Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Endlich war der große Tag der ersten Aufführung gekommen. Es war der letzte Dienstag im September. Leonie hatte schon acht Tage vorher an alle ihre Freunde und Bekannten Karten geschickt, daß an demselben Abend und an jedem folgenden Dienstag von zehn Uhr an ihr Salon geöffnet sein werde. Sie hatte zur Verherrlichung der Wiedereröffnung der Saison und zur Feier des Erfolgs, an dem sie nicht einen Augenblick zweifelte, sich ganz besonders angestrengt. Die Blumendecoration, die sie bestellt hatte, war von unerhörter Pracht. Sie hatte auch dafür gesorgt, daß außer dem interessanten Kreise, den sie stets um sich zu vereinigen wußte, diesmal einige besonders bemerkenswerthe Gäste bei ihr debütiren würden: die Künstler, die die Hauptrollen im Hall'schen Schauspiele darzustellen hatten, ein namhafter Klavierspieler aus London, der sich zufällig in Berlin aufhielt, und der Tenorist Ernst Vallini, der zum Schluß der letzten Spielzeit im Opernhause geradezu Sensation gemacht hatte und mit einer märchenhaften Gage für das Königliche Opernhaus gewonnen worden war. Der Engländer und der deutsche Tenorist mit dem italienischen Namen hatten der unwiderstehlichen Leonie versprochen, bei ihr zu musiciren.

Alles das hatte sie ganz im Geheimen betrieben. Es sollte für alle Welt, es sollte ganz besonders für Hugo eine Ueberraschung sein. Für den Geliebten hatte sie noch andere kleine Aufmerksamkeiten erdacht. Das Büffet wurde kunstvoll um eine von Barbedienne bezogene Bronzegruppe, die den zu Füßen der Omphale spinnenden Herkules darstellte, gegliedert; es sollte das erste Geschenk sein, das Welsheim seinem genialen Freunde machen würde. Auf der großen Torte war der auf Atlas gedruckte Theaterzettel eingefügt. Selbstverständlich wurde auch der kolossale Lorbeerkranz mit gestickten Schleifen, die den Namen des Stückes und das Datum der ersten Aufführung trugen, im Versteck bereit gehalten.

Die helle Freude an diesen Scherzen dämpfte ein wenig die große Aufregung, die sich während der letzten Tage ihrer bemächtigt hatte, und die am Entscheidungstage sicherlich bedenklich geworden wäre, wenn sie nicht gerade durch diese Vorbereitungen zu ihrem ersten Empfangsabende über die Maßen in Anspruch genommen worden wäre. Sie war viel aufgeregter als Hugo, der durch die anstrengende und nervenabspannende Arbeit auf den Proben mürbe geworden war und schließlich dem Ereigniß mit einer gewissen stumpfen Ruhe entgegen sah.

Gegen zwei Uhr Nachmittags kam Hugo zu ihr. Sie hatte sich, um ein wenig zu ruhen, auf die Chaiselongue im Erker gelegt und empfing ihn, ohne sich zu erheben. Hugo küßte die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, und setzte sich auf das kleine Puff, das er dicht an die Chaiselongue geschoben hatte.

»Ich brauche doch nicht aufzustehen?« fragte sie lächelnd. »Ich muß mit meinen Kräften heute haushälterisch umgehen, ich werde sie noch sehr nöthig brauchen … Aber weshalb siehst Du denn so griesgrämig aus?« setzte sie mit veränderter Stimme hinzu. »Du solltest Dich heute nur freuen! Sei ganz unbesorgt! Es wird Alles gut werden! Mein Vertrauen ist felsenfest.«

»Ich denke weniger an mein Stück und an dessen Schicksal, als …«

Er machte eine kleine Pause. Leonie richtete sich ein wenig auf, sah ihm gerade in's Auge und fragte, plötzlich sehr ernst geworden: »Woran denkst Du denn? Woran anders kannst Du überhaupt heut denken?«

»Ich will's Dir ehrlich sagen. Du wirst mich leicht verstehen. Ich bin in einiger Verlegenheit, wie ich's heut Abend nach der Vorstellung machen soll …«

»Ach, Du meinst für den Fall, daß der Erfolg ausbliebe? Es würde Dir dann unangenehm sein, in Gesellschaft zu gehen? Nun, mein liebes Herz, mit dem Factor rechne ich gar nicht. Du wirst Erfolg haben, großen Erfolg, verlaß Dich drauf. Und wenn das Unmögliche doch geschehen sollte … nun, dann schließen wir eben die Thür, kleben einen rothen Zettel an und sagen die Vorstellung im Salon wegen plötzlicher Erkrankung der Primadonna ab. Es würde nicht einmal eine Nothlüge sein, denn ich würde krank werden. Aber daran ist ja gar nicht zu denken!«

»Wenn auch Alles so glänzend verlaufen sollte, wie Du es hoffst,« erwiderte Hugo unsicher und stockend, »auch dann würde ich mich in einer äußerst mißlichen Situation befinden.«

Leonie richtete sich jetzt ganz auf und setzte sich. Verwundert blickte sie ihn an.

»Ich verstehe Dich nicht, … wirklich nicht! Was meinst Du?«

»Was soll ich nach der Vorstellung beginnen?« rief Hugo mit lebhafter Geberde und erhob sich.

»Was Du beginnen sollst? Du sollst zu mir kommen! Das ist doch sehr einfach.«

»Nicht ganz so einfach wie Du meinst. Du weißt doch …« Er stockte und sagte dann leiser, in tieferem Tone: »Ich habe Verpflichtungen!«

Es war das erste Mal, daß Leonie von diesen Verpflichtungen etwas verspürte. Sie hatte mit der Zeit ganz vergessen, daß auch eine Andere als sie Ansprüche an Hugo habe. Es kochte wild in ihr auf, sie fühlte im ersten Augenblicke den Drang, ihrer Empörung leidenschaftlichen Ausdruck zu geben; aber sie meisterte ihre Erregung und sagte nach langer Pause gedehnt: »So?!«

»Die Geschichte ist mir über alle Begriffe unangenehm, aber was soll ich machen? Wohin mich meine Neigungen führen würden, brauche ich Dir nicht zu sagen. Ich habe mir gar nicht denken können, daß ich den heutigen Abend anders als bei Dir, meiner unermüdlich thätigen Mitarbeiterin, zubringen würde … Aber … Als ich eben … vor einer Stunde der Räthin die beiden Parquetsitze gebe, sagt sie mir dankend: ›Und heute Abend nach der Vorstellung wollen wir recht vergnügt sein und Ihren Erfolg feiern. Martha freut sich schon seit Wochen darauf. Sie hat für Sie auch – im Vertrauen gesagt – eine Kleinigkeit gearbeitet!‹ Ich war ganz bestürzt und fand kein anderes Wort als: natürlich! natürlich! … Was soll ich nun machen? Rathe mir!«

Leonie ließ ihre Blicke unstät durch den Raum schweifen, beugte sich ein wenig vor und sagte dann mit ungewohnt tiefer Stimme: »Ja, mein Freund, da muß ich zurücktreten, so leid es mir thut! Das sehe ich ein. Es thut mir sehr, sehr leid! Das kann ich nicht leugnen. Alle Freunde, die uns heute nach dem Theater besuchen, erwarten mit Bestimmtheit, Dich hier zu finden … Dein Fernbleiben ist ganz dasselbe wie die officielle Anzeige Deiner Verlobung. Und das wolltest Du doch eigentlich vermeiden. Von mir und meinen Empfindungen will ich dabei gar nicht reden. Wie gesagt, es thut mir herzlich leid!«

Auch Leonie war nun aufgestanden und rauschte, mit der langen Schleppe ihrer Matinée den Teppich fegend, an ihm vorüber.

»Du bist mir böse?« fragte Hugo kleinlaut, ohne den Muth zu haben, sich ihr zu nähern.

»Nicht böse! Ich bin nur sehr traurig! … Man soll sich nie auf etwas zu sehr freuen … Ich will Dich heut gewiß nicht quälen … aber Du kannst Dir ja denken, wie es mich kränkt und schmerzt, daß wir den heutigen Abend nicht zusammen genießen können … Vielleicht ist auch ein bischen Eitelkeit im Spiele … Ich werde ein curioses Gesicht machen, wenn ich meinem Manne, wenn ich jedem einzelnen Gaste auf die natürlichste Frage: ›Nun, und wo steckt denn Dr. Hall?‹ antworten muß: ›Der Doctor hat eine andere Einladung angenommen.‹ Das ist recht unangenehm … und es unterliegt gar keinem Zweifel, daß man zwischen uns Gott weiß welche heftige Scene voraussetzen wird.«

»Das habe ich mir ja Alles selbst gesagt! Ich darf vor Dir kaum wiederholen, welche unsinnigen Combinationen mir durch den Kopf geschossen sind, um mich aus dieser entsetzlichen Situation zu befreien. Ich würde vor dem Aeußersten nicht zurückgeschreckt sein – nicht vor dem Bruche.« Leonie sah ihn scharf an. »Aber es ist unmöglich – unmöglich in dieser brutalen Plötzlichkeit. Martha ist ein bedauernswerthes schwaches Geschöpf. Der Schlag würde sie niederschmettern. Und wenn sie mir auch längst nicht mehr das ist, was sie mir sein sollte, – denn ich liebe nur Dich, Leonie, Dich allein! – so habe ich doch für die Arme, die mir nie ein Leid zugefügt hat, ein genügend starkes Gefühl anhänglicher Freundschaft und schonender Menschlichkeit, um sie nicht geradezu zu vernichten. Das ist keine Uebertreibung! Es ist die volle, herbe Wahrheit! Mit welchen Empfindungen könnte ich bei Dir sein, an Deiner glänzenden Festlichkeit theilnehmen, wenn ich mir sagen müßte, daß zur selben Stunde ein armes Wesen mit dem Tode ringt, und daß ich es verschuldet habe? Ich habe nie an Martha gedacht, wenn, ich in Deiner Nähe war. Heute Abend würde sich die Erinnerung an das Mädchen zwischen Dich und mich drängen, uns eisig anwehen und alle Lust ersticken!«

»Nun, lieber Freund, wir können noch eine Stunde schwatzen und werden nicht einen Schritt weiterrücken. Wir müssen uns in das Unvermeidliche schicken … Vielleicht ließe sich noch irgend etwas ersinnen, um die leidige Sache wenigstens gesellschaftlich möglich zu machen …«

»Wenn ich später käme?«

»Wie lange würdest Du denn voraussichtlich da bleiben müssen?«

»Ach, da kann ich schon einen Vorwand finden, um die Sitzung abzukürzen! Marthas Gesundheitszustand … ich kann mich zu einer späten Stunde mit den Schauspielern verabredet haben … das läßt sich schon ganz plausibel machen! Gegen Mitternacht bin ich sicher frei!«

»Nun, dann schreibe mir ein paar Zeilen. Spiele den Nervösen! Du bist nach der Vorstellung zu aufgeregt, um Dich sogleich in den Strudel der Gesellschaft zu stürzen. Du mußt ein bischen ruhen, ein Stündchen mit Dir allein sein! Du kommst später! … Ich lache Dich ein wenig aus! Du bist eben ein Original, dem man allerlei nachsehen muß. Und wenn Du dann wirklich gegen Mitternacht kommst, wird man Alles ganz in der Ordnung finden.«

»Ja, so geht's!« rief Hugo. »Ach, mir fällt ein Stein von der Brust! … Ich hatte ja auch daran gedacht Aber ich fürchtete. Du würdest so ungehalten sein, daß Du für meine Situation gar kein Verständniß haben und Dich lediglich von Deinen durchaus berechtigten Gefühlen leiten lassen würdest. Ich hatte nicht den Muth, Dir die Theilung vorzuschlagen … Ich danke Dir, Leonie, von ganzem Herzen! Du liebst mich wirklich! Ich habe nie daran gezweifelt! Ich danke Dir für diesen neuen Beweis Deiner Liebe!«

Er war an Leonie, die langsam eine Gloire de Dijon-Rose des Blumenaufsatzes entblätterte, herangetreten und hatte seinen Kopf gebeugt, um sie zu küssen. Sie bot ihm die Stirn, er fühlte, daß sie unwillkürlich den Kopf zurücklehnte, sobald seine Lippen ihre Haut gestreift hatten.

»Du hast Recht, an meiner Liebe nicht zu zweifeln!« sagte sie. Ihre Stimme hatte einen andern Klang als gewöhnlich. »Und nun schicke ich Dich fort … Felix kann jeden Augenblick kommen … Ich möchte nicht, daß wir die unangenehme Geschichte vor ihm noch einmal besprechen müßten … Also ich sehe Dich heute Abend … im Theater auf der Bühne … und gegen Mitternacht darf ich Dich hier erwarten?«

»Adieu, Leonie! Und jetzt – vor dem entscheidenden Abschlusse laß Dir noch einmal sagen, wie ich Dir danke! Wie ich Dich liebe! Wie immer der Würfel fallen mag, was ich Dir schulde, ist unermeßlich! Ich danke Dir!«

Er zog sie an sich und küßte sie leidenschaftlich.

»Ich sage Dir kein Wort … Du weißt, wie ich fühle! Geh, mein Herz! … Wir sehen uns … während der Schlacht … und nach dem Siege!«

Als Hugo sie verlassen hatte, setzte sie sich in den Erker und starrte auf den regnerischen Himmel. Sie sah sehr ernst, weniger traurig als streng und hart aus. Was in ihr vorging, faßte sie in die Worte zusammen, die sie als das Facit aus ihren Betrachtungen zu ziehen schien: »So kann's nicht weiter gehen! Eine Nebenkönigin vertrage ich nicht!«

Heute bereitete es ihr eine wirkliche Freude, als sie Welsheims Stimme im Nebenzimmer hörte. Er gab dem Diener noch einige Weisungen für den Abend. Sie erhob sich, trat an die nur durch Portièren geschlossene Thür des großen Salons und rief ihn. Felix eilte zu ihr und küßte sie auf die Stirn – zufällig auf dieselbe Stelle, die vor einer Viertelstunde Hugos Lippen gestreift hatten. Jetzt aber beugte sie sich nicht zurück.

»Hast Du zehn Minuten für mich übrig?« fragte sie.

»Wie kannst Du nur fragen? Immer zu Deinen Diensten!«

»Nun dann setz Dich hier zu mir. Ich habe mit Dir ernsthaft zu sprechen … über Deinen Freund Doctor Hall. Du weißt, ich habe ihn auch sehr gern … und er beunruhigt mich.«

»Wieso?«

»Er hat mich vor Kurzem verlassen. Er war hier … um sich heut Abend zu entschuldigen.«

»Was?! Der Doctor will nicht kommen?! Das ist ja einfach unmöglich! Und unsere Gesellschaft? Und meine Gruppe von Barbedienne?«

»Ich habe es schließlich durchgesetzt, daß er zu späterer Stunde doch noch kommt, und eine genügende Ausrede für die Verspätung ersonnen. Das hat also nichts weiter auf sich. Was mich beunruhigt, ist etwas Anderes. Die beabsichtigte Absage erfolgte, weil das Mädchen in der Brüderstraße … Du weißt ja, seine Braut …«

»Fräulein Breuer?«

»Weil Fräulein Breuer den Abend von ihm verlangt hat. Er wäre ja natürlich viel lieber zu uns gekommen. Er nimmt diese Verlobung also ganz ernsthaft, obwohl ich sicher bin, daß er das Mädchen nicht liebt, nicht lieben kann – er glaubt sich eben durch ein unüberlegtes und übereiltes Wort für's Leben gebunden – und das halte ich für sehr bedenklich.«

»Du hast vollkommen Recht!«

»Du hast ja das Mädchen gesehen: hinfällig, brustkrank, unbedeutend … und die Umgebung, diese Dürftigkeit und Aermlichkeit! Der Doctor würde da einfach zu Grunde gehen, die Ehe mit der unglücklichen Person wäre nichts weniger als das Grab seines Talentes, seiner Zukunft!«

»Ja, ja! Das fürchte ich auch!«

»Und das sollten wir, seine guten Freunde, ruhig mitansehen?«

»Nein, das dürfen wir nicht! Aber was ist da zu machen? Soll ich einmal ein ernsthaftes Wort mit dem Doctor reden? Ich schmeichle mir, einigen Einfluß auf ihn zu besitzen.«

»Ich unterschätze Deinen Einfluß nicht, aber dem Doctor wird schwer beizukommen sein, wie ich befürchte. Ich habe eben Alles reiflich durchdacht und habe eine andere Idee. Das Mädchen ist entschieden lungenkrank … die durchsichtige Haut, die wächserne Gesichtsfarbe, die rothen Flecken auf den Backenknochen, der unheimliche Glanz der Augen – jeder Zweifel erscheint mir ausgeschlossen. Es ist traurig, aber es ist nun einmal so! Das arme Kind muß nach dem Süden geschickt werden, in ein milderes Klima. Der Räthin fehlt es offenbar nur an Geld. Das Geld mußt Du ihr unter irgend einem anständigen Vorwande zur Verfügung stellen. Wir werden nicht zu hungern brauchen, wenn wir ein paartausend Mark weniger haben, und für die Leute ist es ein Vermögen, eine dauernde Hilfe. Wenn die Räthin mit ihrer Tochter aber erst einmal in Meran, Montreux oder in San Remo sitzt, dann hast Du gewonnenes Spiel! Dann wird auch der Doctor einem vernünftigen Worte, auf das er offenbar nur wartet, zugänglich sein. Dann ist es an der Zeit, Deinen Einfluß auf ihn geltend zu machen. Ich würde es aber für das Richtigste halten, vor Allem mit der Mutter ernsthaft zu sprechen. Wenn sie ihr Kind liebt, wird sie selbst die Initiative zur Entlobung ergreifen.«

»Ja, ja! Das leuchtet mir Alles vollkommen ein! Ich bin auch selbstverständlich bereit, der Mutter die nöthigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um ein halbes Jahr, meinethalben auch ein Jahr mit ihrer kranken Tochter im Süden zu bleiben. Ich weiß nur in der That nicht, wie ich ihr das beibringen soll.«

»Eine Mutter, die ihrem leidenden Kinde helfen kann, sieht über Alles hinweg! Uebrigens wird es am Ende nicht einmal erforderlich sein, daß Du selbst als Wohlthäter hervortrittst. Das ließe sich vielleicht durch eine Mittelsperson machen – den Hausarzt oder sonst wen! Du bist so gescheidt! Du wirst, da Du von der Nothwendigkeit überzeugt bist, daß etwas für den Doctor geschehen muß, schon das Richtige treffen. Ich theile übrigens Deine Meinung vollkommen.«

»Ja, ja!« sagte Welsheim, nachdenklich sein Kinn streichelnd. »Das wollen wir schon machen! Ich lege mir die Sache bereits im Kopfe zurecht … Und weißt Du? Keine Zeit verlieren! Solche Geschichten muß man nicht auf die lange Bank schieben! Es thut mir leid, daß ich nicht auf der Stelle … aber heut geht's ja natürlich nicht. Na, morgen ist auch noch ein Tag! … Ich suche mir die Räthin auf und sage ihr … Na, laß mich nur machen! … Uebrigens an der Börse war heute die Stimmung für Halls Schauspiel sehr fest … Und ich darf sagen, ich habe das Meinige dazu gethan! … Es wurde von nichts Anderem gesprochen … Von nichts Anderem – ist zuviel gesagt! Unser heutiger Eröffnungsabend macht Furore, sage ich Dir! Zwanzig Leute haben mich gefragt: ›Ist es denn wahr, Vallini kommt heute zu Ihnen … und singt?‹ Ein Bombeneffekt, sag' ich Dir! Vallini hat nämlich noch nie in einer Privatsoirée gesungen. Er hat im Frühjahr dem Geheimrath Genthiner, der ihm eine Stange Gold geboten hat, rundweg abgeschlagen, bei ihm zu singen … Er wird doch nicht im letzten Augenblicke …?«

»Sei ohne Sorge! … Aber Du erinnerst mich daran, daß ich noch allerlei für den Abend anzuordnen habe …«

»Natürlich, natürlich! Ich ja auch! … Die Blumen habe ich eben noch beim Gärtner im Vorüberfahren inspicirt. Wundervoll! Er kommt mit zwei Leuten Schlag sieben … Der Conditor hat mir eben auch noch gelobt … Na, es wird Alles klappen! Ich wollte eigentlich – es war eine Idee von mir – das Eis als Gruppe Herkules und Omphale serviren lassen …«

»Um des Himmels willen!« rief Leonie entsetzt.

»Es geht nicht! Ich hab's aufgegeben. Der Conditor meinte, es würden fürchterliche Kerle … oder vielmehr ein fürchterlicher Kerl … mit einem Worte, es geht nicht. Ich habe mich für den üblichen Schwan entschieden – für Vallinis Tisch … eine Anspielung auf Lohengrin. Du verstehst? … Der Conditor bot mir noch eine Minerva an … mit der Eule … Symbol der Dichtung, meinte er … für Halls Tisch … Ich habe aber auch verzichtet … das ist mir zu complicirt …«

»Du hast wohl daran gethan! … Wir essen heut um halb sechs.«

»Schön.«

»Bestell den Wagen zu dreiviertel auf sieben.«

»Ist schon geschehen … Nun will ich Dich also nicht mehr aufhalten … Du hast ja noch genug zu thun … Du bist wirklich als Wirthin ein Genie! … Und Deine Toilette?«

»Sei ganz ruhig! Ich werde Dir keine Schande machen.«

»Das weiß ich, das weiß ich! Wenn ich Alles so genau wüßte! … Also um halb sechs! … Ich mache mich auch vorher fertig … Du wirst nicht zu warten brauchen!«

Er küßte seine Frau auf den Scheitel und entfernte sich, schnell wie immer.

Leonie conferirte noch mit dem Koch und dem Diener. Dann verscheuchte sie der Klavierstimmer, der den Steinway im großen Salon stimmte, aus den Vorderräumen, und sie flüchtete in ihr Toilettenzimmer, wo Germaine eben damit beschäftigt war, das erst am Vormittag eingetroffene Kleid von Worth vorsichtig auszubreiten. Sie hatte dabei wieder das eigenthümlich verliebte Lächeln, mit dem sie nur die gnädige Frau und deren neue Toiletten betrachtete.



 << zurück weiter >>