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Dritter Teil.
Die okkulte Welt

 

Empfange deine Gedanken wie Gäste
Und deine Wünsche wie Kinder.

Lao Tseu.

 

I. An der Schwelle – Derselbe Saal

Erste Szene

Axel, Meister Janus

Axel (in Gedanken verloren und düster): Meister, ich habe einen Menschen getötet.

Meister Janus: Amen.

Axel (halblaut, fast zu sich selbst sprechend): Um eines Geheimnisses willen ... das ich nicht kannte – dessen Dasein ich gestern noch vergessen hatte – und das seit einer Stunde mich vollständig gefangen hält, – mit einem Interesse erfüllt, dessen ich mich nicht für fähig gehalten habe.

(Er öffnet einen der auf den kleinen Tischen liegenden Folianten und versucht vergebens zu lesen.)

Es geht nicht. Meine Seele ist so zerrissen, daß sie selbst den Wert dieser Worte, die mich so oft erleuchtet haben, nicht zu erkennen vermag. Es ist vorbei damit. Es hat sich etwas zugetragen, was mich auf die Erde zurückruft. Ich fühle es in mir, ich will leben! ...

Meister Janus (für sich, Axel beim Schein der Lampe betrachtend): Du bist nun reif für die letzte, die schwerste Prüfung. Der Geruch dieses um des Goldes willen vergossenen Blutes mindert deinen Wert, seine fatale Ausdünstung umgibt dich und dringt in deine Seele; unter seinem verpesteten Einflusse hast du aufgehört, ein Kind zu sein. Erbe der Instinkte des Mannes, den du getötet hast, erwacht plötzlich in dir das glühende Verlangen nach den Freuden der Wollust, der Macht des Goldes und die begehrlichen Wünsche, die bisher in deinem Organismus geschlummert haben, lodern wie Feuer in deinen Adern. Du bist von der Schwelle des Heiligtums zurückgetreten, und der alte Mensch ist in dir lebendig geworden! Die Stunde ist gekommen. – Auch sie wird nun kommen, sie, die um des Geheimnisses des Goldes willen, dieses verächtlichsten aller Geheimnisse, das göttliche Ideal verleugnet hat, wie du selbst nun dem höchsten Ziele entsagen wirst. Hier werden sich also die letzten Sprossen zweier alter Geschlechter, die ich erwählte, zusammenfinden, damit die doppelte Illusion, die des Goldes und der Liebe durch die einfache jungfräuliche Menschheit besiegt werde; das heißt, daß eine unter einem neuen Zeichen stehende Tugend begründet werde.

Axel (für sich, halblaut): Mir ist, als erwache ich aus einem keuschen, bleichen Traume, den ich in diamantklarem Äther geträumt, einem Traume, dessen Erinnerung sich bereits zu verwischen beginnt.

Bis hierher habe ich das Licht der Zauberwelt gesehen, die dieser Mann vor mir enthüllt hat, deren Nichtigkeit ich plötzlich erkenne. Ein ungeheurer Zweifel erfaßt mich ... Das Leben meiner Jugend, und dieser Ruf ist stärker als der dieser Gedanken, die zu erhaben für mein feuriges Alter sind! Dieser Tod hat Ärgernis in mir erregt und mich zum Nachdenken gereizt ... vielleicht ... gleichviel! Ich will diese Kette, die mich fesselt, zerreißen, will mein Leben genießen ...

(Er träumt.)

So habe ich wirklich die schönsten Jahre meiner Jugend in diesem alten Schlosse verträumt, mitten in einer Natur, die ihren wilden Charakter auf mich übertragen hat; ein so hervorragend weiser Mann wie Janus hat mir eine Erziehung gegeben, weit herrlicher als je ein König sie empfangen, er hat mich mit einer schrecklichen, aber nur defensiven Macht ausgerüstet, ich bin es, der in diesem furchtbaren Walde der Herrscher ist, und dennoch fühle ich, wie in diesem Augenblick mein Herz der Welt entgegenjauchzt, den herrlichen Gärten der orientalischen Welt, deren Ufer sich in dem Meere spiegeln, den Palästen mit ihren Marmorsäulen, die von weißen verzauberten Prinzessinnen bewohnt werden, – und ich, dem die Weisheit Indiens erschlossen ist, ich sollte, nur weil ich nicht weiß, wo jene verlorenen Schätze verborgen sind, dazu verdammt sein, zwischen diesen Mauern zu schmachten und die wilden Tiere dieser Wälder zu jagen, nur um nicht ein Raub der Verzweiflung zu werden! Nein! Und wenn ich zu den höllischen Künsten meine Zuflucht nehmen sollte, um die Hindernisse zu beseitigen und die dunklen Nebel zu zerreißen, mit denen dieses Geheimnis umhüllt ist, ich will und muß das Gold entdecken. Noch länger den Gleichgültigen spielen, das hieße so viel, als wenn ich mich in einen Abgrund stürzen wollte, um mich selbst zu zerschmettern.

Meister Janus (der in Axels Seele gelesen hat): Es war nicht der Mühe wert, geboren zu werden.

Axel (wie wenn er einen Entschluß gefaßt, nachdem er vorher einen ernsten Blick auf Janus geworfen): Meister, ich weiß, daß man nach der alten Lehre, um allmächtig zu werden, alle Leidenschaften bekämpfen, alle Gelüste und Wünsche vergessen, sich völlig von allem Menschlichen frei machen muß. Ich weiß, daß, sobald der Mensch sich frei macht und aufhört, an einer Sache zu hängen, sie zu begehren, ihm die Dinge von selbst entgegenkommen, denn du besitzest alles, nur kraft deines Willens, und du bist ein Gott, sobald du dich als solcher fühlst. – Ja, das ist das Dogma und die erste Geheimwissenschaft der wirklichen Weisheit. – Nun wohl, aber heißt es nicht doch, das Nichts zu teuer bezahlen? Ich bin ein Mensch, ich will kein steinernes Bild werden.

Meister Janus: Das steht dir frei: aber vergiß nicht, daß das Weltall sich nur vor Statuen neigt.

Axel: Und welchen Wert würde die Macht dann für mich haben?

Meister Janus: Legst du so viel Wert auf dein Ich?

Axel (düster): Ach! Da ich die düstern Pforten noch nicht überschritten habe, fange ich an, diese visionäre Welt zu fürchten, in der mein persönliches Dasein vielleicht ganz untergehen wird.

Meister Janus: Der Fluß fürchtet das Meer zu werden, weil er sich darin verliert.

Axel: Nein. Das Ziel ist des Weges nicht wert. Was, ich soll das absolute Opfer meines Ichs bringen, um im Tode vielleicht nichts anderes zu finden als einen Schlummer ohne Traum, das Nichts? ... Ach, ich zweifle an den Göttern ...

Meister Janus: Götter sind nur diejenigen, die niemals zweifeln. Flüchte dich, wie sie es getan, durch den Glauben in das Unerschaffene. Suche Vollendung in dem astralischen Lichte. Schwinge dich auf, steige empor. Erringe die Vollkommenheit. Du bist nur das, was du selbst von dir denkst: denke dich also als einen ewigen Geist. Verliere keine Zeit damit, an der sich vor dir öffnenden Pforte zu zweifeln! Fühlst du es nicht, daß das Unsterbliche in dir über alle Zweifel triumphiert, und daß es die Finsternis der Nacht überwinden wird?

Axel: Und wenn der Tod in mir jedes Erinnern zerstört?

Meister Janus: Jedes Erinnern? – Erinnerst du dich heute noch des gestern? Ist das, was vorübergeht und wechselt, wert, daß man es sich zurückruft? Woran möchtest du dich erinnern?

Axel: Vielleicht ist das Gedächtnis die einzige Errungenschaft einer zweifelhaften Vergangenheit, und wer gibt mir eine Garantie dafür, daß, sobald ich in dem Ozean der Namen, Arten und Gestalten untertauche, ich noch das Bewußtsein meines Ichs bewahren werde?

Meister Janus: Suche schon im Erdendasein zu werden, was dir im Jenseits droht. Sei wie die Lawine, die nur das ist, was sie mit sich fortreißt.

Axel: Und durch welche Triebkraft würden nach dir selbst diese widerstrebenden Gewalten in mir zentralisiert werden?

Meister Janus: Spiritualisiere deinen Körper: heilige dich selbst.

(Plötzlich ertönt ein gewaltiger Donnerschlag, und im selben Augenblick schlägt der Blitz in eines der Fenster ein, das er zertrümmert, dann über die an den Wänden hängenden Waffen irrt und endlich im Kamin verschwindet.)

Axel (nach einer kleinen Pause): Sieh nur, Meister! Wie kann man einen Gedanken ernst nehmen, den dieser elende Blitzstrahl, wenn er mich zufällig getroffen, die Macht besessen hätte, zu unterbrechen und auf ewig zu vernichten?

Meister Janus (gleichmütig): Nicht dich nur, dein sterbliches Wesen, diesen Plunder! Ein Sandkorn würde dazu genügen, dieses Werk zu vollbringen. Und du zögerst noch, diese Abhängigkeit abzuschütteln, dich davon zu befreien?

(Janus hat sich während dieser Worte dem zertrümmerten Fenster zugewendet und blickt in die Nacht hinein. Das Unwetter hat sich verzogen, der Himmel aufgeklärt, es ist, als ob der Sturm mit diesem letzten Schlage seine Kraft erschöpft habe. Die Nacht ist stiller geworden. Eine zauberhafte Ruhe liegt über den Wäldern.

Axel betrachtet erstaunt das plötzlich so veränderte friedliche Bild. Dann geht er zu dem Kamin, läßt sich davor nieder, und sein Blick ruht sinnend auf der von Meister Janus entzündeten Lampe.)

Axel: Welch seltsames Licht von dieser Lampe ausgeht! Ist es nicht die alte Lampe des Jesaias, die einst in Palästina von den Rosenkreuzlern gefunden wurde. (Nachdenklich.) Diese Flamme hat vielleicht schon Salomo geleuchtet. (Er sitzt einige Augenblicke tief in Gedanken versunken da.)

Salomo! Dieser Name erweckt in mir eine Welt von Träumen! Wer mir doch dazu verhelfen könnte, den Ring des Salomo zu finden, diesen Zauberring, der irgendwo im Orient in dem unbekannten Grabe des großen Zauberers ruht.

Meister Janus: Das Grab Salomos liegt in der Brust dessen, der das unerschaffene Licht zu begreifen versteht ...

Axel: Das unerschaffene Licht? Die Menschen nennen es einfach Gott ...

Meister Janus: Wenn du nicht den Sinn gewisser Worte zu erfassen vermagst, so wirst du in der mich umgebenden Luft zugrunde gehen, deine Lungen werden ihre erdrückende Last nicht zu ertragen vermögen. – Ich unterrichte nicht: ich erwecke. – Wenn selbst unter deinen geschlossenen Augenlidern dein Blick nicht von dem Lichte erfüllt ist, das den substantiellen Geist aller Dinge durchdringt und erkennt, so kann ich dir diesen Blick nicht geben, selbst wenn du wie ein Kind danach jammern würdest! Wenn deine Augen lebendig, deine Füße frei sind, so beobachte, blick um dich und steige empor! Keiner wird zum Eingeweihten, als nur durch sich selbst.

Axel (mit aufgestützten Ellenbogen, lächelnd und melancholisch): Und ... werde ich dann wirklich jenen Zauberern gleich werden, auf deren Geheiß die Genien mit ihren Fackeln die Tiefen der Erde erleuchten und die darin verborgenen Edelsteine enthüllen? Wird es mir gelingen wie Hermes, geringere Metalle in Gold zu verwandeln? Wie Paracelsus, das Geschick Liebender zu bestimmen? – Oder wie Apollonius von Tyan, die Toten zum Leben zu erwecken? Wird es mir gelingen, einen Talisman gegen jedes widrige Geschick und gegen die Schrecken der Nacht zu entdecken? Zaubertränke herzustellen, durch deren Genuß die Liebe erweckt oder zerstört wird, Herr der Elemente zu werden, wie Raymond Lullo, das Lebenselixir, den Stein der Weisen mein zu nennen. Werde ich den Magiern der alten großen Legenden gleich sein?

Meister Janus (gleichmütig und den Fuß auf die Blutlache setzend): Die wirklichen »Magier« sind immer unbekannt geblieben und ihr Name ist nicht in dem Gedächtnis der Menschen eingeschrieben. Ihre Zahl ist zu allen Zeiten die gleiche gewesen: aber sie bilden nur einen Geist. Die Träumer, deren Namen du eben erwähnt, waren nützliche, weise Sterbliche. Sie waren keine Befreiten. Wenn die wirklichen Magier es für unter ihrer Würde erachten, zu leben, so werden sie auch niemals sterben.

Axel (zitternd): Was wäre also ein Magier?

Meister Janus (mit einem vertraulichen leichten Lächeln): Wenn dir wirklich so viel daran gelegen ist, dies zu wissen, so erwäge vorher diese einfache und geheime Frage: Wie kommt es, daß in der Gefahr, die soeben an uns vorübergegangen, dir auch keinen Augenblick nur der Gedanke gekommen ist, daß auch ich davon bedroht gewesen sein könne?

Axel (überrascht und nachdenklich): Das ist wahr! ... Wärest du? ...

Meister Janus (kurz): Es ist ein Mensch, der vor dir steht. Was jene aus der alten Sprache des Hermes ausgegrabenen Worte betrifft, die zu rezitieren dir Vergnügen zu machen scheint, so verführen sie die Jugend deiner Intelligenz viel mehr durch ihren hochtönenden Klang, als durch das, was sie wirklich bedeuten. Du bist in dem Alter, wo man über dem Anblicke der schimmernden Sterne jeden Augenblick das Dasein des Himmels vergißt. Vergiß daher jene Ausdrücke, die auf deinen Lippen doch nur leeres Wortgeklingel sind und deren wirklichen Sinn du noch nicht zu begreifen vermagst. Spiele nicht mit ihnen. Jedes deiner Worte umspielt dich ein paar Augenblicke, dann ... verläßt es dich.

(Er tritt vor das zertrümmerte Fenster, öffnet es mit der Bewegung eines Menschen, der einen Schleier zurückzieht, und deutet auf den jetzt klaren, mit Sternen besäten Nachthimmel.)

Erhebe lieber deinen Blick himmelwärts! Wo kein Himmel ist, da gibt es keine emportragenden Flügel. Suche Verklärung in seinem stillen Lichte, denke daran, die Macht deines Willens durch Nachdenken und durch Prüfungen und Selbstopfer zu stärken! Werde ein Adept der Wissenschaft der Starken! Suche nichts anderes zu werden als eine Intelligenz, die ihr Auge nur auf das übernatürliche Gesetz richtet, und die sich deshalb von allen Wünschen und Fesseln des Augenblickes befreit hat.

Axel (entmutigt): Wer vermag das Gesetz zu kennen?

Meister Janus: Wer kann etwas kennen, ohne es zu erkennen? Du glaubst zu lernen und findest dich nur selbst wieder, das Weltall ist nur ein Vorwand zu dieser Entwicklung des Bewußtseins. Das Gesetz ist nichts als wie die Energie der lebenden Wesen; es ist der lebendige freie substantielle Begriff, der sich zwischen dem Wahrnehmbaren und dem Unsichtbaren bewegt und die Gesamtheit alles Werdenden belebt und verwandelt. Alles ist erfüllt davon! Leben, das heißt mit jedem Pulsschlag diesen Begriff entweder in sich abzuschwächen oder zu stärken und zu realisieren.

Aus dem Dunkel unvordenklicher Zeiten hervor trittst du in das Leben. Mensch geworden, bist du von dem Schleier des Organismus umhüllt, der dich wie ein Gefängnis umgibt. Die Magnete der Wünsche und des Verlangens ziehen dich an, aber wenn du ihnen nachgibst, verstärkst du die Fesseln, die dich gefangenhalten. Die Sensation, die deinen Geist umschmeichelt, wird deine Nerven in bleierne Ketten verwandeln – Ketten, die erst durch die entscheidende Hand des Todes gelöst werden können. Der Tod ist daher die einzig richtige Wahl. Er bedeutet das Unpersönliche, das Vollendete.

(Pause.)

Welch verwirrter Trieb drängt dich immer noch, dein ursprüngliches Wesen festhalten zu wollen? Erstrebe vielmehr die Zerstörung deiner Natur. Widerstehe ihren sterblichen Magneten. Lerne Entsagung! Befreie dich! Bringe dich selbst zum Opfer dar. Aus Liebe zu der heiligen Wissenschaft mußt du wie ein Aszet des Feuertodes zu sterben bereit sein, um wie ein Phönix neu aus der Asche zu erstehen. Nur dadurch wird es dir gelingen, alle Fesseln zu zersprengen, du wirst die Illusion deines Ichs vergessen; wirst endlich befreit sein, dich eins fühlen mit dem Ewigen, und ganz aufgehen in jenem unendlich reinen Geiste, den du die Gottheit nennst.

Axel (für sich): Ich bin ein armer König. Wenn mir die Pracht des väterlichen Schatzes enthüllt wäre, könnte ich wenigstens frei wählen: aber nein, ich habe nicht mal mehr das Verdienst des Opfers: das Schicksal zwingt mich, von Träumen zu leben.

Meister Janus (der Axels Gedanken gelesen hat): Wovon wolltest du denn leben? Wovon anders leben denn alle Sterblichen, als wie von Hoffnungen und eitlen Träumen, die sich doch niemals erfüllen werden? Und ist denn der, der wählen kann, darum frei? Nein, nur der ist frei, der endgültig seine Wahl getroffen hat, der nicht mehr zu schwanken und zu zögern gezwungen ist. Das allein ist Freiheit. Sich über eine nicht vorhandene Gefahr beklagen, heißt die Möglichkeit einer Sklaverei einräumen, heißt die Versuchung herbeiführen und sich dazu herablassen, heißt ihr unterliegen. – Du gibst eben jetzt einem irdischen Gedanken Raum.

Axel (aufbrausend): Und wenn ich für einen Augenblick ein Mensch sein wollte? Die Erde ist so schön! Es kreist ein so feuriges Blut durch meine jungen Adern. Das große Verbrechen leben und lieben zu wollen! Du aber, der du mich verloren glaubst: erinnere dich, daß alles zu einem Urquell zurückkehrt! Nach welcher Seite ich immer eine Fackel neigen würde, die Flamme strebt stets himmelwärts.

Meister Janus: So oft du »liebst«, wirst du den Tod erleiden. Wenn du dich nicht mit einem Schlage und für immer jedes Interesses für die Anziehungskraft der weiblichen Reize zu entäußern vermagst, so wird dein Geist, der nach jedem neuen Traume schwächer wird, die Kraft, sich emporzuschwingen, ganz verlieren, du wirst deinen eitlen Wünschen unterliegen – du bist verloren. Deshalb richte all deine Gedanken und Handlungen stets nur auf das unerschaffene Licht.

Axel: Ich will einen Augenblick des Vergessens: – ich habe ein Recht darauf ...

Meister Janus: Gibt es in der Ewigkeit einen Unterschied zwischen einem Augenblick und einem Jahrhundert? Woran könnte man ihn voneinander unterscheiden? Deine Persönlichkeit ist nur eine Schuld, die du bis zur letzten Fiber abzutragen hast, wenn du dich vor dem ungeheuren Elend des Zukünftigen retten willst.

Axel: Ach, der Weise kann sich wohl der Weisheit entraten.

Meister Janus: Nur ein Unsinniger kann daran denken, das fliehen zu wollen, was er liebt.

Axel: Aber ich habe mir doch ein Recht darauf erworben, auf dem Gipfel des Berges zu rasten, ehe ich noch höher strebe. Laß mich wenigstens einen Abschiedsblick werfen auf das, was ich verliere.

Meister Janus: Würde ein wirklich aufwärtsstrebender Geist jemals um die Gunst eines Aufenthaltes bitten, der gleichbedeutend mit einem Niedergange wäre? Würde er auch für die Möglichkeit eines solchen Wunsches Verständnis haben? Es ist wirklich jetzt zu spät, dich schattenhaften Träumen hinzugeben, die nur die Lebenskraft des Wortes abschwächen und dich verwirren können. Wer auf der Schwelle zögernd stehen bleibt und stolz auf die schon erstiegenen Stufen zurückschaut, der gleitet schon abwärts, und der Stolz, den er über seine eingebildete Erhöhung empfunden, ist ein Maßstab seines Falles.

Axel: Ich kann mich aber doch auch wie ein geschickter Schwimmer von den Wellen des Flusses meiner Leidenschaften tragen – ohne mich davon fortreißen zu lassen und unterzugehen?

Meister Janus: Nein, denn sie sind wie ein wilder Bergstrom, der alles mit sich fortreißt und aus dem keiner wieder auftaucht: lüge dir nicht selbst etwas vor, schwaches, in Versuchung geführtes Herz! Nur ein wirklich Erlöster vermag es, zögernd über die Erde zu streifen, ohne darum aufzuhören, gleichzeitig dem Himmel anzugehören – wie ja auch der Sonnenstrahl über die Erde streift, um sie mit seiner wohltätigen Wärme zu beleben, ohne sich darum von der Sonne seiner himmlischen Heimat zu trennen. (Mit leichtem Lächeln.) Werde daher ein Lichtwesen, ehe du unserer Dämmerung Trotz bietest.

Axel: Aber ich bin von dem Mantel des Apollonius umhüllt! Ich habe seine Lampe – und auch den Stab, um mich auf der langen Wanderung darauf zu stützen. Wozu denn hätten mir diese vielen Nachtwachen, meine angestrengten Studien – so viel geistige Arbeit gedient, wenn sie mir nicht einmal die Macht verliehen hätten, ohne Gefahr rückwärts zu gehen ...

Meister Janus: Es ist eine falsche Hoffnung, die du dir vorspiegelst. Um einen von sinnlichen Gedanken erfüllten Körper gehüllt, verliert der Mantel des Apollonius seine Kraft, er zerfällt, erscheint durchlöchert und schützt dich nicht vor dem Winde des Grabes. In der Hand des Unkeuschen flackert die heilige Lampe, ihre Flamme nimmt ab, ist dem Verlöschen nahe, und in der Hand dessen, der sich von dem rechten Wege entfernt, verschrumpft der stützende Stab und wird zu einem dürren Stücke Holz.

Heißt es überhaupt noch ein Verdienst besitzen, wenn man unter seinem Schutze sich berechtigt glaubt, untergeordnete Handlungen zu begehen? Wenn dein Geist wirklich mit heiliger Kraft und dem göttlichen Licht erfüllt ist, so gib niemals wieder solchen Gedanken Raum. – Denn jede dieser müßigen Ideen, die sich in deinen Geist gedrängt, wurzeln allmählich und werden zu einem virtuell wirkenden Teil deiner Zukunftserscheinung, die aus deinem Leben geboren und durch den Tod in Erfüllung treten wird. Deine ganze Existenz ist nichts anderes als die Bewegung deines Seins in dem okkulten Uterus, in dem die Empfängnis deines zukünftigen Seins sich vollzieht – es ist die Pflicht, dich selbst zurückzuerobern.

Axel: Eine schwere Pflicht?

Meister Janus: Indem du sie zu erleichtern suchst, übertrittst und verletzest du sie. Glaubst du, du könntest es erreichen, dem Höchsten gleich zu sein, ohne vorher tiefe Seelenqualen zu erleiden? Welche andere Bedeutung hätte dann die strenge Disziplin des Aszeten, wenn sie nicht eine Schule wäre, durch die es dem Geiste des Suchenden gelingt, sich freizumachen, sich wiederzufinden, die unermeßliche Grundursache seines Seins zu erkennen? Der Reiz irdischer Zerstreuungen ist ein Hindernis, das ebenso gefährlich wie verwerflich ist.

Axel: Und – wenn das Wort der Söhne eines Weibes nicht weiter reichte, als wie über den trügerischen Raum, der die Erde umhüllt? Nein, nein, wenn diese ganze drohende Leere wirklich die große Wahrheit bedeutet, müßte man ihr fluchen: die ganze Welt wäre ja dann nichts anderes wie eine große, der Menschheit gestellte Falle –

Meister Janus: Wisse also ein für allemal, daß es überhaupt keine andere Welt gibt, als die Vorstellung der Welt, wie sie im Grunde deiner Gedanken ruht; – denn was diese geheimnisvolle Welt wirklich ist, das vermagst du in keiner Weise zu erkennen oder zu unterscheiden. Wenn, was jedoch unmöglich ist, du nur einen Augenblick die Welt mit einem Blicke erfassen könntest, so würde auch das nur eine Illusion sein, denn das Weltall ist in einem fortwährenden Wechsel begriffen, mit jedem Atemzuge, den du tust, ist es ein anderes geworden.

Und du bist ein Teil dieser Welt! Wo ist deine Grenze in ihr? Wo die ihre in dir? Sie ist es, die dich das Weltall nennen würde, wenn sie nicht blind und sprachlos wäre. Es handelt sich also darum, dich von ihr freizumachen! Ihre Täuschungen, ihre Veränderlichkeiten, ihren Charakter zu bekriegen. Das ist die Wahrheit, soweit du dieselbe zu fassen vermagst, denn selbst die Wahrheit ist nur ein unbestimmter Begriff, der seine Gestalt deinem Geiste verdankt. Willst du sie, so erschaffe sie! Wie alles andere! Du bist nichts anderes als deine eigene Schöpfung. Die Welt wird für dich niemals einen anderen Sinn haben, als den, den du ihr selbst beilegst. Wachse also über die Welt hinaus, indem du dich von ihr zu befreien strebst. Drücke deinen eigenen Wert nicht dadurch herab, daß du dich von ihr gefangennehmen und zum Sklaven machen läßt. Da du nicht über die Illusion fortzukommen vermagst, die du dir von der Welt machst, so mache die göttliche Illusion zu der deinen. Verliere keine Zeit damit, zu zittern oder in ungläubiger, zweifelerfüllter Indolenz deine Tage zu verbringen. Du bist dein zukünftiger Schöpfer. Du bist ein Gott, der sein Wesen nur darum zu vergessen scheint, um es nachher desto strahlender zu enthüllen. Das, was du das Weltall nennst, ist das Resultat deiner Einbildungskraft, deren Geheimnis nur dir bekannt ist. Erkenne dich! Strebe himmelwärts! Befreie dich aus dem Kerker dieser Welt. Deine »Wahrheit« ist nur das, was du dafür hältst, ihr Wesen ist nicht unendlich wie das deine. Erkenne endlich, daß es schwer ist, ein Gott zu sein – aber denke nicht darüber nach, denn selbst dieser Gedanke macht dich minderwertig, wenn du ihm nachhängst, er bedeutet eine unfruchtbare Verzögerung.

Das Gesetz der Hoffnung ist die einzige Evidenz, die durch unser innerstes Dasein bestätigt wird. Pflicht ist es daher, zu untersuchen, ob man ein Berufener des Gottes ist, den man in sich trägt. Dann aber geschieht es, daß die wenigen, die wirklich den Mut und den Willen gehabt, all ihre Handlungen und ihre intimsten Gedanken vollständig von dem Irdischen abzulösen, ihr Sein durch die Aszese zu reinigen, um in die Heilige Lehre einzudringen – da geschieht es plötzlich, daß diese wenigen Auserwählten des Geistes es fühlen, wie tausend und aber tausend unsichtbar zitternde Fäden von ihnen ausströmen und wie ihr Wille nicht nur die Ereignisse der Welt, das Geschick großer Reiche, sondern auch den Lauf der Sterne und die entfesselten Gewalten der Elemente beeinflußt! Und bei jedem Grad höherer Vollkommenheit und Reinheit, den sie erreichen, wächst diese ihre geheimnisvolle Macht. Das ist die Erfüllung der Hoffnung, ist die Schwelle der okkulten Welt.

Axel (der kaum zugehört und völlig geistesabwesend zu sein scheint, offenbar alles, was Meister Janus sagt, weder zu glauben noch zu begreifen scheint): Oh! dieses unendlich strahlenden Reichtums! – Es ist kaum mehr ein Reichtum, nein, es ist ein Talisman.

Meister Janus: Was für kindische, dem Dunste der Erde entsteigende Worte hast du da ausgesprochen? Du hältst dich für arm, während du mit einem Blick Besitz von der ganzen Welt erfassen kannst! Du möchtest am Ende gar wie gewöhnliche Sterbliche um des Goldes willen handeln, Kontrakte unterschreiben, in Papieren spekulieren, nur um ganz sicher zu sein, daß du etwas besitzest? Du würdest dich also nicht wie den Herrn eines Palastes betrachten, auf dem dein Auge mit Wohlgefallen geruht, wenn du dich nicht durch einen Vertrag zum Gefangenen seiner Steine, zum Sklaven seiner Diener gemacht hättest? Verwirrt dich die Krankheit der Jugend so sehr, daß du darüber aller Weisheit vergißt? Nun denn, wenn dem wirklich der Fall ist, so ist es ja allerdings für dich richtiger, deine Taschen mit Gold zu füllen, anstatt dich mit den Weisheitslehren der Erleuchteten zu befassen. Wenn du eine Börse tragen kannst, mußt du sie fühlen. Aber verstehe es wohl, daß du jetzt am Scheidewege stehst, nachdem du so tief gesunken, gilt es einen Entschluß zu fassen. Sage mir aufrichtig, ob es noch in deiner Macht steht, deine Gedanken von diesem Golde, das dich betört, abzulenken? Du zögerst? Du siehst es wohl, daß du nicht frei und kein Erlöser bist.

Axel: Die Zweige an dem Baume deiner Wissenschaft sind verdorrt. Was für Früchte könnten aus seinen erfrorenen Blüten heranreifen?

Meister Janus: Begreifen zu können, das ist der Widerschein der Schöpfungskraft. Wünschest du es mit anderen Worten gesagt zu haben? Nimm deine Lektüre wieder auf. Vielleicht wird dieses Buch dir bessere Antwort geben, wie ich dies vermag: ich biete nur das, was genügt.

Axel (tritt an den offenliegenden Folianten heran und liest mit lauter Stimme): Wenn du nur selbst es willst, so kannst du die Vollendung erreichen! Kannst den alles beherrschenden Willen erringen, der die Mächte der Natur bändigt und verwandelt, die Herrschaft über die verborgenen Kräfte, den Besitz der höchsten Tugend, Befreiung von allen widerwärtigen Versuchungen! Du kannst eins werden mit dem Urgrund allen Seins, mit der Allmacht, die das Weltall regiert – jener Macht, die du kraft deines Willens besiegt hast, und die nun eins mit dir geworden ist.

Ein befreiter Genius wirst du, von deinem himmlischen Instinkt getragen, über die Sitze der Seligen wegschreiten, die nur ein Vorhof des Geistes der Welt sind. Ganz durchdrungen von deinem Ideal, mit dem du dich selbst identifiziert hast, geläutert durch die Prüfungen der Aszese und die Astralflammen, wirst du dir der Macht, die du ausstrahlst, voll bewußt sein. Gleich unerreichbar für die Rufe des Todes wie des Lebens, bist du eine freie, unfehlbare, herrschende Kraft geworden. (Er träumt eine Weile, dann in melancholischem Tone:) Oh, all diese Versprechen, die doch nur auf die günstige Komplikation so vieler Zufälle begründet sind – und die mir dann in Ausdrücken einer überzeugenden und kühnen Feierlichkeit dargeboten werden! Wer aber gibt mir eine Garantie dafür, daß es mir gelingen wird, jemals diesen glorreichen Zustand zu erreichen? Wenn ich mich selbst prüfe – was bin ich denn? Ein Schilf, dessen Dauer nach Tagen zählt, ein Geschöpf der Stunde, ein Stückchen Menschheit ... und was bedeutet die Menschheit? – – (Er lächelt verächtlich.)

Meister Janus: Sie hat dir das Lächeln geschenkt, mit dem du soeben, die Mahnungen deines Gewissens verachtend, ihre mütterliche Würde verleugnet hast.

Axel (düster): Bin ich denn ein verworfener Geist, ein Strohhalm, ein Kind?

Meister Janus: Erhebe dich über dich selbst. Aber nein, deine Seele hat die Schwungkraft verloren, es ist das Gewicht dieses Goldes, das ihr anhaftet und sie herunterzerrt. Du gehorchst nur noch den niedrigsten Instinkten, die in dir gären, und der Aufruhr deiner Gefühle, die Unzufriedenheit mit dir selbst, ist schon eine Strafe deines Wankelmutes.

Axel: Meister Janus!

Meister Janus: Ach! Wähle, ich warte darauf. Dein Schweigen wird mir genügen. Nur ein Wort der Gleichgültigkeit und des Zornes, und ich werde dich für immer verlassen haben.


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