Hermann Löns
Heimatliche Naturbilder - Da draußen vor dem Tore
Hermann Löns

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Er der herrlichste von allen

Was war das eben da über dem Bache, das bunte Ding, das mit schrillem Pfiff dahinstob. War es ein Vogel oder ein Falter, und wenn es ein Vogel war, aus welchem Lande kam er, der mit Himmelblau und Maibaumgrün und Silberweiß und Rot hier mitten in die Schneelandschaft Farben aus einer Welt hineintrug, die Hunderttausende von Jahren hinter uns liegt, Farben, wie sie die Vögel Indiens und Südamerikas vorweisen, Farben, die nur in Palmen zu denken sind.

Es war kein Kolibri, es war ein guter alter Deutscher, unser schönster Vogel, der Eisvogel, der nur deswegen wenig bekannt ist, weil dieses Prachtkerlchen in der warmen Jahreszeit ein recht verborgenes Leben an den stillen Ufern buschreicher Flüsse und Bäche führt und erst im Winter sich überall herumtreibt, wo es ein winziges Fischchen, einen Wurm, einen Wasserkäfer oder eine Larve zu erbeuten gibt. Und so kann man ihn, wenn man die Augen offen hält, besonders an schnellen Gräben öfter antreffen.

Dort sitzt er stumm, nur ab und zu den Kopf drehend, auf einer über das Wasser hängenden Dornranke, einem Zweig oder einem Pfahl und lauert, bis seine scharfen Augen irgendeine kleine Beute im Wasser erspähen. Mit einem jähen Ruck plumpst er dann in das Wasser, kommt in einem Sprühregen wieder zum Vorschein, schüttelt die Wasserperlen von seinem bunten Gefieder, wirft den Kopf in den Nacken, schleudert mit kurzem Ruck seine Beute ein Stückchen in die Luft, fängt sie mit dem zollangen, spitzen Schnäbelchen auf, daß der Kopf des Fisches oder der Larve nach unten liegt, und würgt sie hinab. Um die jetzige Zeit ist er oft so vertraut, daß man sich ihm bis auf zehn Schritt nähern und sein wundervolles Federkleid bewundern kann, den rostroten Bauch, die silberne Kehle, den lasurblauen Rücken, die grünblauen Flügel, den dunklen Backstreif und die mennigroten Füßchen. Obgleich der kleine Kerl kaum Spatzengröße hat, ist er durch seine leuchtenden Farben, seine ulkige Gestalt, an der der lange Schnabel und das winzige Schwänzchen besonders auffallen, eine so seltsame Erscheinung, daß er von jedem Menschen beachtet werden muß, der ihn zufällig erblickt.

In unserer einheimischen Vogelwelt ist der Eisvogel eine eigenartige Erscheinung, der hier keine nahen Verwandten hat. Seine ganze Verwandtschaft befindet sich in den heißen Ländern und bringt es dort zu recht ansehnlicher Größe. Seine nächsten Verwandten in Europa sind die herrlichen Blauracke und der prächtige Bienenwolf Südeuropas, der sich ab und zu nach Deutschland verfliegt.

An fischreichen Flüssen und Bächen mit steilen, buschigen Ufern spielt sich vom Frühling bis zum Herbst das Familienleben des Eisvogels ab. An einer abschüssigen, unzugänglichen Stelle des lehmigen Flußufers pickt sich das Pärchen, das sich im Gefieder kaum voneinander unterscheidet, eine zwei und einen halben bis drei Fuß lange, zwei Zoll im Lichten haltende Höhle mit kesselartig erweitertem Ende in die Erde, wo das Weibchen auf einer Unterlage von Wasserjungferflügeln seine fünf bis sieben auffallend großen, kugelrunden, spiegelblanken, weißen Eier legt, deren Schale so durchsichtig ist, daß man den Dotter erblicken kann.

Die jungen Eisvögel sind schnurrige Wesen. Von ihrer späteren Schönheit ist zuerst wenig zu sehen. Sie sind ganz nackt, haben mächtige Köpfe, und der Unterschnabel ist nur halb so lang wie der Oberschnabel. Da es sehr lange dauert, bis die Spulen platzen, so sehen die halb erwachsenen Eisvögel fast wie kleine Zaunigel aus mit den langen, weißen spitzen Posen. Dazu riechen sie noch stark nach Bisam. Auch halten die kleinen Kerle wenig auf Reinlichkeit; sie beschmeißen die Wände der Nesthöhle derartig, daß derjenige, der einmal versucht hat, junge Eisvögel auszunehmen, es niemals wiederholt. Wenn die Jungen flügge sind, dann prangen sie in einem so herrlichen Federkleide wie die Alten.

Um diese Zeit gelingt es auch wohl einmal, an einer stillen Bachbucht eine Eisvogelfamilie zu beobachten. Wer es einmal erlebt hat, der vergißt das niemals, denn wenn sechs oder acht dieser farbenprächtige Kerlchen durcheinander flirren, so ist das ein Leuchten, Funkeln, Blitzen, Schimmern und Glänzen, ein kunterbuntes Gewirr von Rot, Weiß, Blau und Grün zwischen den Büschen und über dem Wasser, eine jähe Folge scharfer und schriller Töne, ein fortwährendes Plumpsen und Spritzen des Wassers, daß man unwillkürlich die einheimische Pflanzenwelt vergißt und erstaunt ist, keine Palmen und Lianen um sich zu sehen. Noch reizender ist es, zuzusehen, wenn der männliche Eisvogel seiner kleinen Frau den Hof macht, was man im Vorfrühling manchmal beobachten kann. Das Weibchen sitzt dann im vollen Sonnenschein auf einem hervorragenden Ast, Pfahl oder Stein und wippt geschmeichelt mit dem Stummelschwänzchen, und das Männchen umflattert es mit gellendem Geschrei, scharfen Zickzackschwenkungen, seines Hochzeitsröckchens Wunderpracht zur schönsten Geltung bringend.

So reizend unser Eisvogel und gering der Schaden ist, den er bei seiner Winzigkeit und seiner Seltenheit anrichten kann, so gibt es doch Menschen, die ihn auszurotten bestrebt sind, denn sie sagen, er schade der Fischerei. Wohl fängt der Eisvogel gelegentlich Fischbrut, und darunter ist auch manchmal eine junge Äsche oder Forelle. Sein Schaden kommt aber bei seiner Kleinheit kaum in Betracht; zumal jedes Eisvogelpärchen ein sehr großes Jagdgebiet hat, das es gegen die Übergriffe anderer ihrer Art eifersüchtig verteidigt. Darum ist es eine Roheit und eine Ruchlosigkeit, diesen allerliebsten kleinen Fischer zu fangen und zu erlegen.

Der Eisvogel siedelt sich, wie die lustige und harmlose Wasseramsel, nur dort an, wo es eine Unmengen von Gewürm und Larven aller Art, zudem noch so viel wenig wertvolle Fische, wie Schmerlen, Ellritzen und Groppen gibt, daß es ohne jeden Belang ist, wenn er sich auch manchmal eine winzige Äsche oder Forelle zu Gemüte zieht. Jedenfalls schadet eine große Äsche oder Forelle der eigenen Brut mehr, als zwanzig Eisvogelpärchen. Darum, wer ihn hat in seinem Reiche, sei er Jäger oder Fischer, der freue sich an ihm, und schone ihn, stelle ihm nicht nach mit Schrot, Tellereisen und Leimrute, denn er stellt sich damit ein böses Dummheits- und Roheitszeugnis aus. Unsere Kultur sorgt sowieso mit ihrer Sucht nach Ufergeradelegung und Buschausrodung allzusehr dafür, daß diesem Vögelchen unserer heimischen Vogelwelt die Daseinsbedingungen arg beschnitten werden, ihm, dem herrlichsten von allen.

 


 


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