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Vierter Teil.
Welt der Leidenschaften

I. Die Prüfung durch das Gold und durch die Liebe

Die Grabgewölbe unter den Krypten der Burg Auersperg.

(An der Mauer des Hintergrundes, alle Gräber beherrschend, das große in Granit ausgehauene Wappen der Familie.

Rechts und links, das ganze Gewölbe entlang, befinden sich Mausoleen von weißem Marmor. Marmorstatuen, Ritter und Schloßfrauen darstellend, schmücken die Gräber, die Ritter stehen oder knien auf ihrem Grabe, die Frauen, alle im Kostüme ihrer Zeit, ruhen lang ausgestreckt auf ihren Sarkophagen; zierliche, in Marmor ausgehauene Windhunde liegen zu ihren Füßen.

Eine von der Decke des mittelsten Gewölbes herabhängende Lampe verbreitet ein dämmeriges Licht. In der Nähe eines porphyrenen Weihrauchkessels steht ein großer Betstuhl aus Ebenholz, der mit Kissen aus violettem Samt bedeckt ist, dessen Goldstickereien und Fransen ganz verblaßt sind.

In der Mauer links befindet sich ein nach außen führendes, von innen und außen vergittertes Fenster, das durch einen schwarzen Vorhang halb verhüllt ist. Der Mitte zu, aber an derselben Seite, eine niedrige in die dicke Mauer eingelassene Eisentür.

Rechts im Hintergrunde der Galerie eine massive gotische Tür von Eisen mit zwei Flügeln, von der drei Stufen in das Gewölbe hinabführen, und hinter der der Aufgang zu einer hohen steinernen Treppe sich befindet.

Mitten unter den Gräbern, auf einem Dreifuße, ein bronzenes Weihrauchgefäß, aus dem eine Flamme aufsteigt.

Links, nicht weit von der Mauer und auf ihre Schaufeln gestützt, stehen Gotthold und Nikolaus und sehen Herrn Zacharias zu, der damit beschäftigt ist, den Namen des Verstorbenen, den sie eben begraben, mit Silberbronze auf ein Kreuz von schwarzem Ebenholz zu schreiben. Hartwig, der etwas mehr nach rechts steht, ordnet verschiedene Gegenstände auf einem steinernen Träger. Ukko hat den Arm auf das Betpult gestützt und sieht ebenfalls, aber mit spöttisch lächelnder Miene, der Arbeit des Herrn Zacharias zu.)

Erste Szene

Ukko, Gotthold, Herr Zacharias, Hartwig, Nikolaus.

Ukko: Eine Grabschrift? Hier ist sie: Hier ruht ein Edelmann, der leichtsinnig gelebt, viel und gut gegessen hat, und der stets Jagd auf schöne Frauen machte. Er war übrigens ein vorzüglicher Fechter. – Möge er an Gottes Thron Fürsprache für uns einlegen.

Gotthold: Stille doch, mach nicht so viel Lärm, der Tod hat ein Recht auf Ruhe.

Ukko: Ich gönne dem Leichtsinnigen, der nicht den Titel eines Lebenden verdiente, auch nicht den eines Toten: Hier ruht ein Elender, ein übersättigter Genußmensch, der niemals geliebt oder gebetet hat. Was ist er uns gewesen? Er hat über alles gespottet, nun spottet alles über ihn. Noch eine Schaufel voll Sand und dann: Ade!

Gotthold: So schweige doch endlich, Ukko.

Nikolaus: Er ist ein Schreckbild gewesen – wie andere auch.

Ukko: Was, ihr wolltet aus diesem angebohrten und ausgelaufenen Weinschlauch noch ein Schreckbild machen?

Gotthold: Dein Zorn ist kindisch – ein törichter, eigensinniger Zorn.

Ukko (lächelnd): Der angeborene Widerwillen gegen gewisse Dinge verbraucht sich nicht, er wächst mit dem Leben und läßt sich nicht durch das Wort Zorn travestieren. Seht den Löwen und den Schakal, die einander in vielen Stücken doch ähnlich sind, und doch wissen diese Tiere es sehr wohl, daß sie in alle Ewigkeit nicht von derselben Art sein werden.

Nikolaus (die Hände über seiner Schaufel faltend): Du erschreckst uns, mein Junge.

Ukko: Ihr denkt ja selbst das, was ich auszusprechen wage.

Gotthold: Wie rasch du mit deinem Urteil über die Toten bei der Hand bist – du, der du noch nicht mal trocken hinter den Ohren bist.

Ukko: Wer von euch würde nach dem Tode das Grab mit diesem Elenden teilen wollen? ... (Pause.) Da seht ihr's wohl! –

Nikolaus (nachdenklich): Immerhin war er ein Edelmann, der aus vornehmem Blut und einem tapferen Geschlecht entstammte.

Ukko: Sein Blut machte ihn tapfer, nicht sein Herz, und er war ein Edelmann etwa in der Art wie ein kupferner Dukaten, den man gut poliert hat, ein Goldstück ist. Aber welchen Wert hat falsches Geld? Gar keinen, weniger wie den Metallwert.

Gotthold: Stille doch.

Ukko: Wer kann uns denn hier hören? Wenn diese massiven Eisenpforten geschlossen sind, so mag es draußen donnern, man würde es hier nicht hören, so dick sind diese Gewölbe: sie münden tief im Schoße des Berges.

Gotthold: Ich wollte nur sagen, daß unter diesen Steinen Männer ruhen, die Träger desselben Namens waren, dessen er sich rühmte.

Ukko (eiskalt): Ihn aber ehren zu wollen, das heißt die Ehrfurcht gegen diese Edlen verletzen.

Herr Zacharias (sich erhebend und auf das große schwarze Kreuz stützend): Knabe, wisse, daß auch für ihn das Blut eines Gottes vergossen wurde. Du bist jetzt in dem Alter der überströmenden Jugendkraft, aber diese Zeit geht rasch vorüber, und dann lernt man es, nicht mehr so schonungslos über Dahingeschiedene zu urteilen. – Hilf mir lieber, dieses Kreuz in die Erde des frisch aufgeworfenen Grabhügels zu pflanzen.

Ukko (murmelnd): Auch noch ein Kreuz darauf? Ganz sicher ist, daß er selbst sich am wenigsten daraus gemacht haben würde.

Gotthold und Nikolaus (in ernstem Tone): Ukko! Jetzt machst du uns aber wirklich böse.

Ukko: Sei es darum; aber ich glaube ganz gewiß, wenn er uns hören könnte, würde er euch bitten, stille zu sein. Genug davon, ich füge mich und werde eure Gebräuche ehren. (Er stößt das Kreuz tief in den Grabhügel.)

Hartwig (nähertretend und ein Pulver in den Weihrauchkessel werfend): Hier ist Weihrauch.

Ukko: Oh, war das auch notwendig?

Zweite Szene

Dieselben, Axel

Axel (der in Reisekleidern und mit einem schwarzen Mantel aus der niederen Tür tritt): Die Mitternachtsstunde rückt heran: morgen um diese Zeit werde ich schon weit fort von hier sein ... Ich komme, um euch Lebewohl zu sagen.

Herr Zacharias (zitternd und in schmerzlichem Ton): Oh, Sie wollen fortreisen, mein vielgeliebter gnädiger Herr?

Gotthold (stotternd): Gnädiger Herr! Wir sind sehr alt: wir hatten gehofft, daß nach den wenigen uns noch beschiedenen Tagen es Ihre Hand sein würde, die uns die Augen zudrückte.

Axel (sie zärtlich anblickend und nach einer Pause): Freunde, – Freunde! Meine alten Kinder! Es must sein. Vergebt mir! (Zu Ukko.) Du wirst während meiner Abwesenheit den Befehl über alle Einwohner des Schlosses führen – ausgenommen über diese hier, die du liebst und die dich lieben.

Ukko (ganz bestürzt, stammelnd): Was ist das! Du nimmst mich nicht mit dir? Du nimmst mich nicht mit?

Axel (mit leiser Stimme und mit traurigem Lächeln): Und dein Bräutchen, Knabe? Und dein Vaterland! – Ich muß euch verlassen und werde das Osterfest nicht mit euch feiern. Wollt ihr mir aber eine Freude machen, so laßt, wenn die Morgenröte erscheint, Trompeten und Fanfaren erschallen; ich werde es in der Ferne vernehmen und dabei der schönen Vergangenheit gedenken. Wenn ihr nicht zu schläfrig dazu seid, so benutzt den Rest der Nacht zu fröhlichem Schmause, trinkt und singt, begrabt alle trüben Gedanken und Erinnerungen im Grunde eurer Becher! – Umarmt mich.

Hartwig, Nikolaus, Herr Zacharias und Gotthold: Adieu, Auersperg!

Axel (nachdem er jeden von ihnen umarmt und an das Herz gedrückt hat, – zu Ukko): Ich habe den Förster, unseren guten Vater Hans Glück, wecken und ihm das nötige mitteilen lassen. Weißt du, daß er dich morgen in aller Frühe erwartet, und daß er dein Hochzeitsfest vorbereitet hat?

Ukko: O mein geliebter Herr!

Axel (ihn umarmend): Mein Sohn!

(Er öffnet die Arme; Ukko stürzt sich ganz aufgelöst in Tränen hinein und umarmt ihn.)

Du wirst auf meinem Tische eine mit meinem Namen unterzeichnete Urkunde finden: für den Fall, daß ich nicht wiederkehren sollte, gehört das Schloß dir.

Ukko (schluchzend): Ach!

Axel: Reicht mir noch einmal die Hand, – und dann lebt wohl. Ich bitte euch, laßt mich jetzt hier allein und empfangt meinen letzten Befehl: in Zukunft soll niemand in diese Gewölbe herabsteigen.

(Die vier Greise verneigen sich tränenden Auges.)

Gotthold (mit halber Stimme): Wir sehen ihn zum letzten Male.

Nikolaus (sich die Augen mit dem Rücken der Hand abwischend): Er, von dessen Blick wir lebten!

Herr Zacharias (für sich, ganz verstört): Oh, des Jammers! Der Schatz, der große Schatz ist verloren, verloren! Daß ich diese Stunde erleben mußte!

(Sie gehen auf die niedrige Tür zu. Ukko, der das Gesicht mit den Händen bedeckt hat, zögert einen Augenblick, kehrt dann zurück und wirft sich über Axels Hand, die er mit Tränen benetzt und in stummer Verzweiflung küßt.)

Axel: Lebt wohl!

(Der Page folgt schwankenden Schrittes den vier Greisen, und sie alle verschwinden schluchzend durch die Tür. Axel wirft seinen Mantel über den Betschemel.)

Dritte Szene

Axel (allein, um sich blickend): Bald werde ich denen gleich sein, die hier ruhen.

(Pause.)

Der Anblick ihrer Überreste ist mir ein Spiegelbild dessen, was mich selbst erwartet. Was nützt es, hier zu reden?

(Er setzt sich, starr vor sich hinblickend und die herabhängenden Hände faltend, auf ein Grab und überläßt sich seinen schwermütigen Gedanken. Nach einer Weile erhebt er den Kopf.)

Ihr, die ihr hier schlaft, Rosenkreuzer, meine Ahnherren! Wenn es Worte gibt, durch die ich euch aus eurem Schlummer erwecken könnte, so habe ich sie vergessen, denn ich will eure Schatten nicht durch meine kindischen Beschwörungen ermüden; angesichts des Todes bedeutet der Gegenstand meiner Träumerei nur eine Eitelkeit. Aber euch, Bilder aus Granit, ihr Sphinxe mit dem goldenen Antlitz, euch Traumwesen, die ihr das Geheimnis dieses unermeßlichen Reichtums zu behüten scheint, Gestalten aus dem Jenseits, euch rufe ich an und ich beschwöre euch bei dem schrecklichsten aller Dinge, bei der Indifferenz des Schicksals höret meinen Ruf! Ich befehle euch, daß dieser einsame Totenkopf, der das Symbol des Geschlechtes ist, dem ich entstamme, mir ein Zeichen gebe, und mir, sei es nur durch ein Aufleuchten seiner Augenhöhlen, durch ein Wort oder durch irgendeinen anderen wunderbaren Akt, den rätselhaften Sinn der Inschrift seiner mit strahlenden Steinen besetzten Stirnbinde deute:

Altius Resurgere Spero Gemmatus Anm. des Übersetzers. Die wörtliche Übersetzung lautet: Mit Edelsteinen bedeckt, werde ich mich wieder hoch erheben.

(Kaum hat er die Worte dieses Wappenspruches ausgesprochen, als er stutzt, da ihm ist, als vernehme er plötzlich das Geräusch leise sich nahender Schritte.

Er erhebt horchend den Kopf und scheint seine eigenen Worte vergessen zu haben, und mit gespanntester Aufmerksamkeit dieses unerwarteten Geräusches zu lauschen.)

Was ist das? Ist das der Wind? Seit einem Augenblick glaube ich etwas zu hören ... ja ... es ist wirklich so, ein leiser Schritt ist's, der von der Treppe her zu kommen scheint. – Ukko, zweifellos? ... Nein! Ich habe doch eben erst ausdrücklich verboten, daß, wer immer hier eindringen dürfe ...

(Er blickt durch die Flügel der großen zu der Steintreppe führenden Türe; dann mit einer Bewegung der Überraschung.)

Eine Frau! – Ich habe recht gesehen. Es ist eine Frau! Ach, zweifellos, es ist die Fremde, die heute nacht im Schlosse erschienen! Aber was ist das? Sie hält die Fackel so über ihrem Kopf, daß ich ihr Gesicht nicht zu erkennen vermag. Sie steigt langsam, aber vollkommen sicheren Schrittes – ohne zu zögern, in diese verborgenen Gewölbe herab, als ob sie ihr längst bekannt wären! – Was aber blitzt in ihrer Hand? Ach, ich glaube, daß es ein Dolch ist. Was bedeutet das? ... Wahrhaftig, ihre Schlaflosigkeit gleicht der meinen! Sie tritt vollständig sicher auf. (Er blickt um sich.) Welch geheimnisvolle Neugierde regt sich in mir! Sie kommt näher ... Ach, ich will wissen! ...

(Er verbirgt sich in einem Winkel der Mauer.)

Vierte Szene

Axel, Sara

Sara (in ihren Trauerkleidern und halb verschleiert. Sie trägt eine Fackel in der einen und einen Dolch in der anderen Hand. Sie berührt mit sicherer Hand die Federn der beiden Flügel der schweren Eisentür; diese schließen sich sofort geräuschlos, hinter ihr erscheint sie auf der obersten der vier herabführenden Stufen.

Schweigend blickt sie um sich und prüft das Innere des Saales mit tiefer Aufmerksamkeit. Ihr forschender Blick gleitet über den zwischen den Gräbern befindlichen Raum. Dann tritt sie ein, schließt die Tür ab und sichert sie noch durch eine daran befestigte Eisenstange.

Langsam steigt sie die Stufen hinab und wendet sich der rechts gelegenen Tür zu, deren Eisenriegel sie ebenfalls vorschiebt.

Nachdem dies geschehen, steckt sie ihre Fackel in einen der an den Mauern befestigten großen Eisenleuchter und wendet sich der massiven, im Hintergrunde des Grabgewölbes befindlichen Mauer zu.

Sie tritt auf eine vor dem großen Wappenschilde befindliche Stufe, und betrachtet dasselbe mit gespanntester, geheimnisvoller Aufmerksamkeit.

Dann umfaßt sie das Heft ihres Dolches mit beiden Händen, sie scheint ihre ganze jugendliche Kraft zu sammeln, und stößt mit der Spitze ihres Dolches kräftig zwischen die Augen des heraldischen Totenkopfes.)

Sara: Macte Animo! Ultima ...

(Da plötzlich schiebt sich die massive Mauer voneinander, eine große, gewölbte Öffnung entsteht, in der das Wappen der von Auersperg hinabgleitet und langsam unter der Erde versinkt, während sich vor Sara der Blick in düstere Galerien und Gewölbe eröffnet, die sich unabsehbar weit in das Dunkel verlieren.

Und während sich der gewölbte Spalt dieser Öffnung mehr und mehr erweitert, stürzt plötzlich von oben ein funkelnder Regen von Edelsteinen und Diamanten herab, dem Gemmen in allen Farben folgen, eine Myriade wie Tautropfen schimmernder, in schwere Halsbänder gefaßter Brillanten, Diamanten ohne Zahl, Schmuckstücke aller Art, herrliche Perlenketten. Es ist, als ob dieses wunderbare Geriesel von köstlichen Steinen, von Perlen und Kostbarkeiten aller Art nicht enden wolle, es ergießt sich über Saras Haar, ihre Schultern und Kleider, es fällt in leuchtenden Garben bis zu den Füßen der weißen Statuen hin.

Und wie nun dieser Teil der Mauer bis zur Hälfte unter der Erde versunken ist, stürzen plötzlich von beiden Seiten des weit klaffenden Spaltes Katarakte von leuchtenden Goldstücken klingend herab. Aus den zerbrochenen Fässern, in die sie gepackt gewesen, und die, eins über das andere gestürzt, durch ihre eigene Wucht und Zahl zertrümmert sind, rollt unablässig der goldene Strom in schier nicht endenwollenden Wogen herab.

Beim Scheine der Fackel und der Lampe erkennt man im Innern der Gewölbe große Bündel zusammengebundener, vergilbter Pergamente, auf denen, trotz der im Gewölbe herrschenden Feuchtigkeit, noch große rote Wachssiegel erkennbar sind.)

Sara (die sich mit einer Hand auf die Schulter einer sehr alten Ritterstatue stützt, hat sich hoch aufgerichtet und steht mitten in dieser wunderbaren Erscheinung, die durch das doppelte Licht der Begräbnislampe und der Fackel beleuchtet wird; so steht sie, bleich, ernst, mit gesenkten Augenlidern und in ihren Frauenkleidern inmitten dieser unerhörten Schätze und vollendet mit leiser Stimme den Wappenspruch ihres Geschlechtes):

Perfulget Sola!

(Dann streckt sie die Hand aus und ergreift auf das Geratewohl eine Handvoll großer Diamanthalsbänder, in deren strahlenglänzenden Wogen sich einen Augenblick wie geistesabwesend ihr Gesicht und ihre Augen zu spiegeln scheinen.

Dann aber scheint sie plötzlich ein ungewisses Gefühl von der Gegenwart eines anderen zu empfinden, sie blickt um sich und entdeckt Axel, der hinter einem der Gräber steht und sie schweigend und aufmerksam beobachtet.

Sie läßt rasch die Geschmeide aus ihrer Hand fallen, wirft mit geschickter Bewegung die Falten ihres schwarzen Seidenmantels über die Schulter: – in ihrem Gürtel stecken zwei fein gearbeitete Pistolen. Sie ergreift die eine, legt an, zielt auf den Grafen von Auersperg und wirft dann die rauchende Waffe weit von sich.)

Axel (der getroffen und verwundet ist, stürzt sich auf sie zu, aber schon hat sie die andere Waffe ergriffen, sie zielt aufmerksam und gibt einen zweiten Schuß ab.

Auch jetzt ist Axel getroffen, indessen haben beide Kugeln nur leicht seine Brust gestreift, er erreicht Sara, das junge Mädchen erwartet ihn mit gezücktem Dolche, den sie ihm in die Brust zu stoßen bereit ist.

Es gelingt Axel jedoch durch eine geschickte kräftige Bewegung, Sara den Dolch zu entreißen.

Einen Augenblick, nachdem er sie entwaffnet, hat der Graf von Auersperg mit eisernem Griffe das Mädchen erfaßt, und sie ruht nun wehrlos und wie gelähmt in seinen Armen.)

Axel (mit schrecklicher Stimme, den Dolch erhebend): Du, jetzt bin ich es, der die Farbe deines Blutes sehen will.

(In dem Augenblicke, wo er zustoßen will, fällt sein Blick auf das Antlitz des jungen Mädchens, und, überwältigt von ihrer wunderbaren Schönheit, hält er inne.)

Sara (erfaßt das Handgelenk Axels und versucht es heftig, den Stoß des Dolches auf ihre eigene Brust zu lenken): Nun wohl, so sieh es dir an.

(Es gelingt dem Grafen von Auersperg, Saras Hand abzuschütteln, indessen streift die Spitze des Dolches bei dieser Bewegung ihre Schulter, aus der ein paar kleine Blutstropfen rieseln.)

Axel (für sich und sie wie geblendet betrachtend): O wie schön, wie wunderbar schön sie ist.

Sara (düster): Stoße zu und vergiß es.

Axel (sie loslassend): Nimm den kostbaren Teil dieser Schätze. Dein Leben ist gerettet.

Sara (vor den Weihrauchkessel tretend, verächtlich und nach einer kleinen Pause): Bin ich etwa eine Mitschuldige?

Axel: Dein Stolz macht dich fiebern. Die Hälfte dieser Reichtümer unterscheidet sich nicht von dem Ganzen.

Sara: Wenn dieses Gold überhaupt Gold ist, so gehört es Deutschland.

Axel: Deutschland! Nein, keineswegs. (Lächelnd.) Es gehört der Welt.

Sara (verächtlich): Das sind Spitzfindigkeiten, die zu begreifen nur in der Nacht schleichende Diebe fähig sind.

Axel (in heftigem Tone): Vergiß nicht, daß ich dir eben erst das Leben geschenkt habe.

Sara (einfach): Habe ich dich darum gebeten?

Axel: Hier sind genug Reichtümer aufgehäuft, um viele Seelen damit zu kaufen.

Sara: Nicht genug, um die meine auch nur einen Augenblick zu beunruhigen.

Axel: Wer hat hier das Recht, sich zum Richter aufzulehnen? – Hast du nicht durch ein doppeltes Attentat die Rechte der Gastfreundschaft verletzt? Wo bist du mir denn erschienen? Unter dem Scheine dieser Lampe und mit diesen Geschmeiden in den Händen. War das vielleicht auch, um sie Deutschland zurückzuerstatten?

Sara: Nein, weil ich nicht daran gedacht habe, diese Schätze abzutreten. (Nach einer Pause.) Markgraf, all diese Schätze sind jetzt herrenlos – und ich bin nur an diesen Ort gekommen, um mich eines verlorenen Zepters zu bemächtigen, denn die außerordentliche Menge dieses Goldes gibt ihm eine andere Bedeutung. Welcher Vorübergehende hätte nicht in allen Landen und zu jeder Zeit das Recht gehabt, sich die königliche Macht anzueignen, wenn irgendein göttlicher Zufall ihm die Insignien dieser Macht entgegengetragen hätte? Immer unter der Bedingung, daß er das Zepter aufzuheben, die Königswürde zu tragen verstünde, würde er ein wirklicher König sein. Wenn der Finder dieser Reichtümer sie allein von ihrem materiellen Werte aus schätzen wollte, dann bliebe ihm, wie du gesagt hast, nur die Pflicht, sie zurückzuerstatten. – Teilen? ... Kann man den Lichtstrahl trennen? Warum sollte ich, die du besiegt hast, zögern, dir durch meinen Tod Zeugnis dafür abzulegen, daß ich mich wirklich für berechtigt hielt, die Eroberung zu versuchen, da die einzige Gestalt, in der mein Geist sie begriff, eine souveräne war, in der mir keine vulgäre Gerechtigkeit mehr etwas bedeuten konnte?

Axel (sie starr ansehend): So ergreife also das Zepter ganz ungeteilt.

Sara (ernst und nach einer kleinen Pause): So sei es. Wer aber bist du?

Axel (nachdenklich): Was geht das dich an? – Lebe wohl.

Sara: Oh! ... Weile noch. (Nachdenklich und mit bitterer Stimme.) Sollte ich, die Siegerin, den Besitz aufgeben? Nein. Die in stürmischer Nacht Reisende ist zufällig hier eingekehrt. Ich würde bald genug meine Equipage und meine Pikörs, die mich an der Grenze Ihres Waldes erwarten, wieder erreicht haben. Später, nachdem diese ganze Legende der Vergessenheit anheimgefallen, würde ich durch meine Bevollmächtigten dieses alte Schloß zu erwerben wissen! ... Deine Großmut würde daher in meinen Augen niemals etwas anderes bedeuten, als wie ein unverdientes Almosen, dessen mich herabwürdigende Erinnerung alle mir in der Zukunft bescherten Freuden und Genüsse verderben müßte ... Nein! – Ich bin es, die hier zu verschwinden hat. (Für sich:) Ehe eine Stunde vorüber ist, werde ich den in diesem Ring verborgenen tödlichen Saft getrunken haben, und dann werden wir voneinander erlöst sein. (Sie blickt ihn an.) Aber was ist das? Sie schwanken – und ich sehe Sie von einem Augenblick zum anderen tiefer erbleichen. Ich habe Sie gewiß mit meinen Waffen verwundet? Ich bedaure es tief. Ich wollte Sie nicht töten. Es ist notwendig, daß einer von uns am Leben bleibt. – Warten Sie ...

(Sie nimmt ihren Schleier ab und geht zu dem Weihrauchkessel.)

Axel: Es ist nichts. Ihre Kugeln haben kaum meine Brust gestreift. Kümmern Sie sich nicht darum.

Sara: Dieses Wasser ist eiskalt, ich tauche meinen Schleier hinein ... Das kalte Wasser wird das Blut stillen. – Legen Sie ihn auf, bitte.

(Sie hebt den Dolch von der Erde auf, tritt auf Axel zu und schneidet schweigend und mit geschickter Hand die Eisenknöpfe von Axels Wams. Dann wirft sie den Dolch weit von sich und legt kaltblütig ihren großen in das Weihwasser getauchten Schleier auf Axels Brust.)

Axel (für sich, sie anschauend. Der durch die Gitter des Fensters fallende Sternenschein umgibt sie mit geheimnisvollen Strahlen): Die Erde fordert mich heraus und versucht mich durch Ihre Erscheinung. (Laut und plötzlich zitternd.) Junges Mädchen – dieser große Schatz, den wir beide verachten – nachdem wir so viel davon geträumt haben, ist nicht wert, daß man darum stirbt. Es ist ein anderer, tiefer liegender Grund, der dich verdammt. Während du zu mir sprachst, drängte sich der Widerschein deines Seins in meine Seele; du bemächtigtest dich meines ganzen Herzens und all meiner Gedanken. Aber ich bin ein Einsamer, und ich will einsam bleiben. Ich bin der, der nicht lieben will. Ich träume von einem anderen Lichte! – Wehe dir, daß du zur Versucherin wurdest, die mich durch die Magie ihrer Gegenwart zu verlocken strebte. Ich fühle es, daß von diesem Augenblicke an der Gedanke, dich in der Welt zu wissen, mir selbst das Leben zur Unmöglichkeit machen würde. Deshalb dürste ich danach, dich tot zu sehen ... und du magst es nun begreifen oder nicht, es ist, um dich zu vergessen, daß ich dir zum Henker werden muß.

Sara (wie geblendet und ihn bestürzt ansehend): O dieser unerhörten Worte!

(Pause; dann wie für sich mit halblauter Stimme): Wäre es wahr, daß du als einziger unter den Söhnen des Weibes der göttlichen Macht der Liebe widerstehen könntest, daß du lieber untergehen als dich ihr ergeben möchtest?

Axel (eine schwere Eisenkette von einem der Gräber reißend): Ich schwöre es ... daß ich deine himmlischen Auge für immer schließen werde ...

Sara (lächelnd): O dieses erhabenen Augenblickes! ... Nun denn, nein! Es ist zu spät. Du hättest mich töten müssen, ehe du mir durch deine übermenschlichen Worte einen Einblick in deine Seele vergönntest.

(Der Graf von Auersperg erhebt drohend die Kette, läßt sie durch die Luft sausen und tritt mit schrecklich drohenden Gebärden näher an Sara heran.)

Sara (verhindert durch ein elastisches Zurückweichen den furchtbaren Schlag und umfaßt dann plötzlich den Hals des Grafen von Auersperg mit beiden Armen): Nein, nein! Sieh, diese meine Ketten sind die stärkeren – und für dieses Mal bist du mein Gefangener. Versuche es doch, dich zu befreien! – Ach, du siehst es wohl, du kannst es nicht, es ist unmöglich.

(Sie lehnt sich schmachtend und mit zurückgeworfenem Haupte an ihn und blickt mit strahlenden Augen zu ihm auf. Ihr Haar löst sich, fällt lang herunter und umhüllt sie wie ein Mantel. Sie spricht mit wohllautender, sehr sanfter, leiser Stimme. – Zuweilen schließt sie die Augen ganz, und ihre ernste, strahlende Schönheit wird von dem Scheine der Fackel und der Lampe beleuchtet.)

Sara: Habe doch Erbarmen mit dir selbst, du Kind. Glaubst du, daß es meinetwegen ist, daß ich zu leben wünsche? Töte mich nicht! Was könnte es dir nützen? Ich bin unvergeßlich.

Weißt du es denn, welches Glück du von dir stößest. Die höchste Gunst, die andere Frauen dir erweisen würden, wiegt nicht so viel wie meine Grausamkeit. Ich bin die geheimnisvollste und düsterste aller Jungfrauen. Ich glaube, mich daran zu erinnern, Engel zum Falle gebracht zu haben. Ach, die Blumen welken, und die Kinder sterben, sobald mein Schatten auf sie fällt.

Laß dich verführen. Ich werde dir wunderbare Sprüche in das Ohr raunen, die berauschender wirken als die Weine des Orients. Ich will dich mit Liebkosungen umgarnen, die einschläfernd wirken und dich in einen Schlummer versetzen, aus dem du niemals erwachen wirst! Mir sind alle Geheimnisse wollüstiger Wonnen bekannt, nach denen es keine Hoffnung mehr gibt. Oh, laß dich von meinen weißen Armen umschlingen, in denen du deine Seele lassen wirst, wie eine im Schnee verlorene Blume. Ich will dich mit dem Schleier meines Haares umhüllen, dem der Duft welkender Rosen entströmt! ... Ergib dich mir! Du wirst erbleichen unter der Gewalt der bittersüßen Freuden, die ich dir schenken werde, aber wenn du darunter zu erliegen drohst, werde ich dir Gnade erweisen! ... Mein Kuß gewährt dir himmlische Freuden. Der erste Hauch des Frühlings über den Wiesen ist nicht so mild wie der Hauch meines Mundes – er ist würziger wie der Weihrauch, der aus den kupfernen Pfannen der Harems von Cordova aufsteigt, er bringt Vergessen allen Leids, wie die Düfte des Zedernholzes, das die großen Zauberer in den Gärten Bagdads entzündeten und das den Wohlgeruch der göttlichsten Blumen beschämt. Blicke in meine Augen und erkenne darin die Seele jener schönen Nächte, in denen du durch die Täler wandeltest, und dein sehnsuchtsvoller Blick den Sternenhimmel suchte – erkenne in mir das Ziel, das du in unbekannten Welten suchtest. Ich würde alle Schätze der Erde dafür geben, um dir ewig angehören zu können. Oh, das Leben verlassen zu müssen, ohne deine Augen, diese stolzen blauen Sterne, mit meinen Tränen gebadet zu haben, ohne dich bei dem Klange meiner zärtlichen Stimme erbeben zu sehen! Oh, bedenke doch nur, wie schrecklich, wie unmöglich dies für mich sein würde! Ich habe nicht den Mut, auf dieses Glück zu verzichten. Ergib dich mir, Axel, – Axel, sei mein, ich werde dich zwingen, mir die geheimsten Geständnisse zu machen, ich werde dir Erfüllung deiner kühnsten Träume gewähren, nur um das Glück deiner Küsse zu genießen. –

(Pause.)

Axel (mit dumpfer Stimme und mit geschlossenen Augen): Nenne mir deinen Namen, und sollte er meine Lippen verbrennen, ich muß ihn dir nachsprechen.

Sara (ganz leise und den Kopf auf Axels Schulter neigend): Sara.

Axel (die Ketten fallen lassend): Sara, ich bin nicht mehr einsam.

(Tiefe Stille.)

Sara (ohne den Kopf zu erheben): So schenkst du mir das Leben?

(Axel umschlingt sie mit dem Arme und führt sie zu dem Ebenholz-Betstuhle, der mit violetten Kissen belegt ist.)

Axel (mit triumphierendem Lächeln und jugendlicher Begeisterung): Sollte es unter den Königen der Erde einen Unsinnigen geben, der nicht das Dunkel deiner Haare mit diesen schimmernden Geschmeiden schmücken würde! – Dir, nur dir allein gehören alle diese Schätze, dieser so lange verborgene Reichtum, den du dem Schoße der Erde entrissen hast! ... Vergönne es mir, nur die tödliche Blässe deines holden Antlitzes zu betrachten. Ich will mich zu deinen Füßen niederlassen und das Los der Sterblichen erdulden: es heißt lieben, nicht wahr, Sara?

(Sie hat sich gesetzt, der durch das Gitterfenster hereinbrechende Schein des nahenden Morgens gleitet über ihre schwarzseidenen Gewänder.)

Sara: O des edlen Mannes, der trotz der Kühnheit meiner Worte in mir seine heilige Schwester geahnt hat. Du schenkst mir mehr, wie ich je zu hoffen gewagt habe. Ich begehre keinen andern Schmuck, als den deiner kindlichen Blicke, die mich schön erscheinen lassen, wenn sie auf mir ruhen – es ist das Übermaß der Liebe, die ich empfinde, das mich so bleich erscheinen läßt. Was kümmert uns dieser unser großer Reichtum, wir wollen nur in unseren Träumen leben.

(Axel hat sich auf ein Kissen zu Füßen Saras niedergelassen; er legt die Arme auf die Knie des schönen Mädchens und betrachtet sie eine Weile schweigend und in Entzücken verloren.)

Axel: Ja, wie die Statue des Abschieds müßtest du mir in diesen Trauergewändern lächelnd und mit Edelsteinen bedeckt inmitten dieser Gräber erscheinen. Du bist wie eine Blume, die im Dunkel erblüht, wie eine ideale Lilie leuchtet dein süßes bleiches Antlitz unter deinen schwarzen Locken.

Dein Anblick macht mich zittern. Dir allein gilt meine Liebe und mein Sehnen und Wünschen. Du verlierst dich darin, als ob du im Ozean badetest. Du kannst meiner Liebe nicht entfliehen, sie umgibt und durchdringt dich überall, meine Heißgeliebte, sie stirbt in dir, um immer aufs neue in deiner Schönheit zu erstehen.

Sara (lächelnd und den Duft von Axels Haar einatmend): Dein Haar duftet wie die Blätter des herrlichen Waldes, mein Jäger. (Sie betrachtet ihn mit stolzer Freude.)

Axel (wie träumend sprechend): Sara, meine jungfräuliche Freundin, meine ewige Schwester, ich verstehe deine Worte nicht mehr, ich lausche nur dem Klang deiner Stimme ... (Sie wie in Ekstase mit den Armen umschlingend.) O des Hauches deines göttlichen Mundes, laß mich mit deinem Kusse deine Seele trinken.

Sara (zieht Axels Kopf auf ihren Schoß – dann drückt sie ernst und sanft ihre Lippen auf die seinen): Meine Seele? Du hast sie, mein Vielgeliebter.

(Ganz versunken verweilen sie ein paar Augenblicke wie bewegungs- und sprachlos.)

Axel (die Augen wieder öffnend): Du hast gezittert, es ist die Kälte dieses steinernen Fußbodens. (Er hat sich langsam losgemacht.) Komm mit mir, dort oben in den alten Sälen meiner Burg brennt Tag und Nacht ein helles Feuer.

Sara (lächelnd): Nein, nicht deshalb zittere ich. Würdest du es nicht auch vorziehen, unseren ersten Sonnenaufgang hier zu erwarten?

Axel (in plötzlicher heftiger Erregung): Oh, du bist mir erschienen wie eine himmlische Vision, mit der ich sterben möchte. Dennoch bist du mir vollständig unverständlich. Woher kommst du? Wo und in welcher Weise hast du gelebt, bis du dich mir offenbart hast?

Sara (lächelnd): Das interessiert dich? Oh, ist es möglich. (Sie schüttelt das Haar von der Stirn zurück.) Wirklich, ich habe das, was du zu wissen begehrst, schon beinahe vergessen. Seit ich dich gesehen, ist mir's, als sei ich eine Kaiserin des Orients, ich weiß, ich fühle nur dich. Mein Leben hat erst vor einer Stunde begonnen: alles, was dieser Stunde vorangegangen, existiert für mich nicht mehr. Ich soll dennoch mich in die Erinnerungen meines Lebens versenken! Du willst es?

Axel: Welch wunderbar weicher Modulationen deine Taubenstimme fähig ist! Nein, laß die Erinnerungen ruhen. Entschwinde mir nicht in banalen irdischen Begebenheiten; bleibe mir lieber stets eine Unbekannte! ... Sind wir doch selbst in der Vergangenheit nichts anderes als der Traum unseres Wünschens.

Sara: Mein teurer Gatte, sieh diesen Ring, den meine Ahnfrau einst als Pfand der Hochzeitsnächte erhielt; lies, was auf seinem alten Smaragd eingegraben ist.

(Sie erhebt ihre rechte Hand ein wenig, ein alter kostbarer Siegelring, mit einem Wappen geziert, funkelt an einem ihrer Finger. Axel betrachtet einen Augenblick das geheimnisvolle Kleinod, versinkt dann in stummes Sinnen und erhebt endlich den ernst fragenden Blick zu Sara.)

Axel (mit ernstem Lächeln): Ja, das gibt zu denken ... es gibt wohl doch noch so etwas wie ein Verhängnis? – –

Sara (ebenso): Gewiß, und wenn diese Illusion dir hold erscheint – sieh, ich denke das auch. –

Axel (aufstehend und tiefernst): Da sie sich in so geheimnisvoller Weise unserer bemächtigt, wollen wir sie zu verwirklichen suchen, indem wir an sie glauben; wir werden dann begreifen, daß unsere Seelen einander entgegenstreben und zueinander gehören.

(Pause.)

Sara (um sich blickend und wie um ihre Gedanken zu zerstreuen): Auch ich habe eine Ahnengruft, und es ist auf einem Schlosse im Norden Frankreichs, wo die Marmorbilder meiner Vorväter auf ihren Sarkophagen ruhen. Dort schläft auch mein edler Vater Yvain de Maupers und meine Mutter; sie war eine Heilige, die der Himmel zurückgefordert hat.

(Einander die Hände reichend, gehen sie langsam auf einen steinernen Sarkophag zu, auf dem eine weibliche Statue ruht. Ihre Hände sind auf der Brust gefaltet und zu ihren Füßen liegt ein Windspiel.)

Sara: Das ist deine junge Mutter, nicht wahr? Ja, du trägst ihre edlen Züge und denselben Ausdruck tiefer Melancholie. Oh, wie oft ist es mir nicht gewesen, als ob ihre sanfte Hand sich unsichtbar auf die meine legte, wenn ich im Kloster ihr Gebetbuch öffnete. (Sie verneigt sich vor dem Marmorbilde, dann mit halber Stimme): Gnädige Frau, Sie sehen es, ich gebe Ihrem Sohne alles, was ich bin!

Axel (den Kopf erhebend): Im Kloster?

Sara (ihre Hand auf Axels Schulter legend und langsam mit ihm weiterschreitend): Ich spreche von einer Abtei, in der ich mein ganzes junges Leben verbracht habe ... Ich glaube mich sogar zu erinnern, dort viel gelitten zu haben ...

Axel (vor Zorn zitternd und mit leiser, drohender Stimme): So soll kein Stein dieser Abtei auf dem anderen bleiben. Die Bettler sollen auf den zertrümmerten Überresten dieses Gebäudes ihr Lager aufschlagen. Sie hat aufgehört zu sein. Der Name dieser Abtei?

Sara (mit sanfter Stimme und mit lässigem Fuße die auf dem Boden liegenden Geschmeide zurückschiebend): Oh, mein Bruder Axel. Ich fühle mich so über jede Beleidigung erhaben, daß es kaum ein Ruhm für mich ist, wenn ich allen, die mir Übles getan, vergebe. Bedenke doch nur. Sollen Herzen, die schon dazu verdammt sind, nicht lieben zu können, dieses Unglücks halber auch noch bestraft werden? Und wenn sie sich vielleicht in einer weit vor unserem Leben liegenden Zeit vergangen und sich dadurch solches Leid geschaffen haben, sind sie nicht unglücklich genug, eine solche Natur zu haben? Wir sollten sie nur beklagen! Mich hassen? Du würdest sie nicht zu einer solchen Strafe verdammen wollen.

(Nachdenklich und während sie beide scheinbar den großen Schatz ganz vergessen haben.)

Gewiß, ich habe in diesem Kloster grausame Augen gesehen, aus denen der Fanatismus wie die Fackel des Henkers glühte. Solchen Augen erscheint der nächtliche Himmel nicht düster genug, sie möchten, daß der Rauch der zu den Wolken aufsteigenden Scheiterhaufen ihn noch mehr verfinstere. Ich habe Herzen kennengelernt, in denen die Furcht vor einem Gotte, das heißt vor der Idee einer Gottheit, die sie sich selbst in ihren Gedanken schufen, so groß war, daß alle Liebe darüber in ihren Herzen erstarb, und daß sie verblendet genug waren in ihrem Hochmut, ihre eitle Anschauungsweise für das Ziel aller Weisheit zu halten. – Ob sie nicht jetzt hoffen, daß die Rache der ihren Fesseln Entflohenen sie zu den Gebeten berechtigt, die sie zweifellos zu dieser Stunde für das Heil meiner Seele sprechen?

(Lächelnd und dann allmählich traurig werdend.)

Aber ob sie mich nun verdammen oder beklagen, es gilt mir gleich. Ich kann nur Mitleid für sie empfinden. In der Tat, wessen könnten diese von sündhafter Härte und Strenge beseelten Eiferer, die sich dazu berechtigt glauben, alles Glück und jede Hoffnung junger Menschen zu vernichten, mich vor einem gerechten Gotte anklagen? Meine Seele fürchtet diese ungerechten und boshaften Richter, die selbst das Gemüt einer Taube mit Zorn erfüllen würden, in keiner Weise. Sie gleichen einem düsteren Abgrund, über den meine Flügel mich forttragen, und ich kann sie ruhig dem Strafgericht überlassen, das sie an sich selbst vollstrecken werden.

Axel (mit dumpfer, zitternder Stimme): Der Name dieser Abtei?

(Sara blickt ihn an und erkennt mit Schrecken, welche Wirkung ihre Worte auf den Geliebten hervorgebracht haben. Axels Augen flammen und er scheint fest entschlossen, den Ort zu vernichten, an dem Sara Leid widerfahren ist.

Sie zittert und gleitet nach einer längeren Pause zu Füßen ihres jungen Geliebten nieder.

Nur von der Lampe und deren Widerschein in den verstreut um sie liegenden Edelsteinen matt beleuchtet, legt sie ihre weißen schmalen Hände auf die nach Atem ringende Brust des Geliebten. Dieser weicht wie geblendet zurück, aber sie folgt ihm auf ihren Knien nach.)

Sara (mit seltsam und sehr ernst klingender Stimme): Axel! Ich bitte dich um Gnade für dieses heilige Gefängnis. Ich bitte dich darum, um seiner herrlichen gemalten Kirchenfenster wegen, durch die das Licht des hereinbrechenden Abends mir so traumhaft schön erschien. Im Namen seiner Orgel, die unter dem Druck meiner Hände so oft geschluchzt und gesungen hat. Um seiner kühlen Gärten willen, in denen ich so oft in tiefer Melancholie versenkt auf und nieder wandelte.

Vor allem aber bitte ich dich um Gnade eines ganz jungen Mädchens wegen, das so bleich ist, wie wir beide es sind, und das einem verdammten Engel gleicht. Ihr armes junges Herz war so von heißer Liebe erfüllt, daß sie mir ihre kindlichen Träume widmete und um meinetwillen das bitterste Leid erfuhr.

Gnade! Gnade um dieses jungfräulichen Kindes willen, das durch mich unglücklich geworden ist. Oh, bei dem Blicke ihrer reinen Augen, die meinetwegen so viel heiße Tränen vergossen, die Gott in seiner Barmherzigkeit trocknen möge, bei der heißen Liebe, in der sie für mich erglüht, flehe ich dich um Gnade! Axel, ich bin es, die dich darum bittet.

Axel (mit dumpfer Stimme): Nun wohl, es sei, in Erinnerung dieser Nacht, in der ich dich gefunden, will ich diesem Hause und seinen Bewohnern Gnade widerfahren lassen. (Er hält inne. Seine Fäuste sind geballt, seine Augen funkeln.)

Sara (aufstehend, ihn mit den Armen umschlingend und seine Stirn küssend): Axel! Mein junger König!

Axel (führt Sara dem Betschemel zu und steht wie zum ersten Male, daß sie ein Trauergewand trägt): Aber warum ein Trauergewand in dieser Nacht der Freude, Sara? ...

Sara (einfach): Ich trage es nicht eines menschlichen Wesens wegen – ich habe keinen Menschen gekannt, der dieses Zeichen der Trauer verdiente; ich trauere um eine bescheidenere, oh, so demütige Freundin. Sieh, du bist der einzige, der mich verstehen kann.

(Sie zieht eine verwelkte Blume aus dem Busen.) Betrachte diese geheimnisvolle Blume, als ob wir beide zwischen Traum und Leben verloren allein auf dieser Welt wären, Axel.

(Aus der Ferne erklingen leise Harfentöne, in denen man das Lied der Rosenkreuzer erkennt.)

Blick auf diese arme welke Rose. Sie ist wie ein Wunder in der Wüste vor mir erblüht, als ich, von Gefahren umringt, die Flucht ergriffen hatte. Es war, nachdem ich das Kloster der heiligen Apollodora verlassen hatte. Meine bräutlichen, weißen Festkleider, die ich immer noch trug, glichen dem Schnee, der in schweren, dichten Flocken niederfiel und die Spuren meiner Schritte verwischte. Ich hatte mich mit diesem guten Dolche bewaffnet, um mich damit vor Menschen wie vor den wilden Tieren des Waldes zu verteidigen. Noch ganz erfüllt von den Ereignissen der letzten Stunde, horchte ich in die Nacht hinein, auf den fernen Glockenklang, der der Welt frohe Botschaft von der Geburt des Jesuskindes verkündete, für das ich hatte sterben wollen. Da plötzlich entdeckte ich beim Schein der letzten Sterne diese Blume, die, meinem Beispiele folgend, siegreich gegen die Kälte des Winters kämpfte, und ihr Anblick belebte meinen Mut aufs neue. Ist nicht die Harmonie zwischen Dingen und lebenden Wesen eine ganz unendliche? War es nicht wunderbar, daß ich auf den ersten Schritten in die Freiheit diese königliche Rose, das Symbol meines Schicksals, finden mußte? Ihr holdes Bild grüßte mich in der ersten Stunde meiner Freiheit. Es war wie eine wunderbare Offenbarung. Ich zitterte bei dem Anblick dieser Rose, die aus meiner Seele erblüht zu sein schien. Ich drückte einen langen, heißen Kuß auf diese Blume, einen Kuß, in dem ich ihr meine großen Hoffnungen offenbarte, und Axel, es ist ganz gewiß, daß sie sich dem Drucke meiner Lippen entgegenneigte und mich verstand. Ich fühlte es in meinem Herzen, wie sie sich dem Drucke meiner Lippen entgegenneigte und den harten Dornen von dem abgestorbenen Stämmchen, dem sie entsprossen und auf dem sie erblüht war. Dann erwärmte ich sie mit meinem Atem, sog den süßen, ihr entströmenden Duft ein, ich legte die schützenden Hände über sie, diese Hände, die immer noch die geheime Waffe umklammerten, meinen Dolch, der in alten Zeiten geschmiedet wurde.

(Sie deutet auf den kreuzförmigen Dolch, der zur Erde gefallen ist.)

Höre meinen Worten: es waren ganz gewiß Geister, Genien, die in seiner Schönheit eingeschlossen waren!

Es war, als ob durch einen geheimnisvollen Zusammenhang plötzlich die Schleier zerrissen, die mein Gedächtnis bisher umhüllt, und die Erinnerung an gewisse Vorgänge der Weltgeschichte tauchte deutlich darin auf. Ohne mir jedoch klar darüber zu sein, warum ich ein solches Interesse für dieselben empfand, begriff ich plötzlich, daß diese Blume, die der Zufall in meine Hände und auf das Kreuz dieses Dolches gelegt hatte, ein Zeichen sei, unter dessen Bann in vergangenen Zeiten mächtige Reiche zerstört wurden. Und wenn ich recht gesehen, tragen alle diese Gräber dies symbolische Zeichen, ich erkannte es in dem Augenblick (sie deutet auf die zur Erde geworfenen Waffen), als ich diese verräterischen Waffen auf dich ...

(Sie umarmt Axel leidenschaftlich.)

Axel: Und was sagte dir das Zeichen, Sara?

Sara: Oh, tausend Dinge! ... Ich erinnerte mich zum Beispiel daran, daß einer der Erleuchteten der Menschheit sich der Gestalt dieser Rose bediente, um in seinen Versen die Wunder des Paradieses zu enthüllen. Dann der alles verspottenden Menschen gedenkend, konnte ich mich eines Lächelns kaum enthalten, als ich mich erinnerte, daß das kühldenkendste und fleißigste Volk der Erde ein ganzes Menschenalter hindurch um der Rosen willen einander befehdete. (Pause.) Ja, diese Blume war meine einzige Begleiterin, meine geheimnisvolle Freundin auf diesem ganzen langen Wege. Sie war mein Trost, als ich im Pilgerkleide, das Auge auf den mich leitenden Stern gerichtet, meinen Weg durch die Wälder suchte, auf dem zufällig mir Begegnende mich mit Hohn überschütteten. Und es war der süße Duft dieser Trost spendenden Blume, der mir Mut einflößte, als ich in der ersten großen Stadt, die ich erreichte, mein Halsband aus Perlen und Opalen verkauft hatte und ich dann, überwältigt von den Strapazen der langen Wanderung, der schlaflosen Nächte, des Hungers vollständig zusammenbrach und mein müder Fuß mich nicht mehr tragen wollte.

Axel (vor ihr niederkniend und ihre Füße küssend): Oh, laß mich deine weißen Füße mit meinen glühenden Küssen bedecken.

Sara (auf die welke Blume blickend): Als dann die Sonne wieder aufging, fühlte ich deutlich, daß diese Blume lieber an meiner Brust welken, als im Exile neu erblühen würde. Es ist um der toten Rose willen, deren Geist sich in das All verflüchtet hat, daß ich dieses Trauergewand trage. Sie liebte mich und sie hat an meiner Brust sterben wollen! – Komm, Geliebter, laß deine süßen Augen mit dieser Blume berühren. Sieh! Es scheint beinahe, als wolle sie sich neu beleben! – Sie hält deine Tränen für Tau! Aber nein, nein, ich will sie über dir entblättern, mein Ritter, als eine Verheißung der Wonnen, die meine Liebe über dich ergießen wird.

(Sie streut schweigend die Blätter der Rose über Axels Stirn und Haar, dann plötzlich sehr ernst werdend und in seltsamem Tone): Wie glücklich bin ich, daß auch du ein solches Interesse an dem Phantom einer verwelkten Rose nimmst ...

Axel (ihre Hände mit Küssen bedeckend und sie zärtlich anblickend): Ich liebe dich!

Sara (steht, auf das Gebetpult gestützt, vor Axel und redet mit halbgeschlossenen Augen und beinahe wie von einem Traume befangen): Sage, mein Vielgeliebter, willst du mit mir in jene Länder reisen, wo unter dem Schatten der Palmen Kaschmirs die Karawanen ziehen? Willst du mit mir nach Bengalien gehen, dir dort in den Basaren Rosen, köstliche Stoffe oder schöne Armenierinnen auszuwählen, deren Haut weißer wie Hermelin ist? Möchtest du an der Spitze von Armeen stehen und den Norden Irans erobern? Oder sollen wir nach Ceylon, wo die weißen Elefanten uns auf purpurnen Sesseln tragen werden, wo feuerfarbene Aras durch die Palmen schweben, wo in sonnigen Palästen in kühlen Höfen aufsteigende Wasser ihre Strahlen in Marmorbecken niederfallen lassen? – Oder möchtest du für einige Tage mit mir in Yeddo leben, in jener seltsam fernen Stadt, die an den japanischen Seen liegt und deren Wohnungen von Porzellan sind? Dort hauchen, wenn der Mond aufgeht, seltsame Wunderblumen ihren berauschenden Duft aus, der die Sinne umnebelt ... Möchtest du mit mir nach dem alten Karthago, wo in basaltenen Tempeln auf silbernen Dreifüßen köstliches Räucherwerk verbrannt wird? – Wie wäre es, wenn wir nach Spanien zögen? Oh, wie wunderbar schön und zugleich wie düster müssen die Paläste Granadas sein! Wie herrlich die Alhambra und der Generalife, und dann wie schön die Rosen und Lorbeergärten Andalusiens, die Wälder von Pampeluna mit ihren vielen Zitronenbäumen, deren Früchte wie goldene Sterne durch das Laub schimmern. Wollen wir die Spuren zerfallener Tempel, düsterer Städte, der verschwundenen Kultur der Sarazenen verfolgen? Zieht es dich nicht hin nach jenen Inseln der Glückseligen, wo selbst der Winter eine Blütenpracht spendet, die den Frühling anderer Gegenden überstrahlt? Dort türmen sich Felsen auf, die bei Tagesanbruch wie ungeheure Saphire erscheinen, an denen sich die in einen gold- und opalfarbenen Dunst gehüllten Wogen des Meeres brechen. Aber vielleicht verfolgst du andere Ziele, strebst dem Ruhme nach? Oh, wir sind stark genug, die höchsten Aufgaben zu vollbringen und den Segen der Völker zu erringen! – Wenn es dir jedoch reizvoller erscheint, mit mir wie fahrende Leute durch die Lande zu ziehen, dann will ich mich in bunte Lumpen hüllen und, die Harfe in der Hand, mit dir, mein Geliebter, auf den Straßen und den Höfen der Städte wie eine richtige Zigeunerin meine Lieder singen; ich werde den jungen Mädchen aus der Hand weissagen, und man wird kleine Silbermünzen in unser Sammelbecken werfen, um uns abends in der Herberge ein Mahl zu beschaffen. So werden wir singend das Land durchstreifen von Bulgaria bis hinab zu der Meerenge von Bab-el-Mandeb. – Vielleicht aber ziehst du es vor, edle Rosse vor unsere Wagen zu spannen, deren Hufe den Kais der Donau oder der Newa Funken entlocken? – Möchtest du nicht in den Palästen Ungarns und Polens festliche Gelage feiern, den Tönen berauschender Musik lauschen und die Tänze der Mädchen und Frauen bewundern? – Wie wäre es, Geliebter, wenn wir wie kühne Abenteurer auf einer mit Kanonen ausgerüsteten Brigg durch den Archipel streiften, die Küsten Guineas entlang bis zu den stillen Ufern des Hudson? Dann zurück und weiter bis zum Nil? Und den Nil hinauf? Wir könnten das geheimnisvolle Innere der Pyramiden von Chephrem und Osymandias erforschen? Dann müßten wir zum Ganges ziehen, Indiens Wunderwelt würde sich vor uns erschließen, und wenn es dir gefiele, würden wir selbst die Gründer einer neuen göttlich geheimnisvollen Religion werden. Denn uns ist nichts unmöglich, uns muß alles gelingen, und wir werden, wenn wir dies wollen, Wunder vollbringen. Wir werden Tempel erbauen, und der Himmel selbst wird uns gehorchen. – Denkst du es dir nicht berückend schön, mit mir in Sumatra unter den Manzanillabäumen zu wandeln und den berauschenden Duft ihrer Blüten einzuatmen? – Wollen wir nicht unser Antlitz in den Flüssen spiegeln, die bei Golconda, Vishapour oder Ophir vorüberziehen? –

Oder wollen wir nach Nubien an die Ufer des Zaïre, jenes düsteren Stromes, auf den der Schleier der Nacht plötzlich und ohne jede vorhergehende Dämmerung herabsinkt? – Hätte es kein Interesse für dich, mit mir Seleucia zu besuchen, von wo aus die Apostel die Welt erobert haben? – Wie wäre es mit Antiochien? Es ist in Trümmer zerfallen, und üppig wuchernder Efeu hemmt dort den Schritt des Wanderers! Vielleicht wäre es noch schöner, wenn wir Eisvögeln gleich dem ewig blauen Himmel des Leidens zustrebten, wenn wir Korinth – Palermo, die Säulenhallen Silistrias durchwandelten. – Komm, folge mir, wir wollen auf Triremen über den Atlantischen Ozean gleiten! – Wir wollen Idumäa besuchen, dann aber müssen wir auch den Norden kennenlernen. Welch Entzücken auf den spiegelglatten, gefrorenen Seen Schwedens oder den Fjords Norwegens auf blanken Stahlschuhen dahinzufliegen! Wir wollen uns dann in die schneebeladene Hütte eines einsamen norwegischen Dorfes zurückziehen und nur unserer Liebe leben. – Kennst du die gallischen Länder? Den Park von Windsor? Das neblige London? – Das leichtfertige, leuchtend schöne Paris? – Wie seltsam das sein müßte, mit dir durch die buntscheckigen Straßen Nürnbergs, dieser mittelalterlichen Stadt, zu wandeln! – Und wie prächtig würde es sein, wenn wir beim Mondschein auf dem Golf von Neapel oder den Lagunen Venedigs auf unserer mit köstlichen, lang hinter uns schleppenden Stoffen geschmückten Gondel langsam dahinführen! – Reizvoll und beglückend wäre es auch, wenn wir uns in die selige Abgeschiedenheit eines kleinen Schweizerhauses zurückziehen wollten, wo wir die Morgenröte über den schneebedeckten Bergen des Monte Rosa aufgehen sehen würden? – Wollen wir uns in den Zelten Bessarabiens auf Hängematten schaukeln? – Oder übt der unendliche Raum mehr Anziehungskraft auf dich aus? Wollen wir im Schlitten aneinandergeschmiegt mit Renntieren über unermeßlich weite Schneefelder jagen – oder sollen Strauße unser Gefährt durch den Sand der Wüste führen, wo in grünen Oasen friedliche Dromedare vor dir niederknien? – Sage doch, Geliebter, sollen wir uns in Pompeji niederlassen, oder zieht dich der Orient mehr an? – Oh, komm, komm mit mir. Dein starker Arm soll mich stützen, so wollen wir durch die Trümmerhaufen wandeln, die Überreste der hängenden Gärten von Ninive! Und durch die Ruinen von Theben, Sardes, Heliopolis, Eleusis – und die der Stadt der Magier, Ekbatana! – Willst du mit mir zu den Ufern des Euphrats oder wollen wir unsere Schritte zu den Sykomoren Solymas und den Höhen des Horeb lenken? – Gelüstet es dich der Abwechslung halber, einen fröhlichen orientalischen Traum zu träumen? Wollen wir uns in Samarkand eine Kaufbude erwerben und Handel treiben? Du machst dich zum Gesandten irgendeiner fernen Königin und kommst, mir deinen Besuch abzustatten. Wir werden abends die Sonne im Roten Meere versinken sehen! – Oder wenn du willst, können wir wie zwei Verliebte in einer Hütte Floridas hausen und dem Gezwitscher der Kolibris lauschen. – Denn sieh, wir sind jetzt allmächtig, wir sind reicher als alle Könige der Erde, und nichts hindert uns, unsere kühnsten Träume zu verwirklichen? Und dann, ist es nicht gleichgültig, wohin wir unsere Schritte wenden, wird nicht jeder Ort, an dem wir vereinigt weilen, für uns die Insel Thule sein?

Axel (mit ernstem Lächeln): Kind! – Du schwärmerisches Kind.

Fünfte Szene

Axel, Sara, dann aus dem Innern der Burg ertönend der Chor der alten Invaliden, später in der Entfernung der Chor der Holzhauer und endlich die Stimme Ukkos

Sara: Das Meer! Oh, mein über alles geliebtes schönes Meer, ich muß es wiedersehen! Laß uns zuerst nach Italien gehen. Wir wollen einen jener köstlich alten Paläste in Florenz erstehen und dort unsere Liebesnächte feiern, willst du, Geliebter, willst du? Oh, Florenz muß ebenso schön sein, wie es einst Palmyra war! –

(In diesem Augenblick ertönt aus der Ferne der durch die dicken Mauern des Gewölbes halb unterdrückte, leise Gesang der Veteranen.)

Chor der Veteranen:

Unser Herr hat uns verlassen,
Ließ uns einsam hier zurück,
Alt sind wir und lebensmüde,
Mit ihm schwand unser letztes Glück.

Axel: Meine treuen Diener machen die Nacht zum Tage. Es ist auf meinen Wunsch, daß sie trinken und singen, sie feiern die Abreise ... eines Fremden.

Sara: Sobald der erste Strahl des jungen Tages durch diese vergitterten Fenster dringt, wollen wir uns aufmachen und in das gelobte Land ziehen! (Wie überwältigt von dem Gedanken der sie erwartenden zukünftigen Freuden schließt sie die Augen und stützt ihre Hand auf den Marmor eines Grabes.) Oh, der Seligkeit zu leben!

Chor der Veteranen:

Der düstre Stolz vergangner Zeit
Er steigt mit uns ins stille Grab –
Bleich wie die Wintersonne sinkt
Die alte Welt mit uns hinab.

(Der erste Schein der aufgehenden Sonne dringt durch die Fransen der Vorhänge, die das Fenster verhüllen. – Sara öffnet die Augen, sieht es und zittert heftig.)

Sara (freudig rufend): Der Tag! Die Morgenröte! Axel! ... O sieh nur, leuchtend wie unsere Zukunft steigt der junge Tag empor!

(Sie nähert sich dem Fenster und zieht den Vorhang zurück, man sieht in das rosig schimmernde Firmament.)

Chor der Veteranen:

Aber auch den zukünft'gen Geschlechtern
Ist nur ein kurzes Ziel gesteckt. –
Hallo! Darum trinkt, bis des Engels Posaune
Uns alle zur Auferstehung erweckt.

Sara (fröhlich und mit triumphierendem Lächeln auf den Schatz und die umherliegenden Geschmeide deutend): Komm, wir wollen aufbrechen, die Stunde ist gekommen; wir wollen uns mit unseren Mänteln umhüllen, dort unten im Schatten des Waldes harrt unser Gefolge mit Pelzen und Waffen. Unsere mutigen Rosse stampfen ungeduldig den taubenetzten Boden. O mein Liebster! wie köstlich, mit dir rasch unter den von dem nächtlichen Sturme noch feuchten Bäumen des Waldes dahinzujagen. Es wird wie ein seliger Traum sein. Nach erfrischendem Ritte werden wir eine kleine Hütte erreichen, wo man uns freundlich zulächelnd ein Glas Milch zum Frühstück reichen wird! – Dann aber geht es weiter! Schon lassen wir die Einsamkeit hinter uns, einzelne Menschen begegnen uns auf unserem Wege; bald liegt ein Dorf vor uns! ... dann eine Stadt! ... viele Städte! ... Die Sonne aber leuchtet über uns und die Welt liegt vor uns.

(Große Pause.)

Axel (sie fest anblickend, mit seltsam bedrückter Stimme, sehr ruhig und bestimmt): Sara! Ich danke dir, dich erkannt zu haben. (Sie in seine Arme ziehend.) Ich bin sehr glücklich, oh, du meine lilienreine Braut, meine Herrin, mein Weib! Ich bin glücklich, daß wir uns an diesem düsteren Orte gefunden haben, beide im Vollbesitz unserer Jugend und Kraft und erfüllt von dem wahrhaft erhebenden Gefühle, die einzigen unbekannten Gebieter dieses strahlenden Schatzes, dieses geheimnisvollen Goldes zu sein.

Sara: Axel, mein einziger Herr und Gebieter, mein Liebster, hörst du es nicht, wie alles nach uns ruft? Die Jugend, die Freiheit, das schwindelnde Gefühl unserer Macht. Und – wer weiß es, vielleicht harren unserer noch große Aufgaben, für die es zu kämpfen gilt ... es hängt nur von dir ab, und unsere kühnsten ehrgeizigsten Pläne werden sich verwirklichen.

(Sie tritt auf das Fenster zu, hebt den Vorhang hoch und blickt freudestrahlend auf den Morgenhimmel.)

Axel (ernst und undurchdringlich): Wozu sie verwirklichen? ...

Sara (ein wenig überrascht sich ihm zuwendend und ihn prüfend anschauend): Mein Vielgeliebter, was willst du damit sagen?

Axel (immer still und ernst): Laß diesen Vorhang wieder fallen, Sara. Ich habe genug von der Sonne gesehen.

(Pause.)

Sara (ihn ängstlich beobachtend und für sich hinsprechend): Wie bleich er ist – und wie starr er die Augen zur Erde senkt, – was geht in ihm vor?

Axel (mit halber Stimme vor sich hinredend): Ich bin gewiß, daß in diesem Augenblicke selbst ein Gott mich Sterblichen beneiden muß.

Sara: Axel, Axel, vergißt du mich schon über deinen göttlichen Gedanken? ... Das Leben ruft dich, komm mit mir, wir wollen leben!

Axel (kalt lächelnd und jedes Wort deutlich betonend): Leben? Nein! Wir haben unser Leben erfüllt! – Welche Sanduhr wird die Stunden dieser Nacht zählen! Die Zukunft? ... Sara, glaube meinen Worten, wir haben das Leben erschöpft, und für uns gibt es keine Zukunft mehr. Was könnte uns das Leben noch bringen, nach den Wundern, die wir in dieser Nacht erfahren haben?

Unsere Erlebnisse haben uns außerhalb des irdischen Daseins gestellt. Die Erde sagst du, aber was bedeutet sie uns? Verstehst du es nicht, daß sie für uns zu einer Illusion geworden ist? Erkenne es wohl, Sara, wir selbst haben in unseren seltsamen Herzen die Liebe zum irdischen Leben erstickt, wir sind in Wirklichkeit ganz Seele geworden. Wenn wir leben wollten, so würden wir uns dadurch einer Entweihung unserer selbst schuldig machen. Leben? Unsere Diener besorgen das für uns. –

Wir wollen uns von dem Tische erheben, an dem wir uns für alle Ewigkeit gesättigt haben, und es heißt nur Gerechtigkeit üben, wenn wir den Unglücklichen, die uns nicht nachzuempfinden vermögen, die Sorge überlassen, die Brocken unseres festlichen Mahles zu sammeln. Ich habe zu viel gedacht, um mich zu einer solchen Handlungsweise herablassen zu können.

Sara (verwirrt und beunruhigt): Du redest in einer übermenschlichen Sprache zu mir; wie soll ich es wagen, sie zu verstehen! Axel, deine Stirn muß brennen, du hast Fieber; laß dich von meiner sanften Stimme heilen.

Axel (mit stolzer Gleichgültigkeit): Meine Stirn brennt nicht; ich rede keine eitlen Worte – und das einzige Fieber, von dem wir Genesung suchen müssen, ist das Fieber des Lebens. Meine süße Geliebte, schenke meinen Worten Gehör, nachher magst du dann selber die Entscheidung treffen. – Warum sollte die Höhe der Seligkeiten, die uns zu kosten vergönnt war, uns nicht dazu bestimmen, freudig auf ein Morgen zu verzichten, das uns nur herbe Enttäuschungen bringen würde? Möchtest du wirklich wie andere gewöhnliche Sterbliche das Elend hinnehmen, das ein Morgen unfehlbar mit sich bringen würde? – Übersättigung, Krankheit, fortwährende Enttäuschungen, das häßliche Alter? Möchtest du anderen Wesen das Leben geben, deren Bestimmung es wäre, ein so erbärmliches Dasein fortzusetzen? Wir, deren Durst nicht durch einen Ozean zu stillen wäre, sollten dareinwilligen, uns mit ein paar Tropfen Wassers genügen zu lassen, nur weil einige Unsinnige behaupten, daß die Beschränkung unserer Wünsche die wahre Weisheit bedeute? Warum uns herablassen, Amen zu den armseligen Litaneien dieser Sklaven zu sagen? Ich glaube, daß solche Mühe sehr überflüssig ist, Sara, und daß sie unser unwürdig wäre, nach den Wundern dieser unserer Hochzeitsnacht, in der wir einander ganz besessen haben – obgleich wir beide unsere jungfräuliche Reinheit und Keuschheit bewahrt haben.

Sara (in bedrücktem Tone): Ach! Ich verstehe, du willst sterben!

Axel: Du siehst die äußere Welt nur durch das Auge deiner Seele. Sie blendet dich; aber glaube es mir, es ist ganz unmöglich, daß das Leben uns je wieder eine Stunde bescheren könnte, deren Glück mit der Seligkeit zu vergleichen wäre, die wir in dieser Nacht empfunden. Es ist die Vollendung aller Wonnen, die das Menschenherz zu ertragen vermag, die sich uns in diesem düsteren Gewölbe offenbart hat. Mit welchem Namen du es auch nennen magst, es steht fest, daß unser wunderbares Begegnen an diesem Orte den Höhepunkt und die Vollendung aller irdischen Glückseligkeit bedeutet. Wenn wir nach einem solchen Erlebnis es versuchen wollten, in das Alltagsleben zurückzukehren, wie andere Sterbliche einen Tag an den anderen zu reihen, so geschähe dies auf die Gefahr hin, den göttlichen Eindruck dieser Weihestunden abzuschwächen und das Schönste und Beste in uns zu vernichten. Damit dies nicht geschieht, bleibt uns nur eins zu tun, Sara, wir müssen sterben, solange es noch Zeit ist.

O dieser äußeren Welt! Wir wollen uns nicht von ihr äffen lassen, sie verspricht uns den Schlüssel zu einem Zauberpalaste, während sie nur Asche in der geschlossenen Faust verbirgt. Sprachst du mir nicht eben von Bagdad, von Palmyra, von Jerusalem? Oh, wenn du wüßtest, was all diese dir so verlockend erscheinenden Orte in Wirklichkeit sind! Wenn du wüßtest, wie diese einst mit Ruhm erfüllten Städte des Orients, deren Bild du dir so glänzend ausmalst, in der Tat sind. Trümmerhaufen, die von einer unfruchtbaren und heißen Gegend umgeben sind und in denen der Abschaum der Menschheit haust. Sie erscheinen dir nur darum so verlockend, weil deine Phantasie sie mit Erinnerungen an den Orient bevölkert, wie er längst aufgehört hat zu sein, und wie er nur in deiner eigenen schönen Seele lebt. Welch traurige Enttäuschung würde ihr wirklicher Anblick dir gewähren. Begnüge dich mit dem lieblichen Bilde, das du dir selbst schufest, und begehre nicht die Wirklichkeit zu sehen. Ich sage dir, Mädchen, die Erde ist wie eine herrlich schimmernde Seifenblase, die bei der leisesten Berührung zerplatzt, und die nur mit Elend und Lüge erfüllt ist. Entfernen wir uns von ihr schnell und vollständig durch unseren eigenen Willen und eine kühne Tat! ... Willst du, Sara, willst du? Es ist kein Akt des Wahnsinns, den ich von dir fordere; alle Heroen, auf die die Menschheit mit Recht stolz ist, haben ihn vor uns vollzogen, weil sie sicher waren, dadurch ihr eigenes Ich zu retten! ... Und ich finde, daß es nur weise ist, ihrem Beispiele zu folgen; denn, Sara, wir beide haben nichts mehr auf dieser Erde zu schaffen.

Sara: Nein! Es ist unmöglich! Es kann dein Ernst nicht sein! – Was du von mir forderst, ist nicht übermenschlich, sondern unmenschlich. Mein Geliebter! Ich habe Furcht! Deine Worte machen mich schwindeln. – Oh, ich werde unser Leben verteidigen. Bedenke, was du von mir forderst! Sterben sollen wir? Jetzt sterben? Liebster, wir sind jung, stark und schön, wir sind Herren eines unermeßlichen Schatzes, wir stammen aus edlem Geschlechte, sind kühn und von hervorragender Intelligenz. Und du willst unseren Tod jetzt, gleich, ohne nur noch einmal die Sonne gesehen und ihr Lebewohl gesagt zu haben? Bedenke nur, was du forderst! Es ist so schrecklich! ... Wenn du es dennoch willst – morgen – vielleicht werde ich morgen stärker sein und mich von dir überzeugen lassen ...

Axel: Oh, mein süßes Lieb! Meine Sara, begreifst du es denn nicht, daß es morgen zu spät ist und ich dann der Gefangene deines herrlichen Leibes sein würde? Seine Reize würden mir unfehlbar die keusche Energie rauben, die mich in diesem Augenblicke belebt, aber ebenso unfehlbar würde die Stunde schlagen, wo sich das Gesetz der Nacht an uns erfüllen, wo unsere Leidenschaft verlöschen, unsere Liebe verbleichen, an ihrer eigenen Glut untergehen müßte. Wollen wir nicht einem so traurigen Schicksal entrinnen? Unser Entschluß ist ein so richtiger und über jeden Zweifel erhabener, daß wir ihn sofort ausführen sollten. Jeder Aufschub könnte uns verderblich werden.

Sara (nachdenklich): Ich zittere, aber vielleicht ist auch das nur falscher Stolz! ... Gewiß, wenn du darauf bestehst, werde ich dir gehorchen. Ich werde dir in die unbekannte Nacht folgen. Indessen erinnere dich, daß auch du dem menschlichen Geschlechte entstammst.

Axel: Das Beispiel, das ich gebe, gilt mehr als alles, was ich ihm verdanke.

Sara: Diejenigen, die für die Gerechtigkeit kämpfen, behaupten, daß Selbstmord begehen gleichbedeutend mit Fahnenflucht sei.

Axel: Es ist die Lehre der Bettler, für die Gott nur ein Broterwerb bedeutet.

Sara: Vielleicht wäre es schöner, an das Wohl aller zu denken?

Axel: Was bedeutet das Wohl aller? Die Menschheit bekämpft sich fortwährend, der Stärkere siegt.

Sara (beinahe verzweifelnd): Was! So rasch sollen wir dem Glücke und allen Freuden des Lebens entsagen? ... Und diese Schätze sollen ungehoben bleiben, wieder in dem Schoß der Erde versinken? Ist das nicht grausam?

Axel: Der Mensch nimmt nur das mit in den Tod, auf dessen Besitz er im Leben verzichtete. Und wirklich, das, was von uns hier zurückbleibt, ist ja nur eine leere Schale. Das, was unseren Wert bestimmt, ist die Seele.

Sara (mit dumpfer Stimme): Wir wissen wohl, was wir hier aufgeben, aber wir wissen nicht, was wir im Jenseits finden werden.

Axel: Wir kehren stark und rein zu dem Urquell des Lebens zurück, dem allein wir den schwindelnden Mut verdanken, der Welt zu entsagen.

Sara: Bedenke doch nur, wie spöttisch alle Welt lachen würde, wenn sie jemals durch einen verhängnisvollen Zufall die düstere Kunde von der übermenschlichen Torheit unseres Todes erhalten sollte!

Axel: Wir können es ruhig dem Leben überlassen, die Apostel des Lachens täglich aufs neue zu geißeln.

(Die ersten Strahlen der Morgenröte dringen durch das vergitterte Fenster.)

Sara (nachdenklich, nach einer Pause): Sterben!

Axel (lächelnd): Mein süßes Lieb! Ich schlage dir nicht einmal vor, mich überleben zu wollen, so fest bin ich davon überzeugt, daß du in deinem tiefsten Innern nicht den geringsten Wert auf das erbärmliche Spiel legst, das man Leben nennt.

(Er blickt umher und scheint mit den Augen den Dolch zu suchen.)

Sara (entschlossen den Kopf erhebend): Nein. Du hast recht. Trage ich doch selbst ein furchtbares, sofortigen Tod bewirkendes Gift stets bei mir. Sieh, es ist in diesem Ring unter dem darauf befindlichen verschiebbaren Smaragd verborgen. Laß uns den herrlichsten Pokal unter den Prunkgeräten hervorsuchen ... und dann – soll alles so geschehen, wie du es willst.

Axel (sie mit dem Arm fest umschlingend und in düsterer Ekstase betrachtend): Du Krone der Menschheit!

(Nach einem Augenblick wendet er sich den auf dem Boden liegenden schimmernden Prunkgeräten zu; während er damit beschäftigt ist, seine Wahl zwischen verschiedenen goldenen Bechern und Schalen zu treffen, hat Sara ein großes Brillanthalsband und andere Schmuckstücke von den Gräbern aufgehoben und sich schweigend damit geschmückt.)

Sara (sich dem Fenster zuwendend, mit sanfter, leiser Stimme): Oh, sieh nur, wie schön die Sonne aufsteigt!

Axel (sich ihr zuwendend; er hält eine kostbare, reich mit Edelsteinen gezierte Schale in der Hand. Er blickt sinnend auf Sara und sagt dann mit sanfter Stimme): Möchtest du mit mir durch das Tal wandern und Frühlingsblumen pflücken? Nicht wahr, es würde dir köstlich erscheinen, zu fühlen, wie der Wind mit unserem Haar spielt. So komm mit mir! Wir wollen Schlüsselblumen pflücken und unsere Lippen sollen sich auf einer Blüte vereinigen.

Sara (die Axels Gedanken erraten hat): Nein. Ich liebe dich mehr wie das Licht der Sonne – nicht auf Blumen, sondern auf dem strahlenden Rand dieser Schale sollen unsere Lippen sich vereinigen! – Hier, nimm diesen Ring ... er ist mein Brautgeschenk.

(Sie nimmt den alten Familienring von ihrem Finger, drückt auf die kleine Springfeder des Smaragds und schüttet dann einige Körner braunen Pulvers, die unter dem Edelstein in dem Ringe verborgen waren, in die goldene Schale, die Axel ihr entgegenhält.)

Axel: Der Tau fällt noch; einige seiner reinen Tropfen werden hinreichen, um das Gift in diesem heiligen Kelche aufzulösen. So wird der Himmel selbst Teil an unserem Selbstmorde haben.

(Er steigt auf eines der Gräber, das nahe an dem Fenster gelegen ist, und während Sara wie traumverloren ihre Hand liebkosend über das in Marmor ausgehauene Windspiel gleiten läßt, drängt Axel den Arm mit dem verhängnisvollen Kelche durch das Gitter des Fensters.

In diesem Augenblicke ertönen vom Walde her fröhliche Stimmen; es ist der Chor der Holzhauer, die ihr Morgenlied singen.)

Chor der Holzhauer (aus der Entfernung gedämpft erklingend):

Freut euch! Freut euch!
Der tiefe Wald, der uns ernährt,
Erstrahlt im Morgensonnenschein;
Das scheue Wild ist schon erwacht,
Erwacht sind alle Vögelein.
Der Wind, der durch die Bäume rauscht,
Die Vogelstimmen nah und fern,
Sie singen all in frohem Chor:
»Oh, lobet, lobet Gott den Herrn.«

Sara: Hörst du ihr Lied? Von Gott singen sie; sie, die, ihr Brot zu gewinnen, die mörderische Axt an die Riesen des Waldes legen? – – Ach, auch ich habe einmal die Axt in meiner Hand geschwungen – aber ich habe nicht zugeschlagen.

(Man hört fröhliche Stimmen, Fanfaren, den Lärm eines durch das Tal ziehenden Hochzeitszuges.)

Ukkos Lied, aus der Ferne:

Auf tauigem Pfade den Hügel entlang,
Seht nur, sie naht schon, die junge Braut!
Wie Silber erglänzet ihr weißes Gewand,
Ihr schüchternes Auge zu Boden schaut.
Sei mir gegrüßt, mein junges Lieb,
Mein deutsches Kind, sei gegrüßt,
Die du von allen Blumen des Mai
Die holdeste, süßeste Blume bist!

Axel: Es sind glückliche Kinder, die sich vermählen. Ich bitte dich, Sara, gedenke ihrer freundlich, es wird ihnen Segen bringen.

Sara (lächelnd sich dem Fenster zuwendend): Oh, ihr sorglosen, glücklichen Menschen, die ihr so fröhlich singt, seid gesegnet!

Axel (auf sie zutretend): Sieh nur, der matte Schein der nächtlichen Lampe erbleicht vor dem Lichte des Tages. Sie ist dem Erlöschen nahe – wie wir selbst es sind! (Die Schale hochhebend.) Alte Erde! Ich werde meine traumhaft schönen Paläste nicht aus deinem undankbaren Boden erbauen: ich werde kein Fackelträger sein, ich werde meine Feinde nicht erschlagen.

Möchte doch das ganze menschliche Geschlecht, der ewigen Enttäuschungen müde, unserem Beispiele folgend, dir entrinnen, ohne dir auch nur ein Abschiedswort zu gönnen.

Sara (neigt ihr Haupt auf Axels Schulter und verharrt ein paar Augenblicke wie in einer geheimnisvollen Entzückung): Jetzt, da wir die Unendlichkeit erwählt, laß uns keine eitlen Worte mehr verlieren, sondern in die Unendlichkeit fliehen.

(Axel führt die verhängnisvolle Schale an seine Lippen – trinkt – er zittert und schwankt; Sara ergreift die Schale und trinkt, ohne zu zögern, den Rest des Giftes, dann schließt sie die Augen. Axel sinkt zu Boden; Sara beugt sich zitternd über ihn, sinkt dann neben ihm nieder und ihre Lippen begegnen sich in einem letzten Kusse.

Dann sinken sie beide leblos nebeneinander hin.

In diesem Augenblick bricht heller Sonnenschein durch das Fenster und übergießt die Gräber und Statuen mit goldigem Schein. Die Lampe verlischt; ein Goldstück rollt herab und schlägt mit hellem Klang auf dem Boden an. Tiefe Stille herrscht an der Stätte, wo soeben erst zwei junge Leben sich dem Tode geweiht; – dann vernimmt man von draußen eindringend das Rauschen des Windes aus den Wäldern; das Erwachen der Natur und das Geräusch des Lebens.)


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