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IV.

Mit wirklicher Theilnahme erkundigte sich Hugo am anderen Morgen nach Marthas Befinden.

»Oh es geht mir wieder ganz gut,« sagte sie, aber die erschreckende Bleiche ihres Gesichts und die dunklen bräunlichen Ringe um ihre schönen Augen straften sie Lügen. »Sage Mama nicht,« flüsterte sie schnell, »daß ich allein nach Hause gefahren bin.«

»Ich habe mir ernsthafte Vorwürfe gemacht, daß ich Dich nicht begleitet habe.«

»Mir war's lieber so.«

»Richtig war es nicht!« versetzte Hugo und schlug die Augen nieder.

»Habt Ihr Euch noch gut unterhalten?«

»Frau Welsheim hat die Sitzung schnell aufgehoben und mir war's so am liebsten. Ich bin bald nach Dir nach Hause gekommen.«

»Ja, ich war noch wach und habe Dich kommen hören.«

»Gefallen Dir Welsheims? Wir müssen in den nächsten Tagen unseren Gegenbesuch machen.«

»Wenn Du meinst …«

»Es sind liebe Leute, und wenn Du sie näher kennen lernst …«

»Ich zweifle nicht an ihrer Liebenswürdigkeit. Ich fürchte nur, wir passen nicht recht zusammen. Sie sind sehr reich, ich bin arm. Halte mich nicht für eitel, wenn ich Dir sage: der Luxus der eleganten Dame beschämt mich ein wenig.«

»Das begreife ich vollkommen. Das Mißverhältniß zwischen dem Leben, das Welsheims führen dürfen, und dem Dasein, das uns beschieden ist, ist auch die hauptsächliche Veranlassung dazu gewesen, daß ich Eure Bekanntschaft nicht früher vermittelt habe. An einen gegenseitigen intimeren Verkehr habe ich nicht gedacht. Ich habe nur die Erfüllung der Pflichten der Artigkeit im Auge …«

»Ich thue das, was Du für das Richtige hältst … Hast Du heute etwas Besonderes vor?« fragte Martha mit vollkommener Selbstbeherrschung in unverfänglichem Tone.

»Nichts Besonderes,« gab Hugo zur Antwort. »In der Mittagsstunde muß ich auf kurze Zeit ausgehen …«

Martha sah ihn ruhig an. Nichts verrieth, was in ihr vorging.

»Mit einem Freunde, den ich gestern Abend getroffen habe, habe ich eine Verabredung,« fühlte sich Hugo veranlaßt hinzuzusetzen.

»Gestern Abend?« wiederholte Martha, »Du sagtest mir doch, daß Du von den Reichshallen direct …«

Hugo verbarg seine Verlegenheit, die er als ertappter Lügner empfand, hinter gespielter Lustigkeit.

»Du inquirirst ja wie ein Untersuchungsrichter. Wenn ich gestern sagte, meinte ich natürlich vorgestern … Weswegen fragst Du überhaupt?«

»Ich wollte Dich bitten, mit mir einen Spaziergang zu machen. Das Wetter ist so schön, und ich glaube, es würde mir gut gethan haben.«

»Den ganzen Nachmittag stehe ich zu Deiner Verfügung!«

»Laß es nur gut sein,« versetzte Martha ohne alle Bitterkeit. »Ich sehnte mich gerade nach der Mittagssonne. Wenn Du mich nicht begleiten kannst, gehe ich vielleicht allein … ich habe ohnehin einige kleine Besorgungen: ich muß mir Seide und Wolle zum Sticken holen, die Noten umtauschen …«

»Das könntest Du doch auch am Nachmittag besorgen …«

»Wir haben ja noch Zeit, darüber zu sprechen,« lächelte Martha …

Hugo war es peinlich gewesen, Martha vor seiner verabredeten Zusammenkunft mit Leonie noch einmal zu begegnen, – die erste Nothlüge war ihm schon schwer genug geworden und ungeschickt genug ausgefallen. Er schlich sich so geräuschlos wie möglich aus seiner Wohnung. Dieser Vorsicht hätte es gar nicht bedurft. Es war keine Gefahr vorhanden, daß Martha ihn hören würde, sie hatte bereits eine Viertelstunde vor ihm die Wohnung verlassen, mit eben so klopfendem Herzen und eben so leise. Aus einer gelegentlichen Aeußerung Welsheims hatte sie gestern Abend erfahren, daß er in der Victoriastraße wohne; sie hatte im Adreßbuche nachgesehen und sich versichert, daß sie richtig gehört hatte. Sie nahm nun die erste Pferdebahn, die sie zur Potsdamerbrücke führte. Es war etwa ein Viertel auf eins, als sie in die Victoriastraße einbog. Sie ging langsam an dem Hause vorüber, in dem die Verhaßte ihren Geliebten jetzt erwartete. Wenn er ihr hier begegnen würde, – ihr war's einerlei! Mochte er dann vor Scham in den Boden sinken, mochte er im Gefühle des an ihr begangenen Unrechts den Bruch herbeiführen, – sie war auf Alles gefaßt. Sie wollte klar sehen um jeden Preis, wollte sich nicht länger belügen lassen, – das war ihr einziges Verlangen, dessen Erfüllung der Trotz, der sich dieses sonst so weichen und duldsamen Mädchens bemächtigt hatte, ihr gewährleistete. Sie ging langsam die ganze Straße bis zum Thiergarten hinab, dann überschritt sie den Fahrdamm und kehrte um. Wiederum betrachtete sie das Haus mit fiebernder Aufmerksamkeit. Wenn auch die gestickten Gardinen und die schweren Draperien den Blick in das Innere wehrten, so blickte sie doch mit weitgeöffneten Augen hinauf, und ihre Phantasie lüftete die festgeschlossenen Vorhänge. Sie sah die prachtvollen Räume viel feenhafter und verführerischer, als sie in Wirklichkeit waren, und sah auf dem Divan ausgestreckt ein unheimlich schönes Weib mit herrlichem schwarzem Haar, mit merkwürdigen Augen, wie sie den fabelhaften Geschöpfen des Meeres angedichtet werden, sah, wie sie verlangend die Hände ausstreckte …

Martha klopfte das Herz zum Zerspringen; das widerwärtige Bild, das ihre erhitzten Sinne ihr vorgegaukelt hatten, zerrann auf einmal, um dem noch widerwärtigeren Bilde der Wirklichkeit Raum zu geben. Sie sah, kaum fünfzig Schritte von sich, auf der gegenüberliegenden Seite, wo Welsheims Haus stand, Hugo, der ziemlich schnellen Schrittes daher kam und, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte, sich noch mehr beeilte.

Er hatte Martha nicht gesehen. Schnell entschlossen durchschritt sie den kleinen Vorgarten des Hauses, vor dem sie gerade stand, und zog die Glocke. Man öffnete ihr die Thür, aber sie blieb eine Weile davor stehen … Nun hatte sie sich überzeugt, Hugo war eingetreten.

Die Portierfrau, die den Kopf durch das Fensterchen gesteckt hatte, antwortete auf ihre Frage: ob hier eine Frau Regierungsräthin Breuer wohne, verneinend, setzte aber hinzu, im Nebenhause wohne eine Frau Räthin; ob die Breuer heiße, könne sie nicht sagen. Martha dankte und entfernte sich.

Obwohl sie nur das gesehen hatte, was sie zu sehen ganz sicher gewesen war, war sie doch, nachdem sich das Erwartete nun erfüllt hatte, wie betäubt.

Mit dumpfem Kopfe ging sie durch den Thiergarten, der an dem milden Frühlingsmittag sehr belebt war, über die Linden langsam nach Hause, fast ohne Bewußtsein, wie eine Nachtwandlerin, ohne einen Blick auf ihre Umgebung zu werfen, ohne zu wissen, wohin sie ihre Schritte führten. Sie war ganz verwundert, als sie auf einmal merkte, daß sie richtig angekommen war. Sie sagte ihrer Mutter, daß sie gar nicht dazu gekommen sei, in der Musikalienhandlung die Noten umzutauschen. Das schöne Wetter habe sie zu einem kleinen Spaziergange verlockt. Aber sie habe ihre Kräfte überschätzt. Plötzlich sei eine große Mattigkeit über sie gekommen. Nur mit Mühe habe sie sich bis hierher geschleppt. Nun fühle sie sich so abgespannt, daß sie ein wenig in dem kleinen Stübchen neben der Küche ausruhen wolle.

Frau Emilie bedauerte das arme Kind, legte ihr ein Kopfkissen unter, breitete das Plaid über ihre Füße und ließ das grüne Rouleau herunter. Dann entfernte sie sich behutsam. Martha blickte unverwandt auf die geschmacklose Malerei dieses Rouleaus: ein verliebtes Paar in mittelalterlicher Tracht, von einem Altan, der in einen kornblumenblauen See gebaut war, Schwäne fütternd. Sie starrte auf das Bild, das sie tausendmal gesehen hatte, ohne es anzublicken. Erst heute fiel ihr die Albernheit und Häßlichkeit auf. So lag sie lange da, mit weit offenen Augen die kindisch gemalte Gruppe betrachtend, unfähig, einen Gedanken zu fassen; sie fühlte auch nichts, – nicht einmal die schmerzhafte Empfindung, die ihre Hand unwillkürlich an die linke Seite der Brust führte und sie dort drücken ließ …

Martha hatte mit ihres Geistes Augen ahnungsvoll die Erscheinung ihrer Nebenbuhlerin richtig erschaut.

Hugo war ganz betroffen, als er, in das kleine Boudoir neben dem Erkersalon geführt, Leonie gegenübertrat.

»Entschuldigen Sie nur, daß ich Sie so empfange,« sagte sie ruhig, während sie sich auf die Chaiselongue setzte und Hugo einlud, auf dem ihr nächststehenden Sessel Platz zu nehmen. »Ich habe mich in der Zeit geirrt und bin mit meiner Toilette nicht fertig geworden. Ich wollte Sie nicht warten lassen.«

Sie hatte in der Erinnerung an das Bild, das ihr gestern der Spiegel gezeigt hatte, ihre Haare nicht aufgesteckt, die wiederum in wundervollen schwarzglänzenden Wellen bis über die Hüfte hinabflossen. Hugo blickte mit ehrlicher Bewunderung auf die Pracht und Fülle dieser Haare. Er sah jetzt zum ersten Male die schöne Rundung des Kopfes, die sonst durch die modische Frisur unkenntlich gemacht wurde. Leonie trug einen Schlafrock in orientalischem Schnitt aus crêmefarbenem Cachemir, mit sehr weiten Aermeln, die bei jeder Bewegung die Hälfte des nackten Armes und mehr noch dem Blicke darboten. Um die Hüfte war eine starke aus Seide gewirbelte Schnur mit Quasten von derselben gelblich weißen Farbe geschlungen.

Hugo blickte schweigsam auf die schöne Frau. So verführerisch liebreizend, so morgenfrisch hatte er sie nie gesehen. Er schwieg so lange, daß Leonie auf's Neue das Wort nehmen mußte.

»Ich habe Ihren Wunsch erfüllt. Wir werden nicht gestört werden. Felix ist auf der Börse. Ich habe mir jeden andern Besuch verbeten. Was haben Sie mir nun zu sagen?«

»Ich bitte Sie, hören Sie mich nachsichtig an! Und werden Sie nicht ungeduldig! Ich will mich so kurz wie möglich fassen. Ich habe Ihre Bekanntschaft gesucht – ich gestehe es ehrlich: aus Neugier. Matt hatte mir viel von Ihrem Hause, von Ihren Eigenschaften als Wirthin erzählt. Ich wollte Sie und Ihre Gesellschaft beobachten, wollte bei Ihnen lernen – wenn ich mich zugleich dabei amüsiren würde, um so besser! Ich war damals schon verlobt. Aus materiellen Gründen waren wir, Fräulein Martha und ich, übereingekommen, die Verlobung erst unmittelbar vor unserer Vermählung bekannt zu machen. Ich hatte keine Veranlassung, hatte nicht einmal das Recht, damals mit Ihnen von der Sache zu sprechen.«

»Damals! … Aber dann?«

»Sie wissen, wie unbegreiflich schnell wir uns einander näherten. Als ich mit Ihnen zwei-, dreimal zusammengetroffen war, hatte ich mit Ihnen schon Dinge besprochen, wie sie nur in vollster Intimität zur Sprache kommen. Mein Vertrauen zu Ihnen war grenzenlos. Ich fühlte das mächtigste Bedürfniß, Sie in die geheimsten Verborgenheiten meiner Seele blicken zu lassen. Ich hatte nie ein solches Verständniß, ein solches Mitfühlen gefunden, niemals eine solche Anregung. Was soll ich nach Umschreibungen suchen! Ich war in Sie verliebt! Meiner Braut hatte ich in meinem Herzen die Treue gebrochen! Hätten auch Sie mir die Beweise Ihrer Liebe gegeben … Sie haben es nicht gethan! … Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Sie würde das schwache Kind vernichtet haben. Und vielleicht täuschte ich mich über meine Gefühle! Vielleicht war es doch nur ein vorübergehender Rausch … Vielleicht brachte mich Ihre leidenschaftslose Ruhe wieder zur Vernunft. Ich hatte nicht den Muth, dem armen Geschöpf den tödtlichen Streich zu versetzen. Und sollte ich's Ihnen sagen?«

»Ja!«

»Nein! Denn ich liebte Sie bis zum Wahnsinn. Ich konnte nicht ohne Sie athmen … Sie aber hatten meine Werbungen als Liebender zurückgewiesen, hatten mir nur gestattet. Sie als Freundin zu verehren …«

»Ach so!« griff Leonie jetzt mit bitterm Lächeln ein. »Und die Freundin hatte keinen Anspruch auf Ihr Vertrauen! … Fühlen Sie denn nicht, wie jämmerlich Ihre Argumente sind, wie Sie sich winden und drehen? Sie lassen Ihre Braut in dem Wahn, daß Sie sie lieben. Sie thun Alles, was Sie vermögen, um mich glauben zu machen, daß Sie mich lieben. Lüge hüben, Lüge drüben! Und nun wollen Sie mir auseinandersetzen, daß das Alles ganz in Ordnung ist? Strengen Sie sich nicht weiter an! Wir sind mit einander fertig. Und wenn Sie mir noch einen letzten guten Rath gestatten wollen, so ist es der: haben Sie nun wenigstens den Muth, auch Ihrer Braut klar zu machen, daß Sie mit ihr fertig sind! Sie haben mir ja deutlich genug zu verstehen gegeben, daß Sie Ihre Braut geopfert haben würden, wenn ich Ihre Geliebte geworden wäre.«

»Wenn Sie es geworden wären!« rief Hugo, durch den höhnischen Ton Leonies gereizt. »Ja, was dann geschehen wäre, – ich weiß es freilich nicht! Aber Sie sind's nicht geworden! Sie sind mir im wahrsten Sinne des Wortes eine Freundin gewesen, eine theilnahmvolle, fördernde Freundin, der ich, was immer geschehen mag, stets dankbar sein werde. Was wollen Sie also? Sind Sie meine Freundin, so können Sie in meiner Braut keine Nebenbuhlerin erblicken. Daß ich Ihnen meine Verlobung verschwiegen habe, darf Sie dann verwundern, verstimmen, vielleicht sogar verletzen, aber Sie haben nicht das Recht, mir eine Treulosigkeit, eine Lüge vorzuwerfen.«

»Ich bin doch eine begehrlichere Freundin gewesen, als Sie sich denken, mein Lieber. Ich habe Alles von Ihnen gewollt: all Ihre Zuneigung, all Ihr Empfinden, Ihr ganzes Herz! Und ich habe Ihnen Alles dafür gegeben, Alles, was mir gehörte, – meine Seele! Was nicht mehr mir gehörte, habe ich dem, dem es zu eigen ist, allerdings nicht wieder gestohlen, um es Ihnen heimlich zu geben, wie ein Dieb dem Hehler. Das ist's, was Sie mir jetzt zum Vorwurf machen, was Sie in ihrer sittlichen Auffassung berechtigt, seit langen Monden vor mir etwas zu verschweigen, was Ihnen auf den Lippen brennt, was Sie, wie Sie ganz genau wissen, mir sagen mußten! Fechten Sie nicht mit hohlen Worten! Ihre Verlobung war eine Treulosigkeit an mir, Ihre Freundschaft eine Treulosigkeit an Ihrer Braut.«

»An meiner Braut habe ich mich versündigt! Ja! Ich will's auch ehrlich bekennen, und sie wird mir vergeben.«

»Was!« rief Leonie fast entsetzt. »Sie wollen das arme thörichte Ding durch Ihre Sophistereien bethören? Wollen ihr die kindische Fabel von dem vorübergehenden Rausch auftischen, die Sie in Ihrer schuldbewußten Befangenheit eben vor mir zum Besten gegeben haben? Wollen sie an eine Verirrung glauben machen? Wollen den reuigen Sünder spielen, der den rechten Weg zu ihrem Herzen wiedergefunden hat? … Sie sollten sich schämen! Ob Sie mich je geliebt haben … ich weiß es nicht. Ich habe es geglaubt! Daß Sie aber das blasse Mädchen nicht lieben, daß weiß ich so gewiß, wie ich weiß, daß Sie mir jetzt Abscheu einflößen! Gehen Sie!«

Sie hatte sich erhoben, und auch Hugo war aufgestanden. In ihren kleinen Augen blitzte Zorn und Haß. Alles empörte sich in ihr bei dem Gedanken, daß er jetzt, der Fesseln, die ihn an sie gebunden hatten, ledig, zu ihr, dem kranken unbedeutenden Wesen zurückkehren würde. Ah, die unerfahrene Thörin, die einfach in ihn vernarrt war, würde ihm beim ersten Kusse glauben und verzeihen. Mit der würde er spielend fertig werden … Es wühlte grausam in Leonies Brust, ihr Herz krampfte zusammen, sie war fast von Sinnen vor Eifersucht. Sie lachte hohl auf, als sie einen Blick auffing, der nach dem Hute spähte … er wollte gehen, wie sie es ihm befohlen hatte! Er konnte so von ihr gehen!

»Sie verjagen mich! Ich muß gehorchen! Wenn ich später einmal …«

Leonie schüttelte heftig den Kopf, den die dunklen Locken wundersam umspielten.

»Nie!« rief sie mit fast kreischender Stimme.

»Und so soll ich von Ihnen scheiden? Ohne Ihnen auch nur ein Wort des Dankes sagen zu dürfen für Alles …«

Leonie schüttelte wiederum die dunkel glänzenden Wellen.

»Gehen Sie!« wiederholte sie, jetzt mit leiser Stimme. »Ich hasse Sie!«

Sie standen sich dicht gegenüber. Der berauschende Duft, der dem herrlichen Haar entströmte, umnebelte Hugos Sinne. Er hörte ihre hastigen Athemzüge und fühlte deren warmen Hauch. Er sah sie an, fragend. Eine schmerzhafte Falte zeichnete sich auf ihrer Stirn. Ein klagender, vorwurfsvoller – ein trauriger und unendlich zärtlicher Blick traf ihn – traf ihn mitten in's Herz. Und dieser Blick entzündete die Gluth, die der verliebte Thor zu ersticken gewähnt hatte, wiederum zu lodernder Flamme. Er dachte an nichts mehr auf dieser weiten Welt als an das wundervolle Weib, das er dicht vor sich sah, das er fühlte. Er hatte alles Andere vergessen, alle bösen Worte, die er gehört, alle guten Absichten, die er mitgebracht hatte. Ihm war zu Muthe, als ob eine unsichtbare Faust seinen Kopf duckte. Auch er athmete schwer, und mit offenen Lippen schlürfte er den Athem aus ihrem Munde. Sie blieb regungslos. Er lächelte sonderbar. Als aber sein Arm sich um ihre schmiegsame Hüfte legte, als er die schlanke Gestalt sanft an seine Brust zog und dann fest an sich drückte, als seine glühenden Lippen die ihrigen berührten, da sank ihr Kopf wie leblos nach hinten. Und sie zitterte und bebte heftig am ganzen Leibe, wie das gehetzte Reh, das kein Entrinnen mehr sieht.

»Geh! geh!« hauchte sie schmerzlich lächelnd, ohne ihre Lippen von den seinigen zu trennen.

Er preßte sie noch inniger an sein klopfendes Herz und er fühlte, wie sie ihn seufzend mit ihren nackten Armen umschlang.

Sie hielten sich umfangen, Mund an Mund, mit halb geschlossenen Lidern, lächelnd und seufzend, und hauchten sich kosend Unverständliches zu. Sie halten sich Alles vergeben. Sie wußten nicht einmal mehr, daß sie sich etwas zu vergeben hatten. Sie betrachteten sich verwundert, ungläubig, selig.

Er kniete vor ihr, bedeckte ihre Hand mit Küssen, küßte ihre Stirn, ihre Wangen, ihren Mund und streichelte, dankbar zärtliche Laute lallend, das weiche duftende Haar, das von dem niedrigen Divan bis auf den Teppich herabfiel. Sie lächelte unter seinen Liebkosungen und erwiderte sie mit halb geöffneten Lippen und halb geschlossenen Lidern, glücklich und versöhnt.

»Nun weißt Du, daß ich Dich liebe,« flüsterte sie ihm in's Ohr.

»Ja!«

»Und Du liebst mich auch? Nur mich?«

»Nur Dich! Du weißt es ja!«

»Ja!« hauchte sie kaum vernehmbar.

Wohl trat vor ihrer Beider Seele jetzt schattenhaft die Gestalt eines blassen, kranken Mädchens mit leuchtenden Augen. Aber sie zerfloß im Sonnenglanze, der die Glücklichen erhellte, wie gespenstischer Spuk im Frühlichte.

Marthas Name würde zwischen ihnen nicht mehr ausgesprochen.



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