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Ein hoher Saal mit einer aus Eichenholz getäfelten Decke. Ein eiserner Kronleuchter hängt von dem schweren massiven Querbalken herab. Im Hintergrund eine große Tür, die auf einen Vorplatz führt; über dieser Tür das Wappen der Auersperg, das von großen goldenen Sphinxen getragen wird.
Links ein großes gotisches Fenster, das Ausblick auf ungeheure, im Nebel liegende Wälder gewährt.
Rechts eine steinerne, in die Mauer eingelassene Treppe; oben an dieser Treppe eine bogenförmige Tür, die mit einem der Türme korrespondiert.
Die Dämmerung ist schon tief herabgesunken.
Der Saal ist von einer solchen Tiefe, daß man den Eindruck hat, als befinde man sich in einem jener kolossalen Gebäude, die aus der ersten Zeit des Mittelalters datieren. – Rechts ein großer Kamin, in dem ein mächtiges Feuer brennt, das die Szene erleuchtet; auf dem geräumigen Mantel dieses Kamins liegen verstaubte Folianten. Überall stehen Gestelle von schwarzem Holze umher, darauf Retorten, Himmelskugeln, antike Tonlampen, Reste von vorsintflutlichen Tieren, getrocknete Kräuter.
An den Wänden hängen aus alten Waffen gebildete Trophäen, orientalische Flaggen, sehr alte Ahnenbilder, die deutsche Schloßherrinnen und Barone darstellen. Zwischen Sarazenerrüstungen sind ausgestopfte große Geier und Adler mit weit ausgebreiteten Flügeln befestigt.
Im Mittelgrunde rechts und links Türen, die von langen Vorhängen aus schwerem kostbaren Stoffe bedeckt sind.
In der Mitte des Saales ein festlich gedeckter Tisch, oben und unten an diesem Tische stehen zwei große altmodische Sessel, vor denen Fuchs- und schwarze Bärenfelle ausgebreitet sind.
Ein stattlicher Greis sitzt vor dem Kamin und ist damit beschäftigt, Waffen zu prüfen und die letzte Hand an die Politur derselben zu legen. Er trägt ein Übergewand aus braunem Wollstoff, das durch einen ledernen Gürtel gehalten wird, eine alte Reiterhose von ähnlichem Stoff und Farbe, eine preußische Mütze über dem spärlichen weißen Haar, das kurz verschnitten ist. Seine Brust ist mit dem Eisernen Kreuze geschmückt.
Nikolaus (allein): Da! – Diese Karabiner und Jagdmesser sind nun alle wieder blank. Die Kürbisflasche ist voller Kirschbranntwein ...
(Er erhebt sich und blickt um sich.)
Ach! der Abend ist gekommen.
(Er geht an das Fenster und blickt hinaus.)
Hei! Wie der Wind durch die Fichten jagt! Das Heidekraut biegt sich, die Fledermäuse fliegen nicht, das sind Vorzeichen des Sturmes. Schließen wir die Fenster. Der Duft der Bäume, der bei Tage so köstlich erscheint, ist nachts ungesund, besonders zur Zeit des Lenzes.
Nikolaus, Hartwig und Gotthold, von links eintretend
(Es sind zwei hochgewachsene Greise von ähnlichem Wuchse wie Nikolaus; sie sind militärisch gekleidet und haben ein sehr würdiges Aussehen; sie sind ebenfalls mit dem Eisernen Kreuz geschmückt.)
Gotthold: Nikolaus, es ist Zeit, die Fackeln für die beiden Festgenossen zu entzünden.
Nikolaus (vom Fenster zurücktretend und sich die Hände reibend): Und auch das Feuer anzufachen, denn man fühlt den scharfen Wind. (Er nähert sich dem Kamin und schürt das Feuer.) Nun, und wird der Doktor nicht auch zum Abendessen herunterkommen?
Hartwig (fröstelnd): Nein. – Brr! Spare nicht mit dem dürren Rebenholz, das Feuer muß hell brennen! – Oh, welche Feuchtigkeit doch immer aus diesen alten Steinwänden dringt. Mir kommt es immer so vor, als ob der andere Flügel des Schlosses weit behaglicher wäre, was? Hier friert man immer – dabei ist es draußen nicht kalt, die Luft ist vielmehr schwül – alles deutet auf ein herannahendes Gewitter.
Gotthold (ebenfalls fröstelnd, um sich sehend): Das kommt, weil der Wind hier durch den Efeu fährt, der die steinernen Mauern umkleidet. Ja, dies ist wirklich ein sehr kalter Raum.
Nikolaus (große Holzkloben in das Feuer schiebend): Ja, es kommt vielleicht auch daher, weil dieser Raum nicht bewohnt und nur bei besonderen Gelegenheiten benutzt wird. Nur Meister Janus kommt manchmal hier herein.
Gotthold (steckt die Kerzen der Kandelaber an).
Nikolaus (erhebt sich und betrachtet sinnend den Widerschein der Lichter und des Feuers, der auf den Mauern der Täfelungen, auf den vergoldeten Halbmonden der Standarten hin und her gleitet. Hier und da blitzen lange Degen, Morgensterne und große Dolchmesser auf. Die Glasaugen der Raubvögel funkeln gespenstisch, über den langen Läufen der Karabiner und Gewehre huschen Lichter, die die Gesichter der alten Ahnenbilder zu beleben scheinen): Wie verfallen hier alles aussieht! Seht nur dort die Gemälde! Die harten Züge der Rheingrafen, die schönen Stirnen der Vorfahren Herrn Axels scheinen wie verwischt – die Tapeten sind kaum mehr zu erkennen.
Hartwig: Und diese mit Gold eingelegte erzene Rüstung! Sie ist eins der Beutestücke, die der deutsche Ritter Fürst Elcias von Auersperg aus dem ersten Kreuzzuge gegen den Emir Saharil den Ersten heimgebracht hat; seht nur, sie ist ganz vom Rost zerfressen und das Holz der Lanze ist in der hier herrschenden Feuchtigkeit verfault.
Nikolaus (ernst): Ach, es nützt nichts, sie zu putzen, es ist, als ob es an diesem Orte spuke.
(Die drei Veteranen stehen jetzt um den von einem weißen Tafeltuch bedeckten, von Lichtern erhellten Tisch. Der Schein der Kerzen fällt auf sie und sie heben sich deutlich von dem den Raum erfüllenden Halbdunkel ab. Es sind energische, Ehrfurcht einflößende Gestalten. Ihr hohes Alter und ihr einsiedlerisches Leben in der alten Burg hat die Festigkeit ihres Blickes nicht zu schwächen vermocht. Das Gesicht Gottholds wird von oben bis unten von einer schrecklichen Narbe durchschnitten. Der linke Ärmel des Militärrockes Hartwigs ist leer und an der Brust festgenäht. Die rechte Stirnseite Nikolaus' trägt die Spuren einer Kugel.
Der Saal macht allerdings einen mystischen und außerordentlich feierlichen Eindruck, den die drei Veteranen zweifellos empfinden, obwohl sie möglichst wenig daran zu denken suchen; indessen wird ihr Reden und Schweigen davon beeinflußt.)
Gotthold (zu Nikolaus): Du weißt, daß der Kommandant uns verlassen wird? – Otto, sein Diener, hat sich schon heute morgen mit dem Reisegepäck seines Herrn auf den Weg gemacht ... von hier bis zu der preußischen Grenze, das ist ein weiter Weg.
Nikolaus: Was, dieser edle Herr gedenkt abzureisen, ohne den Meister Janus auch nur gesehen zu haben?
Gotthold: Ja, in dieser Nacht noch. Dies ist sein Abschiedsfest. Stelle die hübschen Rosmarinzweige, die Verbenen, die Heckenrosen und die Krauseminze zwischen die Armleuchter: Blumen geben immer gleich einen festlichen Anstrich. Dann in die Mitte noch diesen Korb mit Obst. Es sind auserlesene Früchte, die von den Vögeln angepickt wurden, unser Gast versteht sich auf so etwas.
Hartwig: Ein seltsamer Gast, der nichts sehen will –
Gotthold (mißtrauisch): Hm! ... und der doch alles sieht!
Hartwig (ihn anblickend): Ach, wirklich, hast du das also auch bemerkt? du auch ... – du ...
Gotthold (singend):
Schwarzes Haar und roter Bart –
Traue nimmer solcher Art.
Nikolaus (sie ansehend): Hartwig und du, ihr seht alle beide so aus, als ob ihr euch sehr über die Abreise dieses Herrn freutet?
Gotthold (gleichgültig): Ein Mann, der fortgeht.
Hartwig (in den Bart brummend): So bleiche Leute bringen kein Glück.
Gotthold (mit leiser Stimme): Und unser Mann hat wahrhaftig eine Leichenfarbe! Er sieht aus wie der leibhaftige Judas – –
Hartwig (nach einer kleinen Pause zu Gotthold): Ein solcher Fuchs kann keinen guten Pelz geben, wie wir Studenten früher in Heidelberg sagten.
(Alle drei setzen sich um das jetzt hell lodernde Feuer.)
Nikolaus: Und doch scheint unser junger Herr seine Gesellschaft zu lieben: – ist er nicht ein Verwandter von ihm? Der selige Graf von Auersperg hat ihn seinerzeit dem König vorgestellt.
Gotthold (im Feuer stochernd): Ja, der Vater hat ihn aus der Dunkelheit gezogen, und dann sind zwanzig Jahre darüber hingegangen, ohne daß er sich um den Sohn gekümmert hat. Erst bei Gelegenheit dieser Erbschaft ist es ihm da hinten am preußischen Hofe plötzlich eingefallen, daß sein Vetter, der Graf Axel von Auersperg, ein deutscher Fürst und, was mehr bedeutet, Chef der älteren Linie, ganz allein mit seinen alten Dienern in einem alten, verfallenen Schlosse mitten im Schwarzwald hause. Da hat er plötzlich den Weg zu finden gewußt; er hat es nicht verschmäht, in den armseligsten Hütten Nachtquartier zu nehmen und ist viele Tage lang die schlechtgebahnten steinigen Wege dahingezogen.
Hartwig (sorgenvoll): Ja, du hast recht, Gotthold. Dieser Mann ist nicht als Freund zu uns gekommen. Ich werde niemals den Tag seiner Ankunft in vergangener Woche vergessen – war es nicht am Abend vor Palmsonntag? Er hatte all seine Orden und Ehrenzeichen angelegt, und nachdem er unter Führung des Herrn Zacharias die weiten verödeten Säle des Schlosses durchschritten hatte, – stand er dann plötzlich vor unserem jungen Grafen, – nun wohl, anstatt ihm mit offenen Armen entgegenzugehen, blieb er plötzlich wie vom Blitze getroffen stehen. Von uns nahm er überhaupt keine Notiz, und wir sind doch auch Barone, dazu alte tapfere Krieger, die ihrem Herrn als treue Diener in das Exil gefolgt sind und die, ohne ihm jedoch einen Vorwurf daraus machen zu wollen, jedenfalls unser Eisernes Kreuz mühsamer errungen haben, als er all seine Bänder und Orden.
Gotthold (nachdenklich): Der Graf, dessen schlanker Statur die Trauerkleidung so ganz besonders gut steht, erhob sich und begrüßte seinen Gast mit einfacher Würde; er sah aus wie ein junger Löwe, dessen edle Abkunft man aus seinen Augen liest. Ich war wahrhaftig stolz auf ihn, so stolz wie an jenem Tage, da ich die Ehre hatte, ihm zum ersten Male ein Florett in die Hand zu geben. Und ich glaube, daß unser junger Herr heute einer der gefährlichsten Degen von ganz Deutschland ist, wenn nicht wirklich der meistgefürchtetste.
Hartwig (den Kopf erhebend und lächelnd): Ukko hat sich in jenem Augenblicke dem Gaste gegenüber nicht gerade als ein Höfling benommen. – Der kluge Kobold! Erinnert ihr euch, daß er gerade die drei wilden Hetzhunde an der Leine führte, als der Fremde eintrat, und daß die Tiere bei dessen Anblick grimmig knurrten? Was tat Ukko? Er verneigte sich lächelnd vor dem Gaste und frug dabei mit ganz leiser Stimme seinen Herrn, ob er die Hunde auf den unerwartet erschienenen Verwandten hetzen dürfe.
Gotthold: Ha! ha! der Eulenspiegel!
Hartwig: Dieser fröhliche Bursche ist der einzige, der etwas Leben und Humor in das alte Schloß bringt, außerdem aber hat er einen rechtlichen, festen Charakter und einen Verstand, der oft geradezu überraschend ist.
Gotthold: Und er ist so leicht und gewandt wie ein Schatten.
Nikolaus (in schmollendem Ton): Er ist ein nichtsnutziger kleiner Schelm, der mir schon manchen Schabernack gespielt hat.
Gotthold (lächelnd): Der gute Nikolaus! Kommt, wir wollen unsere drei weißen Bärte an diesem lustig brennenden Feuer wärmen und zugleich die Erinnerungen an die schöne Jugendzeit aufwärmen. Lassen wir Ukko seine tollen Streiche ausführen, selbst wenn sie gegen uns selbst gerichtet sind; sein schelmisches Lachen wirkt belebend, und es tut schon wohl, ihn nur anzusehen.
Nikolaus: Ja, ja, es ist schon gut! (Er schürt das Feuer.) Aber, um auf unser vorheriges Gespräch zurückzukommen, es überrascht mich einigermaßen, wenn ihr mir zu verstehen gebt, daß unser gnädiger Herr keine große Freundschaft für seinen Vetter empfinden sollte. Gleich bei der ersten Mahlzeit, die die Herren miteinander einnahmen, mußte doch das alte Silberzeug des Hauses ausgegraben und die besten und edelsten Weine des Kellers ihm vorgesetzt werden.
Gotthold: Was beweist das? Der Graf erfüllte damit einfach die Pflicht der Gastfreundschaft, das ist alles.
Nikolaus: Indessen, Herr Zacharias ...
Hartwig (sich ihm zuwendend): In der Tat, was sagt der alte Intendant? Der hat eine feine Spürnase und ist ein würdiger Hausverwalter, der noch jener Zeiten würdig ist, wo jeder große Herr seinen eigenen Goldschmied hatte. Ich glaube nicht, daß es dem Kommandanten Kaspar gelungen ist, ihm etwas über die Rechnungen dieser Erbschaft aufzubinden.
Nikolaus: Ganz recht! Aber ich sage euch, daß gerade Herr Zacharias eine sehr hohe und günstige Meinung von ihm hat.
Hartwig: Sollte vielleicht das Alter seinen sonst so hellen Verstand geschwächt haben?
Gotthold (nachdenklich): Was Nikolaus da sagt, überrascht mich keineswegs. Ich selbst habe übrigens bemerkt, daß seit der Ankunft dieses Fremden Herr Zacharias sehr schweigsam geworden ist und sorgenvoll dreinschaut ... Ich weiß nicht, was er hat, er scheint von irgend etwas beunruhigt zu werden.
Hartwig: Irgend etwas bedrückt sein Gemüt.
Gotthold (mit leiser Stimme): Und dann, er kennt die intimsten Geheimnisse der Familie ... gar nicht zu sprechen von dem Schrecklichen.
Nikolaus und Hartwig (gleichzeitig): Schweige, Gotthold.
(Die drei Alten blicken einander mit geheimnisvoller Unruhe an.)
Gotthold (zittert und gibt plötzlich mit seinem schweren, mit Nägeln beschlagenen Stiefel einen mächtigen Fußtritt in die brennenden Holzklötze des Kamins, diese fallen übereinander, brennen lichterloh und erfüllen den ganzen Saal mit hellem Schein und umherfliegenden Funken).
Nikolaus (nach einer kleinen Pause die Unterhaltung wieder aufnehmend): Um zum Schlusse zu kommen – ich bin der Ansicht, daß Graf Axel seinen Gast keineswegs langweilig findet. Was wollt ihr? Er trinkt bei einem Abendessen mehr Wein, wie früher bei zwölf Mahlzeiten: ich glaube sogar, daß er Geschmack daran findet – und ich freue mich darüber.
Gotthold (den Kopf erhebend): Guter Nikolaus, du solltest wirklich deinen Herrn ein wenig besser kennen.
Hartwig: Er, der so mäßig ist, daß er an vielen Tagen überhaupt keinen Tropfen Wein trinkt.
Gotthold: Er, der sich von allen Freuden seines Alters zurückzieht! Der die schönsten Jahre seines Lebens damit verbringt, nicht nur die Tage, sondern auch viele Nächte in diesem Turme beim Schein der Studierlampe und nur in Gesellschaft des Doktors über den alten Manuskripten zu brüten.
Hartwig (zu Nikolaus): Begreifst du es nicht, daß er nur aus Hilfslosigkeit fortwährend auf das Wohl seines Gastes trinkt? Als Schloßherr hat der Graf die Verpflichtung, ihm Ehre zu erweisen, und er kommt dieser Pflicht voll nach.
Nikolaus: La! la! Ganz wie es euch gefällt ... aber ich sage euch, daß er in diesen letzten acht Tagen genug Zerstreuung gesucht hat. – Denkt nur an all diese Jagdpartien mit dem Kommandanten.
Hartwig: Nun ja, das ist für ihn einfach ein Mittel, um allein zu sein. Vergißt du, daß er nur das Schweigen liebt? Wenn er dennoch zuweilen Ukko mitnimmt, so geschieht dies, weil der Knabe, sobald er sich in der Nähe seines Herrn befindet, stumm wie sein Schatten ist, und daß der Graf weiß, daß dieser treue Wächter mit den Falkenaugen ihm bis in den Tod ergeben ist. Außerdem jagt unser Herr, sobald er die Lust dazu verspürt, auf seinem Hengste Wunder davon, der galoppiert mit ihm über Abhänge und Gräben und trägt ihn schnell außer Sicht seiner Jagdgenossen. Günther und Job, seine beiden Piköre, haben es längst aufgegeben, ihm zu folgen, und der Kommandant von Auersperg kommt gewöhnlich schon eine halbe Stunde nach dem Aufbruch zur Jagd allein auf das Schloß zurück.
Nikolaus (träumerisch): Wirklich? Ach ... ja, das ist etwas anderes. Ich dachte, daß sein Vetter ihm ein wenig bei seinen gefährlichen Jagden hülfe.
Hartwig (lächelnd): Axel von Auersperg bedarf keiner Hilfe, wenn es ihm gelüstet, Eber, Bären oder Adler zu jagen. (Auf die Mauern zeigend.) Blicke dort hin. – Gefahren! ... beim heiligen Wilhelm, du weißt es doch sehr wohl, daß unser junger Herr eine solche Kraft besitzt, daß es ihm ein leichtes ist, die Wölfe mit einem Griffe an die Gurgel zu erdrosseln, ohne deshalb nur das Jagdmesser zu ziehen. Was die Bevölkerung des Schwarzwaldes betrifft, die Bergleute, Holzschläger und die alten Soldaten, so droht ihm von diesen keine Gefahr, denn sie alle sind ihm treu ergeben und hängen mehr an ihm wie an ihrem Könige.
Nikolaus (nachdenkend): Meiner Treu, ja – ja, ihr könntet recht haben. – Außerdem ist es ziemlich auffallend, daß er, wie ich glaube, Meister Janus auch nicht ein einziges Mal aufgefordert hat, seine Arbeiten zu unterbrechen, um die Bekanntschaft des Gastes zu machen.
Gotthold (nach einer Pause): Oh, der Doktor braucht die Leute nur einmal zu sehen, um sie zu kennen.
Nikolaus (ihn ansehend): Wie meinst du das?
Gotthold: Er kennt und errät den Charakter schon an dem Klang der Stimme derjenigen, die mit ihm sprechen.
Hartwig (lachend und die Hand auf Gottholds Schulter legend): Wirklich? Aber Meister Janus ist doch schließlich kein Zauberer, nicht wahr, Gotthold?
Gotthold (ernst): Ich verstehe mich darauf: Wenn der Doktor nicht zum Vorschein gekommen ist, so geschieht dies, weil er den Kommandanten für eine gleichgültige Persönlichkeit hält, der auch nur einen Blick zu schenken er unter seiner Würde hält, und die mit einem Worte nicht für ihn existiert.
(Pause.)
Bei Gelegenheit ... bemerkst du nicht, Hartwig, daß Meister Janus überhaupt nicht zu altern scheint? Und es ist doch schon eine ganze Reihe von Jahren her, seit er auf dieses Schloß gekommen ist.
Hartwig: Wahrhaftig, da hast du recht. Es scheint, daß das Studium der Sterne die Menschen daran verhindert, alt zu werden.
(Pause.)
(Man vernimmt das Knistern der Holzblöcke im Kamin.)
Gotthold (in eigentümlichem Ton): Ich finde immer, daß seine Augen nicht so aussehen wie die eines diesem Jahrhundert angehörigen Menschen.
Hartwig (mit gezwungenem Lachen): Jetzt will der gute Gotthold uns bange machen.
Nikolaus (die Stimme senkend und in vertraulichem Tone): Ich gestehe, daß dieser Meister Janus ein seltsames Wesen hat, das abkühlend wirkt und keine Liebe erweckt. Selbst seine Art, Gutes zu tun, wirkt abkühlend auf die Empfänger seiner Wohltaten. Gotthold, er hat uns oft genug von Krankheiten geheilt, uns, wie auch die am Rande der großen Wälder wohnenden Landleute. Ich weiß aber nicht, woher es kommt, daß man sich niemals wohl in seiner Nähe fühlt. Ich bediene ihn nun schon seit zwölf Jahren täglich, aber so lächerlich dies klingt, kann ich mich nicht daran gewöhnen, zu glauben, daß er mich überhaupt sieht.
Hartwig (träumerisch und mit leiser Stimme): Haben wir ihn denn jemals genau gesehen? Immer wieder, wenn er vor uns erscheint, überrascht er uns als ein Unbekannter. Wenn er spricht, was selten genug vorkommt, so scheint es, was immer er sagt, und wenn es noch so einfach klingt, wie der Reflex zwischen zwei Spiegeln, man könnte sich darin bis in das Unendliche verlieren. Es ist halt schon am besten, nicht zu viel über diese Dinge nachzudenken, wenn wir darauf Anspruch machen, bis zum Tode Herr unserer Vernunft zu bleiben.
Gotthold (ernst und ebenfalls mit leiser Stimme): Er ist ein von Natur aus undurchdringlicher Mann. Der Eindruck, den er macht, ist ein bleibender und widersteht selbst dem Einerlei des täglichen Lebens. Es war in der Morgendämmerung, daß er einst zu Pferde in diesem Schlosse angekommen ist, und zwar an demselben Tage, an dem der Graf Gerhart von Auersperg so unerwartet starb. Es geschah in jener Zeit, als die Kriege gegen diesen geheimnisvollen Napoleon zu Ende gingen. Als man ihm das Testament zeigte, in dem der Graf, der, wie es scheint, Meister Janus auf dem Schlachtfelde kennengelernt hatte, ihm die Sorge der Erziehung seines Sohnes anvertraute, da beobachtete ich ihn aufmerksam: aber seine Züge blieben unbewegt, und es war, als ob sowohl der Tod des Grafen wie der Inhalt seines Testamentes ihm längst bekannte Dinge gewesen wären.
(Der Himmel hat sich indessen mit düsteren Wolken umzogen, und heftige Windstöße verkünden das Nahen eines Gewitters. – Es schlägt fünf Uhr.)
Hartwig: Erinnert ihr euch wohl, daß dies die Stunde ist, in der einst unsere schöne, von uns allen so hoch verehrte Schloßherrin Lisvia von Auersperg, die den Bildern ihrer Ahnfrauen so ähnlich sah, aus ihren Gemächern herabstieg, um in der Kapelle Orgel zu spielen – es sind jetzt schon zwanzig Jahre seit ihrem Tode verflossen.
Gotthold (zu Nikolaus): Du kennst doch das Fenster in der Galerie, von wo aus man abends so schön den Sonnenuntergang beobachten kann? Dort hat sie oft, von ihren Trauerkleidern umhüllt, mit bleichem Antlitz und ihr Gebetbuch mit den emaillierten Schließen auf den Knien, träumend gesessen. Sie sah aus wie ein Engel.
Nikolaus, Gotthold und Hartwig (sich erhebend und die Mützen abnehmend): Mögen die Seelen der Toten dieses Hauses in Gott vereinigt sein!
Hartwig: Schnell, werft Tannäpfel in das Feuer und laßt die alten Erinnerungen ruhen. Die Jahre sind wie der Wind, und wir sind die Blätter, die von ihm fortgeweht werden.
Gotthold: Gleichviel! Ich glaube, wenn der feierliche Augenblick kommt, in dem Axel Auersperg das Schweigen bricht, so wird das ein starker Klang werden.
Nikolaus (den Kopf schüttelnd): Bei starkem Wind schlagen die großen Türen ...
Gotthold (für sich): Ach, es kommt daher, daß die Neigung, ein Übermensch zu werden, stets in seiner Natur lag.
(Es donnert, Blitze durchzucken den Himmel, man vernimmt das Heulen des Windes.)
Nikolaus (sich erhebend und zum Fenster gehend): Aber, – welch ein Wetter! Während wir uns hier in unsere Erinnerungen vertieften, ist es draußen ordentlich losgebrochen. Der Orkan schüttelt den Berg. Zum Glück ist dieses alte Schloß noch solid.
Gotthold (am Fenster stehend und hinausblickend): Das ist wahr! Seht nur, wie die Blitze das Dunkel der Fichten erhellen.
Hartwig: Man hört, wie der Sturm die Äste der Bäume zerzaust und zerbricht. Welch ein Unwetter! Ein Glück nur, daß unsere Kanonen gut geölt und gedeckt hinter den Schießscharten geborgen sind.
Nikolaus: Wie der Sturm die alten Fenster schüttelt. Und es wird immer stärker. Diese Nacht wird durch keinen Mondschein erhellt werden. Verfluchtes Wetter! Es ist zweifellos, daß der Kommandant nicht daran denken wird, bei solchem Sturme abzureisen.
(Ein furchtbarer Donnerschlag, von blauviolettem, den ganzen Saal erhellenden Blitz begleitet.)
Nikolaus: Ach! Das hat eingeschlagen.
Gotthold: Es ist wahr, es war ein häßlicher, trauriger Blitz.
Nikolaus: Mir war, als ob sich die Hölle geöffnet hätte.
Hartwig: Und das am Abend vor Ostern.
Dieselben, Ukko
(Ukko, ganz außer Atem und rasch von links hereintretend. Er trägt einen Waffenrock von schwarzem Tuche und einen breiten ledernen Gürtel mit eisernen Ringen. Sein Pelzbarett ist mit zwei Adlerfedern geschmückt, und in der Hand trägt er einen Jagdspieß.)
Ukko: Guten Abend, ihr alten Herren!
(Er lehnt den Jagdspieß in eine Ecke und tritt näher.)
Gotthold, Nikolaus und Hartwig (sich umwendend): Ukko!
Ukko (fröhlich): Ihr drei denkt wohl über die bewunderungswürdige Ordnung der Jahreszeiten nach?
Gotthold: Du bist schon von der Jagd zurück? – Wo hast du unseren gnädigen Herrn gelassen?
Ukko: In einer Höhle, drei Meilen von hier; er beobachtete von dort aus das Nahen des Gewitters.
Hartwig: Und wie war die Jagdbeute?
Ukko: Ein großer Luchs, eine Wölfin mit ihrer Brut, zwei Füchse und ein Geier. Der Geier schwebte hoch oben in den dunklen Gewitterwolken, als die Kugel unseres Herrn ihn herunterholte. Die zwei Füchse habe ich erlegt. – Aber ... es handelt sich jetzt um eine andere Sache ... und ich will ...
Nikolaus: Trinke zuerst dieses Glas Rheinwein, und wärme dich hier am Feuer, du Kobold.
Ukko (trinkend): Danke. Ich bin übrigens nicht kalt. – Ich muß euch sagen ...
Hartwig (seinen Ärmel befühlend): Was! Du hast nichts darunter an? Und hattest auch das Oberkleid vergessen? Er ist vollständig durchnäßt.
Ukko: Es ist nichts. – Wisset also ...
Nikolaus: Komm, setze dich dicht an das Feuer, du wirst sonst krank werden. Wärme dich.
Ukko: Ich sage euch, daß das nichts zu bedeuten hat. Denkt euch nur ...
Hartwig (beunruhigt): Sollte dem Grafen etwas zugestoßen sein?
Ukko: Nein, da ihr mich hier seht. – Ach! wenn ihr wüßtet ...
Nikolaus (zu Gotthold): Mir scheint, als ob der Junge seit gestern ganz verwandelt sei? – Du bist blaß, Ukko?
Ukko (verschränkt die Arme und sieht sie an).
Hartwig: So rede doch, schnell! Du beunruhigst uns.
Ukko (ungeduldig mit dem Fuße stampfend): Bei allen Göttern.
Hartwig und Nikolaus (zu Gotthold, der schweigend am Feuer sitzt): So schweige doch, Gotthold. (Zu Ukko:) Wir hören.
Ukko (seine Erzählung beginnend): Gestern abend! ...
Nikolaus (halblaut): Hört nur, wie es donnert!
Ukko (wütend): Ach, ich sehe wohl, daß ihr mich nicht hören wollt ... Nun wohl. Ich gehe fort! – Es gibt keine langweiligeren alten Schwätzer unter der Sonne als ihr.
Gotthold: Still, der Knabe hat das Wort!
Ukko (ebenso): Was! Ihr drei seid zusammen beinahe drei Jahrhunderte alt – ihr habt Tausende von Unwettern, Stürmen, schrecklichen Schlachten mitgemacht, und nun schenkt ihr eure ganze Aufmerksamkeit diesem elenden Gewitter ... während ich euch eine Geschichte erzählen will?
Gotthold: Gemach, gemach! Du Brausekopf –
Ukko (immer noch zornig): Während ich, der ich siebzehn Jahre alt bin, mir nichts aus Sturm und Wetter und selbst aus einem Erdbeben mache!
Nikolaus: Genug. Erzähle uns nun deine Geschichte.
Ukko: Nein, ich ziehe es vor, fortzugehen. Ihr werdet nichts erfahren. Da.
Gotthold: Willst du endlich sprechen, du nichtsnutziger Kobold? Nun, was hat sich zugetragen?
Ukko: Nikolaus und Hartwig werden mich doch gleich wieder unterbrechen ... und dann ... außerdem, nein: ihr könnt mich ja doch nicht leiden.
Hartwig (lächelnd): Unnützer Kobold.
Ukko: Ihr interessiert euch nicht für das, was mich persönlich angeht.
Nikolaus: So fange doch endlich an zu erzählen.
Ukko: Adieu! (Ukko tut so, als ob er herausgehen wollte, die drei Alten stürzen ihm nach und führen ihn halb ärgerlich, halb lachend zurück.)
Ukko (tritt vor den mit Blumen geschmückten Tisch, und von dem Lichte der Armleuchter, sowie teilweise auch von der Glut des Feuers beleuchtet, steht er in seinem schwarzen Waffenrock in seiner ganzen Jugendschöne vor den drei alten Dienern, die um ihn Platz genommen haben und aufmerksam seinen Worten lauschen. Er spricht lächelnd und manchmal wie traumverloren, und es ist beinahe, als ob durch das Geräusch des Unwetters draußen leise Harfenklänge seine Worte begleiteten.)
Ukko: Als ich gestern beim Erscheinen des Abendsternes im Walde umherschlenderte, bin ich einer kleinen Fee begegnet, oh, schöner wie alle Feen des Harzes! ... einem jungen Mädchen. Sie sang, und ihre Stimme klang so frisch und lieblich, wie das Murmeln der Quelle! Sie trug ein Körbchen voll wilder Kirschen in der Hand, das sie hin und her schaukelte, während sie fröhlich unter den Fichten dahinschritt. Sie hatte die über ihren Rücken fallenden reichen braunen Flechten mit Primeln zusammengebunden und an ihrem Mieder befestigt. Von Zeit zu Zeit liebkoste sie ein großes, ganz weißes Windspiel, das lustig um sie herumsprang. Oh, wie hübsch sie war! – Ihre Augen waren mild wie der Abend.
Nikolaus (lächelnd): Aha! Unser junger Ukko ist bereits ...
Gotthold (schließt ihm den Mund mit der Hand).
Ukko (fortfahrend): Mich vorsichtig hinter dem Gesträuch der Lichtung verbergend, folgte ich ihr eine ganze Weile nach. Dann schob ich plötzlich die Zweige auseinander und eilte auf sie zu. Kaum waren unsere Blicke sich begegnet, als wir ein freundschaftliches Lächeln miteinander austauschten. Wir hatten uns jedoch nie vorher gesehen. Wir reichten uns unwillkürlich die Hände. Ihr weißer Gefährte sah mich zuerst einen Augenblick starr an, auch er sah aus, als ob er mich wiedererkennte; den Augenblick darauf waren er und Holf, mein großer Hetzhund, wie alte Freunde. Schweigend gingen wir miteinander den Weg entlang, der zu dem Strome führt, wo die großen Eichen anfangen. Dort steht das Häuschen ihres Vaters, Hans Glück, des Forstwärters. Ich trat mit ihr ein. Der Alte erhob die Augen, und nachdem er uns beide eine Weile aufmerksam angesehen hatte, bot er mir die Hand und hieß mich an seinem Herde willkommen. – Luise stellte zwei Gläser auf den mit einem weißen Tuche bedeckten Tisch. Ach, der gute klare Kirschbranntwein, den sie selbst bereitet hatte! Während wir alle drei miteinander plauderten, füllte sie mit ihrer zarten Hand die Gläser. Die Dämmerung war indessen der Nacht gewichen, und als sie mich zur Tür begleitete und mir auf der Schwelle mit einem freundlichen »Auf Wiedersehen« die Hand reichte, da ließ ich leise meinen über alles teuren Ring an ihren Finger gleiten. Schweigend küßte sie mich auf die Stirn. Ihre Augen blickten ernst, und zwei helle Tränen drängten sich durch ihre Lider und benetzten meine Wangen. – Ich eilte davon und oh! ich war so überglücklich, daß ich im Walde laut weinte. Das Glück drohte mich zu ersticken. Holf bellte und zog mich fröhlich zu dem Häuschen zurück. Ach, Luise Glück! Sie ist mein Himmel – ihr Kuß ist warm wie Feuer. Meine Seele ist so voll glühenden Verlangens nach ihr erfüllt, daß ich kaum zu atmen vermag, so verliebt bin ich in sie – so sehr liebe ich sie. Wir werden uns spätestens im Herbst heiraten! – Ich bin ... oh, ich bin so glücklich! Meine einzige Sorge ist, daß einer von euch dreien sich unterstehen sollte, vor meiner Hochzeit zu sterben – ach, darüber würde ich mich sehr ärgern.
Gotthold: Ich werde dein Brautführer sein, Ukko.
Ukko (lachend und Gotthold an seinem Barte ziehend): Danke viel tausendmal! (Auf Nikolaus und Hartwig zeigend): Und ihr werdet mir vorkommendenfalls als Paten dienen?
Hartwig: Was! – Aber ich denke, daß es erst vorgestern gewesen, daß die kleine Luise geboren wurde?
Ukko (träumerisch und ihn ansehend): Vorgestern? – Wirklich, das ist ganz richtig. Für gewöhnliche Leute bedeutet das so viel wie sechzehn und einhalb Jahre ...
Hartwig (halblaut): Schon!
Ukko: Der eine sagt: »Schon!« der andere: »Endlich!« Ich fange an zu glauben, daß diese Worte dasselbe bedeuten.
Nikolaus (lachend): Ich finde es spaßhaft, daß der Vater Glück – ein tapferer sächsischer Soldat – dir seine Tochter gibt, mein Freund.
Ukko (ihm die Hand auf die Schulter legend): Du bist wirklich glücklich, in deinem Alter solche Sachen noch spaßhaft zu finden.
Hartwig: Nikolaus hat diesmal nicht so unrecht: du bist sehr hübsch, aber du bist wie ein Schatten.
Ukko: Mein guter Hartwig, leidest du nicht, wenn das Wetter umschlägt, an dem Schatten deines linken Armes?
Hartwig: Ja. – Warum frägst du das, mein Sohn?
Ukko (lachend): Ach! das frage die Kugel, die dir in der Schlacht von Lützen deinen Arm wegriß. Ich wollte dir nur klarmachen, daß auch ein Schatten immer noch ein Etwas ist.
Gotthold: Der Knabe hat ganz recht, wenn er so rasch wie nur möglich glücklich werden will! Ihr seid Quälgeister. Aber, horcht! Ich vernehme ... Schritte ...
Nikolaus: Ja, in der Ahnengalerie.
Hartwig: Das ist unser Gast. – Schnell noch ein paar Scheite Holz in das Feuer, Nikolaus.
Ukko: Und da ich nicht weiß, ob wir Grund haben, uns über sein Erscheinen zu freuen, wollen wir ihn respektvoll begrüßen und ihn dann allein lassen.
Gotthold: Er ist es wirklich.
Ukko (sie alle drei geheimnisvoll zu sich heranwinkend): Hört! – Der zukünftige Großvater eurer Patensöhne hat mir heute morgen einen großen irdenen Krug voll rosigen Kirschbranntweins zum Geschenk gemacht, so köstlich, daß kein König besseren hat. Meine Freunde, ich lade euch zu mir in den Waffensaal ein, da wollen wir ihn versuchen. Wir werden da ganz unter uns sein. Und während wir unseren guten Grafen Axel, den Fürsten seiner Wälder und seines Berges, den Herrn des Stromes erwarten, will ich mit euch auf das Wohl meiner Braut Luise Glück trinken.
Nikolaus, Gotthold und Hartwig (den Finger auf die Lippen legend): Still!
(Kaspar von Auersperg tritt von der rechten Seite herein. Er sieht wie ein sehr vornehmer Herr aus. Er ist ungefähr dreiundvierzig Jahre alt. Er trägt Reisekleider mit kurzem Mantel von schwarzem Tuch. Er ist von hohem Wuchs und eine äußerst elegante Erscheinung. – Er trägt Ordenszeichen an der Brust.)
Dieselben, der Kommandant Kaspar von Auersperg
Der Kommandant (sie prüfend betrachtend, für sich): Nein, nicht diese da. Sie sind wie von Stein, und der Knabe ist seinem Herrn toll ergeben. – Der andere, der Majordomus, Herr Zacharias, ist es, den ich ausforschen muß.
Ukko: Wenn der Herr Kommandant von Auersperg hier den gnädigen Herrn zu erwarten wünscht – hier ist Kapwein, Tabak, ein gutes Feuer und hier sind Bücher.
Der Kommandant: Wird der Graf bald heimkehren?
Ukko: Spätestens in einer Stunde.
(Ukko und die drei Veteranen grüßen und ziehen sich zurück. Seit einigen Minuten scheint das Unwetter etwas nachgelassen zu haben. Es donnert nur noch schwach und in längeren Zwischenräumen, und der Regen hat beinahe ganz aufgehört. Dessenungeachtet ist der durch die Gitterfenster sichtbare Himmel immer noch von drohenden Wolken bedeckt.)
Der Kommandant Kaspar von Auersperg, allein:
Das sind prächtige alte Graubärte! Sie erinnern an ein schönes Schlachtfeld, an einen schönen Winter und an einen schönen Tod. (Um sich blickend.) Was das für ein altes Eulennest ist! – Bücher sagen sie? Wahrscheinlich alte Geschichte? Laß doch sehen. (Er öffnet einen der Folianten.) Der Wein hier ist nicht schlecht; er ist beinahe ebenso alt wie die, die ihn in Flaschen gefüllt haben, und seine wunderbare Blume hat durch das Alter nicht gelitten. ( Er liest.) »Abhandlung über die sekundären Ursachen ...« Ha, ha! Ein ausgezeichneter Titel! – Diese Sprechweise scheint mir von einer Klarheit! ... Ha, ha! Fahren wir fort! (Er liest weiter.) » Procul a delubro mulier semper!« Diese Überschrift ist nicht modernen Ursprungs, das muß ich zugeben. (Er liest weiter.) Erstes Kapitel: »Die Schweigsamen.« – Zum Teufel! »Jedes Wort schafft das, was es ausdrückt. Erwäge daher die Willenskraft, die du den Gebilden deines Geistes gewährst.« (Das Buch schließend und auf die andern zurückwerfend.) Redensarten. (Er gähnt. Dann in träumerischem Tone und nachdem er die Dinge um sich gemustert.) Es ist wirklich so, wie ich dachte; ich zweifle nicht mehr daran. Mein junger Schloßherr hat sich kabbalistischen Studien und den geheimen Wissenschaften des Hermes Trimestigos ergeben. Es ist ebenfalls ganz gewiß, daß es dieser Meister Janus ist, der sein Gehirn verwirrt und seinen Kopf mit diesen finstern abergläubischen Ideen erfüllt, die in Deutschland leider so sehr verbreitet sind! Ihre Unterhaltungen werden sich um das Femgericht und vielleicht ... um die Rosenkreuzer drehen ... übrigens hat es deren in unserer Familie gegeben; aber das war zu einer Zeit, wo es Mode war. Ich erkläre mir jetzt jedoch sehr wohl, warum dieser düstere Fanatiker es bis zur heutigen Stunde nicht für notwendig erachtet hat, sich meinen profanen Augen vorzustellen. Ich würde ihn auch wahrlich nicht geschont, sondern sein dunkles Treiben in derbster Weise lächerlich gemacht haben.
(Pause.)
(Er setzt sich an den Tisch und schenkt sich Wein ein.)
Ich gebe übrigens zu, dieses alte Schloß mitsamt seinen Bewohnern macht einen ganz unwahrscheinlichen Eindruck. Mir erscheint hier alles paradox. Es ist, als ob hier alles genau so stehen geblieben wäre, wie es vor dreihundert Jahren gewesen. Ich bildete mir ein, im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zu leben. Aber das muß doch wohl ein Irrtum sein, denn ich hatte kaum diese Schwelle überschritten, als ich merkte, daß ich unter dem Kaiser Heinrich und zur Zeit des Investiturstreites lebte. Meinetwegen. – Aufs Wohl des besagten Kaisers! (Er trinkt.) Übrigens möchte ich wirklich gern volle Einsicht in das anormale Leben haben, das er führt. Was meinen jungen Vetter betrifft, so ist die Sympathie, die ich für diesen Helden eines früheren Jahrhunderts empfinde, allerdings sehr gering. Er hat wirklich einen undefinierbaren Charakter. Außerdem ist aber auch ein Mann, der wie ich sich den Vierzigern nähert, und sich dann noch für wen anders wie sich selbst interessiert, nicht wert zu leben.
Ich muß jedoch zugeben, daß dieser junge Edelmann eine überaus ansprechende Erscheinung ist, wenngleich in seinem Gesicht ein fataler Ausdruck liegt. Er hat sogar eine auffallend wohlgebildete Gestalt, ist hoch und schlank gewachsen, und er ermangelt auch nicht eines gewissen vornehmen Wesens, das unbedingt an unsern Hofe, wo man auf solche Dinge so großen Wert legt, Effekt machen würde. Ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht gleich am Tage seiner Vorstellung bei den Damen der Königin – der Prinzessin von Sabelsberg, der Gräfin von Walstein usw. einen unerhörten Erfolg haben sollte. Er hat es verstanden, mich mit vollkommener Höflichkeit zu empfangen und sich ganz als vornehme Natur zu geben, indem er trotz seines verlorenen Vermögens mir großmütig seinen Anteil an der Erbschaft überließ. Ich bin ganz gewiß, daß unter der richtigen Führung der Graf Axel von Auersperg mir am Hofe von unschätzbarem Nutzen sein würde; diese alte Geschichte seines Vaters und der Schätze ist ganz vergessen! (Nach einer Pause.) Ach, immer wieder taucht mein alter Ehrgeiz auf, der mich bisher stets enttäuscht hat. Es ist, als ob eine Zauberkraft darin läge. (Sein Blick fällt auf den festlich gedeckten Tisch.) Das also ist mein Abschiedsmahl. Ein Anblick, der das Auge erfreut. Diese hübschen Waldblumen sind wirklich in höchst geschmackvoller Weise arrangiert.
(Pause.)
Es ist jedoch, als ob die Luft, die man hier einatmet, ganz besonderer Art wäre. Ich fühle den Eindruck von etwas Unbekanntem in diesem alten Gebäude. – Ich glaube übrigens, schon jetzt auf meinen jungen Vetter einen gewissen Einfluß auszuüben, diese Art von Naturen sind ja von der Schwäche eines Kindes. Ich bin beinahe zwanzig Jahre älter als er, dieser Umstand, vereint mit unserer nahen Verwandtschaft, gibt mir durchaus die Berechtigung, familiär mit ihm zu verkehren und bei unsern Plaudereien ihm gegenüber einen gewissen überlegenen Ton anzuschlagen. Ich muß gleich heute abend versuchen, ob es mir nicht gelingt, den Einfluß dieses Meisters Janus zu bekämpfen. Ich werde es Axel beim Dessert begreiflich machen, daß es Sache jedes richtigen Edelmannes sei, seinen Weg in der Welt zu machen und mit Güte oder mit Gewalt den Platz zu erringen, den man einzunehmen wünscht. (Nachdenklich.) Als ob alle Phantastereien der Erde, alle Sentenzen der Philosophen in Wirklichkeit so viel wert wären wie der Blick einer schönen Frau! Ach, die Jugend! Die schöne Jugend! Sie allein besitzt die wahre Zauberkraft. Eine schöne Frau – das begreift sich sofort – ohne Anstrengung! ... Das ist so klar! (Er läßt den Schein der Kerzen sich in seinem kristallenen Glas spiegeln.) Ich glaube wohl, daß diese ganze düstere Nachbarschaft der Wälder, Wasserfälle und der in tiefster Einsamkeit ruhenden Täler die albernen Ideen seines Geistes genährt haben. Bah! Ich bin ganz sicher, daß, wenn er nur eine Woche bei uns da unten wäre, er von selbst sich zu andern Ansichten bekehren würde – und ebenso sicher bin ich, daß dieser junge Mann in meinen Händen ein sehr nützliches Instrument werden müßte. (Er erhebt sich und geht hin und her.) Gleichviel! Ich mache mir Sorgen seinetwegen. Es ist nicht natürlich, daß ein junger Kavalier, der so hervorragende Qualitäten des Geistes besitzt, sich freiwillig in dieses absolut zurückgezogene Leben fügen sollte, das Graf Axel von Auersperg hier führt. Selbst seine Neigung zu dem Studium der okkulten Wissenschaften würde für eine derartige Abgeschiedenheit, ein so lange dauerndes freiwilliges Exil keine genügende Erklärung sein. – Hier waltet ein Geheimnis. (Leiser und mit eigentümlich träumerischem Ton, wobei seine Blicke den Saal durchschweifen.) Ich habe nun schon volle acht lange Tage in diesem vergessenen Schlosse zugebracht, für dessen mit Schießscharten versehene seltsame Architektur in dieser einsamen Umgebung, auf der ein so seltsames Schweigen lastet, sich nur eitle Ideologen interessieren können. Es würde mir ganz gewiß nicht eingefallen sein, mich hier so lange zu langweilen, wenn es nicht um des zwar unklaren, aber nicht abzuschüttelnden Eindruckes wäre, hier vor einem Geheimnis zu stehen. Daß dieser Eindruck sich immer noch nicht verflüchtigt hat, ist mir ein Beweis dafür, daß es sich hier wirklich um etwas Ernstes handelt, und ... ich liebe es eben nicht, unverrichteter Sache abzuziehen. Es liegt mir viel daran, das hier verborgene Rätsel zu enthüllen. – Vor dieser Stunde Herrn Zacharias auszuforschen, würde unklug gewesen sein; aber da ich heute ohne Bedauern dieses spukhafte alte Schloß verlasse, kann ich, wenn ich den alten Intendanten sehe ... (Er sieht Herrn Zacharias eintreten.) Da ist er ja.
Der Kommandant Kaspar von Auersperg, Herr Zacharias
Herr Zacharias (auf der Schwelle stehen bleibend und den Kommandanten anblickend): Die Stunde ist gekommen. Es ist meine Pflicht, zu reden.
Der Kommandant (ihn anblickend, für sich): Wenn der auch ein Zauberer ist, muß man zugeben, daß es die höchste Zeit ist, daß ihn der Teufel holt. Studieren wir sein Äußeres: diplomatisch blickende Augen, seine Lippen ... ja, aber seine Nase verrät keinen besonderen Scharfsinn. Nun wohl. (Laut.) Guten Abend, Herr Zacharias. Was haben Sie denn? – Meiner Treu, Sie scheinen sehr aufgeregt zu sein.
Herr Zacharias (sehr ernst und auf den Kommandanten zukommend): Gnädiger Herr, ich habe vor einigen zwanzig Jahren öfter die Ehre gehabt, Ihnen zu begegnen, Sie waren der Freund des verstorbenen Grafen. Sie müssen seinen Sohn lieben.
Der Kommandant (für sich): Es scheint, daß die Anhänglichkeit an den jungen Grafen seine schwache Seite ist. (Laut.) Er ist einer jener jungen Leute, denen die Zukunft gehört, und ich würde jedes erdenkbare Opfer bringen, um ihm dazu zu verhelfen, den ihm gebührenden Platz in der Welt einzunehmen.
Herr Zacharias: Seit Ihrer Ankunft, gnädiger Herr, bin ich Tag und Nacht mit mir zu Rate gegangen. Die Stunden meines Lebens sind gezählt; Ihre Anwesenheit hier erscheint mir wie eine unerhoffte Gelegenheit, die ich nicht unbenutzt vorübergehen lassen darf.
Der Kommandant: Meine Gegenwart?
Herr Zacharias (sinnend): Ja. Ich möchte Ihnen gern eine höchst wunderbare Sache mitteilen, gewiß, es ist das Wunderbarste, was es nur gibt. – Wenn Sie mir Gehör schenken wollen, so werde ich mich beeilen. Es ist schwer, Ihnen diese Geschichte zu erzählen. Die Stunde eilt, und Sie reisen noch in dieser Nacht ab.
Der Kommandant: Sie sind fast zu feierlich, um ernst sein zu können, Herr Zacharias?
Herr Zacharias: Gnädiger Herr! Ich spreche niemals, ohne die Ausdrücke, deren ich mich bediene, sorgfältig erwogen zu haben. Aber es ist beinahe unmöglich, die passenden Worte für das zu finden, was ich Ihnen mitzuteilen habe. Kurz, wenn es auf dieser Erde ein Geheimnis gibt, das den Titel eines sublimen Geheimnisses vollständig verdient, so ist es dieses. Mir schwindelt, wenn ich nur daran denke. Sie sehen, ich habe kaum den Mut, davon zu reden.
(Man hört das Brausen des Sturmes. Er blickt um sich.)
Der Kommandant (nach einem Augenblick): Ist Ihr Geheimnis von irgendwelchem Interesse für den Grafen und mich?
Herr Zacharias: In erster Linie. Dann für Deutschland und ferner für die ganze Welt.
Der Kommandant (für sich): Dieser alte Mann! Hm! Seine unerwartete Offenheit drückt mich. Wie soll ich mich dazu stellen? Soll ich ihm Gleichgültigkeit oder Interesse zeigen? Es ist wohl am besten, den Gleichgültigen zu spielen, um so mehr wird er alles aufbieten, mich zu überzeugen. (Laut.) Reden Sie also! Aber Sie sind ja so ernst wie der orientalische Gesandte? Sie erschrecken mich. Wird Ihre Geschichte lang sein?
Herr Zacharias: Ich glaube in der Lage zu sein, Ihnen versichern zu können, daß Sie es keineswegs bedauern werden, wenn Sie mich bis zu Ende anhören. Ehe eine halbe Stunde vorüber ist, wird zweifellos Graf Axel zurückgekehrt sein: es bleibt mir also wirklich nur wenig Zeit, Ihnen alles mitzuteilen und endlich dieses Schweigen zu brechen, das mich nun, ach, schon so viele Jahre drückt!
Der Kommandant (schenkt sich zu trinken ein; lächelnd mit gekreuzten Beinen und auf den Tisch gestützten Armen erwartet er den Bericht des Herrn Zacharias; dieser steht vor dem Feuer und stützt die Hand auf die Rücklehne des andern Sessels.)
Herr Zacharias: Erinnert der gnädige Herr sich nicht eines ganz ungewöhnlichen Ereignisses, das in der ganzen Welt viel beredet wurde und das sich zu jener Zeit zugetragen hat, als der Graf Gerhard von Auersperg einen so jähen Tod fand?
Der Kommandant (lächelnd): Ein Ereignis, sagst du ... ein ganz ungewöhnliches Ereignis?
Herr Zacharias: Ja.
Der Kommandant: Ich erinnere mich kaum, je etwas ganz Ungewöhnliches selbst erlebt zu haben, Herr Zacharias! – Ausgenommen ... (Er zittert wie beim plötzlichen Auftauchen einer weit abliegenden Erinnerung; dann blickt er den alten Intendanten forschend an und versinkt in stummes Nachdenken. – Endlich mit völlig verändertem ernsten Tone.) Fange an.
(Bei diesen Worten zieht Herr Zacharias eine militärische Karte, sowie verschiedene Papiere aus seinem Mantel, die er auf dem Tisch vor dem Kommandanten von Auersperg ausbreitet.)