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Akedysseril

An einem Abend in längst vergangenen Tagen lag Benares, die heilige Stadt, veilchenfarben auf dem Grund eines golddurchleuchteten Nebels. Auf den westlich gelegenen Höhenzügen bewegten sich die bläulichen, von der Abendsonne vergoldeten Umrisse der großen Dattelwälder über den Tälern von Habad. An den gegenüberliegenden Abhängen unterschied man in der Dämmerung geheimnisvolle Paläste, dazwischen Rosenhaine, in denen Tausende von Blütenkelchen sich in der leichten Brise bewegten. Da stiegen Springbrunnen auf, deren Wasserstrahlen wie Schneeflocken zurückfielen.

Mitten in der Vorstadt Secrolis erhob sich der Wischnutempel, dessen mächtige Säulengänge die Stadt beherrschten. Seine reich mit Gold verzierten Tore warfen den Schein des Abendrotes zurück. Der Tempel war von den Hundertsechsundneunzig weißmarmornen Heiligtümern der Devas umgeben; ihre Stufen umspülten die Wellen des Ganges, während die getriebene Arbeit ihrer Zinnen sich in den purpurglühenden, langsam dahinziehenden Wolken verlor.

Das strahlende Wasser schlummerte unter den heiligen Ufermauern. In der Ferne tauchten lichtschimmernde Segel auf, und längs des herrlichen Flusses erstreckte sich das Bild der Stadt in unregelmäßiger orientalischer Schönheit. Alleen erhoben sich terrassenförmig eine über die andere; zahllose Häuser mit weißen Kuppeln und viele Monumente zeichneten sich in der Abendstimmung ab, man sah bis zu den Vierteln der Parsen hinüber, wo die Pyramide von Siwas Boten Wissikhor wie in feuriger Lohe zu glühen schien. Ganz in der Ferne sah man die kreisförmige Allee der Brunnen, die unendlichen Kasernen der Soldaten, die Basare des Handelsviertels und endlich die Türme der Zitadellen, die schon unter der Herrschaft des Wiswamithra erbaut waren.

Am äußersten Horizont unterschied man seltsame, formlose Götzenbilder, die aus den felsigen Spitzen der Berge von Habad herausgehauen in eherner Unbeweglichkeit dort thronen. Viele dieser Steinbilder hielten in der weit über den schwindelnden Abgrund ausgestreckten Hand eine Lotosblume; ihr starres, unbewegliches Dasein schien den ganzen Raum zu erfüllen und wie ein Alp auf den Lebenden zu lasten.

An diesem Abende jedoch herrschte in Benares eine festliche Aufregung, die einen seltsamen Gegensatz zu der feierlichen Stille bildete, welche sonst abends über der Stadt ruhte. Die Straßen, die öffentlichen Plätze, die Alleen, die Vorhöfe, die sandigen Abhänge der beiden Ufer waren von einer freudig bewegten Menge erfüllt, denn die Wächter des heiligen Turmes hatten soeben mit ihren bronzenen Schlägern ein Zeichen auf ihren Gongs gegeben, das wie Donnergeräusch über die Stadt rollte. Dieses Signal verkündete die Rückkehr von Adedysseril, der jungen Königin, der Besiegerin der beiden Könige von Agra – der schlanken Witwe mit der schneeigen Haut und den funkelnden Augen, der Herrscherin, deren golddurchwirktes Gewand noch vom Trauerschleier umhüllt war und die bei der Belagerung von Elephanta durch ihren Heldenmut das ganze Heer mit Begeisterung entflammt hatte.

*   *   *

Akedysseril war die Tochter eines Hirten, Gwalior. Als das junge Mädchen an einem Herbstnachmittage in einem Tale in der Umgegend von Benares ihre Füße in dem Wasser einer Quelle badete, hatten gütige Dämonen ihr einen Auerochsenjäger entgegengeführt; es war Sinjab, der Thronfolger und Sohn Seürs, des Gütigen, der zu jener Zeit über das ungeheure Gebiet von Habad herrschte. Kaum hatte er sie gesehen, als das schöne und zu großen Dingen erkorene Mädchen alle Träume des jungen Fürsten erfüllte und eine tiefe Liebe zu ihr in seinem Herzen erweckte. Als er sie ein zweites Mal sah, entflammten die Sinne Sinjabs so mächtig, daß er Akedysseril zu seiner einzigen und rechtmäßigen Gemahlin erhob. So geschah es, daß die Tochter des Hirten die Hirtin und Führerin der Völker wurde.

Indessen schon kurze Zeit nach dieser wunderbaren Verbindung starb der Prinz, den auch Akedysseril auf das zärtlichste geliebt hatte. Der König wurde über diesen Verlust von solcher Verzweiflung ergriffen, daß man in kurzer Zeit in Benares zum zweiten Male das Bellen der Hunde Jamas, des todverkündenden Gottes, hörte; bald mußte man auch dem alten Fürsten ein Grab herrichten.

Von Rechts wegen hätte die Thronfolge Seürs nun auf Sedjnur, den jungen Bruder Sinjabs, übergehen müssen. Er war kaum dem Knabenalter entwachsen und stand unter der Vormundschaft Akedysserils.

Während der raschen Tage ihres aufsteigenden Glückes, ja noch während Sinjab lebte, hatte die Tochter Gwaliors, deren Geist in die Zukunft zu sehen schien, sich als kecke Verächterin fremden Rechtes erwiesen; sie kannte nur das Recht der Gewalt, des Mutes und der Liebe. Sie hatte durch weise Verleihung von Würden und Gold sich am Hofe, in der Armee, in der Hauptstadt, im Rate der Wesire, in den Provinzen, sowie unter den Anführern der Brahminen eine Machtstellung zu schaffen gewußt, die sich von Stunde zu Stunde mehr festigte. Sie mißtraute dem jungen Thronfolger, obwohl ihr der Charakter desselben ganz unbekannt war, denn Seür hatte den jungen Sedjnur weit fort zu den Weisen Nepals gebracht, damit er von diesen erzogen würde. Als nun der hohe Rat sich anschickte, den Prinzen heimzurufen, beschloß Akedysseril, sich im voraus aller Widerwärtigkeiten zu entledigen, die die Laune des neuen Herrschers ihr möglicherweise auferlegen konnte. Sie faßte den Plan, den Prinzen gefangenzunehmen, und beschloß, trotz ihres sehr anfechtbaren Rechtes, selbst die königliche Gewalt zu übernehmen.

Während der Nacht der großen Trauerfeier schickte sie, in deren Auge kein Schlummer kam, eine Abteilung von Sowaris, deren Treue sie erprobt hatte, dem Prinzen Sedjnur entgegen.

Der Prinz wurde umringt und ohne weiteres mit seinem Gefolge gefangengenommen, desgleichen die junge Prinzessin Jelka, die Tochter des Königs von Sogdiana, seine geliebte Braut, die mit nur ganz kleinem Geleite dem Prinzen entgegengekommen war.

Die Gefangennahme geschah gerade in dem Augenblicke, als die beiden jungen und füreinander bestimmten Menschen sich zum erstenmal bei hellem Mondschein auf der Landstraße trafen. Von dieser Stunde an lebten die königlichen Kinder als Gefangene Akedysserils in zwei einander gegenüberliegenden Palästen, zwischen denen der Ganges floß. Tag und Nacht wurden sie von einer ernsten, schweigenden Wache beobachtet.

Diese doppelte Haft war politisch begründet: wenn es einem von ihnen gelingen sollte, zu entfliehen, so blieb doch der andere als Geisel zurück. Da nach dem alten indischen Glauben der Prädestination die Verlobten sich längst füreinander bestimmt glaubten, lebten sie nur füreinander und liebten sich mit größter Wärme, obwohl sie sich nur einmal gesehen hatten.

*   *   *

Nach einem Jahre schon hatte sich die Macht in den Händen der Herrscherin völlig gefestigt. Ihrer Witwenschaft blieb sie treu; sie schien nur von dem Ehrgeize beseelt, Kriegsruhm zu erwerben, mit keckem Mute trotzte sie allen Königen Hindostans.

War es nicht ihrem hellen Kopfe gelungen, die Grenzen des Landes zu erweitern? Die Dewas waren dem Glück ihrer Waffen gewogen. Das ganze Reich bewunderte sie und unterwarf sich willig der Zauberkraft dieser jungen Kriegerin, die so herrlich erschien, daß ihre Soldaten es als Gnade empfanden, den Tod für sie empfangen zu dürfen. Ein ganzer Legendenkreis, der ihren Ruhm und ihr wunderbares Kriegsglück in den Schlachten verkündete, hatte sich um sie gebildet. Oft hatten ihre Krieger sie mitten im dichtesten Kampfesgewühle gesehen, wie sie strahlend und kühn, mit Blut bespritzt, sich auf dem mit köstlichen Steinen geschmückten Tragstuhle ihres Kriegselefanten erhob und sorglos unter einem Regen von Pfeilen und Wurfspießen stolz und wild ihren glänzenden Säbel geschwungen und ihre Streiter zum Siege geführt hatte.

Was Wunder, daß die Heimkehr Akedysserils nach mehrmonatlichem siegreichen Feldzuge von dem Volk mit freudiger Ungeduld erwartet wurde!

Als die Königin nur noch ein paar Stunden von der Stadt entfernt war, hatten Läufer die Kunde davon nach Habad gebracht. Von weitem unterschied man schon die roten Turbane des Vortrabs der Truppen, die auf eisernen Sandalen von den Hügeln hinabstiegen. Die Königin, so erzählte man, werde gewiß von der Straße von Surate herkommen, sie werde durch das Haupttor der Zitadelle einziehen und ihre Armeen in den umliegenden Dörfern lagern lassen.

Alles war in Tätigkeit, in den Alleen von Pryamveda drängten sich die Fackelträger unter den Bäumen. Königliche Sklaven erhellten den ungeheuren Palast Seürs mit Lampen.

Die Bevölkerung schmückte sich mit grünen Zweigen, und die Frauen bestreuten den Weg zum Schlosse, der die Allee von Richis durchschneidet, mit großen Blumen. Die Menge neigte sich horchend zur Erde, um das Zittern des Bodens beim Nahen der Kriegswagen, des Fußvolkes und der Reiter wahrzunehmen.

Plötzlich hörte man das dumpfe Geräusch der Zimbeln, das sich mit dem Klirren der Waffen und Ketten und den wohllautenden Tönen der kupfernen Flöten vermischte. Bald ritten von allen Seiten mit wehenden Fahnen die Kohorten des Vortrabs in die Stadt.

Der freie Platz vor dem Tore von Surate und Kama war mit kostbaren, fahlroten Teppichen belegt, wie sie in Irensul und in den fernen Fabriken von Ypsambul hergestellt und alljährlich von den turkestanischen Kaufleuten eingeführt werden.

Zwischen den Ästen der Dattelpalmen und Sykomoren der langen Alleen am Ganges wogten bunte köstliche Stoffe aus Bagdad zum Zeichen der Freude. Auf den Stufen des östlichen Tores der Festung umgab ein glänzendes Gefolge von Höflingen, Brahminen und Palastoffizieren den Vizegouverneur, neben dem die drei Wesire von Habad saßen. Man war in freudiger Erregung: nun wird man Feste geben, wird die Kriegsbeute von Elefanten unter das Volk verteilen, nun wird man beim Fackelschein im großen Zirkus wieder die nächtlichen Rhinozeroskämpfe sehen, für die das Volk so schwärmt.

Man fürchtete nur, die Schönheit der jungen Königin könnte gelitten haben; vielleicht war sie sogar verwundet worden? Man frug die ersten Vorreiter, diese beruhigten das Volk.

In einem freien Raume zwischen schweren bronzenen Dreifüßen, aus denen bläuliche Weihrauchwolken stiegen, bewegte sich ein Reigen von Bajaderen, die in durchsichtige leuchtende Stoffe gehüllt waren. Sie spielten mit Perlenketten, ließen die blanken Spitzen ihrer Dolche funkeln und plauderten lebhaft. Dazwischen tanzten sie in anmutigen Bewegungen auf und nieder.

Das war beim Eingange der Allee von Richis auf dem Wege zum Königspalaste.

*   *   *

Auf der anderen Seite des Platzes von Kama zog sich geheimnisvoll und dunkel eine andere tiefverwachsene Allee hin, die seit Jahrhunderten schon niemand beachtete. Vor dem Eingang derselben standen, nur mit einem grauen Leibschurz bekleidet, einige Schlangenbändiger, die zum Klange ihrer scharfen durchdringenden Musik ihre gezähmten Cobras auf der Spitze des Schwanzes tanzen ließen.

Es war die Allee, die zum Tempel Siwas führte. Kein Hindu würde es jemals gewagt haben, sich in das Dickicht ihres Schattens zu wagen. Die Kinder selbst waren gewöhnt, niemals davon zu sprechen; selbst nicht mit leiser Stimme. Eine alte Legende erzählte, daß in gewissen Nächten jedes Blatt dieser alten Bäume einen Tropfen Blut schwitze, daß ein Regen blutiger Tropfen dann langsam zu Boden falle und den Fußboden rot färbe.

Aller Augen blickten fragend nach dem Horizont. Würde sie kommen, ehe die Nacht hereinbrach? Alles war in frohester Ungeduld.

Die Dämmerung sank tiefer hinab, das goldene Licht des Abendrots verglühte schon und einzelne Sterne stiegen am blassen klaren Himmel auf.

In dem Augenblick, als der goldene Sonnenball schon im Begriffe war hinabzusinken, als sein Schein noch einmal den westlichen Himmel erglühen machte, erschienen plötzlich von den fernliegenden Hügeln, zwischen denen die Straße von Surat sich hinzieht, große, in Staub gehüllte Ritterscharen, dann Tausende von Lanzenträgern und Kriegswagen. Von allen Seiten stiegen die in ihre braunen Kaftane gehüllten Phalangen von den Höhen herab. Sie trugen fahlrote Schuhe und eherne Knieschienen, aus denen scharfe Spitzen hervorstaken. Die Lanzenträger trugen Köpfe von Feinden auf ihren Spießen aufgesteckt in stolzem Triumphe vor sich her; sie stießen die abgeschlagenen Häupter roh gegeneinander, so daß sich diese in wildem Kusse zu berühren schienen. Dann kam der ganze Apparat der Kriegsmaschinen, Leitern und Hürden ohne Zahl auf Karren, die von starken Waldeseln gezogen wurden. Es folgten die Sänftenträger, die auf Laubbetten Schwerverwundete trugen. Daran schlössen sich die Fußtruppen an, endlich die langen Reihen der Proviantwagen. – Es war fast die ganze Vorhut; sie stiegen eilig die Fußwege der Hügel hinab, näherten sich rasch der Stadt und kamen durch alle Tore zugleich herein. Nun antwortete der helle Klang der königlichen Trompeten auf den dumpfen Ton der Gongs, der von den Türmen von Benares ertönte.

Schon nahten Ordonnanzoffiziere in gestrecktem Galopp, die nach allen Seiten hin ihre Befehle gaben; ihnen folgte eine Wagenreihe, auf denen die Trophäen, die Kriegsbeute und eroberten Schätze lagen. Dann zwei Legionen Kriegsgefangene; sie gingen gesenkten Hauptes und schüttelten grimmig ihre Ketten. Auf prachtvoll getigerten Pferden in vollem Waffenschmuck, aber tiefernst, ritten die beiden besiegten Könige von Agra daher.

Die Königin führte sie, wenn auch mit vollen Ehren, im Triumphe in ihre Hauptstadt. Hinter ihnen kamen glänzend geschmückte Kriegswagen, die von Jungfrauen in purpurfarbenen Rüstungen geführt wurden. Einige von ihnen bluteten aus schlecht mit Lappen verbundenen Wunden; alle trugen einen großen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen über dem Rücken. Es waren die jungfraulichen Kriegerinnen, die als Leibgarde ihre junge Königin überallhin begleiteten.

Endlich, inmitten eines gewaltigen Halbkreises, der von dreiundsechzig Kriegselefanten gebildet war, auf denen die Sowaris und andere Elitetruppen ritten, erschien der große schwarze Elefant mit den vergoldeten Stoßzähnen, auf dessen Rücken Akedysseril wie eine Kriegsgöttin thronte. Bei diesem Anblick stieß die ganze Stadt, die bisher lautlos dem Schauspiele zugeschaut, einen einzigen, donnernden Beifallsruf aus. Tausende von Palmenwedeln wurden grüßend hin- und herbewegt, ein wahrer Freudentaumel schien sich des Volkes zu bemächtigen.

Schon von weitem erkannte man die hohe schlanke Gestalt der Königin von Habad, die in weißem golddurchwirkten Gewande zwischen den vier Lanzen ihres Baldachins stand. Man sah den sternenbesäten Gürtel, von dem der Säbel herabhing. Mit der Linken hielt sie eine feine Kette, mit der sie selbst ihren Elefanten lenkte. Den Dewas gleich, deren Bild von den steinigen Höhen der Berge herabschaute, hielt sie in der rechten Hand die heilige Blüte Indiens, eine goldene Lotosblume, die mit Tautropfen von Rubinen besät war.

Die sinkende Sonne beleuchtete den großartigen Anblick. Man sah die tief herabhängenden Rüssel der Elefanten, sowie ihre wie Palmblätter gestalteten Ohren. Das Abendrot warf hier und dort einen blendenden Schein auf die kostbaren Steine, mit denen die Turbane geschmückt waren, oder auf das blanke Eisen der Schlachtbeile.

Der Erdboden aber dröhnte dumpf beim Herannahen dieses gewaltigen Heeres. Und hinter den Elefanten, die in furchtbarem Halbkreis den Raum erfüllten, erhob sich, von einer Staubwolke umhüllt, von allen Seiten zugleich von den Bergen herabsteigend, das gewaltige Heer, ihm voran ein Zug von tausend Dromedaren. Die Stadt empfand es mit einer gewissen Beruhigung, daß in den Vororten alles zur Aufnahme der Soldaten vorbereitet war. Als die Königin von Habad nur noch einen Pfeilschuß weit vom Eingangstore entfernt war, kam ihr der Hofstaat entgegen.

*   *   *

Die weiße, strahlend schöne Fürstin war von hohem königlichen Wuchs. Ein mattrotes Diadem, das mit köstlichen Brillanten besetzt war, zwischen denen goldene Spitzen hervorstarrten, umgab ihre bleiche Stirn. Ihr aufgelöstes Haar und die Bänder des Diadems fielen lang über den Rücken und über das Goldgewebe ihres Gewandes. Die reinen Züge hatten einen geradezu wundersamen Reiz, obwohl sie im ersten Augenblick fast mehr Furcht wie Liebe erweckten. Und dennoch war sie der vergötterte Liebling aller dieser Kinder, die sich drängten, um die schöne geliebte Königin zu sehen.

Ihre elfenbeinfarbene durchsichtige Haut war von einem zarten Rosenschimmer belebt. Unter schön gewölbten Brauen und den müden schmachtenden Lidern der indischen Frau leuchteten geradezu sinnverwirrend schöne blaue Augen, die meist traumhaft und weltverloren dareinblickten. Dies wunderbar ernste blasse Antlitz übte einen solchen Zauber aus, daß der, der es einmal gesehen, es nie wieder zu vergessen vermochte.

Die stolze Stirn, das zarte Oval der Wangen, die grausamen Nasenflügel, die bei annähernder Gefahr sich zu erweitern und zu erzittern pflegten, der blutfarbene kleine Mund, das festgeformte Kinn, ihr immer ernstes Lächeln, bei dem sie ihre weißen Pantherzähne zeigte, alle diese Reize vereinigten sich zu einem Ganzen von solcher Vollkommenheit, daß niemand ihr zu widerstehen vermochte.

Tiefernst und doch lieblich anmutsvoll wie eine Peri, erschien sie ein unergründliches Rätsel.

Abends, wenn sie in ihrem Zelte oder in den Gärten ihrer Paläste wie ein fröhliches Kind mit ihren Kriegerinnen zu spielen pflegte und die eine oder die andere im neckischen Tone von der Liebe sprach, die sie, wohin sie immer ihre Schritte lenkte, erweckte, dann lachte Akedysseril mit einem kleinen, geheimnisvollen Lachen.

Welche Seligkeit, dieses Weib besitzen zu dürfen! Wie geweihten Wein die köstlichen Tränen ihres Auges zu trinken, dem goldenen Klang ihres Lachens zu lauschen, den holdseligen Mund küssen zu dürfen und teilzunehmen an den Träumen und Wünschen dieses Herzens! Wortlos diesen schlanken, bezaubernden Leib umfangen zu können, sich in dem Abgrund ihrer Zauberaugen zu verlieren! Sinnverwirrende Gedanken, für die jedoch die keusche junge Witwe durchaus kein Verständnis und keine Erwiderung zu haben schien. Diese ernste, herbe Fürstin pflegte die jungen Krieger im Kampfe zu einem wahren Heldenmut zu beseelen, sie dürsteten förmlich danach, unter ihren Augen zu kämpfen und zu siegen.

Und dann, es ging ein zarter, wunderbar berauschender Duft von ihr aus, der besonders im Handgemenge so stark war, daß die sie verteidigenden jungen Männer nur den einen Wunsch empfanden, für sie sterben zu dürfen – ein Opfer, zu dem sie zuweilen durch einen übermenschlichen Blick ermutigte, durch einen Blick, in dem sie sich selbst ganz hinzugeben schien.

So war Akedysseril.

Nur einen Augenblick hörte sie auf die liebevollen und freundlichen Willkommworte, mit denen ihre Edlen sie begrüßten. Auf ein plötzliches Zeichen fuhren die Wagen ihrer Kriegerinnen vor und verbreiteten sich über den Platz von Kama. Freudenrufe ihres Volkes tönten ihr entgegen. Über die ausgebreiteten Teppiche trieb Akedysseril ihren schwarzen Elefanten durch das Tor von Surate: so zog die Königin von Habad in Benares ein.

Da fiel ihr Blick plötzlich auf die verrufene Allee, in deren Hintergrund die ungeheure Fassade des Siwatempels sichtbar wurde.

Eine plötzliche Erinnerung schien sie zu durchzucken; sie ließ ihren Elefanten anhalten und rief den Treibern einen Befehl zu. Diese warfen rasch eine Strickleiter über den Rücken des gewaltigen Tieres. Leicht und gewandt stieg sie hinunter. Plötzlich standen, wie durch ihren Wunsch herbeigezaubert, drei Männer in schwarzem Turban und Gewand, sichere und erprobte Spione, die sie während ihrer Abwesenheit in geheimer Angelegenheit angestellt hatte, wie aus der Erde gewachsen vor ihr. Auf einen Wink ihres Auges wichen alle zurück, und die tief vor ihr sich verneigenden Späher begannen ein leise flüsterndes Gespräch; einer nach dem andern erzählte in kaum hörbaren Worten, die nur die Königin verstehen konnte; aber die Wirkung dieser Worte auf Akedysseril war so schrecklich, daß ihr Antlitz jäh erbleichte und dann einen furchtbar drohenden Ausdruck annahm.

Sie wandte sich um und mit rauher Stimme, die laut durch die Stille des Platzes schallte, rief sie: »Einen Wagen!«

Ihre Lieblingskriegerin, die ihr am nächsten stand, sprang sofort zur Erde und bot der Königin die seidenen, mit Stahlfäden durchwirkten Zügel ihres Wagens an.

Mit einem Sprung nahm sie den verlassenen Platz ein.

»Niemand wage es, mir zu folgen!« sagte sie.

Starren Auges blickte sie in die verrufene Allee. Das Staunen, die Betroffenheit des Volkes, die Bestürzung ihres Hofes ließ sie gänzlich gleichgültig. Akedysseril ließ ihre Pferde rennen, daß die Funken stoben, sie überrannte einen entsetzten Schlangenbändiger, zermalmte einige Schlangen unter der Wucht ihrer Räder und jagte wie ein abgeschossener Pfeil ganz allein durch die dunklen Bäume zu dem verhängnisvollen Tempel Siwas.

Sie hielt ihre Pferde vor dem nördlichen Eingang an, bei den basaltenen Säulengängen, die zum Allerheiligsten führen. Mit der einen Hand die Schleppe ihres goldfarbenen Gewandes hebend, überschritt sie keck die gefürchteten Stufen. Vor dem Eingang angelangt, schlug sie dreimal laut mit dem Degenknauf auf die bronzene Türe, und die Wucht dieser Schläge war so kräftig, daß der Widerklang derselben wie eine leise Klage bis zum Platze von Kama drang.

Beim dritten Klopfen öffnete sich die geheimnisvolle Flügeltüre ohne jedes Geräusch. Akedysseril betrat das Innere des Gebäudes. Als ihre schlanke Gestalt darin verschwunden war, schlossen die unsichtbaren Hände der Tempeldiener die eherne Pforte hinter ihr. Ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, wagte sich die kühne Tochter Gwaliors in die weiten von Säulen getragenen Säle, deren steinerne Fußböden das Geräusch ihrer leichten Schritte vielfach wiedergaben. Ein letzter Tagesschein fiel durch die kleinen runden Fenster, die an der westlichen Seite in die dicken Mauern eingelassen waren. Ihr scharfes Auge durchdrang die Dämmerung. Die Kriegsrüstung, die noch vom letzten Gefechte her mit Blut befleckt war, klirrte leise, und das goldene Gewand streifte die langen Schatten, die die Götzenbilder über die steinernen Fliesen warfen.

Im Hintergrund, auf einem von roten Porphyrblöcken aufgetürmten Unterbau erschien furchtbar und drohend ein riesiges steinernes Bild, das schwarz wie die Nacht war. Der Koloß, der mit weitausgespreizten Beinen dasaß, war ein Bild des schrecklichen Gottes Siwa, der als Feind alles Lebens gefürchtet wird. Sein nicht zu beschreibendes schreckliches Gesicht verlor sich in der Dunkelheit des Gewölbes. Der Gott faltete seine acht Arme über der Brust, und seine Knie, die nach beiden Seiten ausgestreckt waren, berührten die Seitenwände des Heiligtums. Schwere purpurne Vorhänge fielen von den Säulen herab und verbargen eine tiefe Höhlung, die in dem mächtigen Sockel Silvas eingelassen war. Hinter den dichten Falten dieses Vorhanges befand sich der Opferstein.

Seit uralter Zeit ist es in Indien Brauch, daß bei Einbruch der Mitternacht, sobald die dumpfen Klänge des Gongs ertönen, die Brahminen Siwas aus ihren unterirdischen Zufluchtsstätten hervorstürzen, um ein menschliches Wesen in das Heiligtum zu schleppen, einen Lebensmüden, der sich ihnen selbst zum Opfer angeboten hat. Keine Lampe erhellt dann den Tempel des Siwa, nur auf dem Altare brennt ein Feuer, bei dessen rötlichem Schein die Priester ihr nacktes Opfer auf den Stein legen, wo es an Händen und Füßen durch schwere Ketten gefesselt wird. Die Tempeldiener stellen sich mit brennenden Fackeln im Kreise um die Brahminen. Der Oberbrahmine gibt ein Zeichen, und der Opferpriester nähert sich langsam und bei jedem Schritt innehaltend, dem Steine. Schweigend beugt er sich über das Opfer und schweigend, mit einem einzigen geschickten Schnitt seines großen scharfen Messers öffnet er die Brust des Lebensmüden. Dann tritt er von dem Opferstein zurück, der Oberpriester nähert sich, ruft die zerstörende Gottheit Siwas an und verflucht das Licht und das Leben. Er taucht seine Hände mit den starken langen Nägeln in die Wunde, erweitert dieselbe gewaltsam, wühlt brutal darin herum, und endlich reißt er das blutende, noch zuckende Herz heraus. Mit hocherhobenen Armen bringt er es dem Gotte Siwa als Opfergabe dar. Die Brahminen aber, die vollständig in Verzückung geraten, murmeln in eintönigem Singsang die alten, seltsamen Weisen Siwas, jene großen Verwünschungen des Lichtes, die nur ihnen bekannt sind. Beim Schlüsse dieser Lieder wirft dann der Oberpriester seine zuckende Opfergabe in das heilige Feuer.

Diese ganze geheimnisvolle Feier vollzieht sich mit größter Schnelligkeit, und bald wieder ruht die alte feierliche Stille über Siwas Heiligtum.

*   *   *

An diesem Abende stand auf der dritten Stufe des Opfersteines der einzige sichtbare Bewohner des einsamen Tempels. Der Anblick dieses Mannes wirkte fast noch schauriger, wie der des Gottes Siwa selbst.

Ein riesenhafter, nackter Greis, nur die Lenden von einem dunklen Fetzen umhüllt, von erschreckender Magerkeit! Die gelbliche, graue, tiefdurchfurchte Haut hing lose um die fleischlosen Knochen, wie ein Geist hob sich die seltsame Erscheinung von den blutroten schweren Vorhängen ab.

Vie unbewegliche Kälte und Strenge seines Antlitzes flößte Grauen ein. Der mächtig entwickelte Schädel war vollständig kahl.

Er war bartlos und hatte keine Brauen. Aus tiefliegenden Höhlen funkelten stechende Augen, die selbst das Unsichtbare zu sehen schienen. Eine mächtige Adlernase sprang darunter hervor. Der Mund war zugekniffen und eingefallen; vollständig blutleer, sah er wie eine alte vernarbte Wunde aus. Nur durch die Kraft eines gewaltigen Willens schien die abgezehrte Gestalt sich aufrecht zu halten. Der Tod selbst würde ihn kaum verändert haben, denn was Menschen »Leben« nennen, schien in diesem gespensterhaften Asketen längst erloschen zu sein.

Dieser lebende Tote, der mehrere Jahrhunderte alt war, war der Oberpriester Siwas, der Priester mit den schrecklichen Händen, der Einsiedler, der seinen eigenen Namen vergessen hatte und der von keinem Sterblichen genannt wurde.

*   *   *

Er war es, den Akedysseril suchte, dessen Anblick sie mit einer Wut erfüllte, die sich durch das Wogen ihrer Brust, das Zucken ihrer Lippen, das Vibrieren ihrer Nasenflügel kundgab. Als sie vor ihm angekommen war, stand die Königin still und betrachtete ihn einen Augenblick, ohne ein Wort zu sprechen. Dann sagte sie mit lauter und voll durch die Gewölbe hallender Stimme:

»Brahmine! Ich weiß es, daß du dich frei gemacht hast von Freud und Leid, daß du keinen Wunsch und keine Hoffnung kennst. Der Dunstkreis einer uralten Legende göttlichen Ursprungs umgibt dich. – Hirten und Kaufleute aus Kordofa, verirrte Luchs- und Auerochsenjäger find dir nachts auf einsamen Bergpfaden begegnet. Sie haben gesehen, wie du in wildesten Wettern deine Stirn dem Sturm preisgabst und wie du, unbeirrt von Blitz und Donner, unempfindlich für jeden äußeren Einfluß, den geheimnisvollen, vernichtenden Gott anbetest, dem du dienst! Das Toben der Elemente verachtend, versenktest du dich ganz in das Nichts, das allein du anerkennst.

Womit also, du Unerreichbarer, könnte ich dir drohen? Vie alte Wissenschaft meiner Henkersknechte würde an deiner Gefühllosigkeit scheitern, wie auch die Reize und Verführungskünste meiner schönsten Jungfrauen erfolglos sein würden. Deshalb will ich dich vor deinem Gott selbst anklagen.« –

Sie setzte den Fuß auf die erste Stufe des Heiligtumes und erhob ihr Antlitz zu dem in tiefes Dunkel gehüllten Gesicht des Gottes.

»Siwa,« rief sie, »du großer mächtiger Gott, dessen unsichtbarer Flug die Welt mit Schrecken erfüllt und die Sonne verfinstert! Großer Gott, der du dich gegen das Licht auflehnst und die Lüge dieser Welt verdammst und zerstörst. Wenn ich je im Gewühle der Schlacht deine das Leben vertilgende Nähe gefühlt habe, dann, o Vater der höchsten, alles vernichtenden Weisheit, wirst und mußt du die Tochter der Erde hören, die es wagt, dich in deinem Heiligtum zu stören, um deinen Priester anzuklagen!

Denke zurück! Nur wenige Tage waren nach dem Antritt meiner Regierung verflossen, als ich mit meinem Heere den Jaxartes und den Oxus überschritt, um als Siegerin in die Städte Sogdianas einzudringen, dessen König seine Tochter Belka zurückforderte, die ich gefangen gesetzt. Ich wußte es, daß gewisse Parteien im Nepal meinen

Kriegszug in das ferne Land dazu benutzten, um den Prinzen Sedjnur, den Bruder meines unvergeßlichen Gatten, den ich mich nicht entschließen konnte, sterben zu lassen, zu ihrem Könige auszurufen. Wenn ich gleich die Siegerin, die Befreierin Nepals und die Witwe Sinjabs war – konnte man meine Rechte nicht anfechten? Entsprang Sedjnur nicht dem Stamme Ebbahars, dem ältesten Königsgeschlechte?

Ich siegte in Sogdiana, und bei meiner Rückkehr gelang es mir, die Rebellen zu unterwerfen und für mich zu gewinnen. Man hat mich als einzige rechtmäßige Herrscherin anerkannt.

Um aber neue Uneinigkeiten und Aufstände zu verhindern, wünschte mein Staatsrat in Benares, den Gegenstand dieser Streitigkeiten zum Wohle aller zu vernichten. Sedjnur und seine Braut Yelka, meine Gefangenen, wurden zum Tode verurteilt, und man beschwor mich, die Hinrichtung zu beschleunigen, um meinen Thron, sowie den Frieden der Völker zu befestigen.

Ich aber zitterte, die Verantwortung für ein solches Verbrechen auf mich zu nehmen. Sie waren meine Gefangenen, aber sollten sie darum auch mein Opfer werden? Ich kannte mein Herz, wußte, daß die Erinnerung an eine solche Tat mir den Stolz und die Freude meines Lebens rauben würde und, o Gott der Finsternis und des Verderbens! ich bin nicht grausam, wie jene Töchter der reichen Parsen, die nur, um ihre Langeweile zu zerstreuen, lächelnd den Martern und dem Tode der Verurteilten zusehen. Die wahren Heldinnen, die in der Schlacht erprobten Kriegerinnen sind weich und gütig. Wie meine Ruhmesschwestern bin ich von Turteltauben erzogen!

Aber das Leben dieser Kinder bedeutete eine fortwährende Gefahr für mein Leben.

Ich hatte zu wählen zwischen ihrem Tod und den Strömen edlen Blutes, das ganz gewiß in ihrer Sache einmal fließen würde. Hatte ich, die Königin, das Recht ihnen das Leben zu lassen?«

*   *   *

»Ich beschloß daher, wenigstens einmal meine Gefangenen mit eigenen Augen zu sehen, um danach zu beurteilen, ob sie es überhaupt wert waren, daß meine Seele so schmerzlich um sie litt. Eines Tages zog ich beim ersten Morgenstrahle die Hirtenkleider an, die ich einst getragen, als ich noch in unserem Tale die Herde meines Vaters Gwalior hütete. Ungesehen und unerkannt wagte ich mich in ihre Wohnungen, die in den Rosengärten an den Ufern des Ganges liegen.

O Siwa! an jenem Abende kehrte ich wie vernichtet zurück und als ich mich wieder allein und einsam in dem Palaste Seürs befand, in dem ich als Witwe lebe, da fühlte ich mich so verlassen, so todtraurig, wie ich dies nie für möglich gehalten hatte.

Wie liebenswert waren mir diese beiden jungen Menschen erschienen, die gar nicht daran dachten, mich als die Urheberin ihres Mißgeschickes zu hassen. Ihr ganzes Dasein war nur von der Hoffnung auf eine baldige Vereinigung erfüllt und es galt ihnen wenig, ob sie einander in der Gefangenschaft, in der Freiheit oder in der Verbannung angehören würden. And dann: dieser königliche Jüngling mit den klaren durchdringenden Augen erinnerte mich nur zu lebhaft an Sinjab, meinen unvergeßlichen Gemahl! Räumlich waren die Liebenden voneinander getrennt, aber ihre Seelen waren vereinigt, sie lebten nur eins in dem andern! Hat man nicht seit undenklicher Zeit in unserm herrlichen Indien die Liebe so empfunden? Treu bis in den Tod!

Und diese beiden sollten mir gefährlich sein, Siwa? Sedjnur, der nicht umsonst von den Weisen Indiens erzogen worden, schien sogar eine gewisse Genugtuung zu empfinden und dem Schicksal dankbar dafür zu sein, daß es ihn der Sorge enthoben, die Last einer Krone zu tragen. Lächelnd bedauerte er mich, weil mein Leben ein überbürdetes sei. Er ist kein ehrsüchtiger Prinz, und Lorbeeren und Ruhm, nach denen ich dürste, lassen ihn vollständig kalt.

Lieben und mit der Geliebten vereinigt zu sein, das dünkte ihm mehr wert, als alle Königreiche der Welt. Beide erklärten mir, daß sie fest davon überzeugt seien, daß ich sie bald, sehr bald vereinigen würde, denn ich selbst hätte geliebt und ich wäre der Erinnerung an den Geliebten treu geblieben.«

*   *   *

Einen Augenblick verbarg Akedysseril ihr strahlendes Antlitz in den Händen und fuhr dann fort:

»Und als Antwort für dies mir geschenkte rührende Vertrauen sollte ich diese unschuldigen Kinder dem Henker überantworten? – Nein, niemals! Und doch, was konnte ich tun? Indien forderte den Frieden von mir, und ihr Tod allein konnte den eigensinnigen Parteigängern des Prinzen ein Ende machen. Schon drohte ein neuer Aufruhr, als ich mit meinem Heere gegen die Skythen ziehen mußte. Da kam mir ganz plötzlich ein gar seltsamer Gedanke. Es war am Vorabende des Tages, an dem ich gegen die Ureinwohner der arachosischen Berge ziehen wollte. Meine Gedanken suchten dich, dich allein, Siwa!

In der Nacht verließ ich heimlich meinen Palast und kam ganz allein hierher, erinnerst du dich dessen, du finstere Gottheit? Und hier in deinem Heiligtums erbat ich den Rat und die Hilfe deines düsteren Oberpriesters.

›Brahmine‹, sagte ich zu ihm, ›sieh', ich weiß, daß weder mein mit köstlichen Edelsteinen gezierter Thron, mein Ruhm, die Verehrung und Bewunderung meiner Heere und Völker, noch meine Schätze, noch die Macht, die diese unentweihte Lotosblume mir verleiht, das vollkommene Glück, das Entzücken, die wollüstige Qual gewähren können, wie die Liebe dies tut. Wäre es möglich von der Entzückung zu sterben, die die Braut empfindet, wenn sie zum ersten Male dem geliebten Mann ganz angehört, dann hätte mein Herz an dem Tage aufhören müssen zu schlagen, an dem Sinjab mit seinen süßen glühenden Küssen mich für immer in Fesseln schlug.

Und doch – – wenn es durch irgendein Zaubermittel möglich zu machen wäre, daß die armen gefangenen Kinder an den Folgen einer alles überwältigenden, noch niemals empfundenen Freude stürben, – würde ein solcher Tod ihnen nicht wünschenswerter als das Leben selbst erscheinen? Wenn man durch ein Zaubermittel, durch die nur dir bekannte geheimnisvolle Kunst Siwas es fertigbringen könnte, die Liebe dieser Kinder, ihre Sehnsucht zueinander, zur höchsten Überspannung zu reizen, würde da nicht die plötzliche Erfüllung ihrer Wünsche, die heiße Flut der ersten Umarmung genügen, sie in eine Ohnmacht zu versenken, aus der sie nicht mehr erwachen dürften? O, wenn ein solcher Tod möglich zu machen wäre! Für mich würde es eine Erlösung sein, weil sie selbst ihn herbeigeführt hätten. Es ist der einzige Tod, der mir dieses jungen, schönen Paares würdig erscheint!‹

Bei diesen Worten gab mir dein düsterer Priester dein göttliches Versprechen, er antwortete mir ruhig:

›Es sei so, Königin, ich werde deinen Wunsch erfüllen.‹

Auf diese Versicherung hin habe ich dann Befehl gegeben, daß dein Priester Tag und Nacht freien Zutritt zu meinen Gefangenen haben solle.

Die Schönheit meines Verbrechens tröstete mich über die Schwere desselben und beruhigt unternahm ich am Morgen den Kriegszug nach Arachosien. Dank deinem Schutze, o Siwa, und dank der Tapferkeit meiner braven Krieger, kehre ich heute abend als Siegerin von dort zurück.

Kaum hatte ich die Stadt betreten, als ich mit tiefer Sorge des seltsamen Ereignisses gedachte, das sicher während meiner Abwesenheit stattgefunden hatte. Schon überlegte ich, als ich die Umrisse deines Tempels unterschied, welche Opfer ich dir darbringen sollte, als meine Späher vor mir erschienen und mir offenbarten, mit welcher Doppelzüngigkeit dieser alte Mann mich betrogen hat!« –

Ernst schaute die Königin auf den Priester. Kaum ein leises Zittern ihrer Stimme verriet die Aufregung und den Zorn, die sie beherrschten.

»Verteidige dich,« – fuhr sie fort. »Sage mir, in welcher Weise diese jungen Menschen in den Tod gegangen sind! Ließest du sie das höchste Glück genießen? Hast du durch deine geheimnisvollen Künste es fertig gebracht, die Glut ihrer Herzen bis zur höchsten Fieberhitze zu steigern, so daß ihre Sinne schwanden und ihr Leben erlosch, wie ich dies gehofft, wie du mir versprochen hast? Nein!! Schweige!!

Meine Späher sind stets in der Nähe dieser Mauern geblieben, sie beobachteten dich und ich habe allen Grund, ihre Treue und Wachsamkeit anzuerkennen. Oh – du siehst mich zornig an? Ich aber bin nicht von denen, die sich durch deinen Blick schrecken lassen und die von deinem Zauber betört werden. Mein zornerfülltes Auge soll dich vernichten!

O Sedjnur, teurer Schatten, und du Yelka, süßes unschuldvolles Mädchen! Kinder, Kinder! Hier steht er, der unheilvolle Mann, den ich anklage bei dem gnadenlosen Gotte, der die Liebe nicht kennt.

Wissen will ich, warum dieser schreckliche Sohn einer längst vergessenen Mutter mir den Haß verborgen hat, den er gegen den königlichen Stamm hegt, dem diese Fürstenkinder entsprossen sind; ich will wissen, weshalb er sich an diesen jungen Menschen rächte!

Denn wie anders kann man dein Werk erklären, Brahmine?

Es sei denn, daß die dir angeborenen wilden Gelüste dein unfruchtbares Alter zum Narren gemacht haben, daß du unzurechnungsfähig geworden bist! Aber bei der Arglist, mit der du die beiden betört hast, ist dies kaum anzunehmen.

Mit Worten also und nur mit Worten hast du ihre Seele gemartert und sie in geheimnisvolle Todesangst verseht. Du haft die armen Kinder so zu peinigen gewußt, daß sie endlich in den Tod gingen, nur um sich von dir zu befreien. Ja, ich errate den Zusammenhang deines schändlichen Handelns. Meine grenzenlose Verachtung allein ist es, die mich davon abhält, dein Haupt abzuschlagen, daß es über die Stufen dieses Altars rollt, den du durch deinen Verrat entweiht hast!«

Akedysserils Augen blitzten und mit unsäglich bitterem Ausdruck fuhr sie fort: »– Sobald du durch deine priesterliche Würde und den Ernst deines Auftretens das Vertrauen dieser harmlosen Seelen gewonnen hattest, begannst du dein verfluchtes Werk. Zuerst machtest du dich daran, das Vertrauen in ihre gegenseitige Treue und Zärtlichkeit zu zerstören. Wie du es fertig gebracht, durch giftige Pfeile scheinbar ganz harmloser Worte und Verdächtigungen die Kraft und die Lust am Leben und an der Freude zu zerstören – ich weiß es!

Greis, du hast sie glauben gemacht, daß eins dem andern treulos geworden sei. Dann hast du ihnen mitgeteilt, daß es nicht mein Wille sei, daß ihr Los ein vergessenes und freudloses sei, sondern daß ich im fernen Lande einen Genossen aus königlichem Stamme für sie erwählt hätte. Wie hast du es nur fertig gebracht, sie das glauben zu machen? Aber du wußtest ihnen tausend Beweise dafür zu bringen. Sie hätten einander nur einmal ins Auge blicken dürfen, das würde genügt haben, alle diese Nebel zu zerstreuen. Aber sie waren ja voneinander getrennt! Ja, du triumphiertest und ich weiß, durch welch schrecklichen Kunstgriff! Du hast das bisher keusche Gefühl ihrer Liebe durch künstlich erregte Eifersucht, durch die Trauer ihrer Verlassenheit vergiftet, hast fleischliche Gelüste in ihnen zu erwecken gewußt und sie dann glauben gemacht, daß sie einander nie besitzen würden! Zwischen ihren Wohnungen, die durch die heiligen Fluten des Ganges getrennt werden, gingst du täglich hin und wieder, ein furchtbarer Zwischenträger, der die Herzen der armen Kinder mit Zweifel und Furcht erfüllte, ihre Hoffnungen zertrat und ihnen den Tod wünschenswert machte.

Meine Späher haben mir Aufklärung verschafft über die verderbliche Macht, über die du verfügst! Deine Zunge ist eine viel furchtbarere und gefährlichere Waffe, wie die haarscharfen Schwerter meiner Kriegerinnen; die Wunden, die sie schlägt, sind tief und unheilbar.«

Die Königin schloß einen Augenblick die Augen, sie schien den Faden ihrer Rede verloren zu haben, sie glättete mit der einen Hand ihre schöngezeichneten Brauen und erhob die andere drohend gegen den Brahminen.

»... Zuerst nur eine leicht hingeworfene Vermutung, der ein bedeutungsvolles schreckliches Schweigen folgt! Dabei erweckt der seltsame Tonfall deiner Stimme eine wahre Seelenqual, die du geschickt zu benutzen verstehst.

Aller Vernunft zum Trotze, verstehst du es, durch seltsame Redewendungen, die fast ohne Bedeutung erscheinen, deren geheime Zauberkraft nur dir bekannt ist, die Gemüter aufzuregen und mit einer unbegreiflichen Angst und Unruhe zu erfüllen. Selbst diejenigen, denen du erst Mißtrauen eingeflöht, verfallen nur allzubald deiner Macht. Das Wort deiner Zunge gleicht dem kalten mitleidslosen Stahl eines zweischneidigen Schwertes, es blendet, zerschneidet, es mordet –!!

Du verstehst die Kunst, die schönsten Hoffnungen zu erregen, aber nur, um sie dann in grausamster Weise zu zerstören. And wenn du endlich gegangen bist, hinterläßt du in dem Gemüte, das du mit deinem Gifte durchtränkt hast, eine ätzende Traurigkeit, die selbst im Schlafe nicht zu vergessen ist, die mit der Zeit wächst und die so drückend und düster wird, daß das Leben allen Reize verliert. Der trauernde Blick ist gesenkt, der Himmel selbst erscheint getrübt und die Qual, die das Herz bedrückt, ist so groß, daß einfache Wesen daran sterben können. Mit derselben kalten Grausamkeit, mit der du das zuckende Herz aus der Brust deiner Opfer reißest, haben deine todbringenden Worte diese beiden holden Menschenblumen geknickt und vernichtet. Als ihre Lippen verstummt, das Lächeln darauf erloschen, ihre Augen starr und tränenlos geworden, als ihre Seelenangst das Maß dessen überschritten, was ihr Herz ertragen konnte, da wußtest du die Sehnsucht nach dem Tode in ihnen zu erwecken. Da sie fortwährend mit unbesiegbarer Sehnsucht aneinander dachten, nutzte ja ein Leben ohne Treue und Glauben und ohne die Hoffnung einander je besitzen zu können, ihnen wertlos erscheinen!– And dann kam eine Nacht – eine Nacht, in der du es geschehen ließest, daß sie sich in den Strom stürzten – – oh gewiß! du hattest mir ja versprochen, sie in den Tod zu senden!!« Nach diesen Worten herrschte eine Totenstille in dem Tempel.

Dann nahm Akedysseril noch einmal das Wort: »Priester, du hattest mir freiwillig versprochen, meinen Traum zu verwirklichen und ich habe dir geglaubt. Du standest hier als der geheiligte Vertreter deines Gottes, dessen ewige Wahrhaftigkeit durch dich geschändet ist, denn der Meineid verringert das Ansehen desjenigen, in dessen Namen er begangen ist. Ich aber will jetzt wissen, warum du mir getrotzt, aus welchem Grunde du mir einen so furchtbaren Streich gespielt hast. Antworte, ich befehle es dir!«

*   *   *

Wie ein Sonnenstrahl stand Akedysseril in dem Dunkel des Tempels; ihre Stimme hatte einen durchdringenden Klang angenommen, der das Echo ringsum erweckte:

»Hallo! ihr verschleierten Fakire, die ihr wie Gespenster mich umgebt und die ihr euch vergebens hinter den Säulen dieses Tempels zu verbergen trachtet, euer Schatten verrät euch! Vernehmt die drohende Stimme einer schwer beleidigten Frau, die gestern noch die gehorsame Magd derer war, die Siwas Symbole auslegen und sein Wort verkünden, die heute aber als eure Herrscherin zu euch spricht. Hört mich wohl und versteht mich, meine Worte sind nicht eitel, ich habe jedes derselben wohl erwogen und überlegt, denn nicht ich bin es, die vor euch zu zittern hat!

Wenn dieser finstere Asket, euer Herrscher, sich jetzt meiner Frage durch ausweichende Antworten zu entziehen trachtet, dann wird – – ich, Akedysseril, schwöre es – – auf meinen Ruf der Schwarm meiner Kriegsjungfrauen auf ihren roten Wagen einherbrausen. Unsere Fackeln werden eure düstere Allee erhellen und mein mächtiges Heer, das noch trunken ist von dem letzten Siege, wird in die Stadt dringen. Es wird diesen Tempel, der keinen Gott mehr birgt, umlagern. Und in dieser Nacht noch werden die Stöße meiner bronzenen Sturmböcke die Mauern eures Tempels zertrümmern! Ich schwöre euch, ehe der Morgen naht, wird dieses ungeheure Götzenbild, in dem der Geist Siwas jahrhundertelang gewohnt hat, vernichtet sein! – Meine Soldaten werden, ehe es Mittag geworden ist, diese Felsblöcke auseinandergerissen haben. Und am Abend, wenn der Wind aus den Bergen die Staubwolken zerstreut, die über den Tälern, Ebenen und Wäldern von Habad liegen, dann werde ich die Rächerin, mit meinen Kriegsjungfrauen noch einmal zurückkehren, und unsere schwarzen Elefanten werden den Erdboden zerstampfen, auf dem sich dieser alte Tempel befand. Mit frischen Lotosblumen und Rosen bekränzt, werden wir mit unseren goldenen Pokalen anstoßen und den Namen der beiden, die wir gerächt, in einem Liebes- und Siegesgesang den Sternen zujubeln! Und während dieser Zeit werden meine Henker umhergehen und diejenigen von euch, die noch übriggeblieben, aus den Trümmern dieses Tempels hervorziehen, ihnen die Köpfe abschlagen und sie in das große Nichts hinabsenden! ... Ich habe gesprochen.« – –

Die Königin Akedysseril schwieg. Ihr Busen wogte, ihre Lippen zitterten, sie senkte die Lider über den feuerstrahlenden blauen Augen.

*   *   *

Der Priester Siwas wandte ihr sein bleiches, steinernes Antlitz zu und antwortete langsam mit tonloser Stimme:

»Junge Königin, glaubst du wirklich, uns, die wir das Leben verachten, mit dem Tode drohen zu können? Du hast uns Schätze gesandt und wir haben sie verächtlich auf die Stufen dieses Tempels gestreut, von denen kein Bettler Indiens sie aufzuraffen wagt. Du sprichst davon, diesen heiligen Ort zerstören zu wollen? Eitles Beginnen! Ein würdiges Ziel, dumme Krieger hierher zu führen, um Steine zu zertrümmern! Der Geist, der in diesen Steinen lebt und ihn durchdringt, ist der wirkliche Tempel. Du vergißt, daß es dieser heilige Geist allein ist, der dir selbst deine Machtstellung gegeben hat!

Du kamst zu mir, weil du dachtest, daß die Weisheit der Dewas diejenigen am meisten erleuchtet, die wie wir durch blutige Opfer, durch Fasten und Beten die Klarheit unserer Vernunft zu bewahren wissen. Ich nahm deine Bitte an, weil sie mir, trotz ihrer weiblichen Leichtfertigkeit, schön erschien, und ich versprach dir aus Rücksicht für deine hohe Stellung, sie zu erfüllen. Und nun, nachdem du kaum zurückgekehrt bist, läßt du deinen hellen Kopf verfinstern durch die Einflüsterungen deiner Spione und Zuträger, deren Dasein zu beachten meiner unwürdig ist. Du klagst mich an und verfluchst mein Werk, anstatt dich einfach zuerst an mich zu wenden, um es kennen zu lernen. Du siehst aber, deine Drohungen, deren Echo noch von diesen Wänden widerhallt, schrecken mich nicht, und wenn es mir gefiel, deine lauten – jetzt bereits vergessenen – Beleidigungen bis zu Ende anzuhören, so geschah dies nur, weil der Zorn einer jungen ruhmvollen Kriegerin, deren Auge Feuer strahlt, dem Gotte Siwa stets wohlgefällig ist.

Also, Königin Akedysseril, du hattest einen sehnlichen Wunsch und wußtest nicht, wie derselbe zu erfüllen war. Du erstrebtest ein Ziel und strengtest dich an, den einzigen Weg zu finden, es zu erreichen. Du fragtest mich, ob es in der Macht der geheimen heiligen Wissenschaften stünde, ein Mittel ausfindig zu machen, durch das die Glut der Sinne der beiden Liebenden so heftig erregt würde, daß, wenn sie einander plötzlich besitzen würden, das Entzücken darüber wie ein Blitzstrahl ihr Leben vernichten könnte. Wirklich, ich habe keinen anderen Zauber, als den eines ruhigen vernünftigen Nachdenkens in Anwendung gebracht, um deinen Plan auszuführen. Höre also zu und merke wohl, was ich dir sage.

Als du die holde Blüte deiner Jugend dem jungen Gemahle geschenkt, als Sinjab dich in glückstrahlender Umarmung gewann, da wußtest du selbst, daß niemals eine Jungfrau höhere Wonne und größeres Glück empfunden. Du hast es mir gesagt, daß du überrascht warst, diesen Augenblick des Entzückens überlebt zu haben.

And doch – erinnere dich – zu jener Zeit hattest du bereits das Zepter ergriffen, dein Geist wurde von ehrgeizigen Plänen beunruhigt, tausend Zukunftssorgen zogen durch deine Seele, es war schon nicht mehr in deiner Macht, dich ganz und vollständig hinzugeben. Jedes dieser Dinge nahm dir ein wenig von deinem Wesen, du gehörtest dir selbst nicht mehr ganz an und selbst in der Umarmung gedachtest du dunkel, trotz deiner Umgebung, all dieser Dinge, – die der wahren Liebe fremd sind!

Warum also, Akedysseril, wunderst du dich, eine Gefahr überlebt zu haben, die in Wirklichkeit gar nicht dagewesen ist?

Nun gedenke deiner Witwenzeit, schöne junge Frau, die du so tapfer deinen Schmerz zu besiegen weißt. Wie hätte der Besitz des geliebten Wesens dich töten können, da selbst der Verlust desselben dir nicht die Kraft und Freude des Lebens genommen hat?

Gas kam daher, junges Weib, weil deine Hochzeitnacht einem Sternenhimmel gleich war. Sie glich einer jener klaren stillen Nächte, die nur von dem Funkeln der Sterne erhellt werden. Der Blitz Kamadewas, des Gottes der Liebe, durchzuckte ihn nur flüchtig wie Wetterleuchten; aber nicht in einer solchen stillen Nacht fährt ein Blitzstrahl in die Herzen der Menschen!

Nein, das geschieht nur in jenen verzweifelten, düsteren, trostlosen Nächten, wo der Tod uns willkommen erscheint, wo man Vergangenes nicht beklagt, Zukünftiges nicht fürchtet, wo kein anderes Gefühl die Seele bewegt, als die Liebe! Nur in einer solchen Nacht fährt der zugleich beglückende und vernichtende Wetterstrahl Kamadewas nieder. Nur dann, wenn die Liebe Herz, Sinne und Gedanken vollständig erfüllt, bis zu dem Punkte, wo eins im andern sich vollständig auflöst! Denn es ist ein ewiges Gesetz der Götter, daß die Größe einer Freude nach dem Maße des Leidens und der Verzweiflung bemessen wird, die man um sie gelitten hat. Nur ein Entzücken, das sich wie eine Feuersbrunst der Seelen bemächtigt, wird sie befreien und vom Leben erlösen.

Darum brachte ich so viel Leid in das Leben der Kinder, ja viel mehr Leid noch als deine Späher dir erzählt haben! – – Doch nun zu den Geheimkünsten, über die wir alten Brahminen verfügen – glaubst du, daß deine alles wissenden Spione das Innere der großen Felsen kennen, von deren Spitze die beiden jungen Verurteilten sich gestern abend in den Ganges stürzen wollten?«

Akedysseril riß ihr Schwert aus der Scheide, unfähig ihren Zorn länger zu beherrschen, rief sie funkelnden Auges:

»Unsinniger Barbar! Willst du mich mit gleißnerischen Worten betören, wie du meine armen Opfer in einen häßlichen Tod gelockt hast? Ah, schon tragen die Wellen ihre unschuldigen Leiber durch das Schilf den Strom entlang! Nirwana ruft dich! Stirb!«

Ihr Schwert umschrieb einen funkelnden Kreis, noch einen Moment und der Asket wäre dem unerwarteten heftigen Angriff des starken, jungen Armes erlegen.

Aber plötzlich warf sie die Waffe weit von sich und das klirrende Geräusch des niederfallenden Schwertes dröhnte durch den Tempel.

Und das geschah, weil der finstere Oberpriester, ohne nur das Auge zu seiner Anklägerin zu erheben, ohne Zorn und Leidenschaft, ganz gleichmütig die zwei Worte gemurmelt hatte:

»Sieh her!«

*   *   *

Bei diesen Worten teilten sich die großen Vorhänge, die den Altar Siwas verhüllten und man sah in das Innere der Höhle, über der der Gott thronte.

Zwei Asketen hielten mit gesenkten Augen die blutroten Falten des Vorhanges an beiden Seiten zurück. Im Innern des Schreckensortes brannte ein Feuer auf dem Dreifuß. Da der Gott Siwa das freie Auflodern des Feuers verbietet, so waren die Flammen durch große goldene Platten niedergedämpft, in denen sich die Glut wiederspiegelte, wodurch der Opferstein mit unheimlicher Helle beleuchtet wurde. Zu Häupten desselben standen zwei Tempeldiener, die brennende Fackeln trugen. Und dort auf dem schwarzen Marmorbette lagen zwei junge Gestalten, blaß und unbeweglich, dicht beieinander. Die weißen Falten ihrer durchsichtigen Tuniken ließen die Linien ihrer Körper durchschimmern. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, es lag wie Licht über den bleichen Zügen; der Abglanz einer schöneren Welt schien darauf zu ruhen.

Ein himmlisches Glück, das das Maß dessen überschritt, das die Götter sonst schenken, schien sie vom Leben befreit zu haben, und der Tod hatte es nicht vermocht, den Widerschein dieses Glückes von ihrem Antlitze wegzuwischen.

Auf diesem Lager, auf das die Tempeldiener sie gelegt hatten, bewahrten sie noch die Haltung, in der der Tod, dessen Kommen sie sicher kaum bemerkt, seine Schatten über die beiden jungen Wesen geworfen hatte.

Die jugendliche Schönheit Sedjnurs schien in ihrer strahlenden Blässe der Dunkelheit des Ortes Trotz zu bieten. Er hielt sie, die sein Alles war, mit den Armen umschlungen, und Yelka, deren weißes Antlitz etwas nach hinten fiel, und deren Arm den Hals des Geliebten umfaßte, schien wie in einer Verzückung eingeschlafen zu sein. Ihre freie Hand lag auf Sedjnurs Stirn. Ihr schönes aufgelöstes Haar umfloß sie und ihn in dunklen Wellen, und der ihm entgegengeneigte halbgeöffnete kleine Mund schien ihm mit dem ersten Kuß zugleich den letzten Seufzer darzubieten. Sie schien mit einer letzten Anstrengung den Mund des Geliebten an ihre Lippen ziehen zu wollen, während ihr zarter jungfräulicher Busen an seiner Brust ruhte.

Ja, es war offenbar, die ganz unerwartete plötzliche Vereinigung, auf die beide nicht mehr zu hoffen gewagt, die Trunkenheit der Sinne, die sie bei der Erfüllung ihres glühenden Wunsches ergriffen, hatte wie ein elektrischer Schlag auf die beiden jungen Menschen gewirkt und sie aus diesem Leben in den Himmel ihrer Träume getragen. Es wäre sicher für sie eine Strafe gewesen, wenn sie diesen unvergleichlichen Augenblick überlebt hätten!

*   *   *

Schweigend blickte Akedysseril auf das wunderbare Werk des Oberpriesters Siwas.

»Glaubst du, daß, wenn die Dewas dir die Macht verleihen würden, sie zu erwecken, diese Verklärten das Leben dankbar ansehen würden? – Du, du selbst, o Königin, beneidest sie!«

Sie antwortete nicht, eine seltsame Bewegung verschleierte ihre Augen. Sie stand bewundernd vor der Erfüllung ihres seltsamen Wunsches.

Plötzlich hörte man das lauter und lauter werdende Murmeln von vielen Stimmen, das Geräusch sich nähernder Schritte, das Wogen des Volkes außerhalb des Tempels, das Klirren von Waffen.

Tief sich vorneigend, das Schwert in der Hand, standen die drei Großwesire auf der Schwelle des Tempels, zögernd traten sie näher, als sie ihre junge Königin mit abgewandtem Antlitz, von dem heiligen Feuer der Opferflamme beleuchtet, dastehen sahen.

Hinter ihnen drängten sich die Kriegsjungfrauen der Königin, die mit drohender Gebärde nach Akedysseril ausspähten, von Unruhe ergriffen, was aus ihrer jungen Herrscherin geworden sei. Sie konnten sich kaum überwinden, gleich in das Allerheiligste des Gottes einzudringen.

Alles rief Akedysseril in das Leben zurück, mahnten sie, ihrer Stellung als Königin eingedenk zu sein, ihre Pflichten auf sich zu nehmen, ihren schönen Traum und ihr eigenes verlorenes Liebesglück für immer zu vergessen.

Tief seufzte die junge Königin, und die zwei ersten, zugleich auch die zwei letzten Tränen ihres Lebens benetzten wie Tautropfen die Lilien ihrer Wangen.

Aber bald faßte sie sich. Stolz und hoch aufgerichtet betrat sie die oberste Stufe des Altars:

»Vizekönige, Wesire und ihr, meine tapferen Krieger,« rief sie mit ihrer durchdringenden Stimme, die allen so wohlbekannt war und die hell aus den Säulengängen des Tempels zurücktönte. »Ihr habt den Tod eines Prinzen beschlossen, der nach dem Tode meines königlichen Gemahls Sinjab der Erbe des Königsthrones von Seür war. Ihr habt mich zu eurer Königin ausgerufen und ihr habt Sedjnur und seine Braut Yelka, die Prinzessin jenes reichen Landes, das wir durch die Gewalt unserer Waffen uns Untertan gemacht, zum Tode verurteilt, – – hier sind sie! –

Betet für die Seelen der Dahingeschiedenen, die nun in lichteren Sphären wandeln. Singt die Hymnen des Yadnur-Veda, meine tapferen Kriegerinnen und ihr kühnen Krieger! Möge Indien unter meinem Zepter endlich dauernden Frieden erringen und unter dem Wahrzeichen des Lotos, der heiligen Blume, ewig blühen!

Die Herzen aller ernst und edel Denkenden unter euch aber werden mit mir trauern: denn auf diesem Opfersteine ruht der letzte des indischen Königsstammes.

Das erlauchte Geschlecht der Ebbahar ist erloschen.«


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