Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

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11. Die Kaiserlichen

Es wurde ein harter Winter und der Schnee blieb liegen. Die Peerhobstler hatten Angst, daß ihre Fußspuren Feinde in das Dorf ziehen würden, und so mußten sie sich nach jedem Neuschnee daran geben und an dem Dorfe vorbei falsche Fährten durch die Haide machen.

So hatten sie wenigstens etwas zu tun und verfielen nicht vor Langerweile in Trübsinn. Damit die Arbeit nicht abriß, so ging der Wulfsbauer dabei, wenn die Kälte einmal nachließ und der Boden weich wurde, ein festes Blockhaus in der Wallburg zu bauen, denn er sagte sich, daß doch noch einmal ein Haufen Mordgesindel nach dem Peerhobsberge hinfinden könnte, und dann war es schlimm.

Thedel machte ihm das sofort nach, und dann Bolle und Henke und Duwe und Rennecke, und schließlich wollte jeder in der Burg ein Haus mit Stall haben. Sie bauten die Häuser dicht an den Wall heran und deckten sie mit Plaggen, damit sie nicht so leicht Feuer fangen konnten. Damit die Burg noch sicherer war, leiteten sie eine Quelle in den Burggraben, nachdem sie ihn vorher noch tiefer und steiler gemacht hatten.

Zuletzt wurde der Zuweg abgegraben und eine Fallbrücke kam statt seiner dahin. Auch ein Brunnen wurde gegraben, und schließlich wurde alles Pulver und Blei, das zu entbehren war, in die Blockhütten geschafft und alle überflüssigen Schießgewehre und sonstigen Waffen, auch Pfannen und Töpfe dort untergebracht, Brennholz, Kleidungsstücke und Mundvorrat aller Art und Viehfutter, sowie alle Immenkörbe aus dem Dorfe. Als alles fertig war, hielt der Burvogt auf dem Bauernmale eine Rede und sagte: »Jetzt können sie kommen, wenn sie lustig sind; wir wollen sie schon gut bedienen!«

Da hielten die Bauern die Köpfe wieder höher. Was konnte ihnen auch viel geschehen? Setzte ihnen der Feind den roten Hahn auf das Dach, laß fahren dahin! Holz wuchs genug in der Wohld, alle Wertsachen und das Bargeld lagen im Wall, und ehe der Feind beim Dorfe war, hatten die Wachen ihn schon spitz und meldeten ihn an. Denn nach der Ernte war der Wachdienst noch besser eingerichtet, als während des Sommers. Die Auskieke in den Wahrbäumen waren so fest und dicht gemacht, daß es für die Wachen darin wohl auszuhalten war, zumal es an warmen Kleidern und Pelzen nicht mangelte, hatten die Wehrwölfe doch genug davon erbeutet. Zudem streiften den ganzen Tag über berittene Wachen durch die Haide.

Damit den Leuten die Abende nicht zu lang wurden, sorgte der Prediger für allerhand Zeitvertreib. Im Pfarrhause veranstaltete er Zusammenkünfte, bei denen die Heilige Schrift ausgelegt wurde, und an etlichen Tagen las er aus anderen Büchern vor, damit die Leute einmal wieder von Herzen lachen konnten. Er erzählte ihnen, wie es in der Marsch an der Unterweser aussah, wo er zu Hause war, und was er auf der hohen Schule belebt hatte, und da taute einem nach dem anderen die Zunge im Munde los und jeder erzählte irgend etwas.

Sogar Schewenkasper tat das und er war sehr stolz, daß alle so mächtig lachten; sie taten das aber, weil kein Mensch an dem, was er sagte, herausfinden konnte: was ist nun Kopf und was Steert?

Alle zwei Wochen gab es auf dem neuen Hofe Tanz für das junge Volk, denn Wittenfritze spielte die Fiedel und Duwenhinrich verstand sich großartig auf die Pickelflöte. Es ging lustig auf diesen Tanzabenden zu, lustig, aber doch sinnig, denn außer einem Trunk Bier gab es nichts weiter, und wenn auch nicht soviel gejucht wurde und die roten Röcke auch nicht ganz so hoch flogen als sonst, dafür gab es auch keinen Zank und Streit und am anderen Tage keine dicken Köpfe. Es tanzten aber auch die befreiten Leute mit. Ein großes Hallo gab es, als sogar der Prediger zeigte, daß er und seine Frau so gut tanzen konnten wie einer, und als die Mädchen freie Hand hatten, wollte eine jede mit ihm tanzen. »Ja, unser Prediger, das ist einer!« sagte Thedel, als er mit seiner Hille nach Hause schob.

So ging der Winter schneller hin, als man dachte, und besondere Ungelegenheiten brachte er auch nicht. Einmal war allerdings eine große Bande von Schweden dem Dorfe ziemlich nahe gekommen, als der Wulfsbauer und seine beiden Knechte, die auf Streifwache geritten waren, sie spitz kriegten. ha zeigte Schewenkasper, daß er doch nicht so dumm war, wie er sich anstellte, und lieferte ein Stück, daß er auf einmal ein berühmter Mann wurde, sogar bei seiner Frau, die ihn jeden Tag mit seiner Maulfaulheit und Drögigkeit aufzog. Als er acht Tage später im Kruge zu Engensen saß, war er sehr stolz, als Viekenludolf ihm sagte: »Wenn du nicht ein verheirateter Mann wärest, müßtest du eigentlich Oberobmann werden. Aber nun verzähl uns das mal, wie es war!«

»Tja«, sagte Schewenkasper, »tja, das war an dem Morgen nach der Nacht, tja, an demselbigen Morgen, als Duwes Wutkopp das Kalb mit den zwei Köppen kriegte. Tja, da dachte ich gleich: wenn das man nichts zu bedeuten hat, dachte ich. Tja, so war es denn auch. So bei Uhre achte, es kann aber auch schon nenne gewesen sein, sagte der Bauer zu mir und Gird: wollen 'n böschen in die Haide, v'lleicht, daß wir was Neues gewahr werden. Na, wir also los! Tja, und als wir meist am Bullenbruch sind, das heißt, wir waren noch auf dem Höltkebrunnen, was meint ihr wohl, kommen da Reiter an und gleich an die vierzig Stück. Gird, sagte der Bauer da, mach, daß du nach dem Peerhobsberge kommst und laß tuten und blasen! Wir wollen sehen, daß wir Hilfe kriegen. Tja, und da kam mir ein Gedanke, wahrhaftig, und ich sagte: Wulfsbur, sagte ich, wenn wir nun in den Busch reiten, wo wir Ober dem Wind sind, und ich mache wie eine Kuh oder zwei oder drei und wie ein Kalb und das Schweinegeschrei habe ich auch los, tja, das habe ich, vielleicht, daß wir sie damit vom Wege wegzocken. Und der Bauer war das zufrieden. Kasper, sagte er, das ist ein Gedanke! Na, wir also in den Busch, bis wir ober dem Wind sind, und da ich losgelegt. Erst so ganz sachteken: miuh, miuh, wie so 'ne Stärke. Und hinterher: muuh, und immer gefährlicher gebölkt, und dazwischen nöff, nöff, nöff und wit, wit, wit, als wie ein Schwein, und ab und zu ließ ich eine Stute loslegen oder ein Füllen, tja, und was meint ihr, richtig fallen sie darauf rein, die Döllmer, und wir zocken sie aus dem Bullenbruche nach dem Osterhohl und von da nach der Nienwohle, und von da nach dem Düsterbrook, und von da nach dem Neegenbarkenbusch, und dann haste nicht gesehen, klabuster, klabuster nach Rammlingen geritten und Hilfe geholt, tja. Na, und das andere, das wißt ihr ja besser als wie ich.«

Das war nämlich auch ganz lustig. In Rammlingen waren gerade an die achtzig von den Dreihundertdreiunddreißig zusammen, und als die beiden Peerhobstler angeritten kamen und Meldung machten, schrie Schütte: »Das kommt uns gut zupasse! Und nun will ich euch was sagen: wir wollen das einmal anders machen als bislang. Das alte Ablauern hinter den Büschen ist auf die Dauer langweilig, meine ich. Wir holen uns noch Studier zwanzig Mann oder mehr dazu und dann reiten wir sie glatt über. Es muß doch mit dem Deubel zugehen, wenn wir sie nicht unter die Füße kriegen!«

Der Oberobmann hatte eine andere Meinung, aber die übrigen waren alle dafür und so ging es denn los. Sie kriegten noch unterwegs an die dreißig von ihren Leuten zusammen, so daß sie ihrer hundertundzehne waren, machten sich alle die Gesichter schwarz und ritten los. Gödeckengustel und zwei andere ritten voran. Die Schweden zogen durch das Jammertal, wo nichts war als Sand und krause Fuhren. Als sie mitten in den Haidbergen waren, fielen die Bauern von zwei Seiten über sie her. Die Jungens bliesen auf den Hörnern und klappten mit den langen Peitschen. Die Schweden hatten lauter zusammengestohlene Pferde, und die wurden verrückt, als sie das Anjuchen und das Klappen hörten, liefen einander über den Haufen und brachen nach allen Ecken aus. Und da taten die Pistolen, die Bleiknüppel und die Barten ihre Schuldigkeit, bis der letzte Reiter aus dem Sattel war. Aber von den Wehrwölfen hatten sieben Mann auch tüchtig etwas abgekriegt und am meisten Schütte; er hatte einen Schuß mitten durch die Brust und starb nach einer Viertelstunde. Sein letztes Wort aber war: »Kinder, war das ein Spaß!«

Mitten im Jammertale lag eine Kuhle, da kamen die Schweden alle hinein, und seitdem hieß die Stelle das Schwedenloch. Nicht weit davon lag ein Flatt, das nannten sie das große Hundebeißen. Im Hornung hatte da nämlich wieder ein Trupp Schweden gelegen, fünfzehn Köpfe stark, und die Bauern wollten gerade hin und sie aus dem Wege besorgen, da kamen Thedel und Gird angeritten und meldeten, daß von der anderen Seite ein Dutzend Kaiserliche ankamen. Da sagte der Oberobmann: »So, da soll ein Hund den anderen beißen!« Er ritt nach der Burg, zog sich wie ein Kaiserlicher an, und dann ritt er so dicht an den Schweden vorbei, daß sie seine Farbe erkennen konnten. Sofort waren sie hinter ihm her, aber sie verstanden sich auf das Reiten in der hohen Haide schlecht, und so zockte sie der Wulfsbauer den Kaiserlichen in den Hals und machte sich dann dünne. Die Bauern warteten, bis alles koppsüber, koppsunter ging, und dann fegten sie das Kaff von der Deele.

Das gab dann jedesmal genug zu erzählen im Dorfe, und so wurde es Frühling, ehe man wußte, wie es zugegangen war. Besser wurde es da auch noch nicht mit dem Kriege, aber die Feldarbeit fing an und die Leute wußten, wozu sie auf der Welt waren, wenn sie sich auch wie die Wölfe im Bruche bergen mußten, denn einmal zogen Tag für Tag die Kriegsvölker hin und her und zweitens ging der schwarze Tod wieder um. So hielten sich die Peerhobstler für sich, um die fest nicht in das Bruch zu schleppen. Da sie gewohnt waren, sich und ihre Häuser rein zu halten, keinen Hunger litten und mäßig lebten, so schielte die Seuche wohl nach dem Dorfe, mußte es aber zufrieden lassen.

Durch die Arbeit kamen die Leute über ihre Ängste und Sorgen am besten weg. Darum, was draußen vorging, scherten sie sich wenig. »Sind wir nun schwedisch oder sind wir kaiserlich?« fragte der Burvogt den Prediger; »ich finde da nicht mehr durch. Viekenludolf sagt, der Regent weiß auch nicht, wie er daran ist, und darum hat er sich mit den Hessen zusammengetan und geht gegen alles an, was hier nicht hergehört, ganz so, wie wir, und das ist auch das einzig Wahre!«

Er war mittlerweile meist ganz grau geworden; das Hin- und Herjagen in der Haide und alles das andere hatte ihm den Kopf abgebleicht., seine Stirne kraus und seinen Mund eng gemacht. Sonst war er aber noch ganz der alte, und zwölf Stunden im Sattel zu sein, das machte ihm nicht viel aus. Bei allen wichtigen Sachen war er nun wieder das Haupt, denn Viekenludolf war zu sehr Dollhund und konnte das Abwarten nicht vertragen. Wäre Wulf nicht gewesen, so hätte der Rammlingerall lange unter der Erde gelegen, denn als ihm einmal wieder die Hand vor der Zeit an zu jucken fing, kam er zwischen vier schwedische Reiter, und die deckten ihn so zu, daß es meist aus mit ihm war; aber da kam der Peerhobstler angedonnert und schlug dem Mann, der Vieken aus dem Sattel stechen wollte, das Genick ab, und einem anderen schlug er den Arm ab, und der dritte bekam eins vor die Stirn; von dem vierten aber kriegte erden Säbel mitten durch das Gesicht, ehe er ihn in die Hai de schmiß. »Das ist man bloß äußerlich, altes Mädchen«, sagte er und schlug seiner Frau auf die Lende; »bind mir 'n Lappen um und gib mir 'n Honigbrot, denn wein ich auch nicht mehr.«

Da lachte die Bäuerin. Sie war ziemlich auseinandergegangen, aber noch viel schöner als wie als Mädchen, die blankeste Frau war sie weit und breit und die lustigste auch, und das war für den Bauern die Hauptsache, denn der hatte oft seine dusteren Zeiten. Es ging ihm wie Drewes, der jetzt den Großvater spielte, denn seine Tochter hatte schon das vierte Kind. Wenn er sich mit den Kindern abgab, konnte er noch lachen, daß man alle seine Zähne sah, aber wenn sie schliefen, dann sah er oft die vielen weißen Gesichter mit den roten Löchern Inder Stirn und Birkenbäume, vor denen tote Männer hin und her gingen wie der Pendel an der Kastenuhr. Dann ging er zum Prediger und ließ sich von dem die Gnitten vertreiben.

Mit solchen Gedanken hatte sich sein Eidam auch herumzuschlagen, aber am meisten Sorge machte ihm doch das, was vor ihm lag. Achtzehn Jahre lang hatte er nun den Wolf spielen müssen; er war noch tiefer durch Menschenblut gegangen als Drewes; aber wenn es ihm bis an den Hals gestanden hätte, er hätte sich nichts daraus gemacht, wenn es endlich ein Ende damit gehabt hätte. Aber die Haide wimmelte und krimmelte von Takelzeug; Schweden und Wälsche; Krabatten und Slowaken, das fraß, was der Bauer säte, und soff, was die Bäuerin melkte; das Rauben und Plündern, Sengen und Brennen, Schimpfen und Schänden, Morden und Martern, es war das Ende davon weg.

So manches Mal hatte der Bauer den Gedanken: Hätten wir uns lieber nicht gewehrt, dann lägen wir all unter der Erde und brauchten uns nicht zu sorgen!« Sowie aber das Horn rief und die Hillebillen meldeten, daß fremde Hunde auf der Straße waren, langte er die Büchse hinter dem Schapp her, kriegte den Bleiknüppel von dem Hirschgeweih, schmiß die Beine über den Rappen, und wenn er dann wiederkam, oft erst nach Tagen, hungrig, müde, naß von Regen oder Schweiß, nach Kien, Post und Haide riechend wie ein Pferdehirt, dann sagte er doch, und er lachte ein bißchen dabei: »Für dieses Mal haben wir sie noch über den Berg gebracht!« Dann fiel er auf das Bett und schlief einen ganzen Tag wie ein Toter. Am anderen Tage aber wusch er sich von oben bis unten, zog frische Leibwäsche und anderes Zeug an, und dann erst spielte er mit den Kindern und nahm sein Wieschen in den Arm. Wer ihn dann zu sehen bekam, konnte es sich nicht denken, daß es derselbe Mann war, der vor zwei Tagen einem kaiserlichen Offizier, der um Gnade bat, zuschrie: »Jawoll, aber von dieser Art!« und damit schlug er ihn tot.

Was sollte er auch machen? Ob Schwede, ob Kaiserlicher, womit der eine gekocht war, damit war der andere gebrüht; hier wurden die Menschen im Namen der heiligen Maria totgequält und anderswo wurden sie der reinen Lehre wegen geschunden. Zu all dem Elend starb noch Georg Eisenhand, wie es hieß, an Gift, das er in Hildesheim bekommen haben sollte, als er mit dem schwedischen General unterhandelte, und nun war es, als ob das Land ganz in Blut ersaufen sollte. Die Bauern hielten die Schinderei schließlich nicht mehr aus; sie rotteten sich offen zusammen und halfen sich, so gut es gehen wollte, und ging es schief, dann war es auch nicht schlimm; wer tot war, dem konnte das Herz nicht mehr brechen über dem quälhaftigen Leben.

Viekenludolf hatte geheult, wie ein übergefahrener Hund, als ihm gemeldet wurde, daß bei Dachtmissen zweihundert Bauern von den Kaiserlichen hingemordet waren, denn er hatte mehr als einen Freund dort gehabt und auch noch etwas anderes, woran ihm noch mehr lag. Er ritt mit seinen Leuten los, aber er kam zu spät, und bloß zwanzig Mann bekam er unter die Knie, und sechs davon lebendig und der eine war ein Offizier. Er ließ sie alle mitten im Busche aufhängen, als wenn es gemeines Raubgesindel war, und als der Hauptmann dagegen anwollte, schrie er: »Dann behandelt den Herrn wie einen Offizier und hängt ihn an seinem Säbelkoppel auf und nicht an einer Wiede!« Ja, man sagte, vorher hätte er ihm in das Gesicht gespuckt.

Das mußte wohl wahr sein, denn bald darauf traf ihn die Strafe; er mußte freien. Bisher hatte er immer Glück gehabt; aber wie es so kam, Gödeckengustels Schwester Trina, von der hätte er die Finger lassen sollen, denn in allem verstanden die Wölfe unter sich Spaß, bloß nicht in solchen Dingen. So ließ er denn das Maul hängen wie ein Rehbock, der eine Ricke suchen geht, als Gödecke ihm eines Abends sagte: »Unser Trina meint, daß es bald Zeit wäre, daß ihr beide freit.« Zwei Wochen später war die Hochzeit; es war eine lustige Hochzeit, bloß für den Bräutigam nicht; der sagte zu Grönhagenkrischan: »Ja, die Frauensleute, da muß'n sich mit vorsehen; die nehmen gleich alles wortwörtlich!«

Er blieb auch hinterher zweiter Obmann, denn er war froh, wenn es draußen was zu tun gab. »Diese ewige Knutscherei!« stöhnte er; »lieber Himmel, klettern hat doch bloß so lange Sinn und Verstand, bis daß man den Appel vom Baume hat; nachher da ist es Hahnjökelei.« So waren er und sein Brauner meist unterwegs, denn es regnete jeden Tag Ungeziefer, was da nur herunterwollte, auf das Land: heute Schweden, morgen Weimaraner, dann Hessen und dann fing es wieder von vorn damit an. Ihm aber machte solch ein Leben Spaß, und wenn er nach Hause kam, warf er eine Handvoll Taler mit ein paar Goldfüchsen dazwischen auf den Tisch und sagte: »Wenn es so beibleibt, Trina, dennso mußt du deine Sparstrümpfe so lang bis ans Leib stricken!« Aber als er einmal nach Hause kam und ihr ganz glücklich erzählte, daß nun jeder Mann zwei Frauen nehmen dürfe oder drei, denn der Krieg und die Pest hätten so viel Menschen geschluckt, daß es ohne das nicht mehr ginge, da machte Trina ein Paar Augen wie die Katze im Herdloch, lohnte Weesemanns Lotte, ein ansehnliches Mädchen, auf dem Fleck ab und nahm eine Magd, die wie eine Wildscheuche anzusehen war. Er aber sagte zu Grönhagen: »Ein Stachelschwein ist wie eine Kinderhand gegen meine Trina. Ach ja, das oberste vom Bier schmeckt immer am mehrsten!«

Aber er kam nicht allzuviel dazu, sich zu bedauern. Heute kam der kaiserliche Oberst Heister dahergekrebst, morgen murkste der Torstenson mit seinen Schweden im Lande herum; rund um Celle lagen die Bauern mit Weib und Kind, hungerten und lauerten auf den Tod und stritten sich darum, was nun besser schmecken täte, ein schwedisches Rippenstück oder ein gut kaiserlicher Lendenbraten, denn so weit war es schon gekommen, daß man offenbar Menschenfleisch fraß und auf Verabredung auf Menschenjagd auszog. Die Peerhobstler aber hatten das nicht nötig; sie hatten noch allerlei Vieh und Wildbret gab es zur Genüge, aber Pferdefleisch aßen sie hier und da doch, wenn bei der Wehrarbeit in der Haide eine Kugel aus Versehen einmal ein Pferd statt des Reiters getroffen hatte, und dann sagten sie: »Stutenkälber schmecken auch.«

Sie saßen den einen Morgen im Mai alle drei auf der Bank im Garten vor dem neuen Hofe, die drei Obmänner, Drewes, Wulf und Vieken. Die Pfingstrosen waren am Aufblühen, die Schwalben flogen ab und zu, die Immen waren zugange und die Kinder sangen»Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, Maikäfer flieg!« Sie sangen und juckten und kriejöhlten und sprangen hinter dem Käfer her, der durch die Sonne flog, daß seine Flügel wie Gold aussahen.

»Das ist ein neues Lied«, sagte der Engenser; » das haben wir als Kinder noch nicht gesungen. Ja, die Welt wird jeden Tag neu.« Der Peerhobstler nickte: »Aber nicht besser, Drewes; ich glaube nicht, daß ich es noch belebe, daß es Frieden gibt.« Der Rammfinger sagte: »Ich bin der gleichen Ansicht. Bislang fand ich das soweit ganz lustig, aber ich weiß nicht, liegt es daran, daß man älter wird, oder ist es, daß ich jetzt einen kleinen Jungen habe; so rechte Lusten habe ich auch nicht mehr an dieser. Geschichten. Zuletzt wird es einem über, wenn man einen über den anderen Tag den Bleibengel vom Haken langen muß.«

In der Haide fing eine Wache an zu blasen und dann noch eine, und eine Hillebille war zu hören und noch eine. Harm und Ludolf standen auf: »Na, dann hilft das nichts; die Arbeit muß getan werden. Adjüs, Drewsbur; ich bin bloß neugierig, was jetzt wieder los ist! Und das dümmste ist: meine Trina, die glaubt ja nicht, wenn ich draußen liege, daß ich das bloß den Schweden und den anderen zu Gefallen tue; da heißt es immer und jeden Tag: na, der Schwede, der wird wohl einen roten Rock anhaben, und mich soll nicht wundern, wenn er Weesemanns Lotte heißt!« Er kratzte sich hinter den Ohren: »Ja, die Frauensleute! Soweit sind sie ja ganz niedlich; wenn sie man nicht so 'n Teeges Maul hätten!«

Ergab einen Seufzer von sich wie einen Arm lang. Drewes aber lachte: »Das schadt dir gar nichts, Viekenbur, das ist dir sogar recht, du Dollhund! Wenn du eine Frau hätt'st wie andere Leute, das arme Tier könnte einen dauern. Auf'n Steinpott hört ein ebensolchiger Deckel auf, das ist die natürliche Ordnung, und ein Katteeker und ein Lork, das gibt ein schlechtes Gespann. Aber nun seht man zu, daß wir kein Flohbeißen kriegen!«

Das taten sie denn auch. Die Wachen hatten gut aufgepaßt und die Hillebillen hatten einen langen Atem gehabt; die Kaiserlichen machten dumme Gesichter, als das Tuten und Blasen und Bimmeln rundherum losging, und erst recht, als es überall knallte und doch kein Mensch zu sehen war, denn die Wohld war dick und das Bruch naß. So waren sie heilsfroh, als sie erst wieder Inder hellen Haide waren, und auch da hielten sie sich nicht lange auf, denn zwischen den krausen Fuhren und den Machangeln war bald hier ein Pferdekopf mit einem Gesicht darüber zu sehen, bald da einer und es wurden immer mehr, gerade wie vor einem Immenkorbe, wenn der Specht daran herumarbeitet.

»Das sind mehr als hundert Mann«, sagte der Offizier, der mit dem Ohr auf der Erde gehorcht hatte; »der Satan weiß, wo die Kerle herkommen. Vorwärts, marsch!« So zogen sie dahin, die Gesichter alle Augenblicke hinter sich, und hinter ihnen her ritten die Bauern, hier drei, dort zehn, da wieder ein paar und überall welche.

»Denen soll heute der Atem kurz werden und Pferdefleisch soll es sie auch kosten«, lachte Wulf; aber Viekenludolf ritt im Galopp voran, bis er auf hundert Schritte heran war, und dann stellte er sich in die Bügel, sah über den Machangelbusch weg, klappte mit der Peitsche und schrie: »Kiejuh, kiejuh! Schlah doot, schlah doot, all doot, all doot, all dooot!«

Da war es, als ob die Wespen zwischen die Leute da vorne gekommen waren. Der Offizier fluchte und schlug zwei Kerle mit dem Säbel über die Köpfe, daß sie zu Boden schossen, aber es war kein Halten mehr; von hinten und von vorne, und rechter Hand und zur Linken, überall »kiejuh!« und in einem Ende »kiejuh!« und dazwischen das Peitschenklappen und das scheußliche Schreien: »Schlah doot, schlah doot, all doot, all doot, all dooot!« Da schrie der Offizier, indem er beide Arme in die Höhe schmiß: »Heilige Maria!« und wollte hinterdrein, aber der Bleiknüppel des Oberobmanns traf ihn in das Genick; er fiel vornüber, und erst, als der Schimmel in einen Sohl stürzte, fiel auch der tote Mann herunter.

»Na, wie ist es gegangen?« fragte Drewes, als Wulf und Ludolf am Nachmittage zurückkamen, naß wie die Frösche und hungrig wie die Hütejungens. »Fein«, schrie der Rammlinger, »sie laufen noch und werden wohl morgen auch noch laufen. Wir haben ihnen was zum Laufen eingegeben, aber etwas, das gleich durchschlägt. Sobald werden sie wohl nicht wiederkommen, und Stücker zwanzig von ihnen höchstens um Mitternacht, um nachzusehen, wo sie nun eigentlich sind. Kinder, habe ich einen Hunger und einen Durst! Wulfsbäuerin, jede Arbeit ist ihres Lohnes wert und Dreschen macht einen langen Magen. Aber hinsehen darfst du heute nicht, wenn ich mich hinter den Schinken knie, Wieschen, ansonsten könntest du denken, bei meiner Trina kriege ich man halb satt.«

Vater Drewes lachte und dachte, wie oft auch er mit solch einem Schlachterhunger nach Hause gekommen war. »Junge«, sagte er und goß den Metkrug bis oben voll, »Junge, man lebt ordentlich wieder auf, wenn man dich so prahlen hört. Und wie das auch ist, Spaß macht es doch, und wenn einem hinterher auch einmal graulich zumute wird, wenn man in seinem Bette liegt; alles was recht ist: wir haben doch gezeigt, daß wir keine Bählämmer sind, und darauf wollen wir anstoßen: hoch jeder Mann, der sich nicht an den Balg kommen läßt!«

Er ließ den Krug, auf dem zu lesen stand: »Fifat, es läbe die Vreundschaft«, rundgehen, aber als er ihn seinem Eidam gab, mußte er den erst anstoßen, denn Harm horchte nach dem Grasgarten hin, wo die Kinder ein neues Spiel spielten, und dabei sangen sie:

Der Schwed is kommen,
hat alles genommen;
hat die Fenster zerschlagen,
hat Blei rausgegraben,
hat Kugeln von gegossen,
hat alles verschossen;
alles verrischossen.


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