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Rechts und links vom Main hatte heute mehr als einer mit Kopfschütteln in das Gepränge der untergehenden Sonne gesehen: mit zuckenden Feuergarben hatte jener, mit rinnenden Blutbächen dieser, ein dritter mit dem Wallen und Wehen güldener und purpurner Heerbanner das schreckbare Schauspiel verglichen – alle aber waren sie sich einig, daß das Farbengetümmel ein Zeichen sei neuer, unerhörter Kriegsnot und Drangsal, wie sie nun schon heimisch war in deutschen Landen mehr denn achtundzwanzig Jahre. Denn man schrieb den Augustmonat 1646, und seit Wochen ging ein Raunen von den Städten in die Dörfer, aus den Amtsstuben bis zu den fernsten Hütten: bei Marburg und Wetzlar seien die Franzosen unter Turenne und die Schweden unter Wrangel zueinandergestoßen. Hernach brachten Handelsleute und fahrend Volk die Kundschaft, bei Aschaffenburg wären die feindlichen Haufen über den Main gezogen, um sich sengend und brennend ins arme Baierland zu wälzen. Schon drang vom nahen Spessart herüber der Schrei von Raub und Hungersnot, Brandschatzung und Pestilenz. Furchtbar wie in den dreißiger Jahren, die die Felder zu Einöden, zu Kirchhöfen die Städte und Dörfer verwandelt hatten, hing das dräuende Kriegsgespenst über den Menschen, und nicht als die frohe Verheißung des nächsten Tags, sondern nur noch als düstere Weissagung des nimmer endenden Jammers wußten sie sich das glutende Sinken der Sonne zu deuten …
Noch immer schwamm eine Herde rosiger Wölkchen über den Mauertrümmern und leeren Fenstern der verfallenen Karlsburg und warf den Widerschein in die engen Gassen und auf die Häuser des Dörfleins Mühlbach. Drüben aber jenseits des Flusses und der Türme der festen Stadt Karlstadt, stieg ob den sanften Höhen der Mond herauf und sein blasses Licht gewann Gewalt über den vergehenden Tag: über den fernen Wäldern schwankte ein silberner Schleier; die Giebel, Zinnen und Turmspitzen der alten Stadt hoben sich in schimmernder Feinheit aus dem Zwielicht und silberne Funken erglommen im Mainfluß. Zunächst am Ufer, ein gut Stück von den ersten Häusern, stand eine baufällige Hütte – unweit der Stelle, wo das Fährboot, wenn es über den Fluß kam, angelegt wurde. An der Wand, die sich dem Wasser zukehrte, saß auf einer Bank zusammengebückten Leibs und regungslos ein Mann. Sein fadenscheinig Gewand ließ der Mond barmherzig im Dunkeln, aber den eingezogenen, barhäuptigen Kopf traf er mit einem Hauch seines Scheins. Nur wenige eisgraue Haarsträhnen klebten über der furchigen Stirn; darunter lag auf dem rechten Auge ein schwarzes Pflaster, und das linke, von dicken Brauen überbuscht, war fast geschlossen. Und zugeschlossen war das ganze Gesicht mit der dünnen Hakennase zwischen den knochigen Backen, den ineinandergekrampften Lippen, dem spitzen, vorwärtsgebogenen Kinn. Der da saß, hörte nicht hinter sich ins Dorf, wo es trotz des vorrückenden Abends noch seltsam laut war von aufgeregten Stimmen, Hundegekläff und Pferdestampfen; es war nicht einmal gewiß, ob er vor sich das stille Glänzen der anhebenden Mondnacht sah; abgeschieden und ausgesondert von der Welt Leid und Lust schien er ganz und gar.
Jetzt kam ein lebhafter, ungeduldiger Schritt vom Dorf her. Ein junger, hochaufgeschossener Mensch im feinen städtischen Wams und gefiederten Hut spähte die Böschung hinunter und über den Fluß. Unschlüssig wandte er sich wieder um zum Dorf, lauschte, ging flußabwärts am Ufer hin und schlenderte zurück, bis er bei der Hütte und dem Alten anhielt.
»Ich bin's – Klaus Saz! Du brauchst dich nicht zu erschrecken, Endres!« Die Stimme ging hell und munter durch die nächtliche Einsamkeit. »Auf den Vater wart' ich, der noch immer mit dem Bürgermeister und den Herren vom Rat bei den Königsmärkischen sitzt. Hätt' ich vorausgewußt, wie lang der Handel geht, ich wär' nicht mit herübergekommen. Werden uns die schwedischen Fratzhänse ja doch früh genug drüben heimsuchen!«
Der Alte rührte sich nicht. Kaum daß er den Kopf nach der Seite drehte, aus der der Zuspruch kam.
»Rück zu, Endres, und gönn' mir Platz auf der Bank!« Der junge Mann setzte sich, so gut oder schlecht es gehen wollte, auf die knappe Schranne und streckte die Füße von sich. »3000 zu Roß«, fuhr er redselig fort, »und 200 zu Fuß liegen sie in Rohrbach und Karlburg, und der General, der Königsmark, tut sich hoch und harsch wie ein Reichsfürst: Einlaß verlangt er – oder für eine Reiterzehrung 150 Pferd', keines unter dreißig Talern wert, etliche Faß Wein vom besten und 200 Paar Schuh. Wo soll's die Stadt nehmen und nicht stehlen?«
»Besser, ihr gebt das Hemd vom Leib und vom Brot noch die Brösel,« murmelte der Alte für sich hin, »als die strippen euch die Haut von den Knochen!« Ein Schauer lief über sein Antlitz und seine Glieder.
Der junge Mann streifte ihn mit einem Blick, in dem Neugier und Mitleid sich mischten. »Ich war noch ein klein und blöd Büblein damals, im Herbst 31,« begann er von neuem und noch zutraulicher, »als der Obrist von Wildenstein und seine Leibgesellen, der Leinbach und Wolfram, die Stadt anhuben zu vexieren. Aber du hast ja die schwedischen Lotterstücke mit eigenen Augen gesehen!« Er zögerte und äugte nach dem schwarzen Pflaster in seines Nachbarn Angesicht. »An dir haben ja wohl selber die Schandvögel ihre Lust geübt. Und so Arges die Stadt vorher und darnach hat auszustehen gehabt – mit damaliger Kriegsfuri muß es nicht wohl zu vergleichen sein!« Es war dem leutseligen Stadtherrn anzumerken, daß er, um sich die Zeit zu verkürzen, den alten Fährknecht, dem der Meister das Gnadenbrot gab und von dessen Vergangenheit allerhand verworrene Reden umliefen, gern ins Erzählen gebracht hätte.
Der Alte blieb stumm, ais hätte er nicht ein Wort vernommen. Klaus Saz, der umsonst die Ohren gespitzt hatte, schob sich enttäuscht den Hut aus der Stirn und sah in die Weite, die sich immer geisterhafter mit der silberigen Blässe des Mondlichts erfüllte, so daß der Fluß wie ein Band von märchenhaften Steinen dahinfunkelte, die Türme und Dächer der Stadt und die Waldhügel dahinter in eitel Glanz und Duft sich badeten. Da, als er einer Antwort sich nicht mehr versah, setzte der Endres mit schleppenden Worten ein: »Wenn das Elend all und die Plage, so damals mit des Wildenstein teuflischer Gnaden und seinen verruchten Horden über Karlstadt hereingebrochen sind, sich möchten neu auftun – ihr tätet gut, eure Häuser noch in heutiger Nacht einzureißen, und legtet mit eigener Hand fressend Feuer an eure Mauern. Ihr tätet gut, einer den andern mit Ruten aus der Stadt zu stäupen, eure Weiber in den Main zu stürzen und die Kinder am nächsten Stein zu zerschellen!« Ein pfeifender Husten verschlug ihm schier die Stimme. »Denn ihr könntet vor Angst und Marter den Morgen verfluchen und vor Herzleid und Tränen die Nacht und den Tag verwechseln!« Es zerriß ihm der Husten die Brust, daß er die Hand dawider preßte.
Schmunzelnd halb und halb im Gruseln rückte der junge Mann von ihm ab, so weit es der Sitz zuließ. »Endres, Endres!« Er beugte sich vor und suchte das offene Auge des Alten. »Du machst es ja ärger als ein Kapuziner in den Fasten!« Er lachte und brach doch gleich wieder ab, weil sein Lachen fremd in die Nacht klirrte und ihn fast schreckte. »Vieles und Ungutes hab' ich schon von selbiger Zeit gehört und manches hernach mit Augen gesehen, daß mir's kalt über den Buckel gelaufen – aber dein Reden und Prophezeien ist außer Maß und Sinn. Und wären die Schweden des leibhaftigen Beelzebub Erzengel – mich machst du nicht graulich!«
»Schwedisch und kaiserlich, lutherisch oder papistisch ist all eins,« murmelte der Alte, während er wieder stumpf und gleichgültig in sich zusammensank. »Was fragt Ihr mich? Fragt Euren Vater, den Stadtschreiber, der hat's fein säuberlich und nach der Regel ins Stadtbuch geschrieben – den fragt!« Fest schloß er die Lippen zusammen, als wollte er sie nicht wieder öffnen und tat es doch noch einmal, und ein eigensinnig, fast irr Leuchten schoß aus dem tiefliegenden Auge. »Außer Maß und Sinn? Außer Sinn und Maß ist die Welt seit an die dreißig Jahr'! Und so Ihr Lachens lustig seid – heut' noch, denn morgen wär's vielleicht zu spät – so lacht über den, der sie so und nicht anders regiert!«
»Also gar in Gottes Regiment willst du pfuschen?« fragte der junge Saz mit einem schalkhaften Blinzeln und stieß ihn begütigend an. »Nichts für ungut, Endres! Die Welt dürft' noch schlimmer sein, als du vermeinst – daß du sie könntst besser regieren, mag ich nicht glauben!«
Wieder schwieg der Alte so lang, daß es den Anschein hatte, er wollte sich des Schweigens nicht wieder entschlagen. »Glaubt was Ihr mögt!« rang es sich ihm dann schwer und verbissen vom Mund. »Säß' ich an Gottes Statt und säh' ich, was er sieht: wie das Gras verdorrt und das Korn verfault auf dem Halm, wie die Straßen rot sind von Blut und der Himmel ist rot von Feuersglut landauf, landab und jahraus, jahrein – säh' ich nichts denn Mord und Gewalt, Hunger und Pest und hörte nichts über die Erde hin, denn Wehklagen und das Geschrei der Unschuldigen und das Winseln der Sterbenden, Greis und Kind, Weib und Mann – – säß' ich an Gottes Statt,« der Alte reckte den gebrechlichen Leib, sein Auge sprühte von zornigem Weh und seine Hände griffen in die Luft: »Richten wollt' ich und die Schuldigen schlagen, statt den Unschuldigen, und den Jammer austilgen und den Krieg zertreten mit denen, die seiner nicht müd' werden! Richten und Frieden schaffen!« Kraftlos senkten sich seine Arme und der Glanz in seinem Auge erlosch. »Er mag's nicht und wird's nicht und schafft nimmer kein Ende!«
Mit Entsetzen war der junge Städter aufgesprungen. Die seitherigen Reden hatte er dem Alten, der für einen hintersinnigen, vom Siechtum verbitterten Grübler bekannt war, gern zu gut gehalten. Das Letzte ging ihm über den Spaß. »Tausend Wetter! Hör' auf!« rief er zwischen Bestürzung und Unmut. »Müßt' ich nicht denken, daß dich das Fieber schüttelt und hirnschellig macht – du dürftest mir nicht ungestraft den Gottesspötter machen!« Er bekreuzigte sich. Sein Ärger verflog schon wieder, und wich der gutmütigen Herablassung, »'s ist wohl der Mond, der dich irr macht! Kriech in dein Nest, Endres!« Auf dem Wasser näherten sich Ruderschläge. »Da kommt endlich die Fähre!« setzte er erleichtert hinzu. »Und Herrn Hilperts und des Bürgermeisters Brummbaß hör' ich auch!«
Während das lange Boot mit zwei stehenden Fergen drin sich über die glitzernde Flut heranschob, schollen in der Tat Stimmen in lebhafter Zwiesprache vom Dorf. Klaus Saz trat von der Hütte weg und gesellte sich bald zu den Herren, die mit gedrückten Mienen der Uferböschung zuwandelten. Aber auch der Alte hatte sich erhoben und schleppte sich der Fähre zu. Doch war er noch nicht weit gekommen, als es vom Boot herauf schrie: »Bleib, wo du bist, Endres! Wir richten's ohne dich aus!« Er kehrte lautlos um. Sein Tagwerk, das kaum noch in einem etwa nötigen Anpflöcken oder Seilziehen bestand, war getan. Während die Fähre vom Land stieß, trat er, ohne sich noch wieder umzusehen, aus dem Schimmer der Mondnacht ins Dunkel der Hütte …
Ihn fröstelte. Mit Ächzen und Husten tappte er nach der Herdstatt. Unerachtet der sommerlichen Wärme legte er dürres Holz auf, schlug Feuer und entzündete das Reisig, daß die knisternden Flammen unstät den niedrigen Raum erhellten, den ein Schemel zwischen dem einzigen Fenster und dem Herd, und im Winkel, bei der Leiter, die unters Dach führte, ein Lager aus aufgeschüttetem Stroh nicht gar wohnlich machte. Auf den Schemel ließ er sich niederfallen und starrte ins Herdfeuer, reglos und zusammengekauert, wie er draußen über Fluß, Stadt und Wald hingestarrt hatte. Der Schatten seines kahlen Schädels, der gekrümmten Nase und des vorgeschwungenen Kinns stand hart auf der Wand. Von den Gedanken, die er zuvor in einem ungewöhnlichen Ausbruch von Worten aus sich herausgeworfen hatte, zehrte er weiter. Von dem Hader mit Gott nährte sich, wie das schmächtige Feuer auf dem Herd von den trockenen Reisern, sein welkes, müdes, bresthaftes Leben. Seine dämmernde Seele sträubte sich gleichsam, den Leib zu lassen, als müßte sie noch und doch noch den Tag und die Stunde erlauern, wo der unbarmherzige Geist über den Himmeln an ihm und seinem Geschick die unbillige Rechnung begliche … Und war doch diese ärmliche Menschenseele und ihr winziges Schicksal nur ein Tropfen, ja eines Tropfen Tröpflein, in dem Meer von Leid und Blut und Ungerechtigkeit der todwunden Welt seit an die dreißig Jahr' …
Vom Dorf her, aus der Nacht gellte ein Schrei auf und drang bis in die Hütte. Das Ohr des Alten, der sich zwischen Herd und Fenster zersann, blieb gleichgültig und taub. Eines fliehenden, strauchelnden Menschen Fuß hastete nah und näher heran und verworrenes, wüstes Fluchen und Lachen von Männerstimmen flog hinterdrein. Jetzt erst fuhr der Alte zusammen. Die Tür war aufgesprungen, und ehe er begriff, wie ihm geschah, schwankte eine junge, schlanke Gestalt zu ihm her, und zwei bebende Arme umstrickten ihn.
»Hilf mir! Birg mich! Rette mich!« Aus flatternden Haaren blickten zwei scheue, zum Tod erschrockene Mädchenaugen zu ihm auf.
Er erkannte sie langsam. Es war Bertel, eines Bauern Tochter aus dem hintersten Dorf. »Was soll's? Was schaffst du?« fragte er in grämlichem Ton, mehr der Störung verdrossen, als ihrer Angst teilhaftig.
»Sie sind hinter mir! Reiter von den Schwedischen!« stieß sie klagend heraus. »Sie wollen mir Gewalt! Hilf mir! Birg mich!« Wimmernd umschlang sie ihn fester und grub den jungen Kopf in seinen Schoß.
Draußen wuchs das Johlen und war dicht an der Hütte.
Endres stand auf und drängte das Mädchen mit sich zur Höhe. Ratlos sah er umher. Sein Blick haftete an der Leiter. »Dort hinauf!« Er wies ihr den Weg und sie huschte hinüber.
Doch schon stolperte und taumelte es herein durch die Tür – ein grobgliedriger Gesell im Lederkoller und Bandelier, das Gesicht kirschbraun und lachend zwischen dem rotblonden Knebelbart, unter dem mächtigen, goldumschnürten, schief gestülpten Hut … und noch einer, lang und dünn, wie ein Strich, die Augen frech im glatten Bubengesicht … und ein dritter, atemlos, nicht der Jüngste mehr, eine Spürhundfratze mit spitzer Nase, raffgierigen Kiefern und eisigen, spitzigen Blicken …
»Heissa und Hussa!« prustete und lachte der Knebelbärtige. »Da wär' unser Häslein im Garn!« Er stützte sich gegen die Wand, weil er vom Lauf wirblicht geworden war und deutete nach der Leiter, über deren Fuß das Mädchen, vor Entsetzen der Flucht nicht mehr mächtig, hing und zitterte wie Espenlaub.
Der Junge mit dem glatten Gesicht und den frechen Augen stürzte, kaum daß er die Beute gewahrte, los, sie zu fassen. Endres vertrat ihm die Bahn mit wehrendem Arm.
»Platz da, du Vogelscheuche!« Mit derbem Schlag stieß er den Alten beiseite.
Doch der warf ihm den schwächlichen Leib entgegen. »Laßt das Dirnlein zufrieden!« bat er mit versagender Kraft, während der Bub – denn es war noch kein Mann – ihn mit zornigem Fauchen abzuschütteln sich anschickte.
Derweil trat der Knebelbärtige, immer noch lachend, herzu. »Gib dich, Einaug'! Wer will einem ehrlichen schwedischen Reiter den Spaß verderben?« Er schob den breiten Leib zwischen die beiden, daß sie sich mit oder ohne Willen losließen.
»Ei, was vertut ihr die Zeit? Ich hab' mein Liebchen!« Schneidend kam's aus der Ecke. Indes seine zwei Spießgesellen mit Endres rechteten, hatte der dritte mit der Spürhundfratze sie umschlichen, mit einem Sprung das Mädchen von der Leiter gerissen, und hielt den Fang unter den Händen.
Gleicherweise verdutzt fuhren die drei auseinander. Mit offenem Mund und entgeistertem Aug' stierte Endres, von der schneidenden Stimme wie mit einem Geißelhieb getroffen, den Sprecher an.
Der Junge, der sich um den schon fast errungenen Preis betrogen fürchtete, wollte sich in heller Wut von neuem auf seinen lächerlichen Widersacher werfen, der ihn aufgehalten hatte.
Aber der Knebelbärtige packte ihn am Wams. »Nichts da! Ruhe gehalten! Zum Henker, Hansjörg!« Er wandte sich an den, der das Dirnlein erlangt hatte: »So war die Wette nicht! Laß' sie ledig, die Dirn! Jeder hat gleiches Recht und wir würfeln sie aus!« Er nestelte am Koller und brachte einen Becher und Würfel zum Vorschein, die er lustig drin schüttelte.
»Narrenspossen!« zischte der in der Ecke. »Hast du Gelüst nach dem Milchpüpplein, Wachtmeister – ich bin so hitzig nicht drauf – um einen Gülden,« die eisigen Augen blinkten diebisch, »laß' ich sie dir!«
»Schaut mir den lausigen Krämer! Und ich?« brauste der Junge auf. »Ich bin der nächste dazu! Ich hab' sie erkundet, und laßt ihr der Kleinen die Auswahl – lieber als dich struppigen Bocksbart, Wachtmeister, und dich überjährigen Fuchsbalg,« er schwang die Faust nach dem, den der Wachtmeister Hansjörg nannte, »mag sie mich und springt mit mir in den Busch!«
»Nichts da! Ruh' gehalten!« Der Wachtmeister ließ seine Würfel noch lauter im Becher klappern. »Redlich scheid' ich den Handel: wer gewinnt, hat die Braut! Wer verliert, zahlt dem Hansjörg den Gülden!« Er schwenkte den Becher dem Buben zu: »Ich laß' dir den Vortritt!«
Endres, der die ganze Zeit her von dem Reiter, der die schier Ohnmächtige hielt, das Auge nicht gelassen hatte, zupfte den Knebelbärtigen am Ärmel: »Schont das Dirnlein!« ließ er sich wieder, leis und dringend, vernehmen.
»Gottes Donner! Was schiert dich das Mädel?« schrie der Junge giftig.
»Bist du ihr anverwandt? o sei's zufrieden, wenn sie ein feiner, Königsmärkischer Reiter minnt!« Der Wachtmeister wies nach dem Schemel: »Gewürfelt!«
Der Bub, der gierig den Becher gegriffen hatte, ließ die Würfel tanzen und niederfallen – und zog ein bitterböses Gesicht.
»Eins und noch eins sind zwei!« spottete der Wachtmeister. »Fast wär's zum Lachen, würf' ich nicht drüber! – Gewonnen! Fünf und fünf!« Triumphierend warf er den Hut über sich. »Her mit dem Mädel!«
»Her mit dem Gülden!« kam es als Echo aus der Ecke.
»Schont sie, Herr! Ich bitt' Euch!« Noch einmal wagte es der Alte, als er begriffen, wem der Gewinnst zufiel, den Knebelbärtigen am Ärmel zu zupfen.
»Schont sie! Schont sie!« äffte der Wachtmeister und stemmte die Arme in die Seite. »Seh' mir einer den klapprigen Daus! Wo sticht dich der Hafer? Bald glaub' ich, dich kläglich Männlein kitzelt noch selber die Lust nach jungem Armfleisch!« Dröhnend lachte er über den eigenen, närrischen Einfall.
»Wenn Ihr mich anhören wollt,« beharrte der Alte und eine wunderliche Entschlossenheit stärkte ihm mit dem Mut die Stimme. »Wenn Ihr nur eine Weile verzieht – Ihr habt ja das Mädel für sicher – bericht' ich Euch, warum ich so bitt' und bettle!« Unheimlich fast leuchtete es in dem hohlen Antlitz und das sehende Auge griff wieder nach dem Dritten in der Ecke, der jetzt das Mädchen aus den Armen gelassen hatte, so daß es wie leblos darniederlag und er lauernd dabeistand.
Der Wachtmeister stocherte im Feuer auf dem Herd und warf zum Spiel neue Reiser in die verzehrte Glut. Guter Laune, wie er war, und des Gewinns gewiß, auch minder gelüstig als die andern, wandelte es ihn an, gnädig zu sein und es auf einen neuen Spaß ankommen zu lassen. »Und was hilft's dir, du Faselhans, wenn ich höre?« fragte er leichthin.
»Daß Ihr vielleicht die Lust verliert über meiner Geschichte, Herr – die Lust, dem Mädel Gewalt zu wollen.« Endres preßte es dumpf durch die verkrampften Lippen.
»Ha – das wäre!« Der Knebelbärtige schlug sich aufs Koller und lachte. »Immer losgeschossen! Kurz und bündig!« – »Dageblieben!« herrschte er den Jungen an, der geringschätzig die Achseln geworfen hatte und, verdrossen über das verlorene Spiel, sich davondrücken wollte.
Widerwillig blieb der Bub bei der Tür. Der Wachtmeister lehnte, das Feuer nährend, neben der Herdstatt. Der Alte setzte sich hüstelnd auf seinen Schemel nieder. Einen Augenblick fiel er in sich zusammen, als hätte er sich mit seiner schwachen Kraft übernommen. Dann zog es ihm wieder den Blick, als würd' er gebannt, nach dem Schweigsamen, der bei dem Mädchen die Wache hielt, und er hob mit eintönigem Murmeln an:
»Zwischen Karlstadt und Wernfeld in der Mitten, dort wo das Tal aufbiegt nach Gambach, hat bis vor anderthalbhundert Jahren der Ort Gainfurt gelegen. Heut' ist er vom Erdboden als wie verschluckt und weiß keiner, ob es durch Feuersbrunst oder Kriegsnot oder Bergsturz geschehen oder was draus geworden ist. Aus selbigem Ort, der zur Wüstung worden und gar verschollen ist, stammen meine Vorfahren, die Hübner, die nachmals in Harrbach und Wernfeld, in Mühlbach und Karlburg ansässig waren, und paßt solche Herkunft wohl zu mir, dem Leib und Leben auch zu einer Wüstung geworden sind.«
»Soll uns der Hansnarr dürfen eine Leichenpredigt halten?« klang es bissig herüber aus der Ecke.
»Von des Adam Geburt fängt er sein Weibermärlein an!« knurrte der Junge.
»Mach's kurz, Freund!« mahnte der Wachtmeister. »Unsre Kehlen brauchen frischen Mainwein und das Mädel begehrt nach mir!« Er schlug die Stiefel gegeneinander, daß die Sporen erklirrten.
»Mein Vater,« fuhr der Endres fort, ohne des Drängen zu achten, »war ein Fischer zu Himmelstadt, aufwärts am Main, und ich war von acht Kindern das ältste. Was Freud' ist und Kurzweil, hab' ich nicht erfahren, wohl aber was Armut und Bitternis, spitzkralliger Hunger und Arbeit, daß die Nägel von den Fingern abspringen, von klein auf. Die Mutter ist mit dem neunten Kind im Wochenbett verstorben, und ein Jahr drauf der Vater am Fieber, so sie das ung'rische geheißen. Da bin ich der Meinigen Hausmagd und Nährvater und Sorgenträger gewesen ganz allein, und wie die fünf jüngsten – eins ist an der schwarzen Sucht geblieben und ein andres im Krieg verdorben – wie die letzten sind ausgewachsen gewesen und eigenen Wegs gegangen, und ich hab' meine Jahr' überzählt, sind's auf einmal an die vierzig gewesen. Ihr seht, ich mach's kurz, ihr Herren! Denn es sind vierzig Jahr' schon ein Menschenalter; waren verlaufen im Hui und doch gekrochen in eitel Schinderei und Mühsal – vierzig Jahr'!«
Aus der Ecke kam ein dünnes Pfeifen, wie wenn einer so recht sein verächtlich Mißfallen ausdrücken will. Der Junge, der an das Strohlager herangerückt war, warf sich mit Gähnen darüber.
»Blitz und Hagel!« wetterte der Knebelbärtige und blies ins Feuer, daß die Funken aufstoben. »Wenn die dreißig Jahr', die zu den vierzig noch nachkommen, nicht lustiger sind, darfst sie uns schenken!«
»Habt noch ein Quentlein Geduld!« fing der Alte mit Husten wieder an, denn der Rauch fuhr ihm in den Hals. »Dreißig Jahr' – da gebt Ihr mir zu viel, 's ist meine Schuld nicht, daß ich vor der Zeit kahlköpfig geworden bin und grau, und mein Leib siech. Just wie ich dazumal in einem einzigen Jahr bin doch noch jung worden und auf einen einzigen Tag alt für immer – das laßt mich noch erzählen! Sommers wie winters bin ich mit meinen Fischen im Schifflein nach Karlstadt zu Markt gefahren. An einem Märzentag war's, im Jahr 1631 – der Main trieb die letzten Eisschollen bergunter, die Sonne ging hell und kräftig einher und ein lauer Wind blähte mein Segeltuch, daß ich wie ein Vogel so geschwind von Himmelstadt ans Karlstädter Maintor flog. Mit meiner Butten lief ich nach dem Marktplatz. Früh am Morgen war's, die Gassen schon voller Leut', die Frauen unterwegs zur Mette, die Händler, gleich mir, zum Markt. Da stürmt von ohngefähr seither eine wilde Rott' Kindsvolk und, eh' ich mich's verseh', schlägt mir eins ein Bein vor, daß ich die Länge lang hinstürz' und meine Fische, so viel ihrer sind, am Boden zappeln und springen. Das Lachen und Geschrei war groß, und da war keiner, der mir nicht, jung oder alt, zum Schaden noch den Spott gab. Ich hob mich auf und begann meine Fische, soweit ich deren habhaft konnt' werden, einzulesen. Auf einmal tritt ein Dirnlein unter den Gaffern vor, scheu und doch keck, ein lieblich und blühweiß Ding, und hebt still an mit mir zu sammeln und ist fort, bevor ich ihr danksagen kann … Den Spott und Schaden hatt' ich bald verschmerzt. Aber mit dem Dirnlein ist mir seltsam geschehen. So eine knappe Zeit ich's nur gesehen – sein hilfreich Bild verwich nicht aus meinen Gedanken, und seine Augen stunden wie zwei Sonnen in meinem anher gar graufarbenen Tagwerk. Denn mir hatte mit Willen noch kein Fremder Gutes angetan …« Der Alte verstummte und saß in sich gekehrten Blicks, als wie im Träumen …
»Verhext hat dich die Dirn, du Lecker!« lachte der Wachtmeister. »Mach' nicht viel Mist's weiter und komm zum End'!« Er schlug ihm grob mit der Hand auf die Schulter.
»Nicht ganz so flink, Herr, geschah's, wie Ihr meint,« sagte der Endres leis und ein Zucken, nicht wie ein Lächeln, aber wie eines Lächelns weher Widerschein ging um seine Lippen. »Ich war des Jungferierens nicht gewohnt, ein eckiger, schüchterner Klotz, und schämte mich der Narrheit, die mich plagte, wie eines Gebrestens – war ich doch auch an Jahren doppelt wie sie. Aber es ist gekommen, wie Ihr sagt. Und hat nicht nach Vernunft gefragt, noch Alter und Blödigkeit, hüben und drüben. Wer mag um ein Wunder viel Worte machen? Ihr glaubt's mir nur desto minder. Und mein Schifflein zog mainunter, nicht bloß zu Markt, sondern Tag um Tag – einen Frühling und einen Sommer lang. Und der Heckenrosen, so über's Ufer fielen, der Sonne, so am Himmel lachte, des Monds, so im Wasser sich spiegelte, der ganzen Welt, wie schön sie sei, ward ich gewahr zum erstenmal. Sie war einer armen Wittib einzig Kind, ich war ihrer Mutter nicht zu Leid und auf den Martinstag war mir das Dirnlein zur Eh' versprochen …« Seine Stimme brach plötzlich entzwei, als durchführe sie ein Riß, und ward darnach rauh und stieß die Worte. »Am 13. Oktober selbigen Jahrs ist das erste schwedische Volk in die Stadt gedrungen, und mehrte sich der Haufen jeden Tag in Stadt und Land, und ihr Oberster war der von Wildenstein und sein Regiment war der leibhaftigen Hölle An- und Ausbruch!«
»Holla! Holla! Höll' für euch starrköpfig, ketzerisch Pack!« verwahrte sich lustig der Knebelbärtige. »Himmel und Paradeis für des Königs brave Reiter und Musketier'! Ich lag in Königshofen dazumal oder in Würzburg gar. Hansjörg – wie war's?« Er kehrte sich zu dem in der Ecke. »Dir ist das Mainländische vertraut – so rühmst du – wie dein eigener Sack. Du hast unter des Obristen Wildenstein Gnaden im Karlstädter Speck gesessen, und morgen, so Gott will oder der Teufel, sitzen wir all' selbander darinnen und taufen mit Mainwein!«
Der Reiter in der Ecke, den er ansprach, zuckte nur eben die Achseln. Aber der Alte bohrte wieder, noch stierer, denn er zuvor getan, das Auge allein in ihn und ließ nicht davon, solang er noch redete. »Wenn Ihr dazumal, Herr, mit den Wildensteinischen habt zu Karlstadt gehaust, wißt Ihr so wohl Bescheid wie ich, und daß des Quälens und Raubens, des Brennens und Schändens kein Nachlassen war bis weit ins zweiunddreißiger Jahr. Doch mein und meines Glücks armselig Schifflein ist schon viel eher gestrandet und zu Stücken gebrochen. Von des Königs Reitern einer – verflucht sei sein kniffig Schelmengesicht, sein Nam', Ehr' und Angedenken! – der setzte sich mit zweien seinesgleichen ins Quartier bei der Wittib, die meines Mägdleins Mutter war. Den letzten Batzen im Kasten, das letzte Brot bis zur Rinde und den Satz in der Kanne soffen und fraßen sie auf und heischten mehr, und dräuten und marterten, und ließen nicht von dem Weib, bis aufs Blutgreinen und Blutschwitzen. Auf was sie aber ihr Absehen hatten und was sie begehrten, war nicht das Fressen und Saufen, sondern meines Dirnleins junger, unschuldiger Leib. Die Wittib, ihre Mutter, verbarg sie vor ihnen nach Kräften und schloß sie ein auf dem Dachboden ihres Häusleins und wehrte den Lottern mit ihrem eigenen Leben. In ihren Ängsten, und da sie nicht aus und ein wußte, gelang ihr's, mir ein Kind mit Botschaft zu schicken, denn ich war die Tage her, da mir selber das Volk in der Kammer lag, nicht in die Stadt gekommen, und war doch in großer Besorgnis. Gleichen Tags noch schlich ich mich nach Karlstadt und in der Wittib Haus. Und es traf sich, daß die Galgenvögel waren grad' ausgeflogen. Als ich hörte, woran es war, ruhte ich nicht und drang in die Frauen: zur selben Stund' wollt' ich das Mägdlein, das nur noch ein Schatten war vor lauter Furcht und Beben, davonbringen auf meinem Schifflein und weiter, wenn's Gottes gnädiger Wille war, zu den Nonnen in Unterzell. Es ging zum Abend, und ich nahm sie unter meinen Mantel, und wir schlichen unter der Frauen Wehklagen zur Tür. Länger als gut machten sie den Abschied, und wie wir hinaus wollten, fuhr die Tür wider uns und herein brach der Reiter mit seinen Gesellen. Sie sahen gleich, was im Werk war. Ich wollt' das Dirnlein verdecken, aber der Reiter Gier hatte sie längst erkannt und riß sie von mir. Ich warf mich dagegen und schrie, daß sie mir zugehöre. Da fielen sie über mich her und streckten mich an den Boden, traten auf mich und traten mir ins Gesicht und in die Augen. Das tat aber der Reiter, daß ich nicht sehen sollte, was ihr Vorhaben war. Denn während ich blind und unmächtig darniederlag, schleppten sie das Mägdlein von der heulenden Mutter und taten ihr rohe Gewalt, daß ihr Notrufen durchs Haus gellete und wimmerte« …
Der Alte war, indes er noch redete, von seinem Schemel aufgestanden. Sein Antlitz war verzerrt von Schmerz, seine Fäuste hingen zitternd in der Luft und sein Reden war nur noch ein Keuchen. »Was schwatz' ich noch viel und vergeud' euch die Zeit? Das Dirnlein, so sie zuschanden gemacht, hat sich hernach aus dem Siechbett geschleppt und, da es unbewacht war, in den Mainfluß geworfen, sich von seiner Schmach reinzubaden. Ist ertrunken und nimmer aufgefunden worden, und mein spät Glück, mein kurzes, ist bei ihr gelegen für immerdar. Der Reiter aber ist mit Hohnlachen fein lustig und ledig in des Wildensteins Haufen davongeritten« …
Eine Stille, durch die kaum ein Atemzug ging, und das Knistern des Feuers, war in der Hütte. Erst nach geraumer Weile stampfte der knebelbärtige Wachtmeister hart auf. »Hol' mich der und jener, Alter!« stieß er heiser heraus, und seine Augen rollten unter dem goldumschnürten Hut. »Ich bin kein Muttersöhnchen und hab' manch' wüst' Stücklein gehört und angesehen … Dir ist garstig geschehen, und hätt' ich den Hund zur Stell', der solches an dem Dirnlein geübt und dir,« die Hand lag ihm am Degengefäß und er fletschte wie eine Dogge, die ein Schoßhündlein angereizt »– und wär' er zehnmal ein Reiter gleich mir – ich spießt' ihn mir auf die Klinge!« Mit hallenden Schritten ging er hin und wider.
Der Alte, fahl wie er schon war, wurde wachsbleich über solchen Worten. Die eine Hand preßte er gegen die eingesunkene Brust, die andere schwankte wie ein Blatt an seiner Seite, als wollte sie sich heben und deuten. Sein heiles Auge war an die Spürhundfratze in der Ecke geklammert und der Reiter taumelte einen Schritt hinter sich. Endres wußte, wer er war, seit er die schneidende Stimme gehört und die eisigen, spitzen Blicke wahrgenommen hatte, wie vor fünfzehn Jahren. Um was er mit dem Allmächtigen gehadert hatte tagein, tagaus; was er noch am Abend mit heißen und wilden Worten gefordert, war ihm gegeben: er stand an Gottes Statt. Ein Laut nur, ein Handheben, und er richtete. Jetzt hob er die Hand, jetzt bildeten seine trockenen Lippen das Wort …
Der Wachtmeister stand neben ihm. Er hatte des stummen Spiels zwischen den beiden nicht geachtet und auch der glattgesichtige Bub nicht, der erst vom Schlaf erwacht war und sich die Augen rieb. Jetzt fiel dem Knebelbärtigen die heftige Erregung des Alten auf. »Hast dich über Gebühr aufgerührt, Freund!« brummte er gutmütig. »Gib dich zufrieden!« … »Ob du dir trautest, den Reiter, den schäbigen Schuft, noch zu kennen, verkäm' er dir noch einmal wieder?« warf er, in neuem Auflodern, hin.
Über den Leib und das Angesicht des Alten lief es wie ein Krampf. Die Hand, schon gehoben, entsank ihm; das Wort, halb gesprochen, verging. »Nimmermehr, Herr!« murmelte er leis und ergeben …
»Hätt' nicht vermeint, daß du recht behältst,« sagte der Wachtmeister laut und, schon im Gehen, über die Schulter. »Hab' keine Lust mehr zu dem Mädel dort! Sie fahr' im Frieden! – – Hast du des Guldens noch Lust, Hansjörg? Ich zahl' ihn!«
Der Angeredete war wie ein Schatten aus der Ecke geglitten und noch vor dem Knebelbärtigen aus der Tür. Bloß der Junge warf noch einen Blick auf die Dirn, die bei der Leiter lehnte, und tappte dann schlafsüchtig den andern nach …
Erschöpft war der Alte auf seinen Schemel gesunken. Das Feuer auf dem Herd lag im Verlöschen. Der Mond leuchtete durch das kleine Fenster, und durch die Tür, die offen geblieben war, blinkte der silbrig rieselnde Fluß. Endres achtete des nicht. Er rührte sich auch nicht, als das Dirnlein zu ihm huschte, seine Hände küßte, mit Tränen netzte und davonlief. Er war an Gottes Statt gewesen und aufgerufen, zu richten. Und sein Herz, so bitter es war und zerschlagen, war der Kraft nicht fähig geworden, Haß zu üben und Verdammnis zu sprechen. Wie durfte er noch hadern? Es dämmerte in ihm, nach seinem Verstehen, eine Ahnung von der Größe Gottes und wie er in der Schwachheit der Liebe mächtiger sei als in der Stärke des Hassens …
Andern Tags zogen die Schweden mainaufwärts weiter: gegen ein gut Stück Geld ließen sie die wackere Stadt Karlstadt im Frieden. Seinen Frieden hatte auch der Fährknecht am Mühlbacher Ufer gefunden. Ehe noch der August sich zum Ende neigte, ganz und für immer …