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II. Die Erzählung des Herrn Zacharias

Siebente Szene

Herr Zacharias (zuerst in dem Tone eines Mannes, der eine Rede niedergeschrieben und nachher sorgsam auswendig gelernt hat – dann aber sich allmählich erwärmt und endlich frei spricht): Hier sind die Beweisstücke und Dokumente. Sie beziehen sich auf den Zeitpunkt der Geschichte, in der das Ereignis, von dem ich reden will, sich zugetragen hat. Wir standen damals unter dem Drucke der französischen Invasion, die uns heute beinahe nur noch wie ein fataler Traum erscheint.

In die Schlag auf Schlag aufeinanderfolgenden Nachrichten der Niederlagen, die unsere Armee in Mitteldeutschland erlitten, mischte sich das halboffizielle Gerücht, daß der Feind eine plötzliche offensive Bewegung nach rückwärts beabsichtige, und die auf diesem Wege liegenden Städte, die sich bedroht glaubten – ganz besonders aber die reiche kurfürstliche Stadt Frankfurt – zitterten bei dem Gedanken an die Erpressungen und Gewaltsamkeiten des französischen Heeres, von dessen Zuchtlosigkeiten und Härten die verwüsteten Provinzen, durch die sie ihren Weg genommen, genug zu erzählen wußten. Es war, als ob das Gespenst Napoleons überall und zu gleicher Zeit auftauche, denn von diesem wunderbaren Führer, der sich innerhalb dreier Tage über dreißig Meilen von dem Orte entfernt befand, wo er sich nach unserer Berechnung befinden mußte, konnte man der seltsamsten Überraschungen gewärtig sein. Es entstand eine allgemeine Panik; man glaubte sogar, nicht mehr Zeit zu haben, die erst kürzlich gemachte Kriegsanleihe zu militärischen Zwecken zu verwenden. Erinnern Sie sich, gnädiger Herr, des trostlosen Anblickes, den die bedrohten Städte zu jener Zeit boten, der geschlossenen Häuser, der allgemeinen Trauer, des aus der Ferne tönenden Gewehrfeuers, des Donners der Kanonen und des Sturmgeläutes der Glocken, das der Wind über alle Wege trug? ...

Der Kommandant: Genug davon.

Herr Zacharias: Aber selbst in jenen Staaten, in denen man sich so sehr beunruhigte, fehlte das volle Verständnis für die wirkliche Größe der Gefahr, in der man schwebte, einer Gefahr, deren Kalamität durch ein eigenartiges Zusammentreffen finanzieller Angelegenheiten noch bedeutend erhöht wurde. Fünf Wochen, ehe sich diese schrecklichen Gerüchte verbreitet, hatten sich nämlich die Keller und Gewölbe der Nationalbank von Frankfurt in überraschender Weise mit Gold und Schätzen aller Art gefüllt. Die Panik, deren Raub besonders die besitzende Klasse geworden, hatte diese veranlaßt, was sie an Gold und Goldeswert besaß, der Nationalbank von Frankfurt zu vertrauen, unter deren Schutz man sein Eigentum gesichert glaubte. Derartige Erscheinungen sind zu Kriegszeiten durchaus nichts Seltenes. (Ein ganz vergilbt und alt aussehendes Papier entfallend.) Vergebens hatte die Nationalbank, um diesen Zufluß zu hemmen, bekanntgemacht, daß der beschränkte Raum ihrer Schatzgewölbe ihr nicht gestatte, anderes wie Gold in Empfang zu nehmen. Sehen Sie hier die detaillierte Aufzeichnung der Werte, die, in starke eiserne Tonnen verpackt, sich zu jener Zeit in den niederen Gewölben der großen Schatzkammer Frankfurts befunden haben, – es sind beinahe vierhundert eiserne Fässer, die mit dem Petschaft der Konföderation versiegelt waren.

Das aus öffentlichen Ersparnissen stammende Geld, das durch die Brachlegung jeden Handels und geschäftlichen Verkehrs in Deutschland sich gestaut und das man daher der Bank anvertraut hatte, bedeutete einen Wert von zweiundvierzig Millionen Taler. Dazu kam die letzte Kriegsanleihe im Werte von sechsundsiebzig Millionen Taler. Außerdem aber noch die dem Depot der Stadt vertrauten Kostbarkeiten, herrlich geschliffene Brillanten und Edelsteine, Schmuckstücke von großem Werte, schön geschnittene, zu Halsbändern vereinte Gemmen, feine Perlen, Meisterwerke der Goldschmiedekunst, gefaßte Steine, ungemünzte Goldbarren und Blöcke; Dinge, die einen Wert von achtundsiebzig Millionen Taler darstellten. Die von den Privatbanken von Württemberg, Bayern, Sachsen und den Großherzogtümern in Gold deponierten Summen, die, ohne Zinsen dafür zu verlangen, dem Schutze der Nationalbank anvertraut wurden, betrugen fünfundsiebzig Millionen Taler. Dazu kamen dann noch endlich die Depots des Adels und der Bürgerschaft im Werte von sechsundzwanzig Millionen in Gold usw. usw. Ganz gewiß ist, daß der Wert der in den Schatzgewölben aufgehäuften Schätze ungefähr dreihundertfünfzig Millionen Taler betrug.

Der Kommandant (sinnend und ihn aufmerksam beobachtend): Ja, ich weiß das. Fahre fort.

Herr Zacharias: Als daher das Gerücht, daß die französische Invasion sich jenem Punkte Deutschlands zuwende, immer mehr an Glaubhaftigkeit zunahm, glaubte die oberste Finanzkommission der Konföderation, den Verwaltern und Hütern dieses Schatzes folgende Weisung geben zu müssen: Da es offiziell anerkannt ist, daß ein beträchtlicher Teil dieses Schatzes zu Kriegszwecken bestimmt war, könnte der kaiserliche Sieger, wenn er sich auf Frankfurt werfen und es einnehmen sollte, indem er sich auf Kriegsgebrauch stützte, mit einem Ansehen von Recht diesen ganzen enormen Schatz mit Beschlag belegen. Unter solchen Umständen sei es daher dringend geboten, sofort einen Entschluß zu fassen und Maßregeln zu treffen, den ganzen Schatz ohne Zögern an einen möglichst weit von dem Kriegsschauplatze entfernten Ort in Sicherheit zu bringen und dadurch vor der Besitzergreifung des Feindes zu sichern. Als er diese Mitteilung empfangen, versammelte sich der Finanzrat der Nationalbank in geheimer Sitzung und wählte zur Leitung und Durchführung dieser ernsten, verantwortlichen und gefährlichen Unternehmung drei der geschätztesten Offiziere des Generalstabes, die der Stadt naheliegende wichtige militärische Punkte befehligten. Es waren: der General Prinz von Muthwild, der General Graf von Thungern und endlich der General Graf Gerhard von Auersperg, der das Kommando übernahm.

(Pause.)

Der Kommandant (nachdenklich, für sich): Ja, es ist dies ein Stück der deutschen Geschichte, das niemals aufgeklärt wurde und vollständig rätselhaft erscheint.

Herr Zacharias: Nach der Schätzung des Grafen Auersperg würden zweitausend Mann sächsischer Kavallerie und achtzig Munitionswagen der Artillerie vollständig genügen, den Transport zu bewerkstelligen. Die Kommandanten der umliegenden Divisionen erhielten sofort Befehl, Sorge dafür zu tragen, daß unmöglich ein Angriff des Feindes stattfinden könne. Man wollte sich dem südwestlichen Teile des Landes zuwenden; man würde die einsamsten Wege verfolgen. Graf Auersperg sollte die Führung übernehmen, der Graf von Thungern die Mitte und der Fürst von Muthwild die Nachhut befehligen, und so gedachte man auf einem großen Umwege die starke, nur den drei Führern der Expedition bekannte Feste zu erreichen.

Am selben Abend, nachdem diese Entscheidung getroffen war, wurden die vierhundert kostbaren Eisentonnen, deren Inhalt man für Kriegsmunition ausgab, in den Haupthof der Bank geschafft, wo man sie mit Ketten und Stricken sorgsam auf die Munitionswagen packte. Man hatte auf höheren Befehl Sorge dafür getragen, daß alle Angestellten der Bank ferngehalten und der Hof auf das strengste von den zur Eskorte bestimmten Schwadronen zerniert wurde.

Um Mitternacht brach man auf und verließ die Stadt in möglichster Stille mit ausgelöschten Fackeln und bei vollständiger Dunkelheit.

Zweifellos hatten die Verwalter der Schätze und die drei Kommandanten dieser Expedition sich darüber geeinigt, welche Festung man zu erreichen habe – ebenso gewiß ist es aber, daß dies höheren Ortes erst viel später bekanntgegeben wurde. Ganz sicher ist ferner, daß auf den Rat vorausgesandter Späher, nachdem man zwei Tage lang in südwestlicher Richtung marschiert war, der Graf von Auersperg Grund zu der Befürchtung hatte, daß der Weg vor ihm abgeschnitten werden könne. Da er sich der schweren Verantwortlichkeit, die auf seiner militärischen Ehre ruhte, voll bewußt war, änderte er plötzlich aus eigener Machtvollkommenheit die Marschroute, ohne jedoch seinen neuen Plan einem Menschen anzuvertrauen, bis er seine schwere Aufgabe vollendet hatte.

Der Kommandant (bleich und lächelnd): Setze dich, Zacharias, du bist alt; diese lange Erzählung ermüdet deine Stimme. Trinke einen Fingerhut voll Wein, – er schimmert gelb-rötlich wie all dies Gold, von dem du sprichst. Trinke, es wird dir gut tun.

Herr Zacharias (dankt mit abwehrender Handbewegung; sich tief neigend, scheint er nach und nach in eine Art visionärer Träumerei zu versinken): Es ist ganz zweifellos, daß damals in seinem Gedächtnis die Erinnerung an eine uneinnehmbare Burg auftauchte, eine Burg, die von aller Welt vergessen in dem unergründlichen Schatten tiefer Wälder verborgen lag. Wälder, die ein Gebiet von mehr als hundert Meilen umfaßten, und die von ihm aus seiner Kindheit wohl vertrauten Fußpfaden durchkreuzt waren, auf denen jedoch die schmalen Munitionswagen, die einen Teil des Vermögens von Deutschland trugen, sich sehr wohl würden fortbewegen lassen. Zweifellos erinnerte er sich auch, daß sich in der Tiefe dieser Wälder ein geheimer unauffindbarer Schlupfwinkel befand, der seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden war, ein Ort der Finsternis und des Grauens, dessen Zugang nur ihm allein bekannt war, und der in seinem Innern wenigstens bis zum bevorstehenden Frieden alles auf das getreuste bergen würde, was man ihm anvertrauen sollte. Es war also dieser Ort, dem er zustrebte und dem er die Menschen und Schätze, für deren Sicherheit er seinem Vaterland verantwortlich war, auf vor allen Eventualitäten eines feindlichen Angriffes geschützten Pfaden entgegenführte. Sehen Sie, gnädiger Herr, so drang er immer tiefer in diese Wälder und gelangte endlich in diese verlorene Gegend, in der wir uns jetzt befinden.

Der Kommandant (zittert und sieht Herrn Zacharias betroffen an).

Herr Zacharias (fortfahrend): Es ist ganz gewiß, daß sich in diesem unermeßlichen Walde, und zwar im Gebiete dieser Burg, unter einem heute von Bäumen und Sträuchern verdeckten Felsblock der verborgene Eingang zu einem dieser unterirdischen Gewölbe befindet, wie solche das ganze Tal unterminieren, und deren Entstehung bis weit hinter das Mittelalter zurückreicht. Die Geheimnisse dieser Schlupfwinkel waren stets nur dem Familienoberhaupte der großen Herrschaft bekannt, zu denen sie gehörten; sie dienten im Falle einer Belagerung der Burg zur Bergung des Proviantes und zu nächtlichen Ausfällen.

Während also Graf Auersperg sich ohne jede Anstrengung des Weges zu dem Eingang dieser unvergeßlichen unterirdischen Gewölbe erinnerte – das sich in dem hügeligen Teile des Hochwaldes auf einem jäh abfallenden Abhang befindet –

Der Kommandant (ihn unterbrechend): Still, ich will dir nicht mehr zuhören. Wenn man in der Tat annehmen wollte, daß der Graf von Auersperg den phantastischen Entschluß gefaßt haben sollte, den du ihm unterschiebst, wenn er wirklich allen Ernstes daran gedacht haben sollte, ohne Verdacht zu erregen, diese sogenannte Kriegsmunition auf seinem eigenen Territorium verschwinden zu lassen, wie wäre es glaubhaft, daß er es gewagt haben sollte, sich auf die Verschwiegenheit von zweitausend Männern zu verlassen, die, wenn auch zuerst und unter sich, doch jedenfalls diese seltsame Begebenheit besprochen hätten? Selbst zugegeben, daß er, durch falschen Alarm beunruhigt, einen Augenblick lang einen derartigen Plan gehegt haben sollte, wie sollte es glaubhaft erscheinen, daß zwei so tüchtige Generäle, wie der Prinz von Muthwild und der Graf von Thungern ihn nicht davon zurückgehalten und ihm ihre Hilfe verweigert haben sollten? – Nein, nein, du träumst, Zacharias.

Herr Zacharias (wie in Gedanken verloren und ohne auch nur Notiz von der Unterbrechung zu nehmen): Ja! Es muß am Abend eines trüben und regnerischen Tages gewesen sein; die schon herabsinkende Dämmerung wurde durch das dichte Laub der hohen Bäume noch mehr verdunkelt. (Den Kopf erhebend und den Kommandanten starr anblickend.) Der Graf von Auersperg führte vorsichtig eine Abteilung, oh, von nicht mehr wie zweihundert Leuten, durch die verschlungenen Pfade des Waldes, bis einige hundert Schritt von der Stelle, wo der noch geschlossene Eingang der unterirdischen Höhle sich auf Befehl seines Herrn und Meisters öffnen würde. Er hatte nur die Führer der Munitionswagen mitgenommen und dem Rest der jetzt überflüssig gewordenen Eskorte den Befehl erteilt, zwei Meilen von der Grenze auf ihn zu warten. Nachdem es ihm gelungen, in diese unbewohnten, stets verlassenen Regionen zu dringen, war alle Gefahr überwunden.

(Wie in einer Halluzination redend.) Bei dem plötzlichen Haltrufe des Grafen von Auersperg hält die langsam dahinziehende Kolonne der Wagen inne, und der Graf von Thungern verläßt das Zentrum und stellt sich an die Spitze des ersten Gespanns. Auersperg ist vom Pferde gesprungen, dringt ganz allein in das Dickicht des Waldes und ist dann plötzlich verschwunden. Niemand hat ihn begleitet. Langsam durch die herabsinkende Nacht schreitend, erreicht er bald auf einer abfallenden, mit Felsen bedeckten Stelle ein paar enorme mit Moos und Gestrüpp bewachsene Felsblöcke, die er sofort erkennt und auf denen sein Blick mit gespannter Aufmerksamkeit ruht. Er wirft sich zwischen diesen Felsen zu Boden, und seine tastende Hand sucht die Feder, deren Geheimnis ihm einst sein Vater verraten, dem es wieder von seinem Ahnherrn vertraut worden war. Er sucht und findet. Aus der Tiefe der Erde dringt das kreischende Geräusch der rostigen gewaltigen Hebel, die dem Druck seiner Hand gehorchen, und sieh, in die gewaltigen Felsblöcke ist plötzlich Leben gekommen; langsam schieben sie sich voneinander und enthüllen den finstern Schlund des geheimnisvollen Eingangs der unterirdischen Gewölbe. Der Graf von Auersperg richtet sich auf. Seinem lauten Rufe Folge leistend, nähern sich einer hinter dem andern die Führer mit den Munitionswagen, und er läßt sie langsam näher kommen und an dem gähnenden Schlunde vorbeidefilieren.

Beim Scheine großer Laternen, die man angesteckt hat, haben die zu jedem Wagen gehörigen drei Artilleristen, die gewohnt sind, mit Kanonen umzugehen, rasch an dem hintern Teil der Wagen die langen, schweren, sich senkenden Eisenschienen befestigt. Nachdem sie dann mit flinken Axtschlägen die schweren Taue und Stricke zerstört haben, mit denen die Last auf den Wagen befestigt ist, rollen die schweren eisernen Fässer, durch ihr eigenes Gewicht herabgezogen, rasch in den vor ihnen gähnenden Abgrund und mit donnerndem Gepolter bis weit in die tiefsten Tiefen der großen Höhle hinein. Dann entfernt sich der Wagen und setzt seinen Weg durch den Wald fort. Ein zweiter und dritter folgt, und so fort, bis die ganze kostbare Ladung tief und sicher im Schatze der Erde geborgen ist.

Zwei Stunden haben dazu genügt. Die beiden anderen Führer haben sich in aller Stille wieder an ihre Posten zurückbegeben. Der Graf von Auersperg ist ganz allein in der dunklen Nacht zurückgeblieben. Nachdem sich alle Welt entfernt hat, berührt seine Hand noch einmal die verhängnisvolle Feder und läßt die Hebel spielen, und mit einem gewaltigen Ruck schließt sich der gähnende Schlund, die Felsen rücken fest zusammen und stehen starr und unbeweglich wie vorher. Es ist vollbracht. Der zauberhafte Schatz ist sicher in der unergründlichen Finsternis geborgen.

Der Graf von Auersperg hatte die Führer der Wagen in einfachster, glaubhaftester Weise davon zu überzeugen gewußt, daß diese vierhundert Eisentonnen tatsächlich Pulver, Kugeln und Kriegsmunition enthielten. Wie hätten diese einfachen Leute bei der großen Zahl der Tonnen die Wahrheit vermuten können? Dazu kam, daß man Sorge getragen hatte, nur Leute aus dem Sachsenlande, die möglichst fern von dem Schwarzwald geboren waren, und die das Land nicht kannten, zu dem Transporte zu kommandieren. Ferner hatte der Graf von Auersperg die Leute absichtlich hin und her und auf seltsamen Um- und Irrwegen geführt, obwohl er selbst sich des Weges und seines Zieles ganz genau bewußt war. Diese einfachen Leute waren weit davon entfernt, einen Verdacht schöpfen zu können. Hatte man sie doch mit sozusagen verbundenen Augen durch Regen und Nacht dem Ziele zugeführt. Von dem langen, mühevollen Marsche ermüdet, fortwährend von dem Gedanken eines unerwarteten feindlichen Angriffes beunruhigt, spähten sie immer nur nach der vermeintlichen Festung aus, deren Kasematten mit Munition zu verproviantieren sie für ihre Aufgabe hielten, und waren in keiner Weise überrascht von der plötzlichen raschen Erledigung ihres Geschäftes. Selbst wenn der eine oder der andere sich Gedanken darüber gemacht haben sollte, so war dies ohne jede Bedeutung. Außerdem stand der Frieden bevor, und bis er proklamiert, waren die Schätze jedenfalls ganz gesichert und jeder Raub derselben vollständig ausgeschlossen.

Der Kommandant (sehr ruhig und Herrn Zacharias beobachtend): Welch geistreiche Erzählung du mir da vorgeschwindelt hast, mein lieber Zacharias! Indessen gibt es noch eine andere Lesart dieser Geschichte. Sie erzählt nur, daß die drei Generale, von denen du sprichst, allerdings von dem hohen Finanzrat der Konföderation damit beauftragt gewesen seien, die ungeheuren Nationalschätze in eine im Westen Deutschlands gelegene Festung zu schaffen. Durch das fortwährende Hin- und Herstreifen der französischen Truppen waren die Führer der Expedition gezwungen, sich hart an der bayerischen Grenze zu halten, um dann in den Schwarzwald einzudringen – auf einem Wege, der genau auf den Kriegskarten verzeichnet ist.

Herr Zacharias: Auf dieser selben Karte, die hier vor Ihren Augen liegt.

Der Kommandant: Man war jedoch noch mehr als fünfundzwanzig Meilen von dem Schwarzwald entfernt, – als – infolge eines völlig unaufgeklärten Umstandes der General von Auersperg sich mit den beiden anderen Generalen ein wenig von ihrem Gefolge entfernt hatten, ihm etwas vorausgeritten waren, vielleicht um sich des rechten Weges zu versichern. Dieser günstige Moment wurde von einer Brigade französischer Tirailleurs zu einem Überfall benutzt; die deutschen Soldaten wurden teils niedergemetzelt, teils zu Gefangenen gemacht, und ihr kostbarer Transport wurde eine Beute des Feindes. Augenzeugen, die von einem Hügel herab den ganzen Vorfall mit angesehen, haben diese Tatsache bestätigt.

Herr Zacharias (mit dem Finger auf die Karte zeigend): Hier ist die Stelle, wo dies geschehen ist.

Der Kommandant: Da es dem Feinde nicht gelang, sie zu Gefangenen zu machen, eröffnete er ein starkes, fortgesetztes und mörderisches Feuer gegen sie, das in weniger als einer Viertelstunde keinen Lebenden übrig ließ. Der Graf von Auersperg wurde tot aufgefunden, sein Kopf wie seine Brust waren von Kugeln durchbohrt, und seine beiden Gefährten waren von demselben Schicksal ereilt worden. Trotz dieses unheilvollen Verhängnisses und der damit verbundenen Umstände, durch die der Raub oder doch das unbegreifliche Verschwinden der kolossalen Schätze herbeigeführt wurde, muß ich dennoch zugeben, daß diese Episode zu einer der rätselhaftesten der Geschichte gehört.

Herr Zacharias: Mir scheint es ganz zweifellos, daß ein wohlüberlegter Verrat von seiten der vereinigten Staaten hinter der Fatalität dieses militärischen Überfalles verborgen ist. Ach, wie lange und wie geduldig bin ich den Spuren dieses Geheimnisses gefolgt, wie oft habe ich geglaubt, die Lösung desselben entdeckt zu haben! ... Wozu nützt es Ihnen, zu enthüllen, daß die Talonbücher, in denen Buch über die Namen derjenigen geführt wurde, die ihr Eigentum in der Bank deponiert hatten, verbrannt worden sind? Ich habe die Beweise davon. Es ist ferner ganz gewiß, daß die französischen Freischaren allerdings die Munitionswagen erbeuteten, jedoch erst nachdem diese schon entleert waren, und ebenso steht es fest, daß Gerhard von Auersperg, ehe er in den Schwarzwald eindrang, die große Mehrzahl der ihm als Eskorte beigegebenen zweitausend Mann schon an der Grenze in ihre Heimat zurückgeschickt hatte, und nur die Wagen führenden Artilleristen bei sich behielt, daher die wenigen Leute, die ihn umgaben, als das tödliche Verhängnis ihn erreichte – es geschah dies genau zwei Tage nach dem Ereignis, das ich Ihnen eben geschildert habe.

Der Kommandant: Womit begründest du deine Vermutungen?

Herr Zacharias (die Stimme senkend): Zwei Tage nach seinem angeblichen Tode ist der Graf von Auersperg gegen Mitternacht hier auf diesem Schlosse gewesen ...

Der Kommandant (erbleichend und sich rasch erhebend): Bist du dessen sicher?

Herr Zacharias (sehr ruhig und bestimmt): Ich wachte in dem niederen Saale des Turmes, als ich hörte, daß ein Pferd über die große Zugbrücke kam, und dann sah ich plötzlich den Grafen Gerhard eintreten. Er verbarg seine Uniform unter einem großen Reitermantel.

Der Kommandant: Er? Hier! – Weshalb?

Herr Zacharias (etwas erstaunt): Nun, ich denke wohl in erster Linie, um zärtlichen Abschied von seiner Gemahlin zu nehmen, die damals gesegneten Leibes war und ihm in den nächsten Tagen einen Sohn schenken sollte. Die Gräfin Lisvia von Auersperg, die damals schwanger mit Axel, unserem jetzigen Herrn, war, hatte sich während der Kriegszeit hierhin zurückgezogen.

Sie war fast immer bettlägerig, da sie sich sehr schwach und krank fühlte. Vielleicht hat aber auch der Graf ihr während dieses raschen und sehr kurzen Besuches eine für seinen Sohn bestimmte Schrift übergeben, die im Falle seines Todes, den er wohl ahnte, seinerzeit dem verwaisten Sohne gewisse Aufklärungen geben sollte. Was ist aus diesem Schriftstücke geworden? Hat es überhaupt existiert? Ich weiß es nicht.

Der Kommandant (der sich wieder gesetzt und ein paar Augenblicke nachgedacht hat): Herr Zacharias, ich zweifle immer noch an all dem, was Sie mir vertraut haben, es scheint mir kaum Wirklichkeit, sondern vielmehr ein Traum zu sein. Aber warum haben Sie mir das alles gesagt?

Herr Zacharias: Ach, weil ich sehr alt bin, mein gnädiger Herr, und weil ich fühle, daß ich bald sterben werde. Weil es mir beinahe verbrecherisch erscheint, noch länger die Dinge gehen zu lassen, wie sie wollen, weil ich endlich der Gewissensbisse müde bin, die dieses lange Schweigen mir schon verursacht hat. Weil man seinerzeit allen Beteiligten freilich höchst unbedeutende Entschädigungsgelder ausgezahlt hat, und sich dagegen die Quittungen zurückgeben ließ – weil dadurch in Wirklichkeit diese ungeheuren Schätze tatsächlich keinem mehr gehören. – Weil mein Herr, dem ich alles dieses offenbart habe, und zwar mit Details und Beweisstücken, die meine Behauptungen noch viel glaubhafter machen, niemals, wenigstens soviel ich dies weiß, auch nur den kleinsten Versuch gemacht hat, diese unschätzbaren Reichtümer aufzufinden, ja, daß er mir vielmehr auf das strengste verboten hat, je wieder davon zu sprechen. Weil er mich seinerzeit einen Eid darauf ablegen ließ, niemals auch nur die kleinste Anspielung darauf zu machen, selbst nicht mit leiser Stimme, und wenn ich ganz allein mit ihm sein sollte. Es sind heute drei Jahre geworden, seit ich dieses Gelübde abgelegt, und niemals habe ich wieder ein Wort davon gesprochen. Ich weiß ja nicht, welche unheimliche und schreckliche Wissenschaft Janus ihn lehrt – – – aber manchmal könnte man wirklich glauben, daß er alles, was ich ihm offenbart, völlig vergessen habe. Höheren Ortes würde wohl auch kaum einer den Worten des armen, im tiefen Walde hausenden Greises Gehör schenken. Sie aber, gnädiger Herr, sind mächtig! Selbst Könige lauschen Ihren Worten. Ich habe daher geglaubt, daß es keine Sünde sein könne, einen mir abgerungenen sträflichen Eid zu brechen, damit Sie für meinen vielgeliebten, aber leider viel zu gleichgültigen Herrn handeln können und auf diese Art ihm und Ihnen wieder Ruhm, Macht und Glück zufallen möge, selbst gegen seinen Willen. Und in dankbarer Erinnerung seines edlen Vaters, der nicht nur Ihr Verwandter, sondern auch Ihr Freund gewesen ist, habe ich geglaubt, daß es meine Pflicht sei, Ihnen diese Enthüllungen zu machen, eine Pflicht, die zu erfüllen unerläßlich sei.

(Man hört von der Allee her das Blasen eines Jagdhornes.) Da ist der gnädige Herr Axel! Jetzt reden Sie.

(Er rollt in aller Eile die Papiere zusammen und verbirgt sie unter seinem faltigen Mantel.)

Der Kommandant (der ihn lange und forschend angeblickt hat): Herr Zacharias, Sie sind ein weiser und pflichttreuer Diener. Alles, was ich Ihnen darauf antworten kann, ist, daß ich zwar in dieser Nacht abreisen werde, daß man aber auf diesem Schlosse von mir hören wird, ehe drei Monate vorüber sind.

Herr Zacharias (scheint freudig bewegt).

Der Kommandant (für sich, nachdenkend): Nach einem guten, kaum einstündigen Ritte werde ich das Wirtshaus zu den drei Störchen erreichen, das an dem durch ein Kreuz bezeichneten Kreuzwege liegt und wo ein Zimmer für mich bereit ist. Otto, mein Kammerdiener, und die beiden ersten Führer erwarten mich dort bereits; ich kann gegen halb zwölf dieses Abends dort sein. Dort kann ich mich ausruhen. Morgen dann, beim ersten Strahl der Morgenröte, zu Pferde! Und in ein paar Tagen bin ich außerhalb des Waldes. Dann per Extrapost bis nach Berlin. Dort gilt es zuerst die Trümmer meines Vermögens zu realisieren, dann aber – wenn ich es nur schlau anfange, warum sollte ich nicht versuchen, für mich allein und im geheimen dies goldene Vließ zu erbeuten? Oh, diese überraschende Enthüllung! Wenn es wirklich wahr wäre? (Man hört Schritte in der Vorhalle. Leiser und den Finger auf die Lippen legend.) Stille.

(Im Hintergrunde des Saales erscheint Axel von Auersperg. – Er scheint dreiundzwanzig bis vierundzwanzig Jahre alt zu sein; er ist hoch und schlank gewachsen und von bewunderungswürdiger, männlicher Schönheit. Seine ausgebildeten Muskeln und die ganzen ebenmäßigen Verhältnisse seiner Gestalt verraten eine ungewöhnliche körperliche Kraft. Sein auffallend bleiches schönes Gesicht ist von langem, lockigem, braunem Haar umgeben und hat einen ernst nachdenklichen, fast geheimnisvollen Ausdruck.

Er trägt ein Jagdkostüm von schwarzem Leder mit Stahlknöpfen, ein Filzbarett mit Adlerfedern, ein Gewehr über der Schulter und eine Axt im Gürtel.

Einen Augenblick bleibt er unbeweglich auf der Schwelle des Saales stehen.)


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