Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.

Es regnete noch immer. So unbehaglich sich die Gäste des Welsheimschen Hauses auf der Fahrt im naßkalten Regen des Herbstabends auch fühlen mußten, sobald sie die Schwelle überschütten hatten, überkam sie eine gemüthliche und warme Stimmung. Die breite Thür des Hauses stand offen. Die Treppe war taghell beleuchtet. Den Eintretenden wurden von den geschäftigen Dienern die feuchten Sachen sogleich abgenommen. In den hübsch eingerichteten Garderobenzimmern waren alle Vorkehrungen getroffen, um die geringfügigen Schäden, die die Toiletten etwa erlitten hatten, wieder gut zu machen. Und die Empfangsräume selbst zeigten zur Feier des Tages eine geradezu verblüffende Pracht. Das Erkerzimmer war in Wahrheit in einen Blumengarten umgewandelt. In der Mitte des Runddivans erhob sich ein Aufbau von weißen Kamelien und tiefrothen Rosen von wunderbarer Schönheit. Der ganze Erker war zu einer Laube mit blühenden Blumen aller Art hergerichtet. Schlingpflanzen rankten sich an den Seiten bis zur Decke hinauf und umschlangen die Ampel, deren Licht sie fast erstickten. Womöglich noch kostbarer und üppiger war der Blumenschmuck im großen Salon. Da standen in den vier Ecken vier mächtige, über mannshohe japanische Bronzevasen von tiefbrauner Färbung, um die sich in hellerem, goldigem Tone schuppige Ungeheuer, Drachen mit weitgeöffneten Rachen, phantastische Krokodile und fabelhafte Schlangen wanden. Die Riesensträuße in diesen Vasen waren von herrlichster decorativer Wirkung in Form und Farbe. Die Ausstattung in dem anstoßenden kleinen Salon war nicht minder reich und geschmackvoll. Der Speisesaal war für's Erste noch geschlossen.

Die Gäste waren entzückt von all der Pracht, die ihnen entgegenstrahlte und entgegenduftete. Mit doppelter Empfänglichkeit empfanden sie im Gegensatz zu der Naßkälte und dem Dunkel des unfreundlichen Abends hier die gemüthliche Wärme, die leuchtende Schönheit und Helle, und schlürften mit äußerstem Wohlbehagen den heißen Thee, der ihnen gleich beim Eintreten angeboten worden war. Sie waren Alle in fröhlicher Laune, Alle voll Freude über den glänzenden Verlauf des Theaterabends, die meisten kannten Hall persönlich, die Andern freuten sich auf die interessante Bekanntschaft. Leonie war in ihrem Glück von bestrickender Anmuth. Sie ließ den Brief, den Hugo auf ihre Veranlassung geschrieben hatte, die Runde machen und scherzte in reizender Weise über die entzückende Kindlichkeit des Dichters, der sich erst in die Einsamkeit zurückziehen müsse, ehe er sich in den Kreis seiner besten Freunde und aufrichtigen Bewunderer hineinwage. Aber dem Original – wenn sie zu Damen sprach, sagte sie: dem Genie – müsse man alle kleinen Schrullen nachsehen.

Die meisten der Welsheim'schen Gäste waren ungefähr gleichzeitig, gleich nach Beendigung der Vorstellung, eingetroffen. Etwa eine halbe Stunde später kamen einige der Schauspieler und Schauspielerinnen, die in dem Stücke in wichtigen Rollen beschäftigt gewesen waren, und mit denen Welsheim durch Halls Vermittlung gesellschaftliche Fühlung gewonnen hatte. Sie wurden mit Complimenten überschüttet. Vallini, der von den Wirthen und den Gästen mit besonderer Auszeichnung behandelt wurde, meinte sogar: man thue für die Schauspieler vielleicht doch ein bischen des Guten zu viel. Was bleibe da für die übrig, die in die Stimme ihre ganze Seele hineinlegten, die ihr Herzblut gäben? …

Diejenigen, die aus diesem oder jenem Grunde der Vorstellung nicht beigewohnt hatten, ließen sich über das Stück und den durchschlagenden Erfolg berichten. Es war fast von nichts Anderm die Rede. Darüber herrschte nur eine Stimme, daß in Hugo Hall der deutschen Bühne ein ungewöhnlich begabter Dichter erstanden sei, der sicher eine große Zukunft habe. Vallini fand, daß man eigentlich ein bischen zu viel von dem Dichter spreche, und er fühlte beständig den Drang, die Unterhaltung von dem Erfolge des Abends auf andere Erfolge hinüberzuleiten, die er vor kurzem gelegentlich seiner Gastspiele in Karlsruhe, Stuttgart, Breslau u. s. w. gefeiert habe.

So etwa um elf Uhr waren die Gäste, auf die man voraussichtlich rechnen durfte, vollzählig vereinigt. Die Gesellschaft, die etwa sechzig bis siebzig Personen zählen mochte, war glänzender und interessanter denn je. Es waren eigentlich nur Leute da, die sich durch angeborene oder erworbene Eigenschaften hervorthaten, darunter ein paar Dutzend der allerbekanntesten Persönlichkeiten der Hauptstadt.

Der Augenblick war gekommen, da Leonie mit ihrem unwiderstehlichsten Lächeln an den Klaviervirtuosen, dessen freundliche Mitwirkung sie sich schon gesichert hatte, herantreten durfte, um ihm zu sagen, daß es reizend sei, wenn jetzt ein wenig musicirt würde. Alle freuten sich so unendlich darauf, den berühmten Künstler hören … Der Pianist ließ sich nicht lange bitten. Er schlug einige kräftige Accorde an … die Unterhaltung stockte. Er erzielte mit dem technisch meisterhaften Vortrage der zweiten Liszt'schen Rhapsodie eine große Wirkung.

Nach Vallinis Auffassung wurden dem Klavierspieler vielleicht sogar ein bischen übertriebene Huldigungen dargebracht. Mit einem Instrumente, dem der bloße Schlag Töne entlockt, sei es kein Kunststück, eine Wirkung zu erzielen, da handle es sich doch nur um eine mehr oder weniger mechanische Ausbildung, um etwas, das sich schließlich lernen lasse. Wie anders der Künstler, der selbst, mit seinem eigenen Organe sich die Mittel zur Hervorbringung der künstlerischen Wirkung erst zu schaffen habe, der mit seinem Herzblute arbeite, der seine ganze Seele in den Ton lege! Da sei dann allerdings in gerechtem Ausgleich der Eindruck ein ganz anderer, als ihn irgend ein lebloses Instrument hervorbringen könne. Er erinnere sich zufällig der Wirkung, die er vor kurzem in Petersburg mit einer einfachen Cantilene von Bellini erzielt habe. Großfürstin Olga, Kaiserliche Hoheit, hätten Thränen vergossen. Und nachher dieser Sturm der Begeisterung! Aber er spreche da von bekannten Dingen: es habe ja in allen Zeitungen gestanden.

»Nun, mein hochgefeierter Herr und gottbegnadeter Sänger,« sagte Leonie, die jetzt an Vallini herantrat, »Sie ahnen, um was ich betteln möchte! Seien Sie großartig! Machen Sie es mir nicht zu schwer!« Sie lächelte so lieblich, wie sie es nur irgend vermochte, neigte den leicht vorgebeugten Kopf ein wenig auf die Seite und blickte wie ein Kind, das um Zuckerwerk bittet, rührend und verlangend zu dem schönen Künstler auf. Es war vollkommen abgemacht, daß Vallini singen würde, er hatte bestimmt zugesagt, er hatte die Noten im Ueberrock und mit dem Begleiter Nachmittags probirt. Aber er hielt es doch für richtig, den Naiven zu spielen.

»Ich ahne in der That nicht, schönste Frau, worauf Sie hinaus wollen?«

»Also Sie ersparen mir die Bitte nicht? Was könnte ich als Wirthin erst von Ihnen erbitten? Sie würden uns entzücken, wenn Sie uns irgend eine Kleinigkeit vorsingen wollten.«

»Aber, holdeste Gnädige, Sie wissen doch, daß ich niemals …«

»Ich weiß Alles! Ich weiß vor Allem, daß Sie galant sind und es nicht über's Herz bringen werden, mir eine Bitte abzuschlagen, die ich im Namen aller der schönen Frauen und Mädchen ausspreche, die jetzt zu uns herüberschmachten … sehen Sie nur, man weiß ganz genau, was ich von Ihnen will …«

»Sie sind unwiderstehlich! Also, wenn es durchaus sein muß! …«

»Es muß durchaus sein!«

»Aber Sie müssen mich entschuldigen, ich bin heute gar nicht gut disponirt … und was soll ich Ihnen vorsingen?«

»Was Sie wollen!«

»Ich denke, etwas Italienisches? Vielleicht die Cavatine aus dem ›Trovatore‹? Aber die Stretta müssen Sie mir schenken, die traue ich mir heute nicht zu.«

»Ganz wie Sie wollen! Wenn Sie überhaupt irgend etwas singen, bin ich Ihnen schon unendlich dankbar.«

»So?« sagte Vallini mit ziemlich cynischem Ausdruck. »Dankbar? Hüten Sie sich, daß ich Sie daran erinnere.«

»Ich bin nicht furchtsam … Darf ich jetzt dafür sorgen, daß es ruhig wird?«

»Zufällig habe ich die Noten gerade bei mir, ich habe heute Nachmittag studirt, ich hole sie …«

Der Begleiter war schon benachrichtigt und hatte sich an den Flügel gesetzt. Er präludierte im Pianissimo, während Leonie die Gesellschaft auf das Ereigniß vorbereitete. Als Vallini neben den Flügel trat, wurde es mäuschenstill im großen Salon, in dem jetzt alle Gäste zusammengeströmt waren.

Er sang wundervoll. Seine Stimme besaß einen ganz merkwürdigen Wohllaut, namentlich in der hohen Lage, dazu die reizvollste Frische und männliche Kraft. Während des Gesanges lief es den Zuhörern warm und kalt über den Rücken. Sobald Vallini den Mund aufthat, ging eine unbegreifliche Wandlung in ihm vor. Alles Vordringliche, Geckenhafte, kindisch Eitle und Hohle – mit einem Worte: alles Lächerliche des Menschen wurde wie durch geheimen Zauber gebannt. Er machte nur noch den Eindruck des ernsten, tüchtigen, echtfühlenden, bedeutenden Künstlers. Er rührte, er ergriff, er war hinreißend. Für seinen Schmerz fand er so erschütternde Töne melodischen Schluchzens, der Aufschrei seiner Verzweiflung war so gewaltig, daß auch die kühleren Beobachter, die sich eben noch auf die Lippe gebissen hatten, um nicht aufzulachen, wenn er von seinen Triumphen erzählte und seine Trophäen in Gestalt von kleinen Orden, Medaillen, Brillantknöpfen, Uhr, Ringen etc. zur Schau stellte, jetzt wie ungläubig den Kopf schüttelnd lauschten und auf die Frage: ob dieser großartige Sänger und dieser kleinliche Narr denn wirklich derselbe Mensch seien, keine Antwort fanden. Daß sich das große Wunder der Kunst in einem so winzigen menschlichen Wesen offenbaren könne, – das erschien ihnen als der Wunder größtes.

Alle waren wie bezaubert, und als der letzte Ton verhallte, äußerte sich das allgemeine Entzücken in der ungestümsten Weise. Vallini wurde umringt, angejubelt – namentlich von den Frauen, auf die auch die Persönlichkeit des Sängers einen ganz besondern Eindruck machte. Selbst unter den Klügsten gab es nur sehr wenige, die wie Leonie die Lächerlichkeit und Narrethei des Menschen herausfühlten. Er hatte in seinem Gesicht, in seiner Haltung, in seiner Gestalt etwas Unbestimmbares, von dem die Männer nichts verspürten, das aber die Weiber sehr deutlich witterten, und das sie reizte.

Leonie, die für den unvergleichlichen Kunstgenuß am wärmsten und treuherzigsten dankte, war wohl von Allen die am wenigsten Aufrichtige. Sie hatte sich gleich nach den ersten Tönen unbemerkt in den Speisesaal geschlichen, um sich zu vergewissern, daß Alles in Ordnung sei, hatte da noch mancherlei angeordnet und war gerade rechtzeitig auf der Schwelle des großen Salons erschienen, um sich von der Wirkung Vallinis auf ihre Gäste zu überzeugen. Es that ihr innerlich leid, daß sie so gut wie nichts gehört hatte, denn sie war für Musik und namentlich für Gesang sehr empfänglich.

Die ganze Gesellschaft war in gehobenster Stimmung, es war gegen halb zwölf, und Leonie wollte gerade die Herrschaften bitten, zu Tische zu gehen, als Hugo eintrat. Leonie hatte ihn zwar noch nicht so früh erwarten dürfen, aber ein ahnungsvolles Gefühl hatte ihr gesagt, daß er jetzt kommen müsse, und sie war gerade in dem Augenblick, da Hugo die Schwelle überschritt, an die Thür getreten. Sie äußerte ihre Freude so unverhohlen übermüthig und gratulirte ihm so herzhaft, daß sich Aller Blicke auf die Beiden richteten. Nun drängte Alles zu dem glücklichen, erfolgreichen Autor. Man drückte ihm die Hand, und Jedermann äußerte seine volle Freude über den großen und wohlverdienten Erfolg des Schauspiels. Hugo war selig! Wie hatte er sich danach gesehnt! Er hatte schon zu zweifeln angefangen. Nun fühlte er's: es war sonnige Wahrheit! Hier brauchte er keine Fragen zu stellen, um die erhoffte Antwort hervorzulocken. Unaufgefordert erzählte ihm jeder Einzelne, wie eigenartig der Vorwurf sei, wie interessant die Handlung, wie scharf die Charakteristik, wie geistvoll der Dialog! »Herkules und Omphale« sei endlich einmal wieder etwas Neues, es bedeute für unsere dramatische Kunst einen Schritt vorwärts! … Er hörte es ein Dutzend mal, er konnte es gar nicht oft genug hören.

Vallini war innerlich recht ärgerlich über diese enthusiastischen Kundgebungen. Er sagte sich, daß eine jede Gesellschaft, also auch diese, doch nur über ein bestimmtes Quantum von Begeisterung zu verfügen habe, und was von diesem Vorrath zu Gunsten eines Anderen verbraucht werde, werde ihm entzogen. Schließlich war es doch seine künstlerische Leistung gewesen, die die Leute in die gebefreudige Stimmung versetzt hatte. Er hatte gesäet, was Herr Dr. Hugo Hall nun erntete. Es war eine schreiende Ungerechtigkeit. Zum Stimmungsmacher für dramatische Anfänger war er denn doch noch zu gut! Aber es geschah ihm ganz Recht! Weshalb hatte er sich breitschlagen lassen, hier etwas von seinem Besten, von seinem Herzblut, seiner Seele zu geben! Weshalb hatte er die Einladung überhaupt angenommen?

Weshalb? Vallini lächelte, als er in seinem stummen Selbstgespräche die Frage aufwarf und mit ehrlicher Unverschämtheit beantwortete. Er wollte sich einen sehr hohen Preis zahlen lassen, nicht weniger, als Leonies äußerste Gunst. Sie gefiel ihm, die elegante Dame mit den prachtvollen schwarzen Haaren und den flatternden Blicken der kleinen wasserblauen Augen. Er wußte, wie alle Welt, daß sie mit Dr. Hall aus dem intimsten Fuße stand, und an Weiber, die sich in ihrem ehelichen Dasein nur einen einzigen Schritt vom Wege zu Schulden kommen lassen, nie einen zweiten, glaubte er nicht. Er war mit dem ausgesprochenen Programm, der schönen Leonie den Kopf zu verdrehen, in dieses Haus getreten. Er zweifelte keinen Augenblick an einem endlichen Erfolge. College Orpheus hatte wildere Thiere durch die Macht des Gesangs gebändigt.

Er lächelte noch immer, als Leonie, der Hugo auf dem Fuße folgte, an ihn herantrat.

»Ich möchte die Herren doch mit einander bekannt machen: unser lieber Freund, Herr Dr. Hall, unser großer Sänger, Herr Vallini.«

Vallini lächelte noch holdseliger und noch siegesbewußter, als er sich gegen Hall verneigte. Es blitzte ihm durch den Kopf: dem Herrn werde ich noch einmal ernste Ungelegenheiten bereiten. Und als ob Hugo diese nicht gesprochenen Worte hätte vernehmen können, fühlte er in der vollkommen correcten Verbeugung Vallinis etwas von einer Herausforderung, und er erwiderte sie mit erzwungener, gerade auf das Nothwendige knapp bemessener Artigkeit. Ohne irgendwelche wahrnehmbare Veranlassung sah er in diesem Vallini etwas Feindseliges, Störendes. Und seltsam! auch Leonie fühlte ganz deutlich, daß sich die beiden Männer, die sich vollkommen gesellschaftsrichtig gegen einander benahmen und ihre Gesinnungen durch kein erkennbares Zeichen irgendwie verriethen, gewaltsam abstießen wie die Pole. Ihr geistiges Ohr hörte zwischen den Beiden einen gereizten, bedrohlichen Wortwechsel, sie fühlte, daß es ihre Pflicht sei, den unsichtbar glimmenden Brand zu ersticken.

»Sie haben viel versäumt,« sagte sie, sich an Hugo wendend. »Herr Vallini hat uns durch den Zauber seiner Stimme und die Meisterschaft seines Vortrags begeistert – uns Alle! Eine herrlichere Feier Ihres Erfolges war undenkbar.«

»Bitte, bitte,« versetzte Vallini. »Wenn ich Ihnen eine Freude bereitet habe, so bin ich schon genug belohnt.« Er betonte das »Ihnen« sehr scharf und begleitete das Wort mit einem zärtlichen Blicke. »Wollen Sie aber verschwenderisch sein, so erweisen Sie mir die Ehre, Sie zu Tisch führen zu dürfen.«

Leonie blickte verlegen auf Hugo.

»Sie kommen leider zu spät,« nahm dieser nun das Wort. »Die gnädige Frau hat die Güte, mit mir als Tischherrn fürlieb zu nehmen.«

Die beiden Herren machten wieder eine kaum merkliche Verneigung zu einander. Hugo entführte Leonie, während sich Vallini an eine sehr hübsche junge Dame wandte, die in seiner nächsten Nähe stand und schon lange darauf brannte, dem herrlichen Künstler ihre Bewunderung auszudrücken.

»Du hättest Vallini irgend ein freundliches Wort sagen sollen,« raunte Leonie dem Geliebten zu.

»Der Mensch ist mir in hohem Grade unangenehm.«

»Weshalb?«

»Ich weiß es nicht. Er ist mir eben antipathisch.«

»Und ich habe ihn eigentlich nur eingeladen, um Deinen Abend – denn es ist Dein Abend, mein Liebling – zu verschönen.«

»Ich weiß es, und ich danke Dir.«

Er drückte zärtlich ihren Arm, als er sie durch den kleinen Salon in den Speisesaal führte, dessen breite Schiebethüren eben geöffnet wurden.

Der decorative Schmuck des Raumes entlockte den Gästen laute Aeußerungen aufrichtiger Bewunderung. Das Büffet, in dessen Mitte sich die Bronzestatue der reizenden Omphale mit dem zu ihren Füßen knieenden Herkules auf einem hohen, von Blumen umrankten Sockel erhob, war in seiner ganzen Anordnung geradezu großartig. Es war eine kunstvolle Vereinigung von »Motiven« aus dem Thier- und Pflanzenreich, die das Entzücken jedes Stilllebenmalers hervorrufen mußten. Jeder der kleinen Tische, die so gestellt waren, daß der Verkehr mit den Nachbartischen sich mühelos herstellen ließ, zeigte seinen besondern, von den anderen abweichenden Blumenschmuck: auf dem einen stand als Mittelstück ein prächtiger Strauß von La France-, auf dem andern von Maréchal de Niel-Rosen, ein dritter war mit weißen Nelken, ein vierter mit Flieder, ein anderer mit Maiglöckchen, ein anderer mit Gardenien geschmückt; die größeren Bouquets für die Damen, die kleinen Sträußchen für die Herren entsprachen dem Hauptstücke in der Mitte.

Hugo war aufrichtig ergriffen, als er all die Herrlichkeiten um sich sah und sich sagte, daß Leonies Liebe für ihn dieses Fest bereitet habe. Zitternd preßte er ihren Arm, der in dem seinen ruhte, fest an seine Brust, und Leonie flüsterte ihm leise zu, was er eben gedacht hatte: »Ja, mein Liebling, das habe ich Alles für Dich gethan! Ich bin sehr glücklich!«

»Ich auch!« rief Hugo, tief aufseufzend.

»Und nun verdirb mir die reine Freude nicht, daß Du Dich überschwänglich für die Kleinigkeit bedankst,« flüsterte sie weiter, als sie vor der Bronze standen. »Ich habe sie Dir kommen lassen. Stell sie bei Dir auf. Und wenn Du sie ansiehst, denke an den Abend Deines ersten Triumphes und an mich.«

Hugo war keines Wortes mächtig. Er schüttelte den Kopf und sah Leonie mit einem heißen Blicke zärtlichster Dankbarkeit an.

»Gefällt sie Ihnen, die Omphale?« fragte Welsheim, der an sie herangetreten war und an Hugos Ueberraschung sich erfreute. Er dämpfte gleichfalls seine Stimme. »Es braucht Niemand zu wissen, daß ich mir den kleinen Scherz erlaubt habe … Ich bitte Sie, theurer Freund, kein Wort des Dankes! … Aber hübsch ist sie, das ist wahr! Ja, diese Franzosen! Wenn wir erst so weit wären! … Aber nein! Sie sollen mir nicht danken! Stellen Sie das Ding in Ihr Zimmer zur Erinnerung an Ihren ersten Erfolg … und an uns!«

Die Gesellschaft hatte inzwischen Platz genommen, und während des Essens herrschte die fröhlichste Laune. Gegen ein Uhr, als das Eis aufgetragen war, erhob sich Welsheim und klopfte an sein Glas. Welsheim war ein sehr guter Tischredner. Er sprach kurz, deutlich, gewandt und fand immer ein paar hübsche Wendungen, die große Heiterkeit erregten. Heute glückte es ihm besonders. Jedem Satze folgte lautes Lachen, und Alle stimmten jubelnd in den Toast auf den jungen, siegreichen Dichter, auf Welsheims guten Freund Dr. Hugo Hall ein.

Während die Gläser der fröhlichen Gäste an einander klirrten, erhob sich an einem der Ecktische, an dem sich die Jüngsten zusammengethan hatten, der Toastgesang: »Hoch soll er leben, hoch soll er leben …« Die jugendlichen Tonangeber hatten zu hoch eingesetzt, und bei den beiden Schlußtakten versagte ihnen die Stimme. Sie entschlossen sich sofort – bei dem: »Dreimal hoch!« – zu dem kühnen Sprunge in die tiefere Octave.

Nun aber setzte Vallini mit voller Kraft ein und schmetterte die beiden letzten Töne, h und c, mit einer Gewalt, einer Fülle und Schönheit in den Saal, daß sich Alle ganz betroffen ansahen. Und zum zweiten und drittenmale erklangen diese wundervollen Töne – so voll und rund, so schmelzreich und gewaltig, so schmetternd jugendlich, wie sie schöner nie aus einer menschlichen Kehle gekommen sind. Ein jubelnder Siegesruf, ein sinnliches Frohlocken – es war etwas unbeschreiblich Eindruckvolles, das die Gäste, die sich erhoben hatten, unwillkürlich zwang, den Kopf ein wenig zurückzubeugen, die Lippen zu öffnen und mit verwundertem Blick zu dem kecken Herold, zu dem singenden Rufer im Streite hinüber zu blicken.

Zum dritten und letzten Male ertönte Vallinis »Dreimal hoch!« – Die Uebrigen waren verstummt. Er stand da, in der hocherhobenen Rechten das Champagnerglas schwingend, und während er den letzten höchsten Ton von sinnberückender berauschender Schönheit lange anhielt und aus dem Fortissimo ganz allmählich in das ersterbende Piano aushallen ließ, blickte er unausgesetzt mit feurigem, leidenschaftlich begehrlichem, unheimlichem Blick auf Leonie, die aus offenem Munde seufzend athmete und ihn wie hypnotisirt anstarrte.

Wiederum klirrten die Gläser fröhlich aneinander. Sobald sie auf den Tisch gesetzt waren, erhob sich ein allgemeines Jubeln, von langem, lautem Klatschen begleitet.

»Willst Du nicht mit mir anstoßen?« fragte Hugo leise mit einem Tone leichten Vorwurfs.

»Verzeihe!« entgegnete Leonie, und wie aus starrem Schlaf erwachend ergriff sie schnell das Glas – und stieß es so ungestüm an das ihres Geliebten, daß es in Scherben zerbrach, und der Wein wieder aufschäumend sich auf das Tischtuch ergoß.

Hugo sah sie verwundert an.

»Das bringt Glück,« sagte sie mit erzwungenem Lächeln, ohne daß es ihr gelungen wäre, ihre Befangenheit vor dem scharfblickenden Auge des Freundes zu verbergen.

»Glück und Glas, wie schnell bricht das!« versetzte Hugo in ahnungsvoller Beklommenheit.

Leonie fand kein Wort der Entgegnung. Sie war noch immer wie gebannt. Noch immer hallte der wundersame Ton in ihrem Ohre nach. Er hatte sie wie ein elektrischer Schlag getroffen. Er hatte sie bezwungen, unterjocht. Sie fühlte, wie der Mensch da drüben einen fremden Willen in sie hereingeschmettert hatte, wie dieser Mensch ihr herrisch befahl, all seine geckenhaften Albernheiten zu vergessen und ihn zu bewundern. Und sie beugte sich gehorsam vor der stärkeren Gewalt des unwiderstehlichen Zauberers. Sie ertrug seinen verwegenen Blick, ohne ihn zurückzuweisen, sie mußte immer wieder zu ihm hinüber blicken und erwiderte sein Lächeln. Sie hatte die Herrschaft über sich verloren. Sie that es ohne Neigung, ohne Heuchelei, – einfach, weil sie es thun mußte. Sie hatte vergessen, daß Hugo neben ihr saß, und bemerkte auch nicht, wie nachdenklich und ernst er geworden war, wie sie Beide, die sich immer etwas zu sagen hatten, seit geraumer Zeit völlig verstummt waren, während rings um sie her Alles scherzte, schwatzte, lachte.

Plötzlich hörte sie ganz dicht an ihrem Ohr leise: »Ich denke, es ist Zeit, die Tafel aufzuheben.« Es war Welsheim, der hinter sie getreten war und sich zu ihr herabgebeugt hatte.

Sie schrak zusammen. »Wie meinst Du?« fragte sie erstaunt.

»Wir wollen aufstehen. Die Herren schmachten nach der Cigarre.«

»Ja so! … Gut!«

Sie erhob sich, die Anderen folgten ihrem Beispiel und sie nahm gedankenlos Hugos Arm. Während sie sich langsam in die Vorderräume begaben, sagte Hugo wirklich besorgt: »Was hast Du nur? Du bist auf einmal wie umgewandelt.«

»Du hast aber auch immer etwas an mir auszusetzen! Mir fehlt nichts!« antwortete sie beinahe gereizt.

»Wenn ich Anlage zur Eifersucht hätte,« fuhr Hugo fort, von Leonies Unfreundlichkeit schmerzlich berührt, »so würde ich beinahe glauben, daß Dich der wohlbekannte Rattenfänger mit seinem hohen c auch gekirrt hat. Du hast seit dem Hoch, das der Herr auf sich gesungen hat, kein Wort mehr mit mir gesprochen. Du wirst mir zugestehen, daß es etwas grausam Ironisches wäre, wenn gerade der heutige Abend und gerade eine Huldigung, die eigentlich mir gelten sollte, eine verhängnißvolle Trübung unserer Beziehungen herbeiführte … Du hast mit dem Herrn Blicke getauscht, die …«

»Du bist unausstehlich!« erwiderte Leonie mit unverhohlenem Unwillen. Sie war empört darüber, sich von Hugo durchschaut zu wissen. »Ich kann in meinem Salon doch nicht blos Augen und Ohren für Dich haben.«

»Das habe ich auch nie verlangt. Aber ich gestehe Dir ganz offen, gerade dieser Herr Vallini …«

»Was hast Du nur gegen Vallini? Der ist Dir wohl auch schon wieder zu viel? Den soll ich wohl auch wieder Deinen Launen opfern, wie so manche Andere? Nun, ich muß Dir sehr bestimmt erklären, daß das nicht geschehen wird, und daß ich Herrn Vallini für eine sehr werthvolle Acquisition halte. Er ist ein angenehmer Mensch und ein großer Künstler. Er gefällt mir und den Anderen … Schließlich habe ich doch auch noch ein Wort hier zu sagen und brauche mich nicht in alle despotischen Grillen schweigsam zu ergeben.«

Sie waren während dieses Gespräches, das mit leiser Stimme, aber sehr scharfer Articulation geführt wurde, im großen Salon angelangt. Leonie verließ, ohne den Drang nach einer versöhnlicheren Wendung zu verspüren, Hugos Arm und tauschte mit ihren Gästen Grüße und die üblichen Wünsche für eine gesegnete Mahlzeit. Sie lächelte zerstreut und blickte nach rechts, wo Vallini sich eben von seiner Tischnachbarin trennte. Sie fand ihn jetzt schön. Sie stand jetzt gerade so unter der Wirkung seines männlichen Wesens wie die anderen thörichten Weiber, die sich in ihn vergafft hatten, und über die sie sich noch vor einer Stunde lustig gemacht hatte. Mit einem geheimen Wohlgefühle sah sie, wie er sich ihr näherte, und als er ihre Hand drückte – ganz anders als alle Andern – und seine Lippen sich fest auf ihr Handgelenk preßten, überlief sie ein Schauer und sie zitterte.

»Wann darf ich Ihnen für den schönen Abend danken?« fragte Vallini.

»Wann Sie wollen – nur nicht zu spät.«

»Morgen, wenn Sie gestatten … aber ich gestehe Ihnen, daß ich im Allgemeinen etwas menschenscheu bin. Wann hätte man wohl die größte Wahrscheinlichkeit, Sie in möglichst kleiner Gesellschaft zu finden? Ich meine …«

»Ich verstehe schon. Nun, wenn Sie morgen in der Mittagsstunde zu mir kommen wollen, so werden Sie wohl Gefahr laufen, sich mit mir allein zu langweilen.«

»Also morgen Mittag!«

Er küßte Leonies Hand abermals, und er fühlte, wie sie zitterte. Mit befriedigtem Lächeln wandte er sich zu anderen Damen.

Hugo hatte Alles beobachtet. Er hatte, ohne ein Wort hören zu können, das Geschehene so vollkommen verstanden, als ob sich Leonie mit ihm verabredet hätte. Er zog sein Taschentuch und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Er blickte ausdruckslos auf Leonie, an die Welsheim gerade herangetreten war.

Ja, war denn dieser Welsheim mit Blindheit geschlagen? Sah er denn nicht, was doch so offenbar war, wie Leonie im Begriffe stand, mit einem geckenhaften Damenjäger, dem die launische Natur etwas kräftigere Stimmbänder gegeben hatte als andern Sterblichen – das war aber auch sein einziger wirklicher Vorzug –, wie Leonie im Begriff stand, sich mit diesem Narren von Vallini zu compromittiren? Wie sie in wahnwitziger Tollkühnheit vor seinen Augen, vor den Augen des Gatten, den ersten Schritt auf dem Wege that, der zur Schande, zum Bruch der ehelichen Treue führt? Das Alles sah dieser Welsheim nicht, der doch sonst ein so gescheidter Mensch war?

Ein Gefühl der Mißachtung hob seine Lippen, Leonie und Felix erschienen ihm auf einmal, seitdem er sie mit Vallini zusammen gesehen hatte, in einem ganz andern Lichte. Er vermied es, auf sich und sein Verhältniß zu den Beiden einen Rückschluß zu ziehen.

Er trat an Leonie heran: »Ich will mich unbemerkt empfehlen,« sagte er ihr leise. »Wann sehe ich Dich morgen?«

»Nicht zu früh. Ich will ausschlafen. Die Gesellschaft wird wohl noch lange bleiben. Komm doch zu Tisch, um sechs Uhr wie gewöhnlich.«

»Ich möchte Dich allein sprechen.«

»Keine Strafpredigten, ich bitte Dich! Ich halt's wahrhaftig nicht mehr aus. Ich erwarte Dich um sechs Uhr.«

»Warte nicht auf mich.«

»Wie Du meinst!«

»Ich danke Dir noch einmal herzlich für alle Deine Aufmerksamkeiten.«

»Bitte.«

»Leonie!« flüsterte Hugo mit Wärme, und seine Stimme bebte. »Ist es denn denkbar, daß ich so von Dir scheiden soll … gerade heute?«

»Ja, was soll ich Dir denn noch sagen? Du bist ungerecht. Du siehst, wie ich Alles daran setze, um Dir eine Freude zu machen, und Du quälst mich mit Dingen, die ich nicht ändern kann. Ich bin Wirthin, ich habe Rücksichten auf meine Gäste, auf meinen Mann zu nehmen. Wenn Du das durchaus nicht einsehen willst, so kann ich Dir nicht helfen … Man sieht auf uns. Wir können die Sache heute nicht erledigen … Und überhaupt: thu' mir den Gefallen und halte mir keine Sermone mehr. Ich halte es wahrhaftig nicht aus. Ich müßte ja Nerven wie die Stränge haben … Sei vernünftig! Komm morgen zu Tisch!«

»Nein!« erwiderte Hugo kalt.

»Ein drittes Mal werde ich Dich nicht bitten,« versetzte Leonie in demselben Tone und wandte sich zu der ihr nächststehenden Gruppe.

Als Jean im Vorzimmer Hall den Ueberzieher und Schirm reichte und das Trinkgeld mit halbverschlucktem Danke in die Westentasche gleiten ließ, fügte er deutlicher hinzu: »Vor einer kleinen halben Stunde hat eine Dame nach Ihnen gefragt, Herr Doctor.«

»Eine Dame?« fragte Hugo zerstreut. Die Sache hatte für ihn in seiner jetzigen Stimmung geringes Interesse.

»Schien mir so eine Theaternärrin zu sein,« schmunzelte Jean.

»So? … Wohl möglich!«

Ohne an die Sache weiter zu denken, trat er hinaus in die häßlich kalte, dunkle, regnerische Herbstnacht. Der Kutscher der ersten Droschke wollte vom Bock klettern. Hugo hatte seinen Schirm aufgespannt und ging zu Fuß den Linden zu. Er war sehr niedergeschlagen. In seiner Traurigkeit konnte er das Vorgefallene noch gar nicht übersehen. Er dachte an nichts Besonderes. Mit vorgebeugtem Oberkörper sich gegen den Regen schützend, ging er mit immer schnelleren Schritten nach Hause.



 << zurück weiter >>