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1873.


I.

Felix Welsheim war seines Glückes Schmied. Er war stolz darauf und erzählte Jedem, der es hören wollte, und auch denen, die nicht danach verlangten, wie er im tollen Jahre 1848 als kaum fünfzehnjähriger Junge nach Berlin gekommen war – mit zerrissenen Stiefeln und einem Baarvermögen von sechs guten Groschen –, und wie er als Laufbursche im Hause E. Tillmann & Söhne seine kaufmännische Laufbahn begonnen hatte. Es war ein altes patriarchalisches Geschäft, still, solide, nicht gerade bedeutend, aber sehr respectabel und respectirt. Der damalige Chef Ewald Tillmann war der Enkel des Begründers der Firma, die sich seit Ende des vorigen Jahrhunderts mit allen Ehren behauptete.

Der würdige Herr Tillmann hatte in dem jungen Felix mit gutem Blick einen brauchbaren und aufgeweckten Burschen erkannt und Gefallen an ihm gefunden. Versuchsweise gab er ihm Aufträge, die über die Anforderungen, welche man an einen Laufburschen zu stellen berechtigt ist, hinausgingen, und nachdem diese zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt waren, ließ er Felix eines Morgens in sein Cabinet kommen und eröffnete ihm, während er schmunzelnd sein glattrasirtes Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmte, daß er ihn als Lehrling ins Geschäft nehmen und ihm als besondere Begünstigung ausnahmsweise den Lohn, den Felix als Laufbursche bezogen hatte, als Salair belassen wolle – unter der Bedingung, daß kein Mensch im Comptoir etwas davon erführe. Fünf Jahre später konnte Herr Tillmann seinen Schützling als »jungen Mann« auf die Börse schicken; und Felix Welsheim machte sich da so gut, bekundete ein so ausgesprochenes kaufmännisches Talent, operirte so umsichtig und erfolgreich, auch für seine eigene Rechnung, daß er nach weiteren vier Jahren – als ihm der alte Tillmann einmal sehr heftige Vorwürfe darüber machte, auf eigene Faust speculirt, Geschäfte gemacht und ein ihm vertrauensvoll mitgetheiltes Geschäftsgeheimniß zu seinem eigenen Vortheil in strafbarer Weise ausgebeutet zu haben –, sich sittlich entrüsten und seinem Wohlthäter den Stuhl vor die Thür setzen durfte.

Darauf hatte Felix Welsheim lange gewartet. In den ersten Monaten des Jahres 1858 wurde sein Name als Inhaber eines Bank- und Commissionsgeschäfts in das Handelsregister eingetragen. Das Glück begünstigte alle seine wichtigeren Unternehmungen. Im Hochsommer 1866, als bei Ausbruch des deutsch-österreichischen Krieges eine zeitweilige Depression aller Werthe eingetreten war, hatte er mit äußerster Anspannung seines ganzen Credits eine riesige Speculation in Grundstücken unternommen, die ein glänzendes Ergebniß brachte. Felix Welsheim galt jetzt als ein vermögender Mann und er war in Wahrheit viel reicher, als die Leute dachten. Er verließ nun seine hübsche, aber bescheidene Wohnung in der Krausenstraße und miethete die erste Etage eines neuen Prachtgebäudes in der Victoriastraße. Keiner seiner Freunde und Bekannten zweifelte daran, daß er in diesen schönen und elegant eingerichteten Räumen sein einsames Junggesellenleben nicht lange mehr weiterführen werde. Und die Vermuthung, daß er auf Freiersfüßen gehe, befestigte sich immer mehr, da er sich allmählich von allen Convivien in den Privatgemächern der Lindenrestaurants zurückzog, sich mit einer kleinen Schauspielerin dritten Ranges an einem Theater vierten Ranges, mit der er manchmal gesehen worden war, in angemessener Weise abfand und im folgenden Winter in allen größeren Gesellschaften erschien. »Welsheim kommt auch,« flüsterten die Wirthinnen bedeutungsvoll den Müttern verheirathungslustiger und heirathsfähiger Töchter zu, und sie waren sicher, mit dieser Mittheilung eine freudige Wirkung zu erzielen.

Aber der Winter ging vorüber und der Frühling und der Sommer, ohne daß Welsheim unter den Töchtern des Landes die Eine, die er suchte, gefunden hätte. Endlich im Herbst lernte er in Scaborough ein junges Mädchen kennen, das ihm ungewöhnlich gefiel, und dem er sehr energisch und mit den ernsthaftesten Absichten den Hof machte. Es war Fräulein Leonie Delponte, eine Holländerin portugiesischen Ursprungs, die zwanzigjährige Tochter eines wohlhabenden Amsterdamer Kaufmanns, die von ihrer umsichtigen Mutter auf eine glänzende Partie hin sorgfältigst erzogen war, seit drei Jahren in den fashionablen Bädern, an der Riviera und in Paris unter günstigster Beleuchtung ausgestellt wurde, den erwarteten Millionär oder Fürsten ältesten Stammbaums an sich zu fesseln aber bis zur Stunde noch immer nicht vermocht hatte. Seit einiger Zeit war denn auch über Mutter und Tochter zugleich eine sonderliche Unruhe gekommen, und so fand Felix Welsheim, als er sich der Familie Delponte näherte, einen ausnehmend günstigen Boden. Als Frau Delponte merkte, daß der junge deutsche Banquier ihrer Leonie sicherlich in den nächsten Tagen einen Antrag machen werde, telegraphirte sie an ihren Mann in Amsterdam, er möge in Berlin zuverlässige Erkundigungen einziehen. Die Auskunft lautete befriedigend, und Leonie erhielt die Erlaubniß, die Bewerbungen des Herrn Welsheim mit sittsam gesenkten Lidern sich gefallen zu lassen und ihn zu gehöriger Stunde erröthend an Mama zu verweisen. Die Geschichte nahm ihren vorschriftsmäßigen Verlauf. Anfang October des Jahres 1868 verlobte sich Herr Felix Welsheim mit Fräulein Leonie Delponte, Mitte December fand die Hochzeit statt, und Ausgang Januar 1869 kam das junge Paar, das seine Flitterwochen in Cannes und Nizza verbracht hatte, in Berlin an.

Leonie machte in der Berliner Gesellschaft nicht geringes Aufsehen. Sie war sicherlich, wenn nicht eine der schönsten, wenigstens eine der elegantesten und pikantesten jungen Frauen. Ihr kleiner Kopf mit den üppigen dunkeln Haaren saß herrlich auf dem schlanken Halse, ihre Schultern, ihr Nacken, ihre Arme erregten die Bewunderung der Männer und den Neid der Weiber. Sie kleidete sich mit bestem Geschmack einfach und doch eigenartig. Das Reizvollste an ihr aber waren ihre merkwürdigen Augen, nicht übermäßig groß, eigentlich auch nicht schön, aber von einem ganz sonderbaren verlangenden Ausdruck, mit wasserblauer Iris, unruhig, flatternd, mit irrendem, weit schweifendem Blick, der Personen und Gegenstände nur flüchtig streifte, hastig weiterhuschte und sich in die Leere zu verlieren schien.

Leonie war sehr kokett. Ihre Unterhaltung war lebhaft, und da sie die verwegensten Behauptungen mit erstaunlicher Keckheit aufstellte, erwarb sie sich schnell den Ruf einer geistreichen Frau. Mit der Sicherheit einer Fürstin sprach sie in der That über alles Mögliche und Unmögliche, und sie sagte gewöhnlich das Gegentheil von dem, was die Anderen sagten. Durchgefallene Stücke fand sie hervorragend, erfolgreiche elend, Kunstwerke, die Sensation machten, erklärte sie für stümperhafte Holzhackerarbeit, und in dem verkommenen Urheber irgend eines wüsten Verbrechens witterte sie den Märtyrer der socialen Vorurtheile.

Einen entschiedenen Vorzug vor den Damen, die ihr social gleichgestellt waren, besaß Leonie unzweifelhaft: sie war großstädtischer. Sie hatte mehr gesehen und gehört und sich die anmuthige Ungezwungenheit im Umgange in höherem Maße anzueignen gewußt, als die meisten Ihresgleichen. Sie war eine der Wenigen, vielleicht die Einzige, die zu einer Zeit, als Berlin noch in den Windeln des weltstädtischen Wesens lag, einen Kreis um sich zu bilden gewußt hatte, der mit dem Charakter des kosmopolitischen Salons einige Aehnlichkeit besaß. Mit angeborenem und durch eine gute Erziehung vervollkommnetem Takt wußte sie zwischen den verschiedenartigen Elementen, die sich ohne besondere Einladung an den Dienstag-Abenden bei ihr zusammenzufinden pflegten, eine angenehme und behagliche Einheitlichkeit herzustellen. Jeder der jungen Herren, ob er nun der Diplomatie oder dem Heere, der Kunst oder Wissenschaft angehörte, als Industrieller oder an der Börse eine Rolle spielte, bildete sich ein, von der reizenden Wirthin besonders bevorzugt zu werden, und glaubte mit einiger Berechtigung aus einem mühelos aufgefangenen, sonderbar verheißungsvollen Blick der schwärmerischen Augen so etwas wie eine Zusage auf eine verfängliche Frage, die stummberedte Versicherung, am Vorabende eines schönen Ereignisses zu sein, herauslesen zu dürfen.

Welsheim hatte während des deutsch-französischen Krieges sein Vermögen verdreifacht. Er gehörte jetzt zu den beachteten Persönlichkeiten der Berliner Börse. Man kannte seine Beziehungen zu Leuten, die in der Lage waren, über die politischen Vorgänge gut unterrichtet zu sein, und umringte ihn, wenn er über diese oder jene Tagesfrage orakelte. Er sah dann immer sehr feierlich aus, legte die Stirn in tiefe Falten, steckte die beiden Hände in die Hosentaschen und wiegte den Körper, der mit dem zunehmenden Wohlstande auch an Gewicht gewonnen hatte, auf Sohle und Absatz hin und her. Seine Scherze brauchten garnicht gut zu sein, um die Runde während der Börsenstunden zu machen und alsbald von der Burgstraße ihren Weg nach dem Thiergarten zu nehmen. Mit einem Worte, Welsheim war ein wichtiger Börsenmann geworden, Anfänger fühlten sich geschmeichelt, wenn er mit ihnen sprach, und er selbst blickte nun mit lächelnder Ueberlegenheit auf den alten Tillmann, den er längst überflügelt hatte, herab.

Dieser in seinem geschäftlichen Wirkungskreise so einflußreiche und gebieterische Mann schrumpfte in seiner eigenen Häuslichkeit zu beklagenswerther Nichtigkeit zusammen. Leonie hatte sich nie viel aus ihm gemacht, es erschien ihr ganz selbstverständlich, daß sie ihn beherrschte. Sie allein entschied, ohne auch nur den Versuch der Einmischung, geschweige denn des Widerspruches zu kennen, über alle wesentlichen und unwesentlichen Fragen. Sie bestimmte die Einladungen, die zu erlassen waren, die Annahme oder Ablehnung der eingegangenen, die Theaterabende, den Sommeraufenthalt, die Neuanschaffungen. Felix hatte nicht einmal eine berathende Stimme dabei. Wenn er sich manchmal wunderte und mit einer gewissen Unbeholfenheit, die zu dem selbstbewußten Auftreten des Geschäftsmannes einen seltsamen Gegensatz bildete, um eine Aufklärung in aller Bescheidenheit zu bitten sich unterfing, so schnitt sie mit den Worten: » mon ami, cela ne te regarde pas,« – in solchen Fällen pflegte sich Leonie der französischen Sprache zu bedienen – jede weitere Erörterung lächelnd ab.

Unter den jungen Leuten, die an keinem Dienstag im Salon der reizenden Frau Leonie fehlten, schien sich der junge Schriftsteller Dr. Hugo Hall der besonderen Gunst der gefeierten Wirthin zu erfreuen. Im Jahre 1872 war Dr. Hall bei Welsheims eingeführt worden. Er zählte damals 29 Jahre. Er hatte ursprünglich Naturwissenschaften, insbesondere Botanik studirt. Der Erfolg eines Bändchens recht hübscher Gedichte hatte ihn dazu veranlaßt, sein Studium an den Nagel zu hängen und sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Er erfreute sich des Rufs einer ganz ungewöhnlichen Begabung, ja des Genies, obgleich er bis zur Stunde noch nichts geleistet hatte, um diesen Ruf zu rechtfertigen. Die Aufsätze, die er in langen Zwischenräumen veröffentlichte, machten zwar durch das Paradoxe des Inhalts und die bizarre Form einiges Aufsehen, aber sie wirkten doch wie die gequälten Hervorbringungen eines krankhaften Geistes. Aber Diejenigen, die von der Bedeutung Halls überzeugt waren, mochten diesen Kleinigkeiten auch gar keinen besonderen Werth beilegen; sie meinten, Hall habe noch ganz andere Pfeile in seinem Köcher, und die Welt werde staunen, wenn er einmal losschösse. Das kommende Werk Hugo Halls, von dem Niemand sagen konnte, ob es in Prosa oder in Versen abgefaßt, ob es ein Roman oder ein Drama sei, war schon berühmt, ehe noch eine Zeile davon geschrieben war. Und dazu hatte vor allem Frau Leonie Welsheim beigetragen.

Nicht wenig wurde der anticipirte Ruf des Dichters durch die Persönlichkeit gefördert. Hugo Hall war in der That ein sehr schöner Mann, groß, breitschultrig, elastisch und gewandt in seinen Bewegungen. Er sah aus wie ein echter Germane. Er trug das aschblonde Haupthaar kurz geschoren, ebenso den losen Backenbart, am Kinn war der weiche blonde Bart spitz zugeschnitten. Die hohe und gewölbte faltenlose glänzende Stirn ließ auf nicht gewöhnliche Geistesgaben schließen, der schön geformte Mund mit den üppigen Lippen verrieth sinnliche Neigungen. Das große, grünblaue, dunkel wirkende Auge wechselte beim Sprechen beständig den Ausdruck und begleitete die Worte mit einem sehr beredten Commentar. Hall gefiel allen Frauen, und wenn nicht alle Zeichen trügten, Leonie ganz ausnehmend. Er war sich der wohlgefälligen Wirkung, die er auf das weibliche Geschlecht ausübte, auch sehr wohl bewußt und offenbar bestrebt, sich diese Macht zu erhalten. Obgleich es ihm recht kümmerlich ging und er beständig von Geldsorgen gepeinigt wurde, gab er für seine Kleidung doch gerade so viel aus, wie die bekanntesten Stutzer. Sobald er in Damengesellschaft sich befand, setzte er sich in Scene, beobachtete seine Haltung und gab, je nach Bedarf, seinem ausdrucksfähigen Gesicht den Charakter des grübelnden Denkers, des weltschmerzlichen Melancholikers, des wildleidenschaftlichen Eroberers, des reinen Thoren.

Gleich bei der ersten Begegnung hatte Leonie einen besonderen Eindruck auf ihn gemacht, und sie selbst, die grundsätzlich jeden jungen Mann in dem Wahn bestärkte, daß sie ihn vor allen übrigen bevorzuge und ihm in kaum noch statthafter Weise gewogen sei, hatte sich für den schönen Hugo Hall mit den schwermüthigen und doch so feurigen Augen lebhafter und wahrer interessirt, als sie es sich selbst gestehen mochte. Sie hatten, nach den unvermeidlichen Banalitäten bei der Anknüpfung einer jeden neuen Bekanntschaft, kaum fünf Minuten miteinander gesprochen, so merkten sie auch schon und gleichzeitig, daß sie als ebenbürtige Gegner einander gegenüberstanden, die in den kleinen Fechterkünsten der Salonplänkelei gleichermaßen bewandert und gewandt waren. Sie hatten auch Beide das instinctive Gefühl, daß es zwischen ihnen bei den oberflächlichen Scherzen schwerlich sein Bewenden haben würde, daß etwas Gewitterschweres zwischen ihnen lag, daß sie verhängnißvoll aneinander getrieben werden würden, und Beide fürchteten sich davor. Sie waren Beide ohne irgend welchen erkennbaren Grund in einer gereizten Stimmung gegen einander, als ob sie sich gegenseitig gekränkt fühlten.

Leonie, die nur über Abwesende boshafte, mitunter auch witzige Bemerkungen machte, war allen ihren Gästen gegenüber von ausgesuchter Artigkeit. Es war ihr aber geradezu unmöglich, Hugo auch nur eine freundliche Trivialität zu sagen. Sie war spitzig, unverbindlich, beinahe ungezogen. Hugo, der durch gute Behandlung sehr verwöhnt war, war davon durchaus nicht überrascht; er schien es erwartet zu haben und ganz in der Ordnung zu finden. Er reizte durch seine Kühle und erkünstelte Ueberlegenheit die junge Frau nur noch mehr. Sie erzürnte sich sogar ganz ernstlich und schied von ihm mit einer beabsichtigten Unhöflichkeit.

»Sie haben nicht das Recht, in der Weise zu lächeln,« sagte sie ihm, während die Blicke aus ihren wasserblauen Augen die seinigen umhuschten, »dazu sind Sie wirklich noch zu jung und noch nicht berühmt genug.«

Sie wandte ihm den Rücken und trat, sich langsam fächelnd, an eine Gruppe plaudernder Gäste heran. Diesen gegenüber fand sie mühelos den Ton bestrickender Liebenswürdigkeit wieder. Obwohl sie sich anscheinend um den unberühmten Dichter, den sie so unfreundlich abgetrumpft hatte, gar nicht mehr kümmerte, dachte sie doch an keinen Anderen als an ihn, und er allein schien in dem überfüllten Salon ein lebendiges Wesen zu sein, alle Anderen waren ihr Schatten und Schemen. Und als sie ihn auf einige Zeit aus den Augen verloren hatte und meinte, er habe sich ohne Abschied unauffällig entfernt, überfiel sie eine sonderliche Unruhe. Sie brach die Unterhaltung, an der sie theilgenommen hatte, jäh ab, entschuldigte sich mit den Pflichten der Wirthin und suchte ihn.

Hugo hatte allerdings zunächst die Absicht gehabt, sich aus dem vielgerühmten Hause, dessen Wirthin so herausfordernd unverbindlich gegen ihn gewesen war, unbemerkt davon zu schleichen, aber er war geblieben, weil er eben bleiben mußte. Er redete sich zwar ein, daß er Frau Leonie den Triumph nicht gönnen dürfe, ihn beim ersten Angriff aus dem Felde geschlagen zu haben. In Wahrheit aber handelte es sich für ihn weder um Sieg noch um Niederlage. Er fühlte sich in Leonies Nähe gebannt. Ob sie ihn gut oder schlecht behandelte, war gleichgiltig, die Hauptsache war, daß er bei ihr war, sie sehen und hören konnte. Er sah, wie an dem Reflexe ihrer eigenartigen Anmuth sich alle Gesichter aufhellten, wenn sie mit ihrem entzückenden Lächeln an diese oder jene Gruppe herantrat, er bewunderte die schöne, schlanke Gestalt, die Pracht des blendenden Nackens, des lieblich gerundeten Halses, mit dem wundervollen, durch kokett kleine Löckchen begrenzten Ansatz des vollen, weichen, fast schwarzen Haares, und er dachte nicht mehr daran, daß er sich über Leonie eigentlich zu beklagen hatte. Er fühlte sich wohl im Begehren, er hatte auch eine gewisse stolze Ahnung des Gewinnens.

Jetzt bemerkte er, wie Leonie mit jener besonderen Art des Grüßens und Lächelns, die den Wunsch, nicht durch eine Anrede aufgehalten zu werden, deutlich ausspricht, langsam den Salon durchschritt und ihre Blicke systematisch durch den ganzen Raum schweifen ließ. Noch hatte sie ihn in der Vertiefung des Erkers hinter dem mächtigen Blumenaufsatze nicht erspäht, noch hatte er Zeit, sich diejenige Stellung und seinem Gesicht denjenigen Ausdruck zu geben, die ihm am angemessensten und wirksamsten erschienen. Er entschied sich für lässige Vornehmheit in der Haltung und heitere Unbefangenheit der Physiognomie. Da plötzlich sah sie ihn. Ihre Blicke kreuzten sich im Nu, dem unmeßbaren Bruchtheile einer Sekunde, aber es durchfuhr sie Beide, und ihre Herzen hämmerten. Dann ging sie ruhig, lächelnd, wie sie vorher gelächelt hatte, vorüber und sagte einer jungen Frau: »Wo treiben Sie nur die köstlichen Gardenien auf? Meinem Gärtner gebe ich den Laufpaß. Man bekommt von ihm seit Monaten nichts als elende Krüppel auf Draht.«

Die Dame gab ihr die Adresse ihres Gärtners, den sie angelegentlich empfahl. Leonie dankte mit großer Wärme. Sie hatte garnicht hingehört. Als ob sie sich um Gardenien, um Blumen mit Stengeln oder auf Draht in diesem Augenblick bekümmert hätte:

Sie sprach mit Hugo Hall kein Wort mehr. Erst als er sich gegen zwei Uhr Morgens als einer der letzten Gäste empfahl, sagte sie ihm, und jetzt mit wirklicher Freundlichkeit: »Man sieht Sie doch bald wieder?«

»Sobald Sie gestatten … nächsten Dienstag, wenn es nicht indiscret ist.«

»Ah! das ist viel zu lange! Bis dahin würde sich die Meinung, die Sie jetzt von mir haben dürfen, zu fest setzen. Und mir liegt daran, daß Sie mich bald besser kennen lernen.«

»Ich denke schon das Allerbeste von Ihnen, aber es würde mir natürlich eine Ehre und Freude sein …«

»Haben Sie sich für morgen Abend schon vergeben?«

»Wenn ich Sie morgen sehen darf, nein.«

»Also begleiten Sie uns morgen ins Schauspielhaus! Von dem neuen Stücke wird so viel Gutes gesagt. Liedtcke, die Erhartt und der alte Doering sollen ja brillant sein. Haben Sie die Première gesehen?«

»Nein, gnädige Frau!«

»Ich darf also auf Sie rechnen? … Ich schicke Ihnen morgen Nachmittag das Billet … Wir werden allein sein … mit meinem Manne.«

»Zu gütig, gnädige Frau. Also auf morgen!«

»Auf morgen.«

Sie reichte ihm die Hand, von der sie, während sie gesprochen, den Handschuh gestreift hatte. Er führte die kleinen Finger an seine Lippen und empfahl sich mit respectvoller Verbeugung.

Als bald darauf der letzte Gast das Zimmer verlassen hatte und Welsheim mit einem Kuss auf die Stirn seiner Frau gute Nacht wünschte, sagte Leonie:

»Ich brauche für morgen eine Loge im Schauspielhause.«

Welsheim blickte erstaunt auf.

»Du hast mir doch heute Vormittag, als ich Dich fragte, gesagt …«

»Heute Vormittag hatte ich eben keine Lust, und jetzt brauche ich sie, lieber Freund!«

»Aber, liebes Kind, das wird sehr schwer halten. Nach dem gestrigen Erfolge ist das Haus für morgen bereits vollkommen ausverkauft …«

»Du wirst schon Mittel und Wege finden,« lächelte Leonie. »Ich habe das vollste Vertrauen zu Dir.«

»Ich will mir alle Mühe geben … aber versprechen kann ich nichts.«

»Ich bin ganz unbesorgt … Ich habe heute so viel Gutes von dem Stück gehört …«

»Ja, ja … Na, was ich thun kann, soll geschehen.«

»Ach ja,« warf Leonie, die sich bereits der Thür zugewandt hatte, gleichgiltig hin, »den jungen Doctor, den Ringstetter uns zugeführt hat, den Schriftsteller … wie heißt er doch gleich?«

»Doctor Hall.«

»Ja! Den Doctor Hall habe ich gebeten, uns zu begleiten. Du kennst wohl seine Adresse und wirst die Freundlichkeit haben, ihm das Billet im Laufe des Nachmittags zu schicken … Nochmals, gute Nacht!«

Am andern Mittag erstand Welsheim an der Börse für den dreifachen Preis die Loge und schickte das Billet an Herrn Dr. H. Hall bei Frau Regierungsräthin Breuer, Brüderstraße.



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