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II. Die Abtrünnige

Der Archidiakon, (mit dem goldenen Grale die Stufen des Altares herabsteigend, sich an Sara wendend): In dieser heiligen Nacht wird der Stern der heiligen drei Könige und der Hirten auch für dich aufgehen. (Er enthüllt das heilige Salböl; die Nonnen knien nieder.) Antworte! Nimmst du das Licht, die Hoffnung und das Leben an?

Sara (mit sehr ernster, deutlicher und sanfter Stimme): Nein!

Der Archidiakon (zittert und läßt vor Schrecken die Vase auf die Stufen des Altares fallen, so daß das heilige Öl herausfließt): Großer Gott!

(Er weicht zurück; mit konvulsivisch zitternder Hand greift er nach dem goldenen Krummstabe und stützt sich darauf. Die Nonnen sind von panischem Schrecken ergriffen; sie lassen ihre Wachskerzen einzeln auf ihre Breviere fallen, springen entsetzt auf und verlassen geräuschvoll die Chorstühle. Zitternd, sich mit ihren langen Schleiern verhüllend, umringen sie die Äbtissin, die sich erhoben hat und starr und entsetzt auf die Abtrünnige blickt. Allgemeine Bestürzung. Schwester Aloisia ist wie ohnmächtig zu Saras Füßen niedergefallen. Sie ist von umgestürzten Blumenkörben und noch Weihrauch spendenden Rauchfässern umgeben.)

Schwester Laudatio (für sich und sich bekreuzigend): Jetzt endlich verstehe ich es! Das böse Vorzeichen dieser Nacht: die ewige Lampe, die verlöschte ... auch die Lampen der törichten Jungfrauen brannten nicht, als der Bräutigam sich ihnen nahte.

Die Äbtissin (erbleichend und mit erstickter Stimme): O Nacht des Schreckens! (Es schlägt zwölf Uhr. – Aus der Ferne dringt das fröhliche Läuten der Glocken, Festgeräusch und Glockenspiel.)

Chor der im Hintergrunde der Kirche auf der Orgel befindlichen Nonnen, die nicht sichtbar sind (mit jauchzender Stimme):

Noël! Noël! Halleluia!
Hodie contritum est, pede virgineo,
Caput serpentis antiquis!

Die Äbtissin (mit ihrem Kreuze auf die Steinplatten stoßend): Schweigt! Hört auf zu singen!

Der Chor (gleichzeitig und die Stimme der Äbtissin übertönend): Noël! Halleluia! Noël!

(Die auf der Galerie der Orgel befindlichen Nonnen haben nichts von dem sich vor dem Altare abspielenden Auftritt gesehen. Ihr jubelnder Gesang vereinigt sich mit dem festlichen Klang der Glocken und feiert die Geburt Christi. Wie könnten diese keuschen Gottesbräute, die für alle Zeit kinderlos sind, auch noch an die Vorgänge dieser Erde denken, bei der Nachricht, daß ihnen ein Kind geboren, ein kleines Kind, bestimmt, König der Engel zu werden, und das mit der ganzen mystischen Zärtlichkeit ihrer jungfräulichen Herzen zu lieben ihnen erlaubt ist? ... Oh, diese sanften Seelen, die das Gelübde ewiger Keuschheit abgelegt haben, kennen sich kaum mehr vor Freude.)

Chor (von der Orgel herab und begleitet von den das Weihnachtsfest verkündenden Glocken):

Adeste, fideles!
Laeti, triumphantes!
Venite in
Bethlehem!

Die Äbtissin (grell aufschreiend, während der Lobgesang fortdauert): Stille! ... Oh! das ist schrecklich.

(Der alte Vikar flieht erschrocken aus dem Heiligtum.)

Der Chor (ganz hingerissen von seinen Freudenliedern und begleitet von den brausenden Tönen des Orgelspiels und dem Klang der Glocken):

Natum videte, regem Angelorum;
Deum infantem, pannis involutum!
Venite, adoremus Dominum!

(Der Gesang verstummt plötzlich. Die großen Vorhänge von Serge werden zurückgezogen, und man sieht in die leere Kirche, deren Säulen, Stühle, Bänke nur matt von hier und dort herabhängenden Lampen erhellt werden. Das Portal ist geschlossen. Ganz im Hintergrunde, auf der Tribüne der Orgel, die Schwestern-Sängerinnen, die jetzt schweigend und ganz verstört dreinsehen.)

Die Äbtissin (außer sich, schreiend): Schweigt still! Schweigt still!

(Es ist still geworden, auch das Orgelspiel und das Geläute der Glocken ist verstummt.)

Der Archidiakon (mit tiefem Seufzer): Endlich!

Die Äbtissin (ihr Kruzifix hoch hebend, mit einer Gebärde des Abscheus auf die zu den Chorstühlen führende Tür weisend): Flieht! Flieht alle, meine Töchter! Jede von euch hat sich sofort in ihre Zelle zurückzuziehen und dort demütig und in inbrünstigem Gebete die Gnade Gottes zu erflehen. Ihr werdet in dieser Nacht die Messe nicht hören. – Schwester Kalixta, was haben wir in unserem Schatze?

Schwester Kalixta (nach einer Pause, stotternd): Dreihundertdreiundzwanzig Goldstücke, ferner zwölf Taler, aus der Kollekte des heutigen Tages.

Die Äbtissin: Du wirst alles morgen unter die Armen verteilen.

(Die zu dem Kloster führende Pforte öffnet sich, die Nonnen entfliehen und entschwinden wie Schatten.

Die Chorschwestern haben schon ihre amphitheatralisch um die Orgel geordneten Sitze verlassen – nur zwei oder drei schwarze Gestalten, zweifellos Postulantinnen, bewegen sich noch auf der verlassenen Tribüne: sie löschen die Wachskerzen aus, schließen die Chorgesangbücher. Bald herrscht vollständige Dunkelheit, und dann verschwinden sie. Alle haben sich jetzt in das Kloster zurückgezogen.)

Siebente Szene

Sara, die Äbtissin, der Archidiakon, Schwester Laudatio, Schwester Aloisia

Die Äbtissin (nähert sich dem Archidiakon, vor ihm auf den Stufen des Altares stehend, in höchster Aufregung, mit bebender Stimme und mit der Hand auf Sara zeigend): Mein Vater, das ist die Handlung einer Besessenen. Die Kirche muß morgen mit Feuer gereinigt werden. Ich lasse Sie allein mit ihr. Ich fühle mich wie vernichtet und vollständig verstört. Oh, diese Gotteslästerung! ... Oh, sie ist so groß, daß sie nur durch die unendliche Barmherzigkeit des Herrn gesühnt werden kann. Alles, was Sie über dieses entsetzliche Mädchen, unsere bisherige Gefährtin, verhängen werden, soll ausgeführt werden.

(Schwester Laudatio, die an einer Säule in die Knie gesunken ist, erhebt sich und tritt plötzlich auf Sara zu.)

Schwester Laudatio (sie zornig ansehend): Verpestete! ...

(Sie macht Miene, Sara in das Gesicht zu schlagen, und hat die Hand schon erhoben, als sie plötzlich, wie von einer höheren unerklärlichen Macht besiegt, innehält. Sara hat weder die Augen aufgeschlagen noch gezittert.)

Die Äbtissin: Schwester Pförtnerin, entferne dich von dieser Unglückseligen und mäßige die Ausbrüche deines Unwillens an diesem heiligen Orte.

Schwester Laudatio (für sich und sich zu der zum Kloster führenden Tür zurückziehend): Welch geheimnisvolle Macht hat meinen Arm zurückgehalten? Warum habe ich sie nicht geschlagen? – –

Die Äbtissin (sehr leise zu dem Archidiakon): Erinnern Sie sich vor allem dessen, was ich Ihnen vorhin gesagt habe: Sondieren Sie diesen düsteren Geist. Das Geheimnis, mein Vater, das Geheimnis!

(Sie steigt die Stufen des Altars herab und hebt Schwester Aloisia auf, die aus ihrer Ohnmacht erwacht ist.)

Schwester Aloisia (mit erlöschender Stimme und während die Äbtissin sie fortschleppt): Adieu, adieu, Sara!

(Die Äbtissin hat das schwankende Mädchen zu der Klostertür geführt, durch die beide verschwinden. Schwester Laudatio folgt ihnen, nachdem sie Sara noch einen letzten bösen Blick zugeworfen hat.

Einen Augenblick später hört man das Geräusch des schweren Schlosses der Tür, das von außen geschlossen wird.

Sara und der Archidiakon sind allein zurückgeblieben.)

Achte Szene

Der Archidiakon, Sara

Der Archidiakon (mit schrecklicher Stimme): Weib! Du bist feige gewesen. Du bist vor dem errötet, der über dich erröten wird.

Du hast Seelen erschreckt, die so rein sind wie der Morgenstern; du hast dem göttlichen Zorne getrotzt und hast Gott Hohn gesprochen, ihm, der dich aus dem Nichts gezogen und dir angeboten hat, dich in sein Reich aufzunehmen. Du hast seiner rufenden Stimme, die dir gebot, wie Lazarus aus dem Grabe aufzustehen, kein Gehör geschenkt. Du hast den Platz an seinem Festmahle verschmäht, und das vor meinen Augen, obgleich mir die Mission geworden, dich zu zwingen, daran Platz zu nehmen. Denn so wie die Gesetze den Menschen dazu anhalten und sie zwingen, ihre Pflicht zu erfüllen, so vermag Gott, der das Prinzip und das Ende jeden Gesetzes ist, den Willen der Menschen zu beugen und ihr Gewissen zu rühren.

(Pause.)

Um des Heiles deiner Seele willen also, um das Gottes Sohn auf dem geheimnisvollen Berge den Tod am Kreuzesstamm erlitten hat, will ich in dir nichts anders sehen als ein betörtes Opfer, das durch den Fürsten der Hölle verführt worden ist. Was ist es, was du erstrebst? Die Ausweisung aus diesem Kloster? Nein, Unsinnige, du wirst es niemals verlassen. Die menschliche Obrigkeit würde ja deine Flucht schützen, das weiß ich sehr wohl, aber du wirst uns nicht entfliehen. Wenn sich, wie eine Schlange im Felsen, im tiefsten Innern deines Herzens ein furchtbares Geheimnis verbirgt, so vergiß es, denn es wird nutzlos für dich sein: – es wird nutzlos für dich sein, weil du jetzt arm bist, da du deinen ganzen irdischen Besitz diesem Kloster verschrieben hast; es geschah dies wirklich wohl infolge einer direkten Eingebung der göttlichen Gnade. Nein, nein, du wirst niemals wie eine Irrgläubige deine Bahn ziehen, und das wenige, was dir von deiner Seele bleibt, in alle Winde verstreuen. Verstehe mich wohl: wir sind verantwortlich für diese deine Seele. – Glaubst du denn wirklich, du könntest dich von uns befreien, von uns, die wir es den Menschen erst gelehrt haben, Herr der Gewalt und der Macht zu werden, und die wir ganz allein es wissen, worin das Recht besteht? Welche Bedeutung hatte vor der Einführung des Christentums die Frau in dieser Welt? Sie war eine Sklavin. Wir erst haben sie aus knechtischen Banden erlöst und ihr die Freiheit verliehen – und du wagst es, vor uns das Wort Freiheit auszusprechen, als ob nicht wir selbst und nur wir selbst die Freiheit wären? Höre und erwäge meine Worte wohl: Unsere Gerechtigkeit und unser Recht weichen nicht von dem der Menschen ab. Wir sind es, die die jetzt herrschenden Ideen erweckt und entzündet haben. Die Menschen haben das allerdings vergessen, das weiß ich wohl; sie sprechen heute davon, so wie sie zur Zeit des Turmbaus von Babel miteinander redeten, nämlich so, daß keiner den Sinn des von dem anderen gesprochenen Wortes versteht, es ist das die Strafe ihres Hochmuts. Wir besitzen die Suprematie auf Erden, und jedes Gesetz, welches es immer sei, muß erst durch uns geheiligt und anerkannt werden. Wir allein haben die Autorität; Gott selbst hat sie uns gegeben, und bis zum Untergang aller irdischen Dinge werden wir sie mit sicherer Hand festzuhalten wissen, und das trotz aller Drohungen, trotz des Fortschreitens und der sogenannten Aufklärungen der Wissenschaft, trotz all des verpesteten Dünkels des menschlichen Gehirns, auf daß das Wort erfüllet werde: » Stat Crux dum volvitur orbis«. Ob man uns verfolgt und haßt – ob man uns verachtet, foltert oder tötet, was tut es! All das sind vergebliche, eitle Anstrengungen einer nutzlosen Rebellion. Kraft unseres reinen und guten Gewissens werden wir die sein, die der heilige Ambrosius » Candidatus martyrum exercitus« nennt. Endlich aber, und das ist das Wichtigste in dieser schrecklichen Stunde, wir haben ein dreifaches heiliges Recht darauf, denn unsere Suprematie wurde uns verliehen durch den Vater, der den Sohn erzeugte, durch den Sohn und den Heiligen Geist, der aus dem Vater und dem Sohne hervorgegangen ist. Es gibt im Himmel und auf Erden keinen Gedanken, der sich an Größe mit diesem messen könnte.

Begreife also, Sara, daß uns die Macht, nach eigenem Ermessen in wirksamer und heilsamer Weise handelnd aufzutreten, durch ein göttliches Wunder verliehen wurde, und deshalb mache ich jetzt Gebrauch von dieser Macht, um dich im Namen Gottes vor dir selbst und deiner schrecklichen Natur zu retten. Du wirst in das Gefängnis zurückkehren. Dir wird strengstes Fasten auferlegt, bis dein elendes Fleisch, das sich empört hat, vollständig abgetötet sein wird. Deine Schönheit ist ein Blendwerk der Hölle, die Pracht deines Haares führt dich in Versuchung, der blitzähnliche Blick deiner Augen ist skandalerregend! All dies muß auf immer und so rasch wie möglich zerstört werden. Denn deine ganze Schönheit beruht nur auf einer Illusion der Sinne ... Ich nehme die Würmer der Erde zu Zeugen. Wenn du dich selbst in diesem Augenblicke so sehen könntest, wie du wirklich bist, würdest du vor Schrecken sterben. – Glaubst du etwa nicht, daß Maria Magdalena ebenso schön gewesen, wie du es bist? Nachdem Gott ihren Blick erhellt und er sie erkennen ließ, was sie in Wirklichkeit war, da zitterte die große Sünderin vor Grauen, und sie hat dieses Grauen ihr ganzes Leben lang nicht zu überwinden vermocht. Bete, Sara, bete, wie sie gebetet, um das zu erhalten, was dir not tut. Nimm sie dir bis zum letzten Seufzer zum Vorbild. Dann wirst du wieder unsere Tochter, unsere Heilige, unser geliebtes Kind sein.

(Pause.)

Und wenn deine Reue wirklich andauernd und aufrichtig ist, wird vielleicht eines Tages die Stunde kommen, wo wir dich wieder in unsere Mitte aufnehmen können. Ich zweifle zwar daran, aber es ist meine Pflicht, zu hoffen, denn die göttliche Barmherzigkeit und Liebe sind grenzenlos. Bis dahin wollen wir inbrünstig unter Tränen und Fasten Tag und Nacht für dich beten. Ich selbst werde, während ich die Formel der Teufelsbeschwörung über dich ausspreche, mich deinetwegen mit dem Büßerhemd bekleiden.

(Er steigt die letzten Stufen des Altares hinab. Sara steht immer noch unbeweglich, mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck da und hat nicht einmal die Augen aufgeschlagen.)

Aber – da kommt mir ein Gedanke, den offenbar Gott selbst mir eingegeben hat. Unter dieser Grabplatte ruhen die sterblichen Überreste der heiligen Gründerin dieser Abtei, der hochseligen Apollodora. Ihr Grabgewölbe mit der Nähe ihrer wundertätigen Reliquien, ist das dir heilsame Inpace. Dort wird die gütige Heilige selbst Fürsprache für dich einlegen, sie wird dein Erwachen wie deinen Schlaf behüten, dein trockenes Brot und Wasser segnen, wenn du in inbrünstigem Gebete die Heilige anrufst.

(Er drängt die beiden die Grabplatte schließenden Riegel mit seinem Krummstab zurück, läßt diesen dann durch den auf der Platte befindlichen Ring gleiten und bemüht sich, die Platte aufzuheben. Der Stein gibt den Bemühungen des Priesters nach und erhebt sich. Die breiten, mit Erde bedeckten Stufen eines Grabgewölbes werden sichtbar; die große Grabplatte hat sich in ihren Angeln nach rechts gehoben und bleibt offen stehen.)

Die ist die Pforte ... janua ... durch die ich das Recht habe, dich zu zwingen, einzutreten, um das Heil deiner Seele zu retten. Denn wie der heilige Ignaz von Loyola mit tiefer Weisheit lehrt: »Der Zweck heiligt die Mittel!« ... Wohlan denn, so komm, meine geliebte Tochter, mein heißgeliebtes Kind! – Steige hier hinab. Du wirst glücklich werden. Zweifellos ist es die Verzichtleistung auf deine irdischen Güter, durch die du dir diese letzte Gnade erwirkt hast: benutze sie. Segne die dir auferlegte Prüfung, damit sie dir zum Heile wird und dann ... (er verneigt sich demütig vor ihr) bitte du für mich!

(Sara erhebt endlich die Augen zu dem Priester. Dann blickt sie auf das Grab, das sich vor ihr geöffnet hat. Stumm, und ohne daß sich in ihren Zügen irgendeine Erregung verrät, schreitet sie auf eine Säule zu, die mit Ex-votos behangen ist, die von den für die Rettung aus irgendeiner Gefahr dankbaren Seeleuten gestiftet sind. Sie ergreift ein altes, doppelschneidiges Beil und kehrt langsam und mit eiskaltem Gesichtsausdruck zurück. Vor dem offenen Grabgewölbe angelangt, streckt sie einfach die Hand aus und bedeutet mit furchtbarem Ernste und gebieterischer Gebärde dem alten Priester, sofort selbst in das Grab hinabzusteigen. Der Archidiakon weicht bestürzt zurück, aber Sara folgt ihm und schwingt kaltblütig mit drohender Miene die Axt über ihm. Der Alte schaut forschend um sich und blickt dann Sara an. Er sieht, daß er ganz allein und verlassen ist. Wenn er es wagen wollte, um Hilfe zu rufen, wird die furchtbare Waffe, die von einer kräftigen, jugendlichen, rebellischen Faust geführt wird, ihn unfehlbar erschlagen. Er lächelt mit einer Art bitteren Mitleids, zuckt dann traurig die Achseln, und wie um sie vor einem noch schrecklicheren Verbrechen zu behüten, gehorcht er den kalt drohenden Augen Saras.

Er bekreuzigt sich und steigt dann langsam die Stufen hinab, auf denen er mit seinem Krummstab anstößt, während sein Mantel nachschleppt. Er verschwindet langsam; jetzt ist nur noch sein mit der Mitra geschmückter Kopf sichtbar, der dann auch im Grabesdunkel untertaucht.

Die Stimme des Archidiakons aus dem unterirdischen Gewölbe hervortönend):

In te, Domine, speravi, non confundar in aeternum!

Neunte Szene

Sara, allein

(Sara wirft die Axt weg, schließt mit einer starken Bewegung die Gruft und schiebt sorgsam und kaltblütig jeden Riegel mit der Spitze ihrer Sandale vor.

Nachdem dies geschehen ist, geht sie an das Fenster und zieht an der die Fensterflügel schließenden Schnur, das Fenster öffnet sich sofort und eine Schneewehe wird von dem Nachtwind so heftig in die Kirche getrieben, daß die Wachskerzen verlöschen.

Sara reißt das Leichentuch mitten durch und verbindet die beiden Teile durch sorgfältig gebundene solide Knoten. Dann wirft sie ein Pilgergewand über ihre Festkleider, steigt auf den Stuhl der Äbtissin und erreicht mit einem elastischen, kühnen Sprung eine der Eisenstangen, an die sie sich mit der Hand anklammert, um mit einem kühnen Schwung die Fensterbank zu erreichen.

Dann drängt sie sich durch die Eisenstäbe, bleibt einen Augenblick auf der äußeren Fensterbank stehen und blickt hinaus in die Tiefe vor ihr, in die Ferne, in das Unendliche.

Draußen herrscht undurchdringlich tiefe Nacht, kein Stern erhellt das Dunkel. Der Wind saust und brüllt. Es schneit.

Sara wendet sich zurück, befestigt an eine der Eisenstangen das zerrissene und aneinandergebundene Leichentuch, prüft noch einmal sorgfältig die Sicherheit des Knotens und streift dann die graue Kapuze ihres Pilgergewandes über ihren Kopf; dann bückt sie sich und gleitet schweigend in die kalte, regnerische Nacht hinab.)


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