Hermann Löns
Heimatliche Naturbilder - Da draußen vor dem Tore
Hermann Löns

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Die letzten Blumen

Viel ist es ja nicht, was jetzt noch blüht hier draußen vor dem Tore, aber doch immer etwas. Im Frühling die erste Blume am Grabenrand, der golden Huflattich, er ist uns so viel wert, und die letzten Blumen bei Wintersanfang, des Spätsommers nachgelassenes Werk, es ist uns auch so lieb. Als alles noch bunt war da draußen und voll von Farben, da hätten wir es übersehen. Heute aber, auf dem braunen Acker, am fahlen Grabenbord, im dürren Fallaub, sehen unsere Augen dankbar danach hin.

Wenn es auch Unkraut ist, wenn es auch Schuttpflanzen sind, die da noch blühen, oder kümmerliche Spätlinge, mager und dürftig, oder einer Nutzpflanze Blüte, es lacht uns doch an, alles, was jetzt noch blüht und wir lächeln ihr freundlich zu in dieser Welt voll Tod und Schlaf. Wir gehen mit der Hungerhark über das Land, wir Armen, und sind froh über die Reste, die uns der Sommer ließ, der reiche Mann.

Wer fleißig ist, wer sich bücken kann und Augen hat, der kann heute noch einen bunten Strauß mitbringen. Nicht ein so helles, frisches, leuchtendes Bündel wie im Frühling, kein so stolzes, vielfarbiges, prangendes Gebinde wie im Sommer, aber doch einen Blumenstrauß, wie er für des Jahres Greisentum paßt. Auch von unserem eigenen Leben verlangen wir ja nicht mehr so viel Freuden, wenn wir in den Winter hinein gewachsen sind.

Eins ist so sonderbar bei den Gewächsen, die unter der Sense des Frostes noch blühen. Es sind so viele dabei, die im ersten Frühling blühen und jetzt noch einmal, vor dem Tode, ihre letzte Kraft in bunten Blumen ausströmen.

Im Rasen leuchtet eine goldene Kettenblume. Und da noch eine und drüben die dritte und dort noch mehr, zwanzig, dreißig kleine goldene Sonnen zwischen den braunen Lindenblättern, die der Wind dahin warf. Wenn die Maisonne lacht, dann ist ihre Blütezeit. Wenn Apfelblütenblätterschneegestöber in das junge Gras fällt und die Finken schlagen, dann sitzen die kleinen Mädchen im Grase mit ernsten Gesichtern, den Schoß gehäuft voll der goldenen Blumen mit den langen Röhrenstielen, aus denen weißer, bitterer Saft tropft. Mit spitzen Fingern köpfen sie die Blumen, schieben die Stielenden ineinander und machen sich wunderschöne Ketten und Ohrgehänge davon.

Aber alles hat seine Zeit. Das kleine Mädel da, das an der Hand seiner Mutter dahinmarschiert, sieht die Blumen nicht und denkt nicht daran, davon Ketten zu machen. Das paßt nicht für diese Jahreszeit. Kinder haben ein feines Gefühl für so etwas. Mag die Sonne auch noch so warm scheinen, sie würden niemals im Winter Kreisel spielen. Erst, wenn der Mensch erwachsen ist, trägt er Märzveilchen im Januar und läßt sich Kirschen von der Riviera kommen.

Andere Blumen gibt es, die blühen immer, vom ersten Frühling bis zum Schneefall. Aber das ist meist gewöhnliches Volk, das nicht weiß, was sich schickt. Da sind rote und weiße Taubnesseln, Stinkstorchschnabel und Reiherschnabel, Vogelmiere und Kreuzkraut, Hirtentäschel und Ackerdistel und irgend solch gemeines Habichtskraut oder ein gewöhnlicher Milchlattich.

Mit dem Gänseblümchen hat es aber eine andere Bewandtnis. Im Frühling findet man es blühend, es blüht den ganzen Sommer und den Herbst über, und eben, daß im Winter die Sonne den Schnee fort taut, dann ist es wieder da. Es hat so viel Freude an der Sonne und so viel Dankbarkeit für sie, das kleine bescheidene Ding, und darum blüht es. Die anderen aber blühen, weil es ihnen so gut geht auf ihrem Schutt und Dünger.

Andere aber wieder blühen, weil sie den Sommer nicht dazu kamen. Da stand das Grünfutter zu dicht und die Kartoffeln bollwerkten zu sehr. Jetzt, da sie fort sind, holen sie nach, was sie versäumen mußten. Und darum ist die Brache so voll von blauen Kornblumen und der verfahrene Acker so bunt von rotem Mohn.

Wieder andere hätten blühen können, wenn nicht die Sense sie geduckt hätte. Die schlug ihnen die Knospen ab, der weißen Schafgarbe, dem goldenen Hahnenfuß und der saftigen Dotterblume. Lange siechten sie und kränkelten, aber sie hielten es durch und brachten es doch zu einer Blüte in letzter Stunde.

So aber, wie der böse Hederich, so blühen sie nicht. Wie ist man dem zu Leibe gegangen! Bündelweise wurde er ausgerauft, zertreten und zertrampelt. Aber immer kam er wieder, und wo im Sommer nichts mehr von ihm übrig, zu sehen war, da färbt er jetzt wieder alles goldgelb. Der vergeht nicht, er gehört ja auch zum Unkraut.

Böse kann man ihm aber nicht sein. Er bringt doch Leben in die toten Farben des Feldes und Sonne in die frostigen Töne, und ohne ihn wäre es zu traurig jetzt auf den Äckern.

Unkraut ist fast alles, was man jetzt pflückt, oder dürftiges, ärmliches Zeug. Je später es wird in der Zeit, um so bescheidener wird der Mensch. Und so freut er sich der blühenden Unkräuter, sind es doch die letzten Blumen.


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