Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

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7. Die Wehrwölfe

Harm blieb für das erste im Bruche. Er hatte allen möglichen landfahrenden Leuten, soweit es nicht Raub‑ und Mordgesindel war, von der vielen Beute, die er gemacht hatte, manchen Taler zukommen lassen, damit sie bei Drewes in Engensen oder anderswo Nachricht hinterlassen sollten, wo er das Heilige Kreuz und den Säugling antreffen konnte, denn er hatte gesagt, er hätte ein Geschäft mit ihnen vor.

Er besprach sich nun mit Ulenvater über das Leben, das die Ödringer auf dem Peerhobsberge führten. »Das schlimmste ist«, sagte er, »sie lauern darauf, daß der Krieg aufhören soll und solange behelfen sie sich mit Hungern und Nichtstun. Das ist verkehrt! Wir müssen so tun, als ob wir ewig und drei Tage hier bleiben wollen. Mit Reden richtet man aber nichts aus, und deshalb wollen wir beide uns ein regelrechtes Haus bauen, und soweit es geht, auch Land unter den Pflug nehmen. Du sollst sehen, einer nach dem anderen tritt dann in unsere Stapfen.«

Der Alte nickte: »Da hast du völlig recht; das habe ich mir auch schon gesagt, denn wenn ich auch heute oder morgen sterben kann, sündhaft ist es darum doch, die Hände in den Schoß legen und unserem Herrgott den Tag abstehlen. Und diese Örtlichkeit ist gar nicht so uneben! Selbst in Regenjahren kommt das Wasser hier nicht her, und der Boden ist gut, und wenn später ein Durchstich nach der Wietze gemacht wird, und der Busch wegkommt, dann sollst du mal sehen, was hier nicht alles wächst!«

Es gab einen großen Aufstand auf dem Berge, als es hieß: »Der Wulfsbauer und Ulenvater bauen sich ein festes Haus!« Es waren aber kaum die Ständer eingesetzt, da fing schon ein anderer an, es ihnen nachzutun, und es war schön anzusehen, wie gerade mit einem Male wieder die Männer gingen, welche blanken Augen die Frauen bekamen und wie auch die Kinder sich herausmachten, denn nun hatten sie doch wieder an etwas anderes zu denken, als an ihr Unglück.

Der Wulfsbauer sparte nicht; er hatte Geld genug, und so holte er Zimmerleute und Tischler aus den Nachbardörfern heran, und als das Haus fertig war, und weder die Pferdeköpfe an den Windbrettern noch der Spruch über der großen Türe fehlte, da sagten alle: »Es ist wirklich ein schönes Haus, alles was recht ist, wenn es auch man halb so groß ist und nicht so bunt, wie das alte Haus.«

Der Spruch aber, den Harm Wulf in den Torbalken hatte einhauen lassen, hieß: »Helf dir selber, so helft dir unser Herre Gott.« Das gefiel manch einem erst nicht recht. Aber als dann der Wulfsbauer seine Hausrichte gab, wurden sie anderer Meinung. Alles war eingeladen, was im Bruche wohnte und noch allerlei Freundschaft aus der Haide. Wulf hatte reichlich für Essen und Trinken gesorgt und auch für Musik, aber er hatte auch sagen lassen, jedweder sollte sich so fein machen, wie sonst zum Burgdorfer Martinsmarkt. So sah es bunt und lustig vor dem Hause aus von roten Kleidern und weißen und blauen Röcken, und alle Gesichter waren voller Freude.

Es war einer von den Tagen, an dem Sonne und Regen hintereinander her sind, wo aber die Sonne die meisten Trümpfe vorweisen kann. Ein frischer Wind ging, daß das Laub in den jungen Eichen rauschte und die Fuhren und Tannen nur so brummten, und die Kränze aus Hülsen und die langen Ketten aus Tannhecke hin und her flogen; die weißen Bänder daran wehten und die bunten Eierschalen klingelten und klapperten, daß die Kinder vor Vergnügen nicht wußten, wo sie sich bergen sollten.

Als alle da waren, kam Ulenvater aus der großen Türe und hinter ihm der Bauer. Er hatte sich seinen Bart abgenommen und trug den blauen, rot ausgeschlagenen Rock mit den blanken Talerknöpfen. Die großen Kinder stellten sich zusammen, Fiedelf ritze aus Meilendorf gab den Ton an und hell klang das Lied: »Großer Gott, dich loben wir.« Alle Männer nahmen die Hüte ab und sangen mit, und die Frauen auch, und da war nicht einer, dem das Wasser nicht in die Augen kam.

Dann stellte sich Ulenvater vorne hin und sprach:

Alle, die wir hier versammelt sind,
Mannsleute und Frauen, Knecht, Magd und Kind,
Boshaftigkeit und Niedertracht
haben uns von Haus und Hof gebracht.
Also schwer uns das Unglück schlug,
daß wir allhier im wilden Bruch
wie die Wölfe uns müssen verstecken,
daß uns die Mordbrenner nicht entdecken.

Anfangs haben wir meist verzagt,
haben gegreinet und geklagt,
dachten, ach wären wir besser tot,
als so zu leben in Ängsten und Not.

Haben uns aber noch besonnen
und dies Haus zu bauen begonnen,
haben es glücklich emporgebracht,
weil uns schützte des Herren Macht.«

Alle, die da standen, sahen den alten Mann, dessen Augen so fröhlich und doch so absonderlich aussahen, groß an, und die Kinder standen mit offenen Mäulern da und wußten nicht, was sie zu Ulenvater sagen sollten. Das war ja gerade, als wie in der Kirche! Aber nun holte er tief Luft, machte ein anderes Gesicht und fuhr fort:

»Und weil das Haus nun fertig steht,
und nichts dran fehlt, so wie ihr seht,
so wollen wir nach altem Brauch
den Tag beschließen in Freuden auch,
essen, was uns der Herr beschert,
und mit Verstand, wie es sich gehört,
hinternach auch lustig sein
bei einem Glas Bier oder Branntewein;
Und nun, liebe Freunde, tretet ein!«

War das ein Leben und ein Lachen! Die Altmutter Horstmann, die noch keiner wieder hatte lachen sehen, seitdem sie aus dem alten Dorfe hatte herausmüssen, gnickerte in einem fort vor sich hin und brummte: »Nee, dieser Ulenvater aber auch, was der für Kneepe im Koppe hat!« und Klaus Hennke, der größte Drögmichel von allen, lachte hellwege weg. Eine so lustige Hausrichte hatte es sogar oben im Dorfe noch nicht gegeben. Und wenn auch kein Tropfen Honigbier und kein Glas Wein auf dem Tische gewesen wäre, es wäre doch toll genug hergegangen. Schon beim Essen waren alle mächtig aufgekratzt, und als der Tanz losging, erst recht, und wilder und höher waren die roten Röcke noch keinmal geflogen und das, was darin war, als auf des Wulfsbauern Hauwichte.

Aber er hatte auch an alles gedacht. Dünnbier war da und Met, und zwei Fässer Mumme und ein Tabak, wie ihn noch keiner geraucht hatte, und das war auch kein Wunder, denn den hatten Drewes und seine Haidgänger vor einiger Zeit einer Kolonne abgenommen und zwölf Fässer spanischen Wein dazu, der so süß wie Honig war, und davon bekamen die ganzen alten Männer und Frauen jeder ein oder zwei Glas zur Herzstärkung. »Ich bin nun all im neunzigsten Jahre oder so herum«, sagte der Hausmann vom Bollenhofe, »aber so gut ist es mir noch keinen Tag in meinem Leben nicht gegangen«, und dabei nickte er ganz glücklich seinen Urenkeln zu, die alle Backen voll von dem süßen Rosinenbrote hatten, das für die liederlichen Weibsleute bestimmt war, die die Waldsteinschen Offiziere mit sich herumschleppten.

Sogar Drewes sah anders aus, als die Zeit vorher. Er stand zwischen seinen beiden Töchtern, dem großen breiten Lieschen, die mit ihrem Manne den Hof bewirtschaftete, und dem schlanken Wieschen, die kein Auge von dem Wulfsbauern ließ und nicht mittanzen wollte, weil sie, wie sie sagte, nicht gut zuwege war. Aber dabei sah sie aus wie eine Rose im Morgenrau, und hatte Augen, so blau wie der liebe Himmel, und wenn sie lachte, so war das, als wenn die Märzendrossel an zu schlagen fangen will. »Nee, Wulfsbur«, sagte sie, als der sie fragte, warum sie nicht auch tanzte, »nee, danach ist mir heute nicht ums Herz. Ich kann mich gar nicht satt genug sehen, wie lustig die Ödringer sind nach alledem, was sie ausgestanden haben! Hör bloß, was sie singen! Damit hast du dir einen Gotteslohn verdient!«

Bis zehn dauerte der Tanz, aber er hielt noch lange vor. Von da ab hörte man die Männer wieder flöten und die Mädchen sangen bei der Arbeit, und wenn es auch Arbeit für Mannsleute war, die sie tun maßten. Denn Wulf hatte es den Leuten klar gemacht, daß es nun erstens nötig wäre, die Burg so zu befestigen, daß dreihundert Mann sie nicht erstürmen konnten, und daß das, was im Herbst vergessen war, jetzt gemacht werden maßte. So wurde der Burggraben tiefer und der Wall höher gemacht und sowohl die Grabensohle, wie die Wallwand wurde dicht an dicht so mit langen spitzen Pfählen besetzt, daß kaum eine Katze, geschweige denn ein Mensch durchkonnte. Zudem wurde rings um den Wall ein Verhau aus Dornbüschen gemacht, so hoch und so dicht, daß selbst der Teufel und seine Großmutter nicht darüberweg konnten. Rund um die Burg waren an allen Zuwegen Wolfsangeln in die Bäume geschnitten und das bedeutete: »Wahr dich, denn vor dir ist ein Loch, und wenn du da hineinfällst, bist du des Todes!« Dazu kam noch, daß die beiden Fahrwege jeder viermal mit Schlagbäumen versperrt werden konnten.

Alles das hatte Wulf hei seinen Streiffahrten hier und da gesehen und sich eine Lehre daraus genommen, und zur größeren Sicherheit hatte er an vier Stellen auf dem Sandberge im Brache Auskieke in den Kronen der Wahrbäume machen lassen, in denen den Tag über Jungens als Wachtposten saßen, die Hörner bei sich hatten und bliesen, wenn die Luft unrein wurde.

Es dauerte nicht lange, und alles, was kein reines Hemd anhatte, machte einen Bogen um das Bruch, denn es hatte sich herumgesprochen, daß es da nicht geheuer war. Ab und zu sah man Männer mit schwarzen Gesichtern in dem Busche, und an mehreren Stellen waren zwei Fuhrenbäume kahl gemacht und ein dritter darüber genagelt, und zu allermeist hing ein Mann mit seinem Halse daran, oder zwei oder drei und kein Mensch wußte, wer es war und wer sie gerichtet hatte, ausgenommen die Bauern in der Runde, und wenn der Wind die Galgenfrüchte hin und her wehte, lachten sie und sagten: »Die Bruchglocken läuten heute aber fein!«

Dieweil der Winter milde war, konnte allerlei Arbeit getan werden. Die Bauern rodeten den Busch auf dem Peerhobsberge, teilten das Land ein und verlosten es, zogen Gräben und Wälle um die Weidekoppeln, holten die großen Steine aus der Haide und brachen den Ort im Brache, damit sie Grundmauern und feste Wände machen konnten.

Als der Hornung zu Ende war, sah es auf dem Peerhobsberge schon anders aus, als im Herbste, zumal es an Nahrung nicht gebrach. Denn Fleisch lieferte das Bruch genug; es war lebendig voll von Hirschen, Fische gab es in der Wietze in Hülle und Fülle, und für Brot sorgte der Wulfsbauer. Er hatte aus dreißig jungen Kerlen eine Schleichtruppe zusammengestellt und einen Kundschafterdienst in die Reihe gebracht. Wurde nun gemeldet: hier kommt ein Proviantzug oder da sind Marketender, so dauerte es nicht lange und es knallte, und dreißig Männer mit schwarzen Gesichtern lachten lauthals los und sagten: »Nun kann Mutter wieder Brot schneiden, ohne daß sie so niepe zusehen braucht.«

Viekenludolf aus Rammlingen, Windhund bei allem, was einen roten Rock anhatte, und der wildeste Tänzer beim Erntebier und wo sonst sich eine Fiedel hören ließ, und ein Kerl, der überall gern dabei war, wo man sich umsonst zur Ader lassen konnte, der hatte, als sie Ende März drei Marketenderwagen des kaiserlichen Heeres bei Seite gebracht hatten, im Kruge zu Obbershagen gesagt: »Wir haben nun ein so schönes Kind aus den Windeln heraus, aber einen Namen, den hat es noch nicht. Unser Hauptmann, der heißt Wulf, und ein richtiger Wolf ist es auch, denn wo er zubeißt, da gibt es dreiunddreißig Löcher. Dennso bin ich der Meinung, daß wir uns die Wehrwölfe nennen und zum Zeichen, wo wir der Niedertracht gewehrt haben, drei Beilhiebe hinterlassen, einen hin, einen her und den dritten in die Quer. Und davor soll keiner was wissen, als wir dreimal elfe, so sich nennen die Wölfe, und wer darüber das Maul aufmacht, der soll zwischen zwei räudigen Hunden mit der Wiede um den Hals so lange hängen, bis man nicht mehr wissen tut, wer am mehrsten stinkt.«

»Das ist ein Wort, das hat den Kopf vorne und den Steert achtern, wie es sich gehört«, sprach der Hauptmann, »und was unser Wolfsbruder da so hingesagt hat, als wenn das bloß ein Spaß ist, als wie er einem beim Biere aus dem Maule rutscht, es ist Verstand darin und Einsicht. So, wie wir hier sind, dreimal elf Mann, kann uns der leibhaftige Gottseibeiuns selber nicht bange machen, und wenn er jetzt mitten unter uns zu stehen kommt. Denn was will er uns machen, uns ledigen Leuten, von denen keiner Kind und Kegel hat, Viekenludolf vielleicht ausgenommen, der ja Hahn bei allen Hühnern sein soll.«

Sie lachten alle, wie die Buchholzer Hengste, bloß Viekenludolf nicht, denn der kratzte sich hinter den Ohren. Als es dann wieder still war, ging Wulf weiter: »So müssen wir uns für die Eheleute und die Witfrauen und die alten Leute und die Waisen aufnehmen. Aber dazu müssen wir unser mehr sein, müssen es auf hundert Mann und darüber bringen, alles Kerle, wie wir, die noch lachen können, wenn ihnen ein Stück Hackblei nicht aus dem Wege gehen will. So soll sich denn ein jeder einen bis zwei oder drei gute Freunde suchen, und die sollen mithelfen, wenn es not tut. Es sollen aber alles Junggesellen sein und kein einer, der einziger Sohn einer Witfrau ist, soll dabei sein, und wenn einer ein Mädchen mit einem Kinde sitzen hat, der soll sich zuvor bedenken, ehe er sich mit uns einläßt. Wenn so einer aber Unglück hat, so soll es unser erstes sein, daß das Frauenmensch und das Kind nicht Not und Mangel leiden. Und an jetzt wollen wir uns verbrüdern auf Not und Tod, Gut und Blut, daß alle für einen stehen, und einer für alle, aber wir alle für alles, was um und im Bruche leben tut und unserer Art ist.«

Der Wirtssohn, der einer von den dreimal elfen war, mußte das große Glas holen. Das Bier wurde beiseite geschoben und edler Wein, der auf der Landstraße zwischen Burgdorf und Celle für umsonst gewachsen war, kam auf den Tisch. Sie standen alle auf, hakten die Arme ineinander, daß es einen engen Kreis gab, und Harm nahm das Glas, trank, gab es Viekenludolf, und so ging es reihum, bis es leer war. Dann sang Grönhagenkrischan aus Hambühren, der stillste von allen, aber ein Mann trotz seiner zwanzig Jahre, den Wehrwolfversvor, der ihm just beigefallen war, und der Hauptmann legte einen weißen Stock auf den Tisch, sein langes Messer und eine Wiede und sprach: »So der Stock bricht, so das Metz sticht, oder die Wiede wird zugericht'!«

Sie wählten darauf Viekenludolf als zweites Haupt, machten. fest, wo und wann sie sich regelmäßig treffen wollten, und auf welche Weise der eine dem anderen Nachricht geben sollte, ohne daß dem Boten alles aufgedeckt zu werden brauchte, und dann gingen sie auseinander. Der Peerhobstler blieb noch eine Weile mit dem Wirtssohn sitzen, denn er hatte eine Botschaft aus Wietze bekommen, daß die Leute, die ersuchte, sich in Ahlden hatten blicken lassen. Er hatte vor Arbeit und Geschäften manchen Tag nicht mehr an sie gedacht; jetzt aber standen sie ihm wieder alle Stunden vor den Augen, und er hatte sich vorgenommen, nicht eher lokker zulassen, bis er ihnen ihren verdienten Lohn bei Heller und Pfennig ausgezahlt hatte.

So ritt er denn, als am anderen Mittag Thedel mit Grieptoo ankam, los. Den Hund hatte er in der letzten Zeit meist immer bei sich, denn er hatte es herausgebracht, daß der eine Hauptnase hatte und zwischen hundert Mann den herausfand, auf dessen Fährte er ihn legte. Ohne Hund hätte er den Zigeuner, der mit sechs Stehldieben die Gegend unsicher machte, nicht in der Erdhöhle im Bissendorfer Holze aufgespürt und zur Warnung aller unehrlichen Leute samt seinen Spießgesellen vor dem Dorfe an die Birkenbäume hängen können, und ohne ihn wäre er einmal beinahe den Mannschaften des Tilly in die Finger gefallen, die hinter ihm her waren, als er ihnen wieder einmal den Brotkorb höher gehängt und den Bierkrug vor dem Maule aus der Hand geschlagen hatte.

Es war einer von den Vorjahrstagen, an denen der Morgennebel sich, so lange er es eben kann, vor die Sonne stellt. So wurde es meist elfe, ehe die Sonne ihn unter die Füße bekam, aber dann wurde es um so schöner, so daß sogar Thedel, der sonst ganz und gar bei der Arbeit war, alles mit Augen sah, was auf dem Boden lebte und in den Lüften webte, und dem Bauern war nicht anders zumute. »Junge«, sagte er, »das ist ein Tag, bei dem hat sich unser Herrgott aber mächtig viel Mühe gegeben! Wenn es sich irgend machen läßt, dennso möchte ich heute den Finger nicht gern krumm machen, und ich glaube, du würdest auch lieber sehen, ob du Ehlers Hille nicht im Schummern irgendwo antreffen könntest, wo euch keiner in die Möte kommt.«

Thedel ritt vor ihm und hatte die Sonne im Gesichte, und seine Ohren sahen mit einem Male aus als wie zwei Klapprosen. Er sagte nichts, gab aber einen Seufzer von sich, der so lang und so dick wie ein Pferdeschwanz war, so daß Harm herzlich lachen mußte.

»Na«, sagte er, denn er sah, daß der Knecht ein Gesicht machte, wie der Zaunigel, wenn ihn der Hund anbellt, »was nicht ist, kann noch werden. Vorläufig haben wir ja noch andere Arbeit vor, und erst die Arbeit, dann das Vergnügen, sagt Viekenludolf, da schlug er Kassenkrischan drei Zähne in den Hals und ging mit seinem Danzeschatz in den Grasgarten. Aber wenn zwei gewisse Leute das Fliegen gelernt haben, ohne daß sie gerade heilige Engel geworden sind, dann, Niehusthedel, sollst du ein Haus zu eigen haben mit einem großmächtigen Bett und einer glatten Frau drin, wenn du willst, und es soll mich nicht wundern, wenn sie vorne Hille und hinten Ehlers heißt, Arme, wie ein Paar Fuhrenbäume und Haare, wie das Gras da hat, wo die Sonne so aufliegt.«

Erhielt den Schecken an, der mit der Zeit vergessen hatte, daß er ein Rappe sein sollte: »Was hat denn der Hund da? Der steht ja, als wenn da ein Mensch ist, denn für umsonst hält er den Kopf nicht so dumm und stellt sich auf drei Beine! Wollen doch mal zusehen!« Er ritt langsam hin und sagte dann: »Stimme! Ganz, wie ich es sagte: ein Mensch! Ein Frauenzimmer anscheinend, das barfuß geht, aber kein Taternweibsstück, denn die großen Zehen stehen einwärts. Aber jung ist sie und groß ist sie, und mager, und Angst hat sie gehabt. Sie kann dazu auch krank sein, denn sie hat von dem Birkenbaum bis hierher zweimal umgeknickt, und hier hat sie einmal niedergesessen. Wollen doch mal zusehen, wo sie ist. Weit kann sie nicht sein, denn die Spur steht nagelfrisch im Sande, und kein Tau ist auch nicht drin. Grieptoo, daher! So Thedel, nimm du den Hund an und gib mir Wittkopp, aber halte die Hand am Hahn; der Deubel kann sein Spiel haben!«

Er nahm den Zügel des Blässen in die linke Hand und machte die Pistolen locker, und dieweil Thedel mit dem Hunde am Riemen die Spur hielt, folgte er ihm auf den Hacken nach, scharf Umschau haltend, ob nicht irgendwo ein Dorn im Grase war. Sie waren so bis vor ein altes Steingrab gekommen, das ganz von Machangeln und Hülsen bewachsen war, als der Hund stand. 'Thedel faßte ihn mit der linken Hand unter die Halsung, hielt in der rechten die Pistole und ging sachte Schritt um Schritt vor, und hinter ihm hielt der Wulfsbauer und hatte scharf gemacht.

Ein Zaunigel oder ein Ilk oder eine Adder ist es nicht«, dachte der Bauer, denn Grieptoo wedelte. Aber dann fuhr er zurück, denn so wie Thedel die Büsche beiseite bog, schrie ein Frauenzimmer auf, und so schrecklich schrie sie, daß es Harm durch Mark und Knochen ging. Als er näher ritt, sah er halb unter den Steinen ein Mädchen auf den Knien liegen, das hatte die Hände unter dem Munde gefaltet, machte Augen, als wenn ihr ein Messer am Halse saß, zitterte am ganzen Leibe und schrie: »Ach Gott, ach Gott, ach Gott, tut mir doch nichts, tut mir doch nichts! Meinen lieben Vater haben sie totgemacht, meine gute Mutter haben sie umgebracht, um unseres heiligsten Herrn Jesu Leiden und Sterben willen, tut mir nichts und laßt mich hier sterben!«

Der Knecht riß den Hund zurück und machte ein ganz unglückliches Gesicht, und der Bauer sah hin und her, als ob es ihm selber an das Leben gehen sollte. Dann steckte er die Pistole fort, hob die Schwurhand in die Höhe und rief über den Hals des Schecken dem Mädchen zu: »Wir tun keinem was, so er nicht ein Erzhalunke ist. Wir sind ehrliche und rechtliche Bauern und haben selber genug ausgestanden. Habe man keine Bange!«Erzeigte auf den Hund. »Kiek, wie Grieptoo mit dem Steert wackelt! Bei wem er das tut, der braucht vor uns keine Angsten zu haben. Siehst du, Mädchen, der Hund will dich lecken. So recht, mein Hund, so brav, Grieptoo! Die arme Deern braucht nicht zu schreien. Thedel, laß ihn man los!«

Der Hund ging schweifwedelnd und mit kleinen Ohren auf das Mädchen zu, leckte ihm die Füße und dann das Gesicht und knurrte und fiepte, und mit einem Male nahm ihn das Mädchen in den Arm, drückte ihn an sich, küßte ihn, weinte erbärmlich los und rief, indem sie die beiden Männer ansah: »O Gott Lob und Dank! Ja, ich sehe es euch an den Augen an, ihr seid rechtliche Leute und werdet mir nichts tun.«

Dann fiel sie auf ihr Gesicht und blieb so liegen, und ihr Haar, das so rot war, wie ein trockener Machangelbusch Inder Sonne, fiel lang vor sie hin. Wulf stieg ab und gab Thedel die Pferde zu halten. Er nahm das Mädchen auf und brachte es dahin, wo die Sonne das Haidmoos abgetrocknet hatte, zog seine Jacke aus, drehte sie zusammen und legte sie ihr unter den Hals. Dann bog er einen breiten Machangelbusch nieder, schnitt ihn ab und steckte ihn so ein, daß er seinen Schatten auf das Gesicht der Jungfer warf. Einen Augenblick sah er sie genau an, indem er bei ihr kniete; sie hatte schwarze Höfe unter den Augen, ihre Backen waren eingefallen, am Halse sah man alle Sehnen und Adern, und ihre Lippen waren kreideweiß.

Er schüttelte den Kopf und stand auf. Sie ist vor Hunger halb tot und halb vor Angst.« Er machte das Sattelholster auf, holte die Flasche heraus, goß etwas Wein in seine Hand, kniete nieder und, nachdem er dem Mädchen ein bißchen davon auf die Lippen hatte laufen lassen, rieb er ihr mit dem Rest die Nase und die Schläfen. Sie schlug die Augen auf, machte wieder das Gesicht, als wie da, wo sie die Männer zu allererst sah, versuchte dann sich aufzurichten, fiel aber wieder auf die Jacke zurück und sagte: »Mich hungert so; o, wie mich hungert!«

Harm hatte schon das Holster in der Hand. Er setzte sich neben sie, brach ein ganz kleines Stückchen Brot ab, denn er sah, wie ihr das Wasser aus dem Munde lief, als sie das Brot roch, gab es ihr und sagte: »Langsam! Je langsamer, daß du essen tust, desto mehr sollst du haben.« Aber sie konnte es nicht herunterkriegen, so viel sie auch schluckte und würgte, und da goß er aus der Flasche ein bißchen von dem spanischen Wein in seine Hand und gab ihr das ein, und als sie das herunter hatte, da seufzte sie tief auf, lächelte dumm und Bibberte mit beiden Händen nach dem Brote hin.

Der Bauer nahm sie in den Arm, als wenn sie ein kleines Kind war, und hielt das Brot so, daß sie jedesmal nicht mehr als ein Stück, wie ein Fingernagel groß, abbeißen konnte, und dazwischen gab er ihr ebenso kleine Stücke Salzfleisch und ab und zu von dem Weine. Es wurde ihm ordentlich leicht um das Herz, als sie immer ruhiger aß und trank und nicht mehr so blau unter den Augen anzusehen war und die Hände stillhalten konnte. Dann legte er ihr auf den Holsterdeckel das Brot und das Fleisch hin, stellte die Flasche daneben und sagte: »So, nun bist du soweit, daß du allein fertig werden kannst und dich nicht krank essen tust«, und dabei nahm er seinen Arm von ihren Schultern weg.

Das Mädchen sah ihn so an, daß ihm die Binde um den Hals zu eng wurde und da merkte er, was für ein Bild von Mensch sie war trotz des ungemachten Haares, und obzwar sie im Gesicht schmutzig war und überall geschunden. Und dann merkte er auch, daß sie an sich heruntersah, und heimlich ihr Hemd unter dem Halse zumachen wollte, aber das war kurz und klein gerissen und das Leibchen hing so um sie herum, daß er die drei halb roten, halb schwarzen Schrammen gewahr wurde, die ihr kreuz und quer über die Brust gingen.

»Thedel«, rief er, »geh mal nach dem Anberge, wir müssen aufpassen!« Der Knecht tat, wie ihm geheißen war. Wulf band sein Brusttuch ab, Legte es dem Mädchen von hinten über die Schultern und zurück, so daß er es ihr im Kreuz zusammenbinden konnte. »Es ist doch noch immer frisch«, meinte er, »du könntest dir was wegholen.« Indem zog er auch schon die Schuhe aus, band sich die Kniebänder los, zog die Strümpfe ab und gab sie mit den Worten: »Reichlich weit sind sie ja wohl, aber wenn einer man 'ne Kuh hat, kann er keine Ziegenmilch verkaufen«, und dabei lachte er.

Aber er bekam einen Kopf wie ein Legehuhn, und ihm wurde, als wenn er auf einen Ameisenhaufen zu sitzen gekommen war, als sie ihn groß ansah, die Hände faltete, die Augen überlaufen ließ und mit einem Male seine Hand zu fassen kriegte, sich bückte und ihm die Hand küßte, daß sie naß von ihren Tränen wurde. Fast grob stieß er sie zurück und fragte: »Bist du auch satt? Wir haben noch genug und die Katz soll uns den Magen schon nicht hinter die Stachelbeeren schleppen. Aber nun wollen wir zusehen, daß wir irgendwo Wasser zu finden kriegen, denn ein Spiegelglas pflege ich nicht bei mir zu haben, wogegen ich ein Stück Band habe, daß du dir das Haar ein bißchen machen kannst.« Er machte einen langen Hals. »Da unten sind Elfern, und wo die sind, ist eine Beeke, und wo eine Beeke ist, pflegt Wasser zu sein. Dennso wollen wir Ios!«

Er nahm sie auf den Arm und ging mit ihr nach dem Grund. »Wie leicht sie bloß ist!« dachte er und dann wurde ihm sonderbar zu Sinne, denn ihr Atem ging ihm über den Mund und ihr Haar roch, daß ihm die Brust eng wurde, und zudem fühlte er, wie ihr Herz schnell gegen das seine schlug, und das wurde davon angesteckt. So war er heilsfroh, als er sie bei der Beeke absetzen konnte, aber ehe er sie für sich ließ, brach er einen Elternzweig ab, nahm ihr am Fuße Maß und sagte lachend: »Jetzo muß ich mich an das Schustern begeben! Und wenn du wieder in der Reihe bist, dennso kannst du dich ja melden.«

Thedel wußte nicht, was er sagen sollte, als der Bauer ihn anwies: »Zieh die Stiefel aus!« Aber er machte ganz krumme Augen, als Wulf das Messer nahm und die Krempen, Thedels größter Stolz, abschnitt, und erst, als er sie aufschnitt und Löcher hineinstach und eine Strippe durchzog, wußte er, was das zu bedeuten hatte, und da sagte er: »Erst wollte ich meist falsch werden, denn ich dachte, du wolltest mir einen Schabernack vor die Tür stellen.«

Das Mädchen hätte beinahe gelacht, als Wulf ihr die Strippenschuh gab, aber sie nahm sie gern, denn sie ging in den Strümpfen auf der Haide, wie die Katze über die nasse Deele. »Alles in Ordnung?« fragte der Bauer sie, und als sie nickte, nahm er sie um, hob sie auf den Schecken und setzte sich hinter sie. »Thedel, reite vorweg«, rief er, »denn ich kann so meine Augen nicht recht brauchen!«

Der Himmel hatte sich noch mehr aufgehellt; die Dullerchen sangen aus ihm heraus, die Moormännchen stiegen auf, zwitscherten und ließen sich nieder, der Post war am Aufbrechen, und hier und da steckte sich ein Weidenbusch gelb an. Harm ließ den Schecken Schritt gehen. »Denn«, sagte er, »da wir doch einmal Aufenthalt gehabt haben, soll es uns auf die Zeit nun auch nicht mehr ankommen!«

Ihm war leicht um das Herz. Er dachte, es war, weil er ein armseliges Menschenkind geborgen hatte, aber wenn er ihr Haar roch und ihr Herz schlagen. hörte und ihre Backe ansah, so mager., so blaß und doch so schön, und das kleine feine Ohr, das die roten Locken ab und zu frei ließen, und den dünnen weißen Hals, der aus dem roten Tuche herauskam, und ihre Hand, die auf seinem Schenkel lag, und wenn er fühlte, wie ihr linker Arm um seinen Leib war, dann wußte er nicht: ist das nun schön oder ist das scheußlich? Aber im allgemeinen gefiel es ihm so, wie es war, doch ganz gut.

»Siehst du die beiden Hainottern?« fragte er sie und zeigte mit dem Kopfe an ihrem Gesichte vorbei dahin, wo zwei Waldstörche über einer Wohld in die Runde flogen, daß es nur so blitzte und blinkerte. Das Mädchen nickte. »Da wollen wir hin. Da sollst du dich erst einmal nach Lusten ausschlafen und hinterher wollen wir dafür sorgen, daß du sonst in die Reihe kommst. Und damit du es weißt: ich heiße Harm und war auf dem Wulfshofe zu Ödringen Bauer, bis eines Tages der Teufel seine Knechte auf uns losließ. Und nun leben. wir denn jetzt, wie der Wolf auf der Haide und der Adler über dem Bruche, bloß daß wir keine Hasen fangen tun, denn so sind wir nicht, nämlich wir jagen man bloß auf Füchse und allerhand anderes Beisterzeug. Und das da ist Niehusthedel, dem geht es just so, man er hat mit der Zeit irgendwo sein Herz bei einem Mädchen in der Schürze vergessen, und so hat er es ganz gut, denn wer was will, der hat schon was.«

Er hörte auf, denn er wunderte sich, wie er dazu kam, diesem Mädchen, das er gar nicht kannte, und von dem er nicht wußte, woher sie war, und was mit ihr los war, seine halben Trümpfe zu weisen. Aber dann merkte er, daß seine Zunge von selber Galopp ritt. »Wie heißt du denn?« fragte er, und als sie sagte: »Johanna«, meinte er: »Und was willst du jetzt anfangen?« Sie drehte ihm das Gesicht zu und sah ihn an: »Behalte mich bei dir; ich kann allerlei und will gern alle Arbeit tun, die es gibt. Was soll ich bloß anfangen, wenn ich nicht bei dir bleiben darf? Bitte, bitte, behalte mich bei dir! Deine Frau braucht vielleicht eine Magd.«

Hör zu«, sagte er, und seine Stimme hörte sich mit einem Male an, als wenn Asche darauf war, »ich habe keine Frau. Ich bin ein Mann, der wie der Mausaar da in der Luft ist. Aber ich sehe es dir an, daß kein Falsch in dir ist, und wenn es dir bei uns gefallen tut, dennso sollst du gern bei uns bleiben. Also sorgen brauchst du dich nicht. Die nächste Zeit kommen wir freilich nicht nach Hause, weil ich ein Geschäft hier herum habe. Und das ist derart, daß es besser ist, du gehst vorläufig als Mannsbild durch. Auf einem Pferderücken kannst du dich halten, das sehe ich. Weiter brauchst du nichts.«

»Ich will alles tun, was du willst«, antwortete sie, und er mußte wegsehen, denn er hielt die Augen, die sie ihm machte, nicht aus. »Und nun, damit du es weißt, wer ich bin«, sagte sie, »mein Vater war Prediger im Bayrischen. Wir lebten in Frieden, bis der Krieg kam. Da ging das halbe Dorf in Flammen auf und die meisten Leute kamen um. Da suchte Vater sich eine andere Stelle, und so kamen wir bis in diese Gegend, wo die Leute sehr gut zu uns waren, besser, als anderswo. Vater wollte nach Hannover, denn er dachte, daß er vielleicht da wohl ein kleines Amt bekommen könnte, denn er hatte Briefe an Ratsherren und andere Herren von Ansehen mit. Da holten uns die Tillyschen ein, denn ein Taternmädchen, dem ich ein böses Geschwür aufgemacht hatte, sagte ihnen, welche Art Leute wir waren, und da waren sie wie die leibhaftigen Teufel. Ich will dir das ein anderes Mal erzählen; ich darf jetzt daran nicht denken. Ich habe zusehen müssen, wie sie meinen Vater so schlugen, daß ihm das Blut aus dem Munde kam, und als meine Mutter ihnen fluchte, haben sie sie vor meinen leiblichen Augen im Brunnentrog ersäuft. Ich weiß heute noch nicht, wie ich fortgekommen bin. Ich weiß nur, daß sie alle betrunken waren, und dann bin ich immerzu gelaufen und erst wieder zu mir gekommen, als ich im Busche hinfiel. Und dann bin ich wieder gelaufen, was ich konnte und bin wieder hingefallen und habe dagelegen, bis ich wieder bei mir war, und habe Gras gegessen und Wurzeln, und bin allem aus dem Wege gegangen, das Menschenangesicht hatte. Und dann hast du mich aufgefunden.«

Sie warf ihm den anderen Arm um den Hals und legte ihren Kopf an seine Brust: »Du willst mich behalten, sagst du? Du bist gut, du bist so gut!« Sie weinte, daß die Tränen ihm durch die Hose schlugen, und er ließ sie weinen, was sie wollte, denn er merkte, daß ihr das gut tat. Erst, als sie dicht vor Jeversen waren, sagte er: »So, jetzt müssen wir absteigen. Thedel, sieh zu, wie die Immen fliegen, und ob wir unter oder über dem Winde sind. Wir bleiben derweilen im Busche. Und sieh zu, daß du Mannszeug bekommst und alles, was dazu gehört, das der Jungfer paßt, aber rede nicht weiter darüber, was bloß die Haide wissen braucht.«

Er legte dem Mädchen seinen Mantel hin, drehte seine Jacke zusammen, machte ihr ein Kopfkissen daraus und sagte: »Leg dich hin und schlaf! Ich will mich ein bißchen waschen. Grieptoo, dahin! Der Hund wird dafür sorgen, daß du geruhig schlafen kannst. Ich bleibe ganz in der Nähe.« Er wickelte sie in den Mantel und bettete sie zurecht. Sie lächelte ihm zu, wie ein kleines Kind, das zu Bettgebracht wird, seufzte auf und machte die Augen zu. Der Hund setzte sich neben sie, beroch sie, und dann legte er sich auch hin, behielt den Kopf aber hoch.

Harm hatte schon die zweite Pfeife aus, da kam Thedel erst zurück. Er brachte das Zeug mit, und was dazu gehörte, und flüsterte: »Der Wind küselt. Im Kruge sitzen vier Leute, die da nicht hingehören und haben das große Wort. Der Krüger hat ein Gesicht, wie eine Katulle, so haben sie ihn geschlagen, und nun sind sie besoffen und schinden die Frauensleute. Kein einer traut sich an sie ran, denn sie haben damit geprahlt, daß noch mehr von ihren Leuten nachkommen tun.«

Wulf klopfte seine Pfeife aus. »Hm«, meinte er, »hm, weiß Warnekenswibert schon Bescheid und Hilmersheine? Das ist gut; dennso wollen wir uns nicht länger aufhalten und mal sehen, was das für Gäste sind.« Er nahm das Zeug und ging nach dem Busche. Grieptoo wedelte ihn an, daß sein Schwanz laut auf die Erde schlug, und davon wachte das Mädchen auf. »Hier!« sagte der Wulfsbauer, »bis eben warst du eine Johanna, jetzt mußt du einen Hans aus dir machen. Ich gehe jetzt solange beizu, bis du dich umgezogen hast; ich und Thedel, wir haben im Dorfe zu tun. Willst du lieber mit dem Hunde bei den Pferden bleiben, oder willst du mit uns? Aber ich sage dir, es gibt tote Männer zu sehen! Also du willst mit? Schön! Ein Mann muß Wehr und Waffen haben, hier ist ein Messer und da nimm die Pistole! Sie ist fertig. Und nun komm! Grieptoo, daß du mir keinen an die Pferde läßt!«

Der Hund ließ die Ohren hängen und sah ihnen so lange nach, bis sie um die Ecke waren. »Also, hör zu, Hans!« sagte Harm; »es ist wieder Gesindel im Kruge, das die Leute schindet. Das können wir nicht leiden, und darum wollen wir mit dem groben Besen ausfegen. Du hältst dich immer hinter mir, verstehst du, und erst, wenn der Ast an zu knastern fängt, kannst du mir die Hand hinhalten.« Er sah nach dem Machangelhagen und winkte: »Na, wir haben euch wohl beim Vespern aufgestört?« meinte er zu den beiden jungen Leuten, die da standen und das Mädchen ansahen. »Das ist ein guter Freund. Und nun wollen wir los! Wer Raben fangen will, darf nicht warten, bis sie flügge sind.«

Sie gingen durch einen Eichbusch, stiegen über ein Stegel, gingen quer durch eine Deele, und dann sagte Wulf: »Ihr beide geht nun ein jeder für sich hin und seht zu, daß ihr bei der Halbetür bleiben könnt, und wenn einer aus der großen Tür Wasser gießt, so ist das das Zeichen, daß wir kommen sollen. Die Bleiknüppel habt ihr ja wohl? In einer ordentlichen Wirtschaft muß man saubere Arbeit machen!«

Die beiden Bauernsöhne lachten im Halse und gingen ab; Harm, Thedel und Johanna stiegen über einen Zaun, drückten sich unter den Fenstern des Kruges her, und dann sagte der Bauer: »So, Thedel, dennso mach dein dümmstes Gesicht!«

Hinter einem Stapel Brennholz blieb Wulf stehen, und das Mädchen stand hinter ihm; erfühlte ihren Atem über seiner Halsbinde. Aus dem Kruge kam ein rohes Lachen, dann quietschte ein Frauenzimmer. Harm fühlte, wie das Mädchen hinter ihm am ganzen Leibe flog. Er drehte den Kopf nach ihr. »Hast du Bange!« flüsterte er. »Bange nicht, aber was anderes!« sagte sie, und er nickte ihr zu.

In demselben Augenblicke goß die Wirtin einen Eimer Wasser aus der großen Türe. »Komm!« flüsterte Wulf, pfiff erst das Brummelbeerlied und ging dann laut lachend in das Haus, wo ein Kerl am Feuer saß und die jüngste Tochter, ein Kind von zwölf Jahren, in den Klauen hatte, indes ein anderer die Magd hin und her zog. Die beiden anderen, die schon gehörig einen sitzen hatten, standen da und tranken.

»Na, das geht hier ja mächtig lustig zu!« rief der Ödringer laut; »'n Abend zusammen!« Und indem schlug er den Kerl, der vor dem Feuer saß, mit dem kurzen Bleiknüppel, den er aus dem linken Ärmel holte, über den Kopf, daß der Mensch tot auf die Brandruten fiel, und kaum, daß er dalag, klappte der um, der die Magd im Arme hielt, denn Warnekenswiberthatte ihn gut bedient. Die beiden anderen Reiter machten dumme Gesichter; aber ehe sie recht begriffen hatten, was los war, lagen sie über kreuz da, denn Wulf hatte den einen besorgt und Hilmersheine den anderen.

»So, nun sind wir unter uns, jetzt gebe ich einen aus«, lachte der Wulfsbauer, als das Flett sauber war, und dann fragte er das Mädchen leise: »Du hast nun wohl Angst vor uns gekriegt?« Sie sah ihn mit blanken Augen an und schüttelte den Kopf. »Na, denn wollen wir vespern, und darauf werden wir das Schlafen nötig haben, vorzüglich du, wo du dazu in der letzten Zeit nicht gekommen bist. Hast auch Platz für uns drei, Kordeskord?« Der Wirt nickte. Masse, das heißt, Thedel kann bei unserm Knecht schlafen, und ihr beide nehmt die Gästebutze.«

Als Harm mit dem Mädchen allein war, sagte er: »So, nun leg dich man hin, Hans; ausziehen brauchst du dich nicht viel, denn wir müssen früh los. Du kannst ruhig schlafen, ein ganzes Dorf wacht über uns. Wer wir sind, wirst du ja nun gewahr geworden sein. An unseren Händen ist kein Blut, höchstens an unseren Bleistöcken, aber das ist auch nicht viel mehr wert. Einen Schelm muß man wie einen Schelm begrüßen, und die Wespen kriegt man am besten durch kochliches Wasser aus dem Grasgarten.«

Johanna hatte sich kaum lang gemacht, da schlief sie schon. Der Wulfsbauer konnte anfangs gar nicht schlafen, denn er mochte sich nicht rühren, um das Mädchen nicht aufzuwecken. Allerlei Gedanken gingen ihm durch den Kopf, aber zuletzt fielen ihm die Augen doch zu und er schlief, bis die Wirtin hereinkam und sagte: »Es ist bei fünfe und die Morgenzeit ist fertig.« Damit ging sie fort und ließ den Krüsel auf dem Schemel stehen.

Harm stand leise auf und leuchtete hinter der Hand in die Butze hinein: »Schade!« dachte er, sie schläft just so schön!« Aber da seufzte das Mädchen tief auf, hob die Hände in die Höhe, machte die Augen auf, und als sie den Bauern vor sich sah, flüsterte sie: Ach so, du bist es!« Und dabei lachte sie ihn an. »Ja, nun mußt du aufstehen«, sagte er. »Bleibe noch einen Augenblick liegen, ich hole dir erst eine Schüssel Suppe und Waschwasser, und unterdessen besorge ich dir ein Pferd, denn wir wollen flott reiten.«

Als es eben hellichter Tag war, waren sie bei einem einstelligen Hofe. »Hier bleiben wir bis Mittag«, sagte Harm. »Sag mal, Hansfreund, du reitest ja wie ein Koppelknecht.« Johanna lachte. »Pastorenkinder lernen alles, außer Frommsein«, sagte sie, »und schießen kann ich auch nicht schlecht. Aber ich verstehe mich auch auf das Kochen und Strümpfestricken.« Wolf lachte: »Das muß ich sagen, denn kannst du mehr, als wie ich«, und da lachte sie noch einmal, und er dachte bei sich: »Wenn sie noch öfter so lacht, denn wird die Geschichte sengerig für mich.«

Wodshorn hieß der Hof; der Bauer sprach kaum ein Wort und die Bäuerin auch nicht viel mehr. Sie ließen es aber an nichts fehlen. Um Uhre neune kam ein Bauernsohn an und teilte Wulf etwas unter vier Augen mit, und da sagte Harm zu Johanna: »Nun müssen wir doch bis morgen bleiben. Das beste ist, du legst dich wieder schlafen; ich will das auch tun. Wer schlau ist, der ißt und schläft heutzutage im voraus. Du kannst mit der Bäuerin ganz offen reden; sie weiß Bescheid. Sie hat ein Herz wie Gold, aber sie hat Schreckliches durchgemacht; deshalb spricht sie nicht und darum hat sie auch das Lachen verlernt.«

Es war bei zwölf Uhr, da wachte das Mädchen auf. Die Bäuerin stand vor ihr und sagte: »Wenn du lieber liegen bleiben willst, denn bringe ich dir das Essen in das Bett.« Johanna schüttelte den Kopf: »Nein, dann müßt ich mich ja schämen; ich will aufstehen.« Die Frau lächelte: »Willst du auch lieber Mädchenzeug anziehen? Es ist was da, das dir passen wird; hier im Hause sind bloß lauter Leute, die nicht mehr reden, als sie sollen. Morgen kannst du wieder als Koppelknecht gehen.«

Sie legte ihr den roten Rock, das Leibchen, Strümpfe und Schuhe und alles, was dazu gehörte, hin, und als sie nach einer Weile wieder in die Dönze kam, und das Mädchen fix und fertig stehen sah, nickte sie ihr zu, aber mit eins nahm sie sie in den Arm, küßte sie und weinte an ihrem Halse. »Ich hatte zwei Töchter, gesunde, glatte Mädchen, Zwillinge. Alle beide haben wir vor einem Jahre tot im Busch gefunden. Wenn es dir in Peerhobstel nicht zusagt, komm hierher; du sollst wie eine Tochter gehalten werden.« Sie wischte sich die Augen. »Ja, was hilft das Weinen! Und es sind mehr da, denen es so gegangen ist, dem Wulfsbur nicht zum wenigsten. Ich will dir das erzählen, denn einmal mußt du es doch gewahr werden.«

Das Mädchen hörte zu und holte kaum Luft, solange die Frau sprach, aber die Tränen liefen ihr über die Backen. »Ja«, sagte der Bauer, der auch in die Dönze gekommen war, »den Wulfsbauern hättest du früher sehen sollen! Bei dem war jeden Tag Feiertag. Und jetzt, da ist er wie der Grauhund, der über die Haide läuft und erst zufrieden ist, wenn er Blut lecken kann.«

Nach dem Mittagbrot, bei dem kaum ein Wort geredet wurde, half Johanna der Bäuerin im Hause; dann setzten sich beide hinter das Haus auf die Bank und strickten. Die Sonne schien warm, im Rasen blühten die Osterblumen, die gelben Buttervögel flogen, die Elster suchte sich Reisig für ihr Nest, im Holz schlug die Zippe, und über der Wohld flogen zwei Addernadler und riefen laut.

Zwei Tage blieb der Wulfsbauer mit Thedel aus. Als er wiederkam, sah er müde aus, hatte dunkle Augen, und enge Lippen. »Das Geschäft hat sich zerschlagen«, sagte er; »heute bin ich zu müde und will erst ausschlafen. Morgen früh wollen wir nach Peerhobstel.«

In der Nacht zog ein Gewitter vorüber. Johanna wachte davon auf und verjagte sich; aber als sie neben sich die Bäuerin, und vor der Butze Grieptoo fest und tief atmen hörte, schlief sie gleich wieder ein. Als sie am Morgen das Mannszeug anzog, packte die Frau die Mädchenkleider zusammen, machte ein Bündel daraus und sagte: »So, das soll deins sein, meine Tochter! Und daß du es nicht vergessen tust: auf Wodshorn ist immer eine Butze und ein Platz am Tische für dich da.«

Es war ein schöner Morgen geworden; die Moorhühner waren überall zu gange, die Kraniche prahlten, die Kiebitze riefen und die Himmelsziegen meckerten. Überall in den Gründen war der Post ganz rot, und ab und zu stand ein Weidenbusch da, der wie eine helle Flamme aussah. Ein Rudel Hirsche zog über die Haide, blieb stehen, als es drei Reiter ansichtig wurde, und zog dann schneller dem Moore zu.

Als sie vor Fuhrberg über die hohe Haide ritten, heulte hinter ihnen der Wolf. Der Bauer drehte sich um und sagte: »Das sind unsere Leute!« und er gab den Wolfsruf zurück. Bald darauf kamen zwei Reiter aus dem Busehe; es war Viekenludolf und Grönhagenkrischan. »Na, schon so früh auf, Ludolf?« begrüßte ihn Wulf; »bist wohl gar nicht im Bett gewesen?« Der Dollhund griente: »In meinem allerdings nicht. Schade, daß du gestern nicht dabei warst! Wir haben einen guten Zug gemacht. Na, wir kommen da ja vorbei; kannst es dir selber ansehen.« Er sah nach Johanna hin. »Ist ein Freund von mir, Hans geheißen«, sagte der Ödringer. »Hm«, brummte der Rammlinger und wollte grienen, verkniff es sich aber, denn der andere lud ihn dazu nicht ein.

Er ritt mit Wulf voran und flüsterte ihm etwas zu. Harm ließ ihn dann vorausreiten und fragte Johanna: »Hans, kannst du es mit ansehen, wenn ein Birkenbaum faule Äpfel trägt? Es sind ein paar Schandkerle weniger geworden auf der Welt. Ich muß dahin; wenn du willst, kannst du mit Thedel hier so lange warten.« Das Mädchen schüttelte den Kopf: »Ich wollte froh sein, wenn alle Birken so reich tragen wollten; dann hätten es alle Menschen, die frommen Herzens sind, besser!« Der Bauer nickte.

Da, wo der Dietweg die Heerstraße schnitt, standen etliche hohe Birken beieinander. Fünf Männer und zwei Frauen hingen daran. Über jedem war eine aufrechtstehende Wolfsangel in die Rinde gehauen, und der älteste Mann, ein Kerl mit einem schwarzen Bart, hatte ein Brett zwischen die Hände gebunden; mit Rötel waren darauf folgende Worte geschrieben:

Wir sind Unser 3 Mal Elve
und nennen uns die Wölwe
und geben auf jedweden Acht
der Lange finger macht.


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