Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

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10. Die Hochzeiter

Der Prediger sollte recht behalten. Anderthalb Jahre später, zu der Zeit, als in Peerhobstel der Hafer geschnitten wurde, kam das Tillysche Heer unter die Sense des Schwedenkönigs.

Es dauerte nicht lange und die Botschaft davon kam bis in das Bruch. Der Wulfsbauer hatte sie in Burgdorf vernommen, wo er zu tun hatte. »Junge«, sagte Thedel zu Bollenatze, »heute sind wir aber geritten, als ob der böse Feind hinter uns war, so ging das!«

Drei Tage darauf war Erntedankfest auf dem neuen Hofe. Noch keinmal war die Kanzel so schön mit Haidkränzen und Blumen ausgeschmückt gewesen, und noch niemals hatten die Leute so helle Augen gehabt, seitdem sie im Bruche leben mußten, und es war ihnen, als ob der Himmel noch nicht einmal so blank gewesen war.

Aber eine solche Predigt, wie sie an dem Tage zu hören bekamen, hatten sie noch nie belebt. Die Bauern rissen die Augen auf: das war doch etwas anderes, als ihnen der alte Pastor in Wettmar bieten konnte, das war wie die Posaune des jüngsten Gerichtes, und dann auch wieder, als wenn ein Engel Gottes zu ihnen redete, und wenn ihnen eins an der Predigt nicht gefiel, so war es, daß sie sie unter freiem Himmel anhören mußten.

»Tja«, sagte der alte Horstmann, »eine Kirche, die müssen wir haben, das steht bei mir fest. 'Und wenn auch kein Turm daran ist, und sie auch man aus Balken und Ortstein ist, es ist doch etwas anderes, als wenn die Hähne mitsingen und die Hunde mitten in die Predigt blaffen. Das ist meine Meinung und dabei bleibe ich!«

Die anderen dachten nicht anders, und so trugen sie dem Prediger das vor. »Meine lieben Kinder«, sagte er, und kein einer griente, als der junge Mann so zu ihnen sprach, »das war schon immer mein herzlichster Wunsch, doch wollte ich euch die Last nicht zumuten. Aber da ihr selber damit ankommt, so sage ich nur: Der Herr lohne euch und euren Kindern und Kindeskindern die Freude, die ihr mir damit gemacht habt!«

Es ging nicht so ganz schnell mit dem Bau, denn die Feldarbeit durfte darüber nicht liegen bleiben, und zudem mußten die jungen Leute mehr als einmal aufsitzen und über die Haide reiten, wenn das Horn rief oder der bunte Stock umging. Es wurde auch keine stolze Kirche, sondern mehr eine Kapelle, aber fest genug waren die Ortsteinwände und dicht genug das Dach aus Eichenbalken, und in dem hölzernen Glockenturm, der dabeistand, hing zwar bloß eine ganz kleine Glocke; denn viel weiter, als daß man sie auf jedem Hofe hören konnte, sollte sie nicht zu vernehmen sein.

Denn es wurde schlimmer und schlimmer von Tag zu Tag. Seitdem der Herzog schwedisch geworden war, schickte der Kaiser ihm einen Bullenbeißer nach dem anderen in das Land, und es war kein Ende der Not. Bislang waren die schwersten Wetter immer an dem Dorfe vorbeigezogen, aber bald schlug es dicht dabei ein: die Pappenheimer stürmten Burgdorf; ein halbes Tausend Bürger kam dabei um, und die anderen waren zu Bettlern geworden, denn was nicht geraubt wurde an Geld und Gut, das fraß das Feuer. Kaum war das vorüber, so kamen die Waldsteinschen Bluthunde, und die Burgdorfer mußten Haus und Hof Im Stiche lassen und zusehen, wie sie in dem wilden Walde ihr Leben fristeten.

Greulich ging es jetzt im Lande her, so schlimm, daß die Leute am Leben verzagten und alle Zucht und Sitte aufhörte. Die Wehrwölfe bedachten sich nicht mehr lange, wenn ganze Haufen von fremden, halbverhungerten Bauern angezogen kamen, sondern machten schnell die Finger krumm. Dreißig Marodebrüder fingen sie auf der Magethaide auf einmal und hingen sie an einem einzigen Galgen quer über den Dietweg, und der Anführer bekam ein Brett vor den Leib, und darauf stand geschrieben: »Wir sind die Wölve drei mal einhundert und Elwe, wahret Euch, wir bellen nicht, sondern beißen sogleich.« Davor verjagte sich eine Bande von hundert Mann, die unter dem grünen Johann des Weges kam, so sehr, daß sie unbesonnen umdrehte.

Ihr Anführer wurde so geschimpft, weil er vom Kopf bis zu den Füßen grün gekleidet war. An seinen Händen backte mehr Blut, als an denen aller Männer, die hinter ihm herzogen, und von denen ein jeder es doch reichlich wert war, von unten herauf lebendig gerädert zu werden.

Er pflegte zu fluchen: »So wahr mir der Teufel, mein lieber Freund, helfe!« Das tat er auch, als er mit seiner Bande an dem Tage vor einem Tannenbusche lag und eine gräßliche Schande machte. »Schöne Lumpenkerle seid ihr mir!« schimpfte er; »vor Männern wegzulaufen, die an ihren Hälsen hängen! Der Teufel, mein guter Freund, soll euch lotweise holen!«

Die Pfeife fiel ihm aus der Hand, denn eine Stimme, von der keiner wußte, ist sie hier oder ist sie da, war zu hören: »Er steht hinter dir und holt dich, ehe daß die Sonne untergeht!« rief sie und dann kam ein Lachen hinterher, daß die Weibsleute schrien, wie die Schweine, und Hals über Kopf sprangen die Männer auf und wankten durch die Haide.

Der Wulfsbauer und Thedel mußten sich das Lachen verbeißen. Das waren nun an die sechzig Kerle und an die vierzig Weiber, und ein einziger alter Mann jug sie hin, wo er sie hinhaben wollte. »Ja, ich kann es noch zur Genüge«, sagte Ulenvater, »und ich bin heilsfroh, daß ich die Kunst diesem verrückten Thesel von Rabitze seinerzeit abgelernt habe, womit er in Helmstedt in der Schenke den Leuten die Haare in die Höhe stellte.« Er hob den Finger hoch: »Sie blasen all! Na, denn bis nachher! Ich alter Kröppel kann euch dabei doch nicht weiter helfen.«

Der Oberobmann und Thedel drückten sich vorne in den Busch. An vier, fünf Stellen wurde geblasen, dann fiel ein Schuß. Die Weibsbilder schrien, und dann knallte es überall und Wulf und Thedel sprangen von einem Machangel zum anderen, schossen, luden wieder, sprangen weiter und warteten, bis einer von der Bande herankam, zielten dann lange, und wenn es knallte, schlug er ein Rad. Wie die Hasen im Kessel wurden sie zusammengeschossen, ganz gleich, ob sie Hosen oder Röcke anhatten.

»Damit sie nicht hecken, die Betzen«, sagte Grönhagen, als er eine große Frau mit schwarzen Haaren, die sich hinter dem grünen Johann bergen wollte, durch den Kopf schoß. Dann sprang er von hinten zu und riß den Mann an seinem Barte zu Boden, drehte ihm die Arme auf den Rücken, und Gödediengustel band ihm die Daumen übereinander. Dann stellten sie ihn an eine Fuhre und er mußte zusehen, wie seine Mordgesellen unter die Erde kamen, und als das vorbei war, wurde er aufgehängt, ehe daß die Sonne unterging.

Wenn nun auch derartige Begebenheiten mehr als nötig dazwischen kamen, die Kapelle wurde fertig bis auf den Schlußstein über der großen Türe, und darin war ein Kreuz eingehauen, das aus zwei übereinanderliegenden Wolfsangeln gebildet war. Auch die Kirchhofsmauer wurde fertig; hoch und fest war sie, denn es lagen genug große Steine in der Haide herum, und hinter die Mauer wurde ein Zaun aus spitzen Pfählen gemacht und Weißdornbüsche dazwischen gepflanzt, und um die Mauer ein Graben gezogen, so tief, bis daß das Grundwasser herauskam, damit in der höchsten Not die Kapelle den Bauern als letzte Rettung dienen konnte.

Am achtzehnten Nebelung des Jahres 1632 wurde das erste Grab auf dem Kirchhofe gemacht, und als der Prediger die Leichenrede hielt, waren alle Augen naß, auch die der Männer, denn die Wulfsbäuerin war es, die sie begruben. Sie hatte wohl ab und zu einen ihrer Anfälle gehabt, sah aber immer so frisch und rot aus, als fehlte ihr nichts, und bloß der Prediger wußte, wie es um sie stand, denn dem hatte sie sich anvertraut.

Er sah blaß und elend aus, als er am Abend in seiner Dönze bei der kleinen eisernen Allampe saß, denn sein Herz, das sich bis dahin noch keinem Weibe zugewandt hatte, hatte immer schnell geschlagen, wenn er die Frau nur von weitem sah. Aber mix keinem Blicke, geschweige denn mit einem Worte, hatte er sie merken lassen, wie es um ihn stand. Als Mieken kam und sagte: »Die Frau ist uns eben weggeblieben«, da war er wohl so weiß, wie eine Wand, als er in die Dönze kam, und seine Hände heberten, als er ihr die Augen zudrückte, aber keiner sah es ihm an, wie ihm zumute war.

Als er aber am Abend nach der Beerdigung das Kirchenbuch auf den Tisch legte und die Gänsefeder in das schwere silberne Tintenfaß steckte, das einer von der Bande des grünen Johann im Zwerchsack gehabt hatte, da fielen zwei Tränen auf das grobe Papier, auf das er mit seiner schönen großen Schrift die Worte hinsetzte: »Ao. Dnj. 1632 den 18. Novembris wurde die Wulfsbäuerin und Ehefrau des Burvogtes Harm Wulf Johanna Maria Elissabeth bürtigke Beugebauerin des ausgetriebenen bayerischen Praedicatoris Bartoldi Neugebaueri /Ehren /eheliche Tochter / allhier bestattet. Selbige war eine Leuchte voor allen Weibern. HERR! gieb ihr die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihr!« Als er einen Monat später darunter schrieb: »Sie starb desselbigen Tages, da der Schwedische König Gustavus Adolfus / GOTT habe ihn selig! / bei der Statt Lützen zu Tote gekommen ist«, da fielen noch einmal zwei Tränen auf das Blatt.

Biber diesem Buche saß der Prediger manchen lieben Abend, denn er hatte aus den Bauern alles herausgefragt, was sich in dringen und hinterher in Peerhobstel an wichtigen Dingen begeben hatte, und das hatte er sich auf allerlei Zettel geschrieben. Von einem Wehrzuge hatte dann Renneckenklaus außer einem silbernen Kreuze und einem goldenen Altarkelche das Buch mitgebracht, das die Marodebrüder mit sich geschleppt hatten, weil es in teueres Leder gebunden war und drei silbervergoldete Schlösser hatte, und nun saß der Prediger, so oft er Zeit hatte, darüber und schrieb alles das hinein, was er erfahren hatte.

Auf der ersten Seite war ein schwarzes Kreuz gemalt, das aus einem roten Herzen kam; darunter war zu lesen: »Vnser Anfang Vnd Vnser Ende steht im Namen des HERRN, der Himmel Vnd Erde gemachet hat.« Auf der zweiten Seite aber stand: »Historia Peerhobstelliana Oedringensique / das ist: Gründlicher Wahrhaftiger Vnd Bestendiger bericht Von dem anfetzt wüsten Dorfe Oedringen vnd der Nothkirche vnd Gemeinde Peerhobstel / sowohl, was sich unter seinen Zeiten begeben als waß ehr Veber di früheren heraußbekomen / der posteritet Vnd nachkommen zu gut Vnd besten / durch J. J. Josefum Puxtfarkenium, Praedicatorem Ao. Dnj. 1632.«

Schon im nächsten Monat mußte der Prediger wieder einen Todesfall eintragen, und wenn ihm dabei auch keine Tränen aus den Augen liefen, so ruhig, wie sonst, schrieb er doch nicht, denn wieder war ihm jemand genommen, dem er mehr zugetan war, als irgendeinem anderen aus der Gemeinde. Der alte Ul war es; schon längere Zeit hatte er es auf der Brust gehabt, und als die Wulfsbäuerin ihm unter den Händen wegblieb und nicht wieder zu sich kam, da wurde er wie ein Schatten an der Wand, denn wer es nicht wußte, wie es war, der hätte die beiden für Vater und Tochter gehalten, wenn er sie zusammen sah. Bevor er ganz von sich kam, hatte er noch gesagt: »Ich komme zu meinen Töchtern Rose und Johanna.«

Ein Vierteljahr darauf, als die erste Dullerche über der Haide sang und die Räuke über der Wohld riefen, ritt der Prediger mit Schewenkasper, der ihm neben der Arbeit auf dem neuen Hofe um den Gotteslohn als Küster diente, und mit Mertensgerd, der auch einer von den Stillen um ihn war, die keine starken Getränke und kein unchristliches Wort in den Mund nahmen, nach Engensen. Die Wulfsbäuerin hatte ihm alles anvertraut, was zwischen ihr, Wieschen und Drewesvater abgemacht war, denn ihrem Mann wollte sie keine Unruhe machen. Der Prediger hatte ihr in die Hand versprechen müssen, daß er dafür sorgen wolle, daß das Mädchen als Bäuerin auf den neuen Hof käme.

»So also sieht der berühmte Oberobmann Meine Drewes aus!« dachte der Prediger, als er dem Burvogt die Hand gab. So alt und mit so weißen Haaren und so vielen Falten um den Mund und bei den Augen hatte er ihn sich nicht vorgestellt. Wenn der Mann auch noch wie eine Eiche dastand, der Wurm saß in ihm und unter der Borke war er morsch und olmig.

Er wußte wohl, was den Mann drückte, der eines Tages gesagt hatte: »Ehe daß ich mir und meinen Leuten auch nur einen Finger ritzen lasse, will ich lieber bis über die Enkel im Blute gehen.« Aber wem ging es nicht so von den Männern, die sich auf ihren Höfen gehalten hatten?

Als er dann mit dem Bauern über Wieschen und den Wulfsbauern gesprochen hatte und mit ihm allein war, denn das Mädchen war mit der Magd melken gegangen, und der alte Mann ihm offenbarte, was er auf dem Herzen hatte, tröstete er ihn, so gut er konnte.

Wer sich und die Seinen gegen Schandtat und Greuel wehrt und Witfrauen und Waisen beschützt, Drewsbur«, sagte er, »den wird unser Herrgott willkommen heißen, und wenn seine Hände auch über und über rot sind.« Da hatte der alte Mann tief aufgeseufzt und gesagt: »Dennso will ich mir darüber keine Gedanken mehr machen, Euer Ehren.«

Hinterher sprach der Prediger dann mit Wieschen. Das Mädchen wurde immer stiller, je mehr er sprach, und schließlich sagte sie: »Ich habe gedacht, daß ich darüber weg bin, aber dem ist nicht so. Mein Wort halte ich, und ich würde es halten, wenn ich auch in der Zeit gelernt hätte, einen anderen gern zu haben. Das ist nun nicht so, jedennoch: der Wulfsbauer denkt in keiner Weise an mich, und es wäre mir schrecklich, zu denken, wenn er glaubte, ich hätte auf den Tod seiner Frau gelauert. Ich bin kein eines Mal in der Kirche gewesen, ohne Gott zu bitten, daß er ihr ein langes Leben geben soll, denn seit dem Tage, daß sie sich mit mir ausgesprochen hat, ist sie mir so lieb gewesen, als wie eine Schwester. Und wenn er eine andere findet, die ihm lieber ist, und die ist gut zu den Kindern, keine sollte das mehr freuen, als mich, denn um alles in der Welt möchte ich nicht, daß er denkt, ich wollte ihn zwingen, weil seine selige Frau einmal diesen Wunsch hatte.«

Der Prediger gab ihr die Hand: »Eine solche Antwort, die paßt sich für eine christliche Jungfrau. Verlasse sie sich ganz auf mich! Mein lieber Freund soll nichts von Ihr denken, was Ihr nicht angenehm ist. Und nun will ich gern, wie es Ihr Vater wünscht, eine kurze Abendandacht halten, denn bei kleinem wird es Zeit, daß wir uns zum Aufbruch rüsten.«

Während der Andacht sah er neben der Haustochter ein Mädchen knien, die ein Gesicht hatte, das ihn an seine selige Mutter erinnerte. Sie sah aus, als hätte sie viel Böses ausgestanden; aber als sie einmal nach ihm hinsah, merkte er, daß ihr Herz rein und gut geblieben war. Er sah hinterher, daß es die Magd war; er wußte nicht, warum er nach ihr hinsehen mußte, als sie die Stühle beiseite stellte, und er hätte gern gewußt, was es mit ihr für ein Bewenden habe, aber er fragte darum doch nicht danach.

Es schummerte schon, als er mit den anderen durch die Haide ritt. In den Gründen stieg der Nebel auf, die Frösche knurrten in den Pümpen, von der Wohld heulten die Wölfe den Mond an und im Moore waren die Kraniche am Prahlen. In der Richtung nach Meilendorf zu war der Himmel rot; da brannte ein Hof oder ein Dorf. »Errette sie, Herr«, betete der Prediger in sich hinein, »vor den bösen Menschen; behüte sie vor den frevelhaften Leuten!«

Sie waren meist am Brehloh, da polterten lauthals schreiend ein paar Krähen aus den Tannen. »Prrr!« rief Mertensgerd und riß sein Pferd zurück, und die anderen taten das auch und nahmen die Pistolen zur Hand. In demselben Augenblick kam ein roter Schein aus dem Busche und eine Kugel flog über den Prediger hin, aber sogleich schoß der auch und hörte einen Mann aufschreien, und da sah er, daß ein anderer auf den Küster anlegte; er ritt ihn über den Haufen, und als er kehrt machte, hörte er einen Schuß und der Kerl, der sich gerade wieder aufrappeln wollte, fiel um; Mertensgerd hatte ihn geschossen.

Als sie in der blanken Haide waren, hielt der Prediger an: »Lasset uns dem Herrn danken für seine Güte«, sagte er, indem er die Kappe abnahm; »lasset uns beten: »Herr, Herr, meine starke Hilfe, du beschirmst mein Haupt zur Zeit des Streites.« Als er sich wieder bedeckt hatte, sagte er: »Es steht geschrieben: Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden. Auf uns trifft das nicht zu; wer seinem Bruder aus dem Hinterhalte nach dem Leben trachtet, der ist wie der Wolf; sein Blut beflecket den nicht, der ihn erschlägt. Unsere Hände sind rein vor dem Herrn.«

Am anderen Tage suchten Thedel, Renneckenklaus und Mertensgerd das Brehloh ab. Die Wölfe hatten saubere Arbeit gemacht; eine Handvoll Taler hatten sie aber liegen lassen, und ein paar gute Pistolen. »Das muß ich sagen«, meinte Thedel zu dem Wulfsbauern, »das ist ein Prediger, wie er zu uns paßt. Ich dachte: der kann bloß mit der Schrift schießen; aber was denkt man nicht alles von einem Menschen, ehe man nicht drei Scheffel Salz mit ihm gegessen hat. Ich sage man bloß: unser Prediger! So einen soll man erst wieder suchen. Wer hätte das gedacht, als er den Tag hinter dem Machangelbusch saß und lauthals singen tat!«

Seit diesem Tage stand Puttfarken noch anders da als zuvor, und als er sich von selber anbot, auf Wache zuziehen, und das so oft tat, wie die Reihe an ihm war, da brauchte er nicht erst darum zu bitten, und es wurde ihm der Kapelle gegenüber ein Haus gebaut, wie es sich schickte, und was darein gehörte, kam alles von selber an. »Nun fehlt Euch bloß noch eine glatte Frau«, meinte der Burvogt; »dann habt ihr alles in der Reihe.« Aber Puttfarken schlug die Augen unter sich und sagte: »Damit hat es noch Zeit, Wulfsbur.« Als er aber abends über seinem Buche saß, mußte er an die Magd vom Dreweshofe denken.

Am anderen Tage, als er den Bauern beim Grabenmachen antraf und mit ihm vesperte, fing er an: »Burvogt, gestern hat er mir gesagt, daß in meinem Hause eine Frau fehlt, und ich sagte, daß es damit noch Zeit habe. Aber jetzt will ich ihm etwas sagen: in seinem Hause, da fehlt eine Frau. Laß er mich erst zu Ende reden! Das sage ich nicht, weil ich denke, er kann jetzt schon seine selige Frau vergessen haben und seine Augen auf eine andere schmeißen, dazu kenne ich ihn viel zu gut; aber es ist einmal der Kinder wegen und dann auch, weil, was er nicht weiß, ein Mädchen da ist, das ihn vom ersten Tage gern hat, an dem es ihn gesehen hat, und das seinen Kindern die beste Zweitmutter sein wird, die man sich denken kann.«

Der Bauer schüttelte erst den Kopf, als der Prediger so sprach, aber als der ihm verklarte, daß die Bäuerin ihm aufgetragen hatte, dafür zu sorgen, daß Wieschen ihr Versprechen hielt, da meinte er bloß noch: »Die junge glatte Deern ist viel zu schade für mich. Seht her!« und dabei nahm er den Hut ab; »halbig grau bin ich schon, denn ich habe doch allerlei aufhucken müssen in diesen Jahren, und das Beste, was ich zu bieten hatte, zur Hälfte liegt es in Ödringen unter der Asche und zur Hälfte bei der Kirche unter dem Rasen. Das Mädchen verdient einen Mann, der ihr mehr zu bieten hat, als wie ich.«

Für den Tag schwieg der Prediger von der Sache; aber nachdem er einmal wieder in Engensen gewesen war, kam er ab und zu darauf zurück und ließ nicht eher nach, als bis der Bauer sagte: »Wenn das Jahr sich gewendet hat, seitdem meine Johanna fort mußte, und Wieschen noch ebenso denkt, als wie sie zu Euch gesagt hat, dennso soll es so werden, wie sie es mit meiner seligen Frau abgemacht hat. Der Kinder wegen wäre es mir schon am liebsten, sie kommt schon morgen, aber das wäre einmal gegen jede Art und außerdem: ehe das Jahr nicht hinter mir ist, fasse ich keine Frau an. Daß ich das beim ersten Male getan habe, hat mich oft genug gedauert, wenn es auch nicht anders ging.«

Eine Woche später war Wieschen da. Sie kam aber nicht allein, denn ihr Vater war bei ihr. Der Prediger hatte ihnen klar gemacht, daß die beiden Kinder je eher, je besser unter die Hand kämen, die sie fernerhin hüten sollte, und da hatte der alte Mann gesagt: »Und ich? an mich denkt wohl kein Mensch! Was bin ich denn, wenn Wieschen weg ist? Lieschen, die hat ihren Mann und ihre Kinder, die hat keine Zeit für mich. Wenn ihr mich mit in den Kauf nehmt, schlage ich ein; sonst kann aus dem Handel nichts werden.«

Er hatte aber seine Hintergedanken, als er das sagte; denn wenn er auch seine Tochter nicht missen mochte, in der Hauptsache war es, daß er bei dem Prediger sein wollte; denn wenn er dem in die Augen sah, dann vergaß er die dummen Gedanken, die er jetzt so oft hatte, und sah nicht die vielen weißen Gesichter mit den roten Löchern in der Stirn, bangte sich nicht vor den Männern, die mit einer Wiede um den Hals vor einer Birke hin und her gingen und an die er jedesmal denken mußte, wenn er einen Birkenbaum sah oder den Pendel in der Kastenuhr.

»Das ist mir gerade recht«, sagte der Prediger, der es wohl merkte, wo hinaus der alte Mann wollte; »und paßt es sich für ihn auf dem neuen Hofe nicht, so ist er mir herzlich willkommen, denn in meinem Hause bin ich doch so allein, wie der Dachs in seinem Loche, und jedweden geschlagenen Abend kann ich unmöglich bei dem Wulfsbauern sitzen.«

Aber damit war dieser nun nicht zufrieden; er räumte Drewes und Wieschen die große Schlafdönze ein. Sie lebten nun so hin wie Bruder und Schwester, der Bauer und das Mädchen, und erst im Julmond kam es in Engensen zur Löft und Ehestiftung; aber obzwar sie damit schon vor der ganzen Freundschaft nach dem alten Brauche als Eheleute galten, die Ehedönze beschritten sie erst, als der Prediger sie zusammengegeben, denn das hatte er sich als Kuppelpelz ausbedungen.

»Wisse«, sagte er zu dem Bauern, »ich bin selber Bauernsohn und weiß wohl, daß die Löft als volle Ehe galt, ehe daß die kirchliche Trauung aufkam. Da wir diese aber nun einmal haben, so soll es so sein, daß erst mit ihr eine christliche Ehe beginnt, vorzüglich in seinem Falle, wo er schon einen Hoferben hat, und dann auch, weil der Burvogt auch in diesen Dingen dem Dorfe ein Beispiel sein soll, und schließlich, weil er kein Junggeselle ist, der die Zeit nicht abwarten kann.« Er war sehr zufrieden gewesen, als der Bauer sofort einschlug und sagte: »Das ist ganz meine Meinung.«

Es war bloß eine stille Hochzeit, denn dem Bräutigam war nicht nach Tanzen und Trinken zumute und der Braut erst recht nicht, und zudem war Landestrauer, da kurz zuvor Herzog Christian mit Tode abgegangen war, und am letzten Ende waren die Zeiten nicht danach. Aber es war eine schöne Traurede, die der Prediger hielt, und es war manch einer im Dorfe, der da sagte: »In einer Weise ist eine Brutlacht wie diese doch anständiger, als wenn in einem Ende hin gesoffen und gefressen wird.«

Die Braut war sehr still gewesen die ganzen Tage vorher, und unter der Trauung sah sie aus wie der Kalk an der Kirchenwand, denn sie hatte zuviel Bange, daß der Bauer sie bloß gezwungen nahm. Am anderen Tage aber sah sie schon wieder aus wie immer, denn als sie mit ihrem Manne allein war, hatte er sie an der Hand genommen und ihr gesagt: »Ich habe in der Zeit, die du hier warst, doch herausgefunden, daß ich innerlich noch nicht alt und kalt bin, und daß ich es dir nicht gezeigt habe, wie gern ich dich habe, das tat ich, weil ich bis auf den heutigen Tag gelobt habe, dich nicht anzufassen. Aber jetzt, Wieschen«, und dabei faßte er sie um und gab ihr einen Kuß, »bist du meine Frau, und so weit es an mir liegt, soll es dich nicht gereuen, daß du es geworden bist.« Da hatte die junge Frau erst so geweint, daß ihm ganz ängstlich zumute wurde; aber als er ihr die Hände vom Gesichte machte, sah er, daß das Sonnenregen war, und seine Frau lachte und warf ihm die Arme um den Hals.

Es war gut gewesen, daß es auf der Hochzeit des Wulfsbauern bloß einen Tischtrunk gegeben hatte, denn am anderen Morgen wurde die halbe Jungmannschaft vom Peerhobsberge abgerufen; lose Haufen von Schweden ließen sich in der Umgegend blicken und hausten schlimmer als das Vieh. Seitdem ihr König gefallen war, kannten sie keine Zucht mehr, und Frauenschänden und Kinderschinden, das war ihnen weiter nichts als ein kleiner Spaß. Aber der eine Haufen, der durch das Bruch ziehen wollte, lernte bald, daß es da auch wintertags Gnitten gab. Als sie mit ihren Gäulen mühselig durch Schnee und Morast zogen, fingen die bleiernen Gnitten an zu beißen, daß das Blut danach kam. »Tja«, sagte Viekenludolf; »wer nicht weiß, was Landesbrauch ist, der läuft oft dumm an.«

Am Sonntag Dreikönige hatten die Peerhobstler wieder gesungen: »Und wenn die Welt voll Teufel wär!« Es war an dem: was sie zu Ohren bekamen, war Mord und Brand. Wenn einmal eine Woche kein roter Schein am Himmel stand, nachdem die Sonne untergegangen war, dann vermißten die Leute beinahe etwas, und nach einer Leiche am Straßenbord wurde nicht mehr hingesehen, als vordem nach einer verreckten Katze. Der Prediger hatte einen schweren Stand, daß er seine Gemeinde bei Christi Wort und Lehre hielt, denn wie an der Pest die Leiber, so siechten an der greulichen Zeit die Seelen hin.

Das Herz wollte ihm im Leibe stehen bleiben, wenn er erzählen hörte, in welcher Weise die Bauern an ihren Peinigern Rache nahmen, und er verjagte sich, als Schewenkasper ihm in aller Seelenruhe erzählte: »In Brelingen hat ein einstelliger Bauer, der im Busche wohnt, seit einem halben Jahre einen von den Pappenheimern an der Kette im Stalle liegen, so daß er aus dem Troge fressen muß. Der Mann hat ganz recht; die Hunde haben ihm seine Frau zuschanden gemacht, und wer sich als Hund ausgibt, muß es wie ein Hund haben.«

Heute die Kaiserlichen, morgen die Schweden; das ging immer umschichtig. Den einen Tag hieß es: »Wienhausen ist ausgeraubt«, und hinterher: »In Altencelle ist der Pastor zu Tode geschlagen worden.« Je länger es dauerte, um so schlimmer wurde es. Das platte Land wimmelte von Freibeutern und Bärenhäutern. »Wenn es so beibleibt«, knurrte Schütte, »dann werden uns die Wie den knapp und wir müssen nachpflanzen«, und Viekenludolf lachte: »Soviel Mühe machen wir uns schon lange nicht mehr, denn sonst hängen am Ende schon alle Birken voll und auf die Dauer ist das wirklich kein schöner Anblick. Mit dem Bleibengel geht es sowieso schneller.«

Ganz schlimm wurde es aber erst, als Herzog Georg, der Bruder des Landesherrn, wieder zu dem Kaiser überging, weil die Schweden ihn für einen Bauern kaufen wollten. Es war, als wenn die Hölle alle ihre Teufel auf einmal von sich gegeben hätte, und der Prediger sagte nichts mehr, wenn erhörte, wie die Bauern Gleiches mit Gleichem vergalten. Die Feldbestellung hatte meist ganz aufgehört; die Ställe standen leer; die Menschen gruben nach wilden Wurzeln und fraßen Mäuse und Ratten, Schnecken und Frösche, Hunde und Katzen, und manches Stück Fleisch, das in den Topf oder auf den Rost kam, war nicht von einem Stück Vieh, und Wildbret war es auch nicht. Mancher, der bloß hundert Schritte von seinem Dorfe wegging, kam wohl wieder zurück, aber in Stücken, die unter dem Mantel getragen wurden, und die Eltern maßten aufpassen, wenn sie ihre Kinder behalten wollten.

Der Prediger war noch keine dreißig Jahre alt, da hatte er schon graue Haare über den Ohren, und die Falten, die er um den Mund hatte, waren so tief wie bei einem alten Manne. Dabei war es auf dem Peerhobsberge noch auszuhalten. War auch die Ernte schlecht gewesen, maßte auch in jedem Hause Baumrinde in das Brot gebacken werden oder Eichelschrot, satt wurden sie doch immer, denn es wuchs allerlei in der Wohld, das sich essen ließ, und an Wildbret und Fischen mangelte es niemals. Aber das schlimmste für die Leute war, daß sie ewig Angst haben maßten, eines Tages könne ein so starker Haufen Kriegsvolk nach dem Dorfe hinfinden, daß sie sich seiner nicht erwehren konnten.

Auch dem Prediger wurde es oft schlecht unter dem Brusttuche. Um sich selber bangte er sich nicht. Doch seitdem in Engensen Kroaten ziemlich schlimm gehaust hatten, aber schleunigst abziehen maßten, weil die Wehrwölfe dreimal so stark waren als sie, so daß keiner von dem Takelvolk mehr den Weg zurückfand, konnte er keine Nacht mehr ruhig schlafen, denn er maßte immer und immer daran denken, wie es Thormanns Grete, die als Magd auf dem Dreweshofe diente, bei einer solchen Gelegenheit gehen konnte.

Er hatte es dem Mädchen gleich angesehen, daß sie etwas Schweres hinter sich hatte, und er hatte es von dem alten Drewes herausgefragt, was das war. Sie war die jüngste Tochter vom Tornhofe, aus dem ihre Eltern wegliefen, als ein Trupp Raubgesindel darauf loszog und wobei Steers Wieschen, Schewenkaspers Schatz, elendiglich zu Tode kam. Der Hof ging in Flammen auf, und da zogen Thormanns auf einen anderen Hof vor Wettmar, der ihnen auch gehörte und den sie verpachtet hatten; jedoch acht Wochen darauf lebte keiner von der ganzen Familie mehr außer Grete, und die bloß deshalb, weil sie sich bei den jungen Drewes verdingt hatte, wo sie wie eine Tochter gehalten wurde, denn Witte, der Drewesbur, war Vetter zu ihr.

»Ich möchte bloß wissen, was unser Prediger immer und immer in Engensen zu tun hat«, sagte Thedel zu seiner Hille, die mittlerweile schon das vierte Kind an der Brust hatte, aber dabei immer völliger wurde; »es geht kaum eine Woche hin, daß er da nicht hinreitet.« Seine Frau lachte: »Er wird da wohl ein Geschäft mit jemand haben, der einen roten Rock anhat und das Haar in einem Dutten trägt«, meinte sie. »Der? der denkt an alles andere als an die Weibsleute«, sagte Thedel; »nee, Mädchen; dieses Mal bist du vom Wege abgekommen.«

Es war aber doch so; ehe ein Monat hin war, zog Grete Thormann mit allem, was sie hatte, und das war nicht viel, auf den neuen Hof, und von da ab war der Prediger mehr da als in seinem eigenen Hause, und am nächsten Sonntag schmiß er sich und Grete von der Kanzel, und zwei Wochen später traute sie der Pastor in Wettmar in aller Stille. Seit der Zeit sah der Prediger nicht mehr so düster vor sich hin, und seine Frau bekam auch ein anderes Gesicht, besonders zehn Monate später, als sie noch etwas anderes zu tun bekam, als Brot zu backen und die Kuh zu melken; nach zwei Monaten stand ihr der rote Rock hinten ein ganzes Ende von den Hacken ab, so rund war sie geworden, und auch der Prediger setzte an wie eine Gans, die von der Stoppel in den Stall kommt.

Am besten aber bekam das Freien Schewenkasper. Die ganze Zeit hatte er sich mit Mietren herumgekabbelt. Der eine stand dem anderen im Wege. Alle Augenblicke hörte man Mietrens Stimme: »Oller Stoffel! dötscher Hammel!« oder so etwas Ähnliches, und hinter ihr her brummte es dann: »Dumme Trine! olle Gaffelzange!« Schließlich wurde es der Bäuerin zu dumm damit, und als sich die beiden im Stall mal wieder anbellten, schlug sie die Türe zu, hakte das Holzschloß ein und rief: »So, nun kommt ihr erst wieder heraus, wenn ihr gut Freund geworden seid!«

Nun war die Rückwand des Stalles aber aus Flachtenwerk, und da schlich sich die Bäuerin hin und horchte. »Harm«, sagte sie abends und lachte, daß das Bett knackte, »ein Schade, daß du das nicht auch gehört hast! Erst war alles still. Dann fing Mietren an: ›Vertragen? mit so 'm ollen Pottekel? Denke nicht dran! So 'n faulmäulscher Hund! Was ich da wohl nach frage, wie der sich zu mir stellen tut! Nicht so viel, wie der Hahn auf 'm Schwanz tragen kann! Lieber such 'ch mir 'n anderen Dienst! Das fehlte noch grade! Wer war denn eher da? Soll hingehen, wo er hergekommen ist.‹ Und dann auf einmal: ›Davor hab 'ch 'm immer die Fußlappen genäht und Strümpfe hab 'ch 'm auch gestrickt und die Büxen geflickt und das ist der Dank!‹ Und dann heulte sie lauthals los. Na und denn hörte ich Kasper brummen als so 'n Tachs, und denn war alles stille. Na, als ich sie denn rausließ, da hatte Mietren die Augen unter sich und Kasper griente als wie ein Honigkuchenpferd und sagte: ›Du sollst auch vielmal bedankt sein, Bäuerin, und in vier Wochen, da wollen wir freien.«

Das taten sie denn auch und über acht Monate war ein kleiner Kasper und ein Lütjes Mieken da, und Schewenkasper konnte auf einmal das Maul aufmachen und das Lachen lernte er auch noch. »Ich weiß gar nicht, Euer Ehren, was das jetzt ist«, sagte der Wulfsbauer; »es ist ja wie die reine Verabredung: wohin man hört, überall regnet es Zwillinge, wenn es nicht gar Drillinge sind. Wenn das so beibleibt, dennso können sich unsere Kinder eine Kirche bauen, die fünfmal so groß ist, und mehr Land müssen sie auch unter den Pflug nehmen als wie heute. Mein Wieschen bringt mir zu dem einen Paar noch eins, eure liebe Frau will darin auch nicht zurückstehen, bei Bolles sind in zwei Jahren vier Kinder angekommen, Schewenkasper läßt sich auch nicht lumpen; das war doch früher nicht so! Na, wenn ich mal den bunten Stock und das große Horn abgebe, dann kriegt der, der nach mir kommt, die doppelte Arbeit.«

So war es aber nicht nur auf dem Peerhobsberge; es war, als wenn das Volk durch doppelte und dreifache Geburten die Löcher wieder anfüllen wollte, die Krieg, Pest und Hunger gerissen hatten und immer mehr rissen. Ganze Dörfer waren wüst, andere hatten kaum noch ein Viertel der Einwohner; was nicht tot war, trieb sich im Lande herum oder lag halb verhungert unter den Mauern von Celle, wo die Kanonen wenigstens etwas Schutz vor den Mordbanden boten, die heute der Kaiser, morgen der Schwede auf das Land hetzte, und mit denen es gar kein Ende nehmen wollte. Zehn Jahre und mehr spielten sie schon Schindluder damit, und wenn die Kinder, die in dieser Zeit aufgewachsen waren, zu hören bekamen, daß es einmal eine Zeit gab, in der man sich jeden Tag Sattessen konnte, dann lachten sie und sagten: »Kann der aber lügen!« So schrecklich wurde es, daß man Pestleichen fraß und daß Eltern ihre Kinder tot machten, weil sie ihnen keinen Bissen Brot mehr geben konnten.

Der Wulfsbauer erzählte dem Prediger gräsige Sachen von dem, was er unterwegs belebt hatte, als er in Celle zu tun gehabt hatte. Die Ständeversammlung hatte dem Herzog August die Mittel bewilligt, daß sein Bruder Georg Eisenhand Krieg gegen alles führen sollte, was dem Lande das Blut absaugte. Schatzung auf Schatzung wurde ausgeschrieben und Knecht und Magd mußten ihren letzten Groschen hergeben. Da war der Wulfsbauer nach der Hauptstadt geritten. Die Gräfin Meereshoffen, die schon graue Haare bekommen hatte, denn ihre drei Brüder hatte der Krieg gefressen und ihre Schwester war unter den Toren von Lüneburg mit ihrer Dienerschaft auf gräßliche Weise umgebracht, gab ihm einen Brief, und so wurde er bei dem Minister vorgelassen.

Der behielt den Bauern eine Stunde bei sich und fuhr mit ihm nachher zum Herzog, und da erzählte Wulf, wie er und die anderen sich geholfen hatten, denn der Minister wußte die Hälfte doch schon. Der Herzog, der etwas ängstlicher Art war, wurde ganz weiß im Gesicht, als der Bauer sagte: »Auergnädigster Herr, gezählt haben wir sie nicht, aber es kann wohl bis auf einige Tausend hinlangen, denen wir das Genick länger gemacht haben.« Der Minister aber sagte: »Wenn sie alle so wären, wenn sie alle so wären! Dann stände es besser um unser armes Land.« Er sprach eine Weile vertraulich mit dem Herzog und dann sagte er zu Wulf: »Der auergnädigste Herr erläßt Peerhobstel jede Schatzung, solange der Krieg anhält, dafür, daß ihr euch als wackere Männer und treue Untertanen bewiesen habt.«

Zwei Tage später war der Bauer mit zwölf von den dreiunddreißig Unterobmännern wieder in Celle und legte dem Minister einen Beutel mit tausend Talern in Gold als freiwilliges Geschenk auf den Tisch. »Das ist mir beim Wehren so in den Fingern hängen geblieben«, sagte er, »und ich denke, unser Herr Herzog hat wohl Verwendung dafür.« Der Minister schlug ihn auf die Schulter und schüttelte ihm die Hand. »Er ist ein ganzer Kerl, Burvogt, wollte Gott, daß wir mehr von seiner Art hätten! Wie lange bleibt er noch in Celle und wo ist er eingekehrt?« Als der Bauer ihm das gesagt hatte, sagte er: › In zwei Stunden schicke ich ihm etwas.«

Es war noch nicht anderthalb Stunden hin, da fuhr ein herzoglicher Wagen vor der goldenen Sonne vor und ein Kammerherr mit einem Diener stieg aus. Sie gingen in das herrschaftliche Zimmer und gleich darauf kam der Wirt und winkte dem Bauern: »Du sollst mal rüberkommen!«

Der Kammerherr rollte ein Papier auf und las vor, was darin stand, und dem Bauern wurde es dunkel vor den Augen, denn das war mehr, als er erwartet hatte Schatzfreiheit für Peerhobstel so lange der Krieg anhielt, amtliche Anerkennung der Kirchengemeinde Peerhobstel unter Belassung des Pfarrers Puttfarken, Befreiung des neuen Hofes von allen Lasten für ewige Zeiten mit Ausnahme der Stellung eines Reiters zu Pferde für jeden Kriegsfall.

»Das ist zuviel, Euer Gnaden«, sagte der Bauer, »das ist zuviel.« Der Kammerherr aber lächelte und nahm dem Diener den Kasten ab, den der in der Hand trug, machte ihn auf und sagte, indem er auf ein kleines Bild im goldenen Rahmen wies, auf dem der Herzog war, wie er leibte und lebte: »Das schickt ihm unser allergnädigster Herr und einen schönen Dank dazu und er läßt sagen: wenn er wieder einmal eine Bitte hat, soll er man dreiste kommen.«

Am meisten freute sich der Prediger, als der Burvogt noch an demselben Abend den bunten Stock rundgehen ließ und Bauernmal ansagte; er konnte nicht anders, er mußte erst nach Hause laufen und seiner Frau zurufen: »Der Herzog hat die Gemeinde anerkannt, Margarete! Und mich auch! Und so bleiben wir hier, bis der Herr uns zu sich ruft!« Dabei liefen ihm die Tränen über das Gesicht und er mußte sich hinsetzen, so schwach wurde es ihm in den Beinen.

Er hatte aber die Freude auch bitter nötig, denn immer mehr drückte es ihn, wie der Krieg auch über Peerhobstel seine Schatten schmiß und die Leute hart und kalt machte. Nun aber hatte er einen Text für den nächsten Sonntag. Er machte der Gemeinde offenbar, wie gut sie es hätte gegen das, was andere Leute auszustehen hätten, und also sollten sie nicht klagen und verzagen, sondern in der Furcht des Herrn leben und die Köpfe hochhalten.

Die Leute schudderten zusammen, als sie vernahmen, wie es anderswo zuging, und dankten Gott, daß es bei ihnen nicht so war, wie in der Gegend, von der das fliegende Blatt meldete, das der Burvogt aus Celle mitgebracht hatte und das der Prediger ihnen vorlas, denn am Schlusse hieß es darin:

Aus Hunger nach dem Brot
in Wäldern viel erfroren,
von Haus und Hof verjagt:
zwei Kinder man fund mit Schmerzen
die von ihrer Mutter Herzen
aus Hungersnot genagt.


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