Hermann Löns
Heimatliche Naturbilder - Da draußen vor dem Tore
Hermann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am Sommerdeich

Neben dem Flusse, seine unzuverlässigen Wellen bewachend, wie der Hund die Herde, damit sie nicht vom Wege laufen und Schaden machen, geht der Sommerdeich. Je nachdem der Fluß sich benimmt, so verhält sich der Deich; wo der Strom eine scharfe Biegung macht, so daß man ihm ansieht, daß er Unfug vor hat, da bleibt er ihm dicht auf der Naht; wenn er aber sinnig geradeaus geht, dann kümmert er sich nicht so sehr um ihn.

Alle paar Tage gehe ich gern den Deich entlang, weil es dort so vielerlei zu sehen und zu hören gibt, und zu riechen desgleichen. Denn hier riecht es anders als im Bruche und auf der Heide. Der Schlick vom letzten Hochwasser strömt in der Sonne einen strengen Geruch aus, und wenn ich im langen Grase liege und in den blauen Himmel hineinsehe und den klirrenden Schrei der weißen Seeschwalben vernehme und dem Klucksen und Platschen der Wellen am Ufer lausche, und fern heult der Dampfer, dann ist mir mitunter so zumute, als wäre ich an der See. Aber wenn sich dann eine leichte Brise aufmacht und den Duft des Ruchgrases zu mir herweht und den der Lindenblüte, und die Schwalben zwitschern, und ganze Flüge von jungen Sprehen brausen über mich hin, dann schmecke ich, daß die Luft süß ist. Es liegt sich prachtvoll unter der krausen Eiche hier, um die wie eine Laube ein Kreis von hohen, dunklen Stechpalmen steht. Wenn ich hier liege, denke ich gar nicht daran, daß ich irgend etwas zu tun habe; das Wasser kluckst und platscht im Ufergebüsch, der Südwind ruschelt im Rohre, die Grasmücken singen in den Hagen, die Schwalben zwitschern in der Luft über mir, in der Eiche schwatzen die Hänflinge, die Bienen summen und die Hummeln brummen, die Wasserjungfern knistern, die Grillen geigen und die Heuschrecken fiedeln, alles das zusammen ist wie ein einziges Wiegenlied, bei dem man an nichts denken mag, sondern sich immer nur recken und strecken möchte. Und wenn eine Kuh aufbrüllt, eine Krähe quarrt, ein Kiebitz ruft oder die Mädchen, die zum Melken gehen, ein altes Lied nach einer süßen Weise singen, nichts davon stört den Frieden des Sommertages.

Jenseits des Flusses wenden sechs Mädchen Heu, immer in einer Reihe, bald dicht am Ufer, bald oben an der Hecke. Sie sehen zu hübsch aus, die sechse, alle in derselben Tracht, in den weißen Helgoländern, den roten Leibchen, die am Halse und über den braunen Armen ein Stückchen weißes Linnen freigeben, und in den blauen Röcken mit den weißen Schürzen. Je nachdem sie her oder hin wenden, sehe ich die blanken Harkenstiele und die zwölf braunen Arme blitzen und leuchten, oder es kommen noch die sechs Gesichter dazu, die bei jeder Wendung aufleuchten und verschwinden. Und hier und da und dort in den Wiesen sind ähnliche Gruppen von Mädchen und Frauen, alle in derselben Tracht.

Auch sonst ist noch allerlei zu sehen. Ein Dutzend schwerer, schwarzweißer Kühe steigt langsam und besonnen das Ufer hinab und watet in das Wasser; laut schlürfen sie und schlagen dabei wild mit den Schweifen, weil die Bremsen um sie im Gange sind und die blinden Fliegen. Auf ihren breiten, glatten Rücken laufen die blanken Sprehen hin und her und suchen ihnen das Ungeziefer ab. An dem sandigen Ufer des Werders trippeln zwölf Kiebitze umher; Ringeltauben kommen angeflogen und tränken sich, und mit hellem Getriller, dicht über dem Wasser herstreichend, naht der Uferläufer und läßt sich auf dem Schlick nieder, während hinter dem Treibholz alle Augenblicke der schwarzweiße Hals eines Reihers aufzuckt, der dort auf Ukleis fischt. Aus dem Weidicht schwimmen Rohrhühnchen, flüchten aber wieder, gewarnt von dem Gezeter der Elster, denn am Ufer entlang schaukelt sich der Gabelweih.

Unter mir liegt ein runder, tiefer Kolk, von Schilf, Rohr, Pumpkeulen und Kalmus eingefaßt, ganz bedeckt von den breiten, blanken Blättern der Seerose, zwischen denen die großen, weißen Blumen leuchten. Das Rohr ist durchflochten von der Uferwinde, deren weiße Trichterblüten es beleben, und an fünf Stellen brennen die rosenroten Dolden der Blumenbinse im hellen Sonnenlichte. Aber herrlicher als alle diese Blumen sind die gewaltigen, goldgelben Blütenschirme der Riesenwolfsmilch, die an drei Stellen Büsche von Manneshöhe bildet. Jedesmal, wenn der Wind auffrischt, wirft er mir den betäubenden Honiggeruch der stolzen Blume zu, die so aussieht, als gehörten Palmen und andere Südlandsbäume in ihre Nähe.

Aber auch ganz in meiner Nähe ist es wunderhübsch. An den hohen Beinwellstauden hängen weiße und blaue Glöckchen, ein großer weißer, gelbgeäugter Stern steht auf langem Stengel neben dem anderen, wunderbare Disteln mit dicken, purpurnen Blüten, die mit zartblauen Staubfäden geziert sind, sehen stolz auf das Labkraut hinab, das einen goldenen Teppich vor ihnen ausbreitet, ein Heckenrosenbusch prangt über und über in Blütenpracht, und damit der Schlehdorn dagegen nicht so kahl aussieht, hat ihn die Klingelwicke ganz mit herrlichen blauen Blumen umsponnen, während ein bunt blühendes Geißblatt der Hainbuche denselben Liebesdienst tut. Davor aber protzt der Rainfarren mit lauterem Golde, als wollte er es dem Johanniskraute gleichtun, das sich aber noch neben ihm behauptet, zumal des Baldrians weiße Dolden ihm einen schönen Hintergrund geben.

Weil hier so viele Blumen wachsen, fliegt auch so viel buntes und blankes Getier, und deshalb sind auch solche Unmengen von Schwalben da, Rauchschwalben mit roten Kehlen, Steinschwalben mit silbernem Bürzelfleck, die grauen Uferschwalben, die so gemütlich schwatzen, und hoch in der Luft die wilden Turmschwalben, die Schreihälse. Jetzt kreischen sie alle auf einmal los und hetzen den Lerchenfalken, der von dorther, wo die braunen, schwarzhäuptigen Heidberge gegen die weißen Wolken stehen, gekommen ist, um zu rauben; um den Turmfalken aber, der über dem Kleestück rüttelt, kümmern sie sich nicht. Es ist so vieles hier zu sehen, daß ich nicht damit zu Ende komme, und wenn ich jeden Tag hier liege. Ein hoher Mauerpfeffer wächst aus der Deichböschung heraus und hüllt sie in reines Gold. Darüber ragen die rosenroten Häupter der Sandnelke, und überall funkeln die rubinroten Blütchen der Kartäusernelke über den sammetweichen Kätzchen des Mauseklees. Dann kommt ein Würger angeflogen und spießt eine Wasserjungfer auf den Schlehenbusch neben seine übrigen Vorräte; eine große Seemöwe, die der letzte Sturm in das Land geweht hat, jagt am Ufer entlang; am Werder stelzt der Brachvogel entlang, und hier und da und dort ist ein Storch zu sehen.

Nicht nur tagsüber ist es herrlich hier, sondern ganz besonders des Abends, wenn das Käuzchen umfliegt, und in allen Kolken und Gräben die Frösche prahlen und das Wasser aussieht, als flösse es über schieres Gold. Aber noch schöner beinahe ist es morgens, wenn die Wiesen vor Tau blitzen, und durch den Nebel, der über dem Flusse steht, die Reiher dahinrudern wie Schatten der Vorzeit.

Auch wintertags, wenn Randeis an dem Weidicht entlang rasselt, und der ganze Marsch, und die fernen Heidberge weiß sind, ist es schön hier, auf andere Art zwar, aber doch schön: denn schön ist es immer hier am Sommerdeich.


 << zurück weiter >>