Hermann Löns
Heimatliche Naturbilder - Da draußen vor dem Tore
Hermann Löns

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Im bunten Wald

Der Nebelung ist ein harter Herr; was er sagt, das gilt. Ein Blick von ihm, und der Espenbaum wird blaß; ein Wink, und die Linde ist kahl; ein Wort und die Pappel gibt ihr Goldlaub her. Mit dem Weinmond läßt sich noch reden; wenn er auch rauh tut, er meint es nicht so schlimm. Sein Nachfolger aber besteht bis zum letzten Buchstaben auf seinem Scheine, und dieser besagt: Das Laub soll fallen und diese Blume muß welken, stumm wird der Vogel und es stirbt der Wurm.

Den bunten Rock, den der Frühherbst dem Wald schenkte, nimmt der Spätherbst ihm fort; die Lieder, die die Herbstsonne die Amsel lehrte und den Star, verbietet der gestrenge Herr ihnen, der Falter versteckt seiner Schwingen Sammet und Scharlach in einer Rindenritze, und die Hummel, die um die letzte Kleeblume flog, wird zum langen Schlaf in das Moor geschickt.

Freilich, so leicht wie sonst wird es dem harte Herrn in diesem Jahre nicht, seinen Willen durchzusetzen. Zuviel Saft ist im Holze, zuviel Kraft in den Wurzeln, und weil im Sommer die Sonne fehlte, lebten die Blätter der Bäume langsamer denn je. Nach Sonnensommern waren die hohen Birken um diese Zeit schon längst nackt und kahl; heute aber leuchtet ihr goldfarbiges Laub noch lustig vor den schwarzen Kiefern, die mit mürrischen Gesichtern darauf warten, daß sie allein dort zur Geltung kommen. Ein Weilchen werden sie noch lauern müssen. Die Birken haben bald ausgespielt; sie tun zwar so, als sei es ein Spaß für sie, die grüne Wintersaat mit gelben Blättern zu bestreuen, aber morgen schon ist es aus mit diesem kurzweiligen Spiele. Die Rotbuchen sind zäher; da ist noch manche, die sich nicht ergeben will und so grün da steht, als sei sie zwei Monate im Kalender zurück, und die Eichen lehnen die Zumutung, dem Herbst zulieb das braune Kleid anzulegen, mit Hohngebrumm ab.

Das hilft ihnen aber alles nichts, wollen sie heute nicht, so müssen sie morgen. Eine Buche nach der anderen fügt sich der Vorschrift und kleidet sich dem neuen Herrn zuliebe in Goldgelb und Feuerrot, um dann Stück für Stück der bunten Tracht wieder abzulegen und schließlich arm und leer dazustehen. Den Eichen wird es nicht besser gehen, diese und jene Krone bräunt sich schon, dichter wird der braune Teppich zu ihre Füßen, und eines Tages haben sie nichts mehr vor den Buchen voraus als den Ruhm, länger ausgehalten zu haben.

Es lohnt sich schon, diesem Kampf zwischen dem Walde und dem Wetter zuzusehen, wo der Boden rot ist von den Wunden, die der Herbst dem Wald schlug. Niemals in Jahre, selbst im leichtsinnigen lustigen Brachmonde nicht, ist der Berg so bunt wie zur jetzigen Zeit, und so kahl sind die Wege und Raine noch nicht, als daß sich nicht noch ein bescheidener Strauß letzter Blumen finden und binden ließe mit einem prangenden Hintergrunde von goldenem Blattwerk und silbernen Grasrispen, ein wirklicher, handgreiflicher Strauß oder einer, der nur in der Erinnerung blüht. Und es ist auch noch nicht so rot und still im Walde, daß nicht ein lustiger Laut, ein froher Ruf die Stille unterbräche oder die schwermütigen Herbstlieder der Kronen auf einen fröhlicheren Ton stimmte.

Die alten Eichen am Eingange des Fahrweges brummen ärgerlich, und die hohen Buchen murmeln zornig; der Grünspecht aber lacht den Wind aus; wenn er von Stamm zu Stamm fliegt, funkelt sein roter Scheitel, leuchtet sein maigrüner Rücken in der Sonne so unvorschriftsmäßig sommerfarbig, daß die winzigen Goldhähnchen, die in dem winterdunklen Nadelwerk der Kiefern schüchtern piepend umherhuschen, ein keckes Gezwitscher erheben, daß der Fink noch einmal so laut seinen Lockton hören läßt und der Zaunkönig im Rosenbusche zu singen anhebt, als wäre der Frühling eben in den Wald gezogen.

Mag auch immer wieder brummiges Südwestgewölk über die Berge kriechen, die Sonne läßt sich nicht unterdrücken. Sie erobert sich die bunten Abhänge, nimmt das lachenden Tal ein, gibt der junge Saat Maigrün und kleidet den Wald in Zauberfarben. Mit klirrendem Lustschrei jagen sich die blitzenden Krähen in der Luft, der Bussard schickt aus der Höhe seinen klingenden Ruf hinab, und der Goldammerhahn auf dem Schlehenbusch findet das kleine Lied wieder, das er im jungen Sommer sang, als der Rain zwischen Wald und Feld bunt von Blumen war und voll von fröhlichem Volk.

So ganz kahl ist er heute noch nicht. Wer sich oft genug bücken mag, findet bunten Lohn. Hier und da lebt noch eine rote Flockblume oder ein weißer Stern, die sich vor der Sichel retteten, überall schimmern die kecken Maßliebchen, weiße Dolden stehen bei rosigem Tausendgüldenkraut, Hahnenfuß und Habichtskraut recken ihre gelben Blüten über das Gras, mit blauer Farbe können Braunwurz und Flockenblume dienen, und damit auch das grelle Rot nicht fehle, sprengt am Grenzsteine der wilde Mohn seine allerletzte Knospe, während den Graben entlang das Landrohr seine Silberrispen im Winde schwenkt und im Weißdornhagen die blanken Beeren wie Korallenketten leuchten. Über den letzten Blumen aber schwebt und summt es von blitzenden Fliegen und schimmernden Wespen. Nicht viele sind es mehr, aber doch immer genug, und Leben an den Rain zu bringen, und wie die Sonne voll auf den Waldrand fällt, wirbeln Wolken silberner Wintermücken dahin.

Im Walde selbst ist es auch farbig genug, soweit die Sonne reicht. Da funkelt das bunte Laub, da wehen die Zweige und winken die Äste lustig und munter, in mailichem Grün prangt der grasige Weg, und das Reh, das mitten im Wege steht, bekommt eine warme Farbe, als trüge es noch sein rotes Sommerhaar. Eine Buche, die voll im Lichte steht, sieht aus, als hätte sie eben erst ihr Laub entfaltet, die krausen Stechpalmenhorste unter ihr sprühen silberne Funken umher, die Wedel der Farne verjüngen sich in der Sonne, die grauen Stämme nehmen den Ton alten Silbers an, und das Fallaub zwischen ihnen bekleidet den Abhang mit einem prunkvollen Teppich.

Finkenschlag und Drossellied hat der Wald nicht mehr, und Mönch und Laubvogel sind lange fort; steht die Sonne aber vor den Wolken, dann flötet die Sprechmeise, lockt der Baumläufer, Meisentrupps erfüllen die Kronen mit lustigen Lauten, Krammetsvögel lärmen dahin, der Dompfaff flötet durch das Unterholz, die Eichelhäher schimpfen von Baum zu Baum, und ihre nordischen Vettern, die seltsamen, langschnäbligen Nußhäher, seit langen Jahren einmal wieder hier zugereist, mischen fremde Laute in die bekannten Töne.

Im hohen Ort, wo die Sonne nicht hinkam, ist es still und stumm, und nur das Geraschel des Laubes geht um. Im Lichtschlage nebenan lodern alle Farben der Wellen durcheinander und finden sich wieder in dem funkelnden Gefieder des Fasanenhahnes, der so stolz auf dem moosigen Buchenstumpfe hockt, als meine er, der Wald bemühe sich, ihm gleichzukommen an Glanz und Pracht, bis der Wind auffrischt und den bunten Narren in die Dickung scheucht.

Nun aber wird es erst recht lustig auf der Rodung. Das ist ein Gezucke und Gezappel und Gerucke und Gerappel, ein Funkeln und Flammen, ein Lodern und Leuchten, wild und toll; aus allen Kronen rieselt es herab, es wirbelt über die Blöße, als schwebten tausend goldene Schmetterlinge dahin, es schwebt und gleitet, tanzt und springt, fliegt und flattert, wirbelt und wimmelt, daß es dem Hasen, der stillzufrieden im Lager sitzt, nicht mehr hier gefällt und er zu Felde rückt, wo er vor dem Laubfalle Ruhe hat. Und so wie er fort ist, verschnauft der schabernacksche Wind, und still ist es wieder im Walde.

Der Wind nahm die Sonne mit. Fahl sind die Höhen, trübe die Gründe, fort ist das rote Gold, verschwunden das schimmernde Silber, grau sind die Stämme und braun ist das Laub. Was eben so lustig klang, vom Tale her des Hundes Gebell, des Hahnes Ruf, heiser und hart klingt es jetzt, trübselig mutet der Dompfaffen Lockton an, häßlich der Häher Gekreisch und die letzte Blume am Wegerand wirkt wie ein verlegener Witz in einem Sterbehause.

Über die Berge kommt die Dämmerung gekrochen, steigt in das Tal hinab und schiebt sich in den Wald, heuchlerische Tränen vergießend und verlogene Seufzer ausstoßend. Die Schatten rücken zusammen und drängen die Farben fort, jeder frohe Laut geht im hohlen Blättergeruschel unter, und irgendwo hinten im Walde spukt einer Eule gespenstiger Pfiff umher. Aus ist es für heute mit des Waldes Pracht. Mit der Sonne kann sie wiederkommen, ist die Nacht vorüber. Mit jedem Morgen wird sie geringer sein. Schließlich bleibt nichts von ihr übrig als mürrische Stämme und ernste Kronen. Von allen den frohen Stimmen behält der Wald nur einen leisen Lockton, einen rauhen Ruf. Die Blumen am Raine fallen um, die blitzenden Fliegen vergehen. Der Herbst kommt zu seinem Rechte.

Heute kämpft er noch darum, muß sich noch viel bemühen, ehe er die Farben tötet, bis kein Mensch mehr pflücken kann einen bunten Spätherbststrauß im bunten Wald.


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