Hermann Löns
Das zweite Gesicht
Hermann Löns

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Die Sektflasche

Als die alte Kastenuhr auf dem Vorplatze zwölf Male geschlagen hatte, kam etwas über die Straße getaumelt, wankte bald auf dem Fahrdamm, bald auf dem Bürgersteige umher, rannte fast den Laternenpfahl um, der vor Helmold Hagenrieders Hause stand, schob sich an der Mauer entlang, kehrte nach einer Weile um, sah nach den Hausnummern und Namenschildern, fand sich wieder zu dem Hause mit der Laterne vor der Türe hin, tippte sich vor den Kopf, murmelte etwas, langte in die Tasche, suchte mühsam darin umher, brachte einen Schlüssel zum Vorschein, besah ihn genau, steckte ihn wieder ein, fand endlich den richtigen, schloß die Haustür auf und trat ein.

Die Hunde im Gange knurrten, als es bei ihnen vorüberschlich, aber wach wurden sie nicht. So konnte es mit dem Drücker, den es aus der Tasche nahm, die Türe des Windfanges aufmachen. Es trat ein, klinkte die Türe des Eßzimmers auf, schlug den Vorhang zum Nebenzimmer zurück, schlich sich hinein, wobei es gegen eine Truhe anlief und sich das eine seiner Beinchen so stieß, daß es zurückprallte, sich umdrehte und mit dem dicken Bäuchlein, das gleich unter dem Halse anfing, gegen den Nähtisch stieß, daß es krachte. Aber nun hatte es auch, was es wollte; denn es zog die Schieblade auf und suchte so lange in den Fächern umher, bis es ein Stück Kreide fand.

Damit malte es eine gewaltige Sektflasche auf die Flügeltür, holte ein Messer aus der Tasche, klappte den Schampagnerhaken auf, setzte ihn an den Stöpsel der Flasche, brach die Drahtverschlüsse auf, und buff flog der Kork heraus. Schäumend stieg der heitere Trank aus der Mündung, lief über, floß auf den Fußboden, quoll unter den Türen durch in die Schlafzimmer, in die Küche, in das Kinderzimmer, auf die Veranda, über den Vorplatz, tropfte die Treppenstufen hinunter, geriet in den Gang und von da in den Garten, erfüllte die Malwerkstatt, die an dessen Ende lag, kehrte wieder um, hüpfte die Treppe empor und krabbelte sogar in die Mädchenkammer. Als nun das ganze Haus nach Sekt roch, suchte der Eindringling mühsam den Pfropfen auf, quälte ihn ächzend in den Flaschenhals hinein, band ihn mit zwei Kreidestrichen, die er übereinanderbog, fest, löschte die Flasche von der Türe weg und stahl sich kichernd wieder aus dem Hause heraus.

Um sechs Uhr in der Frühe sprang die hübsche Dienstmagd trällernd die Treppe hinunter und ließ die Hunde auf die Straße, und die stellten sich ganz übermütig an. Dann erschien das Kindermädchen und summte ein fröhliches Liedchen vor sich hin. Um sieben kam die Hausfrau heiteren Angesichts aus dem oberen Stocke und hinter ihr ihr Mann, eine kecke Weise durch die Zähne flötend, und nun gab es im Kinderzimmer ein großes Lachen und Quieken. Als dann die ganze Familie am Kaffeetische saß, auf dem ein knallbunter Blumenstrauß stand, wurden die Vorhänge aufgeschlagen, und mit einem Lächeln, so freundlich wie die Sonne, die durch die offene Treppentür in die Veranda schien, trat Swaantje in ihrem weißen Kleide ein, küßte die Hausfrau und die Kinder und gab ihrem Vetter die Hand. Als der brummigen Gesichtes, aber mit lustigen Augen sagte: »Mich auch Kuß haben!« bekam er einen auf die Backe, sagte: »Ah!«, strich sich den Magen, und alle lachten.

Es wurde viel gelacht bei Tische und nachher auch; denn als Swaantje hinter Helmold, der ihr seine neuen Bilder zeigen wollte, die Gartentreppe hinunterging, rief Frau Grete, die gesehen hatte, daß es über Nacht schwer getaut hatte, ihr besorgt nach: »Mach dich nicht naß!«, worauf das Mädchen sich entsetzt umsah und entrüstet ausrief: »Aber Greete!« Nun hallte der ganze Garten von Gelächter, und Swaantje nahm ihre Röcke zusammen und huschte in die Werkstatt. Dort aber vergaß sie das Lachen; sie ließ die Hände an den Hüften herabhängen, hob sie dann langsam wieder hoch, schlug sie vor der Brust ineinander, seufzte tief auf, wandte sich nach ihrem Vetter hin und flüsterte: »O, das ist ja wundervoll, lieber Helmold; das ist das Schönste, was du bisher gemalt hast«. Sie nahm seine Hand in ihre beiden Hände, drückte sie und sagte: »Ich danke dir viele Male, und ich bin sehr stolz auf dich!«

Der Maler betrachtete mit zugekniffenen Augen das Bild und lächelte. Es war von gewaltigem Umfange und stellte mehrere hünenhafte, unbekleidete Männer dar, die auf Tod und Leben mit bunten Tigertieren rangen. Die hell und dunkel gestreiften Körper der Riesenkatzen, die nackten Menschenleiber mit den bis auf das höchste angespannten, durch helle Lichter und dumpfe Schatten betonten Muskeln, das zertretene Gras, die wirbelnden Staubwolken, von schräg fallenden Sonnenstrahlen geteilt, das war eine Menge von scharfen Gegensätzen, die eine reife Anschauung durch einen starken Willen zu einer einheitlichen Wirkung zusammengefügt hatte.

Swaantje hatte sich in den bequemen Ledersessel gleiten lassen, stützte ihre schmalen Schuhe, über denen das weiße Kleid ein Stück der seidenen Strümpfe sehen ließ, auf eine mächtige Elchschaufel, die als Fußbank diente, und vergrub sich ganz in die Stimmung, die von dem Gemälde ausging. Helmold stand am Fenster und freute sich über den stolzen Schnitt ihres Gesichtes, über den bescheidenen Glanz, der auf ihrem aschenblonden Haare lag, über die vornehme Sprache ihres Unterarmes und fand, daß ihre Hände zu klein waren, und der unentschlossene Zug, der sich darin ausprägte, paßte schlecht zu der ganzen Erscheinung des Mädchens. Auch sah er, daß ihr Gesicht zu durchgeistigt war, und mit Betrübnis entdeckte er hinter ihren Mundwinkeln eine Falte, die er dort nicht haben wollte.

Aber da fing Swaantje zu sprechen an: »Weißt du, Helmold, was ich mir bei dem Bilde denke? Ich ginge unter den Rabenbergen her, wenn die Abendsonne darauf liegt. Dann sieht es dort genau so aus.« Ihr Vetter machte ein ganz ernstes Gesicht. Dann zeigte er auf das Bild und sagte: »Vorgestern war Frau Jucunda Othen-Othen hier, du weißt doch, die berühmte Kunstgewerblerin, um nicht zu sagen, die berüchtigte Eklektikerin, besser wohl Ekleptikerin. Sie rauschte mir hier mit ihren gräßlichen seidenen Unterröcken herum; schauderhaft, dies Seidenpapiergeraschel!, tat so, als interessiere sie sich für Kunst, wollte natürlich nur Technik schinden und Motive klauen; na, und als sie das Bild sah, steckte sie ihre Nase unter das Lorgnon, machte ihr überlegenstes Gänsegesicht und fragte: »Was soll denn das bedeuten, Herr Hagenrieder?« »Abendsonne auf der Haide, gnädige Frau,« sagte ich. Die Miene, die sie da aufsteckte, war zum Heulen, sage ich dir. Sie glaubte, ich wollte sie uzen. Na, das wollte ich ja auch wohl, denn sonst hätte ich ihr nicht die blanke Wahrheit gesagt. Das ist in manchen Fällen die höchste Raffiniertheit. Bismarck, der verstand sich großartig darauf.«

Er warf die blonde Stirnlocke zurück. »Weißt du, die habe ich den Tag erst klug und dann wieder dumm gequatscht. ›Ja,‹ sagte ich zu ihr, ›wenn man den Eindruck einer Landschaft gänzlich falsch wiedergeben will, tut man am besten, sie zu porträtieren, vorausgesetzt, daß sie stille sitzt und nicht alle fünf Bierminuten ein anderes Beleuchtungsgesicht schneidet. Das tun die meisten sogenannten Landschafter, oder besser gesagt, Landschaftsschuster, und darum hängt überall so viel Schauderschund herum.‹ Sie machte ein Gesicht wie eine Meerkatze, die niesen muß. ›Ja,‹ sagte ich dann, ›wenn man das aber nicht will, dann muß man eben durch ganz etwas anderes sein Ziel zu erreichen suchen, oder vielmehr, man muß warten, bis das von selber kommt, denn mit Überlegung, Verstand und anderen billigen Malmitteln kommt man doch zu nichts.‹ Mit einem Male fuhr sie mir dazwischen: ›Danach müßten Sie ja einen Menschen durch eine Landschaft wiedergeben!‹ Ich nickte und bewies ihr das so scharf, daß sie ganz begossen dastand, und da fragte sie: ›Wie würden Sie denn den Eindruck wiedergeben, den ich auf Sie mache?‹ Und da sagte ich zu ihr: ›Gnä' Frau, Sie haben doch schon gesehen, wenn bei windstillem Wetter auf einmal die Luft küsselt und Papier, Stroh, Blätter und Staub umeinander dreht und mit nach Hause nimmt, eine der lieblichsten Erscheinungen in der Natur, so flüchtig, so lustig, so entzückend vergänglich. So kommen Sie mir vor.‹«

Er lachte unbändig und Swaantje ließ ihre Fröhlichkeit dazwischen läuten. »Was hat sie denn darauf gesagt?« forschte sie. »Gar nichts,« antwortete ihr Vetter. »Erst hat sie ein fuchtiges Gesicht gemacht und mit einem Male wurde sie wie Margarine; ich konnte sie hinschmieren, wo ich sie hinhaben wollte. Aber ich mache mir aus Kunstbutter nichts; lieber schon Schmalz. Unsere Luise ist mir dreimal so lieb, als diese Donnja. Sie macht in Kunstgewerbe, wie andere in Heringen oder Flanell.« Er sah Swaantje an: »Weißt du, was ich malen würde, um den Eindruck wiederzugeben, den du auf mich machst? Weiße Haide, aber Sandhaide!«

Das Mädchen fuhr in die Höhe: »Aber weiße Haide bedeutet doch Unglück! Wirke ich so auf dich?« Er schüttelte den Kopf: »Im Gegenteil! Und warum bedeutet weiße Haide Unglück? Weil sie zu der Zeit, da unser ureigenes Wesen von der wälschfränkischen Vergewaltigung noch nicht vermanscht war, eine Glücksblume war, was sie in England heute noch ist und ebenso in der Haide. Der Freitag war der Tag der Frigge, der Friggetag, der Glückstag; an ihm wurden die Ehen geschlossen, und unsere Haidbauern heiraten heute noch möglichst an diesem Tage. Die Dreizehn war die heilige Zahl und die Sieben auch; unsere Ahnen liebten nichts, was aufging, denn damit hörte es auf, ein Problem zu sein. Aber die Taktik der karolingischen Mönche verkehrte alles das ins Gegenteil; der brave Deutsche fiel darauf hinein und gab sein naturfreudiges Wesen gegen eine asiatische Naturentfremdung auf. Und daher unser tiefes, weites und hohes Unverständnis für alles, was Kunst heißt.«

Er schob das Bild, das auf einer Rollstaffelei stand, zur Seite und sagte: »Bitte, setz dich einmal da hin, nein, da rechts von der Tür!« Dann zog er den goldbraunen Vorhang zurück, der die Hinterwand des Raumes verhüllte, und ein anderes Gemälde wurde sichtbar, doch nur in seinen großen Umrissen, da das Oberlicht abgeblendet war, und auch dem Seitenlichte war durch Vorhänge der Zutritt verwehrt. Das Mädchen richtete sich in dem Sessel auf, beugte sich vor, öffnete ihre Augen ganz weit und fragte verwundert: »Seit wann malst du denn Dolomiten, Helmold? Du sagtest doch, bloß die Haide könne dir zur visionären Erscheinung werden? Aber dieses Bild gibt ganz und gar die Geheimnisse der Sellagruppe wieder. Das heißt, so ganz verstehe ich es doch nicht.«

Der Maler lächelte, zog erst die Vorhänge von dem Seitenlichte fort und machte dann dem Oberlichte Platz, und da sprang Swaantje auf, brach in ein helles Jubellachen aus und rief: »Nein, nein, Helmold, du bist ja ein Zauberer! Das ist ja, ja das ist ja der Kreuzestod Christi!« Sie schüttelte den Kopf, bewegte die Lippen, als wenn sie etwas sagen wollte, und dann ließ sie sich wieder in den Sessel fallen, lehnte den Kopf gegen die alte Stickerei, die darüber hing, blendete sich mit den Händen das Ober- und das Seitenlicht ab und flüsterte: »Die Sella und die Kreuzigung; wie geheimnisvoll! Helmold, wo ist die Lösung?«

»Ja, Swaantje,« antwortete er und ein bißchen Selbstverspottung lag in seiner Stimme; »ja, ich sage: ich will dies, und hinter mir steht wer und sagt: ›du sollst das!‹ Sieh mal, die Sellagruppe hat damals auf mich den selben blödsinnigen Eindruck gemacht, wie auf dich, aber mein bewußtes Ich sagte mir: du hast doch weiter nichts davon, als daß du durch die Komplementärwirkung zu einem tieferen Verständnis deiner Heimlandschaft kommst. Niemals habe ich daran gedacht, Dolomiten zu malen. Als ich dann eines Abends bei Hennecke saß, kam die Rede auf den Verlust der Überlieferung in der bildenden Kunst und auf das Effekthaschen und Sensationsmachen in der Wahl der Stoffe, und da sagte der Prinz: ›Der Staat müßte einmal zehn Jahre lang verbieten, daß etwas anderes gemalt würde als Kreuzigungen; dann würde man bald sehen, wer wirklich etwas kann.‹ Dieses Wort juckte mich so lange, bis ich mir eines Tages sagte: So, jetzt wird eine Kreuzigung gemalt, damit du endlich Ruhe hast. Ja Kuchen: Als ich den Schaden besah, stand die schöne Frau Sella neben mir, machte mir eine lange Nase, knixte und sagte: Schau, da hast du mich doch malen müssen, ätsch! Na, und so war es; der lange schwarze Mann im Vordergrunde wirkt als tiefe schmale Schlucht, die anderen Figuren und die Längsbalken der Kreuze geben die senkrechten, die Querbalken und die Arme der Gerichteten die wagerechten Linien der Sellaarchitektur wieder, und so hatte ich Dolomiten gemalt und keinen Dunst davon gehabt. Ja, bei uns muß es wohl heißen: suchet nicht, so werdet ihr finden.«

Das Mädchen nickte ernsthaft. »Ja,« meinte sie dann, »Kunst und Glaube sind zweierlei.« Ihr Vetter schüttelte den Kopf. »Nein, Swaantje, sie sind dasselbe, und deshalb sind alle wahren Künstler gottlose Menschen in landläufigem Sinne. Sie suchen Gott nicht; sie haben ihn in sich; ihn oder den Ungott.«

Er drehte sich eine Zigarette, zündete sie an und blies den Rauch weit von sich, schob das Bild zur Seite, verhüllte es und desgleichen das andere Gemälde und machte die Tür zu dem Nebengemache auf. Das Mädchen stieß einen Laut aus, halb Seufzer, halb Schrei und sprang auf, die Hand auf dem Herzen und mit weit aufgerissenen Augen nach dem Gemälde starrend, das hinter dem Türloche stand. Als der Maler, den ihr jähes Erbleichen erschreckt hatte, neben sie trat, umklammerte sie seinen Arm, und er fühlte, wie ihr Herz zitterte, und er sah, wie ihr der Atem hastig über die Lippen sprang. Er warf ebenfalls seine Augen auf das Bild, und da erschrak auch er, denn einen so gemeinen Ausdruck hatte er noch nie in den Augen des Weibes gesehen, das er da gemalt hatte.

»Chali,« flüsterte es an seiner Schulter, und er murmelte: »Das ist es! Ich habe gedacht, es gibt keinen Namen dafür, aber du hast sofort den einzig möglichen dafür gefunden. Das böse Prinzip des Weibes.« Sie ließ sich, wie vor Erschöpfung, in den Sessel gleiten, und fragte, immer das Bild anstarrend: »Wirst du es mir sagen?« Er nickte. »Ja, Kind, gern, soweit es sich um den äußeren Anstoß dazu handelt. Du weißt ja, wie der Prinz ist. Eines Tages kommt er hier angeautobt und stellt mir eine kostbare Schüssel vor die Nase, in der auf bleichem Moose dreißig unheimliche Blumen lagen und mich auf ganz hundsgemeine Weise anschielten. Ich machte ein dummes Gesicht und fragte: ›Bist du auf dem Mars gewesen?‹ Denn in meinem Leben hatte ich solche Satansblumen noch nicht gesehen. Da lachte er und sagte, es wären Stapelien, Kusinen von den Kakteen, und sie wären aus seinem Treibhause, und er kritzelt mir eine argentinische Stapelienlandschaft in das Skizzenbuch.«

Er holte tief Atem und fuhr fort. »Den ganzen Tag war ich zu nichts zu gebrauchen. Wie ein Affe saß ich da und sah diese niederträchtigen Blumen an, diese Katerideen von Blumen, diese Antiblumen oder was weiß ich. Ein Vierteljahr war ich ganz elend. Erst dachte ich, es wäre die Grippe, nahm Dampfbäder, ließ mich massieren und trank Grog. Dann hielt ich es für einen Darmkatarrh, trank Boonekamp und ließ mir heiße Pottdeckel auf den Magen legen, wenn ich zu Bett ging. Dann wieder schien es mir Nervenüberreizung zu sein; ich aß Sanatogen, schluckte Hämatogen, verkniff mir den Tabak, den Kaffee und den Wein, trank abends Fliedertee und morgens Brombeerblätteraufguß und wurde immer elender, bis ich mich auf einmal benahm, wie ein Brunnendelphin, der abends vorher zu viel Bier getrunken hat. Darauf schlief ich drei Tage, und dann malte ich das Bild aus dem Handgelenk in acht Tagen und war kreuzfidel, als ich es hinter mir hatte, denn mir fehlte gar nichts, mir hatte nur das scheußliche Bild verquer im Leibe gesessen, ein Meter vierzig zu eins zwanzig. Aber sieh es dir einmal genau an!«

Swaantje stand auf, doch sie zögerte noch. Sie sah den schweren, klobigen, in den massigen Formen der sumerischen Bauweise gehaltenen, reich geschnitzten, mit buntem Glasflusse ausgelegten und mit goldenen und silbernen Ziernägeln beschlagenen Rahmen und dann das unheimliche nackte Weib an, das vor einem unglaublich klaren und grundlosen Wasser, das eine unbekannte Farbe hatte und von der Abendsonne eiterrote Glanzlichter bekam, auf der Seite lag, die brutalen Knie gegen den üppigen Leib gezogen, den stützenden Arm halb überschüttet von einem Sturzbache straffen Haares von einer rohen roten Farbe, und das sie mit seelenlosen Tigeraugen ansah, ebenso schrecklich, wie die unheimlichen großen Blumen, die an den starren Stämmen hinter ihrem Rücken hingen, aber auch ebenso schön, Chali, die Göttin des unblutigen Meuchelmordes, das greuliche Geheimnis des bengalischen Bambusdickichts.

Langsam ging sie darauf zu und sah, daß das Weib keine Tigeraugen, sondern Menschenaugen hatte, doch mit dem Blicke des Tigers, oder vielmehr, mit gar keinem Blicke, aber dadurch wirkten sie gerade so tigerhaft. Als sie noch näher kam, nahmen ihre Züge den Ausdruck kindlicher Neugier und einer dummen Verwunderung an, denn das Bild war auf Holz gemalt und der Leib des Weibes war nicht gemalt, sondern ausgespart, so daß überall die Maserung und hier und da ein Astfleck zu sehen war. Der Gesamteindruck war aber so mächtig, daß diese Dinge vor ihm völlig zurückgingen.

Helmold, der hinter sie getreten war, nickte ihr zu und sagte: »Ja, ja, es ist wunderlich, was man nicht alles macht, wenn man so dumm dahertollpatscht. Warum habe ich das auf Holz gemalt und nicht auf Leinwand? Im allgemeinen male ich nicht gern auf Holz, und wenn schon, so kleine Bilder. Aber dieses mußte ich auf Holz malen, scheinbar, weil das Brett gerade da stand, in Wirklichkeit aber, weil dieses Weib nicht gemalt, sondern ausgespart werden mußte. Es verkörpert das negative Prinzip des weiblichen Wesens, konnte also am besten durch eine Negativität wiedergegeben werden. So ist es auch im Leben; das Schlechte, das Unheimliche, das Gemeine: tritt dicht davor, und siehe, es ist ein Nichts, es ist Holz, dumm gemasert und mit Kienstellen durchsetzt. Ein wirkliches Weib, ein Weib von Herz und Gemüt, von Fleisch und Blut, das hat nicht hier mitten auf dem Bauche einen Leberfleck aus Kien und auf der Kalipygie eine Maserung, soweit meine geringen Erfahrungen auf diesem interessanten, aber schwierigen Gebiete reichen.«

Er zog den Vorhang zu, nahm Swaantje um die Mitte, führte sie zu dem Ruhebett, stellte einen alten Bauernteller mit Äpfeln und eine Dose mit Biskuit vor sie hin und nötigte zum Zulangen: »Iß, Mädchen, desto eher wirst du elend! Und hier sind auch Nüsse.« Swaantje nahm eine, steckte sie dem wunderlichen Nußknacker in das Maul, zerbrach sie und rief dann: »O, ein Vielliebchen! Wer ißt es mit mir?« Ihr Vetter hielt die Hand auf. »Dir zuliebe tue ich alles,« lachte er; »sonst esse ich nur Nüsse, wenn sie mir einer kaut, aber das will keiner. Wenn man nämlich nicht aufpaßt, kaut man acht Tage lang an einer Nuß herum.« Er steckte die Nuß in den Mund, schluckte und sagte, indem er auf seine Weste zeigte: »Es geht auch ohne die alte Kauerei,« Da lernte Swaantje das Lachen wieder und vergaß das unheimliche Bild und den entsetzten Blick, den Helmold darauf geworfen hatte. Dann zeigte er ihr einige Porträts und eine Anzahl von den Studien, die er zu Hunderten in den Schiebladen der großen Schränke liegen hatte, schwatzte Kraut und Rüben durcheinander und hetzte einen Witz hinter dem anderen her, bis sie vor Lachen nasse Augen bekam und ihn händeringend bat, aufzuhören: »Denn ich habe nur ein Zwerchfell, Helmold, und das ist schon dreimal gestopft!«

Sie kuschelte sich bequem auf das Ruhebett hin, biß in einen Apfel und sah zu, wie er überall herumkramte, und ihr allerlei zeigte, das bravste Gehörn von dem letzten Jahre, eine Pfeilspitze aus Feuerstein, die er in der Haide gefunden hatte, eine alte Schnapsflasche mit einem himmelblauen Vogel Phönix darauf und der Inschrift: »So wie der Fönix der Flamme entspringt, so meine Liebe zu dir hin dringt« und ähnliche Seltsamkeiten, die er bei seinen Jagdfahrten in den Dörfern aufgegabelt hatte. Dann, als er eine Schieblade aus einem grell gestrichenen Schranke zog, rief er: »Holla! Beinahe vergessen!« Er langte ein Kästchen heraus, machte es auf, nahm etwas heraus und drückte es dem Mädchen in die Hand. Es war eine Fibel aus dickem, gerieftem Silberdraht, aus zwei engen Spiralen gebildet, deren jede einen prachtvoll gebräunten Hirschhaken umschloß. »Da!« sagte er, »als Dank für diesen schönen Morgen!«

Sie errötete und klatschte in die Hände: »Wie entzückend! So eine fehlte mir gerade. Die hast du doch selbst entworfen? Und wie reizend von dir, mir die zu schenken, mit den prachtvollen, Kufen darin!«

Sie drehte das Schmuckstück hin und her, nahm die Pfeilspitze von Flintstein von dem Tischchen, hielt beide Gegenstände aneinander und sagte: »Die gehörten einmal zusammen, paß auf: der alte Oberpriester war voller Wut, denn seine Tochter, Loide hieß sie, sah Wuni gern; aber der war ihrem Vater ein Gräuel, weil er die Kunst, Waffen und Geräte aus Metall zu schmieden, aus der Fremde mitgebracht hatte und deshalb der Priesterschaft als gottloser Mensch galt. Nun war noch jemand da, der die schöne Loide liebte; Ulahu hieß er, und war ihrem Vater genehm, dieweil er ein Steinschmied war und jede Neuerung haßte. Aber Wuni war stark und Ulahu schwach, und da sprach der Oberpriester, Krwo hieß er: »Der Rabe jagt dem Adler den Fraß ab, obwohl dieser siebenmal so stark ist.« Ulahu merkte sich diese Rede, und als er Loide einmal in das Haus ihres Vaters eintreten sah, mit flammenden Augen, brennenden Wangen und glühenden Lippen, und bemerkte, daß ihr Kleid vor der Brust mit einer silbernen Fibel, in der zwei Hirschhaken befestigt waren, geschlossen war, da ging er zu seiner Hütte, weinte, nahm den Eibenbogen und drei Pfeile zur Hand und schlich Wuni nach, als er in der Frühe auf Jagd ging, und schoß ihm den Pfeil von hinten durch das Herz, daß er sterben mußte. Ulahu aber freite Loide, doch am Morgen nach der Hochzeit lag er tot in seiner Hütte; Loide aber war verschwunden, und wenn die Nachtschwalbe rief, sagten die Mädchen: »Da schreit Loide nach Wuni.«

Während sie so sprach, verhärteten sich ihre Augen, so daß es Helmold, der ihr anfangs mit vieler Freude zugehört hatte, erschien, sie hätten ein wenig von dem, was die Augen der Chali aufwiesen, und sein Herz kehrte sich um. Doch er jagte die graue Fledermaus, die auf ihn zuflog, mit einer heftigen Bewegung fort, nickte, lächelte und sagte: »Das ist sehr schön, Swaantje, und du wirst das aufschreiben und mir als Gegengeschenk verehren. Du solltest überhaupt deine Gesichte zu Papier bringen. Ich habe es schon oft gedacht: Du bist eine Künstlerin! Und wem eine Gabe ward, der soll ihrer pflegen, sonst bleibt er unfroh sein Leben lang.«

Doch als er das gesagt hatte, schüttelte er in sich darüber den Kopf, denn er glaubte nicht an eine künstlerische Begabung des Weibes. Er hatte, als er einst einer schönen Frau, die acht gesunde Kinder besaß, einen Spruch in ihr Gästebuch schreiben sollte, folgendes eingetragen: »Der größte Künstler ist klein gegen eine Mutter; denn er kann keinen Menschen von Fleisch und Blut schaffen.«

Während er nun Swaantje freundlich ansah, besah er ihr Gesicht genau und dachte: »Ihr ganzes Wesen ist weiblich, aber ihr Geist ist männlicher Art. Am Ende ist sie kein völliges Weib; das wäre ein Jammer, denn dann wird sie das wahre Glück nie kennen lernen. Denn die Liebe ist alles, und das andere ist nichts.«

Da kam Swaan angelaufen und rief: »Väterchen und Muhme Swaantje, ihr möchtet zum Essen kommen, aber schnell, sonst wird der Braten kalt!« Stolz setzte er hinzu: »Es gibt Birkhahn, den Vater geschossen hat.« Sweenechien aber, die hinter ihm hergetappelt war, rief: »Und Flammerie! Hast du das auch geschossen?« Da lachte Swaan sie aus und Helmold und Swaantje auch; unter viel Lachen und Scherzen ging es in die Veranda, wo Frau Grete sie mit den Worten empfing: »Was ist das bloß heute? Alles im Hause lacht in einem fort! Die Mädchen sind aus Rand und Band und ihr auch. Der Sekt kann doch nicht nachspuken?«

Das schien aber doch so, denn es blieb bei dem Lachen. Helmold lachte, wenn er zu Bett ging, und er lachte, wenn er aufstand. Die Arbeit flog ihm nur so von der Hand, und während der Pinsel bald langsam und vorsichtig, bald schnell und sorglos über die Leinwand ging, sang und pfiff er, daß man es über den ganzen Garten bis in das Haus hören konnte.

Wenn aber aus der Werkstatt kein Singen und Pfeifen kam, so wußte Grete, daß Swaantje dort war. Die saß dann in einem der großen Sessel und arbeitete an einer Stickerei oder lag auf dem Ruhebett, sah ihrem Vetter zu und freute sich an seinen schnellen und doch so sicheren Bewegungen, an seiner frohen Laune und seiner Urwüchsigkeit; denn wenn er mitten in der Arbeit war, vergaß er alles um sich, und konnte, fuhr er einmal gegen einen Baum, mit den saftigsten Ausdrücken um sich werfen, und Swaantje rief dann wehklagend: »Aber Herr Hagenrieder, ich bin eine deutsche Jungfrau!« Wenn er dann sagte: »Leider! vergaßen sie zu bemerken, mein allergnädigstes Fräulein«, dann lachte sie.

Einmal wäre ihm beinahe die Antwort entwischt: »An mir liegt es wahrhaftig nicht«, doch er packte rechtzeitig den schlechten Witz noch am Nackenfell, denn es war ihm wirklich nur Spaß damit gewesen.

Mehr als einmal sagte er zu seiner Frau: »Es ist nun an der Zeit, daß Swaantje heiratet; sie bekommt sonst noch Druckstellen.«

 


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