Hermann Löns
Heimatliche Naturbilder - Da draußen vor dem Tore
Hermann Löns

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Der Hudeberg

In der Bergkette da hinten fällt die mittelste Kuppe am meisten auf, denn kahl ist ihr Haupt, und kein Wald verhüllt sie. Kein Turm zerschneidet den Schwung ihres runden Scheitels; keine jähe Klippe starrt aus ihrem Grün, kein schroffer Absturz gähnt an ihrem Hange, und doch springt sie unter ihren Nachbarn am meisten in die Augen. Das macht, weil ihr gewaltiger Kopf kahl ist und nur rechts und links je einen Streifen Wald aufweist, an ein Manneshaupt erinnernd, dessen Scheitel sich lichtete, während um die Schläfen noch das volle Gelock sich hielt. Zu allen Zeiten zieht dieser Berg deshalb die Augen auf sich, wintertags mit breiter, weißer Fläche oder, schmolz die Sonne den Schnee, mit der kupferroten Pracht der Buchenjugenden, im Frühling mit dem lichten Grün zwischen dem ernsten Ton der Buchenwaldung und im Vorherbst mit dem leichten Rosenschein, den das Heidekraut ihm schenkt.

Mögen die anderen Berge rechts und links ihn mit dem Brausen ihrer Waldwipfel höhnen, daß sein Scheitel gelichtet ist, es rührt ihn nicht. Er ist frei, sie sind Knechte. Er wehrte sich gegen die Aufforstung, und er wahrte sich sein altes Huderecht, das den anderen Bergen die Beforstung nahm. Und weil er sein urdeutsches Gesicht behielt, der uralten Sitte treu blieb, schmückte ihn die Sage mit manchem Strauß, weiß seltsame Dinge zu melden von ihm und dem Uhlengrunde und ließ ihm seinen alten Namen, während die Nachbarn von halbgelehrten Besserwissern mit Benennungen, aus Büchern herausgelesen, beunglückt wurden.

Mit Bergen und Hainen, die so ganz ihre alte Art behaupteten und die neuen Moden nicht mitmachten, hat es wohl immer besondere Bewandtnis. Die breite flache Kuppe des Hudeberges ist so recht geeignet, Versammlungen abzuhalten. Zu gewissen Zeiten werden die Weidebauern, die einst hier saßen, dort zusammengekommen sein, die lange Axt im Lendengurt und den Speer in der Faust, sei es, daß es galt Wode und Thor mit Opferbrand zu ehren, ein fröhliches Grenzfest zu feiern, oder aber hierher das Vieh zu flüchten und dem Feinde zu wehren, wer es auch sein mochte, den nach Lande hungerte, Römer, Thüringer oder Franke, denn allerlei Schluchten und Rinnen umziehen den Berg, gute Verstecke bildend.

Zu jenen Zeiten wird, bis auf das Dorngestrüpp an den Flanken und bis auf einzelnes Buschwerk auf seinem Scheitel, der Berg so kahl gewesen sein wie heute noch. Heute, wie damals, geht das Vieh dort noch, verbeißt die Buchenjugenden und hält den Fichtenanflug kurz, so daß es aussieht, als habe ein Gärtner der Zopfzeit hier seine Kunst ausgeübt und die Buchen und Fichten und Weißdornbüsche unter der Schere gehabt. Jahr für Jahr strebten die Bäumchen und Sträucher in die Höhe, aber Jahr für Jahr wurden sie geduckt, und so gewöhnten sie sich den Drang nach oben ab, trieben Zweig neben Zweig und wuchsen sich zu krausen Kugeln aus, den Hänflingen, Braunellen und Goldammern sichere Nistplätze bietend und treffliche Unterschlüpfe für Eidechse, Glattnatter und Waldmaus, wenn Raubwürger und Turmfalke sie bedrohen, Reinke Voß dort herumschnüffelt oder Meister Gräving, der Dachs, dort nach Untermast sticht.

Es ist ein köstliches Weilen hier auf der freien Höhe, von der die Blicke nach beiden Seiten über die bunten Berge weithin in die Lande schweifen können, hier sich an dem Silberbande des Baches zu erfreuen, dort an dem fernen Schimmer des Flusses. Und sind die Augen der Ferne müde, die Nähe bietet immer noch genug. Zwischen den seltsamen Buchenzwergen und Fichtenkrüppeln blüht aus dem heidewüchsigen Boden manches zierliche Kräutlein, an lichten Stellen die blaue Teufelskralle und an feuchten Schattenorten der goldene Waldmeyer, die Kanten der versteckten Klippen überzieht die Fetthenne mit leuchtend gelben Polstern und ihren Grund der Quendel mit streng duftendem Rasen. Allerlei buntes und blitzendes Kleinvolk schwirrt und flattert von Blüte zu Blüte, und rundumher schmettern und schlagen Baumpieper und Ammer, Braunelle und Laubvogel und aus dem Walde im Grunde kreischt laut der Häher, den Bock vor dem Wanderer warnend.

Sie sind dünn gesät hier am Berge, die Rehe, und auch der Hasen gibt es nicht viele; Hudebetrieb und Wildhege vertragen sich zusammen wie die Sonne mit der Butter, und wo das Vieh weidet und die Ziege grast, zieht sich das Reh zurück. Wohl findet man hier und da in dem Niederwalde die Betten und Plätze der Rehe oder auf einer Blöße einen Weidenstrauch oder einen Wacholderbusch, deren zerfetzter Bast den Übermut eines Bockes kündet, aber es weht für einen guten Rehstand hier am Berg eine zu scharfe Luft; der Hase, der dreimal auf demselben Passe zur Äsung rückt, läuft am vierten in den Dampf hinein, der hinter einer Krüppelfichte hervorkommt, und der Bock kann es nur bis zum Sechser bringen, wenn er keinen festen Wechsel hat und erst nach der Uhlenflucht aus der Dickung tritt. Trotz aller Förster und Gerichte spukt hier immer noch ein Rest von dem uralten Gemeinfreiheitsrecht auf Wald, Wasser, Weide und Wild.

Alles auf der Welt aber hat seine Schattenseite, und ein Berg erst recht. Aber der Sonne ist doch mehr hier als des Schattens. Wenn früh am Morgen der Tau das Gras biegt, und alle Büsche Silbergeschmeide tragen, aus den Gründen Amsel und Graudrossel singen und in beiden Tälern die Ortschaften aus dem Nebel tauchen, wandert es sich köstlich hier und nicht minder zur Mittagszeit, wenn aus blauem Himmel die Sonnenglut auf die Heide fällt und an allen Büschen die süßen Beeren reifen. Am schönsten aber ist es dort oben, wenn die Sonne zur Rüste geht, am Hange das Lachen und Kreischen der kleinen Ziegenhirten im Wald verhallt und vom Holze her des Kauzes hohler Ruf erschallt.

Seltsame Stimmen erheben sich dann, und ein eigenes Raunen kommt über den Berg, und wer genau zuhört, kann heimliche Dinge vernehmen, von den tapferen Berghirten, die sich hier der Feinde erwehrten, und von dem Leutepriester, der sich mit dem bösen Feinde herumbalgen mußte. Es gehört schon ein tapferes Herz dazu, nächtlicherweile, wenn unten im Walde der wilde Jäger sein Gejaid abhält mit Hussa und Horüdho, hier sich am Sausen und Brausen der Wälder und an der Wolkenhatz um den vollen Mond zu freuen, und heimlicher ist es am hellen Tage, wenn kein Nachtvogel fliegt und vom Hange der frohe Singsang der Kinder ertönt, die ihre Ziegen in dem Heidelbergestrüpp weiden lassen.

Seine beste Zeit aber hat der Berg, wenn die Waldfrau ihre Gaben streut, im hohen Sommer, wenn an jedem grünen Sträuchlein die schwarzen Bickbeeren glänzen und aus dem Gebüsch die roten Himbeeren leuchten, oder später im Jahre, wenn die zackigen Ranken der Brombeeren reichlich die gute Kost bieten.

Aber für große Leute allein ist es dann dort nichts: Kinder müssen dabei sein, die nach Herzenslust pflücken und schmausen und einheimsen dürfen von den blauen und roten und schwarzen Gaben, die reichlich und gern ihnen gibt der Hudeberg.


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