Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sylvabel

›Schön wie die Nacht – und unheimlich wie sie.‹

Alfred de Vigny

 

Auf dem Schlosse Fonteval wurde ein Hochzeitsfest gefeiert, das gegen Mitternacht sein Ende erreichte. Die venezianischen Lampen, die in Guirlanden zwischen den hohen Bäumen der Alleen angebracht waren, leuchteten zwar noch, aber die Geigen des ländlichen Orchesters waren verstummt, und die Junker der Nachbarschaft suchten ihre sie an der Freitreppe des Schlosses erwartenden Wagen auf, während die bäuerlichen Gäste unter fröhlichem Gesang den Heimweg auf ihre Höfe antraten. Die Stimmung war eine ungemein heitre, denn man hatte dem Inhalt der unter den Eichen aufgefahrenen Fässer, die mit Bändern in den Farben der Neuvermählten geschmückt waren, reichlich zugesprochen.

Der neue Schloßherr, Gabriel du Plessis le Houx, hatte am Morgen dieses nun schon entschwundenen schönen Tages in der Kapelle des Schlosses seine eheliche Verbindung mit Sylvabel de Fonteval geschlossen.

Sie war eine wie Diana, die Jägerin, aussehende schlanke, junge Amazone, mit weißer Hand, braunem Haar und von berückendem Reize. Sie war zwanzig, er dreiundzwanzig Jahre alt! ... Beide waren schön, elegant und reich, und die Zukunft der beiden schien in rosenrotes Licht getaucht.

Sylvabel hatte schon gegen halb elf den Ball verlassen und befand sich – zweifellos – in diesem Augenblicke in dem ehelichen Schlafgemache. Die Bewohner des Schlosses hatten sich alle zurückgezogen und waren, da in keinem Fenster mehr ein Lichtschein zu erblicken war, offenbar zu Bett gegangen.

Nur in dem hinter dem Spielsaale und vor den Gärten gelegenen Treibhause war noch Licht. Zwei Herren hatten sich dort auf den grün kannelierten Gartenstühlen niedergelassen, vor denen ein Pfeilertisch stand, der einen Armleuchter trug. Der eine war Herr du Plessis selbst – der andere der Baron Gérard de Linville, sein Onkel, ein alter Gesandter und Diplomat, der des höchsten Ansehens genoß. Der dringenden Bitte seines Neffen nachgebend, hatte er sich entschlossen, die Nacht noch auf dem Schlosse zu verbringen, obwohl er schon vor Tagesgrauen aufbrechen mußte, da er in einer diskreten Mission nach Schweden zu reisen beabsichtigte.

»Mein lieber Baron,« rief Gabriel plötzlich, »ich danke Ihnen herzlich dafür, daß Sie hier geblieben sind. Ich stehe vor einer kritischen Zeit und Sie sind vielleicht der einzige, der mir einen wirklich nützlichen Rat geben kann. Ich habe Ihnen schon gestanden, mit welcher Glut und Leidenschaft ich meine Frau liebe, eine Leidenschaft, die so überwältigend ist, daß ich mich oft erbleichen fühle und kaum Worte zu finden weiß, wenn sie mit mir spricht. Hören Sie nun, was ich Ihnen ferner vertraue: Sylvabel empfindet für ihren Neffen nur eine ganz oberflächliche frivole Neigung, sie liebt mich aber nicht. Sie ist ein verwöhntes Kind, das stets nur seinen Liebhabereien gelebt und sich fast ausschließlich mit Pferden und der Jagd beschäftigt hat. Sie ist ein stürmisches unbezähmbares Mädchen, mit männlichen Neigungen, trotz ihres verführerischen echt weiblichen Reizes. Sie weiß, daß ich sanft bin, und da sie errät, wie sehr sie mich leiden macht, verachtet sie mich ein wenig. Gewiß, Sylvabel hat ohne Zögern meine Hand angenommen, aber dies geschah einmal meines großen Vermögens wegen – o es ist wirklich so – dann aber auch, weil sie hoffte, mich zu ihrem Sklaven machen zu können: folglich wird sie mich vielleicht oder vielmehr ganz gewiß früher oder später betrügen. Sie findet mich zu friedlich! zu künstlerisch empfindend und zu exaltiert – mit einem Worte charakterlos.

Dazu kommt, daß sie selbst einen Geist von durchdringender, fast geheimnisvoller Schärfe hat. Sie ist eine Prophetin... Aber was wollen Sie? Sie besteht auf ebenso lächerlichen wie kränkenden Ideen. So hat sie mir heute abend auf das entschiedenste erklärt, daß sie fest entschlossen sei, morgen in aller Frühe eine Jagdpartie zu machen, und zwar zu Pferde. Wahrscheinlich will, sie damit den Bewohnern des Schlosses beweisen wie wenig ermüdend unsere Hochzeitsnacht für sie gewesen – beiläufig bemerkt, hat sie mich außerdem dazu verurteilt, diese erste Nacht unserer Ehe allein zu verbringen. Wenn das acht Tage so fortgehen soll, hat sie sich daran gewöhnt, die Herrscherin zu sein, und ich bin verloren – gleichviel was ich in Zukunft anstelle, um mich zu wehren. Dann aber werden die Dinge ein Ende mit Schrecken nehmen, denn ich gestehe es offen, meine Natur ist so, daß, wenn man mich zwingt, meine gewohnte Ruhe und Sanftmut zu verleugnen, ich so heftig werde, daß ich zu jedem Gewaltakte fähig bin. Ich bitte Sie also, lieber Onkel, der Sie einen so feinen Verstand besitzen, nicht nur gelebt haben, sondern auch die Kunst des Lebens wirklich verstehen, ich bitte Sie, mir zu sagen, ob Sie nicht ein Mittel wissen, den trostlosen Eindruck, den meine Frau von meinem Charakter hat, zu zerstören.

Wissen Sie keinen Rat, durch den ich ihre Liebe erringen könnte? Ich möchte sie davon überzeugen, daß ich trotz meiner Sanftmut und äußern Ruhe einen festen männlichen Charakter habe. Denn davon hängt alles ab. Was immer Ihr Rat sei, ich werde ihm gehorchen, ohne weiter darüber nachzudenken, wie ein Soldat, der Ordre pariert, oder wie ein Kranker, der ohne zu fragen, das ihm von einem großen Arzte gebotene Heilmittel annimmt. Ich vertraue mich Ihrer Weisheit. Es ist meine Ehre und mein Glück, die hier auf dem Spiele stehen.«

Baron Gérard warf einen hellen lächelnden Blick auf den jungen Mann, dachte einen Augenblick nach, neigte sich dann zu Gabriel und flüsterte ihm wohl fünf Minuten lang die ersehnte Antwort ins Ohr. Der Neffe horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit den Worten des alten Herren, die ihn mit Staunen erfüllten.

»Ich reise also in aller Frühe nach Stockholm,« fügte Herr de Linville sich erhebend mit lauter Stimme hinzu: »ich erwarte, daß du mir das Resultat bald schriftlich mitteilst. Vor allem also, handle ganz einfach, so einfach wie mein Rat und befolge ihn buchstäblich.«

»Danke, danke aus tiefstem Herzen. Gute Reise also und – auf Wiedersehen,« antwortete Gabriel, nun ebenfalls aufstehend und dem Onkel die Hand drückend.

Die beiden Herren begaben sich dann jeder auf sein Zimmer, in dem der Gesandte ruhigeren Schlaf fand, wie sein junger Freund. –

*   *   *

»Halloh! Halloh! Die Sonne scheint! – Schläfst du noch? Gabriel!«

So rief Frau Sylvabel du Plessis le Houx, die auf einem prächtigen Brandfuchs sitzend, der ungeduldig mit den Hufen den Boden scharrte und von einer ganzen Meute laut bellender und sie mit lustigen Sprüngen umgebender Hunde unter den Fenstern ihres Gatten hielt. Sie zog ungeduldig die Stirn zusammen, so daß eine tiefe Falte zwischen den schwarzen, die schönen lichtblauen Augen beschattenden Brauen entstand und ließ die feine Reitpeitsche durch die Luft sausen.

Das Geräusch eines aus der hinter ihr liegenden Allee galoppierenden Reiters veranlaßte sie, sich umzusehen: es war Gabriel.

»Meine liebe Sylvabel,« sagte er, sie höflich begrüßend, »du siehst, ich bin pünktlich zur Stelle, und zwar wie gewöhnlich noch zehn Minuten vor der verabredeten Zeit.«

»Wirklich?... Ach ja, du hast dich zweifellos unter den Bäumen dort deinen Träumen hingegeben. Du siehst ja ganz strahlend aus. Komponiertest du?«

»Ja ... diesen Strauß für dich – drei Rosenknospen und diese Verbenenzweige...«

»Du bist galant,« antwortete Sylvabel leichthin und steckte die Blumen zwischen zwei Knöpfe ihrer Taille.

»Das ist meine Pflicht,« antwortete kühl Herr du Plessis, »außerdem sagt man, daß Verbenen Schutz vor Anfällen verleihen.«

Etwas überrascht von der kühlen, beinahe ernsten Sprache ihres Gatten blickte die elegante Amazone ihn erstaunt an, dann sagte sie ungeduldig:

»Brechen wir auf, wir werden später in einer Lichtung auf dem Moose frühstücken.«

Während der ersten Stunden der Jagd sprach Gabriel keine zwanzig Worte. Er schien jedoch sehr vergnügt und ganz vertieft in die Freuden der Jagd zu sein. Er erlegte zwei Hasen, einen Auerhahn und acht Wachteln, die der einzige Piqueur, der sie begleitete und hinter ihnen ritt, in seine Jagdtasche steckte.

Gegen Mittag stieg man vom Pferde, um in einer prachtvollen Lichtung des Waldes auszuruhen. Nachdem er ein Stückchen Pastete, zwei Gläser Champagner, einige Waldbeeren und eine Tasse Kaffee genossen hatte, steckte Gabriel, der während des Mahles das Spiel der Eichhörnchen zwischen den Ästen der Bäume beobachtet hatte, sich eine Zigarette an und sagte, nachdem er sie geraucht:

»Nun wieder in den Sattel, vorausgesetzt, daß du genügend ausgeruht hast, Sylvabel?«

»Vorwärts also,« sagte sie.

Man nahm den Ritt wieder auf; diesmal führte jedoch der Weg quer durch die Felder.

Man war an einer Biegung des Weges angekommen, als plötzlich etwa dreißig Schritt von einer Hecke entfernt ein Hase aufsprang und blitzschnell vorüberlief.

Die Hunde stürzten hinter ihm her. Gabriel drückte seine Flinte ab, schoß aber daneben.

»Daran ist dies dumme Tier, der Murmuro schuld,« sagte er mit sanftem Lächeln und sehr rasch seine Flinte von neuem ladend. »Er hat sich grade, als ich zielte, zwischen mich und den Hasen geworfen.« Ruhig legte er seine Flinte an, zielte und schoß den vielleicht hundert Schritte von ihm entfernten prächtigen Dachshund ohne weiteres nieder.

Bei diesem, unerwarteten Schauspiele zitterte Sylvabel.

»Was,« rief sie ganz erschrocken, »du machst dieses arme Tier für deine eigne Ungeschicklichkeit verantwortlich und tötest es ohne weiteres?«

»Es tut mir selbst leid, denn ich liebte ihn sehr,« antwortete ruhig Gabriel. »Aber ich bin einmal so, ich kann es nicht vertragen, daß etwas gegen meinen Willen geschieht, ohne in heftige Aufregung zu geraten; wäre ich Soldat geworden, so würde ich sicher in den ersten vierundzwanzig Stunden füsiliert worden sein. Das ist ein Fehler, der schon in meiner Kindheit zu sehr stürmischen Szenen Veranlassung gab – ich habe bis zum heutigen Tage vergebens gesucht mich zu bessern. Dir zuliebe will ich es indessen noch einmal versuchen.«

Sylvabel spielte mit ihrer Reitpeitsche und versank in träumerisches Schweigen.

Man ritt weiter. Gabriel plauderte von den gleichgültigsten Dingen und schien das kleine Begebnis vergessen zu haben. Sie blieb schweigsam und warf nur hier und da ein kurzes Wort ein.

Ungefähr eine Stunde später flog gerade vor ihnen ein Feldhühnervolk auf. Gabriel legte an, zielte, schoß, ohne daß eins der Tiere auch nur eine Feder verlor.

»Wahrhaftig,« brummte er leise, aber mit sehr ruhiger Stimme, »das ist unerträglich! Diesmal ist meine gemeine Stute schuld daran, denke dir nur, sie hat grade in dem Augenblick, wo ich anlegte, einen Sprung gemacht.«

So sprechend zog er einen Revolver aus seiner Satteltasche, setzte den Lauf kaltblütig an das Ohr seines Pferdes und schoß ihm den Schädel auseinander. Mit einem graziösen Satz abspringend, verhinderte er den jähen Fall des Tieres, das nach ganz kurzem Todeskampfe ohne Bewegung langsam niedersank.

Sylvabel riß ihre großen blauen Augen weit auf.

»Aber, um Gottes willen, was fällt dir denn ein? Das ist ja Wahnsinn! Was fällt dir ein, Gabriel, ein so schönes Tier zu töten – ein Rassepferd – und nur, weil du keins von den Feldhühnern getroffen hast?«

»Ich beklage es tief, Sylvabel. Indessen glaube ich dir vor wenig Minuten im Vertrauen mitgeteilt zu haben, an welcher angeborenen Schwäche ich leide. Ich kann dir nur wiederholen, daß es über meine Kraft geht ohne Protest auch nur die kleinste Widerwärtigkeit zu ertragen. Piqueur! Euer Pferd, Ihr werdet zu Fuß nach Hause gehen. – Wollen wir nun heimkehren?«

Er schwang sich in den Sattel und sie lenkten nun die Pferde dem Schlosse zu.

»Wirklich, mein Freund,« murmelte Sylvabel, »mir scheint, daß die magischen Eigenschaften deiner Verbenenzweige mich sehr im Stiche gelassen haben! Hältst du mir so dein Versprechen, mir zuliebe deinen jähzornigen Charakter zu zügeln?«

»Dieses Mal,« antwortete der junge Mann ruhig, »war ja allerdings die Macht der Gewohnheit größer als die meiner guten Vorsätze. Aber ich werde in Zukunft mich mehr zu beherrschen wissen. Ja, um dir zu gefallen und um deine Gunst zu erringen werde ich mich bestreben – wenn auch nicht geduldig und sanft bis zur Teilnahmlosigkeit, so doch zu versuchen, einigermaßen Herr meines Jähzornes zu werden.«

Gabriel gab diese Erklärung mit eiskalter Höflichkeit und Ruhe ab. Sylvabel du Plessis le Houx vermochte es nicht ein Wort der Entgegnung zu finden. Schweigend ritt das junge Paar nebeneinander dahin und man erreichte Fonteval, als die ersten Schatten des Abends sich herabsenkten.

*   *   *

Das Abendessen verlief in reizendster Weise. Die Schloßherrin vergaß (wahrscheinlich aus Unachtsamkeit), als sie sich in ihr Zimmer zurückzog, den Riegel vor die Tür zu schieben.

Als dann gegen fünf Uhr morgens, als schon der bläuliche Schein der Nachtlampe in dem aufsteigenden rosigen Lichte des nahenden Morgens verblaßte, das junge Paar ganz berauscht und erschöpft von den Freuden der Liebe einander zärtliche Worte und Geständnisse zuflüsterte, blickte Sylvabel ihren Gatten in seltsam forschender Weise an und sagte dann plötzlich ganz leise:

»Gabriel, ein Tag hat dir genügt, um mich zu erobern, denn nun bin ich ganz dein. Glaube indessen nicht, daß es das Opfer dieser beiden armen Tiere ist, über das ich im stillen gelächelt habe, wodurch du mich besiegt hast. Nein, es geschah vielmehr, weil ein Mann, der die Festigkeit hat, den Rat eines erprobten klarsehenden Freundes zu befolgen – ohne während eines Tages und einer solchen Nacht wie diese, sich in Gegenwart derer, die er liebt und die ihn leiden machte, auch nur einen Augenblick zu verraten, dadurch beweist, daß er selbst über diesem Rate steht, und daß er einen festen, stolzen Charakter hat, der der Liebe wert ist ... Du kannst das wohl unter den Dankesbrief schreiben, den du zweifellos deinem Onkel und Freund, Baron de Linville nach Schweden zu senden versprochen hast.«


 << zurück weiter >>