brummte er. »Daß man noch nicht einmal in Moor und Bruch seines Lebens sicher ist! Überall treibt sich das Beistervolk jetzt rum, wo man es nicht vermutet. Beim besten Willen kann man jetzt nicht über Land reiten, ohne sich die Hände rot zu machen.«

So war es in der Tat. Als sie das Feuer gedümpt hatten und die Fuhrberger nach Hause geritten waren und Wulf und Thedel, und die drei anderen auf der Höhe von Ödringen waren, heulte hinter ihnen der Wolf; Thedel gab Antwort, und da kamen zwei Bauern angeritten, daß das Feuer aus dem Kies schlug. Viekenludolf und Schütte waren es.

Auf Tornhop war Danzefest«, schrie der Rammfinger, »und Schlachtefest dabei! Na, es ist noch halbwege gut gegangen; wir kriegten früh genug Wind in die Nase und haben den Leuten gezeigt, was Landesbrauch in der Haide ist.« Mit einem Male machte er ein anderes Gesicht: »Den schönen Hof hat das Gesindel natürlich angesteckt, und Steers Wieschen, die da als Magd diente, wußte ihnen gerade in die Möte gelaufen sein, denn die fanden wir tot im Busche liegen; die anderen haben sich aber alle bergen können!«

Harms Halbbruder knurrte durch die Zähne und wurde rot und blau unter den Augen. »Es wird wohl nicht anders kommen, als daß wir alle unsere Dörfer anstecken und uns im Bruche bergen müssen. Ich bin gestern zwei Pferde und das ganze Federvieh losgeworden. Was soll man machen, wenn dreißig, vierzig solche Kerle auf einmal ankommen? Vor dem, was einzeln in der Haide herumläuft, braucht man ja keine Bange zuhaben. Drei von dem Ungeziefer haben wir vorgestern im Mastbruche angetroffen. Nun bitte ich einen Menschen, was tun die da mitten in der Wildnis?« Er lachte. »Na, wenn es euch hier so gut gefällt, sollt ihr da auch bleiben, sagte unser Krischan und machte den Finger krumm, und ich auch.«

Der Wulfsbauer hatte seine gute Laune schon lange verloren und machte ein Gesicht wie ein Kattule, und Thedel sah aus wie ein Zaunigel. »Immer und immer kommt einem was dazwischen«, spuckte er, und Harm wußte wohl, was er meinte, denn Thedel hatte noch Gras schneiden wollen, wenn er früh genug nach Hause kam, und jetzt war es meist Abend.

Inder Schweineriede brüllte ein Moorochs, die Enten flogen um und von der Wohld hörte man den Uhu rufen. Der Fuchs braute in den Gründen und über dem Halloberge war der Himmel so rot wie ein Mädchenrock.

Sie ritten langsam, und als sie vor dem Auskiek waren, machte Thedel den Wolf. »Kannst man stille sein, Thedel«, rief es vor ihnen, und Bollenkrischan kam hinter einem Machangel vor. »Na, du wirst dich wundern, wenn du auf den Hof kommen wirst, Kurvogt«, lachte er dann; »es ist Besuch bei dir angekommen.«

Der Bauer riß die Augen auf: »Besuch?« Der andere nickte: »Jawoll, Mensch, feiner Besuch, Besuch aus dem Seebenspring!«

»Krischan!« schrie der Bauer und bückte sich ganz tief, »Krischan, ist das wahr? Und was denn, ein Junge oder eine Deern?«

Bolle zog seinen Mund ganz breit: »Ein Junge und eine Deern, Wulfsbauer! Um Uhre viere der Junge und eine Stunde hinterher das Mädchen. Und was die Bäuerin ist, der geht es soweit gut, und den beiden Lütjen auch.«

Wulf machte ein Gesicht wie ein Pfingstmorgen. »Thedel«, rief er, »hast du gehört, Thedel? Zwei auf einmal! Junge, nun bin ich dir aber doch über! Fixer warst du ja; na, dafür hast du ja auch 'ne Frau, die Hille heißt.«

»Du bist ja auch ein großer Bauer«, sagte Thedel und lachte, »und ich habe man eine kleine Stelle und muß es auch darin langsam angehen lassen.«

Wenn Harm hätte sagen sollen, wie er auf den Hof gekommen war, er hätte das nicht gekonnt. »Deubel, Mädchen«, sagte Thedel, als er bei seiner Frau saß und zusah, wie die ihren Jungen stillte, »Deubel, ist der Bauer geritten! Ich mußte man in einem fort rufen: wahr dich! denn es war mir meist so, als kümmerte er sich den Kuckuck um die Wolfskuhlen.«

Als er das erzählte, saß der Bauer vor der Butze, hatte seinen einen Arm unter dem Nacken seiner Frau und ihre Hände in seiner linken Hand. »Meine Johanna!« sagte er, »meine gute Frau! Ist das ein Glück und ein Segen!« Er sah dahin, wo zwei, drei, vier Kinderhände auf der Bettdecke zugange waren, schüttelte den Kopf, lachte und gab seiner Frau einen Kuß auf den Mund, aber bloß so sachte hin, denn er sah, daß ihr die Augen wieder zufallen wollten, und als Duwenmut ter ihm zuwinkte, ging er aus der Dönze und stellte sich vor die große Türe.

Ihm war ganz dumm im Kopf. Nun hatte er wieder zwei Kinder! Und eine Frau, so schön und so klug und so gut! Er sah über das Bruch nach den Haidbergen, über denen der Himmel immer noch hell war. In den Ehern schlug eine Nachtigall, die Frösche waren am Prahlen, der Ziegenmelker pfiff und klappte mit den Flügeln und die Luft brachte den Geruch von allerlei Blumen her.

Er ging in das Haus zurück und aß, aber hinterher ging er noch einmal um den Hof, denn er hatte Grieptoo und Holwiß knurren hören, aber das taten sie wohl bloß, weil hinten in der Halde ein Wolf heulte. Dem Bauern war sonderbar zumute geworden; als er sich umdrehte, sah er, daß der Himmel über dem Halloberge immer heller wurde, aber nicht so, als ob da ein Feuer war, sondern mehr, als wenn die Sonne schon wieder in die Höhe kommen wollte. Ganz rot wurde es da, und immer heller, und lange blaue Striche waren darin zu sehen.

Er schüttelte den Kopf. »Was das nun wieder für ein Unsinn ist?« dachte er; ist das jetzt ein gutes Wahrzeichen oder ein schlimmer Vorspuk?« Dann war es ihm, als ob in dem roten Schein, und gewiß und wahrhaftig, er konnte es ganz deutlich sehen, daß eine große, schwarze Wolfsangel sich am Himmel bildete, die dort lange stehen blieb, bis sie auseinanderging, und der rote Schein allein noch über dem Berge war schön anzusehen.

Er nahm das für kein schlechtes Zeichen. Eine Weile noch würde die Wolfsangel in Kraft bleiben müssen und die Wehrwölfe hatten das Bruch zu hüten, aber dann würde es sich aufklären, Friede würde es sein auf Erden und statt Heulens und Zähneklapperns würde Jubel und Frohlocken auf den Gefilden sein. So dachte er, als er im Einschlafen war.

Vorläufig aber wurde es damit noch nichts. Oft genug noch heulte der Wolf in der Halde, mehr als einmal jagten die Tagboten hin und her und die Dreiunddreißig hatten mehr Arbeit, als ihnen recht war, und die Hundertelfe kamen nicht viel zur Ruhe. Sie waren es alle reichlich leid, das Landhüten und das Schandwehren; manch einer von ihnen kam nicht mehr redet zum Lachen, außer Viekenludolf, aber bei dem kam es auch nicht so recht aus dem Herzen, denn den einen Abend hatte er noch ein hübsches Mädchen im Arm gehabt und am anderen mußte er dabeistehen und zusehen, wie sie begraben wurde, und es war ihm ein schlechter Trost, daß anderthalb Dutzend Dänen, die den Hof überfallen, steif und kalt unter der Erde lagen.

Es wurde schlimmer als je vordem. Als es sich herumsprach, daß der Tilly den Dänenkönig bei Lutter geschlagen hatte und hinter ihm her war, war die Angst vor ihm groß im Lande, aber die Dänen trieben es eher ärger als die Kaiserlichen; wo sie hinliefen, hinterließen sie Asche, Schutt und Not, und waren sie vorbei, dann kamen die Waldsteirischen und wüteten wie die Besessenen. Zwar hieß es, daß es Frieden geben sollte, denn Tilly war in Celle und verhandelte mit dem Herzoge, aber es kam nur noch schlimmer; so schlimm wurde es, daß Viekenludolf ein ganz anderes Lachen bekam.

»Drewes«, sagte er und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Hund an zu bellen fing; »bislang war das ja mehr ein Spaß, wenn es auch manch einem nicht so vorkam, dem wir das Luftholen abgewöhnten; jetzt aber hört sich die Gemütlichkeit auf; Wehrwölfe waren wir; jetzt müssen wir Beißwölfe werden. Der Wulfsbauer denkt genau so, Drewes! Wer heute nicht zubeißt, der wird gebissen. Man kommt ja nicht mehr zu seiner Ruhe, und es ist wahrhaftig bald eine Woche her, daß ich in einem ordentlichen Bette war. Und wie sieht es im Lande aus! Hunger und Pest und Pest und Hunger, wohin man sehen tut. Wer nicht umgebracht wird, der hängt sich auf oder springt in das Wasser. Ein Donnerwetter soll da reinschlagen!«

Er sorgte dafür, daß es oft genug einschlug, denn seitdem der Wulfsbauer befreit war, hatte er das Leit in die Hand nehmen müssen, und das hatte er gern getan, denn das Ackern hatte doch keinen Zweck mehr. Kaum war der Hafer unter Dach und Fach, so fraßen ihn fremde Pferde, und wer Brot backte, der tat es für andere Leute. So lag denn Viekenludolf mit seinen Leuten meist in Busch und Haide herum und die anderen Obmänner auch, und wenn sie zusammenkamen, dann hieß es: »Na, wer hat nun die meisten Läuse geknickt?« Und der bester Mann war, der mußte einen ausgeben.

Wie die Wölfe, so wurden sie alle miteinander, die Männer. Wehe dem, den sie fingen. Hatten sie Zeit genug, dann war ihnen das Blei zu schade und die Wiede zu milde, und gräßliche Dinge trugen sich in Wohld und Haide zu. Als Wulf an einem mächtig kalten Wintertage mit Schewenkasper, seinem neuen Knechte, durch die Haide ritt, sahen sie über einem Fuhrenhorst etliche Raben umschichtig auf und niedergehen, und als sie hinkamen, fanden sie vier splitterfasernackte Männer, die zwischen die Bäume gebunden waren. Drei davon waren schon totgefroren, der eine jappte noch.

Schewenkasper war Knecht auf dem Tornhope gewesen, der von den dänischen Mordhunden niedergebrannt war, und Steers Wieschen, die da als Magd gedient hatte und ihr Leben lassen mußte, weil sie dem Schandvolke gerade in den Weg gelaufen war, das war sein Schatz gewesen. Kasper hatte früher schon nicht viel gesagt und bloß gelacht, wenn es gar nicht anders gehen wollte, aber jetzt sprach er kaum mehr und das Lachen hatte er ganz verlernt, außer wenn er den Hoferben oder das kleine Mädchen wartete, das Rose hieß.

»Du hättest man auch gleich ein Frauensmensch werden sollen«, pflegte Mietren zu sagen, wenn er sich mit den Kindern abgab; »was ist das für ein Werk? Schleppst dich da in einem fort mit den Kröten ab und andere Leute hüten das Land!« Kasper aber sagte nichts und ließ vor Bartolds und Roses Nasen einen Hampelmann tanzen, daß es klingelte und klapperte, denn er hatte ihn von oben bis unten mit Perlen und bunten Steinen behängt, die er bei einem Waldsteiner Hauptmann im Hosensack gefunden hatte.

»Dumme Trine!« dachte er, als er Mietrens roten Rock nicht mehr sah, »dumme Trine!« Und während er den Hampelmann tanzen ließ, dachte er an den Abend, als er mit Gödeckengustel und Scheelenludjen und Bollesbernd an der Heerstraße auf Anstand gewesen war. »Alle Tage ist Jagdtag, aber nicht alle Tage ist Fangtag«, hatte Ludjen gesagt, als es schon an zu schummern fing. Aber dann hatte er das Ohr auf die Erde gelegt. »Die Hirsche ziehen!« flüsterte er und umachte sich fertig. Vier Reiter kamen in hellem Galopp an.

Da riß Bernd an einer Schnur, die auf der Straße lag, ein weißer Lappen flog vor den Pferden auf, daß sie scheuten, und dann knallte es dreimal und darin noch einmal, und Kasper machte ein ganz dummes Gesicht, als auf sein Teil fünf blanke Dukaten, ein Paar neue Stiefel und noch allerlei Kram kam, so die bunte Kette, die der Hauptmann in der Tasche hatte.

»Ja, jetzt, wo es zu spät ist, dreschen«, dachte er, »da haben wir das Geld! Was soll ich jetzt mit dem Schiet?« Er gab es dem Bauern zum Aufheben, denn er brauchte nichts als Essen und Kleider, und die waren billig, denn es wuchs davon genug in der Haide, wenn man sich darauf verstand. Und Schewenkasper verstand sich darauf. Es war ihm wahrhaftig nicht um die Beute zu tun, aber wenn er mit den anderen mal wieder ein paar Dänen oder Kaiserliche, oder was es sonst war, beiseite gebracht hatte, dann dachte er: »So, ihr bringt anderer Leute Mädchen nicht mehr um!« Wenn er dann mit den Kindern spielte, dann sah er aus, als hätte er nie einen Finger krumm gemacht.

Viel machte er sich auch nicht daraus, aber Arbeit ist Arbeit«, dachte er, wenn er wieder einmal heranmußte. Viel lieber war es ihm schon, wenn er rechtschaffen arbeiten konnte oder Wolfsfallen bauen mußte, denn die Wölfe nahmen ganz gefährlich zu und auch die Luchse spürten sich wieder mehr, weil keiner ihnen wehrte, da schlimmere Biester, die wie Menschen aussahen, aber die reinen Teufel waren, sich mehr als nötig blicken ließen. Schneller als sonst bekamen die Bauern Falten um den Mund, und mancher Sohn war schon mit vierzig Jahren so grau, wie sein Vater es kaum mit sechzig war.

Harm Wulf war noch immer ein junger Kerl, aber als sein Hof abgebrannt war, war ihm Asche auf den Kopf geflogen und Ruß in die Augen gekommen und Rauch in den Mund. Wenn er seine schöne Frau und seine beiden gesunden Kinder ansah, wurden seine Augen wieder hell und seine Lippen gingen auseinander; sein Haar aber war und blieb an den Seiten grau, und nicht oft mehr flötete er das Brummelbeerlied.

An einem Juliabend aber hörte die Bäuerin, wie er flötete, als er dem Knechte den Fuchs gab. Er ging auf sie zu, faßte sie um und sagte: »Freue dich, Johanna, es wird Frieden! Die Dänen ziehen ab. Ich habe es in Burgdorf als fest und sicher vernommen.« Die Frau machte ihr glücklichstes Gesicht, aber dann f aßte sie sich mit der Hand nach der Brust und verlor alles Blut aus den Backen; gleich darauf aber lachte sie wieder und sagte: »Es war die große Freude, Harm, Frieden! Ja, den wünscht sich ein jeder. Gott sei Lob und Dank!«

Es war ein schöner Abend. Der Himmel über dem Haidberge war rot, die Rosen rochen stark und in dem Risch an der Beeke sang ein Vogel ganz wunderschön. Der Bauer und die Bäuerin saßen auf der Gartenbank und sahen in den Abend. Ab und zu rief eine Eule in der Wohld, oder eine Ente schnatterte an der Beeke und unter dem Dache piepten die jungen Schwalben. Die Bäuerin hatte ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes gelegt und hatte ein Gesicht wie ein Kirchenengel. »Frieden, Frieden!« flüsterte sie und bekam nasse Augen.

Aber so schnell vertrugen sich die hohen Herren nicht. Zwar die Dänen zogen ab, aber die anderen blieben, und noch manches Mal war der Himmel rot von etwas anderem als von der Abendsonne, und die Wehrwölfe mußten mitten in der Ernte die Sensen liegen lassen und die Kugelbüchsen hinter dem Schapp herkriegen, denn allzusehr drückten die Kaiserlichen das Land, obzwar der Herzog treu zu dem Kaiser stand, soviel ihm das auch verdacht wurde. Der Hunger und die Not wurden so groß im Lande, daß die rechtlichsten Bauern nicht mehr anders leben konnten, als wenn sie auf Mord und Raub ausgingen. Das war dann das Allerschlimmste, wenn die Wehrgenossenschaft Hand an Leute legen mußte, die vordem kein anderes Blut vergossen hatten als das von Vieh und Geflügel.

Es war an einem Aprilabend, als der Wulfsbauer abgerufen wurde. Von Meilendorf her war eine Bande von Räubern gemeldet, die den Weg auf das Bruch zu nehmen sollte. Bauern aus dem Kalenbergischen, der Neustädter Gegend und aus dem Stifte Hildesheim waren es, die längst kein Dach mehr hatten, unter dem sie schlafen konnten. »Dieses Stück will mir nicht gefallen«, sagte Drewes zu Wulf; »fremde Völker, wenn es die noch wären, da kommt es auf ein paar mehr oder weniger nicht an! Aber diese Leute da, die bloß der Hunger soweit gebracht hat, das ist, als wenn man seinen besten Hund an den Kopp schießen muß, wenn er die Dollwut hat. Es sind doch Menschen wie unsereins!«

Der Peerhobstler nickte. »Weißt du«, sagte er, »das beste ist, wir geben ihnen auf, daß sie einen anderen Weg nehmen; vielleicht, daß sie Verstand annehmen. Ich will ihnen das sagen. Ich glaube kaum, daß einer von ihnen ein Schießgewehr hat, und wenn schon, so fällt er um, wenn er Dampf macht. Da ist keiner bei, der noch ein Kalb festhalten kann, wenn es weg will. Am Dietberge habe ich sie dicht an mir vorbeiziehen sehen; ordentlich elend ist mir dabei geworden!«

Der Engenser schüttelte den Kopf: »Es ist besser, ich mache das. Stößt mir etwas zu, dann ist das weiter nicht schlimm; meine Kinder sind groß genug, um sich selber zu helfen; deine aber nicht. Zudem kommt mir das als Oberobmann auch mehr zu.«

Der Junge, den er bei sich hatte, kroch hinter den krausen Fuhren her und sagte den Wölfen Bescheid. »Der reinste Duffsinn ist das nun wieder«, knurrte Viekenludolf; »Drewes wird alt und bei kleinem taugt er nicht mehr zum Obmann. Mich soll bloß wundern, was dabei herauskommt; was Gutes bestimmt nicht!«

Er sollte recht behalten. Kaum war Drewes hinter dem Busehe heraus und hatte eben gerufen: »Leute, ich rate euch zum Guten; bleibt hier weg, die Welt ist groß genug!« da zog ein langer Kerl, der einen roten Frauenrock als Mantel umgehängt hatte, eine Pistole heraus, schrie: »Dennso mach uns Platz!« und schoß den Engenser über den Haufen.

Er und sechs andere lagen beinahe in demselben Augenblicke da und färbten den Sand rot, und eine Viertelstunde später liefen zwei Drittel der Bande den Weg zurück, den sie gekommen waren, ohne sich nach denen umzusehen, die in der Haide liegen blieben; aber davon wurde Drewes nicht besser; er lag mit dem Rükken gegen einen Machangelbusch, stöhnte und hielt sich den Unterleib, denn da hatte er den Schuß hinbekommen.

Der Wulfsbauer untersuchte den Einschuß. »Weißt du was, Drewes«, meinte er, »was das beste ist? Wir tragen dich zu mir. Einmal ist es bis dahin der ebenste Weg und dann liegst du da am ruhigsten, und hast außerdem die beste Pflege, denn was meine Frau ist, die versteht sich auf sowas vorzüglich.«

Drewes war das zufrieden, vorausgesetzt, daß anderen Tags sein Wieschen kam, denn die könne er um sich nicht missen, sagte er. Sie kam auch. Der Wulfsbauer machte große Augen, als er sie sah, denn er hatte sie lange nicht gesehen, wenn er auch oft genug auf dem Dreweshofe gewesen war. »Ein Bild von einem Mädchen ist das ja geworden!« dachte er, als sie vor ihm stand und ein um das andere Mal weiß und rot aussehend wurde. »Was hat sie bloß?« dachte er, als er das sah, aber dann kümmerte er sich weiter nicht um sie.

Mit ihrem Vater stand es besser, als es zuerst aussah. Die Wulfsbäuerin hatte die Kugel gleich gefunden und herausgenommen, aber dem Engenser gesagt, unter zwei Wochen dürfe er nicht aus dem Bette. »Na, Langeweile sollst du nicht haben«, meinte sie, »erstens hast du ja Wieschen, und wenn ich Zeit habe, will ich dir immer etwas vorlesen.«

Das war Drewes sehr zufrieden, denn in der letzten Zeit war er immer frömmer geworden. »Wieschen, kannst da auch sitzen gehen!« rief er, wenn die Bäuerin mit der Bibel kam; »das tut dir auch keinen Schaden, wenn du zuhörst.« Aber meistens hatte Wieschen dies oder das zu tun, und wenn sie endlich kam, dann wurde sie umschichtig weiß und rot, wenn die Frau sie ansah, so daß sie aus ihr nicht klug werden konnte, zumal das Mädchen beim Essen kein eines Mal aufsehen mochte und an jedem Bissen herumwürgte.

Den einen Vormittag stand die Bäuerin in der Dönze und sah Wieschen zu, die im Garten mit den Kindern spielte, denn das tat sie, sobald es eben anging. Da kam der Bauer und nickte dem Mädchen freundlich zu, und die Frau sah, daß ihr die Brust auf und ab ging und daß sie erst ganz weiß im Gesichte wurde und sich dann rot ansteckte. Der Bauer lachte, als er sie so dasitzen sah: »Mußt sehen, daß du auch bald zu welchen kommst«, rief er lustig, »mich wundert überhaupt, daß du noch immer unbeschrieben bist. Die Engenser Jungens müssen wohl alle keine Augen haben!« Damit ging er um die Hausecke.

Da ging der Bäuerin mit einem Male ein Licht auf, denn das Mädchen sah hinter dem Bauern her, gleich als hätte er ihr ein großes Unrecht angetan, küßte den Jungen, den sie auf dem Schoße hatte und der seinem Vater wie aus dem Gesichte geschnitten war, wie unklug, und dann hielt sie die Hand vor die Augen und weinte, daß es sie schüttelte.

Die Frau faßte mit der Hand nach ihrem Mieder, trat vom Fenster zurück und setzte sich in den Ohrenstuhl; sie holte tief Luft und griff sich ein über das andere Mal nach der Brust. Aber dann stand sie auf, ging in den Garten, nahm dem Mädchen die Hand von den Augen weg und sagte: »Du bangst dich wohl nach eurem Hofe? In drei, vier Tagen, denke ich, kann dein Vater wieder hin.« Und dabei strich sie ihr über die Backe.

Nach dem Mittag war sie mit ihr allein im Hause, Drewes schlief, der Bauer war mit Ul und dem Knecht nach den Koppeln gegangen und Mietren war in den Busch nach Feuerholz geschickt.

»So«, sagte die Frau und zog das Mädchen neben sich auf die Bank, »nun wollen wir beiden großen Frauensleute es uns aber einmal gemütlich machen. Die Kinder schlafen wie die Ilke.«

Das Mädchen wurde weiß und rot und konnte der Frau nicht in die Augen sehen. Die nahm sie bei der Hand: »Das ist mir doch verwunderlich, daß ein Mädchen als wie du noch keinen an der Hand hat. Machst du dir aus den Mannsleuten nichts? Denn daß sie sich aus dir nichts machen sollten, das redet mir doch keiner ein!«

Dem Mädchen ging die Brust auf und ab; sie wusste nicht, wo sie mit den Augen bleiben sollte und würgte, als ob ihr etwas im Halse steckte. »Wieschen«, sagte die Frau und legte ihr den Arm um die Schulter, ich weiß mehr als du dir denkst. Bleib ruhig sitzen, wir müssen einmal ganz offen reden.«

Sie nahm die Hand des Mädchens und legte sie an ihr Mieder: »Fühlst du, wie mein Herz arbeitet?« Sie zog den Kopf des Mädchens an ihre Brust: »Jetzt kannst du es ganz genau hören.« Wieschen fuhr in die Höhe und sah die Frau ganz erschrocken an.

»Ja, Mädchen«, sagte sie dann, »jetzt arbeitet es wie wild, und zuzeiten ist es, als ob ich überhaupt keins habe. Bei meinem Zwillingsbruder war es just so; mitten im hellen Lachen fiel er um und blieb uns weg. Und so wird es mit mir auch gehen. Seitdem ich so Schreckliches mit ansehen mußte, ist es ganz schlimm damit geworden. Wenn ich mich bloß ein ganz bißchen verjage, oder wenn ich mich sehr freuen muß, dann bleibt mir das Herz stehen und hinterher ist es, als wenn es mir aus dem Halse heraus will.«

Sie seufzte tief auf: »So, jetzt ist es wieder besser damit. Aber das kann heute sein oder morgen, denn lange dauert es nicht mehr, und ich schlage um und dann«, sie nahm das Mädchen fest in den Arm, »dann haben meine Kinder keine Mutter, die für sie sorgt. Und nun«, sagte sie und trocknete sich die Augen aus,

weiß ich ein Mädchen, ein treues und gutes Mädchen, das meine Kinder von Herzen gern hat, und ihren Vater auch, und deswegen ist sie bis heute noch ledig geblieben, obzwar sie rundum die schönste von allen ist.«

Wieschen schnappte erst nach Luft, und mit einem Male fiel sie der Bäuerin um den Hals und weinte. »Ja, aber dafür kann ich doch nichts, und es ist schlecht von mir, daß ich ihn dir nicht gegönnt habe, wo du doch dreimal besser für ihn bist, als wie ich!« Sie versuchte zu lächeln: »Aber so schlimm wird es doch mit dir nicht sein. Ich will meine Gedanken zu Bette bringen, denn, denn«, sie barg ihren Kopf von neuem an der Brust der Frau, »du bist so gut und aus mir macht er sich doch kein bißchen!«

Die Bäuerin lächelte: »Wieschen, glaubst du, eine Frau als wie ich, die so viel durchgemacht hat, macht in solchen Dingen Spaß? Ich habe mein Teil gehabt, Elend und Not genug und hinterher mehr Glück und Segen, als eine Frau in diesen Zeiten verlangen kann, und wenn ich weiß, daß du einmal für die Kinder sorgen wirst, dann wird mir meine letzte Stunde nicht so sauer werden. Versprichst du mir das?« Das Mädchen nickte, ohne ein Wort zu sagen, und die Tränen liefen ihr über die Backen.

Als der Bauer zurückkam, sah er seine Frau und dann das Mädchen an und sagte: »Ihr seht ja beide aus, als wenn ihr das Abendmahl genommen habt!« Die Bäuerin lächelte ihm zu, aber Wieschen ging schnell in das Flett.

Am Morgen des Tages, an dem Drewes wieder nach Engensen fahren sollte, setzte sich die Bäuerin zu ihm. »Drewes«, sagte sie und nahm ihn bei der Hand, und seine Augen, die lange nicht mehr so waren wie ehedem, bekamen ordentlich Feuer, als sie ihn ansah. »Drewes, jetzt will ich dir einmal etwas sagen, aber du darfst mir da nicht zwischenreden. Also höre zu! Du hast mir selber gesagt, du wirst aus Wieschen nicht klug, weil sie sich um die Mannsleute nicht kümmert. Seit letzten Friggetag weiß ich, warum das so ist; sie hat all lange einen, aber einen, der Frau und Kinder hat und der an ihr vorbeisieht.«

Sie drohte dem Bauer mit dem Finger, denn der machte seine bösesten Augen: »Erst abwarten und dann krumme Augen machen! Die Frau, von der ich rede, weiß das und sie ist von Herzen froh darüber, denn sie ist sich bewußt, daß sie heute oder morgen sterben kann, weil sie ein schwaches Herz hat; und nun kann sie sich für ihre Kinder keine bessere Zweitmutter wünschen und für ihren Mann«, hier liefen ihr die Augen an, keine bessere Frau als dein Wieschen, denn die Frau, das bin ich, Drewsbur!«

Sie faßte sich nach der Brust, holte tief auf und sah ihn freundlich an: »So, nun weißt du es, und ich denke, der Wulfsbur wird dir als Eidam wohl paßlich sein. Und mit Wieschen habe ich auch schon geredet. Natürlich kommt sie sich nun etwas dumm vor, aber sie kann mir jetzt mitten in die Augen sehen, denn sie weiß, wie ich ihr zugetan bin.«

Drewes schüttelte den Kopf; er wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Dann nickte er: »Darin kannst du recht haben, Wulfsbäuerin, darin hast du sicher recht, daß das Mädchen ihre Gedanken da hat, wo du meinst; nun wird mir allerlei klar, wo mir bis zur Stunde Busch und Kraut vor war. Aber das andere, das schlage dir man aus dem Kopf! Du siehst aus als wie das ewige Leben, und wenn ich dreißig Jahre jünger wäre und du ein lediges Mädchen, dennso solltest du mal sehen, wer sich am meisten um dich kümmern täte!«

Er lachte lustig, wenigstens tat er so, aber sogleich schrie er: »Wieschen, Wieschen, Mieken, Mietren!« denn die Bäuerin war vorn übergeschlagen und lag mit dem Gesichte auf seinem Schoße, und als Wieschen hereinkam, sah sie zum ersten Male in ihrem Leben, daß ihr Vater auch Angst haben konnte, richtige Angst, denn er hatte ein paar ganz unglückliche Augen im Kopfe.

Die Bäuerin kam bei kleinem wieder zu sich und sah beim Essen so .frisch und gesund aus wie immer, aber bevor Drewes in den Wagen stieg, nahm er sie bei der Hand und sagte: »Ich komme bald wieder, halte dich gesund!« und dann drehte er sich um, denn daß ihm die Augen naß wurden, das brauchte kein einer zu sehen. Wieschen aber nahm die Bäuerin um den Hals und weinte hellwege los, so daß Harm hinterher den Kopf schüttelte und sagte: »Ein putzwunderliches Mädchen, diese Wieschen; erst dachte ich, sie kann dich vor den Tod nicht ausstehen, und jetzt hat sie sich, als wenn sie dich vor Gernhaben auffressen will!« Dann stieg er auf den Rappen und ritt mit Thedel hinter dem Wagen her. Von Wieschen bekam er aber kein vernünftiges Wort heraus, und er wußte nicht, was er von ihr halten sollte.

Es war überhaupt ein putzwunderlicher Tag; denn als Wulf gegen Abend mit Thedel zurückritt, hörten sie etwas singen, und als sie sich in die Bügel stellten, sahen sie einen Mann hinter einem Machangel sitzen, der ein

Knie zwischen den Händen hielt und lauthals sang: .Umgürte die, o Gott, mit Kräften in ihrem Amt, Beruf und Stand, die zu des Predigtamts Geschäften dein gnadenvoller Ruf gesandt.«

Die beiden Bauern sahen sich an und schüttelten die Köpfe; aber als der Vers zu Ende war, ritten sie dicht heran, denn daß sie diesem Manne gegenüber nicht scharf zu machen brauchten, das war so klar wie eine Brandhaide. »Guten Abend«, rief der Bauer, »na, was machst du denn hier?«

Der junge Mensch nickte, stand dann langsam auf und sagte: »Ich wünsche ihm dasselbe, und was ich hier mache? Ich warte, was der Herr mir schickt. Doch gestatte er mir: da ich ein Prediger bin, wenn auch ohne Amtes seit einiger Zeit, dürfte mir wohl die Anrede Ihr und Herr zukommen.«

Niehus griente und der Bauer lachte: »Nichts für ungut, Euer Ehren, aber daß Ihr ein geistlicher Herr seid, konnte ich Euch von der Nase nicht ablesen. Aber wo kommt Ihr her und wohin des Weges? Nehmt meine Neubegier nicht krumm, doch es geht jetzt nicht gerade sauber auf der Welt her, und wer sich bei uns blicken läßt, der muß uns schon Rede und Antwort stehen.«

Der Fremde sah ihn mit klaren Augen an: »So wisse er denn, ich bin der Kaplan Jakobus Jeremias Josephus Puttfarkenius. Seitdem der Herr den Jebusitern Macht über die Gerechten gegeben hat und als Strafe für unsere Sünden ihnen die Zuchtruten des Restitutionsediktes verlieh, ward ich meiner Kapellanstelle ledig und bin wie ein Blatt, das der Wind vor sich herweht.«

Der Bauer lachte: »Viel anders seht Ihr auch nicht aus. Aber da wir doch gerade vespern wollen, und mehr bei uns haben, als wir brauchen, und Ihr nicht so aussehet, als hättet Ihr heute schon satt gekriegt, so könnt Ihr mittun, wenn Ihr dazu Lusten habt.«

Der junge Geistliche sah gegen den Himmel: »Herr«, rief er, »deine Güte währet ewiglich!« Er gab dem Bauern die Hand. »Es war gestern morgen indem Dorfe Fuhrbergen, als ich das letzte Stück Brotes aß. Seitdem ist die Rinde der Birkenbäume meine Nahrung gewesen, doch bin ich dieser Speise nicht gewöhnt und wollte fast verzagen, wenn ich mich nicht mit dem Spruche getröstet hätte: der, der die jungen Raben speist, wird auch meiner nicht vergessen.«

Er aß wie ein Drescher und hinterher sah er gleich ganz anders aus, und die Hose hing ihm nicht mehr so bummelig vor dem Leibe. Dankbar sah er den Bauern an und fragte dann: »In Fuhrberg habe ich die Bekanntschaft eines Bauern gemacht, der Ludolf Vieken heißt und zu Rammlingen gebürtig ist. Zu diesem Manne faßte ich ein Zutrauen, obzwar er mir nicht auf dem Wege des Herrn zu wandeln schien, dieweil er Flüche und unnütze Schwüre aus seinem Munde herausgehen ließ. Aber der Herr wird ihn schon erleuchten, denn er hat mich aus den Händen der Heiden errettet, so man Tatern nennt, und unaufgefordert sein Brot mit mir geteilt, und sein Bier, als er hörte, daß ich nüchtern war wie ein Kindlein, das zum ersten Male die Wand beschreit.

Ersah den Bauern mit seinen großen hellen Augen an: »Kennt er hier in der Gegend einen Mann namens Harm Wulf? An den hat mich der Rammfinger gewiesen, denn er sagte mir, derselbe könnte in seinem Dorf, dessen Name mir entfiel, vielleicht einen Prediger gebrauchen. Und die Ehefrau dieses Mannes soll, wie mir gesagt wurde, eines ausgetriebenen Predigers Tochter sein?

Der Bauer lächelte: »Hat Viekenludolf Euch kein Zeichen mitgegeben?« Der andere nickte: »Das wohl, doch scheint es mir dürftig zu sein und fast hätte ich es von mir getan. Seht her!« Er zog einen Lappen aus der Tasche und wickelte eine Rabenfeder aus, die zweimal geknickt und deren Enden auf geheime Art ineinandergedreht waren.

»Dennso ist das recht«, sagte der Bauer; »ich bin der Burvogt Harm Wulf aus Peerhobstel, und es kann sein, daß Ihr bei uns eine Stätte finden könnt, denn wir Männer können uns in diesen Zeiten kaum noch nach der Kirche trauen und die Frauensleute schon gar nicht. Ich sehe es Euch an, daß Ihr ein rechtlicher Mann seid. Es ist eine böse Zeit; landfremden Leuten trauen wir gemeiniglich nicht über den Weg, und deshalb müßt Ihr mir in die Hand versprechen an Eides Statt: nichts zu verraten, was Ihr hört und seht, ob Ihr nun bei uns bleibet oder nicht.«

Puttfarken sah ihn ernst an: »Ich habe eine Probe davon belebt, welcher Art er zu sein scheint; die drei Tatern, die mich auf der Straße hinwarfen, um mich auszurauben, hängen an drei Birkenbäumen. Hätten die Toren gewußt, daß ich nur das mein eigen nenne, was ich auf dem Leibe trage, und das wohl kaum ein Jude anders als geschenkt nimmt, sie lebten vielleicht noch. Ich habe viel Greuel gesehen auf meinen Wegen, und ich glaube, wer dem Übel wehrt, der handelt nicht wider des Herrn Gebot. Und so will ich denn geloben, was er von mir fordert.«

Der Bauer wartete, bis es schummerte, und derweilen fragte er aus dem Prediger heraus, was er heraushaben wollte. Der Mann gefiel ihm und Thedel auch, und Grieptoo nicht minder, und somit durfte er vor Niehus aufsitzen und bis vor die Wohld reiten.

»Mädchen«, sagte Thedel nachher zu seiner Hille, die schon wieder so aussah, als ob es bald noch einen kleinen Niehus geben sollte, »da haben wir dir einen Kerl auf der Haide aufgegabelt, eine ganz putzige Kruke! Sitzt da im Sand und singt nach der Schwierigkeit ein geistliches Lied, hat nicht Messer noch Schießgewehr bei sich und macht ein Gesicht, als wenn es lauter Engel auf der Welt gibt, und dabei haben ihn gestern erst die Tatern unter sich gehabt. Es ist meist so, als ob er zu dumm ist, als daß er Bange hat; nicht einmal hat er sich verjagt, als wir von den Wachen angerufen wurden.«

Thedel hatte recht; Furcht hatte Ehren Puttfarken nicht, zum mindesten keine Menschenfurcht. Das mußte Viekenludolf spüren, als er nach vier Wochen auf den neuen Hof geritten kam und auf der Deele Mietren zu fassen kriegte: »Deubel auch, Deern!« rief er und drückte sie, daß ihr die Rippen knasterten; »du machst dich ja mächtig heraus!«

Aber was machte er für runde Augen, als der Prediger aus der Dönze trat und ihm sagte: »Der Herr segne seinen Eingang, Viekenbur! Aber sage er mal: ist es notwendig, den Teufel zum Zeugen anzurufen, weil Gott diese Jungfrau blühen und gedeihen läßt? Und schickt es sich in einem ehrbaren Bauernhause, und paßt es sich für einen rechtlichen Bauern, einer ordentlichen Witfrau Tochter zu behandeln wie ein liederliches Weibsstück?«

Viekenludolf machte so verbiesterte Augen wie ein Hund, den eine Adder anprustet; aber dann lachte er: »Ist das der Dank, daß ich Euch vor den Tatern bewahrt habe?«

Der Prediger nickte: »Jawohl, das ist der Dank. Er hat mich vor Tatern und Heiden bewahrt und ich will seine Seele vor dem Höllenfeuer bewahren. Und nun trete er ein und nehme Platz, bis die Bäuerin kommt; die Magd soll sie rufen.«

Von dem Tage an hatte er zwei dicke Freunde; der eine war Schewenkasper, denn er sagte nachher zu Thedel: »Er hat es dem Viekenbur aber gehörig gegeben, sage ich dir. Ist das aber auch eine Art, sich aufzuführen, wie der es tut? Kein eines Mädchen kann sich ja vor ihm bergen!« Der andere aber war Viekenludolf selber, denn als er nachher wieder ein Donnerwetter aus dem Munde ließ, wusch ihm der Prediger den Kopf noch einmal, und das gefiel dem Dausenddeubel, denn es war ihm etwas Neues. »Du«, sagte er zu dem Wulfsbauern, »den behaltet man; der ist gut!«

So dachten die Peerhobstler auch, denn nachdem Puttfarken von der Bäuerin ordentlich herausgefüttert war, sah er wie ein rechtschaffener Prediger aus, und obzwar er noch reichlich jung war, so war er doch ein guter Prediger und trotz seiner Redensarten ein Mann, der in die Welt paßte.

Er scheute sich vor keiner Arbeit, soweit sie sich für ihn schickte, und mehr als einmal sagte der Wulfsbauer zu ihm: »Wie ein Knecht braucht Ihr nun gerade nicht zu arbeiten.« Aber dann bekam er jedesmal zu hören: »Glaubt er, Wulfsbauer, daß mir das bei den Leuten nicht nützt, wenn ich grabe und rode wie sie selber? Und außerdem: es macht mir Freude; bin ich doch auch eines Bauern Sohn.«

Er saß so gut zu Pferde wie die Peerhobstler selber, und mit der Zeit lernte er auch mit dem Schießgewehr umzugehen wie ein gelernter Jäger, und manchen Braten brachte er aus dem Busche mit. Auch Aalkörbe konnte er machen, Netze stricken und Setzangeln stellen, denn sein väterlicher Hof, den die Mansfelder samt allem, was darauf war, niedergebrannt hatten, hatte da unten an der Weser gelegen.

Der Wulfsbauer fand, daß er kein schlechtes Geschäft gemacht hatte, als er diesen Mann auf der Haide aufsammelte, allein schon, weil die Bäuerin immer einen von ihrer Art bei der Hand hatte, wenn Wulf über Land mußte, was immer öfter der Fall war; denn das mit dem Frieden, das war wie der Raubfrost auf der Haide gewesen und lange vergessen, und es wurde schlimmer denn je. Die Schweden waren gekommen, und der Herzog, dem es längst nicht mehr gepaßt hatte, die Geschäfte der Papisten zu besorgen, war zu ihnen übergegangen, und nun sengten und brannten die Pappenheimer in seinem Lande.

Öfter als sonst kam der Bauer mit krauser Stirn nach Hause, und dann war es ihm ein Trost, wenn der Prediger ihm mit mutigen Worten und einem geistlichen Liede über die Sorgen weghalf, denn Puttfarken hatte Abendandachten auf dem Hofe zugange gebracht, zu denen ein jeder kommen durfte, der dazu Lusten hatte. Besonders den alten Leuten, die seit Jahren keine Kirche mehr gesehen hatten, war es ein großer Trost, konnten sie einmal wieder gemeinsam Gott mit Gebet und Gesang ehren.

Es war von jeher ordentlich und sinnig auf dem neuen Hofe zugegangen, aber seitdem der Prediger da war, waren die Abende noch gemütlicher als sonst, denn der junge Mann hatte allerlei Kenntnisse und konnte erzählen wie ein Buch von dem, wie es in der Welt zugegangen war von Adam an bis auf die letzten Zeiten; da nun der Bauer in den ganzen Jahren jedes Buch, das ihm bei den Wehrfahrten in die Hände gefallen war, mitgebracht hatte, weil er wußte, daß seine Frau daran ihre Freude hatte, so las der Prediger ihnen an den langen Winterabenden daraus das Beste vor und wußte alles so zu erklären, daß selbst Schewenkasper in dem einen Winter mehr lernte, als in seinem ganzen Leben.

Seitdem die Bäuerin eigene Kinder hatte, konnte sie sich der anderen nicht mehr so viel annehmen wie anfangs, und so machte es sich ganz von selber, daß der Prediger Schule abhielt, zuerst für die Kinder und dann auch für die Knechte und Mägde, und dazu kamen auch die Bauern gern, denn alles, was ihre Gedanken von der schlimmen Zeit abhielt, wurde ihnen zum Trost und zur Erquickung.

Ging es doch immer schrecklicher in der Welt her. So abgelegen das Dorf auch war, es sprach sich genug bis zu ihm hin und die Bauern bekamen es mit der kalten Angst, als Grönhagenkrischan ein fliegendes Blatt mitbrachte, auf dem gedruckt stand, was der Tilly und der Pappenheimer mit Magdeburg angestellt hatten.

Am nächsten Sonntage war Predigt auf dem neuen Hofe. Schewenkasper und Thedel hatten aus Klötzen und Stangen Sitzreihen vor dem Hause aufgeschlagen und vor der großen Tür eine Art Kanzel gebaut, die von der Bäuerin und Mieken mit Tannhecke und Maien zurechtgemacht war, und ein weißes Tuch mit einem roten Kreuze war darüber gesteckt.

Bei halbig zehne waren die Peerhobstler auf dem Hofe; alle waren da außer den Brustkindern und den Wachen. Es war ein Morgen, wie er nicht schöner sein konnte; die Sonne stand hell am Himmel, die Buchfinken schlugen, die Schwalben spielten in der Luft und auf allen Misten waren die Hähne am Krähen.

Alle waren sie in ihrem besten Zeuge da, die Männer und die Frauen, und alle hatten ihre Kinder herausgeputzt, so gut es ging. Sie stießen sich an und zeigten auf die Kanzel und flüsterten leise miteinander, und die Altmutter Horst mann bekam nasse Augen, als sie das rote Kreuz auf dem weißen Laken sah.

Der Wulfsbauer stimmte das Lied an: »Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade«, und alle fielen mit ein. Währenddem stieg der Prediger auf die Kanzel und betete vor sich hin. Er hatte einen schwarzen Gehrock an, den die Bäuerin gemacht hatte, und er kam den Bauern anders vor als bislang, w o er in Blaulinnen und Beiderwand gegangen war.

Es war kirchenstill auf dem Hofe, als der Vers zu Ende gesungen war und die Leute aufgestanden waren, nur daß man die jungen Schwalben piepen hörte. »Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen«, begann der Prediger und fuhr fort: »Vernehmet in Andacht das Wort der Heiligen Schrift, das geschrieben steht Psalm einhundertsiebenunddreißig: An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.« Er schlug sein Buch zu und fing an zu sprechen.

Die Leute horchten auf, denn eine solche Predigt hatten sie noch keinmal vernommen. Das war, als wenn sie selber zueinander redeten, so klar und doch so ganz anders. Er sprach, wie es vordem war um das Bruch, und wie es nun aussah. Er ließ Ödringen wieder aufleben und ließ es in Rauch und Asche aufgehen, erinnerte an Tod und Not und an alles andere, was die Jahre gebracht hatten an Leid und Elend. Alle Frauen weinten in ihre Schürzen und die Männer sahen vor sich hin.

Ruhig und eben hatte der Prediger gesprochen, aber dann ließ er Blitz und Donner aus seinem Munde kommen. Mit einer Stimme, die sich wie ein Ungewitter anhörte, las er das fliegende Blatt vor und hing Worte daran, die herunterkamen wie die Axt auf den Baum. »Des Herrn Hand wird sie treffen, die Bluthunde, die der Kindlein in der Wiege nicht schonten und kein Erbarmen hatten mit unschuldigem Blute«, rief er; »zermalmen wird er sie in seinem Grimme und hinstreuen, daß ihre Feinde sie mit Füßen treten, und wenn sie dann rufen: ›Herr, o Herr, ach ach!‹ so wird er seine Ohren verschließen, denn nicht zu tilgen ist ihre Schandtat, und ihre Greuel bleiben ewiglich bestehen.«

Da hörten die Frauen zu weinen auf und die Männer sahen ihn mit blanken Augen an; alle Gesichter wurden klar, als er tröstliche Worte und Sprüche fand, die Herzen zu erquicken und die Seelen zu laben mit Hoffnung auf bessere Zeiten und Zuversicht auf die Güte des barmherzigen Gottes, und es war keiner da, der sich nicht gelobte, treu auszuharren in der Furcht des Herrn, möge kommen, was da wolle.

Wie ein Wetterrollen hörte es sich an, als die Gemeinde ihrem Prediger das Glaubensbekenntnis nachsprach, und bis zum Himmel schallte es, als sie sang:

Das Wort sie sollen lassen stahn
und kein Dank dazu haben;
er ist bei uns wohl auf dem Plan
mit seinem Geist und Gaben;
nehmen sie uns den Leib,
Ehre, Kind und Weib,
laß fahren dahin,
sie haben 's kein Gewinn:
das Reich muß uns doch bleiben!


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