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Erster Teil.
Die religiöse Welt

I. »... und zwingt sie einzutreten!«

Der Chor in der Kapelle einer alten Abtei. Im Hintergrund ein großes vergittertes Fenster. Links vier Reihen von Chorstühlen, die amphitheatralisch geordnet sind und sich unmerklich bis zu dem hohen, runden Gitter erheben, das durch Draperien geschlossen und verhüllt wird. Im Hintergrunde, ganz nahe bei dem Gitter, befindet sich eine niedrige Tür mit steinernen Stufen, die zum Kloster führt.

Rechts, den Chorstühlen gegenüber, führen sieben Stufen zu dem Vorhofe des Hochaltars, der jedoch unsichtbar ist. Auf der zweiten Stufe eine Glocke und goldene Weihrauchgefäße, etwas höher Blumenkörbe. Die Kapelle wird nur matt durch die ewige Lampe erhellt; große, mit Votivtafeln bedeckte Säulen stützen den Bogen des Chores; die Kanzel ist von weißem Marmor.

Unter der ewigen Lampe steht eine von einem langen Schleier verhüllte menschliche Gestalt, ihre nackten Füße stecken in Sandalen. – Durch die im Hintergrund befindliche Tür treten die Äbtissin und der Archidiakon, letzterer in priesterlicher Kleidung.

Der Priester kniet vor dem Altare nieder und versenkt sich in ein stilles Gebet. Die Äbtissin nähert sich der verschleierten Gestalt und reißt mit rauher Hand den Schleier von ihrem Haupte.

Ein Antlitz von wunderbar geheimnisvoller Schönheit erscheint: es ist das Antlitz einer Frau. Unbeweglich, mit verschränkten Armen und gesenkten Augenlidern, steht sie da. Die Äbtissin läßt einige Sekunden lang den Blick schweigend auf ihr ruhen.

Erste Szene

Sara, die Äbtissin, der Archidiakon, später Schwester Aloisia.

Die Äbtissin: Sara! Die Stunde der Mitternacht naht heran; nicht lange mehr, und der Klang der Glocken, die das Weihnachtsfest einläuten, wird erschallen und unsere Seelen mit heiliger Freude erfüllen. Unsere Gebete werden auf den Flügeln des Gesanges himmelwärts steigen. Ehe nun diese feierliche Stunde erscheint, ist es notwendig, daß ich dich von dem heiligen Entschlusse in Kenntnis setze, den ich über deine Zukunft getroffen habe.

Erinnere dich, Sara, daß deine Eltern, als sie sich dem Tode nahe fühlten, mich auf ihr Schloß beriefen, um dich meiner Obhut anzuvertrauen. Seit sieben Jahren lebst du in diesem Kloster, frei wie ein Kind in einem Garten. Du hast jedoch niemals kindliche Spiele gekannt, und ich erinnere mich nicht, dich jemals lächeln gesehen zu haben. Was verbirgt sich hinter diesem seltsamen, der Einsamkeit zugetanen Wesen, das nur für das Studium Interesse zu haben scheint? Ist es das fortwährende Lesen unserer alten Bücher, das dir den Sinn getrübt hat? –

Höre mich an, Sara; du hast eine schwer verständliche, düstere Seele. Von deinem immer bleichen Gesichte leuchtet der Widerschein eines unbändigen alten Stolzes. Er schlummert in dir ... – oh, die Melodien, die du der Orgel zu entlocken verstehst, haben dich mir verraten! ... Sie sind so düster, daß ich Schwester Aloisia habe bitten müssen, statt deiner die Orgel zu spielen. – Trotz der Zurückhaltung und der Einfachheit deiner seltenen Worte und aller deiner Handlungen habe ich dich aufmerksam beobachtet und über dich nachgedacht. Ich fühle jedoch, daß ich dich nicht kenne. Du unterwirfst dich mit einer Art schweigender Gleichgültigkeit den Gebetsübungen unseres Ordens. – Hüte dich davor, daß dein Herz sich nicht verhärte!

Meine Tochter, du bist wie eine in einem Grabe trüb brennende Lampe: ich will dich mit neuer Hoffnung beleben. Ein Leben ohne Gebet ist eitel. Du hast nun das dreiundzwanzigste Jahr deines Lebens erreicht. Das, was dir not tut und allein dich retten kann, ist die Ablegung deiner Gelübde und die heilige Ölung. Du mußt Gott ganz angehören, der allein unruhigen Herzen den Frieden schenkt. Ganz gewiß, nach menschlichen Gesetzen müßte ich es zugeben, daß du frei bist, uns zu verlassen; aber nach göttlichem Gesetze kann ich, deren Obhut deine Seele anvertraut wurde, dich nicht in die Welt und das Leben eintreten lassen, dich, die du schutzlos, dabei reich und auch schön bist, den Versuchungen aussetzen, deren Zauberkraft mir ebenso bekannt ist wie die furchtbaren Enttäuschungen, die ihr Gefolge sind. – Habe ich nicht, nachdem du meiner Sorge anvertraut worden, das Recht, ja die Pflicht, unter solchen Umständen so zu handeln, wie es dein wirkliches Glück verlangt, um so mehr, da du unfähig bist, zu erkennen, was zu deinem Heile notwendig ist? Wer sich einem weltlichen üppigen Leben ergibt, wird unfehlbar ein Opfer der Verzweiflung, und selbst wenn du später auch den Willen haben solltest, zu uns zurückzukehren, so würde dir doch die Kraft dazu fehlen. Ich muß daher vorzubeugen suchen. Was, du taumelst, ohne dir dessen bewußt zu sein, dem Rande des Abgrundes zu, und ich sollte nicht das Recht haben, dich vor dem jähen Sturze zu bewahren? Es würde eine sündhafte Schwäche bedeuten, wenn ich mich da enthalten wollte, handelnd einzugreifen, eine Schwäche, für die man mich noch beim Jüngsten Gerichte zur Rechenschaft ziehen würde. Ich sollte dich nicht zurückhalten, wenn du dich in dein Verderben stürzen willst? Ohne Vormund, ohne Familie und mit diesem feurigen Geiste, der sich hinter deinen gesenkten Lidern verbirgt, willst du in das Leben außerhalb dieser Mauern treten? Nein, nein, du bist unfähig, in der Welt ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen. – Ich beabsichtige daher, dich an diesem Abend zur Gottesbraut zu machen und dich dem Herrn zu opfern. Ja, noch in dieser Nacht!

(Pause.)

Meine Tochter, als ich vor drei Monaten mit dir über diese Angelegenheit sprach, habe ich eine abschlägige Antwort von dir erhalten. Ich habe mich darauf gezwungen gesehen, dich in strenger Haft zu halten, dir ernste Entbehrungen und Strafen aufzuerlegen. Während du resigniert und schweigend meinen Befehlen gehorchtest, habe ich unausgesetzt für dich beten lassen, und ich habe selbst meine inbrünstigen Gebete und heißen Tränen dem Herrn, der alles vergibt, zum Opfer dargebracht.

Zwinge mich also nicht, noch strengere Maßnahmen anzuwenden, um dich zur Erkenntnis dessen zu bringen, was dir not tut, und dich sozusagen gewaltsam dem Himmel zuzuführen. Heute, am Vorabende des Weihnachtsfestes, habe ich dich aus deinem Kerker holen lassen, ich habe diese gesegnete heilige Nacht auserwählt, um dich unter Kerzenschein, Blumen und Weihrauchduft dem Heiland zu vermählen. Du wirst die herbe Himmelsbraut sein, deren Hochzeitsfest wir heute feiern.

Und dann wird die göttliche Gnade sich auf dich herabsenken; du wirst alles vergessen, was deinen Geist beunruhigt hat; du wirst die ganze Macht der göttlichen Liebe erkennen lernen; und der Tag wird kommen – vielleicht ist er nicht mehr allzu fern – an dem du bei der Erinnerung an diese heilige Stunde mich zitternd umarmen wirst, während Tränen der Freude und des Entzückens deine Wangen benetzen, und die Gott geweihten Jungfrauen, die heute abend mit dir unter dem Schatten dieses Altars sich vereinigen, werden Zeugen dieses erhebenden Schauspiels sein. Dann erst wirst du ganz und voll verstehen, was ich zu tun gewagt, und was zu vollbringen ich auf mich genommen habe. – Gehe hin in Frieden! (Sie wendet sich ab.) Schwester Laudatio, zünde die Kerzen an. (Während des Endes der ersten Szene erhellt sich allmählich der Altar.)

Jetzt, meine Schwester und geliebte Tochter, noch eins. Wie ich dir bereits gesagt habe, gehörst du zu den Reichen der Welt. Wer aber in unseren Orden eintritt, der muß nicht nur dem Stolze entsagen, sondern sich auch aller irdischen Güter entäußern. Wir sind arm; aber wir sind es, weil wir alles, was wir haben, den Armen geben. Man hat dir Schlösser, Paläste, Wälder, Wiesen und Felder vermacht. Hier ist die Urkunde, durch die du all deinen Gütern zum Besten unseres Ordens entsagst. Hier ist eine Feder. Unterzeichne! –

(Sara löst die verschränkten Arme, nimmt die dargebotene Feder und unterzeichnet mit gleichgültiger Miene.)

Die Äbtissin (läßt den Blick auf Sara ruhen, die in unbeweglicher starrer Haltung dasteht): Danke. (Für sich und langsam sich dem Archidiakon nähernd.) Möge Gott mich sehen – und richten. (Bei dem alten Priester angekommen, berührt sie leicht dessen Schulter und flüstert, sich über ihn neigend, ihm einige Worte zu.)

Der Archidiakon (sich erhebend und mit leiser Stimme): Das Fasten, das Gefängnis und das tiefe Schweigen dienen dazu, das Licht in diesen stolzen, umnachteten Seelen zu erwecken: es mußte so sein, es war notwendig. (Laut und zu Sara herantretend): Sara, Schwester Emanuela im Herrn! Wir haben um dich gebangt und gefürchtet, daß du von dem bösen Geiste besessen seiest, aber nun zweifeln wir nicht mehr an dir. An einem Tage wie dem heutigen sollen wir uns aller Unruhe und Sorge um dich begeben, denn, indem du dem Reichtum entsagst und alle von Gott in deine Hand gelegten Güter willig zum Opfer bringst, hast du dich in unseren Augen gereinigt und jeden Verdacht der Lauheit von dir gewälzt. Diese Opferfreudigkeit spricht zu deinen Gunsten und versöhnt uns mit deinen Fehlern und deiner zur Schau getragenen Gleichgültigkeit. Ich zögere nicht, dich in den Verband der frommen Jungfrauen aufzunehmen, die fortan deine Schwestern sein werden. Sie und wir haben längst in dir eine Berufene und Auserwählte des Herrn erkannt. Dein Noviziat ist beendet.

Die Äbtissin: Meine Tochter, wir werden dir ein hochzeitliches Gewand anlegen und deine Stirn mit der Krone der Himmelsbräute schmücken, als Symbol deiner Vereinigung mit dem Herrn. Dann wirst du an diese Stelle zurückkehren, wo du mit Freudenhymnen empfangen wirst. Als Zeichen, daß du für immer aus der Welt geschieden und für sie gestorben bist, wirst du dich hier vor dem Altare niederlegen, und wir werden das Leichentuch über dich decken. Unter dieser Steinplatte ruht die glückselige heilige Frau, die einst dieses Kloster gegründet hat, du wirst, ehe du deine Gelübde ablegst, in heißem Gebete die Fürbitte dieser Heiligen erflehen. Sobald du dann dich erhoben und deine Gelübde abgelegt hast, muß nach den Regeln unseres Ordens dein Haar unter der Schere fallen. Dann wird man dich mit dem Ordenskleide umhüllen, das du nicht eher ablegen wirst, bis du das Ende deiner irdischen Prüfungstage erreicht hast.

(Eine junge Nonne, fast noch ein Kind, mit reizendem Gesichte, und in weiß und blauen Ordenskleidern, erscheint hinter dem Altare. Sie ist sehr blaß. Ihr Blick ruht auf Sara.)

Ich werde nun bald in die Ewigkeit abberufen werden: du wirst mein Elfenbeinkreuz erben, und dann wirst du so handeln ... wie ich es jetzt tue. (Sich umwendend.) Tritt näher, Schwester Aloisia. (Die Nonne tritt näher.)

Zweite Szene

Dieselben, Schwester Aloisia.

Die Äbtissin (fortfahrend): Schwester Aloisia! Hier ist die Gefährtin, die vor allen anderen von dir bevorzugte Schwester, die du so zärtlich liebst, und die unsere über alles teure Tochter ist. Deine Stimme wird ihr süßer erklingen, wie die meine, und ich rechne darauf, daß es deinem guten Zuspruch gelingen wird, alle etwaigen Versuchungen und Zweifel abzuwehren, die vielleicht noch in dieser letzten Stunde ihr Herz bedrängen und beunruhigen könnten. – Du liebst sie sehr, nicht wahr?

Schwester Aloisia (ernst): Ja, meine Mutter.

Die Äbtissin: So vertraue ich sie deiner Liebe an. Du wirst im Oratorium bis ein Viertel vor zwölf Uhr mit ihr wachen und beten.

(Die Äbtissin tritt zu der Kanzel, an deren Stufen der Archidiakon steht. Schwester Laudatio hat eine Lampe gebracht und auf die Armlehne eines der Chorstühle gestellt, der Priester durchfliegt die Urkunden und Papiere.)

Schwester Aloisia (beiseite und sich Sara nähernd): Mein Gott ... (Sie legt die ineinander verschlungenen Hände auf Saras Schulter und spricht schüchtern und mit leiser, kaum vernehmbarer Stimme auf diese ein:) Sara, erinnerst du dich unserer Rosen auf der Allee des Friedhofs? Unerhofft bist du mir als Schwester erschienen! Nächst Gott bist du allein es, der mein ganzes Herz angehört. Wenn du es willst, daß ich sterben soll, werde ich sterben. Erinnere dich, wie ich abends beim Sonnenuntergange meine heiße Stirn auf deine bleichen Hände stützte! Ich bin trostlos, dich gefunden zu haben! Ach, du bist die Heißgeliebte meines Herzens! Ohne dich verfalle ich in tiefste Melancholie. Alles zieht mich zu dir hin – ohne dich bin ich nichts mehr. (Pause.) Gib nach, nimm den Schleier, wie wir es getan. Du weißt es ja doch, daß wir nicht ohne dich leben können. Bald, bald werden wir in demselben Himmel vereinigt sein! ... Komm zu uns. Ich selbst will dich als Gottesbraut und wie ein himmlisches Wesen schmücken. Der Schmerz hat mir Reize verliehen, und du wirst mich nicht mehr traurig zurückstoßen, wenn dein Blick auf mir ruht. Oh, woher soll ich Worte nehmen, dein Herz zu erweichen? Sara, Sara!

(Schweigend löst Sara die verschränkten Arme; sie neigt die Stirn auf die der Novize. Diese erfaßt ihre Hand, und beide durchschreiten das Heiligtum.)

Schwester Aloisia (mit von Tränen erstickter Stimme und noch leiser wie vorher sprechend): Oh, stütze deine Stirn nicht auf mich! ... Meine Knie schwanken ...

(Sara hat sich aufgerichtet und unterstützt mit einer Hand Schwester Aloisia, die weiß wie ihr Schleier geworden ist; beide entfernen sich langsam durch die seitwärts gelegene Tür.)

Die Äbtissin (aufrecht stehend und sich an eine Säule lehnend, folgt ihnen mit nachdenklichem Blicke): Es ist geschehen! Dieses harmlose Kind verspürt bereits die Entzückungen und die wollüstigen Freuden der Hölle. Sie erliegt der Versuchung des Engels der Finsternis. Die außerordentliche gefährliche Schönheit Saras raubt diesem unschuldigen Herzen die Ruhe und verwirrt es. (Nachdenkend.) Schwester Aloisia soll ihr heute nacht das Haar selbst abschneiden; bis zum Dreikönigstage soll Sara, ohne Schleier und ihres herrlichen Haarschmucks beraubt, einhergehen.

Der Archidiakon (auf die Äbtissin zugehend): Meine Schwester, hier sind die Erbtitel Saras de Maupers und alle Akten und Papiere, die darauf Bezug haben. Sie sind nun Eigentum des Klosters geworden. Sie repräsentieren einen ganz ungeheuren Wert, und durch die Zinsen dieses kolossalen Vermögens werden die bescheidenen Einkünfte unserer Abtei bedeutend erhöht werden. Ich lege diese Dokumente in Ihre Hände; Sie werden sie morgen der Klosterverwaltung einsenden. –

Dritte Szene

Die Äbtissin, der Archidiakon, später Schwester Laudatio.

Die Äbtissin (die Urkunden annehmend, in gleichgültigem Tone): Ich danke Ihnen, mein Vater. (In dem Augenblicke, da sie die Papiere ordnet und zusammenbindet, stutzt sie plötzlich und betrachtet die Dokumente mit aufmerksam forschendem Auge.) Was ist das? Dieses Wappen! ... Ganz gewiß, ich habe es schon früher einmal gesehen! – Dieses orientalische Wappenschild, das von zwei so unheimlich aussehenden Sphinxen gehalten wird ... Der herzogliche Helmstutz ... (Sie tritt näher zu der Lampe, neigt sich über die Dokumente und prüft sie aufmerksam.) Himmelblauer Grund – darauf der silberne geflügelte Totenkopf, umgeben von sieben Sternen, und die über dem Namen angebrachte Devise: Macte Animo! Ultima Perfulget Sola. Geheimnisvoll prophetische Worte! – Ist Sara nicht die letzte Tochter der Fürsten von Maupers? ... Aber ... die heraldische Bedeutung dieser Edelsteine oder Gemmen und Emaillen, die über dem Totenkopfe angebracht sind, ist mir völlig unerklärlich, und ich kann nicht begreifen – –

Der Archidiakon (nähertretend): Sie versuchen es, dieses mehr als seltsame, aber mehr als siebenhundert Jahre alte Wappen eines edlen Hauses zu entziffern? Ich habe eben gelesen, was die Legende davon erzählt. Es ist das Wappen der Maupers – das diese Familie in überraschender und höchst seltsamer Weise mit einem gewissen deutschen Geschlechte, nämlich dem der alten vornehmen österreichisch-ungarischen Grafen von Auersperg teilt, eine sehr berühmte Familie, die zahlreiche Abkömmlinge hat. –

Die Äbtissin (erregt): Auersperg! ... Und ... gibt es in dieser Geschichte nichts, was für Saras Erbgüter von Belang sein könnte?

Der Archidiakon (lächelnd): Ich glaube kaum; es handelt sich hier ganz einfach um die Erzählung ritterlicher Taten, die sich zur Zeit der Kreuzzüge zugetragen haben, Erzählungen, in denen das Wunderbare eine Hauptrolle spielt, und Dinge berichtet werden, die kaum mit der Wirklichkeit zu vereinbaren sind. Hier eine davon. Die Oberhäupter beider Familien waren, wie es scheint, gleichzeitig als Gesandte im Orient bei einem Sultan, dem Sultan El Kalab, wie die Chronik jener Zeit erzählt. Der eine vertrat Frankreich, der andere Deutschland. Nun befand sich in dem geheimen Rate des ägyptischen Fürsten ein Magier, der die Ritter dazu zu bestimmen wußte, die beiden Löwen, die bisher Träger des gemeinschaftlichen Wappenschildes gewesen, durch jene geheimnisvollen goldenen Sphinxe zu ersetzen. Die Devise der Auersperg ist unverständlicher wie die der Maupers, sie lautet:

AltiUs rEsurgeRe SPERo Gemmatus!

Lassen wir diese alten Traditionen ruhen. – Die Novize muß sich darauf vorbereiten, den Schleier zu nehmen, nicht wahr? Sie haben sie doch ganz genau mit dem Ritual der Zeremonien bekanntgemacht, die bei ihrer Einsegnung stattfinden werden?

Die Äbtissin (bekümmert): Fräulein de Maupers bereitet sich auf die Zeremonie vor, ja, mein Vater. – (Pause, dann plötzlich lebhaft werdend und wie einem inneren Drang nachgebend.) Ehe die heilige Handlung vollzogen wird, bitte ich Sie, Ihre Aufmerksamkeit auf ein Zusammentreffen ganz eigentümlicher Umstände lenken zu dürfen, die mich ernstlich beunruhigen. – Diese Umstände haben in mir eine Vermutung erweckt ... die so ganz außerordentlicher Art ist, daß ich schwankend bin, ob ich sie wirklich nur für eine Vorahnung oder für eine Gewißheit nehmen soll. Ich bedarf deshalb Ihres Rates, mein Vater. Es handelt sich um Sara. – Mein Vater, dieses junge Mädchen, das hoch und schlank wie eine österliche Kerze ist, erscheint mir wie ein verschlossenes Buch, in dem viele Geheimnisse enthalten sind.

Der Archidiakon: Ich selbst mißtraue diesem störrischen Lamme. Indessen denke ich immer noch, daß die strenge klösterliche Zucht auf die Dauer schon dieses wilde Kind bezwingen, – ich meine, sie zu uns zurückführen wird. Ja, ich hoffe, daß durch Gottes Gnade und weise Führung alles gut gehen wird. Aber sagen Sie mir, ist ihr Betragen wirklich so tadelnswert?

Die Äbtissin: Sie ist absolut kalt und gleichgültig. Ich habe sie oft bestraft, um ihre Standhaftigkeit zu prüfen. Sie hat alles hingenommen; aber ich sage Ihnen, mein Vater, daß ihre Unterwerfung eine rein äußerliche ist. Die Strafe verhärtet sie nur und bestärkt sie in ihrem Stolze. (Sich unterbrechend und wie für sich hinredend.) Dieses Mädchen ist wie eine Stahlklinge, die biegt oder bricht; sie hat, wenn es erlaubt ist, einen solchen Ausdruck zu gebrauchen, eine Seele wie ein Degen. Und mehr als einmal hat ihr Anblick mich mit einer seltsam geheimnisvollen Angst erfüllt.

Der Archidiakon: Hat sie es jemals versucht, aus der Abtei zu entfliehen?

Die Äbtissin (den Kopf schüttelnd): Sie fühlt sich Tag und Nacht auf das strengste beobachtet und sie weiß ganz genau, daß wir sie bei jedem Fluchtversuch in engster Haft halten würden.

Der Archidiakon (sie prüfend anblickend, nach einem Augenblick): Man muß sich, wenn man derartige Urteile fällt, sehr hüten, daß man nicht durch solche Reden selbst unter die Herrschaft des Teufels gerät. Es wird gut sein, Schwester Emanuela von den Maßregeln, die man gegen sie eventuell in Anwendung bringen würde, genau in Kenntnis zu setzen; das ist alles, was not tut.

Die Äbtissin (mit müdem Lächeln, kalt): Unter die Herrschaft des Dämons? ... Nun denn, mein Vater, so mögen Sie selbst urteilen. Ich werde Ihnen die Ereignisse, die sich zugetragen, in genauester Folge mitteilen. Ich finde sie ... sehr beunruhigend. (Sie setzt sich, stützt den Arm auf die Lehne eines der Chorstühle und denkt einige Augenblicke nach; dann erhebt sie langsam ihre Augen zu dem Archidiakon, der ihr gegenübersteht.) Sie wissen, mein Vater, daß vor drei Jahrhunderten während eines Krieges diese Abtei vorübergehend von der sehr alten Sekte der Rosenkreuzer bewohnt wurde. Sie haben in der Bibliothek verschiedene alte Werke zurückgelassen, die, wie sie sagten, sich auf tyrische Dialekte, längst vergessene Idiome bezogen, die in Gheser oder Tadmor gesprochen wurden. Was verstehe ich davon? – Ist es nun nicht höchst sonderbar, daß ich Sara oft ganz vertieft in das geduldige Studium dieser alten Werke gefunden habe? – Ach, ich bitte Sie, halten Sie diesen Moment fest, Sie werden sehen, daß er von Interesse für Sie ist.

Der Archidiakon (zuerst lächelnd, dann allmählich sehr ernst werdend): Tatsache ist, daß sie natürlich viel besser daran getan hätte, sich mit ihrem Gebetbuche zu beschäftigen. Was diese Bücher betrifft, so sind sie ja allerdings weit davon entfernt, sie in ihrem Glauben befestigen zu können ... man muß sie daher vernichten ... sie müssen morgen verbrannt werden ... Die Rosenkreuzer waren einer seltsamen Art von Geheimschrift kundig, die sie anwendeten, um ihre Dokumente vor dem Scheiterhaufen zu retten. Sie verstanden es, unter scheinbaren Gebeten und frommen Werken ihre gotteslästerlichen Lehren und Geheimwissenschaften zu verbergen ...

Die Äbtissin: Diese Bücher sind jetzt – aber leider wohl zu spät – in meiner Zelle. – Hören Sie weiter: Vor drei Jahren, es war, wie ich mich genau erinnere, am Tage vor Mariä Reinigung, kam ich eines Morgens ziemlich früh in die Bibliothek; dort fand ich dieses seltsame junge Mädchen. Trotz der in dem ungeheizten Raum herrschenden scharfen winterlichen Kälte, hatte sie die ganze Nacht in der Bibliothek verbracht. Sie hatte mich nicht kommen sehen und bemerkte es nicht, daß ich sie beobachtete. Sie war damit beschäftigt, an ihrer Lampe das erste Blatt eines alten Missales zu verbrennen, es war das erste auf Pergament geschriebene Blatt jenes gotischen Gebetbuches mit den Emailschließen, das uns seinerzeit durch einen Gesandten seiner Hoheit des Patriarchen Pol unserem frommen, alten Bischof als Geschenk aus Deutschland geschickt wurde.

Der Archidiakon: Ja ... ich erinnere mich dessen ... er sandte das Buch durch einen ungarischen Arzt, den der Patriarch selbst übrigens nicht kannte und auch niemals nur gesehen hat: – einen gewissen Doktor ... Janus.

(Die sieben Flammen der vor dem Allerheiligsten brennenden Lampe flackern hell auf und verlöschen dann plötzlich, und alle zu gleicher Zeit.)

Die Äbtissin (mit rufender Stimme): Schwester Laudatio! ... Schnell! – Die Lampe! die Lampe! ... Woher kommt ihr Verlöschen? Du wirst im Refektorium Buße für deine Nachlässigkeit tun.

(Schwester Laudatio kommt händeringend herbeigelaufen.)

Schwester Laudatio (verwirrt, mit beinahe krankhafter Angst): Meine Mutter! Ich habe es vergessen, sie heute abend zu füllen. Es ist wahr! Ach solange ich die Schlüssel an meinem Gürtel trage, ist mir das noch niemals passiert. (Sie füllt schweigend die Lampe und steckt sie wieder an; dann zieht sie sich hinter den Altar zurück.)

Der Archidiakon: Sie meinten also, meine Schwester, daß Sara dieses Pergamentblatt zerstört habe?

Vierte Szene

Der Archidiakon, die Äbtissin allein.

Die Äbtissin: Mein Vater, können Sie sich einigermaßen des Blattes erinnern, von dem ich spreche? Es war mit ganz eigentümlich gebildeten Schriftzügen bedeckt, denen wir damals wenig Aufmerksamkeit zollten, da sie in einer uns fremden Sprache geschrieben waren, die wir nicht zu übersetzen vermochten.

Der Archidiakon: Wirklich, nun, es war wohl zweifellos ein frommes Gebet?

Die Äbtissin (immer nachdenklicher werdend): Diese Schriftzüge glichen seltsamerweise jenen, mit denen die Bücher der Rosenkreuzer geschrieben sind! – Dieses Pergamentblatt war dem Missale nur angeheftet und es war mit einem Siegel versehen, das dasselbe Wappen trug, mit dem diese Papiere gezeichnet sind. (Sie zeigt auf die Besitzurkunde.)

Der Archidiakon (nach einem Augenblick): Ich verstehe noch immer nicht, was Sie sagen wollen. Fahren Sie fort, meine Schwester. Welche Bedeutung legen Sie dieser unbedeutenden, vielleicht sogar lobenswerten Handlung bei?

Die Äbtissin (starr vor sich hinblickend und wie mit sich selbst sprechend): Die Züge Saras waren in jenem Augenblicke mit dem Ausdrucke einer geheimnisvollen Freude erfüllt, einer unendlich großen, aber schrecklichen Freude. Nein, das, was sie da eben gelesen hatte, ist kein Gebet gewesen! ... Ihr Anblick machte einen fast feierlichen, geheimnisvollen und unvergeßlichen Eindruck. – Meine Augen in die ihren versenkend, redete ich sie plötzlich an. – Sie erwiderte, langsam die Augen erhebend, meinen Blick mit einer so vollständig starren, kalten Gleichgültigkeit, daß ich den Eindruck einer drohenden Gefahr empfand. Sie beantwortete meine Frage nach einer längeren Pause, und tief erbleichend mit den Worten, daß sie soeben eine eitle Erinnerung des Stolzes vernichtet habe, nämlich ihr eigenes Wappen, das sie auf diesem Blatte gefunden habe. – Ein verdächtiger Eifer! – Ich habe den Brief des Patriarchen noch einmal gelesen, um mich von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen. Das Buch stammte in der Tat von der dahingeschiedenen Schloßherrin von Auersperg – wodurch die Worte Saras ja erklärt sein würden ... Ich gestehe Ihnen indessen, mein Vater, daß mich in jenem Augenblicke, jäh wie ein Blitz, ein Gedanke durchzuckte, ein Gedanke, den ich nicht wieder los werden kann ... oh, es ist vielleicht ein verwirrter – sogar ein abergläubischer Gedanke, indessen verfolgt er mich unausgesetzt. Der Verdacht, den ich gegen Sara nähre, kann uns vielleicht zum Schlüssel dieses undurchdringlich ernsten und kalten Charakters werden. Haben Sie nicht selbst, wie ich es so oft getan, sie beobachtet, wie sie still und traumverloren wie eine Geistesabwesende durch die Bogengänge des Klosters schritt?

Der Archidiakon (sie aufmerksam anblickend): Sie denken, daß dieses junge Mädchen ...

Die Äbtissin (die sehr traurig geworden ist): Ja, es ist meine innerste Überzeugung, ich denke, daß Sara de Maupers durch einen verhängnisvollen Zufall in den Besitz eines düsteren Geheimnisses gekommen ist, eines folgenschweren und wichtigen Geheimnisses – ja, mein Vater, ja, und glauben Sie es mir, dieses große Geheimnis ist ihr zweifellos durch jenes Pergamentblatt kundgeworden, das sie zerstört hat.

Der Archidiakon (nach einer kleinen Pause): Sagen Sie mir, wird dafür Sorge getragen werden, daß bei der heute abend stattfindenden Feier die Pforten der Kirche wohl verschlossen sind?

Die Äbtissin: Das Portal der Kirche wird durch Eisenstangen geschlossen. Das Schiff wird leer bleiben. Die Seeleute und die Dorfbewohner werden die Mitternachtsmesse in der Stadt hören.

Der Archidiakon: Nun wohl. Sobald sie ihr Gelübde abgelegt hat, wird es notwendig sein, sie auf das strengste zu überwachen.

Die Äbtissin (halblaut): Ja, aber – – ich glaubte und mußte glauben, daß diese Seele Ihnen nicht so ganz unbekannt sei! Verrät sie sich denn nicht – wenn sie im Beichtstuhl zu Ihren Füßen liegt – –

Der Archidiakon (sie unterbrechend): Darauf kann ich Ihnen keine Antwort erteilen. Sprechen wir von dem, was wir wissen. Wenn eine Novize ihr Gelübde ablegt, so wird sie mit besonderer Gnade gesegnet, und wir sehen ja, wie sehr Sara der Gnade des Himmels bedarf. Ich habe große Angst, daß Kasteiungen und das völlige Abtöten des Fleisches für sie zur Notwendigkeit wird ...

Die Äbtissin (ruhig): Gewiß, sie muß gerettet werden, und zwar vor sich selbst, und wenn in ihrem Herzen ein höllisches Unkraut wuchert, so muß es zu ihrem eigenen Heile ausgerissen werden! Und sehen Sie, mein Vater, wie weit die wahrhaft verführerische Macht dieses jungen Mädchens geht. Ich hatte die jüngste unserer Laienschwestern, Schwester Aloisia, ein einfaches Herz und eine wahre Engelsseele, dazu auserwählt, ihre Gefährtin zu sein. – Ich hoffte dadurch früher oder später vielleicht einige ihr unvorsichtigerweise entschlüpfte Worte zu erfahren, die mir Aufklärung über Saras beunruhigenden Charakter bringen würden. – Was aber ist geschehen? Etwas ganz Unerwartetes und Unwahrscheinliches. Das reizende Gesicht, die ganz ungewöhnliche Schönheit Fräuleins von Maupers' haben einen seltsamen Zauber auf Schwester Aloisia ausgeübt: sie ist ganz still davon geworden und geht in sich gekehrt und wie geblendet umher.

Der Archidiakon (zitternd): Nehmen Sie sich in acht. Die unreinen Fiber der Erde und des Blutes entfesseln einen trüben Nebel, der die Luft der Seele verdüstert, und ganz plötzlich das Angesicht Gottes verbirgt. – Selbst Fasten und Beten sind in solchen Fällen zuweilen ohnmächtig! ... Das ist eine gefährliche Sache, eine sehr gefährliche Sache! (Schaudernd.) Es ist grauenhaft!

Die Äbtissin (in eiskaltem Tone): Mein Vater! Ich habe anderen Gefahren getrotzt und sie überwunden. Während Sie in dieser Nacht die Totenmesse für Sara lesen, wird gerade Schwester Aloisia ihr Bürge im Verhöre sein. Ich habe sie zur Interpretin der Büßerin erwählt. Was nun Ihre Ansprache an Sara betrifft, mein Vater, so könnten Sie zu ihr reden, als ob es das Herz und den Geist einer Ungläubigen zu rühren gälte, besonders ihren Geist, ich halte ihn für ebenso abstrakt wie tief. Meine Herde weißer Seelen wird Sie überhaupt gar nicht verstehen, es ist also kein Skandal zu fürchten, nur sie allein, davon bin ich überzeugt, wird Ihnen in die Abgründe des geistigen Examens folgen, die ihr nur zu bekannt sind.

Der Archidiakon (sehr überrascht und mit halbem Lächeln): Was ist das! Was sagen Sie da? – Träumen Sie?

Die Äbtissin: Ach, wenn ich es wagen dürfte, Ihnen alles zu enthüllen, was ich denke! Wenn ich hinzufüge, daß Saras umfassendes Wissen, das sie oft genug in ihren zutreffenden, genauen Antworten verraten hat, mich – leider zu spät – davon überzeugt hat, daß es nicht richtig von mir war, ihr freie Hand zu lassen und ihr zu gestatten, nach Belieben in jenen alten Schmökern herumzustöbern. Ihr ganz ungewöhnlicher Verstand befähigte sie ohne jede weitere Anleitung, in die Geheimwissenschaften zu dringen, die dort oben in tausenden verschiedenen Werken verborgen sind.

Der Archidiakon (der nachdenklich geworden ist): Geheimnisvolles, seltsames Mädchen, das sich durch so viel alte Bücher reizen und verführen lassen konnte.

Die Äbtissin: Ich bitte Sie, das, was ich Ihnen sage, sehr ernst zu nehmen: Ich glaube, daß Sara mit einer schrecklichen Macht begabt ist, sie besitzt Intelligenz.

Der Archidiakon (sehr ernst): Dann möge sie zittern, wenn sie nicht eine Heilige wird! Durch Intelligenz sind so viele Seelen verlorengegangen! Besonders für Frauen bedeutet diese Gabe viel mehr ein Joch, wie eine Fackel! ... Vor allem darf es Sara fortan nicht mehr gestattet werden, zu lesen, bis ihr Glaube sich völlig befestigt hat und sie von der Nichtigkeit allen menschlichen Wissens durchdrungen ist. Sie hätten mich allerdings von ihrem eigentümlichen Charakter viel eher in Kenntnis setzen müssen. Für heute abend muß ich mich darauf beschränken, meine Ansprache und Ermahnungsrede an Sara so glänzend wie nur möglich zu gestalten. Die jungen, durch zu frühzeitiges Nachdenken verdüsterten Geister sind es, die für das Flittergold der Rhetorik am empfänglichsten sind. – Die Redekunst! als ob sie nicht allen denen untertan wäre, die ein Vaterunser zu sprechen verstehen! Als ob zum Beispiel das blendende Wort des heiligen Paulus: » Omnis christianus Christus est« noch irgendeines Schmuckes oder einer Auslegung bedürfte! Ach! ich verstehe den guten Chrysostomus und die Tränen des Mitleids und der Scham, die er vergossen, als er sah, wie seine Getreuen, anstatt sich an den wesentlichen Sinn seiner Worte zu halten, vielmehr wie in einem Theater nur deren Harmonie und schimmernde Außenseite, ihre sinnliche Schönheit und Phraseologie bewunderten. Wie erflehte er die Vergebung Gottes für sie wie für sich, eines so lächerlichen Skandals wegen. Nein, tüchtige Geißelhiebe, lange demütige Gebete, einsame Haft und andauerndes Fasten, das sind die Mittel, die unseren Glauben festigen, uns im Tode angerechnet werden, und unseren Geist auf das Jenseits vorbereiten. – Also! es gilt heute meine ganze Beredsamkeit aufzubieten, um diese Seele zu retten, die in Gefahr steht, verloren zu gehen ... (Verächtlich.) Also – ich werde beredt sein. Nachdem ich, wie dies üblich, die pedantischen Zitate der heiligen Scholastik erschöpft habe, werde ich es wagen, als Redner gegen ihre sündhafte Unentschiedenheit zu kämpfen – ohne jedoch das große prophetische Wort des Psalmisten zu vergessen: » Quoniam non cognovi litteraturum, introibo in potentias Dei.«

Die Äbtissin: Ich halte Sie trotz alledem für sehr gut vorbereitet! Vielleicht versucht sie es eben jetzt zu beten! – Sehen Sie, sie hat doch eben erst die Schenkungsurkunde unterzeichnet und in meine Hände gelegt, durch die sie allem irdischen Besitze entsagt.

Der Archidiakon (die Schenkungsurkunde ansehend): Ha, das ist wahr, ich vergaß das; oh, wieviel Armen können wir mit diesem Gelde Speise verschaffen, hunderten! Und wie viel Pilger können wir unterstützen. Ja, vielleicht ist sie wirklich in hervorragender Weise durch Gottes Gnade erleuchtet worden. Vielleicht ist unsere Angst grundlos, und lassen wir uns von argwöhnischen Gedanken quälen, die der böse Geist bei feierlichen Gelegenheiten in uns zu erregen weiß, um unser Gemüt zu beunruhigen und uns zu quälen.

Die Äbtissin: Wieviel Krankenbetten können wir stiften! Wieviel Weißbrot und stärkenden Wein für die Armen und Elenden beschaffen! Wieviel Gutes können wir mit diesem dem Bösen entrissenen Reichtum tun.

Der Archidiakon (träumerisch): Die Waffen der Gottlosen richten sich also gegen sie selbst. Friede sei mit uns!

(Beide knien vor dem Altar nieder und erheben die Arme himmelwärts.)

Die Äbtissin und der Archidiakon (zusammen und mit erhobener Stimme): Ehre und Ruhm sei dem Gotte der Traurigen und Elenden, der den Samariter mit seinem Geiste erfüllte!

Chor der Nonnen (von draußen, langsam näher kommend und in psalmodierendem Tone):

O virgo! mater alma! fulgida Coeli porta!
Te nunc flagitant devota corda et ora,
Nostra ut pura pectora sint et corpora.

(Die zu dem Kloster führende Pforte öffnet sich; die Nonnen in weißen Festgewändern, andachtsvoll und vor Freude strahlend, erscheinen und ordnen sich in den den Altar im Halbkreise umgebenden Kirchenstühlen. Ein Greis in der Tracht eines Akoluthen [obersten Meßgehilfen] erscheint und bleibt an der rechten Ecke der ersten zum Altar führenden Stufe stehen.)

Fünfte Szene

Der Archidiakon, die Äbtissin, Schwester Laudatio, der Vikar, die Nonnen.

(Orgelspiel. Die vier Reihen der Chorstühle sind jetzt alle besetzt. Zwei Nonnen in Festgewändern nähern sich dem Altare, ergreifen die Rauchfässer und werfen Weihrauch hinein. Andere nehmen Aufstellung auf den zum Altar führenden Stufen, sie tragen gefüllte Körbe in den Händen, denen sie Hände voll Blumen entnehmen, die sie entblättern und auf den Vorhof des Altares streuen. Die Äbtissin, die ein weißes Kruzifix in den Händen hält, hat sich auf ihrem Sessel niedergelassen. Man hat ihr einen kostbaren Mantel umgehangen. Ein Lobgesang erschallt. Der Archidiakon, der mit einer prächtigen schwarzen Stola bekleidet ist, nähert sich: der Vikar kniet nieder. Ein goldenes Glöckchen ertönt. Es bedeutet den Anfang der Messe.)

Eine Nonne (allein): In te, Domine, speravi: non confundar in aeternum!

Der Chor: Amen.

Der Archidiakon: Judica me, Deus, et discerne causam meam de gente non sancta! ...

(Nach einer kleinen Pause steigt er die zum Tabernakel führenden Stufen hinauf. Die Psalminarien der Messe werden mit leiser Stimme gelesen, während man die Mitternachtsstunde erwartet; bald tönt das Offertorium: alle Nonnen erheben sich.)

Sechste Szene

Dieselben, Sara, Schwester Kalixta, Schwester Aloisia

(Das Orgelspiel dauert fort. Sara erscheint. Sie trägt eine lange Tunika von weißem Moiré und ein Halsband von Opalen schimmert auf ihrer Brust. Sie stützt sich mit einer Hand auf die Schulter der Schwester Aloisia, die sehr blaß aussieht, jedoch lächelt. Ihr üppiges schwarzes Haar ist aufgelöst und mit Orangenblüten geschmückt. Es fällt in weichen Wellen bis tief auf ihr Kleid herab. Ihr Gesicht ist starr und sieht beinahe aus, als ob es aus Stein gemeißelt wäre.

Bei ihrem Anblick streuen die Nonnen Blumen vor ihre Füße und schwenken die Rauchfässer.

Sie kommt näher, tritt vor den Altar und kniet schweigend auf dem steinernen Fußboden nieder: dann streckt sie sich, die Stirn in den verschränkten Armen verbergend, lang darauf aus.

Schwester Aloisia bedeckt sie mit einem großen weißen Tuche, das ganz mit goldenen Flecken, die große Tränen darstellen, bestickt ist. Sie umhüllt Sara vollständig damit.

Auf der ersten zum Altar führenden Stufe, zu Häupten Saras, brennt die mystische Wachskerze.)

Der Archidiakon (auf dem Vorhofe stehend und sich an die Assistierenden wendend): Ist hier eine Seele, die willig ist, ihr sterbliches Leben zu kreuzigen und sich für immer dem göttlichen Opferdienste zu widmen, den ich ihr anbiete?

Schwester Aloisia (näher tretend): Ego pro defuncta illa! Ego vox ejus! (Sie stellt sich neben Sara und singt die Formel der Konsekration:) Suscipe me, Deus! secundum eloquium, tuum, et vivam!

(Das Totenglöckchen ertönt.)

Der Vikar (der die Totenmesse zu lesen hat): Si iniquitates observaveris, Domine, Domine quis sustinebit!

Die Nonnen (langsam, mit angezündeten Kerzen in der Hand, Sara in feierlichem Umzuge umkreisend): Requiescat, et ei luceat perpetua Lux!

Schwester Aloisia (das Sara bedeckende Grabtuch mit Weihwasser bespritzend): Resurgam!

Chor der Nonnen (die weitab auf der Orgel verborgen sind): In excelsis!

Der Chor der auf der Bühne befindlichen Nonnen: Amen.

(Der alte Akoluth hat nun auf dem Vorhofe des Altares den Archidiakon mit den Insignien seines heiligen Amtes bekleidet, die die Groß-Priore der Abtei stets anzulegen pflegen, wenn sie das Gelübde einer jungen Nonne in Empfang nehmen. Einen langen, schwarzen, auf den Schultern mit Agraffen befestigten Mantel tragend, die Stirn von der Mitra gekrönt und sich auf den bischöflichen goldenen Krummstab stützend, schreitet der Archidiakon unter dem schwarzpurpurnen, mit Gold gestickten Baldachin, das von den vier ältesten, tief verschleierten Schwestern der Abtei getragen wird. Mit langsam feierlichen Schritten tritt er auf die immer noch am Boden liegende Sara zu. – Das Orgelspiel verstummt.)

Der Archidiakon: Wenn sie, die schon für die Welt gestorben ist, und die hier demütig vor Gottes Antlitz liegt, auf immer den elenden Freuden zu entsagen bereit ist, die Fleisch und Blut ihr gewähren können, so heiße ich sie am Fuße des Altares willkommen.

Schwester Aloisia (mit beiden Händen auf Sara zeigend): Ecce ancilla Dei!

(Bei diesem Worte und während der darauffolgenden Pause nähert Schwester Laudatio sich auf ein Zeichen der Äbtissin der Schwester Aloisia und überreicht ihr eine große silberne Schere. Schwester Aloisia empfängt sie und schließt schaudernd die Augen.)

Der Archidiakon (auf der dritten Stufe stehen bleibend, zu Sara gewendet): Bist du die vom Himmel berufene Magd, die bereit ist, das demütige Gelübde der Keuschheit abzulegen, in der wir hier leben? Bist du es, die mit Coecilia vor dem Throne Gottes bereit ist, zu rufen: » Fiat cor meum immaculatum ut non confundar!« die dann in wenig Tagen auf den Flügeln des Todes zum Himmel steigen wird, um sich mit den Geistern der Liebe und des Lichtes, der beata Seraphine zu vereinigen, von denen der fromme Areopagites redet? O Weib, wenn du kommst, dich zu opfern, dich aus Liebe zu Gott als freiwilliges Sühnopfer darzubringen, wirst du, wenn du zur Ewigkeit eingehst, mit deiner Liebe identifiziert werden.

(Das Totenglöckchen erklingt.)

Denn die Ewigkeit, wie der heilige Thomas so schön sagt, ist nur der volle Besitz unserer selbst in einem und demselben Augenblick. Und: »Meine Liebe, das ist mein Wort,« sagt uns der heilige Augustin.

Wenn du ein himmlisches Herz hast, so versenke dich also ganz in ihn, der die Liebe selbst ist! Glaube und du wirst leben. Der Glauben ist nach dem Ausspruche des heiligen Paulus der Kern aller Dinge, die wir erhoffen.

(Das Totenglöckchen erklingt.)

Durch den Glauben wirst du wieder geboren, du wirst in dein eigenes Loblied verwandelt werden, deine Seele wird nur noch Harmonie sein, wie die heilige Hildegard in schöner Begeisterung sagt. – Pulcher hymnus Del homo immortalis! hat auch Lactance, dieser wohllöbliche und beredte Geist, gesagt. Hasse nur eins: jedes Hindernis deiner Rückkehr zu Gott! Hasse nur die Sünde! Aber die hasse mit all deiner Kraft. Denn wie der heilige Isidor von Damiette uns in bewunderungswerter Weise auslegt, neigen sich die Auserwählten vom Himmel herab, um die Qualen der Verdammten zu sehen, und sie werden eine unaussprechliche Freude beim Anblick ihrer Mutter haben, eine Freude, ohne welche das Glück des Paradieses kein vollkommenes sein würde.

Oh, wenn du immer noch nicht den Geist unserer Dogmen verstehst, wenn deine irdische Hülle davor zittert, so soll es dir gestattet sein, dich ganz darein zu vertiefen, denn Gott hat dich mit einem so wunderbar tiefen und ausdauernden Geiste begabt, als ob du dazu berufen wärest, unseren größten Heiligen gleich zu werden. – » Negligentiae mihi videtur si non studemus quod credimus intelligere,« sagt mit glücklich gewählten Worten der heilige Anselmus. Aber studiere mit Demut und vor allem mit stets einfältigem Herzen, wenn du in der Gottesgelahrtheit Fortschritte machen willst – dann wirst du die Würde der Hoffnung bewahren, ohne welche selbst die Demut keinen vollkommenen Wert hat, und dann wird zweifellos sehr bald die göttliche Gnade dich erleuchten und dich lehren, daß das einzige Mittel, zum Verständnis göttlicher Dinge zu gelangen, das Gebet ist.

Vergiß nicht, daß du niemals ganz Geist sein kannst: selbst deine Seele, deine unsterbliche Seele, ist untrennbar von der Materie, deren sie bedarf, um ewig genießen oder leiden zu können, und wodurch sie sich von Gott unterscheidet. » Materia prima,« sagt der Engel der Schule in der fünfundsiebzigsten Frage ... Und erinnere dich, daß die Bulle des Papstes Clemens V. jeden mit der Exkommunikation straft, der es wagen wollte, auch nur etwas anderes zu träumen. Wenn also dein Begriffsvermögen sich gegen den Gehorsam, den du der Kirche schuldest, empören sollte und du Gott außerhalb suchen solltest, ach, so sage dir zu deinem Heile immer wieder das trübe Geständnis eines heidnischen Redners vor: »So groß ist die Eitelkeit und die Schwäche der menschlichen Vernunft, daß er sich keinen Gott vorstellen könnte, dem er gleichen wolle.« Suche also den Stolz deiner den Spott herausfordernden Vernunft zu zügeln. Wo anders könnten wir einen Beweis für das Dasein Gottes finden als im Gebet? Ist nicht der Glaube der einzige Beweis dafür?

Du weißt es selbst, daß kein anderer Grund, den deine Sinne oder die Vernunft dir vortäuschen wollten, dich befriedigen könnte. Weshalb also noch nach anderen Beweisen forschen? Glauben, heißt das nicht ganz in dem Gegenstand unseres Glaubens aufgehen, sich mit ihm eins zu fühlen. Glaube, wie man dir glaubt: sieh, das ist das Weiseste! ... Wenn du erst in inbrünstigem Gebete das Bewußtsein von der Gegenwart Gottes errungen hast, dann wirst du dich an diese Weisheit halten. Deine Seele wird plötzlich von froher Hoffnung erfüllt sein. – Selbst ehe du den rechten Glauben gefunden hattest, hat Gott an dich geglaubt; Beweis dafür ist, daß du hier vor seinem Altare erschienen bist, und daß du seinem Rufe gefolgt bist. Antworte also auf seinen Ruf! Es ist nun an dir, an ihn zu glauben. Du bist nicht hiernieden, um Beweise zu suchen, sondern um durch deine Liebe und deinen Glauben an Gott Zeugnis abzulegen, daß du des ewigen Heils teilhaftig geworden bist.

(Das Totenglöckchen läutet.)

Höre weiter, solange das Totenglöckchen für dich läutet. Wenn nicht das göttliche Mysterium der Dreieinigkeit unserem irdischen Auge und unserem Stolze unmöglich, ja lächerlich erschiene, welches Verdienst wäre es dann, daran zu glauben? Und wenn dieses Geheimnis vernünftig und möglich wäre, würdest du es als göttlich anerkennen, da die Staubgeborenen es erkennen und mit den Gedanken zu ermessen vermöchten? Wenn also diese Mysterien lächerlich und unmöglich erscheinen, so sind sie genau das, was sie sein müssen, und wie Tertullian uns lehrt, ist eben das die erste Garantie ihrer Wahrheit. Ihre menschliche Lächerlichkeit ist der einzige leuchtende Punkt, der sie unserer Logik erreichbar macht, vorausgesetzt, daß wir den rechten Glauben haben. Reinige daher deine Seele von dem Flecken des Stolzes, der allein sie von der Erkenntnis Gottes trennt; höre auf, menschlich zu sein, sei göttlich! Die Welt behandelt uns wie Unsinnige, die ganz ihren Illusionen leben, daß sie des kindlichen Traumes eines eingebildeten Himmels wegen ihre Tage opfern. Aber welcher Mensch, dessen letzte Stunde gekommen ist, erkennt nicht, daß er sein ganzes Leben mit Träumen verbracht hat, die sich niemals erfüllt haben, mit eitlen Dingen, die ihn betrogen, einer aufeinanderfolgenden Reihe von Enttäuschungen, die oft vielleicht nur in seiner Einbildung bestanden haben. Welches Recht hätte daher die Welt, es töricht zu nennen, wenn es uns gefällt, den erhabenen Traum Gottes den sterblichen Lügen dieser Erde vorzuziehen? ... Unsere Herzen sind von warmer Liebe erfüllt, unser Friede ist so tief, daß er sich durch nichts erschüttern läßt. Wir tragen schon hier auf Erden den Himmel in uns; das Gebet wird für uns zu einer Vision, zur Exegese, ja, zu dem Schlüssel der Evidenz ... Und die Kinder dieser Welt sollten es wagen, unser positives Glück für eine Einbildung zu erklären, sie, die so schwer unter der lügnerischen Wirklichkeit zu leiden haben? –

(Lächelnd.)

Nein, Illusion für Illusion, wir bewahren uns die Gottes, weil sie allein es ist, die uns Freude, Licht, Kraft und Frieden spendet. Kein Geschöpf, kein lebendes Wesen kann sich dem Glauben entziehen. Der Mensch gibt dem einen Glauben den Vorzug vor dem anderen, und für den, der zweifelt selbst an der Unbegrenzbarkeit des Gedankens, ist der Zweifel, dem er Einlaß in seinen Geist gewährt, nichts als eine andere Form des Glaubens, der im Prinzip genau so geheimnisvoll ist wie alle anderen Mysterien. Aber der Zweifel erfüllt unseren Geist mit Unruhe und Unentschlossenheit. Er glaubt alles analysieren zu müssen und gerät dadurch allmählich in einen Zustand der Qual, den man nicht anders wie Höllenqual nennen kann, da es fast unmöglich ist, sich davon zu befreien.

(Das Totenglöckchen läutet.)

Ja, der Glaube umhüllt uns! Das Weltall ist nur sein Symbol. Wir müssen denken. Wir müssen handeln. Wir sind zu der Sklaverei des Denkens gezwungen, daran zu zweifeln, heißt schon, ihr gehorchen. Wir können nicht die kleinste Handlung vollbringen, die nicht durch einen ihr vorangehenden Gedanken erzeugt worden wäre! Wir können keinen Gedanken denken, der nicht in seinem ersten Ursprunge blind und instinktiv wäre. Nun wohl, versuchen wir es also, so zu denken und zu handeln, daß ein Gott in uns werden könne – und das von Anfang an! Wenn wir fest entschlossen sind, den Glauben zu erringen, so verdienen wir ihn schon.

Es gilt, unsere Seele nur in Gott zu versenken, und alle anderen Gedanken und Träume bedeuten eine verlorene Zeit, die nur der Heiland allein zurückzugeben vermag. Alles um uns herum strengt seine Kräfte an. Das Getreidekorn, das im Dunkel der Erde ruht, sieht es das Licht der Sonne? Nein, aber es glaubt an die Sonne; deshalb keimt es, und Nacht und Tod überwindend, steigt es empor zum Lichte. Indessen sind es nur die auserwählten, die gläubigen Körner, denen solches Heil zuteil wird – die unfruchtbaren, von Zweifel erfüllten, treiben keine Keime, sie sterben in der Erde und gehen ganz unter. Wir aber sind das Getreide Gottes, wir fühlen und wissen, daß wir durch ihn auferstehen werden und daß, nach dem herrlichen, aufklärenden Worte eines unserer Theologen, Gott die Heimat des Geistes ist, wie die Erde die des Körpers.

(Das Totenglöckchen läutet.)

Wir sollen glauben, wachen und beten, und unser Herz soll von Liebe erfüllt sein. So lehrt es unser Glauben. Und wenn selbst, wie es in einem Konzile vorher gesagt wird, ein Engel vom Himmel käme, um uns eine andere Lehre zu bringen, so würden wir doch fest und unerschütterlich an unserem Glauben halten.

(Pause.)

Und jetzt, Eva Sara Emanuele, Prinzessin de Maupers, erinnere dich der bindenden Kraft, die die Gelübde haben, die vor denen abgelegt werden, die hier auf Erden die Vertreter Gottes sind, und auf deren Geheiß das Wort Fleisch wird. Lege also freiwillig das Gelübde ab, durch das du eine Seele dem Himmelsbräutigam verbindest.

Chor der Nonnen: Ecce inviolata soror coelestis!

Der Archidiakon (fortfahrend und abwechselnd mit dem Gesang des Chores): ... dein Blut, dein Sein, in dieser Welt und in jener ...

Chor der Nonnen: Ecce conjux!

Der Archidiakon: ... deine einzige Hoffnung.

Chor der Nonnen: Sacra esto!

Der Archidiakon: Sara! Dein Brautring schimmert auf diesem Altare. Ich liebe Gott, das bedeutet »Gott liebt mich,« sage ich dir! ... »Liebe also – und nachher tue, was du willst!« sagt der heilige Augustin. – Sara, vernimmst du die Himmelsstimmen, die dich rufen. Ein Wort von dir, und ich werde meine Hand auf deine Stirn legen, um dir Absolution zu erteilen, – und du wirst für immer dem Lichte, dem Himmel angehören. Dann wirst du von den Toten auferstehen, der Trauergottesdienst wird sich plötzlich in ein Freudenfest verwandeln, in goldgesticktem Festkleide wirst du die Mitternacht und das Fest der Geburt Christi erwarten, Engel werden dein Gelübde zu der Krippe des Jesuskindes tragen! ...

(Das Totenglöckchen läutet dreimal lauter und näher wie bisher und hält dann inne.)

Aber der dreiundzwanzigste Schlag dieser Glocke, die die Jahre der Toten zählt, mahnt mich daran, daß es Zeit ist, deine Seele während dieses letzten feierlichen Augenblickes allein zu lassen, in dem du nur deines unwiderruflichen Gelübdes gedenken sollst.

(Nachdem er seinen Krummstab dem zu seiner rechten Seite knienden Vikar überreicht hat, steigt er die zu dem Tabernakel führenden Stufen heran, um das heilige Salböl davon zu nehmen.)

Der Vikar (rezitiert mit monotoner Stimme den Text des heiligen Bernard zur Vorbereitung für das letzte Gericht):

Attende, homo, quid fuisti ante ortum et quod eris usque ad occasum. Profecto fuit quod non eras. Postea, de vili materia factus, in utero matris de sanguine menstruali nutritus, tunica tua fuit pellis secundina. Deinde, in vilissimo panno involutus, progressus es ad nos, sic indulus et ornatus! Et non memor es quae sit origo tua. Nihil est aliud homo quam sperma foetidum, saccus stercorum, eibus vermium. Scientia, sapientia, ratio, sine Deo Christo, sicut nubes transeunt. Post hominem vermis: post vermem foetor et horror; sic, in non hominem, vertitur omnis homo. Cur carnem tuam adornas et impinguas, quam, post paucos dies, vermes devoraturi sunt in sepulchro, animam, vero, tuam non adornas – quae Deo et angelis ejus praesentenda est in Coelis!

(Pause.)

Schwester Aloisia und die Nonnen im Chore:

Tuis autem fidelibus, vivat mutator, non tollitur! Et, dissoluta terrestri domo, coelestis domus comparatur!

(Klang des goldenen Glöckchens.)

(Sara enthüllt ihr Gesicht, sie erhebt sich halb unter dem großen Leuchter und stützt die Arme auf die erste Altarstufe. Durch die sie umwogenden Weihrauchwolken schimmern die Opale ihres mystischen Halsbandes; ein Regen von Lilienblättern wird von den Nonnen auf den Teppich um sie gestreut.

Sie hat sich langsam erhoben, und von Rauchfässern und geweihten Kerzen umgeben steht sie vor dem Archidiakon; sie hat sich jetzt hoch aufgerichtet und mit gekreuzten Armen, gesenkten Augen beharrt sie in unbeweglicher Stellung.

Auf ihren Schultern schimmern die goldenen Tränen des Leichentuches, das wie ein lang schleppender Mantel ihre Gestalt umgibt und in großen Falten bis auf die Grabplatten herunterfällt.)


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