Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

In den ersten Stunden des Nachmittags war die von Hugo verlassene Wohnung von der Frau Räthin und dem Aufwartemädchen, das täglich auf einige Stunden kam, um die gröbsten Arbeiten zu verrichten, wieder in einen leidlichen Zustand versetzt worden. Es sah in der großen Stube freilich ziemlich öde und ungastlich aus, aber es war Alles in tadellos sauberem Zustande. Die Fenster waren geputzt und frische Gardinen angesteckt.

Es war der Räthin angenehm, daß sie heute über einen besseren Empfangsraum als gewöhnlich verfügen konnte, denn sie bekam unerwarteten Besuch. Herr Felix Welsheim, der einen von seiner Frau ihm ertheilten Auftrag nie vergaß, hatte sich von der Börse direct zu Frau Räthin Emilie Breuer begeben.

Sie führte ihn in das Vorderzimmer. Sie hielt es für überflüssig, Herrn Welsheim zu sagen, daß Hugo ihr Haus verlassen habe. Sie hatte die Frage, ob der Doctor zu Hause sei, einfach verneint.

»Ehrlich gesagt, ich bedaure es nicht, dem Doctor jetzt nicht zu begegnen,« begann Welsheim, während er der Einladung, sich zu setzen, folgte, »denn gerade über ihn möchte ich mit Ihnen, verehrte Frau, ein ernstes Wort sprechen. Ich bin ein trockener Geschäftsmann und liebe keine Redensarten. Sie werden mir meine Offenheit verzeihen. Mich leitet nichts Anderes, als das Interesse an meinem besten Freunde, das sich übrigens auch mit dem Ihrigen vollkommen deckt. Sehen Sie, verehrte Frau, ich beobachte unsern guten Doctor seit Monaten … und genau. Es ist in seinem Wesen etwas … wie soll ich sagen? … etwas, was nicht stimmt. Er macht einen gedrückten Eindruck … nicht wahr? Den muß er doch auch auf Sie gemacht haben? Ich habe nachgespürt, und ich glaube auf die richtige Fährte gekommen zu sein … Verzeihen Sie, wenn ich ein bischen geradezu bin! Aber Sie sind ja eine verständige Frau, mit der man deutsch sprechen kann … Ich glaube, – nein, ich bin sicher: die Verlobung mit Fräulein Martha … das ist's, was ihn drückt … Aber er ist ein Ehrenmann, er würde es nie über's Herz bringen, die junge Dame zu kränken; er würde aus Pflichtgefühl die Verbindung aufrechterhalten … Ja, das Alles ist schön und gut! Aber was wird daraus? Nichts Gutes! Ihr Fräulein Tochter würde unglücklich werden, und der Doctor auch. Und eine jugendliche Uebereilung … mein Gott, wir sind ja Alle einmal jung gewesen … ich meine, eine jugendliche Uebereilung würde mit dem Glück zweier Menschen doch ein bischen zu theuer bezahlt werden … Da sage ich mir: wenn das Uebel einmal erkannt ist, dann schnell und resolut ein operativer Eingriff, wenn er für den Augenblick auch schmerzt. Und wenn die Patienten es selbst nicht einsehen, dann müssen wir, die treuesten Freunde, für sie handeln … Was meinen Sie?«

Die Räthin hatte mit der Ausdruckslosigkeit der eisernen Maske, die ihr zu eigen war, wenn ernste Dinge verhandelt wurden, zugehört. Welsheim hatte keine Ahnung, daß er sich vergeblich bemühte, daß das, was er zu erreichen sich vorgesetzt hatte, eine schon vollbrachte Thatsache war.

»Ich schließe mich Ihrer Meinung an,« antwortete die Räthin.

»Vortrefflich, vortrefflich!« rief Welsheim, von dem Erfolge seiner Beredtsamkeit, die ihm in den Sitzungen der Verwaltungsräthe schon so oft gute Dienste erwiesen hatte, sichtbar geschmeichelt. »Wenn wir über die Hauptsache einig sind, daß wir die Pflicht haben, die jungen Leute zur Erkenntniß ihres Irrthums zu führen, dann werden wir uns über das Einzelne schnell einigen. Den Doctor übernehme ich. Ich werde den Mund etwas voll nehmen und ihm klar machen, daß der literarische Anfänger, der sich mit einem guten bescheidenen Mädchen aus höchst achtbarer Familie verlobt habe, ein Anderer sei, als jener Hugo Hall, der Dichter von ›Herkules und Omphale‹, der aus sogenannten Anstandsrücksichten sich davon zurückhalten lasse, ein Band zu lösen, das thatsächlich schon zerrissen ist. Dieser neue Hugo Hall habe Pflichten gegen die Menschheit! Er dürfe sich nicht in kleinbürgerliche Verhältnisse vergraben, er dürfe sich nicht mit einem braven Mädchen vermählen, das er doch nicht genügend liebe, um glücklich zu werden und zu beglücken. Er dürfe sein herrliches Talent nicht eigensinnig und in Verkennung seiner wahren Pflichten hinmorden … Und so weiter! Das wollen wir schon machen! … Ihnen, verehrte Frau, fällt die schwierigere Aufgabe zu, Ihr Fräulein Tochter von der Unhaltbarkeit des jetzt bestehenden Verhältnisses zu überzeugen. Ohne Ihren Entschließungen irgendwie vorzugreifen, möchte ich mir unmaßgeblich den Vorschlag erlauben, daß eine momentane örtliche Trennung der Beiden uns vielleicht über viele Aufregungen hinweghelfen würde. Der Schwierigkeiten, die sich dem entgegenstellen, würde man wohl Herr werden können. Ich möchte mir gestatten, diesen Punkt ganz sachlich und ruhig mit Ihnen zu erörtern …«

In diesem Augenblicke wurde an der Klingel gezogen. Die Räthin erhob sich.

»Entschuldigen Sie mich auf einen Augenblick. Ich stehe Ihnen sogleich wieder zu Diensten.«

Sie ließ die Thür absichtlich offen, um Herrn Welsheim zu verstehen zu geben, daß ihr eine Abkürzung des Besuchs willkommen sei, daß sie den Arzt, den sie erwartete, zu empfangen habe.

Es war in der That Dr. Lohausen, dem sie öffnete.

»Ich habe beim besten Willen nicht früher kommen können,« entschuldigte sich der Arzt. »Nun, was ist denn schon wieder los?« fragte er mit seiner volltönenden gemüthlichen Stimme.

»Martha schläft seit ein paar Stunden. Ich will Sie gleich zu ihr führen, Doctor. Wieder das alte heftige Fieber!« entgegnete die Räthin.

Welsheim hatte die Ohren gespitzt. Er kannte die Stimme. Und richtig, er hatte sich nicht getäuscht: als er den Kopf zwischen die Thürspalte steckte, erkannte er seinen alten Freund und Hausarzt Dr. Lohausen.

»Doctor!« rief er in freudigem Erstaunen. »Das trifft sich aber günstig!«

»Herr Welsheim! Ja was machen Sie denn hier?«

»Eine Conferenz mit der Frau Räthin …«

»Na, dann conferiren Sie ruhig weiter! Ich will mir inzwischen einmal unsere kleine Patientin ansehen.«

»Hätten Sie einen Augenblick vorher für mich übrig? Meine Zeit ist leider auch sehr knapp bemessen, und ich fürchte, daß ich kaum auf Sie würde warten können. In fünf Minuten ist's abgethan. Würden Sie mir gestatten, gnädige Frau?«

»Aber bitte … Ich will Martha wecken,« fügte sie im Abgehen zum Doctor gewandt hinzu.

Lohausen war mit Welsheim in das Vorderzimmer getreten.

»Es soll ja gestern wieder einmal großartig bei Ihnen gewesen sein! Der ganze Thiergarten ist Ihres Ruhmes voll. Mir hat's so leid gethan, daß ich nicht kommen konnte.«

»Ja, es war wirklich recht gelungen, das muß ich selbst sagen. Dieser Vallini hat eine Stimme!«

»Ich weiß schon Alles! Hoch soll er leben!«

»Also zur Sache! Sie sind hier Hausarzt?«

»Allerdings.«

»So? Erlauben denn der Frau Räthin ihre Mittel …«

»Meine Mittel erlauben es mir, der Tochter meines alten Freundes Breuer, so weit ich es vermag, zu nützen.«

»Das wollte ich gerade gesagt haben … Nun, lieber Doctor, eine offene Frage, deren Beantwortung mich lebhaft interessirt. Wie steht's mit der jungen Dame? Ich kenne sie nur flüchtig, aber sie sieht mir so aus, als ob sie in schlechten Heften sei.«

»Ich begehe keine Indiscretion, wenn ich Ihnen sage, daß das arme Ding allerdings recht zart und schwach ist. Sie müßte fort – in ein milderes Klima, in eine reinere Luft und eine wärmere Sonne.«

»Weshalb schicken Sie sie nicht nach Italien?«

Lohausen sah Welsheim groß an.

»Ich schicke sie nicht, weil sie nicht gehen könnte.«

Welsheim bewegte unter dem Daumen den Zeige- und dritten Finger schnell hin und her. Der Doctor beantwortete die pantomimische Frage mit zustimmendem Nicken.

»Dem müßte sich doch abhelfen lassen?« meinte Welsheim.

Der Doctor zuckte die Achseln.

»Sie wissen, ich bin kein Freund von vielen Redensarten: wenn Sie es für richtig halten, daß die junge Dame mit ihrer Mutter auf ein halbes Jahr, auf ein Jahr meinethalben, nach Italien geht, – die paartausend Mark, die dazu nöthig sind, stehen Ihnen jeden Augenblick bei mir zur Verfügung.«

»Was!« rief Lohausen in aufrichtiger Bewunderung.

»Mich macht's nicht ärmer. Ich nehme an, daß ich die Frau Räthin an meiner heutigen Börse mit fünfzig Procent betheiligt habe … Und wenn es sich um die Gesundheit eines jungen Mädchens handelt …«

»Sie sind wirklich ein vornehmer, ein großartiger Mensch! Sie wissen gar nicht, wieviel Gutes Sie thun! Nach meiner ehrlichen ärztlichen Ueberzeugung handelt es sich hier um ein Menschenleben. Hier geht das Mädchen sicher zu Grunde, in Italien dürfen wir ihre Rettung erhoffen.«

»Um so besser!« sagte Welsheim, der während der letzten Worte des Doctors bereits sein Portefeuille gezogen und eine erhebliche Summe abgezählt hatte. »Für's Erste dürfte das wohl genügen. Bei weiterem Bedarf stehe ich selbstverständlich zur Verfügung.«

Lohausen nahm das Geld und schüttelte kräftig Welsheims Hand.

»Sie sind ein braver Mann! Weiß Gott, ein braver Mann! Einstweilen danke ich Ihnen herzlich …«

»Was ich noch sagen wollte, eigentlich kaum zu sagen brauche, da ich es als selbstverständlich betrachte: mein Name darf nicht genannt werden. Auf keinen Fall! Es wäre mir eine Unannehmlichkeit und würde der Frau Räthin wohl auch nicht angenehm sein. Sie, als alter Freund der Familie, können ja sagen: ein anderer alter Freund … oder Sie selbst … na, Sie werden die Sache schon machen!«

»Ein braver Mann!« wiederholte Lohausen mit erneutem kräftigem Händedruck. »Sehen Sie, das ist eine That! Die imponirt mir! Dafür giebt's zwar keine Auszeichnungen und Titel … aber wenn Ihnen am Respecte eines ehrlichen Kerls gelegen ist, den haben Sie sich erworben, lieber Welsheim!«

»Nicht der Rede werth, Doctor! … Und nun gehen Sie zu Ihrer Patientin. Und sagen Sie, bitte, der Frau Räthin, daß ich mich von ihr verabschieden möchte.«

Ein abermaliges Händeschütteln, und mit freudestrahlendem Antlitz begab sich der Doctor in die kleine Schlafstube. Er wußte, daß er die beste Arzenei in der Tasche hatte.

Die Unterredung zwischen Welsheim und der Räthin währte nur noch wenige Augenblicke. Die Räthin, die sich danach sehnte, mit Lohausen am Bette ihres Kindes zu sein, begnügte sich damit, Herrn Welsheim für seine freundschaftliche Theilnahme kalt zu danken und ihm die überraschende Mittheilung zu machen, daß sie mit ihrer Tochter über die Angelegenheit schon ernsthaft gesprochen habe, und daß auch Martha von der Unhaltbarkeit des Verhältnisses überzeugt sei.

»Aber die Beiden müssen auseinander!« rief Welsheim. »Das ist die Hauptsache! Sonst fallen sie sich bei der ersten Begegnung doch sofort wieder in die Arme! Junge Leute … nicht wahr?«

»Wir wollen sehen,« gab die Räthin ruhig zur Antwort.

Welsheim lächelte seelenvergnügt, als er in seinen Wagen stieg und sich nach Hause fahren ließ. Die Schnelligkeit und Vollständigkeit seines Erfolges imponirte ihm selbst. Wie würde sich nun Leonie erst freuen, wenn er ihr seinen Triumph berichtete! …

Zu seiner aufrichtigen Freude hatte der Arzt Marthas Zustand weniger bedenklich gefunden, als er befürchtet hatte. Er hatte mit der Frau Räthin, die ihm das Geleit gegeben, eine kurze Unterredung in der Berliner Stube gehabt. Nun lag die Räthin, deren steinernes Gesicht sich in ungläubiger Freude belebt und erwärmt hatte, heiße Thränen vergießend an der Brust des alten treuen Freundes, der sie mit herzlicher Gutmüthigkeit auf die Schulter klopfte und ihr einmal um das andere zurief: »Nun ist's aber genug! Nun ist's gut! Vernünftig sein, zum Teufel!«

»Und ich soll dem edlen Menschenfreunde nicht einmal danken dürfen?«

»Mit der Gesundheit Ihres Kindes sollen Sie ihm danken – anders nicht.«

»Ach, Doctor! Es ist ja nicht zu glauben! Darf ich's denn wirklich annehmen? Darf ich's?«

»Ich habe es bereits für Sie angenommen. Um wie viel mehr dürfen Sie's für Ihr Kind annehmen Da haben Sie meine Antwort.«

»Für mein armes Kind! Und Sie hoffen nun? …«

»Das Beste, liebe Freundin, das Beste!«

»Ich kann's ja nicht glauben, kann's nicht fassen! Wie man sich doch versündigt, an der Güte der Menschen zu zweifeln! Ja, es giebt noch edle Menschen! Und wenn die Noth am größten ist, ist die Hilfe am nächsten.«

»Nun aber, nur das Praktische zu erledigen: Keine Zeit verlieren! Treffen Sie alle Vorbereitungen, um Ihre Zelte so bald wie möglich abzubrechen … auf ein halbes Jahr, auf ein Jahr … das wird Ihnen der dortige Arzt schon sagen. Ich denke, daß Martha reisefähig ist. Ich komme morgen wieder. Am liebsten wäre es mir, ich könnte sie morgen schon wegschicken. Wiederkommen darf sie mir aber nicht früher, als bis der dortige College ihr die Pässe ausstellt! Also auf morgen! …«

Welsheim war vor seinem Hause angekommen. Schneller, als es seine Gewohnheit war, sprang er die Treppe hinauf und trat so ungestüm in das Erkerzimmer, daß Leonie, die hinter dem Blumenaufsatze die Straße hinunterblickte, erschrocken zusammenfuhr.

»Hallo!« rief er gemüthlich. »Noch nicht frisirt?« Und während er ihre Stirn küßte, sagte er lächelnd: »Weißt Du, so siehst Du eigentlich am schönsten aus! Die Leute wissen ja gar nicht, wie schön Du sein kannst. Es ist mein Stolz, daß Du nur für mich so schön bist!« Er küßte sie wiederholt auf die Stirn. »Im Uebrigen,« fuhr er launig fort, » Madame est servie! Alles in schönster Ordnung! Mit der Mutter gesprochen, mit dem Arzte gesprochen, Verlobung wird aufgehoben … Kleine nach Italien geschickt, mein Name nicht genannt … Alles unauffällig! Unsern guten Doctor Hugo nehme ich mir selbst noch vor. Mit dem werde ich auch noch fertig werden.«

Leonie hatte zuerst gar nicht verstanden, was Felix eigentlich meinte. Erst als er von Hugo sprach, wurde ihr Alles klar. Anstatt der warmen Beglückwünschung, die Welsheim aus dem Munde seiner Frau erwartet hatte, hörte er zu seinem äußersten Befremden Vorwürfe.

»Aber so entsetzliche Eile hatte die Sache doch gar nicht!« rief Leonie, deren Stirn sich in unwillige Falten gelegt hatte.

»Was denn!« versetzte Felix ganz betroffen. »Du hattest mir doch gesagt …«

»Gesagt!« fiel Leonie in demselben gereizten Tone ein. »Man sagt so Manches! Aber wenn es sich um so ernste Dinge handelt, dann erwägt man doch erst reiflich das Dafür und Dawider, überlegt es sich gehörig … Nach den Erfahrungen, die ich gestern Abend gemacht habe, würde ich Dir schwerlich gerathen haben, für Doctor Hall Vorsehung zu spielen.«

»Was ist denn gestern Abend Besonderes geschehen?« fragte Felix erstaunt. »Denn vom Stücke sprichst Du doch nicht?«

»Eigentlich kaum etwas Besonderes, es ist beinahe schon das Alltägliche geworden. Und ich würde längst mit Dir davon gesprochen haben, wenn ich nicht befürchtet hätte, daß eine Veränderung unserer Beziehungen zu Doctor Hall vor der Première als eine Art von Feigheit gehässig gedeutet werden könnte. Dieser Vorwurf wird uns jetzt, wenn wir uns nach seinem Triumphe ein wenig kühler zu ihm stellen, jedenfalls erspart bleiben.«

»Ich höre Dir mit wachsendem Erstaunen zu, ohne Dich recht zu verstehen. Weshalb soll es denn anders werden zwischen uns und dem Doctor?«

»Weil ich mir seine Behandlung nicht länger gefallen lassen will! Ganz einfach!«

»Was thut er Dir denn auf einmal?«

»Er tyrannisirt mich in unerträglicher Weise, wenn Du es denn hören willst. Er hat hier, allmählich, ohne daß wir es bei unserer Gutmüthigkeit bemerkt hätten, sich Rechte angemaßt, die ihm nicht zustehen. Er will hier commandiren. Dies gefällt ihm nicht, und das gefällt ihm nicht. Ich spreche zu laut, ich bin zu familiär mit dem oder dem, das eine Kleid ist zu auffällig, ein anderes zu tief ausgeschnitten – so geht's in einem fort. Ich bin immer in Todesangst, daß irgend ein Dritter es mal hört, wie er mich schulmeistert. Denn er genirt sich gar nicht. Und wenn wir einmal belauscht würden, müßte man das Schlimmste von mir denken! … Weißt Du, was ich glaube, was mir sein Betragen allein erklärt: ich glaube beinahe, er ist in mich verliebt!«

»Ah bah!« rief Felix in hohem Erstaunen aus.

»Wenn er mein Geliebter wäre und all die Untugenden des eifersüchtigen Gatten hätte, die Du zum Glück nicht besitzest, könnte sein Benehmen kein anderes sein … Das ist mir höchst unangenehm, nicht blos meinetwegen.«

»Hm, hm,« brummte Felix. Er dachte einen Augenblick, übrigens ohne tieferes Bedauern, daran, daß er, wenn Leonie früher so zu ihm gesprochen, ein paartausend Mark hätte sparen können. »Das darfst Du Dir in der That nicht gefallen lassen!« sprach Welsheim nach kurzer Pause mit dem Tone der vollen Ueberzeugung. »Und ich darf es mir auch nicht gefallen lassen! … Also gestern Abend ist es zum Krach gekommen? Wie war denn das?«

»Er katechisirte mich wieder einmal wegen meiner Freundlichkeit zu unsern Gästen. Er wollte mir Vorschriften machen, wie ich mich Herrn Vallini gegenüber zu benehmen hätte. Und gerade dem großen Künstler hatte ich doch besonders dankbar zu sein! …«

»Das will ich wohl glauben! Ihm haben mir den kolossalen Erfolg unseres Eröffnungsabends zu danken, ihm allein. Die ganze Börse war voll von dem ›Hoch soll er leben!‹ Ich weiß gar nicht, wie man sich da revanchiren kann. Tuchnadeln wird er ja genug haben.«

»Eben deswegen hielt ich es für meine Pflicht, besonders freundlich zu ihm zu sein … Und darüber machte mir Doctor Hall wieder eine Scene. Das empörte mich, und ich habe ihm meine Meinung deutlich gesagt.«

»Da hast Du ganz Recht gethan!«

»Er scheint es mir sehr übelgenommen zu haben. Immerhin! Ich habe nichts zu bedauern, nichts zurückzunehmen … Ach ja, beinahe hätte ich's vergessen, Herr Vallini war hier. Ein artiger Mensch, wie Du siehst.«

Welsheim machte bei dieser gleichgiltig hingeworfenen Bemerkung ein etwas verdutztes Gesicht.

»Und Du hast ihn empfangen? So?« Er hob einige geringelte Strähnen des prächtigen Haares auf.

Leonie lachte hell auf.

»Nun wirst Du am Ende auch noch eifersüchtig? Es scheint anzustecken. Hättest Du mich ausreden lassen, so würdest Du gehört haben, daß ich ihn nicht empfangen habe. Wir haben durch die Thür – er draußen, ich hier – Liebkosungen getauscht, die Du ruhig hättest mit anhören können – beiläufig bemerkt: wie Alles, was ich sage. Gerade weil ich mich so nicht zeigen wollte, und weil ich es für meine Pflicht hielt, gegen Herrn Vallini ausnehmend artig zu sein, habe ich ihn gebeten, mit uns Beiden sans façon heute zu speisen. Du könntest vielleicht eine Loge besorgen …«

»Die Theater sind heute absolut reizlos … wir müßten uns denn ›Herkules und Omphale‹ zum zweiten Male ansehen,« fügte er scherzend hinzu.

»Das wäre nicht schlecht!« versetzte Leonie ganz ernsthaft. »Gestern habe ich ohnehin nicht viel von dem Stück gesehen … ich war zu aufgeregt … wegen unserer Gesellschaft …«

»Was, Du wolltest wirklich …?«

»Wirklich!« bekräftigte Leonie.

»Rein unmöglich, liebste Leonie! Ausverkauft bis auf den letzten Platz. Alles gezogen!«

»Von den Händlern bekommt man immer noch etwas. Und Du kennst mein Vertrauen zu Deiner Findigkeit.«

»Dann müßte ich aber selbst gehen … und wir haben ja um sechs Uhr Vallini zu Tisch.«

»Dann essen wir etwas später. Wir brauchen ja nicht zu Anfang da zu sein. Und während Du die Plätze für uns besorgst, werde ich unsern Künstler mit allen Reizen weiblicher Koketterie zu bezaubern suchen, um ihn dafür zu entschädigen, daß er ein halbes Stündchen auf die Suppe wartet.«

»Versuchen will ich's! Aber ich habe wenig Vertrauen!«

»Ich um so mehr. Es wäre das erste Mal, daß Du mich enttäuschtest.«

Felix küßte die Hand seiner Frau, die sich zum Diner und Theater anzukleiden hatte. Als er sich der Thür zuwandte, blieb er plötzlich stehen und rief seiner Frau, die sich schon erhoben hatte, zu:

»Ich habe da eben im Vorübergehen die Bronze stehen sehen, die von Barbedienne … die müssen wir doch dem Doctor schicken.«

»Ich werde es besorgen. Nach unserer gestrigen Scene würde es sich heute nicht gut machen.«

»Also gut! Besorge es! … Um halb sieben werde ich wohl zurück sein können … aber ich fürchte, ich werde mit leeren Händen kommen!«



 << zurück weiter >>